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Prolog

Gleichzeitig ließen sie sich in die Tiefe fallen. Sieben graue Gestalten. Das Wetter an jenem Tag war stürmisch. Davon jedoch bekam man von oberhalb der Wolken nichts mit. Umso unerfreulicher war es, von diesem sonnigen Platz aus, welches er sein Zuhause nannte, in einen grauen, nassen Schleier eintauchen zu müssen.

Die Aufgabe, die sie ihm auferlegt hatten, war sehr wichtig. Auch wenn etwas dazwischen kommen sollte, musste er die Aufgabe weiterführen, egal, was passieren mochte. Der Befehl lautete, ein Luftschiff zum Timur Taurus im Ostenzu begleiten. Auf dem Weg dorthin kam es bisweilen vor, dass die Schiffe von Vortexen verschlungen wurden, die aus dem Nichts entstanden. In letzter Zeit traten immer mehr dieser Wirbelstürme auf.

Obwohl die Menschen seine Rasse nicht sehen konnte, mussten sie vorsichtig sein. Wäre Valon einer von ihnen gewesen, er wäre sicher aufgeregt gewesen. Er war zum ersten Mal bei einer Luftschiffeskorte dabei.

Seine Gefährten hatten inzwischen die Flügel ausgebreitet und glitten lautlos durch den Nieselregen. Da war Ímeron, Anführer der Mission und Sprecher der Pascime Anox, seines Clans oder wie man es bezeichnen mochte. Dicht hinter ihm flog Arev, zweiter Anführer und Berater Ímerons. Dahinter folgte Cambda. Ein ruhiger Zeitgenosse mit nachtblauer Haarpracht. Satrí war die einzige weibliche Anox, die der Gruppe zugeteilt war. Túmae war gerade erst aus dem Jungenalter herausgewachsen. Obwohl er noch nicht viele Jahre unter den Anox gedient hatte, hatte er bewiesen, dass man sich bei solch einer wichtigen Aufgabe auf ihn verlassen konnte. Tavo flog direkt neben Valon. Es war der Anox, der ihm am nächsten stand. Und mit ihm hatte er auch schon die meisten Missionen bestritten. Tavo war schon länger bei der Luftschiffeskorte dabei, der Grund aus dem sie gemeinsam aufgebrochen waren, damit Valon sich eingewöhnen konnte.

Am Pascime Tauros, dem Turm im Westen, sollte das Schiff empfangen werden.

Ímeron hatte eine andere Richtung eingeschlagen, um einen starken Regensturm zu umfliegen.

Nach einiger längeren Zeit des Fliegens waren Valons Flügel schwer vom Regen und er verließ sich nur noch auf Ímeron, was die Route betraf.

Nach einigen Umwegen die notwendig waren, um nicht mit anderen Schiffen zu kollidieren, nahm Valon ein leises Summen von Propellern wahr. Sie mussten dem Turm sehr nah sein. Kurz drauf kam eine der sechs Steinsäulen in Sicht, die ein Hexagon um den Turm bildeten und oben durch Brücken mit dem im Zentrum gelegenen Turm verbunden waren. Sie durchbrach die Wolkendecke über ihnen. Als auch die graue Silhouette des Turmes vor ihnen sichtbar wurde,  machten die Anox einen steilen Höhenflug, um zum Plateau oben zu kommen. Für normale Sterbliche war es nicht möglich, es zu erreichen, es sei denn mit einem Luftschiff, da in den Stein keine Stufen gehauen waren.

Sobald sie die erste Wolkenschicht überwunden hatten, wurde es schlagartig heller und man konnte die Sonne durch eine dünnere Schicht sehen. Auch durch diese flog Valon und der Regenfall endete abrupt. Durch den Dunstschleier drang wenig Licht, das Wolkenfäden beleuchtete und die Steinsäulen unwirklich aussehen ließ.

