Helson sah zum Fenster seines Hotels hinaus. Er war mitten in einer Millionenstadt. Unter ihm befand sich ein riesiges Verkehrschaos. Es war sechs Uhr morgens und er trank genüsslich einen Kaffee, während er das Schauspiel amüsiert mitverfolgte. Wie erbärmlich sie doch alle waren. Erbärmlich und hässlich. „Menschen“. Er sprach das Wort in einem angewiderten Tonfall. Er hatte nicht verstanden wieso gerade er hierher gesandt wurde. Er war seiner Majestät stets treu ergeben gewesen. Doch dieser Ort war die Hölle für ihn. Er musste ab diesem Gedanken lachen. Nein es war eben nicht die Hölle. Dort hatte er viele Jahrtausende gut gelebt. Nun war er in die Welt gesandt worden, die von diesen ekelhaften Geschöpfen beherrscht wurde. Als Beobachter hatte man ihm gesagt. Er stand aus seinem Sessel auf und ging zur Minibar. Er entnahm dieser eine Flasche Wodka, setzte sie sich an die Lippen und trank sie ohne abzusetzen leer. „Die einzige Erfindung der Erbärmlichen, die etwas taugt“. In der Tat mochte er den Schnaps. Der Alkohol hatte keinerlei Wirkung auf ihn. „Aber nicht einmal die können sie ertragen“. Er stellte die leere Flasche zurück und nach einem blinzeln war sie wieder gefüllt und verschlossen. „Gar nichts halten diese Viecher aus!“, murmelte Helson vor sich her. Er schaltete den Fernseher an. Auf einem Nachrichtenkanal wurden gerade Bilder aus irgendwelchen Kriegen in irgendwelchen Wüsten ausgestrahlt. „Drollig sind sie ja die Erbärmlichen. Zerstören sich selber. Dumm aber lustig“. Er musste sich beherrschen nicht gleich laut los zulachen, als auch noch von Erdbeben zerstörte Städte gezeigt wurden. „Wie hilflos sie doch sind. Da hatte sich seine Majestät aber einen Spass erlaubt.“ Nach einer weiteren Viertelstunde schaltete er das Gerät aus. Er blickte auf die Uhr. Zeit, darauf kam es den Menschen an. Für ihn hatte sie keinerlei Bedeutung. Er stand nicht unter Zeitdruck, er wurde nicht älter und er konnte auch nicht sterben. Auch das war eine Eigenschaft, die die Menschen noch erbärmlicher machte. Er zog sich an. Wie immer trug er ein schwarzes Hemd und ebenso schwarze Hose. Er verliess das Zimmer und begab sich zum Lift. Problemlos hätte er durch den Boden fahren können, allerdings hätte das wohl ziemliches Aufsehen erregt und er hatte den Auftrag unerkannt zubleiben. Im Lift stand schon eine Frau, Helson stellte sich neben sie. Sie starrte ihn während der ganzen Fahrt an, das irritierte den Mann aus der Hölle aber überhaupt nicht. Er sah im wahrsten Sinne des Wortes teuflisch gut aus. Er wirkte auf Frauen anormal attraktiv, alle schauten sie stets zu ihm. Ab und zu nahm er eine der Menschenfrau für einen Spass in sein Gemach, lieben konnte er jedoch nicht. Er wollte es nicht. Liebe, so nannten die Menschen die Offenlegung ihrer Schwäche, um sich zu vermehren. Verstehen konnte Helson diese Verhaltensweise nicht. Weshalb sollte man jemanden den Nachwuchs zeugen lassen der offensichtlich schwach war? So würde das Kind ja ebenso schwach. Menschen waren dumm, das wusste er, aber sie schafften es ja scheinbar, ihre Spezies zu erhalten. Der Lift hielt mit einem Ruck und die Türen öffneten sich.
Auf den Strassen herrschte immer noch ein beschäftigtes Treiben und der Verkehr verursachte einen höllischen Lärm. In einer schnellen Gangart schritt Helson durch das Gewirr aus Menschen und Metall. Sein Ziel war ein kleines Kino an einer Strassenecke. Ein Horrorfilm lief, doch für Helson war es eher ein Spass sich anzuschauen wie sich die Menschen Höllenkreaturen vorstellen. Er musste jedes Mal schmunzeln, wenn der Rest des Publikums erschrocken aufschrie. Angst kannte er nicht. Auch diese zeigte Schwäche, und Helson war nicht schwach. Gewiss hatte er nicht die Kraft seiner Majestät, dennoch hielt er eine hohe Position in der Hölle inne. Wahrscheinlich hatte er deshalb diesen bescheuerten Auftrag bekommen, die Menschen zu beobachten und ihre Lebensweise zu verstehen versuchen. Es war keine leichte Mission, die Menschen waren für seinesgleichen absolut unverständlich. Er konnte sich auch nicht erklären wie die Erbärmlichen diese Welt beherrschen konnten.
