El Destino
von
Jaliah J.
1
Vom Leben auf dem Land zum Leben in der Stadt
»Lina, denkst du an Maliks Jacke?«
Ich gehe nochmal zurück in die Wohnung und schnappe mir die dünne Sweatjacke meines kleinen Bruders. Als ich zurückkehre, sieht mich Malik aus seinen großen braunen Augen flehend an. »Bitte Lina, ich will die nicht anziehen. Die anderen Kinder im Kindergarten lachen mich aus, weil sie nicht von Cars oder Spiderman ist.« Ich seufze leise und ziehe ihm die einfache braune Jacke über.
»Wenn die anderen lachen, dann sind es keine wahren Freunde und dann brauchst du die auch nicht« versuche ich den Fünfjährigen zu überzeugen, doch ich sehe ihm sofort an, dass es nicht wirkt. »Ich bekomme bald mein Gehalt, dann versuche ich etwas davon wegzupacken« verspreche ich ihm, und seine Augen glänzen sofort »…und für einen Ball, du weißt schon, einen richtigen Fußball, wie ihn alle haben.« Ich schließe die Jacke, und gebe ihm einen Kuss auf seine Wange »ich tue mein Bestes.« Während ich mit Malik durch die verarmte Haussiedlung mit den heruntergekommenen Kleinläden und den dreckigen Straßen, in der wir nun wohnen, gehe, denke ich über das letzte Jahr nach.
Wir haben nicht immer so gewohnt, so gelebt, bei weitem nicht.
Ich bin in Lares, einem kleinen gemütlichen Dorf, ein paar Stunden von San Sebastian, der Stadt in der wir nun leben, geboren und aufgewachsen.
Zusammen mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder hatten wir dort ein schönes Leben.
Wir waren nie reich, aber wir hatten unseren eigenen Hof, unser Grundstück, unsere Tiere, und wir konnten gut leben.
Ich habe immer viel mitgeholfen bei der Arbeit auf dem Feld oder im Haushalt, aber wie viel harte Arbeit das wirklich bedeutet, habe ich erst viel später auf sehr bittere Art erfahren müssen.
Meine Kindheit verlief schön, ich habe frei gelebt und viel mit den Kindern der umliegenden Höfe draußen gespielt. Wir sind zusammen in die nächst größeren Stadt zur Schule gegangen und brauchten immer mehr als eine Stunde für den Hin- und den Rückweg, aber wir sind diese Wege gerne zusammen gegangen und über die Felder und Wiesen gelaufen.
Alle Erinnerungen, die ich an diese Zeit habe, sind positiv.
Meine Eltern waren glücklich, so wie ich es erlebt habe, und ich habe sie gerne beobachtet, wie sie sich immer wieder verliebte Blicke zugeworfen haben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie meine Mutter durch die Küche getanzt ist, wenn ein Lied im Radio gespielt wurde, was sie an ihre Jugend erinnert hat.
Jedes Mal, wenn mein Vater kam, hat er sie in den Arm genommen, ihr zarte Küsse gegeben, und sie hat ihn lachend ermahnt, das nicht vor den Kindern zu tun.
Wir waren glücklich.
Mein Vater hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Großstadt verabscheut, er das Leben dort nicht will, nicht für sich und nicht für uns. Ich erinnere mich noch genau wie er geflucht hat, wenn es mal wieder an der Zeit war und die schwarzen Autos kamen.
So habe ich meine Erinnerung daran, die schwarzen Autos.
Wir Kinder fanden es spannend und aufregend, wenn alle paar Monate mehrere schwarze, breite, sehr teuer aussehende Autos in unsere Gegend kamen.
Mir ist noch genau der eine Tag präsent, der für mich ein ganz besonderer war, den ich nie wieder aus meinem Gedächtnis kriegen werde. Die Autos kamen wieder, ein paar Freunde und ich waren gerade auf dem Weg von der Schule nach Hause. Wie immer rannten wir den Autos hinterher, und plötzlich hielt einer der Wagen. Ein Mann stieg aus, und wir liefen zu ihm. Ich weiß noch genau, wie beeindruckend ich seine Gestalt fand, auf mich wirkte er riesig und alles an ihm Geheimnisvoll. Er trug eine Waffe, was nicht so ungewöhnlich ist, auch auf unseren Höfen tragen die Männer manchmal Waffen, um die Häuser vor Tieren oder Wilderern zu schützen.
Seine Kleidung wirkte so edel, so besonders, ich war sieben und absolut sicher, das muss ein Prinz sein, so einer, wie der in meinen Märchenbüchern.
Der Mann beugte sich zu uns und lächelte, dann gab er jedem von uns eine Tafel Schokolade. Wir bedankten uns tausendmal, das war für uns wie Weihnachten, Schokolade ist teuer, wir kommen nicht oft zu diesem Luxus.
Als ich später an unseren Hof kam, beobachtete ich meinen Vater mit einem Nachbar, und mein Vater war wütend, sehr wütend. Er verfluchte diese Gauner, die Verbrecher aus den Großstädten, die sich in Gangs zusammenfinden und die ehrlichen Menschen bestehlen. Als er mich mit der Schokolade entdeckte war er mir nicht böse, doch ich erkannte in seinem Blick das er enttäuscht war. Ich habe diese Schokolade nicht angerührt. An diesem Abend kam er in mein Zimmer und setzte sich an mein Bett, als er bemerkte das ich noch nicht schlief, strich er mir meine langen Locken zur Seite und küsste meine Wangen.
Er holte eine kleine Schachtel hervor, indem eine zarte goldene Kette lag. Als ich ihn aufgeregt darum bat mir diese umzulegen, kam er der Aufforderung lachend nach. Sie war das Schönste, was ich je gesehen habe, zwar noch etwas zu groß aber ich liebte die goldene Kette mit den Perlenanhänger sofort. Mein Vater erzählte mir das er die Kette kurz nach meiner Geburt gekauft hat und sie mir eigentlich viel später schenken wollte aber er denkt das ich nun ein großes Mädchen bin. Er begann mir zu Erzählen wie gefährlich diese Männer sind, das sie vom Geld der armen Menschen leben, keine Gnade haben und er bat mich in Zukunft von ihnen fern zu bleiben.
Das war das erste, aber nicht das letzte Mal, dass ich den Hass meines Vaters auf solche Gangs mitbekommen habe. Von da an rannte ich den Autos nicht mehr hinterher.
Wenn ich sie wiedersah, schaute ich extra weg und je älter ich wurde, desto mehr übernahm ich den Hass meines Vaters.
Mein Vater, er war immer mein Herz gewesen.
Ich habe meinen Vater über alles geliebt. So einen Mann wollte ich später auch haben, er sollte genau wie mein Vater sein und ich vermisse ihn, ich vermisse ihn manchmal so sehr, dass ich laut los schreien könnte um das Unglück, ihn verloren zu haben, unser altes Leben verloren zu haben.
Das Leben verloren zu haben, welches wir so geliebt haben und von dem wir in dieser Hölle angekommen sind.
Ich gebe Malik im Kindergarten ab, die Erzieherin weist mich dezent darauf hin, dass noch einmal Essensgeld für diesen Monat aussteht. Ich vertröste sie. Egal, was wir tun, es fällt uns schwer zu überleben. Es ist hart. Meine Mutter arbeitet im Schichtdienst in einem Altersheim, und ich arbeite den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag in einem Haushalt bei der reichen Anwaltsfamilie Perez, allerdings nur drei Mal die Woche. Ich suche nach einem besseren Job, aber es ist schwer, hier was zu finden.
Nachdem ich Malik zurücklasse, mache ich mich langsam auf den Weg in die bessere Gegend von San Sebastian, die Gegend, wo wir nur zum Arbeiten hinkommen.
Als ich an einer Ampel warte, fällt mir ein Flyer ins Auge.
••• Kellnerin für exklusiven Nachtclub gesucht, gute Bezahlung •••
Mittlerweile ist mir schon fast egal, was ich tun muss, um an Geld zu kommen. Also natürlich gibt es Grenzen, aber die sind nicht mehr ganz so hoch gesteckt.
Die Worte »gute Bezahlung« stechen mir sofort ins Auge. Ich reiße den Flyer ab und sehe auf die Adresse. Da der Laden nur ein paar Straßen entfernt ist und ich noch Zeit habe, beschließe ich einfach, sofort dort vorbei zu gehen und mein Glück zu versuchen.
Als ich schließlich vor dem Black Butterfly (B.B.) stehe, wird mir doch etwas mulmig zumute. Noch nie war ich in so einem Club. Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte, doch auf dem Land gibt es solche Läden nicht und seit wir hier wohnen, haben wir kein Geld für solche Sachen.
Zudem ist er früh am Morgen und der Club ist sicherlich schon geschlossen, doch plötzlich wird die Tür aufgemacht, eine Putzfrau schiebt mit einem Besen den Müll auf die Straße.
»Hey Kleine, kann ich dir helfen?« Sie blickt mich abwartend an und streicht ihre Hände an ihrer Schürze sauber.
»Ja, ich wollte wegen dem Job als Kellnerin nachfragen, ob er noch zu haben ist?« Einen Moment scheint sie mich zu mustern, dann allerdings winkt sie mich herein.
Als ich hinein trete und mich umsehe, stelle ich fest, dass dieser Club den Namen Black Butterfly wirklich verdient, und ich bin beeindruckt von dem Ambiente des B.B.
Es ist riesig und sehr hell eingerichtet, der einzige dunkle Kontrast sind die schwarzen, glänzenden Marmorfliesen auf dem Boden. Man geht durch einen kleinen Flur, vorbei an einer Garderobe, dann kommt man direkt in einen Bereich mit einer riesigen Tanzfläche und einer Bar.
An den Seiten stehen Tische und Stühle, es wirkt alles so groß, und an den Wänden sind, passend zu den Marmorfliesen, überall glitzernde schwarze Schmetterlinge aufgemalt.
Eine Treppe führt nach oben und die Putzfrau deutet mir, ihr dort hinauf zu folgen. Gerade als wir die Treppe hochlaufen, kommen ein paar Frauen herunter.
Jede von ihnen hat eine paar Scheine in der Hand, und jede einzelne ist wunderschön. Sie lachen und erzählen, dass die Nacht erfolgreich war und mein Herz rast schneller. Ich will diesen Job, aber mit solchen Frauen kann ich nicht mithalten.
Als wir die Treppe hochkommen, blicken wir in einen separaten Bereich. Es ist alles noch viel luxuriöser, als der untere Bereich.
Auch hier steht eine Bar, und es gibt eine extra kleine Tanzfläche.
Die Sitzgruppen, die unten aus normalen Tischen und Stühlen bestehen, bestehen hier aus hellen Ledersesseln und Sofas. Die Tische sind aus demselben Marmor wie die Fliesen. Alles wirkt extrem teuer.
Wir durchqueren den Bereich, bis wir einen kleinen Flur entlang gehen, wo sich die Toiletten befinden, am Ende ist eine Tür, an welche die Frau klopft.
»Casper, hier ist jemand wegen eines Jobs.« Ich höre ein lautes genervtes Aufseufzen, und dann wird die Tür aufgemacht.
Ich schrecke leicht zusammen, als sich vor mir ein sicherlich zwei Meter großer fülligen Mann zeigt. Er ist sehr fein angezogen, sein Anzug sitzt perfekt an seinem Körper und auch wenn er nicht wirklich schön ist, strahlt er mit seinen grünen Augen und den nicht mehr ganz dichtem schwarzen Haar eine Präsens aus die keinen Zweifel lässt das er hier der Chef ist. Trotz des dicken Bartes den er trägt wirken seine Gesichtszüge angespannt.
Er mustert mich ebenfalls einen Augenblick und ich stelle mich ihm vor. Dann scheint er sich leicht zu entspannen. »Kommen sie doch rein.« Er macht mir Platz, und ich trete in den Raum, der sich als Büro erweist. Er bittet mich Platz zu nehmen und stellt sich als Casper, als Besitzer des Clubs, vor und scheinbar ist Casper niemand, der lange um den heißen Brei herumredet, er sagt mir sehr ehrlich, worum es bei dem Job geht.
Hier im B.B gibt es zwei Arten von Kellnerinnen.
Die einen sind wirklich nur dazu da, die Leute zu bedienen, Bestellungen aufzunehmen und Ihnen ihre Getränke, die an der Bar gemacht werden, zu bringen. Dann gibt es Kellnerinnen, die für extra Zuwendungen an den männlichen Gästen, gebucht werden können.
Das bedeutet, dass jeder Tisch eine Karte hat. Auf dieser Karte werden die zu buchenden Kellnerinnen aufgelistet.
Jede Kellnerin trägt ihren Namen auf einem Ansteckschild, so dass es zu keinen Missverständnissen kommt.
Diese Kellnerinnen verdienen natürlich mehr und dürfen ihr Trinkgeld behalten, alle anderen, normalen Kellnerinnen behalten am Anfang 10%, nach einem halben Jahr dann 20% des Trinkgeldes.
Der Stundenlohn ist nicht hoch, aber für mich ist es besser als nichts. Ich erkläre Casper, dass ich mich nur als normale Kellnerin bewerbe, und er mustert mich erneut.
»Weißt du Celina...,« ich unterbreche ihn zögerlich »Lina« er lächelt »Lina, unser Club ist berühmt dafür, dass bei uns nur die hübschesten Kellnerinnen arbeiten, und ich kann dich mir sehr gut bei uns vorstellen. Allerdings ist es bei uns so, dass nur drei Nächte die Woche gearbeitet wird, damit wir immer einen gewissen Wechsel haben und den Kunden nicht langweilig wird. Es gibt bestimmte Arbeitskleidung, die wir dir stellen, wenn dir das alles zusagt, kannst du heute Abend anfangen.«
Als ich an diesem Nachmittag mit meiner Arbeit bei der Familie Peres fertig bin und mit Malik nach Hause komme, fühle ich mich anders, zuversichtlicher. Das Geld würde uns soweit helfen, dass vielleicht wirklich mal was übrig bleibt, für ein paar extra Sachen, wie eben eine schönere Jacke für Malik, einen Ball. Ich bräuchte auch mal wieder ein paar neue Sachen und meine Mutter ebenfalls. Wir könnten ein extra Bett kaufen, und ich müsste nicht mehr mit Malik in einem schlafen, obwohl, wir hätten nicht genug Platz für ein extra Bett, dann vielleicht eine Schlafcouch. Meine Pläne scheinen nicht abzureißen, bis ich meiner Mutter von dem Job erzähle und ich ihre besorgte Miene bemerke.
Meine Mutter Rosa ist jetzt gerade mal 42 Jahre alt, sie hat mit 20 Jahren geheiratet, und zwei Jahre später kam ich auf die Welt. Sie ist noch immer eine bildschöne Frau. Sie hat die gleichen langen dunklen Locken wie ich, und ihre Augen haben die gleichen mandelförmige Form wie bei mir und Malik, allerdings haben wir einen helleren Braunton, den gleichen, den die Augen meines Vaters ausmachten, während die meiner Mutter eher fast schwarz sind. Früher haben sie immer gefunkelt, als hätte sie Sterne in ihren Augen versteckt. Seit mein Vater vor über einem Jahr von uns gegangen ist, hat dieses Funkeln aufgehört, und eine ungeheure Trauer verdunkelt ihre Augen nun noch mehr. Ich weiß, dass sie meinen Vater sehr geliebt hat und seit dieser Nacht, der Nacht, in der sich alles geändert hat, scheint ein Teil von ihr mit gestorben zu sein.
Ich kann mich noch genau an diese Nacht erinnern, Malik hat schon geschlafen, und meine Mutter und ich haben die Küche aufgeräumt, als mein Vater noch einmal zu den Ställen wollte und kurz zu einem Nachbar, es war alles wie immer. Er hat meiner Mutter einen Kuss gegeben und ihr was ins Ohr geflüstert, was sie zum Lachen brachte, dann hat er mich geküsst und ist gegangen. Mein Vater ist der einzige, der mich immer mit meinem vollen Namen gerufen hat, jeder andere nennt mich statt Celina einfach Lina, was mir auch lieber ist, doch mein Vater hat sich geweigert und mich immer Celina genannt.
Ich weiß nicht wie lange ich schon geschlafen habe als ich eine Unruhe gespürt habe und aufgewacht bin. Als ich in die Küche runterkam waren drei Nachbarn da und meine Mutter lief besorgt in der Küche herum. Scheinbar war mein Vater nie beim besagtem Nachbarn angekommen, und keiner hat ihn gesehen, Somit fing die Suche an.
Erst am nächsten Vormittag wurde er gefunden, in einem unserer Felder. Es heißt bis heute, ein Tier hätte ihn angegriffen, doch hinter vorgehaltener Hand wurden andere Sachen erzählt. Man glaubte, dass sich mein Vater in den vergangenen Monaten immer mehr mit den Leuten, die zu uns gekommen sind um Geld einzutreiben, die Männer mit den schwarzen Autos, welche ich so bewundert hatte, angelegt hat und das nun die Antwort war.
Weder meine Mutter noch ich hatten die Zeit oder die Kraft, darüber nachzudenken oder viel zu trauern. Wir nahmen das letzte Ersparte und bezahlten die Beerdigung. Danach gaben wir alles, wir arbeiteten von morgens bis in die Nacht, mussten Sachen erlernen, von denen wir keine Ahnung hatten, alles, um den Hof zu halten. Ich weiß nicht, wie mein Vater das geschafft hat, aber es war unmöglich, wir hatten auch Hilfe von den Nachbarn, sie hatten ja selber genug Arbeit, und somit ging alles bergab. Wir mussten immer mehr Tiere verkaufen, schafften es nicht, die Felder zu bewirten, die wenigen Helfer zu bezahlen, die wir sonst immer hatten. Eine Katastrophe führte zur nächsten. Nach ein paar Monaten gaben wir auf, wir mussten aufgeben, denn es war nichts mehr übrig. Um zu überleben, mussten wir alles verkaufen, bis uns nur noch das Haus blieb, doch die Schulden wuchsen so schnell, dass meine Mutter zwei Tage nach San Sebastian fuhr. In diesen zwei Tagen hat sie sich einen Job besorgt, diese kleine erbärmliche Wohnung gemietet und unseren Hof für so gut wie nichts verkauft, aber wir hatten keine andere Wahl. Ich hatte nicht mal mehr Zeit, mich richtig von allen zu verabschieden, als wir mit einem geliehenen Wagen und den paar Möbeln, die wir mitnehmen konnten, vor einem Jahr hier hergezogen sind.
Ich weiß, dass es meine Mutter innerlich zerfrisst uns so zu sehen, zu wissen, dass wir hier so abschätzig behandelt werden, weil wir nichts haben, während wir in Lares immer eine angesehene Familie waren. Zu sehen, dass ich arbeiten muss, damit wir was zu essen haben, statt eine weitergehende Schule zu besuchen und dass Malik auf dem kaputten Fußballplatz gegenüber unseres Hauses aufwächst, statt auf den Wiesen und Feldern in Lares.
Wie ich es mir gedacht habe, findet meine Mutter diese Arbeit nicht gut, wie auch ich selbst könnte mir schöneres vorstellen, aber letztlich sieht sie ein, dass wir keine andere Wahl haben. Wir werden unsere Schichten so legen müssen, dass immer einer bei Malik ist, aber im Notfall haben wir eine liebe Nachbarin, die auch mal einspringen würde oder er schläft bei Petro, einem seiner besten Freunde im Nachbarhaus.
2
Neue Bekanntschaften
Nervös stehe ich um 22 Uhr im Umkleideraum des B.B. und wende mich vor dem Spiegel.
Josy, eine hübsche rothaarige Kellnerin, die schon länger hier arbeitet, hat mich kurz eingewiesen und lächelt mir aufmunternd zu. Ich allerdings blicke unsicher an mir herab. Noch nie hatte ich so etwas an. Ich trage auch privat gerne mal gewagtere Kleidung, und ich habe auch ein paar schönere Sachen aus Lares, aber das hier ist was ganz anderes. Es ist edel, sexy, und es gefällt mir unheimlich.
Ich trage einen schwarzen Rock, der bis kurz über meine Knie geht und dazu ein weißes Top, welches mit einem großen, glitzernden, schwarzen Schmetterling vorne verziert ist. Es ist alles eng und sexy, aber nicht billig, ich glaube, ich hatte noch nie solche edlen Klamotten an.
»Wow, kein Wunder, dass dich Casper gleich für den VIP- Bereich eingeteilt hat«. Sie grinst frech und ihre großen braunen Augen glänzen, ich muss zugeben, dass ich Josy jetzt schon mag.
Von allen hier hat sie mich nicht mit einem bösen du-bist-meine-Konkurrenz-Blick angesehen und war gleich sehr freundlich.