Jetzt konnte er auch die Spitze des Turmes und die an den Steinsäulen angedockten Schiffe erkennen. Einige drehten und zogen ab, während andere wiederum die Segel einholten. Aus diesen ergoss sich eine breite Masse an Menschen auf die Straßen, die zum Markt und zum Tempel führten.

Sie flogen zwischen den massigen Säulen hindurch und kamen der mittleren immer näher, bis sie schließlich auf dem Plateau aufsetzten, an dem ihr Luftschiff lag. Es war riesig, hatte am Rumpf und an der Reling jeweils vier lange breite Segel, die Fischflossen ähnelten und drei unterschiedlich große Propeller auf dem Deck, die das massige Schiff in der Luft hielten. Die Rumpfsegel sorgten für eine stabile Lage und die Relingsegel waren zum Steuern und zum Ausgleich des Gewichtes angebracht. Auf den Segeln waren zwei gleichseitige Dreiecke, die sich horizontal gegenüber lagen und mit den Spitzen nur knapp berührten. Darüber war ein Kreis abgebildet, unter dem Wappen ein Strich. Das Wappen der Pascime Anox.

Der Engel, wie die Menschen uns zu nennen pflegen, dachte Valon. Gleichzeitig mit ihrer Ankunft kam ein Mann von Deck. Der Kapitän, wie seine Kappe und die Kapitänskleidung zeigten. Er brüllte den Schiffsjungen Befehle zu,  blieb dann unmittelbar vor Valon und seinen Gefährten stehen und schaute sich um.

So als ob man uns erwartet hätte…, dachte Valon. Der Kapitän wusste zwar, dass sie kommen würden, aber kein Mensch außer der Eingeweihten dürfte in der Lage sein, einen Anox wahrzunehmen.

Tavo trat einen Schritt zur Seite, um Ímeron durchzulassen. Sie gingen eine steinerne Treppe hoch, die in den kahlen Felsen geschlagen war und verwittert aussah. Die Stufen führten zu der höchsten Stelle des Berges, an der ein kleines, aber dennoch luxuriös gestaltetes Gebäude stand, in der die Eingeweihte wohnte. Darum waren Blumen gepflanzt und ein Tor offenbarte, dass es dahinter noch einen Garten gab.

Gerade als Valon die letzten Stufen hinter sich ließ, ging die Tür des Hauses auf und eine in einen weißen Umhang gekleidete Frau kam direkt auf die Gestalten im Nebel zu. Sie hatte graue Haare, die in einem Knoten auf dem Kopf zurechtgemacht waren. Ihr Aussehen hatte etwas Majestätisches an sich, das ahnen ließ, dass sie es gewohnt war, Befehle zu geben. Sie trug dasselbe Wappen, das auch auf den Schiffen abgebildet war. Zwei Dreiecke unter einem Kreis, darunter ein Strich.

Vor Ímeron blieb die Sterbliche stehen.

„Ich freue mich, euch an der Seite der Apollon zu wissen.“, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen freundlichen Unterton.

„Es ist uns eine Ehre, euch zum Timur Tauros zu geleiten.“, sprach Ímeron die rituellen Worte.

 

Auf dem Markt

Lëlon zog die Haustür auf und ging hinaus. Amgar, ihr Ehemann, hatte sie aufhalten wollen mit der Erklärung, sie sei aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft nicht in der richtigen Verfassung, um einkaufen zu gehen.

Sie war aber der Meinung, dass Bewegung ihr gut täte und hatte geantwortet, dass sie sich nicht aufhalten lassen würde.

So hatte er sie gehen lassen, doch nicht ohne noch einmal „Sei vorsichtig“ zu sagen.

So trat sie, einen Korb um den Arm gehängt, nach draußen und genoss die Luft. Der Marktplatz war nicht weit entfernt, sodass man schon das Getratsche der Frauen, die Rufe der Händler und das Geschrei eines Kindes, das sich bei einem Spiel die Knie aufgeschürft hatte, hören konnte.

