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Schreiben? - niemals!!!



Die Geschichte des Suppenkaspers hat mir immer gut gefallen. "Nein, die Suppe ess´ich nicht ...!" dieser Spruch war so ganz nach meinem Herzen.
Die Suppe, die ich auslöffeln sollte, um meinen Eltern eine Freude zu bereiten, nannte sich Schriftstellerei, aber ich konnte ihr keinen Geschmack abgewinnen. Dass sie mir gut tun würde, wollte ich nicht wahrhaben. Und so widmete ich mich ganz anderen Dingen in meinem Leben, und zum Schreiben blieb mir weder Zeit noch Lust. Außerdem lebte ich fast nur noch im Ausland und vergaß dadurch immer mehr meine Muttersprache.
Als ich jedoch vorrübergehend wieder in Deutschland wohnte, wachte ich eines morgens mit der Gewissheit auf, ein Buch schreiben zu müssen. Nicht ein bestimmtes Buch, sondern irgendeins. Seither ließ mir dieser Gedanke keine Ruhe mehr.
Die erste Frage, die ich mir stellte, betraf natürlich das Thema. Gab es denn irgend etwas, das sich lohnte, für die Nachwelt festgehalten zu werden? Nach langem Grübeln fand ich einen Stoff, der interessant genug wäre, um darüber zu schreiben. Doch wie sollte daraus ein Buch entstehen? Um etwas Gutes herzustellen, braucht man gutes Werkzeug, aber genau das konnte ich bei mir nicht finden. Ich beherrschte die Sprache nicht genügend, hatte ein schlechtes Gedächtnis, mir fehlte Talent und mit Einfällen und Fantasie war es auch nicht weit her. Das einzige, was mir lag, war systematisches Arbeiten und eine disziplinierte Lebensweise.
Da ich nicht wusste, wie ich mir die fehlenden Eigenschaften beschaffen konnte, begann ich erst einmal, soviel Material wie möglich zu meinem Thema zusammenzusuchen. Für alles andere, so glaubte ich, würde sich dann die Inspiration einstellen. Aber die Monate vergingen und nichts dergleichen geschah.
Da gab ich den Gedanken, das Buch selber zu schreiben, auf und entschloss mich, einen Ghostwrighter zu suchen. Betty Mahmoody ist auf diese Art berühmt geworden! Jedenfalls schien mir diese Lösung die einfachste und schnellste, um mich von meinen literarischen Qualen zu befreien, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Aber ich sollte eines Besseren belehrt werden.
Als ich wieder in meine Wahlheimat Italien zurückgekehrt war, hängte ich meine schriftstellerischen Pläne wieder an den Nagel. Es gab so viele Dinge zu tun, die mir wichtiger erschienen und die mir vor allem Freude machten und mein Selbstwehrtgefühl stärkten, das erheblich ins Wanken geraten war. Zwar hatte ich mir einen bequemen Schreibplatz eingerichtet, doch ich näherte mich ihm nur, um ihn hin und wieder abzustauben. Sein Anblick war mir unerträglich, denn er erinnerte mich nur an die verpassten Gelegenheiten meines Lebens.
In meiner Kindheit war ich von Büchern, Manuskripten und Schreibmaschinen umgeben, denn meine Eltern schrieben und übersetzten Artikel und Bücher und zu den Freunden des Hauses gehörten Autoren und Verleger. Doch ich war offensichtlich aus der Art geschlagen, denn ich tat alles, um durch das literarische häusliche Netz zu schlüpfen. Je mehr man sich bemühte, mich darin gefangen zu halten, desto mehr versuchte ich, mich dem Einfluss dieser Menschen zu entziehen und entfernte mich immer mehr von der intellektuellen Welt, der ich mich nicht zugehörig fühlte.
So wurde ich Köchin und gründete eine Familie. Außer meinen häuslichen und ehelichen Verpflichtungen verwirklichte ich einen Traum meiner Kindheit und wurde Stoffbildkünstlerin. Eine schönere Tätigkeit für mein späteres Rentnerdasein konnte ich mir nicht denken. Und wenn ich nicht die schicksalhafte Idee gehabt hätte, ein Buch schreiben zu müssen, wäre einem gemütlichen Lebensabend auch nichts im Wege gestanden.
Ein Inserat einer Schreibschule in einer deutschen Zeitung weckte mich aus meinem Dornröschenschlaf und ich spürte, dass es um mich geschehen war. Es kam wieder Leben in meine verkümmerte Schriftstellerseele. Hier war endlich eine Gelegenheit, sie vor dem Untergang zu bewahren! Doch ich ahnte nicht, was da auf mich zukommen würde, und das ist nur gut so, denn sonst hätte ich doch noch das Handtuch geworfen. Sollte denn mein Leben nur aus Arbeit bestehen? Hatte ich mich nicht schon genug geplagt?
Als Antwort auf soviel Selbstmitleid erhielt ich nur strafende Blicke meines besseren Ich´s: Wenn ich mich zu den höher entwickelten Lebewesen zählen wollte, hatte ich auch meine Verpflichtungen dieser Gattung gegenüber! Nämlich edlen Zielen entgegen zu streben!
Bei meinem Entschluss, die Mühsal eines Schreibkurses auf mich zu nehmen, ging es mir nicht um Ruhm und Ehre, sondern nur darum, den Frieden mit meinem gestörten Innenleben wieder herzustellen. Sehr beharrlich war ich allerdings nicht, denn schon nach einem Jahr gab ich auf. Stattdessen setzte ich mich hin und schrieb mein Buch - das erste und wahrscheinlich letzte meines Lebens.

