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Im Kanal der Fußgängerzone dahinströmen, Leiber dicht an dicht, ein schwüler Sommertag, transpirierende Haut, Schweißflecken hier und da, eine Hand wischt herbe Tropfen von der Stirn. Sonnenbraune Brüste quellen unter weißem Top hervor. Eine fortwährende Spannung flirrt in der Luft. Teergeruch, Tappen, ein trauriges Gesicht. Was sie wohl gerade denkt? An ihren Ex, an die verstorbene Mutter, an gar nichts? Wie Treibholz treibt auch sie vorbei. Plötzliches Schreien. Getummel, ein Strudel bildet sich, ein Kreis dort vorne wie nahe einer Insel. Dort liegt ein junger Mann, türkisches Aussehen, auf dem Boden, auf dem Rücken, die Arme längs ausgestreckt - er bewegt sich. Wohl ein Hitzeschlag. Handys werden aus Taschen geholt, man ruft wohl Krankenwagen, Polizei, oder den Freund auf der Arbeit an. Minuten wie zäher Kaugummi. Auch ich habe mich nicht nach vorne gekämpft, mich nicht gebückt, um zu fragen, ob alles okay sei. Was wäre das auch für ne Frage gewesen? Ich gehe weiter.

Endlich bückt sich eine Frau. "Was haben Sie? Geht es Ihnen gut? Können Sie aufstehen?" Ein Martinshorn ist zu hören. Helfer kämpfen sich durch.
Einer davon: Herr B. Er hieft den Gestürzten auf eine Trage. Bringt ihn mit seinem Kollegen zum Krankenwagen. Darin wird eine Infusion, 0,9%ige Kochsalzlösung, soll den Flüssigkeitshaushalt wieder auf Vordermann bringen. Untersuchung des Pupillenreflexes. Alles gut soweit. "Haben Sie Schmerzen?", fragt Herr B. den jungen Türken. Dieser schüttelt den Kopf: "Mir ist schwindelig." - Es wird der Blutdruck gemessen. "Ist im Keller", sagt Herr B., "aber das wird schon wieder." Im Krankenhaus wird der junge Türke weiter versorgt. Die Schicht von Herrn B. endet.
Er fährt mit der U-Bahn in die Altstadt. Dort kehrt er, wie jeden Abend, ein, trinkt mehrere Liter Bier. Er sagt sich selbst, dass er das brauche - ,um abzuschalten nach dem Stress' - so sagt er sichs seit mehreren Wochen. Seit mehreren Wochen sagt er sichs immer und immer wieder. Und irgendwie hilfts, aber wirklich helfen - naja, machen wir uns nichts vor. Wir wissen: das ist keine Lösung. Das ist eine bestimmte Art von Bewusstsein. Gepaart mit einer dunkel scheinenden Sonne. Wir könnten uns auch ganz andere Bewusstseinsformen vorstellen. - - -