Lëlon ging gerne dort hin. Zum einen, um nach Waren Ausschau zu halten, die ihr gefallen würden, zum anderen, da sie lebhafte Stimmung liebte und die Gelegenheit, sich nach den neusten Tratsch umzuhören.

Das Stimmengewirr schwoll an, je näher sie dem großen Platz kam, an denen Händler von nah und anderswo ihre Waren feilboten. Viele der Verkäufer kamen mit ihren Schiffen aus weit entfernten Gebieten, um Gewürze, Stoffe oder Früchte zu verkaufen, die es hier nicht gab. Die Kunden waren oft reiche Leute, die sich den Luxus aus anderen Ländern leisten konnten.

Lëlon ging weiter, bis sie mitten auf dem Platz stand. Von dort hatte man den besten Überblick. Zuerst ging sie auf einen Stand zu, dessen Waren sie neugierig hatte werden lassen. Die Früchte dort waren von knallgrün über sonnengelb bis hin zu einem zarten rosa  in allen erdenklichen Farben sauber zu Pyramiden aufgeschichtet worden und verströmten ein starkes Aroma.

„Was kann ich für euch tun, schöne Frau?“, begrüßte sie der Händler mit einem starken Akzent, der sich anhörte als hätte er sich an seiner Zunge verschluckt.

„Ich hätte gerne drei Ayopacis und eine Morlaknolle.“, antwortete sie.

Der Verkäufer murmelte etwas und zog sich in den hinteren Teil des Standes zurück. Aus einer Kiste unter einem Warentisch holte er mehrere Früchte hervor und eine braune Wurzel, die man in Suppen als Würze verwendete.

„Soll ich sie euch einpacken?“, fragte er.

„Nicht nötig, habt dank.“, entgegnete Lëlon und legte die Früchte in den Korb.

Sie ging noch zu einigen weiteren Verkäufern, bis sich der Korb langsam füllte und sein Gewicht ihren Arm hinunter zog.

Als sie fertig war und alles gekauft hatte, was sie brauchte, machte sie sich auf den Rückweg  zu ihrem Haus.

Dort angekommen wartete Amgar schon ungeduldig auf ihre Rückkehr und stieß einen erleichterten Seufzer aus, während er ihr den Korb abnahm und die Einkäufe einzuräumen begann.

„Du musst aufhören, dir Sorgen um mich zu machen, ich bin kein Kind mehr. Ich weiß du meinst es gut, aber ich kann auf ich aufpassen.“, sagte Lëlon.

„Du trägst ein Kind in dir, Lëlon. Ich mache mir zurecht Sorgen.“, er blickte ihr in die Augen.

„Ich weiß… Es war das letzte Mal, dass ich alleine zum Markt gehe, ich verspreche es dir.“

„Dann bin ich beruhigt zu wissen, dass es dir gut geht. Bald ist die Reise zum Timur Tauros, bis dahin wirst du das Kind zur Welt gebracht haben. Ich bete, dass dem Schiff nichts passiert.“

„Es wird nichts passieren, die Eingeweihte ist bei uns.“

„Mein Herz sagt mir, ich muss mitkommen.“

„Du kannst das nicht tun, Amgar, ich dachte das hätten wir schon besprochen!“

„Ich weiß, es ist nur… ich habe ein ungutes Gefühl, ich möchte dich und das Kind nicht verlieren.“

„Uns wird es dort gut gehen, sobald ich den Segen empfangen habe, kehre ich zurück.“

Die Stadt im Himmel

Als der Junge um die Ecke bog, wäre er beinahe mit jemandem zusammen gestoßen. Hinter ihm fluchte jemand laut.