Der Autounfall



Ruhelos humpelte Else in ihrer kleinen Wohnung auf und ab und kramte mit ihren zittrigen Händen mal hier mal dort in ihren Siebensachen herum, die überall verstreut lagen. " Wo ist bloß mein Autoschlüssel?! - Ich muss Käte anrufen, sie weiß sicher wo er ist," dachte sie, als sie am Telefon vorbeikam. Sie hatte Glück, ihre Freundin war zu Hause.
"Ja, hier ist Else. Du, mein Autoschlüssel ist wieder weg. Er ist mir geklaut worden!"
"Else, Du hast ihn sicher wieder verlegt, glaub es mir. Kein Mensch kommt auf die Idee, dir deine Schlüssel zu stehlen!. Frag doch deine Nachbarin, sie wird dir beim Suchen helfen."
"Das ist eine gute Idee, danke, danke vielmals."

Frau Krause, die Nachbarin, kam und fand mit geübtem Blick in wenigen Minuten den Schlüssel zwischen der Wäsche im Schrank.
Dann war Else wieder allein. Mit dem Schlüssel in der Hand saß sie auf der Bettkante und starrte ins Leere.
Seit sie so vergesslich und tüddelig geworden war, hatte sie nur noch selten Besuch. Auch ihre Familie kam nicht mehr, seit sie sie hinausgeworfen hatte.
"Du brauchst einen Vormund!" hatte ihr Schwager gesagt. "Du brauchst jemanden, der auf dich aufpasst." Aber Else, die immer eine streitlustige Person gewesen war, überhäufte ihn mit Schimpfworten, bis er das Weite suchte.
"Geldgierige Aasgeier sind das," schimpfte sie vor sich hin, wenn sie an ihre Verwandten dachte.
Hin und wieder kamen noch alte Freunde und Kollegen vorbei, die aber nur ratlos und betroffen dem Verfall der alten Dame gegenüberstanden. Alle hatten sie den selben Gedanken: "Wenn nur mir das nicht passiert!"
Wenn Else ihnen dann von ihren Ängsten und nächtlichen Visionen erzählte oder in Weinen ausbrach, überfiel sie eine ohnmächtige Hilflosigkeit, und sie hatten es eilig, das Haus wieder zu verlassen.

Während Else so dasaß, dachte sie an die schwarzgekleideten Herren, die sie jede Nacht besuchen kamen. Sie schienen eine Art Jury zu sein, der sie Rede und Antwort stehen musste.
"Wie lange muss ich denn noch so leiden?" hatte sie die ehrwürdigen Herren gefragt.
"Wenn du alle Aufgaben erfüllt hast, kommen wir dich holen", war die ernste aber nicht unfreundliche Antwort.
Tränen liefen über ihr frühzeitig gealtertes Gesicht. Wie fühlte sie sich doch allein! Sie wollte zu Käthe fahren, um ihr alles zu erzählen.
Schnell warf sich Else ihren Mantel über und verließ das Haus. Zu dem Auto, das vor dem Eingang stand, passte der Schlüssel nicht. Sie versuchte es noch bei fünf weiteren. Endlich hatte sie es gefunden!