Sie tritt hinter mich und öffnet meine Haarspange, so dass meine dunkelbraunen Locken bis fast zu meinen Hüften fallen, dann gibt sie mir einen schwarzen Kajalstift, mit dem ich meine Augen betone. »Meine Güte, deine Augen sehen aus wie Mandeln, du hast wirklich schöne Augen, hier das noch.« Sie hält mir roten Lipgloss hin, und ich benutze ihn »danke Josy, das ist wirklich lieb….« Casper tritt ein »ich hab einen guten Riecher häää….?« Er grinst Josy an, die lacht leise und wird leicht rot, als er ihr zuzwinkert »ich bin mal gespannt auf ihren Namen« ich sehe verständnislos von einem zum anderen.
»Keine Kellnerin benutzt hier ihren richtigen Namen, du heißt ab jetzt, also zumindest wenn du hier arbeitest,… Layla« klärt mich Casper auf, ich sehe ihn zwar etwas verdutzt an, aber letztlich ist es vielleicht sogar besser so.
Er gibt mir mein Namensschild und zeigt auf meine Schuhe, ich trage schwarze Ballerinas. Es ist nicht so, als hätte ich viel Auswahl, meine Schuhauswahl beschränkt sich auf drei Paar.
»Du musst dir hochhackige Pumps besorgen.« Ich nicke zwar zustimmend, fluche aber innerlich, ich kann auf hochhackigen Pumps nicht laufen, ich habe ein paar mit kleinen Absätze. Bei den Absätzen, die Josy und die anderen tragen, wird mir allein beim Hinsehen schwindelig. Casper wünscht mir noch viel Glück, während Josy und ich hinaustreten.
Der Club ist mittlerweile voll, und wir machen uns auf den direkten Weg zum VIP Bereich. Josy ist zu meinem Glück neben mir eingeteilt, damit sie mir helfen kann. Oben angekommen merke ich, dass es hier auch schon gut besucht ist.
Josy wirft einen Blick auf unsere Einteilung »man hast du ein Glück und das an deinem ersten Tag, du bedienst die Natos-Tische.« Ich sehe sie fragend an, sie nickt zu mehreren Tischen, die nebeneinander liegen, einige ziemlich gefährlich wirkende Männer und viele gut aussehende Frauen sitzen oder stehen dort herum.
»Was bedeutet Natos-Tische?« flüstere ich ihr zu, als wir uns die Tabletts und Blöcke an der Bar abholen, und Josy lacht leise »sag mal, wie weit auf dem Land hast du gelebt? Die Natos? Die Natos sind die größte Gang in Puerto Rico…, allerdings habe ich gehört, ihre Macht reicht noch viel weiter. Sie sind riesig, gefährlich und, was uns interessieren sollte…., reich und meist ziemlich großzügig«.
Sie merkt wohl, dass mir das alles gar nicht gefällt, ich selber spüre, wie sich meine Miene versteinert. Sie legt mir einen Arm um die Schulter »sie sind ganz nett. Meistens sind es auch nicht so viele wie heute, es sind nur ein paar engere Mitglieder, die öfters hier sind, einige aus der direkten Familie, also welche der Anführer die nur aus der direkten Familie stammen dürfen. Nando und José, sind heute hier und die sind sehr spendabel…. also los.« Sie gibt mir einen kleinen Schubs in Richtung der Tische.
Bevor ich zu den Tischen gehe, atme ich einmal tief ein. Zwar versuche ich, niemanden direkt anzusehen, aber mir entgeht nicht, dass all diese Männer ziemlich fein angezogen sind.
Ich weiß auch nicht, was ich erwarte, ich sollte es besser wissen. Die Männer, die bei uns in Lares waren, haben auch immer nach Geld ausgesehen, sicherlich laufen Gangmitglieder nicht mit irgendwelchen kaputten Jeans und Unterhemden herum, so wie das Klischee es vorgibt.
Die hier versammelten Männer haben fast alle eine dunkle Jeans und ein Hemd oder eine feine Hose und ein Shirt an, sie wirken nicht so viel anders, als andere Männer, die hier versammelt sind, zumindest beim ersten Betrachten.
»Hallo… kann ich ihnen was bringen?« Ich blicke widerwillig von meinem Block hoch und sehe einmal in die Runde. An diesem Tisch sitzen fünf Männer und einige Frauen. Ein Mann mit dunklem, kurz gelockten Haar und einer Narbe auf seiner rechten Wange grinst mich frech an »Hey, bist du neu… Layla?« Ich nicke und klopfe leicht mit meinem Stift auf den Block, um meine aufkommende Unruhe wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Die Kellnerinnen werden hier immer hübscher, lass mal sehen, stehst du auf der Liste?« Ich spüre, wie ich rot werde, ich kann nicht glauben, dass er das einfach so ausspricht »nein, tue ich nicht«. Das kommt wohl etwas schärfer hinaus als gewollt, und nun habe ich von allen Anwesenden am Tisch die volle Aufmerksamkeit, außer die eines Mannes nicht, der gerade schwer mit einer der Frauen beschäftigt ist.
Alle anderen Männer sehen mich verwundert an, während die Frauen mich abschätzend mustern. Dabei fällt mir auf, dass fast jede von ihnen blond gefärbte Haare hat, das scheint momentan bei den Puerto-ricanischen Frauen sehr angesagt zu sein, ich finde es sieht extrem künstlich aus, zu solch einem dunklen Teint derart helle Haare zu haben. Ich muss fast selber über meine Gedankengänge schmunzeln. Scheinbar habe ich doch noch genug Nerven, um so abzuschweifen, auch wenn ich hier vor diesen Leuten stehe.
»Schade, das wäre bestimmt lustig gewesen, was denkst du Nando?« Ich schlucke einmal leise, hatte Josy nicht erwähnt, dass er einer der Anführer ist? Mein Blick folgt dem aller zu dem Mann in der Mitte, der gerade seinen Kopf in den Hals einer Blondine vergraben hat, erst als er angesprochen wird, schaut er hoch.
Nando ist ein gutaussehender Mann, er wirkt zwar auch noch ziemlich jung, aber etwas älter als ich wird er schon sein, vielleicht 22 oder 23 Jahre.
Über die Öffnung seines schwarzen Hemdes erkenne ich seine braunen Brust und ein kleines goldenes Kreuz. Er hat ein sehr auffälliges Gesicht, auffällig in dem Sinne, dass es sehr markant ist. Man sieht ihm an, dass er was zu sagen hat, das strahlt er durch seine ganze Haltung aus.
Er trägt einen gepflegten Dreitagesbart, der aber fein konturiert ist, so dass es sehr edel wirkt, vor allem aber fällt mir eine Tätowierung an seinem Hals auf, die trotz des Hemdes zum Vorschein kommt. Bevor ich einen noch genaueren Blick riskieren kann, nickt der Mann, der ihn angesprochen hat zu mir, und dieser Nando schaut mich an.
Als ich ihm direkt in die Augen sehe, bin ich etwas überrascht, erst wirken sie so gefährlich, wie sie dunkel sind. Seine braunen Augen wirken auf dem ersten Blick unglaublich Hart doch dann lächelt er mit seinen vollen Lippen und schöne weiße Zähne kommen zum Vorschein. Es bilden sich kleine Grübchen auf seiner Wange und er wirken…. freundlich. Auch er scheint mich einen Moment zu mustern »wie heißt du?« ganz plötzlich bin ich wieder im Hier und Jetzt.
Ja, er ist auf jeden Fall ein Anführer, er redet so fordernd, als würde ihm die ganze Welt gehören.
»Layla«, langsam werde ich ungeduldig, dieser Nando lehnt sich entspannt zurück »deinen richtigen Namen meinte ich«. Ich zeige auf mein Schild »Layla, also was kann ich euch bringen?« Ein paar der Männer beginnen zu schmunzeln, und die Miene von diesem Nando wird wieder etwas unfreundlicher, doch letztlich scheint es zu wirken, denn sie geben ihre Bestellung auf.
Der restliche Abend verläuft etwas entspannter, nachdem ich ihnen zweimal Getränke gebracht habe und die Extrawünsche der Frauen nach frisch geschnittenem Obst erfüllt habe, mit denen sie sich dann von den Männern füttern lassen, lassen mich die Natos-Tische weitgehend in Ruhe, und ich kümmere mich um die restlichen mir zugeteilten Tische.
Auch hier fällt auf, dass ich neu bin, scheinbar gibt es hier viele Stammkunden, die sich hier öfters treffen, und somit verbringe ich viel Zeit damit mich vorzustellen.
Als die Nacht sich langsam dem Ende zu neigt und es fast wieder hell wird, verlassen nach und nach alle den Club. Meine Füße bringen mich fast um, auch ohne Hackenschuhe. Bevor die Natos mit ihren Begleiterinnen den Club verlassen und ihre Rechnung an der Bar bezahlen, spüre ich wieder den Blick von diesem Nando auf mir, so wie schon öfters in dieser Nacht.
Ich ignoriere diesen auch weiterhin und räume deren Tisch ab »das ist für Layla.« Ich tue so, als hätte ich es überhört und stapele Gläser auf meinem Tablett. Als ich sehe, dass sie weg sind und zur Bar gehe, hält mir der korpulente Barmann Joe einen Batzen Geld hin. »Hier bitteschön, Trinkgeld von Tisch 5 und 6, nicht schlecht für den ersten Abend.« Ich kann kaum glauben, was ich da in den Händen halte, die müssen mehr als reich sein, um so mit Geld um sich zu werfen. Letztlich bleibt allerdings, nachdem ich die Abrechnung mit Casper mache, nicht mehr so viel übrig.
Trotzdem muss ich zugeben macht mir der Job im B.B. richtig Spaß, und nach zwei Wochen habe ich mich schon vollkommen eingearbeitet. Josy und auch Joe sind meine Lieblinge bei der Arbeit und versüßen mit den Arbeitsalltag. Mit Josy treffe ich mich sogar immer öfters privat, und Joe, der dunkle große Mann mit dem unglaublich lauten und ansteckenden Lachen, ist schnell zu einem meiner Lieblinge mutiert, wie auch ich zu seinem.
Auch einige Gäste mag ich mittlerweile gut leiden, da manche von ihnen immer wieder da sind, lernt man sie schnell besser kennen. Besonders eine Gruppe von jungen Anwälten, die meistens am Donnerstagabend immer noch für einen kurzen Drink ins B.B. kommen, haben es mir angetan. Einer von ihnen, ein gutaussehender junger Mann namens Rafael, ist mir besonders aufgefallen, scheinbar gefalle ich ihm auch, denn diesen Donnerstag hat er mir einen Kugelschreiber geschenkt, auf dem mein Name steht, also zumindest mein Kellnername. Er hat gesagt, dass er ihn gesehen hat und an mich denken musste.
Ich bleibe immer etwas länger an diesem Tisch stehen, und rede gerne mit allen. Sie sind nette, anständige Männer, was man vom Natos-Tisch nicht gerade behaupten kann. Leider sind sie auch fast immer da, wenn ich Dienst habe, und auch wenn sie merken, dass ich nicht viel Lust habe, mit ihnen zu plaudern, können einige von ihnen es nicht sein lassen, irgendwelche Sprüche zu klopfen.
Dieser Nando ist auch fast immer dabei, zwar ist er nicht so vorlaut, eher ruhig, wenn ich in der Nähe bin, aber ich spüre, dass er mich beobachtet, und das macht mich wirklich nervös, so dass ich jedes Mal erleichtert aufatme, wenn sie den Club verlassen, auch wenn ich von ihnen immer am meisten Trinkgeld erhalte.
Heute ist Montag, am Samstag hatte ich die Nachtschicht, und es war so voll, dass ich nach dieser Nacht dachte, meine Füße fallen mir ab, obwohl ich mir noch immer nicht die gewünschten Pumps besorgt habe, weswegen Cesar nicht müde wird mich zu erinnern. Ich war nach der Nacht so glücklich, dass sich Joe erbarmt hat und Josy und mich nach Hause gefahren hat.
Heute ist es dagegen angenehm ruhig, es sind nur einige Stammgäste im VIP Bereich. Auch an den Natos-Tischen sitzen seit einer Stunde ein paar Leute, ich habe sie mit ihren Getränken bedient, und jetzt sind sie mit den Frauen an ihrer Seite beschäftigt, Nando habe ich noch nicht entdeckt und bin froh, seinen forschenden Blicken entgehen zu können.
Ich vertreibe mir ein bisschen Zeit bei Joe an der Bar und unterhalte mich mit ihm, wir sehen grinsend zu, wie Josy sich um eine kleine Junggesellenabschiedsfeier kümmern muss, wo schon alle ziemlich angetrunken sind und sie ganz schön ins Schwitzen gerät. Plötzlich kommt Casper aus dem Büro und bittet mich, ihm ins Büro zu folgen.
Als ich seiner Bitte nachkomme und mich setze, erzählt er mir, dass er sehr zufrieden mit meiner Arbeit ist, die Kunden mögen mich, und ich habe mich gut eingearbeitet. Da gerade eine der anderen Kellnerinnen ausgefallen ist, fragt er nach, ob ich in der nächsten Zeit ein paar extra Nächte arbeiten will.
Eigentlich ist das kaum möglich, da ich jetzt schon so fertig bin vom Arbeiten. Manchmal komme ich direkt aus dem B.B., bringe Malik zur Kita, arbeite ein paar Stunden bei den Perez und komme erst dann zum Schlafen. Allerdings brauchen wir das Geld, also sage ich zu, auch wenn ich weiß, dass ich mich dann noch besser mit meiner Mutter absprechen muss.
Nachdem das geklärt ist und ich aus dem Büro komme, binde ich mir wieder meine Schürze um, so dass ich nicht bemerke, wie jemand aus der Männertoilette kommt, bis ich in Nando hineinstolpere.
»Hola« er fängt mich gerade noch auf, bevor ich vor Schreck nach hinten stürze.
»Oh… tschuldigung« murmele ich leise, bevor ich mich losmache um weiterzugehen.
»Warte mal.« Nando hält mich am Arm zurück, er steht mit viel zu nah und ich kann seinen würzigen männlichen Duft einatmen. Ich muss zugeben, dass er, wäre er nicht, was er ist, wirklich ein Traum von einem Mann ist. Seine dunklen Augen scheinen mich an ihn binden zu wollen, und ich schüttele meinen Kopf, als könnte ich damit meine unsinnigen Gedanken vertreiben.
»Sag mal Layla, wie kommt es das du so distanziert zu uns bist? Hat das einen Grund?« Ich räuspere mich kurz, um ihm nicht zu zeigen, dass mich seine Erscheinung wirklich leicht umhaut, er hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Man weiß nicht, ob man Angst haben oder fasziniert sein soll.
»Tut mir leid, ich weiß nicht wovon du redest, ich bediene alle gleich.« Ich will ihm meinen Arm entziehen, aber offensichtlich denkt er nicht daran mich loszulassen. Er zieht mich leicht näher an sich »nein auf keinen Fall, das tust du nicht, ich sehe doch wie du zu den Anwälten bist und zu uns. Woran liegt das Layla?« Langsam werde ich sauer wegen seine überhebliche Art.
»Warum ist das wichtig?« Er lächelt und kommt mit seinem Gesicht näher an meines »ich weiß auch nicht,….irgendwie gefällst du mir.« Er sagt das so, als könne ich mich glücklich schätzen.
Ich lächele zurück »tja, das ist nicht mein Problem.« In diesem Moment kommt Casper aus dem Büro. »Nando…. hallo, wie geht es dir? Ich wusste gar nicht, dass du heute da bist, sonst hätte ich dich schon begrüßt. Alles klar hier?« Er guckt leicht verwirrt zwischen uns hin und her. Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, wie eng wir hier zusammen stehen. Man sieht und hört Casper an, dass er scheinbar viel Respekt vor Nando hat, und ich wende meinen Blick von Casper zu diesem ungeheuer eingebildeten Typen, der denkt, ihm gehöre die Welt.
»Sag mal Casper…« Nando hat scheinbar nicht eine Sekunde seinen Blick von mir gewendet, meine Aussage hat ihm offensichtlich nicht so gepasst, er ist es wohl nicht gewohnt, eine Abfuhr zu bekommen. »…wieso steht Layla nicht auf der Liste?« mein Blick und mein Bauchgefühl wechseln von verärgert zu empört, zu sehr empört. Nando sieht mich allerdings auch ziemlich sauer an. Casper räuspert sich und weiß scheinbar nicht so recht, was wir da machen und wie er mit uns beiden umgehen soll. »Naja, die Mädchen entscheiden das selber….« Nando unterbricht ihn einfach »ich zahle das dreifache, und sie muss nichts machen, was sie nicht will, nur Zeit mit mir verbringen.« Jetzt grinst er mich siegessicher an, und ich entdecke neben seinem schönen Lächeln wieder diese zwei kleine Grübchen auf seinen Wangen. Allein die Tatsache, dass er es trotz seines unverschämten Verhaltens noch schafft mich zu beeindrucken, lässt mich so sauer werden, dass ich ihm am liebsten eine Ohrfeige nur dafür geben würde. Und für diese Forderung hat er noch ein paar mehr verdient.
Casper scheint allerdings begeistert zu sein »das hört sich doch gut an, Layla. Was denkst du?« Ich schnaufe auf, niemals. Doch mir kommt eine bessere Idee, als ihm dies einfach an den Kopf zu werfen. Ich gehe noch enger an Nando heran und beuge mich zu ihm hoch. Da er sicher einen Kopf größer ist als ich, stelle ich mich auf die Zehenspitzen. Ich spüre, wie sein Herz schneller schlägt, seine Hand legt sich leicht auf meinen Rücken, als ich mich zu seinem Ohr strecke.
»Weißt du Nando…. du kannst die ganze Welt beherrschen…,« ich zeige an mir herunter »….aber das wirst du nie besitzen.« Ich trete zurück und mache meinen Arm von dem ziemlich irritierten Nando los, dann gehe ich direkt zu den Tischen zurück.
Ich höre noch wie Casper sich räuspert »hmm, alles klar Nando? Soll ich dir jemand anderes holen? Wir haben…,« doch Nando fängt laut an zu lachen »schon gut, ich will keine andere«.
In der nächsten Zeit versuche ich Nando vollkommen zu ignorieren, er spricht diesen Vorfall zum Glück auch nicht mehr an, doch ich kann seine belustigten Blicke kaum übersehen, vor allem, wenn er mit seinen Frauen im Arm an mir vorbei stolziert und auf dem Tisch ein paar Scheine liegen lässt, was für ein arroganter Arsch.
Es ist Sonntag. Endlich habe ich mal einen Tag frei und kann ausschlafen und auch Malik bleibt zu Hause. Am Nachmittag kommt Josy mich besuchen. Natürlich sprechen wir über die Arbeit, ich verfluche Nando des öfteren und schwärme ihr gleichzeitig von Rafael vor. Schon seit einiger Zeit weiß ich, dass Josy unerklärlicherweise unheimlich in unseren Chef Casper verliebt ist, der sicherlich 10 Jahre älter ist, aber weder dies, noch die Tatsache, dass er etwas kräftiger ist, scheint sie zu stören. Ich kann nicht glauben, was für eine Wirkung erfolgreiche mächtige Männer auf Frauen haben, und wieder wandern meine Gedanken zu dem aufgeblasenen Kerl Nando.
Ich koche gerade für uns Nudeln, da meine Mutter arbeitet, als plötzlich völlig aufgelöst Malik und sein Freund Petro von draußen hereingestürmt kommen.
»Lina du musst mir helfen, ich habe meinen Ball verloren und bekomme ihn nicht mehr raus« erklärt Malik mit Händen und Füßen. Petro schnappt nach Luft, scheinbar sind sie die Treppen hochgestürmt. »Deinen Ball? Den ich dir erst letzte Woche gekauft habe?« Ich ziehe meine Augenbrauen mahnend hoch und Josy lacht »na kommt, wir helfen euch, wo ist er den hingefallen?« Josy hat einen Narren an meinem kleinen Bruder gefressen, was nicht verwunderlich ist. Mit seiner süßen Art und seinen großen Augen gewinnt er jedes Herz für sich.
Ich stelle den Herd ab und schließe hinter uns die Haustür »in ein Auto ist er gefallen« erklärt Petro noch immer außer Atem. Josy und ich bleiben beide stehen »in was?« Malik wirbelt zu uns um »wir haben das nicht gesehen, ich habe einen Schuss gemacht, so wie Christiano Ronaldo, und plötzlich kam der Wind und der Ball ist zum Fenster des Autos geflogen«.
