Mein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche und ich atmete tief ein. Dann blickte ich mich um. Das Meer war ruhig heute, kaum Wellen, der Himmel war strahlend blau und die Mittagssonne war unglaublich warm.
Ich schloss für einen Moment die Augen, genoss die Wärme und das helle Licht, dass es bei uns so selten gab. Wenn man mich fragen würde, was ich am liebsten wäre,würde ich sofort sagen, dass ich gerne das Meer wäre. Das Meer ist bestimmt glücklicher, als alle Lebewesen, die es gibt. Ganz langsam sank ich zurück ins Wasser.
Wenn ich mal Königin bin, überlegte ich, werde ich ein Schloss für mich alleine bauen, am höchsten Punkt des Meeresgrundes, so nah wie möglich an der Sonne.
Aber bis dahin würden noch viele Jahre vergehen, und wenn ich ehrlich war, wollte ich eigentlich auch nicht so mächtig sein. Weder Königin, noch Prinzessin. Ich wollte einfach nur ich sein, eine normale Meerjungfrau. Daran zu denken half mir allerdings auch nicht viel weiter. Bestimmt machten sich schon alle im Palast Sorgen, schließlich durfte ich ihn sowieso nicht verlassen. Plötzlich wurde ich an meiner Schwanzflosse heftig nach unten gerissen. Ehe ich auch nur schreien konnte, hatte mich jemand von hinten gepackt und hielt mir den Mund zu.
"Na,Prinzessin Camilla, was tut denn ihre Hochwohlgeborenheit so weit draußen, solltet ihr nicht im Palast sein? Euer Vater wird sich schon Sorgen machen...", hauchte mir jemand ins Ohr.
Ich seufzte erleichtert, als ich die Stimme erkannte.
Die Hand glitt von meinem Mund.Ich drehte mich um. Vor mir im Wasser schwebte mein bester Freund, John.
Eigentlich wusste niemand, dass wir Freunde waren, nicht einmal seine Eltern.
"Du hast mich erschreckt.", sagte ich vorwurfsvoll.
"Tja, da siehst du mal, was dir alles hier passieren kann.", tadelte er mich. "Nimm mich nächstes Mal mit, ja, Prinzessin?"
Ich verdrehte die Augen.
"Nenne mich nicht Prinzessin. Ich bin Camilla, klar?", fauchte ich. "Und ich darf sein, wo ich will. Keiner wird es wagen, mir etwas zu tun!"
"Das denkst du."
Seine Stimme klang weich und traurig.
"Die Leute lieben mich."
"Dich vielleicht, aber deinen Vater?"
Er biss sich auf die Lippe, als hätte er schon zu viel verraten.
"Was ist mit meinem Vater?"
Ich versuchte, ihm in die Augen zu sehen, doch er mied meinen Blick.
"Bitte, sag es mir..."
Ich nahm seine Hände in meine.
"Bitte."
"Das willst du doch gar nicht hören.", flüsterte er frustriert. "Die Bauern aus meinem Dorf...sie sagen ein paar unschöne Dinge über deinen Vater. Ich habe nicht alles verstanden, aber es ging um seine Vergangenheit. Er soll den Widerstand damals radikal gestoppt haben...mit einem Krieg."
Ich verstand kein Wort von dem, was er sagte.
"Aber mein Daddy ist doch der Sohn von dem König davor, oder?",fragte ich leise.
Er presste die Lippen fest aufeinander und sah nach oben.
"Bitte, John. Ich muss das wissen, ich bin seine Tochter..."
"Dein Vater...er hat den König davor vom Thron gestoßen. Schon vor dreißig Jahren.", murmelte er. "Aber mehr sage ich dir nicht, wirklich."
Mehr wollte ich auch nicht wissen, ich war zu geschockt. Er musste die Tränen gesehen haben, die in meine Augen getreten waren, denn er zog mich fest an sich.
"Alles wird gut...", flüsterte er mir ins Ohr.
Alles wird gut. Ich wünschte, ich könnte das glauben.
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2011
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Widmung:
Für Jessica