Eine halbe Stunde später wurde der alte VW an einem Straßengraben am Stadtrand gefunden. Der Körper der Fahrerin, einer kleinen alten Dame, lag auf dem Lenkrad; man vermutete Herzversagen.

Eine große Schar von Trauernden hatte sich um das Grab versammelt. Von überall waren sie gekommen, auch von weit her. Der Tod hatte sie aus ihren Verstecken geholt - nicht die Tränen einer alten, eisamen Frau.

Müssen wir wirklich umdenken?



Eine kleine Betrachtung zur menschlichen Ernährung.



Stolz stellt Mark die dampfende Schüssel auf den Tisch. „Voilà! Meine neueste Kration!“
Beim Anblick des duftenden, ganz in Kräuter gehüllten Bratens, kommt Leben in die kleine Gesellschaft. Peter, der junge Architekt und ehemalige Schulfreund von Mark, Peters Tante Clara und Kathrin, eine etwas schrullige Bildhauerin, feiern zusammen den Geburtstag des Freudes.
Kathrin hat die Gesichtsfarbe gewechselt, aber nicht etwa aus Freude. „Du weißt, ich schätze dich als Maler sehr, Mark, aber was die Ernährung angeht - deine Kochkunst in allen Ehren – enttäuschst du mich zutiefst. Wie kann ein sensibler, kluger Künstler wie du heutzutage noch ein solches Delikt begehen? Millionen Menschen leiden in der Welt Hunger, weil ihre besten Ackerböden intensiv mit Futtermitteln für unsere Schweine und Rinder bepflanzt werden. Eine derartige Ausbeutung führt zur allmählichen Verwüstung ganzer Landstriche und nimmt den einheimischen Bevölkerungen mehr und mehr ihre Chance, sich ernähren zu können. Bei diesem Gedanken bleibt mir jeder Bissen Fleisch im Halse stecken, auch wenn es noch so erlesen zubereitet ist!“
Peter rutscht etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Die Frauen haben ein Talent, uns Männern unsere kleinen Freuden des Daseins zu verderben........“
„Jetzt bist du ungerecht“, unterbricht ihn Tante Clara. „Auch ich bin überzeugte Vegetarierin, wenn auch aus anderen Gründen als Kathrin. Wenn ich nicht aufgehört hätte, Fleisch zu essen, säße ich heute im Rollstuhl.“
Nun ergreift Mark das Wort. „Davon weiß ich ja gar nicht, Clärchen, das musst du mir näher erklären. Früher, als wir drei noch arme Studenten waren, hast du uns oft mit Rinderrouladen oder Schmorbraten durchgefüttert. Wenn ich daran denke, läuft mir jetzt noch das Wasser im munde zusammen.“
„Toll hattest du gekocht, Tante. Dein Gulasch, echt ungarisch, mit selbstgemachten Knödeln war einfach klasse! Das waren noch Zeiten!“ schwelgt Peter.
„Siehst aber nicht gerade unterernährt aus“, meint Kathrin. „Wer redet hier denn von Unterernährung! Ich arbeite im Schnitt 16 Stunden am Tage, meistens auch am Wochenende und immer unter Zeitdruck. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich keinen Diätplan einhalten. Ich esse, was und wann es mir Spaß macht, aber ich gebe zu, dass das oft mehr ist, als mein Körper braucht.“
„Nicht das Zuviel ist hier wohl das Thema, Peter.“ „Da muss ich dir widersprechen, Mark. Es ist bekannt, dass Fleisch wegen seiner Reizstoffe zum Mehressen verführt. Aber du wolltest wissen, warum ich Vegetarierin wurde.
Vor einigen Jahren erkrankte ich an einer Arthrose am Knie, die von keinem Arzt und durch kein Mittel geheilt werden konnte und die mir nach und nach jede Bewegungsfreiheit nahm. Ich war drauf und dran zu einem Pflegefall zu werden und stand bereits im menschlichen Abseits. Ich war aber nicht bereit, mich mit solchem Schicksal abzufinden und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Da fiel mir eine Abhandlung über Ernährungskrankheiten von dem berühmten schweizer Arzt Bircher-Benner in die Hände – ihr wisst schon, der Erfinder des Müsli. Seine Darlegung über den Zusammenhang zwischen vegetarischer Kost und gesundheit überzeugte mich derart, dass ich sofort began, seine Diätvorschläge zu befolgen. In den ersten Tagen schien mein Körper mir diese radikale Umstellung übel zu nehmen, aber bald stellte sich ein immer größeres Wohlbefinden ein und nach und nach verschwanden auch die Schmerzen. Und heute, wie ihr seht, führe ich wieder ein ganz normales Leben. Meine Krankheit ist nunmehr ein böser, aber längst vergessener Traum.“
„Soll das etwa heißen, dass der Mensch auf die Ärzte verzichten könnte, wenn er sich vegetarisch ernährt?“
„Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Mark, aber ich meine, dass meine Erfahrungen als Denkanstoß dienen können. Immerhin hat niemand Geringeres als Hippokrates gesagt 'Deine Nahrung sei deine Medizin...' Viele heutige Forschungen,besonders über die Bedeutsamkeit der Enzyme, scheinen diesen Grundsatz auch zu bestätigen.“
Mark sieht nachdenklich die alte Freundin an, aber bevor er etwas sagen kann, ergreift Kathrin wieder das Wort:“ Vor allem aber ist der Vegetarismus die ethische und politische Lösung, das Problem der Überbevölkerung in den Griff zu bekommen...“
„Um Himmelswillen Mark, schneid endlich den Braten an, bevor Kathrin mir noch den ganzen Abend verdirbt. Schließlich sind wir gekommen, deinen Geburtstag zu feiern. Nichts für ungu, aber bei einem Festessen bin ich nicht auf so tiefschürfende Gespräche erpicht.“
Erstaunlicherweise schmeckt dann doch allen das vorzügliche Mahl und selbst Kathrin mach gute Miene zum bösen Spiel. Mark aber nimmt sich ernsthaft vor, einmal gründlich über das Gesagte nachzudenken.