Ich fluche leise »Madre Mia.., Christiano Ronaldo also, verdammt Malik, du musst besser aufpassen.« Wir überqueren die Straße zum Fußballplatz, der gegenüber von unserem Haus liegt.
Malik führt uns ein Stück die Straße lang und bleibt dann vor einem Auto stehen.
»Scheiße« murmele ich leise, als ich dieses erblicke. Nein, Malik konnte kein Auto aus der Gegend beschießen, nein er muss einen riesigen silbernen Mercedes treffen. So ein teures Auto habe ich hier noch nie gesehen. Die hintere Scheibe ist zersplittert, und auf dem Rücksitz liegt Maliks Ball.
»Klasse und jetzt?« Josy lacht »komm, ich stehe schmiere und du holst ihn schnell heraus, dann hauen wir alle ab.« Malik klatscht begeistert bei Josy ein, doch in dem Moment sehe ich, wie genau gegenüber die Tür zu einem sehr guten Tortilla-Laden aufgeht. Ich kann nicht glauben, wie grausam das Schicksal sein kann, als ich erkenne, wer da auf das Auto zusteuert.
Nando, zwei weitere Männer und zwei Frauen kommen aus dem Laden und steuern direkt auf das Auto zu. Die Frauen schauen angeekelt auf die Straße, scheinbar kommen sie nicht oft in diese Gegend, die Männer beißen allerdings genüsslich in ihre Tortillas.
Das gibt es doch nicht, was für ein verdammter Zufall ist das denn? Ich verschränke die Arme, als Nando mich sieht und überrascht aber doch grinsend auf uns zukommt. Jetzt erkenne ich die beiden Männer neben ihm auch, sie sind fast immer mit ihm im Club. Wie immer sehen alle aus, wie frisch aus einem Modemagazin entsprungen.
Ich sehe kurz an mir herunter. Heute bin ich das totale Gegenteil von dem, was ich im B.B. zu repräsentieren versuche. Meine Haare sind zu einem Zopf nach oben gebunden, ich trage einen langen Rock und ein einfaches weißes Top, dazu einfache Flip Flops. Ich frage mich wie die Frauen überhaupt in ihren Stilettos und dem Minirock laufen können.
»Layla, was für eine Überraschung, was tust du denn hier?« Nando kommt näher und sieht einen Moment erstaunt zu Malik, der sich an mich klammert und sich leicht hinter meinem Rock versteckt, scheinbar hat Nando diese einschüchternde Wirkung nicht nur auf Erwachsene. Er nickt Josy zu und sieht mich abwartend an. Ich will gerade was sagen, als einer der anderen Männer laut flucht und sich die Scheibe ansieht. Nando sieht von der kaputten Scheibe zu Malik, der anfängt zu weinen und scheint zu verstehen. »Ist das dein Sohn?« Ist ja klar, wer in so einer Gegend wohnt, kann ja nur mit 16 Schwanger sein. »Nein, das ist mein Bruder, hör zu, das war keine Absicht, es tut ihm leid, ich bezahle die Reparatur, gib mir einfach die Rechnung wenn du das nächste Mal ins B.B. kommst.« Ich habe zwar nicht mal annähernd eine Ahnung, wie ich das jemals bezahlen soll, aber was soll ich sonst sagen.
Malik zieht an meinen Rock »…der Ball, können wir den wiederhaben?« Er schluchzt leise und ich kann meinem kleinen Liebling nicht böse sein, schon gar nicht, wenn er weint.
Nando lächelt, hockt sich hin, so dass er in einer Höhe mit Malik ist und winkt ihn zu sich. Etwas unsicher geht dieser zu ihm.
»Hey kleiner Mann, wie heißt du?«
»Malik« mein Bruder sieht immer wieder zu dem Fenster, hinter dem sein Ball liegt. »Malik…, du hast genauso schöne Augen wie deine Schwester, weißt du das?« Malik lacht leise »ja, meine Schwester ist die Schönste. Petro liebt sie auch.« Er zeigt auf seinen Freund, der neben mir steht und rot anläuft, so dass selbst ich lächeln muss, so unangenehm ich diese Situation auch finde.
Nando lacht und geht zum Auto, er holt den Ball heraus, und die Frauen beschweren sich lauthals, wie sie jetzt in dem Auto sitzen sollen. Malik tritt ein paar Schritte zurück, als die beiden anderen Männer, die bisher das ganze ruhig beobachtet haben, näher kommen.
»Du brauchst keine Angst zu haben Malik, ich bin Fernando …Nando, deine Schwester und ich kennen uns, das hier ist mein Bruder José.« Er zeigt auf einen der Männer, und ich erkenne jetzt auch die Ähnlichkeit zwischen ihnen »und mein bester Freund Alonzo«.
Die Männer nicken meinem kleinen Bruder kurz zu, aber man sieht ihnen an, dass sie genauso wenig wie ich eine Vorstellung haben, was Nando da gerade macht. Alonzo fängt an, die Glasscherben aus dem Auto zu entfernen, und langsam wird mir das zu merkwürdig. »Okay, also wie gesagt, gib mir die Rechnung und ich bezahle sie.«
Nandos Blick wandert zu mir, unsere Augen treffen sich, genau das, was ich seit unserem Aufeinanderprallen vermieden habe, denn ab und zu konnte ich es nicht verhindern, dass ich an diese ungewollte aber nicht unangenehme Nähe denken musste. Und das letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass dieser Typ weiß, dass ich ihn nicht so ganz aus meinen Gedanken halten kann.
Als ich den Augenkontakt schnell wieder abbreche, lächelt Nando und beugt sich wieder zu Malik »weißt du was kleiner Mann, ich habe eine Idee, wie wir das ganze hier einfach vergessen, wie findest du das?« Malik lächelt »das wäre so toll, wir haben nämlich kein Geld.« Ich merke, wie die Frauen die Hand vor den Mund schlagen »der arme Kleine« und ich werde wütend »okay Malik, komm her Schatz, das reicht, ich kläre das schon«.
Malik will sich gerade zu mir umdrehen, doch Nando stoppt ihn, indem er Maliks kleine Hand in seine große nimmt. Er sieht mich an, und ich merke, dass ich mich vor ihm schäme, so dazustehen. Nicht mehr die Frau aus dem B.B., sondern die Wahrheit, in einer dreckigen, armen Gegend, mit Klamotten, die nicht mal so viel kosten, wie ein Lippenstift der Frauen, mit denen er sich abgibt und das er jetzt schwarz auf weiß gehört hat das es so ist, das wir kein Geld haben. Eigentlich sollte es mir egal sein, was er, was irgendwer von mir hält, aber ich merke, dass es nicht so ist, und das macht mich wütend auf mich selber.
Nando wuschelt über Maliks Kopf »wo wohnt ihr?« Malik deutet mit seinem Kopf zu unserem Haus und sieht dann wieder zu Nando.
»Okay, wenn du verrätst, wie deine hübsche Schwester heißt, vergessen wir das alles« Malik lacht laut »so einfach geht das?« Nando zuckt die Schultern »das ist gar nicht so einfach, deine Schwester dazu zu bekommen, mir das zu sagen, also bitte ich dich und dafür vergessen wir das, und du bekommst deinen Ball wieder. Der ist übrigens Klasse, wie der von Christiano Ronaldo.« Malik öffnet erstaunt seinen Mund und ich seufze leise, jetzt hat er Malik für sich gewonnen.
»Lina…, also Celina, aber alle nennen sie Lina.« Nando lächelt und gibt Malik den Ball. »Okay kleiner Mann, danke für die Information, das war mir mehr als eine Autoscheibe wert, sag deiner sturen Schwester, wir haben das unter uns geklärt, wie richtige Männer.« Malik strahlt und schlägt bei Nando ein, bevor er mit Petro wieder auf den Fußballplatz läuft.
»Malik, ich koche gerade, sei in 20 Minuten zu Hause« rufe ich ihm schnell hinterher, er dreht sich während des Rennens zu mir um »dürfen Petro und sein Bruder auch kommen?« Ich winke ab »von mir aus, aber seid pünktlich.« Dann wende ich mich wieder zu Nando, der das ganze beobachtet, während alle anderen langsam ins Auto einsteigen.
»Ich bezahle die Scheibe, es kommt gar nicht in Frage….« Nando grinst nur »meine Güte bist du stur, ich will kein Geld von dir… Celina. Vergiss es einfach.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht zur Fahrertür »…aber, nein… ich vergesse es nicht,… ich werde« bevor Nando einsteigt, sieht er mich mit einem undefinierbaren Blick an.
»Ich werde nichts nehmen Celina, also vergiss es einfach.« Ich verschränke die Arme und sehe zu, wie Nando aus der Parklücke fährt. »Lina,… nicht Celina,.. Lina« murmele ich leise und ziehe die nur noch grinsende Josy hinter mir zur Wohnung zurück.
3
Die Härte des Lebens
Die nächste Woche sehe ich Nando nicht. Sein Bruder José kommt ins B.B. und nickt mir immer höflich zu, auch habe ich das Gefühl, dass alle der Natos ihre dummen Sprüche langsam sein lassen, aber Nando sehe ich nicht mehr. Ich nehme einen Abend all meinen Mut zusammen und spreche José, als ich ihn auf dem Weg zur Toilette alleine treffe, an, ob er weiß, wie viel die Autoscheibe gekostet hat, denn ich finde es wirklich unmöglich, jemandem wie Fernando Nato irgendetwas zu schulden.
José grinst mich allerdings nur an, und mir fällt erneut die Ähnlichkeit zu seinem Bruder auf. Sie haben beide das gleiche Grinsen und die Grübchen, die dadurch entstehen. Auch sind ihrer beider Lippen gleich schön geschwungen, die Augen weisen beide den gleichen dunklen Braunton auf, umrahmt von vollen schwarzen Wimpern, beide Nato- Brüder sind ohne Zweifel sehr attraktive Männer. »Nando würde mich umbringen, wenn ich dir das sage, er hat mich schon gewarnt, dass er dir zutraut so stur zu sein, also, warum vergisst du es nicht einfach? Mach dir keinen Kopf darum«. Letzlich beschließe ich, es sein zu lassen, ich habe sowieso nicht das Geld, um die Rechnung zu begleichen.
Langsam gewöhne ich mich an den Rhythmus der verschiedenen Arbeiten, und mit der Schicht meiner Mutter klappt es so gut, dass wir es wirklich schaffen uns aufeinander einzuspielen. Wir haben uns zwei Handys kaufen können, zwei einfache mit aufladbaren Karten, aber es erleichtert es uns bei unseren Absprachen, da wir uns nicht mehr viel sehen.
Mit dem Geld vom B.B. schaffen wir es endlich mal, über die Runden zu kommen. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, bleibt sogar was übrig, und wir können uns ein paar Sachen besorgen, die wir dringend benötigen, für die bisher aber immer das Geld gefehlt hat. Ich habe das Gefühl, so langsam geht es aufwärts. Die Arbeit bei den Perez ist zwar nicht so abwechslungsreich, wie die Arbeit im B.B., aber ich genieße mittlerweile genau diesen Kontrast beider Arbeiten. Wenn ich zwei Nächte im B.B. gearbeitet habe, bin ich froh, einen Nachmittag in Ruhe den Haushalt der Perez zu machen und meinen Gedanken nachzuhängen.
Rafael zeigt immer mehr Interesse an mir, und jemandem wie ihm mein Herz zu schenken, kann ich mir wirklich gut vorstellen. Er wirkt wie ein ehrlicher Mann, er arbeitet hart und verdient auf legalem Weg sein Geld. Auch hatte er bis jetzt nie irgendwelche Frauen bei sich und schenkt mir immer viel Aufmerksamkeit. Zwar hatte ich in Lares auch schon einige Freunde und bin auch nicht unerfahren, doch so jemanden wie Rafael habe ich noch nie kennengelernt. Immer, wenn meine Gedanken an Lares zurückkehren, versuche ich die Erinnerungen an die glückliche Zeit und den grausamen Tot meines Vaters wieder so schnell wie möglich aus meinem Kopf zu verbannen. Meistens muss ich dann unwillkürlich an Nando denken. Seit diesem Vorfall mit dem Auto fragt Malik öfters nach seinem neuen Kumpel. Josy lächelt immer, wenn ich mich über Fernando Nato und seine Art und Weise aufrege. Das tut sie allerdings nur, weil sie nicht weiß, wie ernst ich das meine. Egal wie attraktiv und abziehend Nando ist, und wenn er zum liebsten Mann der Welt mutiert, alleine die Tatsache, dass er ein Mitglied einer Gang ist, wirkt so abstoßend, dass alles andere nicht zählt.
Nach fast zwei Wochen taucht Nando auch wieder im B.B. auf. Er spaziert wie immer in den VIP Bereich mit einer Blondine im Arm, und man sieht, dass er es sich scheinbar hat gut gehen lassen. Er ist richtig sonnengebräunt und sieht erholt aus.
Als ich an den Tisch komme, wo er sich zu José und diesem Alonzo gesetzt hat, fragt ihn gerade einer der anwesenden Männer nach seinem Barbados-Trip.
»Ich musste zwar auch ein paar Geschäfte abschließen, aber es war noch genug Zeit zum Entspannen, obwohl ich zugeben muss, dass meine Gedanken öfters hierher zurückgewandert sind.« Ich spüre seinen Blick auf mir und hole meinen Block heraus. Als ich vom Block aufsehe, treffe ich sofort auf Nandos Augen. »Hey« ich nicke leicht zurück »hey, was kann ich euch bringen?«
Nando lächelt sofort »wie geht es Malik?« Ich kann mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen »wie geht es deiner Autoscheibe?« Nando lacht kurz auf »gut, alles in bester Ordnung.« Ich seufze aufgebend und wage noch einen Versuch »wie viel…« doch Nando greift gleich ein »nein, nein, vergiss es.« Nun muss ich auch lachen. Okay, wenn er darauf besteht.
»Ach, sie war es? Deswegen kommt sie mir so bekannt vor.« Ich blicke zu der blonden Frau an Nandos Seite. Alles an ihr wirkt teuer, nicht nur ihre Kleidung, ihre Brüste waren sicher auch nicht billig. Eine perfekte Puerto-ricanische Barbie. »Ich wusste gar nicht, dass man hier so schlecht verdient, grausame Gegend in der sie lebt« tuschelt sie zu ihrer Freundin, und ich räuspere mich. »Also, was kann ich euch bringen?« Zum Glück erbarmt sich José und gibt eine Bestellung auf, um mir aus der Situation zu helfen. Ich sehe kein einziges Mal mehr zu Nando, es ist mir unangenehm, immer wieder vor ihm so bloß gestellt zu sein, wobei ich wiederum auch nicht verstehe, warum es mir nicht egal ist, was er denkt. Den Rest des Abends versuche ich, diesen Tisch auszublenden, und als eine Kellnerin aus dem unteren Bereich hochkommt, weil dort nicht viel los ist, drücke ich ihr den Tisch der Natos aufs Auge.
Ich widme mich den anderen Tischen, insbesondere dem von Rafael. Sie scheinen heute einen großen Erfolg zu feiern, und die sonst so eher zurückhaltenden Anwälte sind alle ziemlich angetrunken. Rafael flirtet ziemlich ausgelassen mit mir. Auch wenn ich sonst sicher geschmeichelt wäre, wirkt er, so unter Alkoholeinfluss, nicht mehr ganz so charmant. Je später es wird, desto ungehemmter wird er und als ich gerade, zu meinem Glück mit einem leeren Tablett, an ihm vorbeigehe, zieht er mich blitzschnell auf seinen Schoss.
»Hmm, meine kleine Layla. Sag mal wie sieht es aus? Setzt dich doch etwas zu uns« raunt er mir ans Ohr, ich mache mich frei und sehe, wie Joe gerade hinter der Bar hervorkommt um einzugreifen, doch ich deute ihm an, dass es nicht nötig ist und entwende mich Rafaels Griff. Ich denke nicht, dass er in Wirklichkeit so ist, manche Leute vertragen einfach keinen Alkohol. Ich tätschele leicht seine Schulter »das nächste Mal, ich muss arbeiten.« Er lächelt mich an und ich gehe zur Bar, wo Joe immer noch böse zu Rafael sieht »pass auf Lina, manche Typen sind wirklich mies hier.« Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab »sicherlich, aber er gehört garantiert nicht dazu.« Als fühle er sich angesprochen, taucht in diesem Moment Nando mit all den Anderen neben uns auf.
Alle laufen weiter zur Treppe, um den Club zu verlassen, nur Nando und José bleiben an der Bar stehen. Joe nennt den Betrag, den sie für heute zu bezahlen haben und Nando legt ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, mehrere Scheine hin. Ich blicke erst gar nicht zu ihnen nach der Aktion vorhin am Tisch und will gerade los deren Tisch azubräumen, als Nando mich am Arm festhält.
»Celina warte kurz….bitte.« Diesmal erkenne ich einen deutlichen Unterschied in seiner Stimme, scheinbar war ihm die Situation vorhin auch unangenehm, was sie für mich gleich doppelt so beschämend werden lässt. Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn wartend an, er nickt zu dem Tisch, an dem Rafael sitzt »du solltest vorsichtig sein, bei manchen Kerlen weiß man nie, was hinter deren Fassade steckt.« Ich schaue ihn verblüfft an, ist das sein Ernst? Hat er vergessen wer er ist und dass er mein Handgelenk gerade festhält?
»Ich kann schon ganz gut auf mich alleine aufpassen.« Nando lächelt »das glaube ich dir sogar. Hör mal, das vorhin, vergiss einfach die Kommentare von den …« Ich unterbreche ihn, wie peinlich kann das noch werden?
»Ich muss weiterarbeiten…« Nando seufzt, lässt mein Handgelenk aber noch nicht los, ich blicke zu Joe. Warum greift er jetzt nicht mal ein? Aber Joe steht mit José an der Bar, und beide schauen leicht amüsiert zu uns.
»Ich habe vorhin durch das Getratsche der Frauen mitbekommen, dass ihr das Trinkgeld, was ihr hier erhaltet, nicht behalten dürft.« Ich seufze entnervt auf, was zum Teufel will der Kerl von mir? »Nur einen Teil, warum ? Nando ich arbeite hier ich muss…«
Nando holt einige Scheine hervor und drückt sie mir in die Hand »ich will, dass wenn ich dir was gebe, … dass du es eben behältst, ich kann es gerne Casper selbst nochmal sagen….« Ich sehe von den Scheinen zu Nando und wieder zurück. Meine Güte wie erbärmlich muss ich vor ihm wirken? Sollen das jetzt Almosen sein? Ich nehme seine Hand und merke erst jetzt, wie groß sie gegen meine wirkt. »Ich nehme kein Geld von dir Nando, niemals. Ich komme schon klar, danke für deine Mühe aber ich brauche keine Hilfe von dir.« Ich will mich umdrehen, doch er kommt mir hinterher »so meinte ich es nicht, Celina warte, ich wollte ….« Ich ignoriere ihn und gehe einfach weiter zu dem Tisch und räume wütend ab.
Für was hält er sich eigentlich, für was halten die sich alle? Das Geld, was sie haben, ist nicht mal ehrlich verdient. Ein Stich durchfährt mich, als ich daran denke, wie zu uns immer wieder Männer gekommen sind und meinem Vater unser hart erarbeitetes Geld weggenommen haben.
Als ich mich umdrehe und zur Bar zurückkehre, sind die Natos Brüder zum Glück verschwunden. Joe lächelt mich an und drückt mir die Scheine in die Hand, die Nando mir vorhin versucht hat zu geben.
»Für die sturste und schönste Frau der Welt.« Ich zucke die Schultern und schiebe es zu Joe zurück »pack es ganz normal in meinen Trinkgeldbeutel, ich kann auf Almosen von denen verzichten.« Er nickt und sieht mich ernst an.
»Nando hat das Herz am rechten Fleck, auch wenn es nicht so scheint und er sich etwas unbeholfen benimmt, was wohl eher daran liegt, dass er dich zu mögen scheint.« Ich starre Joe schockiert an »Joe, er ist ein Gangster.« Doch Joe lacht nur »das sind wir doch letztlich alle«.
