Er konnte spüren, wie das warme Blut langsam an seinen Schläfen über seine Wange herunter lief. So als wären es Tränen, die er vergoss. Doch die Fähigkeit zu weinen hatte er längst verloren. Zu viel Erlebnisse geschahen schon in seinem Leben, bei denen er das getan hatte. Jetzt war es endlich so weit. Die Götter hatten ein Einsehen und riefen ihn zu sich. So traurig das sein mochte, mit nicht mehr als zwanzig Jahren zu sterben, immerhin fand er Erlösung von diesen ganzen Schmerzen, die ihn quälten. Er würde diese Welt des Kummers verlassen und vielleicht wartete nach seinem Tod sogar eine bessere auf ihn. Eine, in der er endlich für all seine Taten belohnt werden würde. Denn das hatte er verdient, davon war er überzeugt. Natürlich war auch er nicht frei von Schuld. Doch was immer er in seinem Leben tat: Er hatte stets aus vollster Überzeugung gehandelt und das getan, was er für das Richtige hielt. Er blieb jederzeit seinen Prinzipien treu und wich niemals davon ab. Selbst in Zeiten größter Not nicht, wenn die Versuchung für ihn nahezu unmenschlich groß wurde. Wie viele aller Menschen konnten das von sich behaupten? Sicher nicht viele. Ganz besonders nicht von denen, welchen er begegnete.
»Wenn schon nicht auf dem Schlachtfeld, so sterbe ich doch immerhin in meiner Rüstung«, flüsterte er, verzog aber sofort das Gesicht. Denn allein beim Sprechen durchzuckten ihn Schmerzen, wie ein Blitz. Anscheinend war der Stoß, den er vorhin gegen die Brust bekam, schlimmer als er bisher dachte. Doch auch dies würde bald vorbei sein.
»Niemand wird jetzt und hier sterben«, hörte er plötzlich eine energische Stimme neben sich. »Nicht so lange ich das verhindern kann!«
»Es ist zu spät«, murmelte er und wieder durchfuhr ihn dieser stechende Schmerz in seiner Brust.
»Es ist niemals zu spät. Es sei denn man hat aufgegeben«, entgegnete die Stimme erneut. »Und wer aufgibt, der hat schon verloren. Wollt Ihr das etwa? Euer Leben aufgeben?«
Er musste zugeben, dass er da gar nicht drüber nachgedacht hatte. Stattdessen hatte er seinen nahenden Tod hingenommen, als etwas das er nicht ändern konnte und auf das er keinen Einfluss hatte. Wollte er hier sterben? Er kannte die Antwort.
»Na bitte, habe ich es doch gewusst.« Er hörte Rascheln von Kleidung und konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie sich jemand neben ihn kniete. »Wie heißt Ihr?«
»Hasekawa Akiyoshi«, stieß er seinen Namen hervor.
»Mein Name ist Shiori. Geschrieben mit den Zeichen für Gedicht und Liebe. Es freut mich sehr Euch kennenzulernen Akiyoshi-sama. Auch wenn die Umstände weniger schön sind.« Akiyoshi musste kurz lächeln. Er konnte einfach nicht anders. »Danke gleichfalls«, brachte er gepresst über die Lippen. Dann spürte er, wie jemand seinen Kopf mit schlanken Fingern anhob, nur um ihm das Blut von seinem Gesicht abzutupfen. Und dann sah er sie endlich.
Shiori hatte glatte haselnussbraune Haare, welche ihr, soweit er das beurteilen konnte, bis knapp auf die Schulter reichten. Ein paar Strähnen, die sich nicht bändigen ließen, fielen ihr ins Gesicht, was sie selbst jedoch nicht zu stören schien. Und womöglich bildete er sich das ein, doch ihre, ebenfalls braunen Augen, erweckten den Eindruck im Lichtschein der Abendsonne golden zu erstrahlen. Oder war er schon tot und Shiori eines der Himmelswesen, die Göttin Amaterasu Gesellschaft leisteten?
»Akiyoshi-sama, bitte bleibt bei mir. Kämpft gegen die Ohnmacht an. Nachher könnt Ihr Euch ausruhen. Darauf habt Ihr mein Wort.« Shioris Stimme klang beschwörend. Sie half ihm, sich ein wenig besser aufzusetzen. »Wie wäre es, wenn Ihr mir von Euch erzählt? Zum Beispiel wie Euch das alles passiert ist.«
»Das ist aber eine lange Geschichte«, meinte er. »Und eine außerdem eine komplizierte.«
»Aber bestimmt eine überaus interessante«, merkte Shiori an.
Dem konnte er nicht widersprechen. Auch wenn er ein etwas anderes Wort gewählt hätte, wie zum Beispiel abenteuerlich. Andererseits aber, fiel es immer noch nicht besonders leicht, zu sprechen. Ganz im Gegenteil. Das schien ihr ebenfalls wieder einzufallen.
»Oder aber ich erzähle ein wenig von mir«, schlug Shiori vor. »Natürlich nur, wenn es für Euch in Ordnung ist.«
Er nickte.
»Also gut. Aber sobald Ihr genervt seid von mir, weil ich zu viel rede, sagt es mir bitte«, bat sie ihn. »Großvater hat schon tausendfach zu mir gesagt, dass ich versuchen soll, weniger zu reden und stattdessen mehr zu arbeiten.« Sie verzog schuldbewusst das Gesicht.
»Großvater?«, fragte Akiyoshi.
»Genau genommen ist er nicht wirklich mein richtiger Großvater. Wir sind schließlich nicht blutsverwandt«, erklärte Shiori. »Aber ich bin bei ihm aufgewachsen. Ich bin ein Findelkind müsst Ihr wissen. Vor achtzehn Jahren hat er mich gefunden, als er jagen war. Seit diesem Tag bin ich bei ihm. Meinen Namen habe ich auch von ihm.«
Er nickte zum Zeichen, dass er ihr zuhörte. Ihre Geschichte hatte ihn neugierig gemacht und so einen Teil der Müdigkeit genommen. Seine Augen fühlten sich nicht mehr so schwer an, wie zuvor. Was ein gutes Zeichen war. Zumindest nahm er das an.
Shiori schien deshalb ebenfalls erleichtert zu sein. Wenngleich nicht völlig beruhigt. Einen Moment lang sah sie ihn an, ohne ein Wort zu sagen. »Es tut mir Leid, wenn das komisch klingt aber ich glaube das Beste wird sein, wenn Ihr euch auszieht.«
Akiyoshi starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Was?« Dass ihm überhaupt etwas zu sagen einfiel, überraschte ihn.
»Es ist nicht so, wie Ihr denkt!« Shiori lief vor Verlegenheit rot an. »Es ist nur so, dass es für Euch am besten sein wird, wenn Ihr die Rüstung ablegt. Ansonsten kann ich Eure anderen Wunden nicht so gut versorgen. Das versteht Ihr doch sicher, oder?«
Da hatte sie Recht. »Das hättest du aber auch anders sagen können«, schalt er sie. »Was soll ich denn denken, wenn ein junges und hübsches Mädchen wie du-«
»Ihr findet dass ich hübsch bin?«, fiel Shiori ihm ins Wort.
»Darum geht es doch gar nicht«, murmelte Akiyoshi und konnte fühlen, wie seine Wangen heiß wurden. »Aber du hast Recht. Die Rüstung abzulegen, ist keine schlechte Idee. Allerdings müsstest du mir dabei helfen.«
Sie nickte. »Ich weiß. Und Ihr müsst Euch nicht darum sorgen, dass ich etwas kaputt machen könnte. Meinem Großvater habe ich mit seiner Rüstung hin und wieder geholfen.«
»Dein Großvater ist ein Samurai?«, hakte er nach.
»Seit zehn Jahren ist er viel eher ein Ronin«, antwortete sie und seufzte. »Aber er redet immer noch so als wäre er einer. Doch sobald ich ihn nach seinem Dienstherren frage blockt er ab und wird einsilbig.« Dann sah sie ihn an. »Was ist mit Euch Akiyoshi-sama? Wer ist Euer Dienstherr? Ihr habt doch einen, oder?«
»Selbstverständlich!«, brach es aus Akiyoshi so heftig hervor, dass seine Brust anfing zu schmerzen.
»Keine Sorge, ich glaube Euch«, beruhigte sie ihn. »Und jetzt kommt, lasst mich Euch helfen mit der Rüstung. Sonst werden die Schmerzen, die ihr habt womöglich nur noch schlimmer.« Sie lächelte.
Akiyoshi konnte nicht anders als ihr Lächeln zu erwidern. Zudem stellte er fest, dass es ihn ungemein beruhigte nicht mehr alleine zu sein. Nicht, dass er vorhin Angst hatte, doch auch wenn er nichts bereute von den Dingen, die er tat hieß das nicht, dass es angenehm war alleine zu sterben.
»Also, sollten wir dann nicht endlich mal anfangen? «, fragte sie ihn. »Denn Wunden lange unbehandelt zu lassen ist nie gut. Und auch wenn bisher nur spekulieren kann, scheinen Eure Verletzungen doch schlimmer zu sein und wenn da noch die Rüstung den Druck darauf verstärkt…« Sie sprach nicht weiter.
Musste sie aber auch gar nicht. Er verstand auch so wovon sie sprach. Eine Sache wollte er aber trotzdem noch wissen. »Lebst du hier in der Nähe?«
Sie nickte. »Ja, nicht weit von hier. Es sind nicht viel mehr als dreißig Minuten zu Pferd.«
»Mein Pferd!« rief er, als er sich daran erinnerte, dass es auch irgendwo hier noch sein musste. Zumindest dann, wenn es nicht weggelaufen war.
»Keine Sorge. Es geht ihm gut und leistet meinem Gesellschaft. Ihr könnt dankbar sein, dass es los gelaufen ist, ansonsten hätte ich Euch vermutlich nicht gefunden.« Sie hielt ihm ihre Hand hin. »Jetzt kommt. Wir sollten langsam sehen, dass wir fertig werden. Sobald die Sonne untergeht wird es hier nicht nur kalt, sondern auch ungemütlich.«
Unter einem gequälten Aufstöhnen ließ Akiyoshi sich von ihr auf seine Füße ziehen. Erstaunt stellte er fest, mit welch unerwartet geschickten Fingern Shiori die Watagami, die Schulterriemen seiner Rüstung, löste. So dauerte es nicht lange bis sie ihn von seinem Brustpanzer befreite. Kurz danach folgten diesem auch Sode, sein Schulterpanzer, und Kote, der Armschutz.
»Gebt mir kurz einen Moment Akiyoshi-sama«, bat sie ihn ein wenig atemlos. „Ehrlich, ich hatte schon ganz vergessen wie schwer so eine Samurairüstung ist.« Sie verzog das Gesicht.