Eine Story




Im Großen und Ganzen konnte Schlumpi über sein Hundedasein nicht klagen. Alexa und Hermann waren liebe Menschen, die gut für ihn sorgten. Nur einmal im Jahr schienen sie den Verstand zu verlieren und dann wurden die Koffer gepackt. Wenn Schlumpi sah, dass es wieder soweit war und ihm eine dreiwöchige Tortur bevorstand, fing er an zu zittern, jaulte kläglich und, wenn das alles nichts nützte, rollte er sich beleidigt in seinem Körbchen zusammen. Aber man schenkte ihm keinerlei Beachtung und, wenn die Stunde geschlagen hatte, wurde auch er ins Auto gepackt und ab ging es an die blaue Adria.

Schlumpi bekam das Meer allerdings nie zu sehen, denn der Strand war für Hunde gesperrt, und so musste er die meiste Zeit in einem glutheißen Hotelzimmer ausharren. Hin und wieder durfte er mit Hermann Gassi gehen durch enge, überfüllte Straßen. Den vielen nackten, braunen Menschenbeinen konnte er keinen Geschmack abgewinnen, denn er hatte alle Pfoten voll zu tun, um nicht von ihnen getreten zu werden. Als Trost kaufte Hermann manchmal eine Wurst, die Schlumpi aber nur fraß, um sein Herrchen nicht zu kränken. Denn nach Wurst schmeckten diese komischen Dinger ganz und gar nicht.