Ich komme heute zum Glück etwas früher weg, da wirklich nicht viel los ist. Leider muss ich mehr als eine halbe Stunde laufen oder hoffen, den Bus zu schaffen, um nach Hause zu kommen, denn das B.B. liegt eher in der wohlhabenderen Gegend von San Sebastian, also verabschiede ich mich von allen und mache mich auf den Weg. Gerade, als ich über den Parkplatz vor dem B.B. zur Straße will, höre ich jemanden hinter mir. »Layla warte.« Ich erschrecke kurz und muss dann lächeln, als ein torkelnder Rafael auf mich zukommt. »Layla meine hübbbbsche, warte.« Ich helfe ihm, damit er nicht umfällt, und er lehnt sich an ein Auto. »Warum gehst du schon? Du wolltest doch noch etwas bei uns sitzen.« Ich muss lächeln »ich denke, das machen wir ein anderes Mal.« Er grinst »du gefällst mir Layla, schon von Anfang an, du bist was Besonderes, das sieht man sofort, und duuu rieeeechst immer so gut.« Ich muss über sein Geleiere lachen »ich muss zugeben, dass ich dich auch mag.« Rafael tritt näher, gleichzeitig rieche ich den Alkohol. Er umfasst meine Taille und ich spüre gleich, dass dies keine gute Idee ist. So schnell wie er plötzlich ist, kann ich gar nicht reagieren, und als er seine Lippen auf meine drückt und mir von dem heftigen Alkoholgeschmack übel wird, versuche ich ihn wegzudrücken. »Ich glaube, das ist gerade keine gute Idee.« Rafael lässt sich allerdings keinen Zentimeter wegschieben und umfasst mein Gesicht »na komm schon Layla, ich habe doch gemerkt, dass du mich willst.« Er versucht wieder meinen Mund zu erobern, doch diesmal stoße ich ihn fester weg.
»Aber nicht so, du solltest erst mal nüchtern werden.« Rafael wankt kurz nach hinten, ist aber genauso schnell wieder an mir dran, was mir langsam Panik macht. Seine Hand gleitet meine Hüfte entlang »hab dich nicht so, wie oft bekommst du schon so eine Chance? Einen richtigen Mann zu haben und nicht irgendeinen Loser?« Ich versuche mich ihm zu entwinden, doch sein Griff verstärkt sich, er schnappt sich meine Hände und hält sie hinter meinem Rücken zusammen, während seine Lippen wieder auf meine gelangen. Ein Würgereiz kehrt in meinen Mund, und völlig panisch ergreife ich die einzige Möglichkeit, die ich habe und trete kräftig zu. Dieses Mal weicht Rafael weg… und wie, scheinbar hat der Tritt seine Wirkung nicht verfehlt »du verdammte Puta.« Ich wische mir mit meinem Arm seine stinkenden Reste aus dem Gesicht.
»Du bist total betrunken, was soll das denn?..« Weiter komme ich nicht. Rafael holt aus und trifft mich im Gesicht, so fest, dass meine Beine kurz nachgeben.
»Lina?« geschockt umfasse ich meine brennende Wange, während Rafael mich wütend anstarrt. Ich bemerke gar nicht, wie Josy auf mich zutritt »was ist denn hier los? Was hast du gemacht? Verdammt Layla, du blutest.« Sie untersucht mein Gesicht. »Was ich gemacht habe? Diese dumme Puta hat mich erst angemacht und dann meine Eier zerquetscht, was denkst du dir eigentlich? Ich sollte dir dafür gleich noch eine geben. Für was hältst du dich? Denkst du, dass du irgendetwas wert bist? Du kannst glücklich sein, dass dich überhaupt jemand wollte, dumme..« Rafael wendet sich torkelnd ab und geht wieder in Richtung Club. »So ein Arsch« zischt Josy und presst mir ein Taschentuch auf die Lippe »komm Süße, ich bringe dich nach Hause.« Ich spüre, wie ich zittere, noch immer starre ich in die Richtung, in die Rafael davon wankt, ich bin wirklich unter Schock, noch nie hat jemand seine Hand gegen mich erhoben.
Als ich bei mir zu Hause aus der Dusche steige, legt sich die erste Benommenheit langsam wieder. Josy hat mich besorgt nach Hause gebracht, doch viel habe ich nicht mitbekommen. Zum Glück schlafen meine Mutter und Malik schon lange. Ich wische den Spiegel trocken, so dass ich mein Spiegelbild sehen kann. Meine Wange verfärbt sich schon leicht blau und brennt noch immer, meine Oberlippe ist leicht aufgeplatzt. Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen.
Seit der Beerdigung meines Vaters habe ich nicht mehr geweint, was hätte schlimmer sein können, als dieses Erlebnis? Doch heute Nacht fühle ich mich so gedemütigt, wie noch nie zuvor. Egal, wie mich die Leute im Club behandeln, wie sie mich anlächeln, ich gehöre nicht zu ihnen, und heute Abend hat sich das mehr als deutlich gezeigt. Angefangen von den Frauen bei Nando, von ihm selber und von Rafael. Letztlich bin ich genau das, was sie denken. Eine einfache Bedienung, die in deren Augen es nicht mal wert ist, anständig behandelt zu werden. Die Blicke der Frauen, als sie mich und Malik in dieser Gegend gesehen haben, diese Mischung aus Mitleid und Abscheu hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt. Rafaels Worte hallen noch immer in meinem Kopf nach, ich bin nichts wert und kann froh sein, wenn überhaupt jemand mich haben will.
Wie viel Wahrheit steckt hinter diesen Worten? Durch unseren Abstieg in unser jetziges Leben muss ich mich wohl daran gewöhnen, anders behandelt und angesehen zu werden. Muss ich mich damit abfinden, dass jemand wie Rafael mich nie als jemand, mit dem man nur kurz etwas Spaß hat, sehen wird? Ich finde die restliche Nacht keinen Schlaf, ich liege im Bett und nehme Malik fest in meine Arme. Ich hasse das alles, diese Stadt, dieses neue Leben, ich frage mich immer öfter, wann wir alle aus diesem Alptraum aufwachen.
Meiner Mutter erzähle ich am nächsten Morgen, dass ich gegen eine offene Schranktür gelaufen bin. Viel zu auffällig und zu einfach die Lüge, aber was soll sie tun, was für eine Wahl hätten wir denn? Ich schminke mich etwas mehr als sonst, doch meine verletzte Lippe kann ich trotz Lipgloss nicht verbergen. Da ich heute nicht bei den Perez arbeiten muss, lege ich mich nachmittags nochmal hin und schlafe dann endlich ein paar Stunden, bis mich Josy abholt. Wir beide haben erst später Schicht im B.B., und auf dem Weg dorthin redet Josy auf mich ein, dass ich das ganze unbedingt Casper sagen soll damit Rafael zumindest Hausverbot bekommt. Ich beschließe, dies auch zu tun. So muss ich diesen Mistkerl wenigstens nicht mehr sehen.
Als wir auf dem Parkplatz vor dem B.B. einbiegen, sehe ich gleich, dass es schon sehr gut besucht zu sein scheint. Wir wollen gerade die Treppen hinauf, als Rafael hinauskommt. Er blickt wütend zu uns »da seid ihr ja.« Ich bleibe erwartungsvoll stehen, auch wenn eine Entschuldigung nichts gut macht, ist das ja wohl das mindeste. »Sollte eine von euch Putas denken, dass hierüber ein Wort zu jemandem geht, könnt ihr diesen Job hier vergessen. Es gibt genug Leute, die euch schon beim Klauen gesehen haben, und eurem Chef wird das alles sicher nicht gefallen. Casper und unsere Kanzlei haben schon lange geschäftlich miteinander zu tun, das wird er wegen euch beiden sicher nicht aufs Spiel setzen. Also überlegt euch lieber genau, mit wem ihr euch anlegt«. Mit diesen Worten spuckt er noch einmal demonstrativ neben uns auf den Boden und geht wieder hinein. Ich kriege meinen Mund kaum noch zu, wie konnte ich diesen Kerl jemals für liebenswürdig halten? Josy verflucht ihn laut »jetzt erst recht, komm wir gehen direkt zu Casper, wir und klauen bei dem ..« Doch ich halte sie am Arm zurück.
»Nein Josy, ich brauche diesen Job, du weißt, wie einflussreich die sind, selbst wenn Casper uns glaubt, was hat er für eine Wahl, wenn die anfangen Stress zu machen, belassen wir es dabei. Ich kann es nicht riskieren den Job zu verlieren.« Josy seufzt laut auf und reibt sich über die Stirn »das ist so ungerecht, weißt du das? Er kommt einfach so davon.« Ich lache bitter auf »glaub mir Josy, ich erwarte schon lange nicht mehr vom Leben, dass es zu mir gerecht ist, komm, wir sind schon spät dran«. Als wir uns umgezogen haben und ich nochmal mit mäßigem Erfolg probiert habe, meine Wunden zu verstecken, stelle ich erleichtert fest, dass heute Josy die Natos Tische hat und ich die Ecke um die VIP-Tanzfläche zugeteilt bekommen habe. In diese kleine Ecke ziehen sich meistens Pärchen zurück, um etwas ungestört zu sein, und man hat nicht viel zu tun. Ich steuere direkt diesen Bereich an, und winke nur kurz Joe zu, doch diesem entgeht das scheinbar nicht. Er kommt hinter der Bar vor, tritt zu mir und streicht meine Haare zur Seite.
»Was ist mit dir passiert? Wer war das?« Ich winke ab und sehe mich um, sofort treffe ich auf Rafaels Blick, der mich ganz genau beobachtet. »Nichts, ich hatte heute einen blöden Unfall bei meinem anderen Job, keine Sorge.« Ich muss lächeln über Joes besorgten Blick, doch er kann dazu nichts mehr sagen, denn die Bar füllt sich gerade, und er muss wieder seinen Job machen. Ich nehme die ersten Bestellungen entgegen, und versuche mich so normal wie möglich zu benehmen, mit den besorgten Blicken von Joe und Josy und dem warnenden Blick von Rafael im Nacken.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Nando und José eintreffen, doch heute kann ich ihnen wenigstens etwas aus dem Weg gehen. Als ich allerdings etwas später eine Bestellung an der Bar hole, treffe ich dort auf José, der gerade mit Joe quatscht. »Hey Lina« José grüßt mich freundlich, und ich lächele ihn leicht an, was allerdings etwas schmerzhaft ist durch meine Wange. Ich versuche meine andere Gesichtshälfte zu verbergen, doch Joe vermasselt das. Er zieht die Augenbrauen hoch »hat Nando dich heute schon gesehen?« Ich runzele die Stirn »wieso sollte er?« Ich verstehe überhaupt nicht, warum alle denken, dass es irgendwas gibt, was ich mit Nando zu tun haben könnte. Doch scheinbar reicht José diese Aussage, um neugierig zu werden, und er sieht mich genauer an »was ist passiert?« Ich seufze leise auf, langsam habe ich das Gefühl, dass die Nato Brüder denken, ich wäre schon ein Mitglied ihrer Gang.
»Ein Unfall auf der Arbeit« macht Joe mich nach und zeigt deutlich, wie sehr er meinen Worten glauben schenkt. Zum Glück kommen in dem Moment Kunden an den Tresen, die Geld für den Zigarettenautomaten gewechselt haben wollen. Ich nutze die Gelegenheit und mache mich schnell auf den Weg in meine ruhige Ecke. Nachdem ich die Getränke abgestellt habe, ziehe ich mich etwas zurück und beobachte die zwei Pärchen, die an der Tanzfläche sitzen und scheinbar nicht genug voneinander bekommen können.
Werde ich jemals die Chance bekommen, auch so glücklich zu sein? Eine Frau kuschelt sich an ihren Begleiter, während er ihren Hals liebkost. Ich hätte noch ewig die anderen bei ihrem Glück beobachten können, doch plötzlich wird mir die Sicht von einem breitgebauten großen Mann versperrt. Ich blicke hoch, direkt in das Gesicht von Fernando, der sich vor mir aufbaut. Sein sonst eigentlich immer freundliches Gesicht, zumindest mir gegenüber, weicht, als er still mein Gesicht und meine Verletzung an der Lippe mustert. Noch nie habe ich Nando so gesehen, aber plötzlich verstehe ich, warum er einer der meist gefürchtetsten Männer Puerto Ricos ist. Ohne es zu wollen oder mir dessen bewusst zu sein, zucke ich zusammen, als er seine Hand nach mir ausstreckt, um mir meine Haare zur Seite zu schieben. Er schaut mir, verwundert über meine Reaktion, in die Augen »was ist passiert Celina?«
Scheinbar bin ich wirklich die einzige hier, die irgendwie glaubt, dass zwischen Fernando Nato und mir keinerlei Beziehung besteht und das so bleiben wird. »Ich wüsste nicht, was dich das angeht, aber es ist nichts weiter.« Nando scheint meine Worte überhaupt nicht zu beachten und streicht meine Haare zur Seite. Er zieht leicht die Luft ein, als er meine ganze Wange sieht. »Verdammt Celina, wer zum Teufel war das?« Ich bin irritiert über Nandos wütenden Gesichtsausdruck und seine gleichzeitig so zärtlichen und vorsichtigen Bewegungen, mit denen er mit seiner Hand mein Gesicht hält und mir mit dem Daumen über die brennende Wange streichelt. Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment seine Aufmerksamkeit und seine Berührungen, seine ganze Anwesenheit genieße, auch wenn ich das nicht sollte. Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen, und ich wünschte nur einmal nicht stark sein zu müssen und mich einfach fallen zu lassen. Ich atme tief ein und schließe die Augen, um die aufkommenden Tränen herunter zu schlucken. Doch als ich sie wieder öffne, blicke ich direkt in Nandos dunkle Augen, und für einen kurzen Augenblick bilde ich mir ein, es läge ein Versprechen in ihnen, dass ich ihm vertrauen kann.
» Sag mir bitte was passiert ist Celina, bist du noch irgendwo verletzt?« Ich schüttele den Kopf, noch immer ruht Nandos Hand auf meiner Wange. »Es ist nichts passiert, womit ich nicht alleine klar komme Nando, ich weiß gar nicht wieso dich das alles so interessiert? Es ist lieb gemeint, aber ich komme schon klar.« Ich nicke zu seinem Tisch, an dem José, Alonzo und ein paar Frauen uns beobachten, auch Josy und Joe sehen zu uns. Ich entziehe mein Gesicht seiner großen Hand wieder. »Geh zurück in deine Welt Nando, ich habe hier in meiner zu arbeiten.« Ich höre selbst, wie bitter sich das anhört und als ich von ihm weggehe, weiß ich, dass es ungerecht ist, all das, was in letzten Zeit passiert ist an ihm auszulassen, aber am Ende sage ich doch die Wahrheit.
Seine Welt, in der sicher keine der Frauen so behandelt wird wie ich. Wo sie so viel Geld an einem Abend ausgeben, wie wir für einen Monat zur Verfügung haben und diese, seine Welt steht für alles, was ich schon immer gehasst habe. Da kann mir seine Anwesenheit gut tun so viel sie will, über gewisse Tatsachen kann ich nicht hinwegsehen und ich wünschte, er würde das auch endlich einsehen.
Ich gehe den gesamten restlichen Abend allen aus dem Weg. Josy kommt irgendwann zu mir und beschwört mich, Nando zu sagen, was passiert ist, dass Nando was an mir liegt und dass er sich darum kümmern kann, ohne dass ich irgendeinen Schaden davon trage. Alleine bei ihren Worten bekomme ich eine Gänsehaut. Ich sage ihr, dass meine Sachen Fernando Nato nichts angehen, genauso wenig, wie seine mich etwas angehen.
Ich stelle allerdings irgendwann fest, dass Josy länger am Tisch der Natos stehen bleibt und mit Nando redet, woraufhin er Rafael im Auge behält. Ein ungutes Bauchgefühl breitet sich in mir aus. Als ich etwas später kurz zu Casper ins Büro gehe und wiederkomme, sind beide Tische leer.
4
Tage voller Unglück
Ich habe keine Ahnung, was mit Rafael passiert ist, und ob Nando was damit zu tun hat, aber seit dem Abend ist er nicht mehr ins B.B. gekommen. Ich habe Josy gefragt und sie hat zugegeben, Nando so lange genervt zu haben, bis sie ihr schließlich gesagt hat, was passiert ist. Weiter weiß sie auch nicht, was geschehen ist. Auch wenn ich Nando nach diesem Abend noch ein paar Mal im B.B. gesehen habe, scheinen wir uns beide etwas aus dem Weg zu gehen, ich habe ihn auch nicht danach gefragt, ob er sich eingemischt hat. Letztlich weiß ich nicht mal, ob ich es wirklich wissen will, am Ende scheint Raphael nicht mehr zu kommen und Casper hat nichts mitbekommen. Die Situation ist so am erträglichsten für mich, vielleicht ist es sogar besser, wenn ich die genauen Hintergründe dazu nicht kenne. Selbst wenn es gegen alles spricht, was ich glaube und wie ich lebe, muss ich zugeben, das dies wohl die beste Lösung ist.
Offenbar hat Fernando verstanden, was ich ihm an dem Tag vor dem Kopf geworfen habe, denn er scheint mich genauso zu ignorieren, wie ich ihn. Eigentlich sollte ich mit diesem Zustand zufrieden sein, aber in mir brodeln gespaltene Gefühle, wenn es um Nando geht. Zum einen mein schlechtes Gewissen, dass ich ihn jedes Mal so abgewiesen habe, obwohl er mir, außer bei unserer ersten Begegnung, ziemlich höflich entgegengekommen ist, zum anderen der Grund, warum ich dies getan habe, alleine wegen der Tatsache, wer er ist, nicht wie er ist, sondern einfach wer.
Öfter als mir lieb ist muss ich wiederum an seine sanften Berührungen denken, seine dunklen Augen und sein schönes Gesicht, denn das hat er auf jeden Fall. Fernando ist ein wirklich hübscher Mann, und ich muss mich immer wieder ermahnen, meine Gedanken an ihn in den Griff zu bekommen.
Er nickt mir zwar weiter höflich zu, wenn sich unsere Wege kreuzen, doch seine Blicke verfolgen mich nicht mehr, er widmet sich wieder mehr den Frauen, die ihn umgeben. Woher ich das so genau weiß? Wahrscheinlich, weil meine Blicke dafür immer öfter zu ihm gleiten.
Nach etwas mehr als einer Woche ist mein Gesicht wieder gut abgeheilt und ich habe es geschafft, Rafael und diese miese Aktion langsam wieder zu verdrängen. Es ist Montag, ich habe gerade bei den Perez Schluss gemacht und beeile mich, denn Malik ist heute mit Petro nach Hause gegangen und hat mittlerweile sicher schon Hunger. Ich besorge noch schnell ein paar Sachen im Supermarkt, danach hetze ich mich ab, um so schnell wie möglich zu Hause zu sein. Als ich in unsere Straße einbiege, entdecke ich sofort das gleiche Auto, mit dem Fernando das letzte Mal hier war, wieder auf der gleichen Stelle, gegenüber dem Tortilla-Laden. Fernando lehnt sich ans Auto und beißt gerade genüsslich in einen dieser Brotfladen. Ich folge seinem Blick und entdecke, dass er Malik, Petro und Alonzo beim Fußball beobachtet. Alle drei essen beim Spielen ebenfalls Tortilla, was sie aber nicht davon abhält, trotzdem hinter dem Ball herzu rennen. Als ich näher trete, bemerkt mich Nando, aber er lächelt nicht, er sieht mir einfach zu, wie ich auf ihn zu komme.
»Hey«
»Hey« wieder beißt er in seine Tortilla.
»Was führt euch wieder hierher?« Fernando hält die Tortilla hoch, und diesmal lächelt er leicht. »Lina..« Malik winkt mir begeistert zu »guck mal, Nando ist wieder da, und ich mache Alonzo gerade fertig, wir haben um einen Ball gewettet«. Ich halte den Daumen hoch und wende mich wieder zu Nando um »dein Bruder hat mich scheinbar vermisst« stellt er fest. »Er hat ab und zu nach dir gefragt.« Nando holt eine eingepackte Tortilla aus einer Tüte und hält sie mir hin, ich schüttele den Kopf und beuge mich zu meinen Tüten »ich ….« Nando seufzt laut »bist du sogar zu stolz, um eine einfache Tortilla von mir anzunehmen?« Ich sehe auf, und mein schlechtes Gewissen meldet sich wieder »nein, tut mir leid, ich bin nicht ….zu stolz, …danke.« Ich nehme die Tortilla und stelle mich neben ihn ans Auto. Nando lacht leise »doch bist du, ich habe noch nie so eine Frau wie dich getroffen.« Ich beiße in die Tortilla und zucke die Schultern, ich weiß ja, dass er es normalerweise mit einer ganz anderen Sorte von Frauen zu tun hat.
Ich bin echt kaputt, meine Füße bringen mich um, ich habe es heute noch nicht mal geschafft, mich zwischendurch hinzusetzen. Langsam hebe ich meine Füße und lasse sie kreisen »Malik hat mir erzählt, dass du arbeiten warst? Wie viele Jobs hast du denn?« Fernando öffnet mir die Beifahrertür und deutet mir mich hinzusetzen. Ich nehme seine Geste gerne an und setze mich in das gemütliche Leder, lasse meine Beine aus der Tür hängen und streife meine Schuhe ab.