Akiyoshi, der endlich wieder das Gefühl hatte richtig atmen zu können, lächelte ihr aufmunternd zu. »Am Anfang erscheint es einem wirklich so, doch irgendwann kommt es zu dem Zeitpunkt, an dem einem das gar nicht mehr auffällt.«
»Kann sein.« Sie nickte und atmete tief durch. »Soll ich Euch noch aus Haidate und Suneate helfen, oder glaubt Ihr, dass es so geht?«
»So ist es schon viel besser«, sagte Akiyoshi und meinte es auch so. Die meisten Schmerzen hatte er im Oberkörper gehabt, also machte es keinen Sinn den Oberschenkelschutz und die Schienbeinschutz abzulegen.
»Das freut mich«, entgegnete Shiori. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe. »Darf ich dann bitte kurz …« Sie brach ab, doch er konnte gut die Röte, die sich auf ihre Wangen schlich erkennen.
»Natürlich.« Akiyoshi nickte und begann selbst seine Robe zu öffnen. Kurz schoss es ihm durch den Kopf, was er für ein Glück hatte nur am Oberkörper verletzt zu werden. So konnte er wenigstens seinen Hakama anbehalten. Wäre es anders, wäre es doch sehr peinlich für ihn geworden. »Machst du das eigentlich oft? Fremde verarzten, meine ich«, wollte er wissen um sich ein wenig abzulenken.
»Fremde verirren sich eher selten hierher«, antwortete Shiori. »Aber den Leuten aus dem Dorf helfe ich öfter. Auch wenn ich natürlich niemals einen richtigen Arzt ersetzen kann. Doch die meisten Bewohner unseres Dorfes können Ärzte ohnehin nicht bezahlen also-« Offensichtlich wollte sie noch mehr sagen, doch bevor sie das tat entwich ihr ein erschrockener Aufschrei, der ihn zusammen zucken ließ.
»Verzeiht mir, Akiyoshi-sama«, brachte Shiori mit leicht zitternder Stimme heraus. »Ich weiß, dass es mich nicht überraschen sollte aber das ist ... fürchterlich.«
»Die Narben oder die neuen Wunden?«, wollte Akiyoshi wissen.
»Beides.« Mit sanften Fingern fuhr sie über eine der alten Narben, die er sich vor etwa einem Jahr in einem Kampf verdient hatte. Damals erwischte einer seiner Gegner ihn unvorbereitet heftig, so dass sich nun jene Narbe diagonal über seine Brust zog. Überlebt hatte jener Gegner allerdings nicht. Es brauchte schon mehr als einen ehrlosen Ronin um ihn zu überwältigen.
»Die Quetschungen sehen wirklich nicht gut aus«, fuhr Shiori fort. »Ihr könnt von Glück reden, Eure Rüstung getragen zu haben, so wird bei den meisten wohl nicht mehr als Blutergüsse bleiben. Abgesehen von ein paar neuen Narben, die Ihr Euch ebenfalls wieder verdient habt.«
»Was einen nicht umbringt, macht einen nur stärker«, murmelte Akiyoshi. »Nicht immer«, widersprach sie. Kurz sah es so aus, als wolle sie noch mehr sagen, doch dann beließ sie es doch bei einem Schweigen. Stattdessen griff sie in eine ihrer Kimonotaschen und zog etwas heraus.
»Was ist das?«, erkundigte Akiyoshi sich misstrauisch.
»Heilkräuter«, antwortete Shiori. »Sie werden Euren Schmerz lindern.«
Akiyoshi zog eine Braue in die Höhe. »Woher weiß ich, dass ich dir vertrauen kann und du nicht zu meinen Feinden gehörst und mich damit töten willst?«
Shiori verdrehte die Augen. »Weil Ihr nicht tot seid.« Sie seufzte. »Wenn ich Euch hätte sterben sehen wollen, wäre ich Euch wohl auch kaum zu Hilfe gekommen, meint Ihr nicht auch?«
Akiyoshi nickte. Trotzdem tastete er nach seinem Wakizashi und seinem Katana, die sich immer noch dort befanden, wo sie hin gehörten. In seinem Gürtel. Erleichtert atmete er aus. Dann aber fiel ihm etwas ein. »Du hast gesagt, du bist hierher geritten. Stimmt das?«, neugierig sah er sie an. Es überraschte ihn, immerhin war das Reiten zu Pferd allein den Samurai und der Adelsklasse vorbehalten. Allen anderen war es unter Strafe verboten. Erst Recht Frauen. Streng genommen verstieß Shiori also gegen Gesetze, wenn sie ritt. Und das Gesetz war hart.
»Ihr habt Recht«, gab Shiori zu. »Es ist das Pferd meines Großvaters. Aber da unser Dorf fernab von jeglicher Zivilisation liegt und wir fast nicht beachtet werden, leih ich es mir ab und an aus.«
»Du solltest trotzdem vorsichtiger sein«, meinte Akiyoshi tadelnd. Shiori lächelte ihn entschuldigend an. »Ihr ebenso.«
Akiyoshi schüttelte den Kopf. Nicht unbedingt um zu verneinen, sondern mehr, um ihr zu verdeutlichen, dass es für ihn nicht so einfach war, wie sie sich das vielleicht vorstellte, denn als ehrenhafter Samurai hatte er sich dem bushido, dem Weg des Kriegers, verpflichtet. Dieser verlangte von ihm unabdingbare Treue und Loyalität gegenüber seinem Dienstherrn. Manche würden es möglicherweise niemals verstehen, doch Akiyoshi erfüllte diese Pflicht gerne. Ganz besonders nach allem, was sein Herr für ihn getan hatte.
»Wie auch immer. Wir sollten so langsam los«, riss Shiori aus seinen Gedanken. »Wie gesagt: In solch unruhigen Zeiten sollte man am sich am besten nicht allzu lange im Dunkeln draußen aufhalten. Auch wenn die Gegend hier eigentlich relativ ruhig ist.« Sie hielt inne. »Wo kommt Ihr eigentlich her?«
»Mikawa«, antwortete Akiyoshi knapp und hoffte, sie würde nicht noch mehr fragen.
Erstaunt blickte sie ihn an. »Mikawa? Da seid Ihr aber ganz schön weit weg von Zuhause!«
»Es gibt Dinge, die ich hier in der Gegend zu erledigen habe«, sagte Akiyoshi, in einem Ton, der klar machte, dass er nichts mehr dazu sagen würde.
Shiori zog skeptisch eine Braue in die Höhe. Für einen Moment sah es aus, als ob sie etwas dazu sagen wollte. Doch sehr zu seiner Erleichterung überlegte sie sich es noch einmal anders. Stattdessen klopfte sie sich den Staub vom hinknien vorhin von ihrem Kimono. Dann steckte sie, sehr zu seiner Überraschung, zwei Finger in den Mund und pfiff laut. Nicht wenige Minuten später raschelte es schon im Unterholz und heraus trat ein dunkelbraunes Pferd mit einer schmalen weißen Blesse auf der Stirn. Es lief auf Shiori zu, nur um sie dann freundlich anzustoßen, als wolle es sagen »hallo, da bin ich wieder«.
»Hey, Großer.« Shiori lächelte und kraulte ihm kurz die Stirn. Dann wandte sie sich erneut Akiyoshi zu. »Wenn Ihr erlaubt mir ihn vorzustellen, Akiyoshi-sama: Das ist Arashi.«
Akiyoshi erwiderte ihr Lächeln. »Ist er denn auch wirklich so schnell wie der Wind?«, wollte er amüsiert wissen.
»Ich würde ja gerne ein Rennen vorschlagen, doch vermutlich wäre das jetzt erstmal nicht das klügste«, meinte sie. »Wenn es Euch besser geht, können wir das aber gerne nachholen.«
Gerade als Akiyoshi darauf entgegnen wollte, dass er dazu erst einmal selbst nach seinem eigenen Pferd suchen müsste, knackte es erneut im Geäst. Dann ertönte ein freundliches Schnauben. »Hoshi!«, rief er glücklich, als er seinen nachtschwarzen Hengst erkannte, der seinen Namen wegen dem Abzeichen in Form eines Sterns trug, das sich auf seiner Stirn befand. Akiyoshi besaß seinen Hengst nun schon seit ein paar Jahren und bisher hatte er ihm treue Dienste geleistet. Heute war er zum ersten Mal durchgegangen und weggelaufen, andererseits konnte Akiyoshi es ihm nicht übel nehmen, denn so hatte Shiori ihn gefunden.
»Nun, da auch dies nun geklärt ist können wir uns ja endlich auf den Weg machen«, meinte diese und schwang sich elegant auf den Rücken ihres Pferdes.
Akiyoshi befestigte mit ein paar Handgriffen den Teil seiner Rüstung, den er jetzt nicht trug, an seinem Sattel. Dann stieg auch er auf sein Pferd, wenngleich er sich dabei viel weniger elegant anstellte als Shiori und er danach erst einmal von der Anstrengung, die ihn das Aufsteigen aufgrund seiner Wunden kostete, tief durchatmen musste.
»Geht es Euch gut?«, erkundigte sich Shiori. Dann biss sie sich kurz auf die Lippen, als fiele ihr jetzt wieder ein, wie überflüssig ihre Frage war. »Verzeiht mir, Akiyoshi-sama. Natürlich geht es Euch nicht gut, doch ich kann Euch versichern, dass der Weg nicht weit ist. Wir werden sicher noch vor Sonnenuntergang ankommen. Direkt danach könnt Ihr Euch auch ausruhen, das verspreche ich.«
»So da wären wir also«, sagte Shiori und lächelte, als sie die kleine Hütte sah, in welcher sie mit ihrem Großvater lebte. »Wie Ihr seht hat es wirklich nicht sehr lange gedauert bis wir hier sind und-« Weiter kam sie nicht. Denn genau in diesem Moment hörte sie, wie etwas auf den Boden fiel. Oder besser jemand. Wie sie feststellte, war der Auslöser von dem Geräusch niemand anderes als Akiyoshi, der aus dem Sattel stürzte. Hastig sprang Shiori vom Rücken ihres Pferdes.
»Akiyoshi-sama!« Sie spürte wie Panik in ihr aufstieg und ihr die Kehle zusammenschnürte. So, als ob ihr jemand einen Strick um den Hals legte und diesen jetzt langsam zu zog. »Wir haben es fast geschafft. Also bitte... Bitte haltet noch die paar Minuten durch, ja?«
»Shiori ...« Sehr zu ihrem Schreck klang seine Stimme gebrochen.
»Ja. Ja ich bin hier.« Sie konnte sich gar nicht erklären, warum es sie so traf, dass es ihm so schlecht ging. Immerhin hatte sie ihn heute zum allerersten Mal gesehen. Doch darüber nachzudenken war jetzt nicht die richtige Zeit. Was viel wichtiger war, war dass sie ...