Aber auch Alexa und Hermann schien das italienische Essen nicht sehr zu bekommen. "Ich hab´so Bauchweh!" hörte Schlumpi Alexa jammern und Hermann verbrachte mehr Zeit auf dem Klo als im Bett und dann hörte man so komische Geräusche. "Das liegt an dem vielen Öl, das die Italiener ans Essen tun", meinte Alexa, aber Hermann gab den vielen Nudeln schuld. Schlumpi verstand die beiden nicht. "Wieso fahren sie immer hier her, wenn sie doch vom hiesigen Futter krank werden? Das würde ich nie machen, obwohl ich nur ein Hund bin. Und das viele Geld, das sie für diese schlechte Behandlung bezahlen müssen! " Er hatte nämlich gehört, wie Hermann sich darüber beklagte, dass dieses Jahr alles doppelt so teuer sei. "Na, also! Warum sind wir dann nicht zu Hause geblieben, anstatt in diese entsetzliche Hitze zu fahren?" murrte Schlumpi vor sich hin. "Scheint ja irrsinnig wichtig zu sein, sich auf allen Seiten von der Sonne rösten zu lassen." Das ging über seinen Hundeverstand. Für die Bootsfahrt bei Mondenschein, von der Alexa immer schwärmte, konnte er schon eher Verständnis aufbringen. Doch nicht einmal das Schwimmen im Meer schien eitel Freude zu sein. Das Meer sei dreckig, hatte er gehört. Der Lärm überall war auch kaum zu ertragen, es sei denn, man stopfte sich etwas in die Ohren, wie Alexa und Hermann es nachts taten.

Heute Mittag aber geschah etwas, was sein Hundeherz höher schlagen ließ.
Alexa kam plötzlich in heller Aufregung ins Zimmer gestürzt, gefolgt von Hermann, der vergeblich sich bemühte, seine Frau zu beschwichtigen.
"Nicht eine Stunde bleibe ich länger in diesem Lande!" schrie Alexa und begann, hektisch ihre Koffer zu packen.
"Aber nicht doch, Liebling, das war doch nur ein ganz kleiner Hai! Die seien ganz ungefährlich, das haben mir die Fischer versichert."
"Ich glaube denen kein Wort, ich fahre ab!"
"Dein Wort in Gottes Ohr!" dachte Schlumpi und wedelte freudig mit dem Schwanz. Aber als er sah, dass Alexa sich allmählich in Hermanns Armen beruhigte, ahnte er, dass aus einer verfrühten Abreise wohl nichts werden würde. "Dieser Wasserköter, den sie Hai nennen, hätte ruhig ein bißchen zubeißen können!" schimpfte Schlumpi in seine Schnauzhaare und verkroch sich enttäuscht unter´s Bett.

Am Abend gingen sie allezusammen Gassi und, nachdem er seine Geschäfte gemacht hatte, setzten sie sich in ein Straßencafé an dem großen Platz vor dem Kurhotel, wo Schlumpi sich ausnahmsweise wieder eine Plastikwurst einverleiben durfte.
Alexa und Hermann unterhielten sich über das Ereignis des Tages.
"Mir sitzt der Schrecken noch in allen Gliedern" klagte Alexa. "Wenn du mich nicht so schnell in das Boot gezerrt hättest................."
"Aber nein, der Hai hatte genau soviel Angst vor dir, wie du vor ihm. Glaube es mir! Nun denk nicht mehr daran und genieße noch die letzten Tage. Nimm dir ein Beispiel an den Italienern. Selbst wenn in ihrem Lande alles drunter und drüber geht, und das tut es eigentlich immer, verlieren sie nie ihre Fröhlichkeit und ihre Lust am Leben."

"Aha!" dachte Schlumpi, der aufmerksam seine Ohren gespitzt hatte. "Das ist also der Grund, warum wir jedes Jahr wieder hier her fahren: um uns von unseren einheimischen Miesepetern zu erholen! Das ist allerdings ein Argument, dass auch ein Hund gelten lassen kann!"


Die Beichte



 