»Zwei« Nando sieht auf meine nackten Füße und lächelt »wie schaffen es so kleine, schmale Füße, eine solche Last zu tragen?« Ich seufze und lasse meine Füße kreisen, der rote Nagellack, den Josy mir gestern aufgetragen hat, sieht wirklich gut aus.
»Das müssen sie einfach.« Ich beiße wieder in die Tortilla, es gibt wirklich die Besten hier in diesem Laden. Fernando und ich beobachten, wie Malik ein Tor nach dem anderen schießt, ich muss lachen, als Alonzo verzweifelt seine Arme in die Luft hält und zu uns grinst, auch Nando lacht »dein Bruder kann wirklich gut Fußball spielen.« Ich nicke und schlucke den letzten Bissen herunter »er ist der Beste.« Nando dreht sich zu mir um »ihr liebt euch beide sehr« stellt er fest und ich zerknülle das Papier, als ich die Tortilla aufgegessen habe. »Natürlich, er ist mein Herz, du hast doch auch einen Bruder, liebst du ihn etwa nicht?« Ich ziehe mir die Schuhe wieder über und nehme meine Einkaufstüten »doch sicher aber ich habe das Gefühl, ihr beide habt ein besonders enges Verhältnis.« Er hilft mir und hält mir eine Tüte hin »wir …haben schon viel durchgemacht, vielleicht deswegen« gebe ich leise zu und merke gar nicht, dass Fernando näher an mich heran getreten ist. »Was muss ich tun, damit du mich nicht immer abweist?« Ich muss lächeln, am liebsten würde ich ihm sagen, dass dies nicht möglich ist, alleine die Tatsache, dass er zu einer Gang gehört, macht das unmöglich.
»Danke für die Tortilla, Fernando« er seufzt aufgebend, und ich wende mich ab. »Komm bald nach Hause, Malik«.
Zu Hause stelle ich die Einkäufe weg, und da ich nun nicht kochen brauche, gehe ich direkt unter die Dusche. Meine Gedanken schweifen zu Fernando, wäre es nicht so, wäre er nicht ein Natos, könnte ich mich ihm nicht entziehen, selbst mit diesem Wissen fällt es mir immer schwer, wobei ich nicht verstehen kann, was er eigentlich von mir will, wo er doch sonst Frauen um sich hat die so anders, so reizvoller sind als ich und vor allem, die sich nicht so quer stellen wie ich. »Ahhh« Gott, wie ich das hasse, mitten in der Dusche springt das heiße Wasser aus, andauernd passiert das. Wir haben die Rechnung für diesen Monat doch bezahlt. Wütend springe ich klitschnass aus der Dusche, binde mir ein Handtuch um und schlüpfe in Flip Flops. Ich mache mir nicht mal die Mühe, meine Haare zusammenzubinden, so dass die Wassertropfen aus meinen hüftlangen Locken einen nassen Weg hinter sich lassen, während ich stinksauer in den Hausflur eile und an die gegenüberliegende Tür hämmere, wo unser Hauswart wohnt.
Wie zu erwarten, macht sein dicker ungepflegter Sohn die Tür auf, und sein Blick wandert über meinen, nur durch das Handtuch verdeckten Körper, was mich noch wütender werden lässt. »Was soll das? Warum stellt ihr andauernd das warme Wasser ab? Die Rechnung ist diesen Monat doch bezahlt.« Der Sohn zuckt nur die Schultern »der Schalter springt manchmal von alleine aus, ich werde das gleich wieder beheben.« Wirklich großartig »vielen Dank, aber jetzt eilt das auch nicht mehr« zische ich ihn an und will mich gerade umdrehen, als ich bemerke, dass ein ziemlich amüsierter Nando mit Malik im Arm auf der Treppe steht und uns beobachtet.
Bevor ich was sagen kann, entdecke ich, dass Maliks Hose kaputt ist und er aus dem Knie blutet. Sofort eile ich die zwei Stufen hinunter, doch Nando scheint sich wieder gefangen zu haben und kommt mir entgegen. »Ist nicht so schlimm, nur eine kleine Platzwunde.« Malik nickt tapfer, aber ich sehe, dass er sich seine Tränen verkneift, wahrscheinlich, um vor Fernando nicht zu weinen. »Hey Süßer, tut's weh? Komm ich mache dir die Wunde sauber, und dann kriegst du ein Pflaster« Nando trägt Malik in unsere Wohnung, ich laufe hinterher und ziehe mein Handtuch fester zu. Wunderbar, nicht nur, dass er sieht, wie klein und einfach wir wohnen, er findet mich auch noch klitschnass und nur mit Handtuch bekleidet im Hausflur herumschreiend vor. Nando setzt Malik auf unsere Couch und wuschelt ihm über den Kopf »du bist wirklich tapfer Malik, und gewonnen hast du auch noch.« Jetzt strahlt Malik wieder »ja, ich bekomme einen neuen Ball«.
Fernando lacht und schlägt bei Malik ein »den besten, versprochen, das nächste Mal spielst du dann gegen mich.« Malik nickt begeistert, dann dreht sich Nando zu mir um.
Ich begleite ihn in den Flur »danke, dass du ihn gebracht hast…« Plötzlich hat er wieder dieses belustigte Grinsen im Gesicht »weißt du Celina, ich gebe dir mal einen Tipp, wenn ich an der Stelle dieses Mannes wäre und nur einen Schalter zu betätigen bräuchte, um dich so zu sehen, würde ich das wahrscheinlich noch viel öfters tun als er.« Er lacht und sieht an mir herunter, ich sehe empört zur Tür des Hausmeisters, deswegen passiert das nur wenn der Sohn da ist, daran habe ich noch gar nicht gedacht. »Arbeitest du heute?« holt mich Fernando aus meinen Gedanken »nein erst morgen wieder.« er nickt und wendet sich ab »bis morgen«.
Maliks Knie geht es nach einem Pflaster und einem Eis viel besser, den restlichen Abend sitzen wir beide eingekuschelt auf der Couch und sehen fern. Meine Gedanken driften immer wieder zu Nando, aber ich zwinge mich, diesem leichten Kribbeln im Bauch keinerlei Beachtung zu schenken. Auch dass Malik so von ihm schwärmt, versuche ich erst zu ignorieren und bemühe mich, ihm etwas von der Begeisterung zu nehmen, auch wenn es mir schwerfällt, denn er soll sich nicht zu sehr an Fernando Nato gewöhnen.
Der nächste Tag mutiert schon sofort nach dem Aufstehen zur Katastrophe. Wir verschlafen, meine Mutter kommt gerade erst von der Arbeit und legt sich sofort hin, während Malik und ich uns abhetzen und zur Kita rennen. Ich komme viel zu spät zu den Perez, und genau heute ist Frau Perez da. Normalerweise bin ich fast immer alleine mit der Köchin, da Frau Perez ihre Zeit beim Einkaufen oder beim Frisör verbringt, aber ausgerechnet heute bekommt sie Abendbesuch und scheucht uns alle bis zum späten Abend durch das Haus. Zum Glück hat meine Mutter den Nachmittag frei, so dass ich mir wegen Malik keine Sorgen machen muss, allerdings komme ich erst so spät bei den Perez raus, dass ich sofort ins B.B. eilen muss. Ich habe es den ganzen Tag über nur geschafft eine Banane runterzuschlingen, nicht mal ein Dankeschön für die extra Stunden hat einer von uns bekommen, aber was anderes hätte ich auch nicht erwartet. Sobald die ersten Gäste eingetroffen sind, hat sie und alle schnell hinaus gescheucht.
Als ich im B.B. ankomme und hinein flitze, stolpere ich fast über Fernando und seine übrigen Begleiter, die gerade an der Garderobe stehen und ihre Jacken abgeben. Nadia ist heute an der Garderobe eingeteilt und sieht mich mitleidig an, als ich kurz zu Nando und José nicke und gleich weiter will.
»Stressig heute?« Ich gebe ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange »eine absolute Katastrophe, kannst du Joe oben an der Bar anrufen? Ich brauche irgendetwas zum Essen, ich muss mich aber erst umziehen.« Sie nickt »ich kümmere mich darum, wie viel soll ich dir bringen? Hast du noch nichts gegessen?« Ich spurte schnell in Richtung Garderobe »viel bitte, ich habe heute noch gar nichts gegessen.« Ich höre sie seufzen, aber gehe direkt in die Garderobe und beginne mich umzuziehen, bis ich in einer Ecke Josy tief traurig auf einem Sessel sitzen sehe.
Als ich zu ihr gehe, schüttelt sie mir sofort ihr Herz aus, scheinbar hat sie auf meine Ankunft gewartet. Ich weiß, dass sie mir Casper so etwas wie eine Liebelei hat, als mehr würde ich es nicht bezeichnen. Die Tatsache, dass sie in unregelmäßigen Abständen nach den Schichten miteinander schlafen, bedeutet für mich zumindest nicht mehr und auch wenn Josy es nicht zugibt, zeigen ihre Tränen, dass sie sich mehr davon erhofft hat. Heute musste sie allerdings feststellen, dass sie nicht die einzige ist von den Kellnerinnen, die hier arbeiten, mit der er schläft. Ich versuche sie zu trösten, sie hat heute gar keinen Dienst und wollte nur schnell nach mir sehen, als sie es erfahren hat. Ich weiß nicht, ob ich ihr in der Eile wirklich helfen konnte, aber nachdem ich sie beschworen habe, seinetwegen keine Träne zu verlieren, und dass wir beide an unserem nächsten freien Abend die Stadt solange unsicher machen, bis wir anständige Männer für uns gefunden haben, lächelt sie wenigstens wieder. Nadia kommt herein und bringt mir einen Teller mit mehreren Sandwiches und einen mit Obst. Ich bedanke mich freudig, doch an Josys Blick erkenne ich sofort, dass Nadia auch eine der besagten Kellnerinnen ist.
Ich beiße sofort in ein Sandwich und ziehe mich weiter um, als Casper hereinplatzt, so was wie anklopfen kennt er in seinem Club nicht, also ziehe ich schnell das Shirt über meinen BH.
»Aaah Lina, du bist auch schon da, sieh mal was ich habe…« Er hält mir grinsend ein paar hochhackige schwarze Pumps hin. Oh nein, nicht das auch noch »da du ja scheinbar nicht dazu kommst, habe ich die heute besorgen lassen.« Er hält sie mir hin, wenigstens haben sie nicht ganz so extrem hohe Absätze.
»Danke Casper, wie ...nett von dir.« Er lacht »heute ist eine Neue im Normalo- Bereich. Ich habe dich dort mit ihr eingeteilt, damit du sie einweist, also ihr Süßen, bis später.« Damit ist er wieder verschwunden, und ich lasse mich auf einen Stuhl vor den Schminkspiegel fallen, kann die Nacht noch grausamer werden als der Tag?
Drei Stunden später eile ich wie eine Wahnsinnige durch den unteren Normalo- Bereich, und mein Blick fällt immer wieder sehnsüchtig nach oben in den VIP- Bereich, wo es heute scheinbar ruhig zugeht. Der untere Bereich ist überfüllt, ich komme kaum hinterher, zumindest ist die Neue gut und hilft schnell mit. Die Schuhe sind die Hölle, dreimal bin ich schon weggeknickt. Erst taten sie weh, mittlerweile spüre ich meine Füße kaum noch, da sie wahrscheinlich gerade am Absterben sind. Ich bin noch nicht mal dazu gekommen, mich bei Joe für die leckeren Essensteller zu bedanken, die ich schnell in mich reingeschlungen habe. Ab ein Uhr bemerke ich dann allerdings die Vorzüge des Normalo-Bereiches, denn hier muss fast jeder am nächsten Tag arbeiten, da es ja unter der Woche ist. Der Normalo-Bereich leert sich zunehmend. Ich kapsele mich langsam ab und schlendere fix und fertig hoch in den VIP-Bereich, wo ich mich zu Joe an die Bar setze.
»Danke für das Essen, du warst meine Rettung.« Joe gibt mir einen Kuss auf die Wange und stellt mir ein Glas Cola hin »da musst du nicht mir danken, Fernando ist hochgekommen und hat das Essen für dich bestellt, ich hätte dir auch was zusammengebastelt, aber er hat darauf bestanden, dass du genau das bekommst…, hatte ich schon erwähnt, dass er dich meiner Meinung nach mag?« Ich seufze laut »warum hast du ihm nicht gesagt ..« Joe lacht »…dass du das bestimmt nicht willst? Glaub mir, das habe ich, aber er hat grinsend behauptet, du nimmst mittlerweile Essen von ihm an.« Ich muss selber lachen, das hört sich an, als wäre ich ein verwöhntes Monster. Ich drehe mich um und sehe zum üblichen Natos-Tisch, aber ich entdecke Nando nirgendwo.
Ich lasse meinen Blick schweifen und erblicke ihn dann in der Tanzecke, eine Frau sitzt auf seinem Schoss und beide sind scheinbar schwer beschäftigt. Einen kurzen bitteren Aufschnaufer kann ich mir nicht verkneifen »da sieht man ja, was ein Fernando Natos unter 'jemanden mögen' versteht.« Joe folgt meinem Blick und lacht »glaub mir Kleine, auch wenn ihr Frauen das nie versteht, aber wir Männer können einen Unterschied machen zwischen dem..« er zeigt auf sein Herz »und dem.« Er zeigt ...an eine Stelle weiter unten.
»Okay…, darauf werden wir jetzt nicht näher eingehen« lachend verziehe ich mein Gesicht zu einer Grimasse und trinke das Glas leer. »Ist Casper im Büro?« Joe nickt, und ich mache mich auf dorthin. Ich lasse mir von Casper das Trinkgeld der letzten Nächte ausrechnen und geben, da er die Nächte davor immer schon früher weg war und wir keine Abrechnung machen konnten. Da der Normalo-Bereich fast leer ist, soll ich der Neuen nur noch die Garderobe richtig zeigen, und dann kann ich Schluss machen. Auf dem Weg zurück schaue ich bewusst nicht nochmal in die Ecke, in der sich Nando gerade amüsiert, so sehr ich es hasse, aber es versetzt mir doch einen Stich, das zu sehen.
Als ich mit der neuen Kellnerin zur Garderobe hinunterlaufe knicke ich das vierte Mal um, und diesmal schmerzt mein Fuß noch heftiger. Ich fluche, ziehe die verdammten Stöckelschuhe aus und schmeiße sie gegen die Wand. Dieser Tag und diese Nacht sind eine reine Katastrophe, ich will nur noch nach Hause ins Bett und schlafen. Den Rest des Weges humpele ich, da ich kaum noch auftreten kann. Ich bin mittlerweile viel zu geschafft um mich umzuziehen, also lasse ich einfach die Sachen vom B.B. an, stopfe meine anderen in meine Tasche und zeige der Neuen auf die Schnelle, wo sie was findet.
Nachdem ich mich bei Nadia verabschiedet habe und sie mir verschiedene Tipps gegeben hat, wie ich den Fuß bis morgen wieder einsatzfähig bekomme, trete ich an die frische Luft und könnte wirklich anfangen zu heulen. Mein Fuß bringt mich um, ich bin so erschöpft, dass ich auf der Stelle einschlafen könnte und ...es regnet. Wie selten regnet es hier, aber jetzt und ausgerechnet heute, regnet es. Resigniert lasse ich mich auf den Treppen vor dem Club nieder und ziehe meinen Schuh von dem schmerzenden Fuß. Ich komme mit diesem Fuß sowieso nicht nach Hause, ich kann kaum einen Schritt laufen, es wird mir nichts übrig bleiben als auf Joe zu warten, damit er mich mitnimmt.
Bevor ich zurückkehre, ziehe ich mir auch den zweiten Schuh aus und strecke meine Beine aus. Ich werde noch von dem kleinen Vordach beim Eingang bedeckt, aber als ich die Beine ausstrecke, meine Beine nicht mehr, so dass der Regen auf sie tropft.
Verträumt blicke ich in den Regen und frage mich, wie oft ich in letzter Zeit gedacht habe, wie schrecklich mein Leben gerade verläuft, wie sehr ich das alles hasse und wann ich das letzte Mal wirklich glücklich war. Ohne Probleme, ohne Sorgen und Verpflichtungen. Ich bin gerade 20 Jahre alt und komme mir so viel älter vor, denn ich kann nicht das unbeschwerte Leben führen, wie andere in meinem Alter.
»Celina?« Ich schrecke zusammen, ich muss so in den Regen vertieft gewesen sein, dass ich nicht gemerkt habe, dass noch Gäste den Club verlassen. Fernando, José und zwei Frauen, eine von ihnen, um die Nando seinen Arm legt, erkenne ich als diejenige, mit der er vorhin offensichtlich so viel Spaß hatte.
»Was tust du hier?« Nando sieht mich verwundert an und vor allem auf meine Beine, die ich in den Regen halte. Ich ziehe sie zurück »ich wollte gerade nochmal zurück..« Ich deute auf den Club. Er sieht in den Regen hinaus »soll ich dich nach Hause bringen?« Ich ziehe meine Beine zurück und schlüpfe wieder in meine Schuhe, allein das schmerzt schon. »Nein danke, das brauchst du nicht.« Er zeigt auf die Wagen »das ist kein Problem, wir sind mit zwei Autos hier.« Ich stehe auf, wobei ich leise aufstöhne, als ich den Fuß aufsetze, was natürlich niemandem entgeht. »Bist du verletzt?« Ich winke ab und will zurück humpeln »nur leicht umgeknickt, es geht schon, ich warte auf Joe, der fährt mich nach Hause, aber danke für das Angebot.« Fernando will mich am Arm festhalten, aber in dem Moment verliere ich mein Gleichgewicht beim Versuch, den einen Fuß nicht zu belasten, und plötzlich klammere ich mich an seinem Arm fest.
Natürlich kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen »ich fahre dich, der VIP-Bereich ist noch voll, du willst doch sicher nicht noch so lange hier warten, nachdem du schon den ganzen Tag gearbeitet hast und noch nicht mal zum Essen gekommen bist?« Auch wenn Fernando mich leicht aufzieht, muss ich lächeln »ach ja, danke für das Essen vorhin, ich hatte wirklich Hunger, aber keine Sorge, ich kriege das schon hin. Du hast doch sicher noch etwas vor, ich will dich nicht um deinen Spaß bringen.«
Ich deute mit dem Kopf zu der Frau, die neben José und seiner Begleitung steht, alle drei beobachten uns. Die Frauen genervt, José hat sich mittlerweile scheinbar an die Diskussionen zwischen Nando und mir gewöhnt. Fernando lacht leise »meine Güte, du bist wirklich unglaublich, ich fahre dich und glaub mir, es gibt nichts, was ich gerade lieber tun würde.« Etwas verwundert über diese Antwort, vor allem in Anbetracht dessen, dass besagte Frau gerade neben uns steht, gebe ich einmal nach. Was kann schon passieren, wenn ich mich schnell von ihm nach Hause bringen lasse? Da ich auch nicht gerade eine gute Alternative dazu habe, außer noch mehrere Stunden mit schmerzenden Fuß auf Joe zu warten, stimme ich zu.
5
El Destino
«Ich bringe Celina nach Hause.» Nando wendet sich an seinen Bruder, die Frau mit, der er sich vorhin noch so offensichtlich begnügt hat, verdreht beleidigt die Augen. «Okay viel Spaß, bye Lina.» José scheint das Ganze nicht weiter zu erstaunen, die drei gehen die Treppen runter, wobei die Frau einen enttäuschten Blick zu Nando zurückwirft. Ich muss leise lachen «tut mir wirklich leid, ich glaube, du hast viel Spaß verpasst.» Nando grinst «bleib hier, das Auto steht zu weit hinten auf dem Parkplatz, ich hole es schnell.» Während er das Auto vom hinteren Parkplatz holt, gehe ich langsam die Stufen herab, bis ich unten angekommen bin, ist Fernando schon vorgefahren und steigt schnell aus. «Der Sinn der Sache war, dass du nicht nass werden solltest.» Er hält mir lachend die Beifahrertür auf, und ich steige ein. Dieses Auto ist der pure Luxus, ich seufze wohlig auf, als ich mich in das weiche Leder setze. Fernando setzt sich auf die Fahrerseite und startet den Wagen, wobei tausend Knöpfe aufleuchten. Ich kann mich nicht daran erinnern, schon einmal in solch einem Auto gesessen zu haben.
