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Fäden spinnen sich durch das Zimmer, Abendlicht lässt sie in allen Grautönen scheinen und zarte Schatten auf die Wand werfen. Mein Finger fährt die bleichen Linien vorsichtig nach, wie schön, denke ich mir. Ohne weitere Gedanken geh ich zu der großen bunten Kiste unter meinem Schreib­tisch und fische einen Pinsel und nachtschwarze Tinte heraus. Dann schnell an die Wand zurück und vorsichtig die fragil wirkenden Schatten nachmalen. Meine Augen sind starr auf den Pinsel die je­weilige Linie gerichtet, mein Kopf ist nur wenige Zentimeter von der Wand weg, mein Mund leicht geöffnet. Schnell geht es, schnell muss ich sein, denn das Licht verschwindet langsam. Aber mit ei­nem mal springt die Tür auf und Mama kommt herein, in den Händen den vollen Wäschekorb. „Alex, hast du noch schmutzige Wäsche, ich schmeiß jetzt nämlich die Maschine an und...“ Sie stockt mitten im Satz und starrt mich entgeistert an, ich starre verwirrt zurück, aus meinen Gedan­ken gerissen. Die schwarze Farbe läuft über meine Hand, tropft auf das Laminat. Ihre Augen wer­den immer größer, dann lässt sie den Korb fallen, sie stürmt auf mich zu reißt mir den Pinsel aus der Hand und beginnt laut zu schimpfen, ich trete nur einen Schritt zurück, sehe an ihr vorbei. Wie wild fuchtelt sie herum, schreit und deutet immer wieder auf die Wand, an der die schwarze Farbe nun in dicken Tropfen herunter läuft. Das Licht ist verschwunden. Und Mama regt sich weiter auf. Dann wird sie stumm und Tränen laufen ihr über das von Sorgen zerfurchene Gesicht. Sie schaut mich mit diesem seltsamen Ausdruck an, dass ist mir unangenehm. Nun mustere ich das verwobene Tin­tenspiel an der Wand und lächle leicht und abwesend. Es ist schön. Es ist wie in meinem Traum. Plötzlich schließen sich Mamas Arme um mich, aber ich schubse sie weg und starre weiter an ihr vorbei, die Stirn gerunzelt. Das will ich nicht, sie soll mich nicht festhalten, ich will frei sein. Sie schluchzt nur, sammelt die Wäsche auf und verschwindet wieder. Ich verstehe sie nicht. Warum sie mich immer einengen will. Mein Netz an der Wand ist kein Spinnennetz, in dem ich mich verfange, dass mich festhält. Ich kann daran herauf klettern und die Sterne sammeln. Ich setzte mich in den Schneidersitz, betrachte das Bild. Und dann sehe ich das Licht um die schwarzen Striche. So ist es gut.
Ich höre oft, wie Mama fremden Leuten erklärt, dass ich das Asperger-Syndrom habe. Der Mann im weißen Kittel, der mich immer mustert, als wäre ich etwas Faszinierendes und Ungewöhnliches, hat das auch schon mal versucht mir zu erklären. Ich weiß nicht was er meint. Manchmal sagt er Wörter sehr laut und deutlich, sagt, ich soll sie auf ein weißes Blatt malen, aber dass will ich nicht. Er hat keine Tinte. Ich hasse es, wenn mich die Leute berühren, mich anstarren, dass macht mir Angst. Ich hasse es, wenn ich mein großes Zimmer verlassen muss oder wenn wir was anders ma­chen als sonst. Meine Mama hat einmal einen fremden Mann nach Hause gebracht. Er ist nicht mehr wegge­gangen. Ich hasse ihn. Er stellt alles um und durchwuschelt mir manchmal das Haar, dann schlage ich nach ihm. Es ist unheimlich, wenn sie alle mich anschauen auf diese seltsame Wei­se, mitleidig, erklärt Mama. Ich hasse das. Aber ich liebe Mama. Ich verstehe nicht, warum sie weint. Es ist be­stimmt wegen dem fremden Mann.