„Diesen Bengeln muss jemand mal die Ohren lang ziehen!“ Mit einer gemurmelten Entschuldigung rannte er weiter durch die engen Gassen, immer Kybon hinterher, der seinerseits wütende Blicke erntete. Während Mavor immer entschuldigend seinen Kopf einzog, schien es seinem Freund herzlich wenig auszumachen, was die Leute von ihrer Hetzjagd durch die Stadt hielten.

Noch ein paar Schritte, dann hab ich ihn eingeholt., dachte Mavon.

Doch ehe er die nächste Ecke hinter sich lassen konnte, trat ein stämmiger Mann hervor und stellte sich ihm in den Weg, sodass er nicht mehr ausweichen konnte und gegen den Bauch des grobschlächtigen Kerls prallte.

„Na wen haben wir denn da?“, fragte der Mann und griff nach dem Jungen, der bleich geworden war. „Rennst wieder durch die Stadt und denkst du könntest alles umschmeißen, hm?“ Er spuckte neben Mavon auf den Boden und verzog das Gesicht. „Nicht mit mir, Jungchen. Jetzt kommst du nicht so ungeschoren davon.“

„Carfo, lass den Jungen gehen, das ist nicht der, den du suchst.“ Bei der Nennung des Namens schluckte Mavon. Carfo gehörte ein Lokal in der Nähe und letztens hatte Kybon eins seiner Bierfässer umgerannt, das daraufhin zerborsten war. Das Dunkelbier hatte sich auf den Boden ergossen.

„Ach wirklich…“, Carfo dehnte die Worte in die Länge und drehte sich, ohne Mavon loszulassen, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dort saß ein anderer Mann, einen gefüllten Bierkrug in der Hand.

„Der andere hat dein Bierfass umgeworfen, nicht der hier.“

„Misch dich nicht in meine Angelegenheiten Bolog.“, knurrte der Riese.

„Lass ihn gehen, ich sage dir, er war es nicht.“, schaltete sich jetzt eine Frauenstimme ein. Die Tochter des Bierbrauers, wie Mavon wusste.

„Na schön. Auch wenn er’s nicht war, früher oder später erwische ich ihn und dann kann er meinen Laden von oben bis unten schrubben, ob er will oder nicht.“

„Und du“, er richtete das Wort wieder an Mavon, „sagst deinem Freund gefälligst, dass ich noch eine Rechnung offen hab‘ mit ihm und dass er sich auf was gefasst machen kann! Und jetzt mach, dass du wegkommst und lass dich hier nie wieder blicken!“

Als sich die Hände um seinen Arm lockerten, stieß Mavon die Luft aus, die er angehalten hatte, und machte, dass er fort kam.

Das war knapp., dachte er. Ich sollte Kybon vor Carfo warnen.

Er rannte weiter in Richtung der alten Kathedrale, vor der Kybon wahrscheinlich auf ihn wartete. Als er dort ankam, war keine Spur des Freundes zu sehen. Er legte seine Handflächen aneinander und faltete die Hände, sodass sich ein Hohlraum im Inneren bildete, dann blies er kräftig zwischen den Daumen in seine Hände und ein lauter Ton scholl über die Häuser hinweg. Er wartete einige Sekunden und kurz darauf ertönte das gleiche Geräusch links von ihm. Er muss bei der großen Treppe sein. Mavor kannte die Stadt wie seine Westentasche und schlug einen Weg ein, der ihn in kurzer Zeit zu seinem Ziel führen würde.

Nach einiger Zeit erreichte er die Treppen, die bis hoch zu einem kleinen Haus führten. An der Seite saß Kybon und grinste ihn an.

„Und wieder war ich schneller als du!“, sagte er mit einer provozierenden Geste.

„Nur weil ich von Carfo wegen deinem Schlamassel aufgehalten wurde. Er hätte mich beinahe dazu verdonnert, sein Lokal zu schrubben. Pass nächstes mal lieber auf, wenn er dich erwischt, bist du fällig.“

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Tag der Veröffentlichung: 10.12.2012

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