Während er das Radio leiser stellt, sehe ich, wie José mit den beiden Frauen vom Parkplatz fährt. «Ist sie deine Freundin?» Ich streife mir den Schuh vom Fuß, und das ist gleich eine Erleichterung. Fernando fährt los «wer?» Ich sehe ihn verwundert an «naja, die Frau eben, ich habe euch schon vorhin an der Tanzfläche zusammen gesehen.» Fernando sieht von der Straße weg zu mir und lächelt «sie ist nicht meine Freundin, sie ist nur ein Zeitvertreib.» Ich ziehe die Augenbrauen hoch «okaaay, das ist ehrlich, weiß sie das auch?» Doch dann fällt mir wieder ein, dass ich dazu gar nicht berechtigt bin. «Mmmhh, vergiss es, das geht mich gar nichts an.» Ich blicke aus dem Fenster. «Sie weiß, dass ich nichts Ernstes von ihr will, so wie auch die anderen. Jeder hat seinen Spaß, jeder weiß offen, worum es geht.» Ich drehe mich wieder zu ihm um und mustere ihn von der Seite. Jetzt sehe ich sein Tattoo am Hals aus der Nähe. Es ist ein N, was sicherlich für Natos steht. Normalerweise mag ich solche Tätowierungen gar nicht, aber ich muss zugeben, es sieht gut aus, gefährlich und irgendwie sexy, auf jeden Fall lässt es keinen Zweifel was er ist.
«Habe ich dich jetzt schockiert?» Sein Blick richtet sich wieder auf mich und bleibt an meinen Augen hängen. «Nein, jeder wie er es mag.» Fernando lacht leise «es ist nicht so, dass ich das bevorzuge, aber… bis jetzt habe ich noch keine Frau getroffen, mit der ich eine feste Beziehung führen will.» Sein Blick ändert sich, ich wende mich ab und sehe aus dem Fenster. «Wie geht es Malik und seinem Knie?» Ich zucke mit den Schultern «ich habe ihn heute nicht gesehen oder vielmehr gestern.» Ich schaue zur Uhr «ich bringe ihn in ein paar Stunden zur Kita, dann sehe ich mal nach.» Aus den Augenwinkeln merke ich, dass Fernando mich immer wieder ansieht, aber mein Blick bleibt aus dem Fenster gerichtet. Hier im Auto ist seine Präsenz, sein männlicher Duft, alles noch viel intensiver, als für gewöhnlich. Da fällt es mir schon immer schwerer, mich ihm zu entziehen. «Glaubst du ans Schicksal, El destino Celina?» Diese Frage bringt mich allerdings dazu, ihn wieder anzusehen.
«Nein nicht sonderlich, warum, du etwa?» Fernando grinst «bis jetzt auch nicht, aber findest du es nicht merkwürdig, wie oft sich unsere Wege kreuzen?» Obwohl sein Ton ernst ist, muss ich auflachen «so merkwürdig ist das nicht, wenn man bedenkt, dass ich in dem Club arbeite, wo du ja Stammkunde bist.» Fernando hält an einer Ampel und sieht mir in die Augen. «So oft wie jetzt war ich früher nicht da. An dem Tag, wo ich dich das erste Mal gesehen habe, war es eher ein Zufall, dass ich dorthin gekommen bin, eigentlich wollte ich woanders hingehen. Seitdem komme ich eigentlich fast nur so oft, um dich zu sehen.» Verdammt, Nando ist wirklich sehr direkt, ich räuspere mich, doch er macht ungehindert weiter. «Und was ist mit den anderen Ereignissen, Celina? Warum schießt Malik genau in mein Auto? Warum habe ich dich gerade vor dem Club gefunden? Wir wären noch geblieben, aber José wollte unbedingt früher gehen, um mit seiner Eroberung ungestört zu sein, und wer sitzt da vor dem Club? El destino.» Auch er muss über seine Theorie lachen, aber ich muss zugeben, dass sie nicht so ganz von der Hand zu weisen ist.
«Na gut und was denkst du, will das Schicksal uns sagen?» Immer noch lachend gehe ich auf sein Schicksalsspiel ein, Nando zuckt die Schultern «mal sehen, das wird sich zeigen, auf jeden Fall sträube ich mich nicht so dagegen wie du. Ich finde, das Schicksal meint es sehr gut mit mir.» Er zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich leicht tadelnd an.
Erst jetzt bemerke ich, dass wir vor meiner Haustür halten und wende mich von Fernandos intensivem Blick ab. Ich will meinen Schuh wieder überziehen und fluche leise, weil es so schmerzt. «Kann ich mal sehen?» Fernando sieht zu meinem Fuß. «Bist du etwa ein Arzt?» Er zuckt die Schultern «ich hatte schon so einige Verletzungen.» Darauf wette ich, doch ich halte meinen Fuß etwas höher. Anstatt, dass Fernando nur einen Blick darauf wirft, nimmt er ihn in seine Hand. «Celina, der ist geschwollen, du musst das untersuchen lassen.» Sein Finger streichelt vorsichtig über die am meisten schmerzende Stelle.
Langsam entziehe ich ihm meinen Fuß wieder «das geht schon, Nadia hat gesagt, etwas Quark raufstreichen….» Fernando startet den Motor wieder «etwas Quark? Ich bringe dich zum Arzt.» Ich platziere meinen Fuß wieder in eine angenehme Position, wahrscheinlich ist das wirklich besser, mit einem guten Verband kann ich wenigstens morgen die Arbeit bei den Perez überstehen.
Während Fernando scheinbar die Autobahn ansteuert, kuschele ich mich noch mehr in den weichen Sitz und gähne leise. »Du überraschst mich, ich hätte gedacht, du wehrst dich mit Händen und Füßen dagegen, dass du noch länger hier bei mir sein sollst.»
Mein Blick verweilt wieder auf ihm. «Ich denke, ich sollte mich nicht gegen das Schicksal stellen?» Fernando lächelt leicht. «Tut mir leid, wenn ich manchmal so abweisend bin, es ist nicht so, dass ich dich nicht mag, es ist einfach…komplizierter…» Ich will gerade weiterreden, da merke ich, dass wir am Städtischen Krankenhaus vorbeifahren.
» Wir müssen hier raus.» Fernando folgt meinem Blick «willst du drei Stunden warten, damit dich dann ein Vollidiot untersucht, wir fahren zu einem richtigen Arzt.» Ich seufze schwer «das kann ich mir nicht leisten Fernando, das sollte dir doch mittlerweile aufgefallen sein.» Sein Blick geht wieder auf die Fahrbahn «du brauchst da nichts zu zahlen, der Arzt ….sagen wir er steht in unserer Schuld, also behandelt er uns umsonst, und er ist wirklich gut.» Ohne es zu beabsichtigen, bekomme ich eine Gänsehaut, er steht in unserer Schuld, Schicksal hin oder her, an so was würde ich mich nie gewöhnen können.
«Ich gehöre aber nicht zu euch, also werde ich bezahlen müssen» stelle ich trocken fest, doch das zaubert nur ein Lachen in Fernandos Gesicht. «So schnell ist das nicht- gegen-das-Schicksal-stellen wieder vergessen? Du bist mit mir, also gehörst du zu mir, also bezahlst du nicht.» Fernando fährt einen kleinen Privatweg hinein und hält vor einer teuer aussehenden Privatklinik. Bevor er aussteigen kann, halte ich seine Hand fest, und er sieht mich verwundert an. «Was ist mit Rafael passiert?» Er bleibt sitzen und mustert mich fragend «mit wem?» Ich schlucke leise, kann aber seine Hand auch nicht loslassen. «Rafael, denjenigen der mich so bedrängt hat.» Nando scheint zu begreifen und umfasst meine Hand, mit der ich seine gerade noch festgehalten habe, nun vollständig mit seiner. «Du meinst diesen Anwaltstypen, der dich geschlagen hat? Was soll mit ihm sein? Er wird es sicher nicht mehr wagen, in deine Nähe zu kommen.» Ich räuspere mich «ist er…also lebt er noch?» Meine Stimme wird immer leiser, ich hätte gar nicht erst fragen sollen, doch Nando lacht auf «sicher tut er das, auch wenn ich mich dafür wirklich zurückhalten musste.» Damit steigt er aus und kommt auf meine Seite.
Ich lege den Kopf in den Nacken, was zum Teufel tue ich hier eigentlich? Fernando öffnet die Tür und hält mir seine Hand hin. Erst laufen wir sehr langsam Richtung Eingang, doch Nando scheint nicht der Geduldigste zu sein und ohne mich vorzuwarnen, hebt er mich auf seine Arme. Mir bleibt nichts übrig, als meine Hände um seinen Nacken zu legen und mich festzuhalten. «Das hätte ich schon geschafft.» Fernando lacht «das war ja klar, natürlich hättest du das, aber dann wären wir erst morgen in der Klinik angekommen.»
«Ich merke schon, dass du scheinbar heute alles in die Länge ziehen willst, erst das Städtische Krankenhaus, dann den Weg langsam laufen. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne bei dir bleiben will, du musst nur ein Wort sagen, dann finden wir bestimmt noch bessere Sachen, die wir machen können, als im Krankenhaus die Zeit totzuschlagen.» Obwohl ich selber meine Gesichtsröte spüre, schnaufe ich sauer auf, was Nando zum Lachen bringt. Er zieht mich enger an sich, mein Atem stockt, als er seine Nase in meinen Hals vergräbt. «Ich liebe deinen Geruch, welches Parfüm benutzt du?» Er zieht seinen Kopf wieder zurück und sieht mich fragend an, während ich wieder durchatme.
«Ich habe heute kein Parfüm drauf, Fernando, da kommt eine Treppe» weise ich ihn zurecht und habe das Gefühl, dass mein Gesicht sicherlich mittlerweile die Farbe einer reifen Tomate hat. Fernando scheint das alles zu amüsieren, überhaupt scheine ich ihn ständig zu amüsieren.
«Hallo Maria, ist Mister Lopez da?» Die dickliche Empfangsdame in der Privatklinik sieht auf, als Fernando sie anspricht. Er denkt offensichtlich nicht daran, mich wieder herunterzulassen. Ich sehe mir die hochmoderne Klinikeinrichtung genau an und nehme einen widerlichen Geruch wahr, der in meiner Nase brennt. Mir fällt auf, dass ich noch nie in einer Klink war. In Lares hatten wir einen Hausarzt, der immer ins Haus gekommen ist. Und hier weiß ich zwar, wo das Krankenhaus ist, aber zum Glück musste noch niemand von uns dahin. «Oh Hallo Fernando, ja der ist da. Ich sage ihm sofort Bescheid, ist es ein Notfall?» Nando sieht an meinem Fuß herunter «ja.» Ich schlage ihm leicht auf die Brust und er lacht, doch Maria ist schon los geeilt, ohne dass ich ihr sagen kann, der Arzt muss meinetwegen keinen anderen Menschen verbluten lassen.
Da noch andere Leute im Eingangsbereich zu warten scheinen, beuge ich mich näher zu Nandos Ohr. Da er mich noch immer auf seinen Armen hält, ist das nicht mal umständlich. «Nach was riecht das hier? Übrigens kannst du mich wieder runterlassen.» Amüsiert stelle ich fest, dass Fernando eine Gänsehaut bekommt, als ich ihm in sein Ohr flüstere.
«Es riecht eben nach Krankenhaus, und ich denke gar nicht daran, dich wieder runterzulassen.» Ich ziehe noch einmal den Geruch in meine Nase und schüttele mich leicht «es riecht nach Tod» flüstere ich zurück, doch bevor Fernando antworten kann, tritt ein älterer Mann mit einer Halbglatze und einer dünnen Brille auf der Nase zu uns. Durch unsere geheime Konversation haben wir den Arzt gar nicht bemerkt. «Fernando, wie geht’s dir? Was hast du denn da heute mitgebracht?» Der Arzt mustert uns und ist etwas amüsiert, wie ich in Fernandos Armen liege.
Fernando lässt mich erst auf der Liege im Behandlungszimmer herunter, nachdem der Arzt uns dorthin geführt hat. Auf dem Weg hat sich der Arzt ausführlich angehört, wie es zu meinem angeschwollenen Fuß gekommen ist und gleich gesagt, er will ihn röntgen. Sofort kommt eine Krankenschwester in den Raum, Nando und der Arzt gehen hinaus, während sie meinen Fuß röntgt. Erst danach kommen beide wieder herein, Fernando tritt automatisch zu mir an die Liege, während er sich mit dem Arzt unterhält. Scheinbar kennen sich die beiden wirklich gut, denn der Arzt fragt nach mehreren Personen, wobei ich nur José erkenne. Er erkundigt sich auch nach einer schwangeren Olivia, und Fernando berichtet, dass es ihr gut geht, dass nur Arturo alle in den Wahnsinn treibt. Ich werde zwar nicht ganz schlau aus der Unterhaltung, aber ich merke, dass Fernando von seiner Familie redet. Die Art und Weise, wie er von ihnen redet, zeigt dass sie ihm nahestehen.
Ich höre ihrer Unterhaltung zu und spüre, wie erschöpft ich bin. Die Uhr zeigt an, dass es bereits drei Uhr früh ist, und ich kann meine Augen kaum noch offen halten. Es wird erst besser, als der Arzt sich wieder an mich wendet und ein paar Angaben zu mir erfragt. Während ich sie beantworte, spüre ich, dass Nando genau zuhört. «Oh wie schön, sie werden ja in einer Woche 21» stellt der Arzt fest, und ich nicke nur unbeteiligt. Mein Geburtstag wird sowieso kein großes Ereignis in diesem Jahr, dessen bin ich mir bewusst. Als die Krankenschwester mit den Röntgenaufnahmen hereinkommt, sieht sich der Arzt die Bilder an und stellt fest, dass nichts gebrochen ist. Mein Fuß ist verstaucht, er macht mir einen festen Verband um, in zwei Tagen sollten die Schwellung und die Schmerzen vorbei sein. Er gibt mir noch eine Spritze, die mir erst einmal die Schmerzen nimmt und erwähnt, dass ich sicher sehr müde werde und gefahren werden müsste. Beides ist offensichtlich kein Problem, müde bin ich so oder so, und Fernandos wachsame Augen auf mir scheinen mir Versprechen genug, dass ich nach Hause gebracht werde.
«Fernando, ich würde mir gerne noch einmal deine Schulter ansehen, gibt es damit noch Probleme?» Jetzt blicke ich doch etwas wacher zu Nando, der nur die Schultern zuckt «es geht wieder, ich denke es ist gut verheilt.» Der Arzt lächelt mild «lass mich mal sehen.» Fernando erhebt sich neben mir und zieht sein Shirt aus. Als erstes erblicke ich eine schwarze Waffe, die er unter seinem Shirt in den hinteren Hosenbund gesteckt hatte. Als wäre es das natürlichste der Welt, legt er diese auf die Liege. Auch der Arzt scheint das überhaupt nicht merkwürdig zu finden, im Gegenteil, es scheint fast so, als hätte er nichts anderes erwartet. Ich betrachte die neben mir liegende Waffe, während der Arzt zu Nando tritt, dann erst wende ich meinen Blick wieder zu ihnen. Obwohl ich weiß, dass ich es nicht so offensichtlich tun sollte, kann ich meinen Blick nicht von seinem Oberkörper nehmen, während der Arzt eine Narbe auf Nandos linker Schulter untersucht. Sie scheint noch ziemlich frisch zu sein, auch ist sie etwas länger, was auf eine größere Wunde schließen lässt. Fernandos Oberkörper habe ich schon immer als gut gebaut eingeschätzt, aber so durchtrainiert habe ich ihn auch wieder nicht erwartet.
Er sieht fantastisch aus, seine braune Haut glänzt, und außer einem kleinen schwarzen Flaum, der sich von seinem Bauchnabel bis zur Hose zieht, hat er keine Haare auf der Brust. Neben seiner Tätowierung am Hals, die ich nun vollständig sehen kann, hat er auf seinem massigen, rechten Bizeps eine Hand, die zwei Finger kreuzt, La Natos, steht darunter. Ohne Zweifel das Zeichen der Natos. Im Kontrast zu all dem steht ein goldenes Kreuz, welches er an einer dünnen Kette um seinen Hals hängt.
«Das war wirklich knapp, zum Glück hat es keine wichtigen Nerven oder Knochen zerstört Fernando, aber es war nicht einfach, die Kugel heraus zu bekommen.» Erst durch die Blicke beider Männer die zu mir herum schnellen merke ich, dass ich wohl ziemlich laut die Luft eingezogen haben muss.
Nando zieht sein Shirt über und steckt die Waffe wieder in seinen Hosenbund, währende der Arzt mir eine Packung mit Schmerzmitteln gibt. Er sagt Nando, dass er in ein paar Tagen bei ihm zu Hause vorbeikommt, um nach Olivia zu sehen. Wir verabschieden uns, und ohne einmal zu zögern, hebt mich Fernando wieder in seine Arme. Scheinbar wirkt die Spritze schon, denn auf dem Weg zum Auto lege ich meinen Kopf an seine Brust und schließe die Augen, es ist mir unmöglich sie noch länger offen zu halten. Ich spüre, wie Nando mich vorsichtig in den Sitz setzt und den Sitz nach hinten stellt. Das nächste, was ich mitbekomme, ist, wie ich wieder hochgenommen werde. Halbwach registriere ich Nando, und ohne es steuern zu können, kuschele ich mich an seine Brust, ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber ich habe für einen kurzen Moment das Gefühl, als berühren weiche Lippen meine Wange. Ich höre die besorgte Stimme meiner Mutter und will mich zwingen richtig wach zu werden, um sie zu beruhigen, doch meine Augen weigern sich. Dann spüre ich mein Bett und wie sich Malik sofort an mich heran kuschelt.
Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffne und auf die Spiderman-Uhr neben dem Bett blicke, welche Malik erst vor ein paar Tagen bekommen hat, falle ich vor Schreck fast aus dem Bett. Es ist schon nachmittags. Wie verrückt sprinte ich aus dem Bett, nur um mit einem stechenden Schmerz im Fuß gleich wieder dafür bestraft zu werden. Ich gehe in den Flur und finde meine Handtasche, suche mein Handy heraus und wähle die Nummer meiner Mutter. Sie beruhigt mich sofort, die Perez wissen Bescheid, dass ich heute nicht komme. Frau Perez war zwar nicht glücklich, aber da ich noch nie gefehlt habe, wird sie es wohl einmal verkraften. Im B.B. habe ich erst morgen Nacht wieder Dienst, deswegen lasse ich mich beruhigt aufs Sofa plumpsen.
«Wer war eigentlich der nette junge Mann, der dich gestern nach Hause gebracht hat?» Man kann das Grinsen meiner Mutter förmlich durchs Telefon sehen, mein Herz beginnt unruhig zu rasen «das war Fernando…ich kenne ihn.. von der Arbeit.» Sie lacht leise «ach, das ist also dieser Nando, von dem Malik immer redet. Er scheint sehr nett zu sein, ich war ihm gestern so dankbar, dass er sich um dich gekümmert hat. Er hat dich bis in dein Bett getragen. Übrigens liegt im Flur seine Handynummer, falls irgendetwas ist, können wir ihn immer dort erreichen. Er scheint ein freundlicher Mann zu sein und sehr gutaussehend.» Ich stöhne leise auf «wir sind nur…» ich stocke, keine Ahnung was wir sind. «Okay Mama, bis später.» Meine Mutter kichert noch mal, und ich lege auf.
Eine Weile starre ich auf mein Handy, lange habe ich nicht mehr so eine Freude in der Stimme meiner Mutter gehört. Wahrscheinlich denkt sie, dass ihre Tochter einen vernünftigen, guten Mann kennengelernt hat und freut sich deshalb. Wie sollte sie es auch erkennen, mir selber fällt es so schwer, in dem gutaussehenden, lieben und witzigen Fernando, der es sicher auch ist, zumindest mir gegenüber, den anderen Fernando zu sehen. Den Nando, der mit Schussverletzungen ins Krankenhaus kommt und eine Waffe bei sich trägt, der Probleme auf seine Art und Weise löst, und ich will mir nicht mal wirklich vorstellen, wie diese ist.
Ich werfe das Handy auf den Tisch, wenn sie wüsste was bzw. wer Fernando Natos ist, würde sie ausflippen, zurecht.
El destino, eher un desastre.
Kapitel 5
(noch nicht vollständig)
Nachdem ich aufgrund des Fußes umständlich geduscht habe, und diesmal lief das warme Wasser, ziehe ich mich an und mache etwas sauber. Ich kann mich viel besser bewegen, der Fuß schmerzt nur noch leicht dank des festen Verbandes, den der Arzt mir gestern gemacht hat. Meine Gedanken driften immer wieder zu Fernando ab, wieso muss ich mich ausgerechnet zu ihm hingezogen fühlen, und warum kreuzen sich ausgerechnet unsere Wege immer wieder? Ich werde garantiert nicht anfangen, an so etwas wie ans Schicksal zu glauben.