Eine Psychotherapie zum Nulltarif



Zitternd und weinend saß die Frau vor dem geduldig zuhörenden Seelsorger, der ihr, als sie ihr Geständnis abgelegt hatte, einige Ave Maria als Hausaufgabe auferlegte, bevor er sie mit ein paar wohlwollenden Worten entließ.
Mit einem noch nie gekannten Hochgefühl des Freiseins verließ die Frau die Kirche. Was war nur geschehen? Sie hatte Sünden gebeichtet, die bereits vierzig Jahre zurück  lagen - heute war sie fast 70 - und für die sie bereits  zig - mal im Gebet reuig  um Abbitte gefleht hatte und sich schon lange mit dem Herrgott  im Reinen vermeinte. Aufarbeiten sagt man wohl heute dazu. Aber dieses prickelnde Gefühl  der Freiheit hatte sie nie dabei empfunden.
Es war, als hätte man ihr ein längst verkapseltes Geschwür entfernt, mit dem sie zwar  gelernt hatte zu leben, aber das doch scheinbar wie ein schwerer Sack auf ihrer Seele gelegen war.
Nun hatte sie diesen Sack ausgeschüttet, und zwar nicht in einer Ecke ihres Schlafzimmers oder im Wohnzimmer beim Kaffeekränzchen sondern im Beichtstuhl, der Vorkammer der Müllhalde Gottes.
Jetzt, da sie sich von dem Unrat befreit hatte, wurde ihr bewusst, dass sie das alles  hätte früher haben können. Jahrzehnte langes Schuldbewusstsein wäre ihr erspart geblieben, wenn sie über die wahre Bedeutung und Tragweite der Beichte informiert gewesen wäre.
Woher eine solche Aufklärung hätte kommen sollen, wusste sie allerdings  nicht. Sie war in einem protestantischen Hause aufgewachsen, in dem über alles, nur nicht über  Religion oder den Glauben gesprochen wurde. Selbst war sie mit dreizehn aus der Kirche ausgetreten, nachdem ein Pfarrer ihr hatte weismachen wollen, dass der heilige Geist eine Taube sei. “Sie meinen das doch wohl symbolisch”, wandte das naseweise Mädchen ein. Darauf entbrannte ein Glaubenskrieg zwischen ihr und dem Geistlichen, der in der Taube den zu Fleisch gewordenen Heiligen Geist sah und die logischen Einwände des Mädchens als Ketzerei abstempelte.
Seither waren für sie die protestantische Lehre und die Kirche schlechthin kein Thema mehr.
Irgendwo in ihrem Herzen hatte sie einen Platz für den Herrgott und besonders für Jesus  freigehalten, den sie seit  ihrer frühesten Kindheit liebte und verehrte. Um sich ihm nahe zu fühlen, suchte sie ihn in der Natur, der Kunst und besonders in der Musik.
Doch eines Tages, als sie schon eine reife Frau war, genügte ihr dieser passive Glaube nicht mehr. Sie hatte keine Ruhe, keinen Frieden geschweige denn Glück in ihrem Leben finden können. Alles schien sie falsch gemacht  zu haben und es hatte nicht viel gefehlt , und sie wäre in einer Nervenheilanstalt gelandet. Hilfe für ihre seelischen Nöte fand sie nirgendswo, wusste auch garnicht, wo sie diese hätte suchen sollen. Ihre Familie hatte ihre eigenen Probleme, irgendwelche Beratungsstellen gab es anno dazumal noch nicht und wahre Freunde hatte sie auch keine. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie einsam der Mensch doch ist, wenn er in Not ist. Natürlich überlegte sie sich auch, einen Pfarrer aufzusuchen, doch dazu fehlte ihr der Mut. Als letzten Ausweg sah sie noch eine Psychotherapie, doch woher sollte sie das Geld nehmen?
Es folgten Jahre der Suche nach der Wahrheit, denn eine solche - sie war davon überzeugt - müsse es doch geben. Zweimal ackerte sie sich durch die Bibel, ohne großen Nutzen daraus zu ziehen, im Gegenteil:  das Durcheinander ihrer Gedanken wurde eher größer.
Sie näherte sich einer Sekte, die aber nur eine abschreckende Wirkung auf sie hatte. Sie war nicht auf der Suche nach Gehirnwäsche und Einschränkung ihrer Persönlichkeit, sondern suchte doch die Freiheit durch Wahrheit. Etwas innere Ruhe fand sie durch Yoga und Meditation, doch angekommen, das wusste sie, war sie immer noch nicht..