Heute habe ich wieder geträumt, von einem roten Kleid und einer weißen Bluse, die in einer Plas­tiktüte versteckt waren. Als ich aufstehe, weiß ich, dass ich sie finden muss. Ich renne durchs ganze Haus, durchwühle die Sachen, aber ich finde die Sachen nicht. Sie sind weg. Stehen bleiben, brül­len. Ich halte das nicht aus, sie müssen hier sein! Den Kopf gegen die Wand schlagen. Der fremde Mann kommt, reißt mich von der Wand weg und fragt, was los ist. Lauter schreien. Er soll mich nicht anfassen! Mama kommt, schickt ihn weg. Besser. Ich kann mich hinsetzten, werde leiser, wie­ge mich nur noch vor und zurück. Das beruhigt. Mama redet auf mich ein, langsam und leise. Gut. „Alex, was ist passiert? Ist etwas verschwunden?“ Ich schaue auf meine Knie und überlege einen Moment. „Etwas verschwunden.“, murmle ich. Sprechen ist schlecht, es ist zu beschränkt, keine Wörter für mein Empfinden. Mama schaut mich einen Moment nachdenklich an. „Ok, Alex, ich werde es suchen.“ Ihr Blick ist ernst. Ich glaube ihr. Also stehe ich auf und gehe in mein Zimmer. Dann suche ich die schwarze und die farbige Tinte und den Pinsel. Ich nehme eine weiße Leinwand und beginne zu zeichnen. Der Pinsel ist sehr hart und spitz, ich kann sehr genau arbeiten. Meine Au­gen kleben an dem Papier und Schicht für Schicht entsteht das Bild in meinem Kopf, dass mir mein Traum geliehen hat. Ich mag es, mit Tinte zu malen. Es ist ein schönes Gefühl. Bleistifte oder Aquarellfarben fühlen sich schlecht an. Ich habe schon viele Bilder aus meinen Träumen geholt. Aber sie gehören nicht lange mir, ich will sie nicht behalten. Also gebe ich sie Mama, sie bringt sie weg. Die, die ich mag, bleiben an den Wänden hängen. Wenn wir zu fremden Leuten gehen, haben viele meine Tintenträume an der Wand hängen. Ich weiß nicht, wie sie die bekommen haben. Mama nennt die Fremden Verwandte oder Freunde. Ich mag sie nicht. Sie sind laut und gucken komisch. Meistens halte ich mir bei ihnen die Ohren zu.
Es wird langsam dunkel. Das Bild ist beinahe fertig, da ist eine Frau, sie ist sehr schön und sie trägt das rote Kleid und die weiße Bluse, während sie im Dunklen tanzt, neben ihr wirbelt die Plastiktüte umher. Ich höre auf, zu malen und die Frau lacht stumm und verbeugt sich vor mir, bevor sie von der Leinwand tanzt, die Tüte wird von ihr mitgerissen. Die beiden fegen über meine weiße Wand, die Tintenfrau hinterlässt schwarze Spuren. Ich drehe mich, während sie durch mein Zimmer wan­dert und zu dem Netz von gestern, über die Seile tanzt, bis sie hinüber klettert und verschwunden ist. Ich bleibe stehen und lächle das Netz stumm an. Da steckt Mama den Kopf zur Tür herein und zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Ich habe es leider nicht gefunden.“ Ich nicke nur leicht und deute auf das Bild hinter mir. Vielleicht wusste Mama auch gar nicht wonach sie suchen muss­te. Aber jetzt schaut sie auf die Leinwand. „Oh.“ Ihr Finger streicht wenige Zentimeter über der Oberfläche entlang. „Das ist...wunderschön. Und es sieht so echt aus...“ Sie starrt lange auf das Bild und dann sieht sie mich wieder an, es ist in Ordnung. Sie lächelt leicht und seufzt dann leise. Sie geht wieder. Ich gehe ihr nach, bleibe an der Treppe stehen und schaue ihr hinterher. Sie dreht sich nochmal um und ich halte ihrem Blick für zwei Sekunden stand, dann schaue ich schnell weg und drehe mich um, gehe in mein Zimmer. Die Leinwand mit dem Bild kommt auf die Seite. Eine neue Leinwand. Ich sitze eine Minute davor, zehn Minuten, eine halbe Stunde. Vielleicht auch länger. Zeit gibt es nicht. Sie existiert nicht in diesem Traum. Dann male ich Mama.
Ihren Blick. Es ist schwer, sie zu malen, weil sie mich dabei die ganze Zeit anguckt. Aber sie starrt mich nicht mehr an. Ihr Blick ist ein wenig wie meiner. Ich sehe in ihren Augen, dass sie auch träumt. Und ich sehe etwas warmes, was mich die Stirn runzeln lässt. Liebe. Aber sie ist gut. Sie engt mich nicht ein. Liebe.

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Tag der Veröffentlichung: 05.01.2011

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