Während ich noch meinen Gedanken hinterher hänge, klingelt es an der Haustür. Als ich sie öffne, sehe ich erst mal nur auf einen riesigen Blumenstrauß. Etwas verwirrt entdecke ich schließlich den kleinen Lieferanten, den man durch den großen Strauß und seine Mütze kaum erkennen kann. »Celina Sanchez?« Ich nicke und der Mann übergibt mir den Strauß »können sie sich ausweisen?« Noch verwirrter gehe ich zurück und hole meine Tasche, seit wann muss man sich wegen Blumen ausweisen? Als ich dem Mann meinen Ausweis gebe, überprüft er ihn und vergleicht die Daten mit einer Liste, dann zieht er ein Päckchen aus seiner Umhängetasche und überreicht es mir »schönen Tag noch Señora.« Total verdattert blicke ich ihm hinterher und mir fällt ein, dass ich nicht mal weiß, von wem das alles kommt, obwohl ich es mir schon denken an.
In dem Moment, wo der Lieferant aus dem Haus geht und ich ihm hinterherrufen will, kommt Josy hinein und blickt von ihm zu mir. »Oh, Lina, Schätzchen, ich habe dich auch vermisst, aber so ein Empfang war nicht nötig« witzelt sie und schiebt mich in die Wohnung. Ich lege die Blumen beiseite und suche nach einer Karte und werde fündig. Inmitten der vielen Rosen und anderen Blumen steckt eine einfache weiße Karte
Ich hoffe deinem Fuß geht es wieder besser, übrigens siehst du aus wie ein Engel, wenn du schläfst
Fernando
Ich schließe die Karte wieder und sehe zu Josy, die mich erwartungsvoll anblickt. Jetzt erst scheint sie meinen Fuß zu bemerken. »Okay was habe ich verpasst?«
Nachdem wir uns Kaffee gebrüht und es uns in der Küche gemütlich gemacht haben, erzähle ich Josy alles, was gestern passiert ist. Sie hat das Ganze ja gestern nicht mitbekommen und scheint entzückt über Nandos Verhalten zu sein, wobei ihr gleich wieder einfällt, über Casper herzufallen und sein Verhalten mit dem von Nando zu vergleichen. Nun schauen wir schon geschlagene 5 Minuten auf das eingepackte Päckchen, was auf dem Tisch zwischen uns liegt. »Stell dich nicht so an Lina, öffne es, er wird dir sicher keine Bombe geschickt haben.« Ich seufze leise und werfe ihr einen bösen Blick zu. Wirklich erklären, warum ich den Inhalt des Paketes nicht wissen will, kann ich nicht genau, es ist mehr ein Bauchgefühl, vielleicht weil es droht einen Schritt weiter zu gehen. Bis jetzt war Fernando höflich und nett zu mir, hat mir geholfen und wenn man will, kann man auch Interesse an mir aus seinem Verhalten schließen, aber es war halt nie eindeutig. Das kann alles ändern, und deswegen habe ich diese Panik wahrscheinlich. Letztlich nehme ich das Päckchen und entferne das blaue Geschenkpapier. Darunter verbirgt sich eine schwarze Samtschachtel und als ich die Aufschrift lese, stockt mein Atem während Josy losquietscht. Als ich das Päckchen öffne, blicke ich auf ein wunderschönes goldenes Armband. Ich nehme dieses heraus, es ist ein feines Armband und es glänzt unwahrscheinlich. Ich entdecke, dass es einen kleinen Engel als Anhänger hat, es ist wunderschön, ich will mir nicht mal vorstellen, wie teuer es ist.
»Du hast einen Verehrer… und was für einen.« Josy nimmt das Armband, das ich wieder zurückgelegt habe und betrachtet es. »Ich habe noch nie so was Schönes bekommen« schmollt sie und ich stütze meinen Kopf in die Hände, was zum Teufel passiert hier gerade?
»Kannst du mir jetzt mal verraten, was du für ein Problem mit Nando hast? Es gibt Frauen, die sind bereit, alles zu geben, um von ihm beachtet zu werden und ich habe gesehen, dass du ihn magst. Also wo liegt das Problem?« Ich versuche Josy zu erklären, dass mich nicht Nando stört, sondern einfach, was er ist und bei der Gelegenheit will ich gleich rauskriegen, was es eigentlich bedeutet, dass Fernando zu den Natos gehört. Wirklich viel weiß ich über die Natos nicht gerade, das, was man sich erzählt, was in Gangs passiert, was ich selber auf dem Land mitbekommen habe, aber so richtig Bescheid weiß ich nicht.
Leider weiß Josy auch nicht sehr viel mehr, sie erzählt, dass die Natos die größte Gang, also Familia, in Puerto Rico ist, dass sie sehr gefährlich sind und sich deswegen niemand mit ihnen anlegt. Dass sie sehr reich sind, muss sie nicht erwähnen, tut sie allerdings trotzdem. Außer José, Fernando und Alonzo kennt sie, aber sonst niemanden weiter von ihnen. Nur José und Fernando gehören zu den engsten Mitgliedern, die zur richtigen Familie gehören, die anderen, die mit ihnen sind, gehören auch dazu, aber sind in keiner führenden Position. So wie sie das erzählt, hört es sich an, als wäre es eine kleine nette Familienfirma. Fernando hat scheinbar einen eindeutigen Ruf, er soll der gefährlichste von ihnen allen sein und keine Gnade kennen. Es ist mir unmöglich, das mit dem Fernando in Verbindung zu bringen, der mich gestern durch die Gegend getragen hat, auch wenn ich seine Waffen und Verletzungen gesehen habe.
Mittlerweile weiß ich, dass genau das mein Problem ist, ich weiß was und wer er ist, aber sobald er bei mir ist, kann ich das nicht mehr miteinander in Verbindung bringen, und das macht mich wahnsinnig. Ich nehme mein Handy und schreibe Fernando eine Nachricht.
Vielen Dank für die Blumen und das Armband, aber ich kann das unmöglich annehmen, Lina.
Ich nehme seine Nummer aus dem Flur und schicke die Nachricht ab, kurze Zeit später wird Malik von Petros Mutter nach Hause gebracht.
Den restlichen Nachmittag und Abend liege ich faul auf der Couch, was für mich ziemlich ungewohnt ist und obwohl ich es sollte, kann ich mich nicht wirklich entspannen. Josy ist irgendwann zum B.B. aufgebrochen, da sie heute arbeiten muss und als Malik schläft, hole ich das Armband nochmal hervor. Ich drehe und wende es in meiner Hand und betrachte den kleinen Engel, versuche zu begreifen, was Fernando eigentlich von mir will. Wie Josy schon gesagt hat, er kann jede Frau haben. Die Frauen, von denen er meistens umgeben ist, sind so anders als ich und vor allem sind sie nicht so abgelehnt gegen seine Bemühungen wie ich, wieso sollte er ausgerechnet an mir Interesse haben?
Am nächsten Morgen wird Malik von Petros Mutter mitgenommen. Während meine Mutter schläft, gehe ich einkaufen. Meinem Fuß geht es wieder ziemlich gut, ich lasse den Verband zur Sicherheit aber noch dran.
Als ich vom Einkaufen wiederkomme, ist meine Mutter schon mit dem halben Bein aus der Tür, um zur Arbeit zu kommen und ich beginne zu kochen. Da ich im Haus der Perez die Möglichkeit habe, mir vieles bei ihrer fantastischen Köchin abschauen, liebe ich es mittlerweile etwas Leckeres zuzubereiten, wenn ich die Zeit dafür habe. Ich mache eine Lasagne mit der Spezialsoße, die mir die Köchin gezeigt hat und kurz nachdem ich diese in den Ofen geschoben habe, klingelt es.
Etwas überrumpelt blicke ich auf Fernando, als ich die Haustür öffne. »Hey!« Fernando lächelt, und in mir bereitet sich gleich wieder dieses Kribbeln aus, welches ich nicht zulassen darf. »Hey, ich wollte nachsehen, wie es deinem Fuß geht.« Ich trete zur Seite, damit er hineinkommen kann, mittlerweile weiß er ja, wie wir leben. Nando tritt an mir vorbei in die Wohnung. »Meinem Fuß geht es schon viel besser, ich brauchte heute nicht mal mehr die Schmerztabletten«.
Ich schließe die Tür wieder und drehe mich zu ihm um. »Bist du alleine?« Ich nicke und Fernando sieht sich um, dabei fällt ihm wohl das Kästchen mit dem Armband auf. »Ich habe deine Nachricht gestern bekommen« murmelt er leise, und ich gehe in die Küche, um dieser Diskussion aus dem Weg zu gehen. »Willst du was trinken?« Er kommt mir hinterher und grinst. Ich hole Gläser aus dem Schrank. Als ich mich ihm wieder zuwende, fällt mir auf, dass er heute viel legerer angezogen ist als sonst meistens, wenn ich ihn angetroffen habe. Er trägt eine helle Jeans und ein einfaches weißes Shirt, dazu weiße Turnschuhe. »Was stimmt mit dem Armband nicht? Du trägst doch goldenen Schmuck.« Er deutet auf meine Kette mit der kleinen Perle als Anhänger, die mein Vater mir geschenkt hat, ich liebe sie, diese Kette ist meine wichtigste Erinnerung an ihn.
Ich berühre sie automatisch mit meinen Fingern »tue ich auch, und ich habe mich gestern wirklich gefreut, die Blumen sind wunderschön.« Ich zeige auf den Küchentisch, wo diese in einer Vase stehen, meine Mutter hat sich gar nicht mehr eingekriegt, als sie die gestern entdeckt hat. »Aber das Armband ist einfach…. zu viel.« Fernando geht zurück in den Flur und holt das Käschen raus »gefällt es dir nicht? Ich habe es gesehen und dachte, es wäre genau das richtige.« Ich muss lächeln, als ich seinen Gesichtsausdruck sehe »doch es ist wunderschön, aber verstehst du nicht, ich bin einfach nicht so. Ich nehme keine teuren Geschenke von Männern an und bin deswegen nett zu ihnen. Ich bin nicht käuflich, auch wenn man es von mir wohl erwarten sollte.« Ich lasse meinen Blick durch unsere kleine Küche schweifen. Fernando verschränkt die Arme. »Ich weiß dass du nicht käuflich bist, und du nimmst keine teuren Geschenke von Männern, du nimmt es von mir. Ich wollte dich damit nicht kränken, ich habe es einfach gesehen und an dich gedacht. Als du neben mir im Auto geschlafen hast, sahst du wirklich wie ein Engel aus.« Ich kann mir ein leises Aufseufzen nicht verkneifen, immer stoße ich ihn vor dem Kopf. »Willst du was essen? Ich habe gekocht.«
Als wir uns setzen und die Lasagne genießen, lobt Fernando das Essen immer wieder, und langsam lockert sich die Stimmung zwischen uns. Er blickt zu einem Foto, was meine Familie vor unserem alten Haus in Lares zeigt, es entstand ein paar Wochen vor dem Tod meines Vaters. »Was ist passiert Celina? Wieso seid ihr hierhergekommen?« Fernando sieht mich neugierig an und ich beschließe, offen mit ihm zu reden. Bevor alles noch komplizierter wird, sollte er einfach wissen, was in meinem Kopf vor sich geht. Ich erzähle ihm von unserem Leben in Lares, von unserem Hof, unseren Freunden und Nachbarn, meiner Kindheit. Nando hört mir aufmerksam zu und als ich dann anfange zu erzählen, wie ich das erste Mal mitbekommen habe, wie die Gangs zu uns kamen und wie mein Vater reagiert hat, beobachte ich ihn ganz genau.
Fernando scheint dies zu merken, doch er erwidert meinen ohne Skrupel. Als ich ihn von dem Hass meines Vaters gegen die Gangs erzähle, zuckt er nicht mal mit der Wimper, und als ich ihn sage, dass ich dieselbe Meinung habe, lehnt er sich zwar zurück, unterbricht unseren Augenkontakt aber nicht. Letztlich bin ich es, die sich wieder zurückzieht und wegguckt, als ich von dem Tod meines Vaters erzähle, von dem Vermutungen über die Ursache und den Folgen, wie wir um alles gekämpft und doch alles verloren haben und hierherkamen. Wie es uns hier geht, brauche ich nicht zu erwähnen, das weiß er von alleine, er sitzt ja mittendrin.
Nachdem ich ihm alles erzählt habe, ist eine unangenehme Stille zwischen uns. Ich sehe zur Tischplatte, mein Herz schlägt wie verrückt, als hätte ich gerade einen Kampf ausgeführt, und letztlich ist es fast so. Ich mag Fernando mehr als mir lieb ist, und nun habe ich ihm alles vor dem Kopf geknallt, was mich von ihm fernhält, was unüberbrückbar ist, und es fühlt sich befreiend und schmerzvoll zugleich an.
»Das ist es, oder Celina? Die ganze Zeit frage ich mich….ich meine, ich merke doch, dass du mich auch magst, dass du gerne mit mir zusammen bist und trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, ich laufe gegen eine Mauer.
Du weißt, wer ich bin Celina, oder?« Erst
jetzt blicke ich wieder hoch und direkt in seine Augen »ja das weiß ich und doch wieder nicht.« Ich versuche mich zu erklären
»ich…wenn wir zusammen sind, vergesse ich, wer du bist, aber wenn du weg bist oder im Club… dann geht das einfach nicht, ich kann
damit einfach nicht zurechtkommen. Mit allem was ihr tut, wofür ihr steht, was ihr anderen antut, es tut mir leid, aber so ist das nun mal.«
Fernando seufzt laut und reibt sich über die Augen. »Weißt du, was wir tun? Wer wir sind? Ich meine, ich kann wirklich verstehen, was in
deinem Kopf vor sich geht, dass du diesen Hass auf das alles hast. Diejenigen, die das getan haben und so hart es auch klingt, bin ich
mir ziemlich sicher, dass es keine Tiere waren. Diese Leute haben den Tod deines Vaters zu verantworten. Das haben sie gemacht, um ein
Zeichen zu setzen, dass sich niemand gegen sie aufzulehnen hat.«
Er muss sehen, dass ich zusammenzucke, doch er fährt weiter fort.
»Das mit deinem Vater tut mir vom Herzen leid Celina und was du
und deine Familie durchmachen musstet und noch immer machen müsst. Wenn du wirklich die Wahrheit wissen willst, werde ich offen mit dir reden, normalerweise tue ich so etwas nicht, nie, mit niemanden,der nicht zu uns gehört, aber ich mag dich und ich will ehrlich
zu dir sein. Ich werde dich nicht belügen, auch wenn dir die Wahrheit nicht gefällt.«
Fernando sieht mich eindringlich an und wartet meine Antwort ab.
Mittlerweile sind wir aber schon zu weit, als dass ich jetzt noch zurück könnte und ich nicke. Fernando verschränkt die Arme hinter
seinem Kopf und fängt an zu erzählen.
«Diese Gang oder was auch immer sie darstellen wollen, die auf den Dörfern umherfahren um Geld einzutreiben, das sind einfach nur.....
harmlose kleine Fische, sie verdienen sich so ihr Geld. Ehrlich gesagt... müsste niemand denen etwas zum Schutz geben, das ist vollkommen schwachsinnig. Das Gebiet um die Stadt und noch viel weiter unterliegt
meiner Familie. Keiner muss an irgendwelche Kleingangster einen Cent bezahlen, weil das Gebiet so oder so geschützt ist. Meine
Familie, die Natos, haben noch nie, und das schwöre ich dir Celina, von irgendwelchen Höfen oder sonstigem Geld kassiert. Das sind
kleine Gruppen, die sich wichtig tun wollen, mehr nicht. Sie gehören nicht zu uns.« Ich sehe ihn erwartungsvoll an »und was ist dann mit euch, Fernando? Was stellt ihr dann dar, wenn das nur kleine Gangster sind?«
»Ich bin Fernando Nato, Celina, ich könnte dir jetzt erzählen, was besser für mich wäre, aber ich werde dir die Wahrheit sagen. Ich habe
es mir nicht ausgesucht, ich bin da hineingeboren worden, aber könnte ich wählen, würde ich mein Leben wieder so wählen. Ich liebe meine Familie über alles, unsere Familia. Ich werde immer dazu gehören und ich werde nie verleugnen, was oder wer ich bin. Meine Familie macht nicht solche kleinen Sachen, wir betreiben Export und Import und wenn ich wollte, könnte ich dir jetzt erzählen, dass es sich dabei um Bananen handelt, aber ich tue es nicht, weil ich weiß,
dass du nicht dumm bist und weil ich dich nicht anlügen will. Was dich irritiert, wenn du mich siehst, ist verständlich, du erwartest, dass ich auf einmal anders werde, mein wahres Gesicht zeige, aber so ist
das nicht. Das, was du siehst, wie ich jetzt bin, das bin ich, so bin ich, ich habe mich nie vor dir verstellt. Du bedeutest mir etwas und zu den Menschen, die mir etwas bedeuten, bin ich offen und ehrlich. Ich tue alles für die Menschen die ich liebe, das heißt aber nicht, dass ich nicht für meine Familie kämpfe, mich um die Geschäfte kümmere
und unsere Familia vertrete. Das sind zwei Seiten an mir, die einfach da sind. Ich habe vier Brüder, eine Schwester und einige Cousins. Wir sind insgesamt 25 Männer, die den engsten Kreis der Familia ausmachen.
Danach folgen viele weitere. Uns gibt es überall auf der Welt, doch hier lebt der Hauptkern. Ich werde mich nicht hinstellen, lügen und behaupten, was wir tun, verstößt nicht gegen die Gesetze oder gegen manche Moral, aber ich kann dir sagen, dass keiner von uns einfach aus Spaß jemanden tötet oder ausnimmt. So arbeiten wir nicht.«
Ich merke, dass er weiterreden will oder könnte, doch scheinbar spürt er, dass alleine diese Informationen schon zu viel für mich sind. Ich weiß gar nicht, wie ich das alles verarbeiten soll, ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Um mir etwas Raum zu verschaffen, stehe ich auf und räume den Tisch ab. Als ich an der Spüle stehe und die Teller reingestellt habe, drehe ich mich wieder zu ihm
um. Wir sehen uns beide an.
»Jetzt wissen wir wenigstens, wo wir stehen« murmele ich leise. »Ich will dich einfach nicht belügen Celina, du bist anders als die anderen Frauen, die ich bisher getroffen habe, das wusste ich schon vom ersten Moment als ich dich gesehen habe, aber ich bin, wer ich bin.«
Wieder trennen wir unseren Blickkontakt nicht, es ist, als würde jeder auf die Reaktion des anderen warten, bis mein Handy klingelt, meine
Mutter. Sie fragt, ob ich es schaffe Malik abzuholen und ich sage ihr, dass ich es mache, die Mutter von Petro hat uns schon genug geholfen. Als ich auflege, ist Fernando schon aufgestanden und kommt zu mir. »Musst du Malik abholen?« Ich nicke und weiche seinem Blick
aus »ich bringe dich, ich habe noch was für ihn.« Als ich nicht reagiere hebt er mein Kinn, so dass ich ihn ansehe, jedoch ist seine Berührung wieder so behutsam, als wäre ich aus Zucker.
Wir sehen uns an und ich weiß, dass bei uns beiden im Kopf dasselbe vor sich geht. Ich weiß jetzt ganz genau, wer er ist und er weiß,
wie sehr ich das hasse, was er ist. Wahrscheinlich spürt Fernando, wie
durcheinander ich bin, wie sehr meine Gefühle gerade verrückt spielen, denn er zieht mich in seine Arme. Anstatt wegzuweichen oder
ihn auf Abstand zu halten, lasse ich die Umarmung zu und lehne meinen Kopf an seine breite Brust. Fernando legt sein Kinn auf meinen Scheitel.
»Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll« gebe ich zu und sehe zu ihm hoch und er lächelt. »Wer hat gesagt, dass das Schicksal leicht ist, ich weiß es auch noch nicht Celina. Lass uns doch einfach sehen was passiert, versuche mich an dich heranzulassen um es rauszufinden.
Du kannst dir sicher sein, dass ich ehrlich zu dir sein werde und jetzt, wo ich weiß was los ist, verstehe ich dich auch besser. Wir sind
keine Heiligen, aber wir sind nicht wie diese Gangs, die deinen Vater auf dem Gewissen haben. Wenn du das merkst, vielleicht kannst du
das alles dann anders sehen.« Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, und ich zucke die Schultern »ich muss das alles erst mal verdauen,lass uns gehen.«
Während wir zum Kindergarten fahren, sind wir beide ruhig, bis mir einfällt, was der Arzt gesagt hat und ich Nando frage, wer Olivia
und Arturo sind. Er scheint etwas erleichtert, dass unser Gespräch langsam wieder etwas harmloser wird und erzählt, dass Arturo sein
ältester Bruder ist und Olivia seine Frau. Beide erwarten demnächst ein Baby, Nandos erste Nichte. Arturo scheint wohl gerade alle mit seiner übertriebenen Sorge um seine Frau wahnsinnig zu machen.