„Wie geht’s so mit deinen Menschlein? Amüsierst du dich gut?“, kam die Stimme Grads lustig klingend aus dem Handy. Grad war der Bruder von Helson und anscheinend machte er sich gerade über ihn lustig. „Ich fühle mich hier wie in einem Ameisenhaufen. Sie wimmeln umher, ich könnte kotzen.“, antwortete Helson gehässig. Er mochte seinen Bruder nicht, er mochte ihn noch nie. „Immerhin in einem Jahr ist deine Mission zu ende. Dann kannst du wieder deine ach so hohe Position neben seiner Majestät besetzten“. Grad klang ganz klar neidisch. Er wird nie akzeptieren können, dass er nur ein einfacher Seelenwächter war. Helson legte mit einem Lachen auf. „Dummer kleiner Bruder“. Er sass auf seinem Bett im Hotelzimmer, die Flasche Wodka stand gefüllt auf dem Nachttisch. Helson griff danach und leerte sie erneut mit einem Zug. Er blinzelte und setzte sie gleich wieder an. Er rülpste zufrieden und stellte die Flasche zurück. Er war gelangweilt und beschloss in die Lobby zu gehen, um ein paar Menschen zu verwirren. Dort angekommen setzte er sich auf ein Sofa und nahm eine Zeitschrift vom Tischchen davor. Er tat so als würde er sie lesen, stattdessen blickte er unauffällig zu den anderen Hotelgästen. Lächelnd bemerkte er, dass alle Blicke auf ihm lagen. Doch dann entdeckte er etwas, was ihn überraschte und verärgerte. Wie kann das sein? Schoss es ihm durch den Kopf. Seine Augen ruhten auf einer Frau, um die Mitte zwanzig, langes braunes Haar, rote Lippen, ein hübsches Gesicht, eine etwas helle Haut. Auch sie hatte eine Zeitung in der Hand und… Sie las Sie! Sie schaute nicht zu ihm. Er war irritiert und bemerkte nicht, dass er die Frau regelrecht anstarrte. Sie blickte nun zu ihm, ihr Blick traf seine Augen. Noch nie hatte ihm ein Mensch direkt in die Augen geblickt. Sie lächelte. Sie lächelte ihn an, den Mann aus der Hölle! Helson lächelte unsicher zurück. Seine Neugier war geweckt, und er musste sich eingestehen, dass ihm die Menschin gefiel. Er täuschte vor auf die Uhr zu blicken, stand auf und verliess eilig den Raum. Zurück in seinem Zimmer liess er sich auf sein Bett fallen und blieb nachdenklich liegen.
Das hatte er noch nie erlebt. Er war wütend und fasziniert zugleich. Seiner Macht konnte sich niemand entziehen, kein Mensch zumindest. Er kannte nur zwei Erklärungen dafür: Vielleicht kam auch sie aus der Hölle, Helson war aber über keine weitere Mission informiert worden. Sie konnte auch ein Engel sein, eine Abgesandte Gottes, allerdings hatte er sie nicht gespürt, wie alle anderen dieser Art. Er war bei vielen Verhandlungen zwischen seinem Herrscher und dem Himmelsmann dabei gewesen und kannte das Gefühl ganz genau. Er musste sich leider zugestehen, dass das Gefühl durchaus angenehm war. Man fühlte sich behütet. Das hatte er vorhin nicht gespürt. Doch er wollte unbedingt mehr über diese Frau erfahren. Sie gefiel ihm auf eine andere Weise, als das die Mädchen taten, mit denen er sich amüsierte. Er mochte nicht ihre Rundungen, er mochte ihr Gesicht, ihre Ausstrahlung. Helson wurde übel. Er rannte zur Toilette und erreichte sie gerade noch rechtzeitig. Ein Schwall seines Mittagessens verliess seinen Körper. Ein weiterer folgte. Er schob den Vorfall auf das Steak, das er sogar für ihn ein wenig zu schnell verschlungen hatte. Er spülte sich den Mund mit Wasser aus und torkelte aus dem Badezimmer.
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Jana, dieses Buch ist für dich. Ich danke dir für alles.