Schritte schlurften bleischwer über den regennassen Asphalt, gräulich glänzende Perlen strömen quecksilberhaft durch bemooste Ritzen, verlassen seit das Grab ihnen gebaut von arbeitender Menschenhand, zerfetztes Gewebe, rau durch schleifenden, reißenden Stein, Spiegel des Lebens, geordnet nebeneinander gelegt, als wenn es ein Puzzle wäre, ein Kinderspiel, in den Geist aus Tiefen vergangener Tage gestiegen und ihn beruhigend, irgendwie jedenfalls, vielleicht aufgrund von Kontinuität, vielleicht auch der Schutz der Gewohnheit: bloß nicht auffallen, sich einordnen, wie es gelernt wurde, Stein neben Stein, erloschener Magmastrom vereinzelter Ausbrüche, gescholten deswegen, die Flamme abgekühlt, das Leben als solches angenommen, Nachbarschaftsfreundschaft, Tage unter Sonne, Nächte überm Glas, perlende Kohlensäure in Felsquellwasser, geliebte Gemeinschaft, hier wie da.
Hupen. Geschrei, obszöne Gesten, geschmettert aus Verbitterung, Last auf andere abladen, Gefühlen in Masken Ausdruck verleihen, inniges Bestreben, aus welchen Gründen auch immer. Es geht nicht anders, muss getan werden, soll der Mensch nicht an sich sterben, sich betten in das allerletzte Grab, das Grab unter den Höhlengräbern des inneren Labyrinths, die verschütteten Friedhöfe der Vergangenheit, deren Toten meist des nachts sich ins träumende Bewusstsein der Seele schleichen, Leichentücher, übelriechend, tragend. So mancher Schrei verstummte schmerzend, musste beerdigt werden, musste erhärten im Sarg aus Blei.
„He, weg da!“, rief der Rollende auf dem Trendsportgerät.
Strömend in der Masse, alleingelassen mit den eigenen Ansprüchen an ein erfülltes Leben, Marmelade in den Puffs suchend, Ambrosia in Hafenspelunken, etwas sentimentale Musik noch dabei und es fließt wieder, dieser süße Saft, der trunken, der schläfrig macht, tränkend den inneren Schlund der Sehnsucht, die wie der Horizont in schweren Nebeln liegt und darauf wartet, von einem Schiff aus den Riffen dort befreit zu werden.
Erinnerung. Weiße Gischt, die schäumend auf dem Kamm der Welle streitet, die spiegelgleich über den zerschorften Meeresgrund schreit, um Leben, um den letzten Funken, der noch geahnt in all dem alltäglichen Grau dort fahl, wie ein sterbendes Glühwürmchen, leuchten will.
Manchmal messern aus schwärzlichen Augen die Sirenen ihre lieblich-umlullenden Sänge ins gedörrte Herz, was schmerzender ist als die ertrinkenden Gedanken auf dem geenterten, gekenterten Containerschiff auf hoher Wellensee, Träume und Ideale vergangener Verklärung tragend, tragend bis zum letzten Geleit.
Die Gräber schreien stumm das Leid des Trauernden, wenn es ihn denn gäbe im Sturm, im Hagel des Orkans, des wirbelnden Todes, der durch Gassen, aus Gullys, nebelhaft schleicht.
„Obdachloser bittet um Spende“, bleicht aus stinkender Pappe, urindurchtränkter Ausstoß der lachenden, fahlen, genormten Transplantatgesichter, verstoßen in die schmutzigen Winkel der Gesellschaftsseele, verdrängt aus dem Blickfeld, um den Schein, den Schein des Schönen, Wahren aufrecht zu erhalten, die Maske geschminkt in Kameras haltend, Konsumfotos auf Hochglanzpappe, extra dickes Papier, pappengleich verwesend.
„Wo ist er, der Sinn?“, fragen Industrieleichen, ausgebrannte Schornsteine, letzte Lebenszeichen vor Jahrzehnten verraucht, wo die Frage „Gras oder Glas“ noch gestellt wurde.
Heute leben Klone in fernen Ländern, umschließen Heere aus Akkordarbeitern, die das alles noch vor sich haben, so Delphis Orakel, so die in Rauchschwaden Weissagende.
Wiege dieses Lebens ist das Kaufhaus, Götze des Konsumgottes, gepriesen, verehrt wie Shivas Tanz, erschaffend, vernichtend, erschaffend, vernichtend: strudelnde Spirale, verschüttend die Höhlen durch gleißenden Glanz. Ja, es muss heller sein als all das Dunkle, das im Keller knurrt, muss den schwarzen Hund der Seele, in dunklen Räumen hinter verschlossenen Türen hungernd, Maulkörbe und Schlösser bieten, damit er ja nicht entkommt.
Wehe dem, der entfesselt ist!
Verständnislose Blicke dem bar jedes Verstandes Lebenden, wähnend genannt, betitelt durch Namen und Symptomen, nicht massenkonform, nicht normbar, sonst droht das Leben den sterbenden Jüngern des Kaufhauses.
Fragen müssen dementiert werden, keine Fuge darf ungedichtet bleiben, Angst vor Diffusion. Die glatte Maskerade ist der Wert unserer Zeit, lobgepriesen, alles neuer, neuer als das Alte muss es sein, muss; sonst drohen Risse, könnten Fragende erstehen vom Kreuz mit fühlenden Augen und sehender Hand, könnte ein Spirit (welch grausames Wort!) zwischen Feuersteinen Funken spucken, hinein ins dörrende Herz, es aufquellen, da es saugend ist wie ein Schwamm, dem dürstet.
Dann würden Worte wie diese schwängern, ausgetragen werden in die Vision einer Welt, die leben will statt immerzu nur sterben, sterben in all dem Aufbrauch, all dem Abnutz dieses Lebens, das Firmenbosse uns diktieren, lehrerhaft, belehrend, dass die Warheit von ihnen gepachtet ist zum Nutzen der Allgemeinheit.
Ja, betäubende Pfeile sind’ s auf den Hund im Keller gefeuert, damit er nicht ausbricht, nicht die Zähne fletscht unter glühenden Augen des lebendigen Zorns. Pfeile, die Gefühle betäuben, verbotene Gefühle, anerzogen, konditionierend wie stete Werbung die Bilder des Geistes angleicht, versteht ihr das Gefühl dahinter? Nicht jedes Wort muss verstanden werden, wenn nur eines davon gefühlt… - - -

Seltsame Momentaufnahmen, das ist die Großstadt. Wir sehen immer nur Ausschnitte, einzelne Mosaiksteinchen, Körperteile, Assoziationsstücke. Sie ist uns entwachsen, die Großstadt, sie wächst auseinander hervor, bringt gutartige und bösartige Geschwülze hervor. Menschen, die sich individualisieren wollen, aber es nicht sind. Es sind geteilte Menschen, in sich unterschieden, mit widerstreitenden und sich einander doch irgendwie bedingenden Empfindungen, Gedanken, Emotionen. Es ist die Großstadt, sonderlich in der Schwüle des Sommers, ein in sich geteiltes Ganzes. Und alle warten oder wollen sie nur eines: dass kühlender Regen ihre Lippen benetzt ...



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Texte: Dieser Text unterliegt in seinen Teilen und im Ganzen, sowohl formal als auch inhaltlich, dem Copyright von Jan Bäcker. Ein Plagiat wird zur Anzeige gebracht.
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009

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