»Shiori!«
Sie war selbst überrascht, wie erleichtert sie sich fühlte, als sie die Stimme ihrer besten Freundin hörte. So, als fiele eine Last von ihren Schultern. Sie winkte ihr kurz zu. »Hallo Rin.«
Rin sah erst zu Shiori, dann zu Akiyoshi. »Was ist denn hier los?«
»Das weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht so genau«, entgegnete Shiori. »Ich habe ihn schwer verletzt im Wald gefunden und-«
»Dann gedacht, dass du ihn am besten hierher mitbringst«, beendete Rin den Satz für sie. »Du bist wirklich zu gut für die Welt.«
»Ach komm schon! Hättest du ihn denn einfach so liegen gelassen?«, erkundigte Shiori sich bei ihrer Freundin. »Wohl kaum, oder?«
Rin zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Fremde bringen nur Ärger. Das solltest gerade du am besten wissen.«
Shiori seufzte. »Wie auch immer. Würdest du mir jetzt bitte helfen, ihn zu rein zu meinem Großvater zu bringen. Hier draußen kann er jedenfalls nicht bleiben.«
»Was ist denn hier los?«, war das Erste, womit Shiori von ihrem Großvater begrüßt wurde. »Hab ich was verpasst?« Als er Rin entdeckte, lächelte er. »Rin-kun, es ist schon eine Weile her, nicht wahr?«
Rin nickte. »Stimmt.«
»Du musst unbedingt mal wieder öfter vorbei kommen. Hier bist du immer willkommen.«
»Ja, gerne.« Auch Rin lächelte jetzt.
»Ich störe eure Unterhaltung nur ungern, doch könnten wir uns bitte wieder um das Wichtigste hier kümmern?«, meldete Shiori sich ungeduldig zu Wort.
»Ich sehe nicht wirklich, warum ein Fremder jetzt am wichtigsten sein soll«, antwortete ihr Großvater brüsk. »Und wie es scheint, ist er auch noch ein Samurai. Dir ist klar, dass das für Ärger sorgen wird, oder?«
»Sagst du nicht immer selbst, dass auch du immer noch ein Samurai bist?«, fragte Shiori leicht verärgert. »Und das obwohl du keinen Dienstherr hast.«
»Vorsicht junge Dame.« Ihr Großvater hob drohend den Zeigefinger. Dann seufzte er. »Also gut. Lasst ihn uns dort vorne auf den Futon legen.« Er sah Shiori an. »Weißt du was passiert ist?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Abgesehen davon, dass sein Name Hasegawa Akiyoshi ist und er aus Mikawa kommt, weiß ich nichts. Aber so, wie er aussieht, ist es offensichtlich, dass er überfallen wurde, oder nicht?« Sie wusste, dass sarkastisch klang, doch das war ihr egal.
»Das ist nicht viel«, meinte ihr Großvater. »Aber wenigstens besser als nichts. Und da wir gerade von Mikawa sprechen, ich habe gehört, dass sich da in letzter Zeit einiges getan hat.«
»Inwiefern?«, wollte Shiori wissen. Es freute sie, zu hören, was woanders passierte. Vor allem weil hier in ihrem Dorf, was schon fast eine Übertreibung darstellte, sonst nichts Beachtenswertes geschah. Im Gegenteil. Das Aufregendeste in diesem Jahr woran sie sich erinnerte, war, dass die Ziegen ihres Nachbarn entlaufen waren. Es hatte eine Ewigkeit und viele Helfer gebraucht, um sie endlich wieder einzufangen. Das war im Januar und schon zwei Monate her.
»Jetzt sei mal nicht so neugierig«, tadelte ihr Großvater sie.
Shiori konnte längst gar nicht mehr zählen, wie oft sie diesen Satz in ihrem Leben gehört hatte. Gefühlt jeden Tag seit sie bei ihm lebte. So kam es ihr jedenfalls vor.
»Du scheinst auch schon etwas Vorarbeit geleistet, wie ich sehe«, meinte ihr Großvater, nachdem sie Akiyoshi auf den Futon legten. »Den Knöterich dazu zu benutzen, um mögliche Entzündungen vorzubeugen war eine gute Idee.«
»Der wächst ja sowieso überall«, meinte Shiori und zuckte mit den Schultern. »Also kein Kunststück.« Sie kniete sich neben Akiyoshi und befühlte seine Stirn. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück. Es fühlte sich an, als würde er am ganzen Körper brennen. »Rin-chan, da drüben liegen Tücher. Kannst du sie draußen befeuchten und mir dann bringen? Das wäre ganz toll.«
Rin nickte eifrig. »Klar, warte kurz. Dauert nicht lang. Zum Glück habt ihr ja direkt einen Brunnen vor der Tür.« Sie holte die Tücher und eilte damit nach draußen.
»Shiori ...«
Shiori drehte sich wieder zu Akiyoshi um, als sie ihn ihren Namen murmeln hörte. »Macht Euch bitte keine Sorgen Akiyoshi-sama. Ich bin hier. Mein Großvater und ich werden Euch schon wieder auf die Beine bringen.«
»Ich muss-«, setzte Akiyoshi an, doch weiter kam er nicht.
»Gesund werden«, fiel ihr Großvater ihm ins Wort. »Alles weitere können wir besprechen wenn ihr wieder gesund seid. Und jetzt versucht zu schlafen.«
Akiyoshi fühlte sich, als ob er am ganzen Körper in Flammen stünde. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn und zwischendurch glaubte er, jemanden seinen Namen rufen zu hören. Doch das war absolut unmöglich. Denn es gab niemanden, den er hier kannte. Er war allein und weit weg von Mikawa. Entfernt von seiner Familie, falls von diesen überhaupt einer lebte. Doch hatte sein Dienstherr ihm nicht versprochen, sich um sie zu kümmern? Wenn Akiyoshi einem Menschen vertraute, dann ihm. Obwohl es viele Leute gab, die seinem Herren nicht wohl gesonnen waren, geschweige denn ihn verstanden. Dennoch hatte er gelernt, hinter die Fassade zu blicken, die sein Dienstherr trug. So waren dieser und Akiyoshi beinahe etwas wie Freunde oder zumindest Vertraute geworden. Was wohl geschah, falls er nicht zurückkommen konnte?
»Akiyoshi-sama!«, hörte er wieder jemanden seinen Namen rufen. »Könnt Ihr mich hören? Falls ja, gebt mir bitte ein Zeichen!«
Er runzelte die Stirn. Warum klang die Person, die mit ihm sprach, so verzweifelt? Dazu gab es keinen Grund oder doch? Und wer war das überhaupt?
»Akiyoshi-sama, Ihr seid ein Kämpfer, oder nicht? Also kämpft dagegen an. Von so einer Kleinigkeit werdet Ihr Euch doch nicht geschlagen geben!«
Akiyoshi glaubte kaum, dass dieses Feuer, welches sein Körper zu verschlingen drohte eine Kleinigkeit war. Doch wer auch immer das war, der da mit ihm sprach, hatte Recht. Er durfte sich nicht geschlagen geben. Er musste einen Auftrag erfüllen und-
»Shiori, ich glaube kaum, dass wir ihn noch retten können. Nicht nachdem er...«
»Nein! Das akzeptiere ich nicht!«
Akiyoshi runzelte die Stirn. Shiori? Diesen Namen hatte er schon einmal gehört. Doch wo? Es wollte ihm nicht einfallen. Aus irgendeinem Grund aber, sagte ihm ein Gefühl, dass es wichtig war, sich daran zu erinnern. Er spürte wie jemand nach seiner Hand griff. Mühsam versuchte er, seine Augen zu öffnen. Selbst wenn seine Lider sich anfühlten, als seien sie mit Blei gefüllt. So wie die alles zerstörenden Feuerwaffen, die die Barbaren mitbrachten. So schwer es war, die Augen zu öffnen, es gelang ihm, wenngleich unter größter Anstrengung.
»Akiyoshi-sama!« Über ihn beugte sich ein junges Mädchen, welches ihn erleichtert und glücklich an sah. »Könnt ihr mich sehen? Oder hören? Vielleicht sogar beides?«
Akiyoshi nickte. Dann kam langsam wieder die Erinnerung zurück, an das, was geschehen war. Er wurde angegriffen und sie hatte ihn gefunden und ihm geholfen. Wie lang war das jetzt her? Ein paar Stunden? Minuten? Und wo war er hier überhaupt? »Shiori?«
»Ja! Genau!« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Sie half ihm, sich aufzusetzen. »Dann erinnert Ihr Euch also?«
»Ich weiß nicht genau.« Er versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Was ihm eher schlecht als recht gelang. Er stöhnte auf. »Götter, mein Kopf schmerzt...«
»Wenn es nur das ist, könnt Ihr von Glück reden«, erklang eine Männerstimme.
Akiyoshi blickte auf und sah in das Gesicht eines Mannes in weit fortgeschrittenem Alter, der ihn skeptisch musterte. Er trug bäuerliche aber saubere Kleidung und sah wie ein Mann mit Stolz aus.
»Ihr seid dann also Hasegawa Akiyoshi aus Mikawa?«, fragte der Mann ihn.
Akiyoshi nickte und sah zu Shiori.
»Dies ist mein Großvater«, antwortete diese auf seine unausgesprochene Frage.
»Mein Name ist Hashimoto Tatsuo«, stellte Shioris Großvater sich mit einer knappen, aber höflichen Verbeugung vor.
Akiyoshi erwiderte sie, so gut es ihm möglich war. »Wo bin ich?«
»In meinem Haus«, antwortete Tatsuo. »Shiori hat Euch vor fünf Tagen hierher gebracht.«
»Fünf Tage?« Akiyoshi starrte beide ungläubig an. »Ihr macht Witze!«
Shiori schüttelte den Kopf. »Wir waren wirklich sehr in Sorge um Euch«, meinte sie. »Umso erleichtert sind wir, dass Ihr heute endlich aufgewacht seid.«
»Es tut mir sehr Leid, dass ich Euch Umstände gemacht habe«, wandte sich Akiyoshi an Tatsuo. »Ich habe leider nichts bei mir, mit dem ich Euch entschädigen könnte.«
»Das ist doch nicht nötig. Wir-«, setzte Shiori an, wurde aber sofort von ihrem Großvater unterbrochen.
»Erholt Euch einfach so schnell möglich und reist weiter«, knurrte er. »Wir hätten Euch wohl kaum einfach liegen lassen können.«
»Shiori hat mir erzählt, dass Ihr ein Samurai wart«, sagte Akiyoshi, merkte aber schon, während er sprach, dass er das besser nicht getan hätte.
»Wie alt seid Ihr Hasegawa-san?«, erkundigte Tatsuo sich grimmig.