Neben José, Arturo und Nando gibt es noch Gabriel und Nathan und ihre Schwester Elisa, diese lebt aber mit ihrem Mann in Italien.
Als ich nach seinen Eltern frage, erzählt Fernando mir, dass beide vor
vier Jahren gestorben sind, er beendet das Thema schnell wieder und ich traue mich nicht, weiter zu fragen, denn ich merke, dass er nicht
darüber sprechen möchte. Dafür fragt er mich wie es kommt, dass ich mich scheinbar nicht auf meinen Geburtstag freue und ich erkläre
ihm, dass ich meine Geburtstage nur in Lares genießen kann, mit dem Kuchen aus meiner Lieblingsbäckerei und meinem Lieblingshügel.
Als wir bei Malik im Kindergarten ankommen und hineingehen, kommt uns Malik sofort entgegen gestürmt und fällt Nando freudig in die Arme. »Hey Großer.« Malik freut sich unglaublich, dass ich Nando mitgebracht habe und präsentiert ihn stolz seinen Freunden.
Natürlich weiß ich, dass Malik oft darunter leidet, dass ihn nie ein Papa abholt, wie seine Freunde von ihren Vätern abgeholt werden
und ich freue mich für ihn, dass er nun auch einen großen starken Mann an seiner Seite präsentieren kann, auch wenn ich nicht weiß,
wie und ob es überhaupt noch Kontakt zwischen Fernando und mir geben wird, dazu bin ich noch viel zu durcheinander. Nachdem Malik auch all seinen Kindergärtnerinnen Nando vorgestellt
hat und dieser das alles lachend über sich ergehen lassen hat,kehren wir zum Auto zurück.
Malik hüpft aufgeregt vor dem Kofferraum hin und her, als Fernando ihm erzählt, dass er noch eine Überraschung für ihn hat. Erst
beobachte ich Maliks Herumgehopse, doch als Nando den Kofferraum öffnen will, kriege ich auf einmal etwas Panik. Was ist wenn etwas darin ist, was Malik nicht sehen sollte?
Nando bemerkt meine Reaktion und wirft mir einen Blick zu, der mir scheinbar sagen soll, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche.
Der Kofferraum ist fast leer, es steht eine Tasche darin und eine Tüte von einem Sportladen. Fernando holt sie heraus. Er übergibt Malik einen Ball, scheinbar einen guten, denn Malik freut sich sehr
und als Nando dann auch noch ein Trikot herausholt, wird Malik auf einmal ganz ruhig.
Er sieht hoch zu Nando, der das Trikot ausklappt und dann sehe auch ich, dass es ein Ronaldo Trikot ist, weswegen Malik wohl auch
so ruhig geworden ist. Plötzlich laufen dicke Kullertränen aus Maliks großen braunen Augen und mein Herz schmilzt.
Am liebsten hätte ich mitgeweint, doch bevor ich zu ihm kann,kniet sich Fernando zu ihm herunter »das habe ich mir schon immer
gewünscht.« Malik wischt sich tapfer seine Tränen weg und Nando nimmt ihn in den Arm. »Das habe ich mir gedacht, und weil du so
gut warst und Alonzo besiegt hast, hast du dir das verdient. Komm wir gucken mal ob es passt.« Er zieht Malik das Shirt über und der
rennt zurück in den Kindergarten, um es seinen Freunden zu zeigen.
»Ich denke, das zieht er erst mal nicht mehr aus. Danke das ist wirklich lieb, er freut sich wahnsinnig.« Fernando lacht leise »wenigstens einer aus eurer Familie, der Geschenke annimmt.« Als Malik wieder
rauskommt, fährt Nando uns zurück. Die ganze Zeit auf der Rückfahrt erzählt Malik begeistert von seinem Kindergartentag, bis Fernandos Handy klingelt. Ich höre
bewusst genauer hin und merke, dass wohl irgendetwas los ist und Fernando kommen soll, worum es allerdings genau geht, finde ich
nicht heraus. Als wir vor der Haustür halten, bedankt sich Malik noch einmal bei Fernando und umarmt ihn. Ich will auch aussteigen und
verabschiede mich, doch Fernando hält mich kurz zurück »arbeitest du heute?« Ich nicke »bis später«, und ich steige aus.
Den ganzen restlichen Nachmittag sitze ich in einer Ecke auf dem Fußballplatz und beobachte Malik und Petro beim Spielen. Ich weiß
nicht, wie ich mit der Situation, die jetzt entstanden ist, umgehen soll.
Fernando war ehrlich zu mir, sehr ehrlich, und jeder von uns weiß jetzt, was der andere ist und wie seine Einstellung dazu ist, doch
inwiefern wirkt sich das jetzt auf mein Leben aus? Einerseits fühle ich mich so sehr zu Fernando hingezogen, er ist so lieb zu mir und
ich bin gerne mit ihm zusammen, doch habe ich heute aus seinem Mund gehört, dass er wirklich das verkörpert, was ich schon so lange
verachte. Auch wenn seine Familie nichts mit den Verbrechen zu tun hat, die auf dem Land passieren, so sind sie doch kriminell, wenn
auch eher im großen Stil.
Es erscheint mir unmöglich zu glauben, dass Nando, so liebevoll wie er immer zu mir ist, so vorsichtig und zärtlich, wie er Malik
behandelt und dass er, dieser Nando, Menschen getötet hat. Kann ich damit leben? Kann ich mich ihm überhaupt entziehen, wenn jetzt
schon alle meine Gedanken so um ihn kreisen? Egal wie viel ich darüber nachdenke, zu einer Lösung oder einem Entschluss komme ich
nicht und letztlich beschließe ich, wirklich einfach alles auf mich zukommen zu lassen.
Heute Nacht muss ich wieder arbeiten, doch bevor ich ins B.B. aufbreche, unterziehe ich mich einem umfassenden Beautyprogramm. Ich wasche mir die Haare und anstatt der Locken, die ich normalerweise habe, glätte ich mir die Haare und drehe nur in die Spitzen, die bis zu meiner Hüfte reichen, leichte Wellen hinein. Ich schminke mich etwas mehr und trage mir roten Nagellack auf. Wenn schon mein Inneres ein einziges Gefühlschaos ist, so will ich das wenigstens nicht nach außen tragen.
Als ich im B.B. ankomme und in der Umkleide bin, stelle ich fest, dass wir voll besetzt sind, auch Josy wundert sich etwas, doch das löst sich auf, als Casper breit grinsend hineinspaziert kommt. Er verkündet uns allen, dass er sich was Neues hat einfallen lassen und es ab jetzt regelmäßig Themenabende gibt. Heute ist der erste, und es findet der Miss Black Butterfly Abend statt. Von allen Gästen dürfen die männlichen unter den Frauen die schönste aussuchen. Diese ist dann einen Monat lang Miss Black Butterfly, hat freien Eintritt und gewinnt einen Gutschein für ein Candle Light Dinner mit anschließender Übernachtung in einem Hotel für sich und einem Herrn ihrer
Wahl.
Egal wie bescheuert wir die Idee finden und darüber witzeln, Casper meint es ernst. Alle werden eingeteilt bis auf Josy und mich, uns grinst er besonders breit an. »Und für euch Hübschen habe ich eine besondere Aufgabe und dafür die passenden Outfits.« Er hält uns sehr gewagte Kleider und Stiefel hin. Josy und ich tauschen einen verwirrten Blick aus und müssen loslachen, so ganz können wir Casper und seine Miss Black Butterfly Aktion nicht ernst nehmen. Letztlich ziehen wir die Kleider über und als ich in den Spiegel sehe, muss ich zweimal hinsehen. Beide Kleider sind weiß, passend zum Laden. Sie gehen nur bis kurz unter den Po und heben diesen sehr hervor. Aber
das, was diese Kleider ausmacht, ist der Ausschnitt.
Er ist nicht nur gewagt, er gehört verboten, allerdings sieht es wirklich unglaublich gut aus, muss ich feststellen. Der Ausschnitt hat die Form eines Schmetterlings und zeigt viel Haut. Ich glaube, ich war
noch nie so sexy angezogen wie heute, dazu noch die Stiefel, die wir bekommen. Trotz so viel Haut und so kurzer Kleider schafft Casper es immer, dass es nicht billig wirkt, er hat echt ein Händchen dafür.
Josy ist auch zufrieden und wir bekommen die Aufgabe, am Eingang die Namensschilder an die Frauen zu verteilen und den Herren die Wahlzettel zu geben.
Ich bin glücklich, dann muss ich mit dem, zwar nicht mehr schmerzenden, aber immer noch etwas geschwollenen Fuß nicht zu viel herumrennen. Auf dem Weg zum Ausgang merken wir sofort, dass
unser Outfit gut ankommt und gehen lachend zum Haupteingang.
Da Janosz, einer der wenigen männlichen Kellner aus dem B.B. heute an der Garderobe steht, haben wir viel Spaß und diese Ablenkung brauche ich gerade dringend. Wir fragen die Damen nach den Namen, stellen ihnen Namensanstecker aus und geben den Herren die Wahlzettel. Auch den Gästen scheint die Idee zu gefallen, alle reagieren positiv und machen mit.
Irgendwann gegen 22 Uhr geht die Tür auf und die Los Natos kommen herein. Diesmal sind es wirklich viele, mehr als sonst, aber vielleicht bilde ich mir das nach dem Gespräch mit Fernando auch nur ein.
Sie sind wie immer in Begleitung einiger Frauen, doch ich registriere sofort, dass Fernando diesmal um keine von ihnen seinen Arm gelegt hat. Da ich noch beschäftigt bin mit den vorigen Gästen, die in den Laden gekommen sind, ein paar leicht angetrunkene Männer, die sich auch alle unbedingt zur Wahl stellen lassen wollen und denen ich Anstecker verpasse, übernimmt Josy die Natos und klärt sie auf, was heute passiert.
Ich spüre Fernandos Blick auf mir und bin mir sicher, dass ihm das neue Outfit auch auffällt. Als ich den Männern die Anstecker anmache und ihnen nochmal erkläre, dass es eigentlich eine Damenwahl
ist, flirten sie etwas laut mit mir, und ich mache lächelnd mit. Irgendwie fühlt es sich nicht schlecht an, auch mal von Männern vor Fernando umgeben zu sein, normalerweise ist das ja eher sein Part.
Als ich die Männer abgespeist habe, wende ich mich kurz an Janosz, bevor ich zu Josy gehe und ihr helfe. Ich nicke allen aus der großen Gruppe zu die ich kenne, und als sich Fernandos und mein Blick
treffen, merke ich, dass er leicht sauer wirkt, doch ich ignoriere es und widme mich deren reizenden Begleitungen. Als ich nach ihren Namen frage, sehen mich die Frauen nur an als spreche ich Chinesisch und Alonzo klärt mich auf, dass sie Touristinnen sind, die kein Wort Spanisch verstehen. Ich sehe etwas verwirrt hin und her »kein Wort?« José nickt und legt den Arm um eine von ihnen.
»Das kann sehr angenehm sein« lacht Alonzo und ich muss lächeln »das kann ich mir vorstellen.« Schließlich fragt einer der anderen Jungs in gebrochenem Englisch nach und wir erfahren ihre Namen. Sie scheinen aus dem osteuropäischen Raum zu kommen und als wir ihnen die Anstecker befestigen, ruft Janosz uns zu, dass wir ihre Silikonbrüste nicht zerstechen sollen. Lachend justiere ich die Schilder und gebe jedem Mann ein Formular zum Ausfüllen. Als ich Fernando seines geben will, sieht er mich eindringlich an. »Bist du heute nicht oben im VIP-Bereich?« Ich schüttele den Kopf »nein erst mal nicht, ich bin hier eingeteilt.« Er sieht nicht gerade glücklich aus, aber geht mit den anderen nach oben.
Es kommen immer mehr Gäste, und eine Weile haben wir ganz schön zu tun, zwischendurch bemerke ich, dass Fernando am Geländer des VIP-Bereiches steht und zu mir hinunter sieht. Als es langsam voll ist, kommt Casper nach unten und sagt, dass genug Teilnehmerinnen da sind. Janosz soll nur noch Zettel an die Herren verteilen und Josy und ich den Club mit unserer Anwesenheit verschönern und die Herren auffordern die Zettel auszufüllen und diese anschließend
einsammeln, dabei sieht er immer wieder zu Josy...ob da jemand ein schlechtes Gewissen hat?
Ich gehe hoch in den VIP-Bereich, während Josy unten im Normalo- Bereich umherläuft. Als erstes gehe ich zu Joe an die Bar, ihn habe ich heute noch gar nicht gesehen. Er macht mir Komplimente über mein Outfit und ich trinke etwas, bevor ich mich auf den Weg zu den Tischen mache. Gerade als ich zu den Natos-Tischen blicke, sehe ich das Unglück, das dort gerade passiert.
Es ist so voll, dass die neue Kellnerin Belinda, die ich vorgestern erst eingearbeitet habe, angestoßen wird und stolpert. Das Glas, samt rotem Inhalt, welches auf ihrem Tablett stand, kippt direkt auf eine der Frauen, die heute die Los Natos begleiten. Die neue Kellnerin wird ganz rot und entschuldigt sich tausendmal, ich nehme viele Servietten und gehe dorthin, um ihr zu helfen. Die Arme steht kurz davor in Tränen auszubrechen. Fernando sehe ich nicht, dafür José mit seiner Begleitung, die beide aber scheinbar nicht viel mitbekommen, sie scheinen zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Als ich an den Tisch trete und der Neuen zur Hilfe komme, fängt die blonde Frau die den gesamten Inhalt des Glases auf ihrem beigefarbenen Kleid hat, gerade an, in ihrer Sprache lauthals rumzuschreien und es scheint so, als würde sie Belinda mehr als verfluchen. Ich
reiche Belinda die Servietten und sie will sie an die Frau weitergeben, doch die schlägt sie ihr aus der Hand und schreit weiter herum. Ich verstehe das Wort Puta und sehe verblüfft zu ihr, ich denke, sie spricht kein Spanisch? Ich werde langsam sauer, die neue Kellnerin entschuldigt sich das abertausendste Mal und bietet der aufgebrachten Frau ihre Hilfe an, ich sehe die ersten Tränen in ihren Augen, sie wirkt vollkommen überfordert.
»Das reicht, du brauchst dich nicht nochmal zu entschuldigen, das war keine…« der Mann neben der Frau, einer von den Los Natos, den ich bisher noch nie gesehen habe, reißt mir unsanft eine Serviette aus der Hand und tupft auf dem Kleid der Frau rum. »Was denkst du dir? Kannst du nicht aufpassen? Wie dumm bist du eigentlich….?« fährt er jetzt Belinda auch noch an und ich schiebe sie hinter mich, als sie vollkommen aufgelöst anfängt zu weinen.
»Das reicht langsam, sie hat sich entschuldigt, es war keine Absicht von ihr, sie wurde angerempelt.« Scheinbar bemerkt José erst jetzt langsam, was hier gerade passiert, denn plötzlich steht er auf, doch bevor er was sagen kann, wendet sich der andere Mann sauer an mich.
»Wirklich? Denkst du eine Entschuldigung reicht? Hast du eine Vorstellung davon, wie viel das Kleid kostet? Es ist sicher zehnmal so viel wert wie…..« jetzt stoppt José ihn sehr heftig, ich selber erschrecke kurz. »Du solltest dir überlegen, wie du mit ihr redest Sami, sie gehört zu Nando.« Das war scheinbar eindeutig, denn dieser Sami wird sofort ruhiger, ich schüttele meinen Kopf, die Worte sie gehört zu Fernando, scheinen darin widerzuhallen. »Es ist egal, zu wem ich gehöre oder nicht, so behandelt man niemanden, sie hat sich entschuldigt, mehr kann sie auch nicht tun« zische ich sauer zu der Frau und diesem Sami, und genau in diesem Moment spüre ich eine Hand an meinem Rücken und bemerke, dass Fernando neben mich tritt.
Ohne es beeinflussen zu können, beruhigt mich Nandos Anwesenheit sofort etwas.
»Was ist hier los?« fragt er und selbst ich höre, dass er wütend ist. Scheinbar merkt die Frau, dass sich das Blatt wendet und setzt sich wieder hin. Dieser Sami sieht auf einmal etwas verloren aus, und auch José setzt sich wieder. Ich gebe Belinda eine Serviette für ihre Tränen und sie sieht mich dankbar an. »Die neue Kellnerin hat aus Versehen was verschüttet und alle haben sich etwas aufgeregt« erklärt José. Fernando sieht von der vollgekleckerten Frau neben Sami zu
mir »hat sie dich beleidigt?« Ich erwidere seinen Blick »mich nicht, aber scheinbar versteht sie
genug spanisch um sie…« ich zeige auf Belinda »…als Schlampe zu bezeichnen und dieser Sami hier wollte mir gerade erzählen, dass das Kleid, was sie trägt, viel wertvoller als wir sind« sprudelt es aus mir heraus. Der Mann sieht zu Nando »ich wusste nicht, dass sie zu dir…« ich unterbreche ihn, »…das hat doch damit nichts zu tun, so kannst du mit niemandem reden, jemanden wegen eines Kleides so fertig zu machen, ist doch nicht normal«. Fernado sieht sauer zu diesem Sami. »Dann merke es dir ab jetzt und sie hat Recht, wegen so einer Tussi machst du hier so einen Aufstand? Wenn sie ein Problem hat, soll sie verschwinden, du findest hier genug andere.« Die Frau
merkt scheinbar, dass nun niemand mehr auf ihrer Seite ist und zeigt an, dass alles in Ordnung ist. Ich seufze und deute Belinda dass wir gehen.
Als ich mich zu Fernando umdrehe, sehe ich in seine dunklen Augen, die auf mich gerichtet sind »weißt du, ich frage mich echt, was in deinem Kopf vor sich geht, dass du dich mit solchen Frauen
abgibst.« Fernando kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und hebt die Arme »ich habe doch gar nichts getan.« Ich antworte nicht und gehe weg. »Danke Sami, wirklich Klasse, jetzt bin ich der Schuldige« höre ich Nando hinter mir sagen, doch man hört sein Grinsen immer
noch heraus und Josés Lachen dringt zu mir. Ich muss auch lächeln… solche Idioten.
Hallo ihr lieben, vielleicht habt ihr euch das schon gedacht oder durch Twitter oder Facebook mitbekommen, das hier ist das letzte Kapitel El Destino, da das Buch nun im Handel ist. Zumindest zum vorbestellen, aber es scheint dieses Mal alles schneller zu gehen als bei Llora por el amor. Auch finde ich es sehr schön das ihr bei El Destino noch soviel vor euch habt, so genommen habt ihr hier das 5 Kapitel noch nicht ganz und es gibt insgesamt 14 also noch weit über die Hälfte der Geschichte zu Nando und Lina liegt vor euch und es wird wirklich ....spannend. Ich habe euch ja schon von meiner Freundin erzählt die mich Nachts aus dem Bett geklingelt hat weil sie das Ende wissen wollte ;D Also wenn ihr das Buch bekommt, plant Zeit ein. Noch einmal zur Info falls sich jemand wundert, jeder der das Buch Llora por el amor hat, weiß das die Bücher größer und breiter sind als ein normales Taschenbuch, so dass mehr Inhalt auf die Seiten passt und es deswegen weniger Seiten gibt, aber trotzdem dem selber Inhalt. Also bei Llora wäre die Seitenanzahl bei einem normalen Taschenbuch fast 400 geworden bei El Destino 380 also keine Sorge, gleicher Inhalt nur weniger Seitenanzahl, das Cover bei EL Destino ist diesmal hochwertiger als bei Llora ....ach ich hoffe einfach es gefällt euch. Am Donnerstag endet das Gewinnspiel und die Gewinner kriegen ein Signiertes Buch, für alle anderen gebe ich hier schon mal die Links raus wo man sich das Buch vorbestellen kann. Bin sicher das es diesmal alles schneller geht als bei Llora por el amor. Werde euch auch hier rüber die Gewinner mitteilen und hoffe das Buch El Destino gefällt euch. Bitte denkt auch an Bewertungen die ihr dort abgeben könnt, das wäre so toll wenn ihr schreibt wie euch die Geschichte gefällt......würde mich sehr freuen ......liebe Grüße Jaliah
www.jaliahj.de
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Tag der Veröffentlichung: 16.01.2011
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