Um nicht so allein zu sein, ging sie unter Menschen und schloss sich einem wohltätigen Verein an, dessen Mitglieder alle Katholiken waren. Zwar nahm man sie mit Wohlwollen   und einem gewissen Interesse auf, doch sie fühlte sich nicht zugehörig. Wenn gebetet wurde, stand sie unbeteiligt daneben, und wenn ein Kirchenbesuch vorgeschlagen wurde, zog sie es vor, zu Hause zu bleiben. In den dreißig Jahren, da sie in dieser südländischen Stadt lebte, hatte sie nie den Fuß in eine Kirche gesetzt oder einem Geistlichen ihre Tür geöffnet.
Als sie jedoch wieder einmal gebeten wurde, mit den Vereinskolleginnen einen Gottesdienst zu besuchen, gab sie nach. Nicht etwa aus einem inneren Bedürfnis heraus, sondern aus einem Gefühl der Solidarität.
Alles war ihr fremd in dieser Kirche: die Atmosphäre, die Riten, die Sprache. Um niemanden mit ihren negativen, kritischen Gedanken zu stören, konzentrierte sie sich auf die Figur des Heilands. Nur ER war ihr vertraut. Eine Stunde saß sie so in Gedanken verloren.
Als sie nach Hause ging, fühlte sie sich seltsam erfüllt. Noch konnte sie dieses Erlebnis nicht einordnen, nahm sich aber vor, von nun an öfters die Kirche zu besuchen.
Ihre ursprüngliche Abneigung verwandelte sich langsam in eine Akzeptanz, aus der nach und nach der Wunsch nach Zugehörigkeit entsprang. Über Jahrzehnte aufgebaute Mauern begannen zu bröckeln und Bilder aus ihrer frühesten Kindheit tauchten auf: Bilder des Vertrauens, der Hingabe, der Sehnsucht nach Gott. Noch fiel ihr das Beten schwer, lieber sang sie, so als ob Töne schneller und sicherer ihr Ziel erreichten.
Fortwährend verstand sie wenig von dem Inhalt der Messe und nahm daher nur mechanisch an ihren Riten teil. Aber sehr bald genügte ihr das nicht mehr, denn weiterhin war sie von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Wenn die Gläubigen die Hostie empfingen, blieb sie mit Tränen in den Augen auf ihrem Platz zurück. So kam es , dass sie den Entschluss fasste, Katholikin zu werden.
Es folgte ein erstes klärendes Gespräch mit dem Pfarrer, der ihr als allererstes den neuen Kathechismus in die Hand drückte. Einmal wöchentlich sprachen sie über die wichtigsten Aspekte des katholischen Glaubens, über die Sakramente und die Bedeutung der Kirche. So wichtig diese Zeit der Vorbereitung auch war, sie hatte nur einen Gedanken: so schnell wie möglich die erste Kommunion empfangen zu können, um die in Aussicht gestellte Symbiose mit Gott zu erfahren.
Der Herr Pfarrer und der Kathechismus klärten sie auf: keine erste Kommunion, ohne vorher die Sünden gebeichtet zu haben! Sie fürchtete, diese Hürde nicht überspringen zu können. Tag und Nacht setzte sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, alte, hässliche, längst vergessene oder verdrängte Bilder stiegen in ihr auf, eine Inventur, wie sie sie so noch nie vorgenommen hatte. Der Gedanke, über all diese Hässlichkeit mit einem mehr oder weniger fremden Menschen reden zu müssen, ließ sie panisch werden. Aber zurück wollte sie nicht mehr. Der Preis war zu hoch.
Sie sprach über ihre Ängste mit dem Geistlichen, der ihr nahelegte, sich nicht in zerfleischende Selbstvorwürfe hineinzusteigern, sondern ruhig und vertrauensvoll dem Moment der Beichte entgegenzusehen.
Und dann war es soweit. endlich durfte sie einen Teil ihrer Vergangenheit ablegen wie einen alten Schuh, der drückte und sie am Gehen hinderte. Ohne Zögern erzählte sie dem Pfarrer alles, was ihr in den Sinn kam. Sie spürte keinerlei Scham, von den dunklen Seiten ihres Lebens zu reden. 
Von dem Tag an  konnte sie  auf die Menschen fröhlich und gelassen zugehen. Endlich war sie frei! Sie fühlte sich geliebt und angenommen und ließ andere an diesem Wunder teilhaben: an dem ewigen Wunder der alles heilenden Liebe.
 


Weitere Geschichten werden folgen.

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Tag der Veröffentlichung: 17.01.2010

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