Akiyoshi schluckte. Auf einmal fühlte sich sein Mund trocken an. »Vor drei Monaten bin ich dreiundzwanzig geworden.«
»Und wie alt ist Euer Dienstherr? Dreißig? Vierzig?«, erkundigte sich Tatsuo und blickte ihn herausfordernd an.
Akiyoshi, den ein ungutes Gefühl beschlich, biss sich kurz auf die Lippe. »Vierundzwanzig Jahre«, antwortete er.
Tatsuo schnaubte. »Ihr scherzt.«
Akiyoshi schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Nun, dann ist Euer Dienstherr wohl nicht viel mehr als irgendein Emporkömmling einer einflussreichen Familie«, knurrte Tatsuo. »Was die Bedeutung des Bushido wirklich ist, ist Knaben wie euch wohl kaum bewusst.«
»Großvater... Bitte.« Das war Shiori.
Akiyoshi dagegen musste an sich halten, um nicht wütend aufzuspringen und Tatsuo zu einem Duell zu fordern. Was in Anbetracht seiner eigenen Verfassung kaum eine gute Idee wäre.
»Schon gut.« Tatsuo winkte ab. »Ich setze uns mal einen Tee auf. Das ist jetzt wahrscheinlich das Beste.« Er wandte sich zum Gehen um.
»Nur damit Ihr es wisst Hashimoto-sama: Mein Vater ist schon seit langer Zeit ein Ronin«, sagte Akiyoshi. »Meine Mutter ist eine Tochter eines verarmten Kaufmanns. Die Familie von mir ist also alles andere als einflussreich. Dass ich jetzt einen Dienstherrn habe ist ebenfalls mehr Glück und Zufall.«
»Das ganze Leben besteht aus Glück und Zufall«, meinte Tatsuo.
»Das stimmt«, pflichtete Akiyoshi ihm bei. »Aber bitte seht ihn Zukunft davon ab schlecht über meinen Dienstherrn zu sprechen. Vor allem da Ihr nicht einmal wisst, wer er überhaupt ist.«
»Ihr könntet mir ja sagen, wer er ist«, schlug Tatsuo vor. »Auch wenn ich nicht glaube, dass das meine Meinung ändern wird.«
»Großvater...« Shioris Stimme klang eindeutig ermahnend. »Wolltest du nicht Tee machen?«
»Das darf ich leider nicht. Zumindest nicht, solange ich meinen Auftrag noch nicht beendet habe. Zu viel steht auf dem Spiel.«
»Das habe ich mir gedacht«, entgegnete Tatsuo. »Wie auch immer. Shiori hat Recht. Ich mache uns jetzt besser einen Tee. Wir wollen schließlich, dass es Euch bald wieder besser geht. So dass Ihr bald wieder Eure Reise fortsetzen könnt.«
»Nehmt es ihm bitte nicht übel. Er meint es nicht so«, sagte Shiori entschuldigend zu Akiyoshi.
»Doch ich denke schon«, meinte dieser. »Aber mach dir keine Sorgen deshalb. Ich bin kaum in der Verfassung ihn zu einem Duell zu fordern.«
»Da habt Ihr Recht.« Wieder lächelte Shiori. Diesmal sah es gezwungener als vorhin aus. »Außerdem würde ich das nicht zulassen.«
»Das verstehe ich. Immerhin ist er deine einzige Familie.«
»Nicht nur deswegen. Es gibt noch viele weitere Gründe.« Shiori setzte sich neben ihn. »Was ist mit Euch? Eure Familienverhältnisse scheinen ebenfalls nicht so einfach zu sein.« Sie klang neugierig.
»Nicht einfach ist eine Untertreibung.« Er verzog das Gesicht. »Es ist kompliziert. Und selbst das ist noch eine milde Umschreibung.«
»Dann seid Ihr also der einzige Sohn?«, fragte Shiori.
»Ich habe... Nein, das stimmt nicht. Ich hatte einen älteren Bruder. Jetzt habe ich nur noch eine jüngere Schwester. Sie ist elf.« Er wusste selbst nicht, warum er ihr das erzählte.
»Oh, das tut mir leid. Entschuldigt bitte.« Sie sah ihn betroffen an.
»Schon in Ordnung.« Akiyoshi winkte ab. »Ich war also fünf Tage hier? Stimmt das?«
Shiori nickte. »Ja. Ihr seid vom Pferd gefallen und danach hatte Euch das Fieber die nächsten Tage fest im Griff. Es stand sehr schlecht um Euch. Wir... Ich habe mir sehr große Sorgen gemacht.«
»Vom Pferd gefallen?« Akiyoshi verzog das Gesicht. »Ich muss wohl keinen guten Eindruck bei dir hinterlassen haben.«
»Niemand macht einen guten Eindruck wenn er krank ist«, entgegnete Shiori. »Das könnt Ihr mir glauben.«
»Auch wieder wahr.« Er nickte. »Was ist mit meinem Pferd? Ist er wieder weg gelaufen?«
»Nein, ich habe ihn in die Scheune gebracht und versorgt. Es geht ihm gut.«
»Danke.« Akiyoshi verbeugte sich vor ihr.
»Ich habe nur getan, was jeder andere auch getan hätte«, sagte Shiori. »Ihr könnt es mir zurückzahlen indem Ihr schnell wieder gesund werdet.«
»Damit ich so bald wie möglich abreise?« , wollte Akiyoshi wissen.
Shiori schüttelte den Kopf. »Damit es Euch so schnell wie möglich wieder besser geht. Ich hätte nichts dagegen, wenn Ihr noch eine Weile hier bleibt.«
»Ich bin nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist«, meinte Akiyoshi. »Ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Einen sehr wichtigen. Und die Leute, die mich angegriffen haben-«
»Könnten zurück kommen, ich weiß«, fiel sie ihm ins Wort. »Es ist nur so... Hier ist es mir oft langweilig. Die nächste Stadt ist weit entfernt und unser Dorf sehr klein, wisst Ihr?«
»Du solltest das zu schätzen wissen. Gerade in so unruhigen Zeit wie jetzt. Es ist ein Glück und auch ein Wunder, dass ihr hier bisher von dem Chaos rings umher verschont geblieben seid.« Ohne darüber nachzudenken strich er ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr. »Du solltest beten, dass das so bleibt.«
»Zuerst ist es mir wichtiger, dass Ihr gesund werdet«, sie lächelte. Diesmal war es wieder ein ehrliches Lächeln. »Und wenn Ihr mir von Dingen erzählt, die Ihr bisher so erlebt habt, würde ich mich sehr freuen.«
»Ich habe doch schon gesagt, dass ich nichts von meinem Auftrag erzählen darf«, erinnerte er sie.
»Das habe ich doch auch gar nicht verlangt, oder? Ich will nur ein paar Dinge wissen, die Ihr so erlebt habt. Oder was Ihr sonst so getan habt.« Sie zwinkerte ihm zu. »Oder Ihr erzählt mir von Eurem Dienstherr. Seinen Namen müsst Ihr mir ja nicht nennen, wenn Ihr nicht wollt.«
»Bist du immer so neugierig?«, erkundigte er sich bei ihr.
Shiori lachte. »Das merkt Ihr erst jetzt? Dabei hatte ich Euch doch schon vorgewarnt.«
»Hab ich wohl vergessen.« Er seufzte. »Aber gut. Ein kleines bisschen kann ich erzählen. Doch erwarte nicht, dass ich auf jede Frage von dir antworte. Du lebst ruhig hier und auch wenn du es dir wünschst, dass das anders ist: Es ist besser so. Doch wenn du zu viel von mir weißt, könnte sich das allzu schnell ändern.«
»Soll das heißen, dass Ihr doch nicht solch ein Ehrenmann seid, wie ich bisher dachte?«, zog sie ihn auf.
»Ich schon, aber nicht die Männer, die mich tot sehen wollen«, entgegnete er ernst auf ihre Frage, ohne die Miene zu verziehen, obwohl er wusste, dass sie scherzte. »Und das sind nicht einmal die Einzigen, die gefährlich sind. Das kannst du mir glauben.«
Für einen Moment zögerte Shiori. Dann aber straffte sie die Schultern. »Das glaube ich Euch auch. Doch Angst hilft keinem weiter. Warum also nicht das Leben genießen solange man es hat?«
»Du kannst das leicht. Doch es gibt Dinge auf dieser Welt, die sich nicht so einfach lösen lassen«, sagte Akiyoshi. »Meine Erfahrung, die ich im Laufe der Zeit immer wieder gemacht habe ist, dass je näher Menschen einem stehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass man von ihnen verletzt wird. Egal ob man das nun will oder nicht. Und ich möchte nicht, dass du verletzt wirst wegen mir.«
»Ihr scheint es nicht zu wissen Akiyoshi-sama, aber manchmal ist es das wert«, sagte Shiori. »Das wiederum weiß ich aus Erfahrung.«
»Also gut.« Akiyoshi seufzte. »Ich habe dich gewarnt, mehr kann ich nicht tun.«
»Stimmt.« Sie nickte. »Und jetzt fangt endlich zu erzählen an.«
Shiori wusste, dass sie auf Akiyoshi hören sollte. Er hatte bestimmt Recht, wenn er sagte, dass die Männer, welche ihm folgten, gefährlich waren. Und es machte nur Sinn, dass sie selbst, dann in diese Sache verwickelt war. Dennoch: Sie wollte hören, was er auf seinen Abenteuern bisher so erlebt hatte.
»Also, was möchtest du, dass ich dir erzähle?«, riss Akiyoshi sie in diesem Moment aus ihren Gedanken. »Gibt es irgendwas bestimmtes?«
Sie schüttelte den Kopf. »Fangt mit dem an, womit Ihr Euch am besten fühlt.«
»Das ist leichter gesagt, als getan«, meinte Akiyoshi. »Mein ganzes Leben war bisher nicht gerade ruhig, geschweige denn lustig.«
»Ich habe doch auch nicht nach einer lustigen Geschichte gefragt, oder?«, wollte sie wissen.
»Auch wieder wahr.« Er nickte. Dann setzte er sich noch einmal bequemer auf dem Futon hin. »Ich darf dir nicht sagen, wer mein Meister ist. Aber vielleicht interessiert es dich, wie ich ihn getroffen habe?«
»Oh ja, unbedingt!«, rief Shiori begeistert. »Er ist nur ein Jahr älter als Ihr, richtig?«
Akiyoshi nickte. »So ist es. Und seit dem Tag, an dem ich ihn getroffen habe, sind nur vier Monate vergangen. Um genau zu sein, war es an seinem Geburtstag, dem einundreißigsten Dezember, als wir uns kennenlernten.«
»Sein Geburtstag?«, fragte Shiori ihn erstaunt. »Das muss ja tatsächlich eine Überraschung gewesen sein. Für euch beide.«
»So ist es.« Wieder nickte Akiyoshi. »Auch wenn ich manchmal immer noch glaube, dass ihm eigentlich nur langweilig war. Aber genau weiß ich das natürlich nicht.«
»Ihr könnt ihn ja mal fragen«, schlug sie ihm vor.
