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Ein Bergkristall liegt in der Hand. Schaut man hindurch, so erscheinen die geschriebenen Buchstaben scharf umrissen auf dem Papier. In Worten zusammengestellt und grammatikalisch angeordnet, als seien sie strukturiert in einem geistigen Gitternetz. Ehrwürdige Bibliotheken, Texte in aller Welt sind so entstanden; Worte geschrieben worden, die in unterschiedliche Welten führen. Und manche Bücher vereinen in sich das ansonsten Geschiedene, so dass ihnen eine sonderbare Anziehungskraft innewohnt; in ihrem Kreise wird Zeit relativ, in gedehnten Momenten scheinen Äonen als Sandkörner durch die Sphären einer Kristallsanduhr zu rieseln. Blicke schießen an Worten an, tasten über Abschnitte und Seiten – und irgendwann bildet sich eine Form geklärten Verständnisses, so etwas wie Sinn. Plötzlich wird das Blicken zum Durchblick, und im Nu entsteht Erkenntnis. Allgemeinere Strukturen entstehen daraus: Quarze, oder die Annäherung an den geistigen Idealkristall – Sinnbild des universalen Wunsches vereinter Wissenschaftlichkeit. – –
Unweit steht eine trotzige Fichte, die nach einem Hagelschlag an der Baumgrenze grün in den blauen Himmel ragt. Raureif glitzert auf den Nadeln. Nahaufnahme einer Schneelandschaft, die im späten Tageslicht erstarrt daliegt in kristalliner Strukturalität. Daneben ein gefrorener Bergbach, Schneekristalle auf den Gräsern, rauer Fels, dann das scheinbare Entflammen der höchsten Gipfel in den letzten Strahlen der Abendsonne. Langsam verschiebt sich die Farbe der Berghänge, je ferner man schaut, mehr und mehr ins Bläuliche. Und es ist, als verwandle das nahende Dunkel die Umgebung in eine schlummernde Schneeprinzessin. In wunderbaren Zungen flüstert ein Wind umher. Größer und größer werden nun die funkelnden Punkte, vereint in einem milchig schimmernden Band, auf dem dunkel gewordenen Oben – Konstellationen nächtlicher Sonnen, die von fernen Zeiten künden… –

Es waren die Kriege einst die Plätze mutiger Helden. Es standen sich Heere gegenüber auf Schlachtfeldern, deren Erden mit Blut geweiht wurden. Angstgeruch schwelte in der Luft, das Adrenalin schoss durch die Muskelberge, Adern quollen auf Brust, Arm und Stirn hervor. Durch die Augen der Menschen blickt man tief hinein in ihr Herz. Sie verraten dich, wenn du verliebt bist oder mit dem Schlimmsten rechnest. Die Pupillen Vieler hier sind geweitet. Ihre ganze gedrungene Körperhaltung verrät die Vorstellungen von Schmerz und Tod. Furcht und Schrecken umkreisen ihr Kämpferherz. Es ist wie ein Körperteil, über dessen Oberfläche rostrote Staubstürme wehen, die den Blick in eine glorreiche Zukunft verstellen. Sie haben jetzt schon verloren. Die Angst wird sie im entscheidenden Augenblick lähmen.
Viele wissen nicht, wofür sie kämpfen sollen. Man unterbreitete ihnen ein Angebot, dass sie kämpfen und brandschatzen mögen, vergewaltigen und martialisch ihre perversesten Gelüste ausleben dürfen. Ein Massaker anrichten in Kirchen, wo die Alten beten, und auf Höfen, wo gerade noch Kinder gespielt haben. All die Söldner, die für Schmuck und ihre Triebe in den Krieg ziehen, sind kalt und ehrlos. Man packte sie am Kragen und schleuderte sie hinein auf diesen brodelnden Hotspot politischer Ränkespiele. Diese Schlappschwänze wissen nicht, wofür es sich zu kämpfen lohnt. In der Nacht vor der Schlacht raufen sie sich zusammen am knisternden Lagerfeuer, trinken, johlen und lachen noch nervöser als die Tage zuvor. Sie versuchen, sich gegenseitig Mut einzuflößen. Manche beten. Glauben, dass in der kalten Materialität dieser Welt irgendein Fluchtpunkt der Hoffnung existiere. Lassen wir Ihnen diesen tröstenden Gedanken. Hat man aber gesehen, gehört und gespürt, wie jemand wimmernd nach seinen Gliedmaßen sucht, verkrampft über den Boden kriecht, dann weiß man: Hier ist das Heil in fernster Ferne. In den dunklen Tälern, auf den grotesken Schlachtfeldern dieser Welt, da wütet der Wahnsinn und brütet grausame Dämonen aus. Ihr Anblick lässt gestandene Männer zusammensinken; gefestigte Charaktere wanken plötzlich durch die Gegend, ihr Gesichtsausdruck ist verzückt und ihre Zunge plappert wirre Worte. Ich habe Freund und Feind in Armen gehalten, Trost gespendet oder Klingen ins Herz gedrückt. Anfangs bäumt sich der Körper noch auf, doch wenn das Metall ins Fleisch sich senkt und ein warmer Strom den Schmerz betäubt, dann kommt es zu beinah friedlichen Momenten. Sie mögen mein entspanntes Gesicht sehen, fühlen, wie sie sich aus dem eisernen Griff meiner Umklammerung lösen und dahingleiten unter einem weichen Schleier, den ihr in Enkephalinen schwimmendes Gehirn ihnen schenkt. An der Brust einer Frau wirst du gesäugt, an der Brust eines Mannes darfst du sterben. Kann es größere Seligkeit geben?