Akiyoshi schüttelte, zu ihrem Erstaunen, den Kopf. »Nein, besser nicht.«
»Warum nicht?«, wollte sie wissen. »Er wird Euch wohl kaum den Kopf abreißen, oder?«
»Mein Meister ist manchmal etwas speziell. Es gibt nicht viele Menschen, die ihn verstehen. Geschweige denn überhaupt welche, die ihm nahe stehen. Dass ich die Ehre habe, kann ich immer noch kaum glauben.«
»Das hört sich an, als ob Ihr ihm sehr nahe steht«, wandte Shiori nachdenklich ein.
»Ich will wirklich nicht arrogant klingen, doch ich denke man kann uns fast Freunde nennen. Oder zumindest Vertraute.« Akiyoshi lächelte. »Was vermutlich keine Überraschung ist, wenn man bedenkt, dass er mir gleich zweimal das Leben gerettet hat.«
»Also jetzt bin ich echt neugierig«, stellte Shiori klar.
»Das habe ich mir gedacht.« Akiyoshi grinste.
»Sehr gut.« Sie erwiderte sein Grinsen. »Also was ist? Ich bin ganz Ohr.«
***
Der Bezirk, in welchem Akiyoshi unterwegs war, war der abstoßendste und verrufenste von allen in seiner Stadt. Hier fand sich der letzte Abschaum, der sich bei Tag meist überhaupt nicht auf die Straße traute. Akiyoshi wäre gar nicht erst hier, wenn er es nicht zwingend gemusst hätte. Doch genau das war der Fall.
»Am besten bring ich das einfach schnell hinter mich«, murmelte er vor sich hin und zog die Kapuze seines Mantels ein Stück tiefer in sein Gesicht. Auch wenn er natürlich wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass man ihn erkannte. Denn er war zum ersten Mal hier. Ginge es nach ihm, würde es zugleich das letzte Mal sein. Was tat man nicht alles für seine Eltern. Doch wie sagte schon Buddha: »Ehre deine Eltern.« Manchmal aber fragte er sich, ob es dabei ein Limit gab. Und wenn es das tat, wo es lag.
»Hey, Süßer. Lust auf eine Nacht mit mir? Du kommst ganz sicher auch auf deine Kosten und billig bin ich auch«, hörte er, wie eine Frau ihn von der Seite ansprach.
»So siehst du auch aus«, dachte Akiyoshi bei sich, schnaubte missfällig und ließ sie ohne eine Antwort stehen. Er zog den Zettel mit der Adresse aus seiner Tasche. So weit weg von hier konnte es nicht mehr sein. Er sah sich um. Für einen Moment bedauerte er es, dass er lediglich sein Tantō bei sich trug. Doch sein Katana und Wakizashi hätten ihn augenblicklich als das ausgewiesen, was er auch war: Ein Samurai. Das konnte er sich hier nicht leisten. Oder vielmehr einen Ronin. Denn einen Dienstherrn, dem er dienen konnte, hatte er momentan leider nicht. Was ein weiteres seiner vielen Probleme war, über das er nicht die Zeit hatte, nachzudenken. Zumindest nicht jetzt. Denn jetzt hatte er etwas anderes zu erledigen.
»Aus dem Weg!«
Bevor Akiyoshi auch nur die Möglichkeit hatte zu reagieren, wurde er so heftig angerempelt, dass er ins Straucheln geriet. An ihm vorbei eilte jemand, der wie er selbst, einen dunklen Mantel mit Kapuze trug, die das Gesicht der Person verdeckte. Dennoch konnte Akiyoshi erkennen, wie elegant und gewandt diese Person sich bewegte. Es war beeindruckend.
»Verflucht nochmal! Hättet Ihr diese Ratte nicht einfach festhalten können? Jetzt ist mir dieser Dieb entwischt!«, rief ein Mann wütend, der aus einem der Häuser gerannt kam. »Und Ihr seid schuld daran!«
Akiyoshi runzelte die Stirn. War es klug sich auf eine Diskussion einzulassen? Wohl kaum.
»Seid ihr taubstumm, oder was?«, schimpfte der Mann weiter auf ihn ein. »Oder ignoriert Ihr mich einfach?«
»Wenn Ihr von dieser Person bestohlen wurdet, ist das bedauerlich aber nichts was mich etwas angeht«, sagte Akiyoshi betont ruhig. »Doch jetzt entschuldigt mich bitte: Ich habe selbst etwas zu erledigen.«
»Etwas zu erledigen, ja?«, wiederholte der Mann sarkastisch. »Was könnte das wohl sein?«
»Nichts, das Euch etwas angeht«, antwortete Akiyoshi.
»Ist das so?«, der Mann baute sich drohend vor ihm auf. »Wer ersetzt mir dann den Schaden? Denn der Dieb konnte entkommen, wegen Euch. Seid Ihr womöglich sein Komplize und steckt mit ihm unter einer Decke?«
»Natürlich nicht. Jetzt lasst mich endlich in Ruhe«, knurrte Akiyoshi. »Ich habe nichts mit Euch und Eurem Dieb zu tun.«
»Das lasst mal mich entscheiden«, entgegnete der Mann. »Jetzt zeigt mir Euer Gesicht. Das dürfte wohl kaum ein Problem sein, wenn Ihr nichts zu verbergen habt. Oder irre ich mich?«
Das war das Letzte, was Akiyoshi wollte. Doch bevor er etwas tun, geschweige sagen konnte, zog der Mann ihm die Kapuze vom Kopf. Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Doch dann ...
»Ihr!«, rief der Mann. »Ihr seid es! Wie könnt Ihr es nur wagen, hier aufzukreuzen? Ich muss schon sagen: Entweder seid Ihr komplett verrückt oder einer der mutigsten Männer, die ich kennenlernen durfte.«
So wie es sich anhörte, tippte Akiyoshi darauf, dass der Mann glaubte, dass Ersteres zutraf. Widersprechen konnte er ihm da nicht. Er selbst befand sich gewiss nicht, hier weil er es wollte. »Dann seid ihr«, sagte Akiyoshi, nachdem er wenigstens halbwegs seine Fassung wieder gewonnen hatte »flinkes Wiesel?«
»Ganz genau. Und Ihr müsst der jüngere Sohn von Shinji sein«, flinkes Wiesel feixte. »Was könnte solch jemand wie Ihr es seid wohl von mir wollen?«
Akiyoshi der fand, dass dieser Name äußerst passend war, besonders der Part mit dem Wiesel, verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Ihr wisst ganz genau, weshalb ich hier bin!«, brach es aus ihm heraus. »Also tut bloß nicht so, als wüsstet Ihr es nicht!«
»Ach... Geht es etwa wieder um diese alte Geschichte?«, flinkes Wiesel verdrehte die Augen. »Ich habe Shinji schon gesagt, dass... «
»Denkt Ihr wirklich, dass es reicht, Euer Bedauern auszudrücken? Ihr tragt Schuld an dem Tod meines Bruders!«, rief Akiyoshi wütend und packte flinkes Wiesel am Kragen seines Hemdes. »Überdies war er ein angesehener Samurai, wie Ihr auch sehr gut wisst. Glaubt bloß nicht, dass Ihr das aussitzen könnt!«
»Was wollt Ihr nun machen? Etwa die Polizei damit behelligen? Die haben mit Sicherheit anderes tun, als sich Eure Beschwerden anzuhören. Vor allem, da Ihr und Euer Vater noch nicht einmal stichhaltige Beweise habt.« Flinkes Wiesel gab sich unbeeindruckt, doch Akiyoshi bemerkte, wie eines seiner Augen nervös zu zucken begann.
»Beweise?«, fauchte Akiyoshi wütend. »Ein Halsabschneider wie Ihr verlangt Beweise?« Er konnte kaum an sich halten.
»Natürlich. Alles andere wäre Selbstjustiz, oder nicht?«, fragte flinkes Wiesel. »Aber mal von Ehrenmann zu Ehrenmann: Ihr wisst nicht was Aizen -«, weiter kam er nicht.
»Wagt es nicht den Namen meines Bruders in Euren Mund zu nehmen«, knurrte Akiyoshi. »Jemand wie Ihr es seid hat nicht das Recht dazu.« Er funkelte flinkes Wiesel an. »Und meine Schwester werdet Ihr auch endlich in Ruhe lassen. Ansonsten seit demnächst Ihr es, der den Kopf verliert.«
»Soll das eine Drohung sein?«, fragte flinkes Wiesel, obwohl die Antwort offensichtlich war und keinerlei Erläuterung bedurfte.
Akiyoshi zuckte mit den Schultern. »Im Moment ist es erstmal eine Warnung. Es kommt darauf an, was Ihr daraus macht.« Er räusperte sich kurz. »Doch wie ich, wisst auch Ihr mit Sicherheit, dass es kein Verbrechen darstellt, wenn ein Samurai jemanden wie Euch tötet.«
»Samurai, ha! Ihr und Shinji seid höchstens gewöhnliche niederrangige Ronin! Das wird sich vermutlich so bald auch nicht ändern«, flinkes Wiesel schnaubte abfällig. »Außerdem kenne ich Leute, die Ihr nicht unterschätzen solltet. Leute, gegen die so jemand wie Ihr nichts ausrichten könnt.«
Akiyoshi ballte zornig die Hände zu Fäusten. Dann, wie es geschah, wusste er selbst nicht genau, fühlte er auf einmal, wie sich kalter Stahl hart gegen seine Kehle presste.
»Also wollt Ihr nun auch mich töten?«, fragte Akiyoshi flinkes Wiesel mit gepresster Stimme. »Ist das Euer Ernst?«
»Und wie es das ist. Doch daran seid Ihr ganz allein Ihr Schuld«, stellte flinkes Wiesel klar. »Euer erster Fehler war, überhaupt hierher zu kommen. Der zweite diesen verfluchten Dieb nicht aufzuhalten, als Ihr die Möglichkeit dazu hattet und der dritte schließlich, dass Ihr glaubt mir gewachsen zu sein.«
»Wer soll es nach mir sein? Mein Vater, meine Mutter – oder doch meine Schwester?«
»Aber nein. Für Eure Schwester habe ich eine ganz besondere Verwendung, das kann ich Euch versichern. Ich werde mich Ihrer persönlich annehmen, wenn Ihr wisst was ich meine«, antwortete flinkes Wiesel.
Akiyoshi, der nur allzu gut verstand, spürte, wie sich allmählich Übelkeit in ihm auszubreiten begann. Seine Schwester war vor ein paar Tagen elf geworden. »Das werde ich nicht zulassen«, presste er hervor und versuchte den Schmerz, den er fühlte, als sich der Dolch durch das Sprechen noch enger an seine Kehle drückte, zu ignorieren.
»Wollt Ihr hier sterben oder geduldig warten bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist?«, hörte Akiyoshi eine Stimme hinter sich im Dunkeln.
Die Antwort, welche die richtige war, hätte er gerne gegeben. Doch leider war ihm das nicht möglich in der gegenwärtigen Situation. Überhaupt fragte Akiyoshi sich, warum flinkes Wiesel ihn nicht längst getötet hatte.
»Ihr sagt ja gar nichts mehr«, höhnte dieser. »Habt wohl die Sprache verloren. Soll mir auch recht sein.«
»Ich werde Euch helfen«, ertönte wieder die Stimme aus der Dunkelheit. »Aber dafür müsst Ihr mir dienen. Bis ich Euch aus meinem Dienst entlasse. Falls ich das überhaupt jemals tun werde.«
»Einverstanden.« Akiyoshi wusste nicht, ob er es flüsterte oder doch nur dachte. Zu unwirklich erschien ihm all das. Fast wie ein Traum, etwas, auf das er keinen Einfluss nehmen konnte. Andererseits: Er hätte so einen Meister und konnte sich endlich mit Stolz einen wahren Samurai. Zumindest wenn er das überlebte und das war recht fraglich. Dann, ganz plötzlich, hörte er ein lautes gequältes Aufstöhnen und sah überrascht, wie flinkes Wiesel vor ihm zusammenbrach und sich mit einem Mal der Dolch an seiner Kehle lockerte.
»Los jetzt!«
Akiyoshi verspürte einen festen Griff um sein Handgelenk, dann rannte er los ohne sich ein weiteres Mal umzusehen. Der einzige Gedanke, der sich in seinem Kopf fand war: »Schnell weg hier.«
Dann irgendwann, wie weit sie gerannt waren konnte Akiyoshi nicht sagen, hielten sie in einer Seitengasse an.
»Wie ist Euer Name?«, wollte sein Retter wissen.
Akiyoshi räusperte sich vorsichtshalber. Er war nicht sicher, ob er seiner Stimme trauen konnte. »Hasegawa«, antwortete er dann und verneigte sich kurz. »Hasegawa Akiyoshi zu Euren Diensten. Ich bin ein Ronin.«
»Nein. Ihr wart ein Ronin«, wurde er sofort korrigiert. »Da Ihr mir nun dient, seid Ihr ein Samurai. Und ich kann Leute wie Euch gebrauchen.«
»Wie ist Euer Name?«, wollte Akiyoshi wissen. »Ihr habt Euch noch gar nicht vorgestellt.«
»Oh, natürlich. Wie unaufmerksam von mir.« Sein Retter verbeugte sich ebenfalls, wenn auch kurz. »Ihr dürft mich Yasu nennen. Zumindest vorerst.«
»Dann ist der Name Eures Dienstherren also Yasu?«, erkundigte sich Shiori bei Akiyoshi, kaum dass er seinen Bericht beendete.
Dieser schüttelte, wenig überrascht ob ihrer Frage, den Kopf. »Das war schlicht und einfach der Name, mit dem er sich mir, bei dem ersten Treffen mit mir vorgestellt hat.«
»Wie meint Ihr das?«, erkundigte sich Shiori.
»Ganz genau so, wie ich es sage«, entgegnete Akiyoshi. »Er hat sich mir, an dem Abend, da wir uns kennengelernt haben, nicht direkt mit seinem Namen vorgestellt.«
»Hat Euch das nicht verwundert?« Shiori runzelte die Stirn. »Mich hätte es. Ich meine es ist schon seltsam, oder nicht?«
Akiyoshi konnte nicht anders, als aufzulachen.
»Was ist so lustig?«, wollte Shiori wissen. »Ich habe doch nichts dummes gefragt, oder?«
»Nein, natürlich nicht«, beruhigte er sie. Er räusperte sich kurz. »Natürlich war ich auch ein wenig verwundert, da hast du vollkommen Recht. Allerdings war ich damals vor allem erst einmal froh, aus dieser brenzligen Situation entkommen zu sein.«
»Und ist Euer Dienstherr ... Also dieser Yasu ein guter Herr für Euch?«, erkundigte sich Shiori.
Akiyoshi lächelte. »Das ist er, das kannst du mir glauben. Er mag menschenscheu sein, aber er ist in der Tat vernünftig und gerecht. Wenn auch manchmal etwas streng.«
»Da habt Ihr dann wohl Glück gehabt.« Shiori erwiderte sein Lächeln. »Wäre er kein guter Herr, hättet Ihr ein Problem. Immerhin hattet Ihr Euch ihm verpflichtet ohne irgendetwas von ihm zu wissen.«
»Das ist wahr«, stimmte er ihr zu. »Doch ich bereue es ist. Ganz im Gegenteil.«
»Und was ist jetzt mit Eurer Familie? Dieses Wiesel hat sich doch nicht wieder bei ihnen gemeldet?«, wollte sie wissen.
Akiyoshis Gesicht verfinsterte sich auf diese Frage hin sofort. »Wenn ihm etwas an seiner Gesundheit liegt und er weiß, was gut für ihn ist, dann nicht.« Er hielt einen Moment inne. »Mein Meister hat mir versprochen, meine Familie in der Zeit, in welcher ich nicht bei ihnen sein kann, zu beschützen. Und ich vertraue ihm.«
»Dann hattet Ihr wohl mehr Glück mit Eurem Dienstherr, als manch andere«, mischte sich Tatsuo, der eine große dampfende Teeschale in den Händen hielt, ein. »Auch wenn ihr beide noch sehr jung seid.«
»Ich bin mir sicher, dass ich Yasu auf ewig dienen werde. Nur beendet durch seinen oder aber meinem Tod«, sagte Akiyoshi und meinte es vollkommen ernst damit.
Tatsuo blickte ihn überrascht an. »Wenigstens mit Eurem Diensteid und Eurer Treue scheint Ihr es aufrichtig zu meinen.« Er reichte ihm die Teeschale.
Akiyoshi nahm sie mit einer Verbeugung an. »Danke.«
»Dennoch würde es mich nur allzu sehr interessieren, wer Euer Dienstherr ist, für den Ihr so weit geht«, meinte Tatsuo nachdenklich.
»Mich auch«, merkte Shiori an. »Ihr habt mich wirklich neugierig gemacht.«
»Das darf und werde ich nicht tun. Mir wurde vor meiner Reise ein Schwur abgenommen, den ich gedenke einzuhalten. Der, dass es mir nur dann erlaubt ist, wenn es nicht anders geht«, erklärte Akiyoshi ihnen. Er trank einen Schluck von dem Tee. »Das schmeckt sehr gut. Ingwertee, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Tatsuo und nickte. Er runzelte die Stirn. »Ist es Eure erste Mission?«, wollte er wissen.
Akiyoshi zögerte. Entschloss aber, dass er ihm diese Frage beantworten konnte. »Meine erste große, ja.«
»Ich verstehe«, sagte Tatsuo und schien für einen Moment in Erinnerungen zu schwelgen.
»Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Ihr nach so vielen Jahren ein Ronin geblieben seid, Hashimoto-sama?«, erkundigte Akiyoshi sich bei ihm. »Hier weit weg von der nächsten Stadt mag nicht viel los sein aber ...«
»Das geht Euch nichts an!« Tatsuo blickte ihn finster an.
»Großvater, bitte beruhige dich«, bat Shiori ihn, bevor Akiyoshi etwas sagen konnte. »Ich habe dir schon so oft gesagt, dass es nicht gut für dich ist, wenn du dich so aufregst.«
»Ich weiß, ich weiß.« Tatsuo seufzte. Dann sah er Akiyoshi an. »Da hört Ihr es. Also fragt mich nicht weiter danach. Jeder Mann hat seine Geheimnisse. Ihr seht also, dass Ihr damit nicht der Einzige seid.«
Akiyoshi nickte und beschloss sich, an diesen Rat zu halten. Auch wenn er sich insgeheim immer noch fragte, was einen Mann wie Tatsuo dazu bewogen haben mochte, einem weiteren Dienstherrn zu dienen und stattdessen ein Ronin zu bleiben. Er sah hinüber zu Shiori. Konnte sie bei dieser Entscheidung etwa eine Rolle gespielt haben? Aber wie passte das zusammen? Er konnte es sich nicht erklären. Außerdem ging es ihn auch eigentlich gar nichts an.
Shiori, die anscheinend zumindest einen Teil seiner Gedanken erriet, sah ihn lächelnd an. »Wie wäre es, wenn Ihr Euch nochmal kurz hinlegt und Euch ausruht, Akiyoshi-sama?«, schlug sie vor. »Über alles weitere können wir auch später reden.«
Er beschloss, dass es klüger war sich jetzt erstmal an diesen Rat zu halten. Außerdem fühlte er langsam, dass ihn das viele Reden müder gemacht hatte, als er zuvor dachte. Oder lag es vielleicht doch am Tee? Er gähnte. »Einverstanden«, sagte er. Dann machte er es sich erneut auf seinem Futon gemütlich und schlief ein.
Als Akiyoshi das nächste Mal wach wurde, geschah dies dadurch, dass ihm ein köstlicher Geruch in die Nase stieg. Er setzte sich auf, was ihm jetzt leichter fiel, als zuvor.
»Oh! Ihr seid wieder wach!«, hörte er dann auch schon Shiori. »Genau rechtzeitig zum Essen.«
Akiyoshi nickte. »Es war dieser großartige Duft, der mich geweckt hat.«
Shiori errötete. »Lobt es lieber erst, nachdem Ihr gegessen hat. Außerdem ist es wirklich nichts besonderes. Nur ein wenig Reis mit Gemüse.« Sie hielt ihm eine Schale hin. »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr gerne mehr haben. Ihr müsst schließlich langsam wieder zu Kräften kommen.«
Wieder nickte Akiyoshi. »Vielen Dank.« Er sah sich um. »Ist dein Großvater nicht da?«
»Er dreht nur seine abendliche Runde. Das ist eine alte Gewohnheit von ihm«, erklärte Shiori und setzte sich neben ihn. »Ihr müsst Euch keine Sorgen machen.«
»Abendliche Runde?«, wiederholte er erstaunt zwischen ein paar Bissen. »Hab ich denn so lange geschlafen?«
»Auf jeden Fall einige Stunden«, antwortete Shiori. »Aber bis zur Dämmerung ist noch etwas Zeit.«
»Dämmerung?«, vor lauter Überraschung verschluckte Akiyoshi sich.