In Zeiten des Friedens sind die Nächte erfüllt von schrecklichen Bildern. In den Träumen hausen die Dämonen meiner Feinde, gegen die das Blatt meiner Streitaxt nichts auszurichten vermag. Es fließen Himmel und Erde ineinander, und rote Ströme bahnen sich Wege durchs Weltall.
Da erwache ich. Meine Lider sind schwer wie Blei, ich fühle mich wie gesteinigt. Ich blicke in den Spiegel, sehe einen alten Mann, der aber von Tag zu Tag stärker wird, mit einer Sichel in der Hand. In meinem Garten wächst eine Trauerzypresse. In diesen Gefilden werden bald Herren und Sklaven zusammenfinden, um für eine paar Tage ihre Kleider zu tauschen. Man wird feiern, lachen und frohgemut Kinder zeugen. Es ist der menschlichen Seele zugeteilt, in solchen Zeiten die Gräuel der Vergangenheit auszublenden, sie einzukerkern im Verließ, sie in Schmiedeketten zu schlagen. Alles hat seine Zeit. Alles seinen Preis. Nie kommt jemand ungeschoren davon. Und irgendwann kommt jeder wieder frei. Doch einst werden Tag und Nacht gleich lang, wird die Erde ein großer Mittag sein, und in der Natur werden wunderbare Blumen wachsen. Welch zärtliches Bild, welch Schluck aus einem goldenen Pokal. – Wache oder träume ich. Ich weiß es nicht. Während ich den Raum durchmesse, bewegen sich die Dinge. Ehemals kahle Baumgerippe treiben erste Blätter. Leise klickert ein Bächlein, Vögel zwitschern. Leuchtend erwacht die ehemals schwarze Sonne neu zum Leben. Spendet Wärme der Erde. Menschen kommen aus den Häusern, Mägde tanzen und Gelehrte wandern durch den Frühling. Am Fuß des Kapitols stehen vereint: Junge und Alte, Erkrankte und Gesunde, Männer und Frauen, Fühlende und Denkende, Beherrschte und Freie.
Ich schließe die Augen, und falle. Es ist ein heftiger Schmerz, der das Herz schier zu zerreißen scheint. Du merkst, wie die linke Seite taub wird, und denkst an die, die du liebst. Ja, heute kannst du loslassen. Lass dich noch ein wenig weiter tragen von den Händen der hier Vereinten. Verbinde sie miteinander. So wird es sich erfüllen…


Impressum

Texte: Plagiate bewirken Magengeschwüre!
Tag der Veröffentlichung: 28.04.2009

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