»Nein eben nicht«, entgegnete Shiori. »Noch nicht. Aber in drei, vier Stunden dürfte es so weit sein.« Sie runzelte die Stirn. »Fühlt Ihr euch denn inzwischen etwas besser?«
»Ja«, antwortete er. »Was ich wohl vor allem dir zu verdanken habe.«
»Unsinn.« Shioris Wangen verfärbten sich noch etwas röter, als sie ohnehin schon waren. »Glaubt mir: Jeder andere in meiner Situation hätte dasselbe getan, da bin ich mir sicher.«
»Du bist wirklich sehr naiv und unschuldig«, bemerkte Akiyoshi. Er konnte sich nicht länger eines Lächelns erwehren. »Das ist wahrhaft faszinierend.«
»Faszinierend?«, echote Shiori. »Was meint Ihr damit?« Nun glühten ihre Wangen so rot wie Feuer.
»Ja«, bestätigte er. »Die meisten Leute, die ich kenne würden niemals uneigennützig einem Fremden helfen.«
»Selbst Euer Dienstherr nicht?«, wollte Shiori wissen.
Akiyoshi runzelte wegen dieses urplötzlichen Themenwechsels die Stirn. »Ich glaube, es weiß nie jemand genau, was er denkt. Selbst ich nicht. Denn immer wenn ich meine ihn endlich durchschaut zu haben, werde ich doch eines Besseren belehrt.«
Shiori, deren Gesicht wieder eine normale Farbe annahm, lächelte. »Dieser Yasu muss wirklich ein besonderer Mensch sein.«
»Das ist er«, sagte Akiyoshi, ohne zu zögern. »Ich will nicht übertreiben, doch ich bin überzeugt davon, dass man selbst in hundert Jahren noch voller Ehrfurcht von ihm sprechen wird.«
»Das hört sich jetzt wirklich übertrieben an«, meinte Shiori. »Das ist wohl kaum möglich.«
»Wenn du ihn kennen würdest, sähest du es genauso«, entgegnete Akiyoshi. »Das kannst du mir glauben.«
»Wenn Ihr das sagt.«
Er konnte ihr anhören, dass sie ihn nicht ernst nahm. Übel nehmen konnte er ihr das nicht. Dennoch war das, was er ihr zu ihr gesagt hatte, nicht nur Gerede, sondern seine ehrliche Meinung. Aber natürlich hieß das längst nicht, dass sie ihm das glauben musste.
»Was ist eigentlich das Ziel Eurer Reise?«, wechselte Shiori das Thema.
Dermaßen unvermittelt, dass er vor lauter Überraschung aus Versehen sogar auf ihre Frage antwortete. »Iga.« Kaum hatte er es gesagt, wäre er am liebsten direkt im Boden versunken. Denn auch wenn Shiori hier in einem kleinen Dorf auf dem Land kam, musste sie wissen, wofür Iga stand. Und dass sie das tat, konnte er daran erkennen, wie sie ihn ansah.
Shiori konnte nicht anders als Akiyoshi überrascht anzustarren. Wie konnte sie es auch nicht, denn entgegen ihrer Erwartung hatte er auf ihre Frage geantwortet, statt sie mit irgendwas abzuspeisen. Das, was sie so erstaunte, war nicht, dass er ihr eine Antwort gab. Nein, das war es nicht. Sondern der Ort. Denn sie mochte vielleicht weitab der nächsten Stadt wohnen, doch natürlich sagte ihr der Name Iga etwas. Diese Provinz war im ganzen Land berühmt für ihre Ninjas. Hochtalentierte Krieger, die im Schatten heraus Aufträge für ihre Dienstherren ausführten. Kaum jemand hatte sie je gesehen, doch jeder wusste, dass es sie gab. Was konnte Akiyoshi von ihnen wollen? Oder war er womöglich selbst-
»Nein. Ich gehöre nicht zu diesen Leute dazu«, unterbrach Akiyoshi ihren Gedankengang, als hätte er sie komplett durchschaut.
»Ach nein?«, fragte sie und ihre Stimme hörte sich selbst in ihren Ohren seltsam schrill an.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf.
»Aber warum?«, wollte sie von ihm wissen. »Was wollt Ihr-«
»Das kann ich dir nun wirklich nicht sagen. Schon jetzt weißt du zu viel, als gut für dich ist«, stellte er klar. »Das tut mir auch sehr leid.«
Sie runzelte die Stirn. »Was meint Ihr damit?«
»Damit meine ich, dass ich nicht mehr erzählen werde.« Es klang endgültig. »Ich will nicht, dass du wegen mir noch mehr in Gefahr gerätst als ohnehin schon. Also frage mich bitte auch nicht mehr.«
»Kann ich das nicht einfach selbst für mich entscheiden?«, erkundigte sie sich, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.
»Nein.« Akiyoshi zögerte nicht einmal eine Sekunde. »Wie ich dir schon gesagt habe: Du solltest glücklich sein, dass das Chaos hier noch nicht angekommen ist.«
»Genauso habe ich Euch aber schon gesagt, dass ich mich hier des Öfteren langweile«, entgegnete sie. »Doch Großvater will nicht einmal in die nächste Stadt mit mir fahren, könnt Ihr Euch das vorstellen?« Sie klang aufgebracht, doch das war ihr egal.
»Gibt es denn einen Grund dafür?«, wollte Akiyoshi wissen.
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er hat mir noch nie einen genannt.«
»Und das lässt du so auf dir sitzen? Das hätte ich nicht von dir erwartet.«
Shiori zog eine Braue in die Höhe. »Was soll das heißen?«
»Genau das, was ich gesagt habe«, antwortete Akiyoshi. »Du siehst nicht aus, als ob du klein beigibst, wenn man dir etwas verbietest. Vor allem, wenn es dafür keinen Grund gibt.«
Shiori seufzte. »Ich weiß, dass man es meinem Großvater nicht so leicht ansehen kann. Doch seine Gesundheit ist nicht die Beste. Es ist sehr wichtig, dass er sich nicht aufregt.«
»Also verzichtest du lieber darauf, damit es ihm besser geht?«, wollte Akiyoshi von ihr wissen. »Ist das denn wirklich die richtige Lösung dafür? Solltest du nicht das tun, was dir gefällt und wichtig ist?«
Shiori biss sich auf die Unterlippe, wie sie es oft tat, wenn sie sich in ihrer Haut nicht wohl fühlte. Akiyoshi ahnte es nicht, doch mit was er sagte, traf er einen wunden Punkt bei ihr. »Großvater bedeutet mir sehr viel«, brachte sie mit heiserer Stimme hervor. »Ich dagegen habe mein ganzes Leben noch vor mir.«
Akiyoshi nickte. »Das ist wahr.« Er musterte sie knapp. »Aber du hast doch bestimmt noch Freunde, mit denen du etwas unternehmen kannst, oder?«
»Ja«, antwortete sie. »Rin, zum Beispiel. Sie ist die Tochter vom Dorfvorsteher. Und dann wäre da doch-« Sie schaffte es nicht mehr, ihren Satz zu beenden. Denn genau in diesem Moment wurde die Tür schwungvoll geöffnet.
»Shiori-chan!«
Sie zuckte unwillkürlich zusammen, doch als sie bemerkte, wer es war, lächelte sie über ihr ganzes Gesicht. »Towa-san! Du bist wieder hier?«
»Ja, wie du siehst«, entgegnete Towa. »Meine Schwester hat mir erzählt, dass dein Großvater und du zurzeit einen Fremden zu Besuch habt. Da dachte ich, dass ich bei euch vorbeischaue wenn ich sowieso gerade hier bin.«
»Genau«, entgegnete Shiori. Sie wandte sich an Akiyoshi. »Wenn Ihr erlaubt ihn mir vorzustellen, das hier ist Towa. Er ist der ältere Bruder von meiner besten Freundin Rin.«
»Und Ihr seid?«, erkundigte sich Towa.
»Mein Name ist Hasegawa Akiyoshi«, stellte der sich mit einer Verbeugung vor.
»Euer Name ist Hasegawa? Und Ihr seid ein Samurai, wie ich sehe.« Shiori konnte sich nicht erklären warum, doch Towa klang überrascht.
»Ja.« Akiyoshi nickte. »So ist es. Weshalb fragt Ihr?«
Towa winkte ab. »Ach nichts.«
Shiori kannte den Bruder ihrer besten Freundin lange genug, um zu erkennen, dass es nicht »nichts« war. Kurz überlegte sie, ob sie nachhaken sollte, entschied sich dann aber dagegen. »Wie war es in Kyoto?«, erkundigte sie sich stattdessen.
»Ihr wart in Kyoto?« Nun war es Akiyoshi, der überrascht zu sein schien. »Weshalb?«
»Ja war ich«, antwortete Towa. »Aber weshalb geht Euch, bitte entschuldigt meine Direktheit, nichts an.« Er musterte ihn. »Was ist mit Euch? Wieso seid Ihr hier?«
»Ich bin auf Durchreise«, antwortete Akiyoshi ausweichend.
»Wieso habt Ihr Euch dann keine Unterkunft unten im Dorf genommen, sondern seid hier bei Shiori-chan?«, wollte Towa wissen. »Ihr wollt ihr und ihrem Großvater doch sicher nicht zur Last fallen, oder?«
»Akiyoshi-sama fällt uns nicht zur Last. Im Gegenteil«, versicherte Shiori, bevor dieser etwas dazu sagen konnte. »Außerdem war er sehr krank. Du weißt selbst, dass Großvater und ich hier die besten Heilkräuter haben.«
»Wenn du das sagst.« Towa verschränkte die Arme vor der Brust. »Trotzdem würde mich wirklich interessieren, was ein Samurai wie Ihr so fern von der nächsten großen Stadt zu suchen hat.«
»Und mich würde interessieren was der Sohn eines Dorfvorstehers von einem so kleinen Dorf, wie diesem hier, in Kyoto zu suchen hat«, konterte Akiyoshi, ohne zu zögern.
Shiori wusste nicht warum, doch auf einmal lag eine Spannung zwischen den beiden in der Luft, die ihr den Atem zu nehmen drohte. Oder bildete sie sich das nur ein? Doch das konnte nicht sein.
»Ist das so?«, fragte Towa und blickte Akiyoshi an.
Dieser nickte. »So ist es. Außerdem schient Ihr vorhin überrascht meinen Namen zu hören. Oder zumindest so, als hörtet Ihr ihn nicht zum ersten Mal.«
»Stimmt, das ist mir auch aufgefallen«, meinte Shiori.
»Ach was. Ihr irrt euch beide.« Towa winkte ab. »So selten ist der Name Hasegawa nun auch wieder nicht.«
Shiori verzog das Gesicht. »Komm schon, jetzt tu nicht so. Da ist doch etwas, das du nicht sagst. Bisher konnten wir über alles reden. Warum erzählst du also nicht davon?«
»Weil es jetzt anders ist. Denn nun ist er da«, antwortete Towa. »Aber selbst dann, würde ich es für mich behalten. Das einzige was ich dir raten kann, ist das du sehr vorsichtig bist, solange er hier ist.« Er blickte Akiyoshi an. »Und Ihr solltet so schnell wie möglich weiter reiten. Wo auch immer Euer Ziel sein mag.«
»Ich weiß«, entgegnete Akiyoshi. »Außerdem ist es in meinem Sinne bald wieder weiter zu reisen, das könnt Ihr mir glauben. Auch wenn ich Shiori-san natürlich sehr dankbar für ihre Hilfe bin.«
»Gut, dann muss ich mir wohl doch keine Sorgen machen.« Towa klang zufrieden. »Also dann, wir sehen uns nachher noch Shiori.«
»Warte, Towa-san! Willst du nicht noch eine Tasse Tee mit uns trinken? Jetzt bist du doch ohnehin schon hier. Und mein Großvater kommt gleich wieder. Er wird sich bestimmt freuen dich zu sehen.«
»Also gut. Ein bisschen kann ich wohl doch noch bleiben. Außerdem habe ich Tatsuo-sama schon einige Monate nicht mehr gesehen. Ihm geht es doch gut, oder?«
»Es ist ein ständiges Auf und Ab«, sagte Shiori. »Du weißt ja, wie er ist.« Sie lächelte Towa an. »Setz dich doch bitte. Du musst dir schließlich nicht die Beine in den Bauch stehen.«
»Danke.« Er tat, worum sie ihn bat.
»Nun, dann setze ich uns mal Tee auf«, meinte Shiori. »Bin gleich wieder da. Ihr beide könnt euch ja auch miteinander unterhalten.« Sie sah Akiyoshi an.
Der nickte nach kurzem Zögern. »Nur keine Eile.«
Shiori hatte trotzdem das Gefühl, dass es besser wäre, die beiden Männer nicht allzu länger als unbedingt nötig alleine zu lassen. Aber glücklicherweise verging ja nie viel Zeit, bis das Wasser aufkochte. Das war vermutlich auch besser so.
Akiyoshi war sich nicht sicher, was er von Towa halten sollte. Vor allem deshalb, wegen seiner Reaktion, als er sich vorstellte. Towa wusste etwas, da war er sich sicher. Doch was konnte das sein? Er hatte absolut keine Ahnung und so leicht würde er es ihm nicht verraten.
»Woher kommt Ihr eigentlich?«, fragte Towa ihn in genau diesem Moment.
»Mikawa«, antwortete Akiyoshi. Es machte nicht aus, wenn er ihm das erzählte, oder? Shiori wusste es auch. Warum also sollte er es vor Towa geheim halten?
»Hab ich mir fast gedacht«, entgegnete dieser. »Dann habt Ihr ja schon eine lange Reise hinter Euch. Wo ist denn Euer Ziel?«
Es hörte sich an wie eine rein nebenher gestellte Frage, doch in Akiyoshi begangen Alarmglocken zu läuten. Unüberhörbar. Towa wusste etwas über ihn, da war er sich sicher und das gefiel ihm nicht. Doch wie sollte er Towa dazu bringen, ihm zu erzählen, was es war? Wohl kaum mit Gewalt.
»Ihr wart also eine Zeit lang in Kyoto, ist das richtig«, versuchte Akiyoshi es erneut. »Wie ist es denn zurzeit so dort? Ist es sehr chaotisch?«
»Das solltet Ihr als Samurai doch eigentlich besser als ich wissen, oder nicht?«, antwortete Towa mit einer Gegenfrage und musterte ihn skeptisch. Es war deutlich erkennbar, dass er ihm nicht traute.
»Das letzte was ich von dort gehört habe ist, dass Lord Nobunaga kurz davor ist, die ganze Provinz Mino unter sich vereint zu haben«, sagte Akiyoshi. Es war keine Information, die geheim war. Im Gegenteil. Inzwischen musste es fast jeder wissen, der nicht blind oder taub war.
»Das ist richtig«, bestätigte Towa. »Es dauert nicht mehr lange, da bin ich mir sicher. Und ehrlich gesagt, fände ich das auch ganz gut. Denn ohne jemanden, der fähig ist dieses Land zu führen wird es im Chaos versinken. Lord Oda Nobunaga scheint der richtige Mann zu sein. Denkt Ihr nicht?«
Akiyoshi zuckte den Schultern. »Dass unser Land einen Führer braucht stimmt. Vor allem da wir nicht nur einen unfähigen Kaiser haben, sondern noch nicht einmal einen Shogun. Stattdessen gibt es nur viele Daimyo, die einander bekriegen.«
»Das ist wahr.« Towa nickte. »Wäre es nicht schön wenn es endlich aufhören würde mit dem Kämpfen?« Er wartete nicht auf Akiyoshis Antwort. »Ich glaube Lord Oda könnte endlich derjenige sein, der das erreicht.«
»Kann sein.« Akiyoshi musste wieder an seinen Meister denken. Er wusste, dass diesen mit Lord Oda Nobunaga etwas verband. Ob dies nun ein gutes Ende nehmen würde oder nicht, stand in den Sternen.
»Kann sein?«, wiederholte Towa ungläubig. »Ist das alles, was Ihr dazu zu sagen habt?«
»Was ich darüber denke ist ohnehin nicht von Belang«, meinte Akiyoshi. »Eines Tages wird das Kämpfen aufhören. Das ist das Wichtigste. Es hat mich nur erstaunt, dass es hier noch so ruhig ist.«
»Diese Provinz ist, anders als zum Beispiel Mino, keine strategisch wichtige, sondern quasi nur Beiwerk.« Towa lachte, doch es klang nicht glücklich. »Oh, und wenn wir ohnehin gerade dabei sind: Gibt es Neuigkeiten aus Mikawa? Ich hörte Lord Tokugawa soll ebenfalls äußerst ambitioniert sein. Wisst Ihr etwas darüber?«
»Nein«, antwortete Akiyoshi auf seine Frage vielleicht ein wenig zu schnell. »Es ist schon eine ganz Weile her, seit ich dort war. Aber ich weiß, dass er in einer Allianz mit Lord Oda ist.«
»Das habe ich auch gehört«, meinte Towa. »Aber Lord Oda hat noch diesen Bauern, der sich inzwischen als ganz nützlich erweist.«
»Ihr redet von Toyotomi, nicht wahr?«, fragte Akiyoshi. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»So ist es.« Towa nickte. »Es ist doch immer wieder erstaunlich, zu was der Mensch fähig ist, solange er nur erbittert genug darum kämpft.«
»Ihr könnt Euch doch nicht beschweren. Als Sohn des Dorfvorstehers hier, dürftet Ihr doch auch eigentlich ein ganz gutes Leben haben.«
»Das habt Ihr Recht. Aber das Leben hier ist oft unerträglich langweilig«, sagte Towa. »Das hat Euch Shiori-chan sicher auch schon erzählt.«
Akiyoshi nickte. »Mehr als einmal. Doch ich bin immer noch der Meinung, dass ihr damit ganz zufrieden sein solltet.«
»Ihr könnt das leicht sagen, vor allem da Ihr ein Samurai seid«, entgegnete Towa und es klang fast vorwurfsvoll. »Für mich dagegen steht der Plan für meine Zukunft fest. Ich werde in ein paar Jahren, die Stellung meines Vaters übernehmen, ein Mädchen aus dem Dorf heiraten und lebenslang hierbleiben.«
»Das klingt doch eigentlich gar nicht so schlecht, oder?«, wollte Akiyoshi wissen. »Es gibt schlimmere Dinge, die auf einen warten könnten.«
»Das mag sein, ja.« Towa seufzte. »Aber ich würde so gerne mehr von der Welt sehen.«
»Ich auch!«, meldete sich Shiori zu Wort die, eine Teekanne in ihren Händen, zu ihnen trat. »Ich will neue Leute kennenlernen, mich mit ihnen unterhalten, neue Dinge lernen und den Menschen helfen.«
Akiyoshi lächelte, als sie ihm eine Tasse Tee eingoss. »Wisst ihr, auch mein eigenes Leben unterscheidet sich nicht so sehr viel von dem euren.« Er blickte Towa an. »Auch von mir wird erwartet, dass ich dem Namen meiner Familie Ehre mache. Ganz besonders jetzt, da mein älterer Bruder-« Er unterbrach sich.
»Was ist mit Eurem Bruder?«, hakte Shiori auch gleich nach.
»Nichts.« Akiyoshi schluckte hart und hoffte, dass sie es dabei bewenden ließe. Das tat sie natürlich nicht.
»Nun erzählt schon!«, forderte auch Towa ihn jetzt auf.
Akiyoshis Lächeln war längst wieder von seinen Lippen verschwunden. Er nahm einen Schluck von seinem Tee und sah Shiori an. »Hast du mir vorhin nicht richtig zugehört? Ich habe dir doch davon erzählt, als ich von der Begegnung mit meinem Dienstherrn berichtet habe: Aizen, mein älterer Bruder, ist tot. Er wurde vor wenigen Monaten ermordet.«
Eine Weile sagte keiner ein Wort. Dann aber war es Shiori, die das Schweigen brach. »Habt Ihr auch deshalb so schnell zugestimmt, als Euer Dienstherr Euch darum gebeten hat?«, wollte sie wissen.
Akiyoshi nickte. »Das und weil ich es mir nicht leisten konnte ihn abzuweisen.«
»In wessen Dienst steht Ihr denn eigentlich?«, erkundigte sich Towa bei ihm. »Das habt Ihr uns noch gar nicht gesagt.«
»Mir hat Akiyoshi-sama erzählt, dass sein Dienstherr sich Yasu nennt«, erklärte Shiori. »Aber mehr weiß ich auch nicht.«
»Yasu?«, stirnrunzelnd sah Towa ihn an.
»Ja. Aber selbst das ist schon mehr, als ich eigentlich von ihm erzählen dürfte. Er hat mir befohlen, stillschweigen über seine Identität zu bewahren. Lediglich in einem Notfall ist es mir erlaubt anderen mitzuteilen wer er ist«, stellte Akiyoshi klar. »Also fragt mich bitte auch nicht mehr danach.«
»Wenn Ihr uns schon nicht das beantwortet, werdet Ihr wohl auch nicht sagen, was das Ziel Eurer Mission ist?«, riet Towa.
»So ist es«, bestätigte Akiyoshi. »Eines aber kann ich Euch versichern: Wenn es soweit ist, werde ich meinen Bruder rächen. Nichts und niemand kann mich davon abhalten das zu tun. Das schwöre ich bei meinem Namen.«
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2022
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