»Gibt es noch irgendwas was ihr, heute Abend zum Abschluss dieser Sendung, noch kurz zu eurer anstehenden Europatournee sagen wollt?«, erkundigte sich der Moderator bei ihnen und sah sie erwartungsvoll an.
Kai, dem auf der Zunge lag, dass das nichts besonderes sei, sondern vielmehr überaus nervig und stressig, wurde gerade noch rechtzeitig von Tadashi aufgehalten.
»Natürlich freuen wir uns, unsere Fans in Europa besuchen zu können und dürfen. Immerhin sind seit unserem Debüt bereits zwei Jahre vergangen. Nun aber hat unsere Agentur uns endlich eine europaweite Tournee erlaubt. Wir starten in Deutschland. Danach geht es weiter nach Frankreich, Spanien, Portugal, Irland und von dort aus wieder zurück hierher«, erklärte Tadashi.
»Wie es heißt sind schon fast alle Konzerte von euch ausverkauft. Ist das etwa tatsächlich wahr?«
Wieder wollte Kai etwas sagen, doch dieses Mal war es Katsu, der schneller war.
»In der Tat. Das hat uns unsere Agentur heute Mittag auch bestätigt.« Katsu nickte zustimmend. Er lächelte den Moderator gewinnend, mit seinem schönsten Lächeln, an. »Daher möchte ich mich als Leader unserer Band, den Key-Pirates, im Namen von uns allen dafür bedanken. Danke! Ihr seid die Besten! Wir freuen uns auf euch!«
***
»War das gerade wirklich nötig?«, wollte Kai wissen, kaum dass sie das Studio verlassen hatten. »Ich habe noch nie so einen nervigen Menschen wie diesen Moderator kennengelernt.«
Katsu seufzte. »Er war vielleicht wirklich nicht gerade der hellste unter dem Himmel«, sagte er mit gesenkter Stimme »aber indem zu solchen Typen freundlich ist, ist man es auch gleichzeitig zu den Fans. Und diese Sendung wird mindestens landesweit ausgestrahlt und womöglich auch noch irgendwann in verschiedenen Portalen hochgeladen. Was glaubst du, wird dann passieren, wenn du sagst, dass es dich nervt, dass du schon wieder auf eine Tournee gehen musst?«
»Dem kann ich nur zustimmen«, Tadashi nickte. »Und ich schätze ihr seht das genauso?«, wandte er sich an Izuya und Hiroto, die sich bisher wohlwissend aus allem herausgehalten hatten. Jetzt allerdings nickten auch sie.
»Stimmt. Außerdem wäre sicher auch unsere Agentur alles andere als begeistert«, warf Hiroto ein.
Kai seufzte, wofür er mit einem bösen Blick seitens Katsu gestraft wurde.
»Lächeln, Kai«, forderte dieser ihn auf. Dann warf er einen Blick auf seine Handyuhr. »Ich schätze wir sollten so langsam zurück Richtung Ausgang. Wahrscheinlich werden wir schon erwartet. Davon abgesehen hab ich keine Lust zu spät im Wohnheim einzutreffen.«
***
Katsu sollte tatsächlich Recht behalten. Sie trafen gerade noch rechtzeitig ein, bevor im Wohnheim zur Nachtruhe alles abgeschlossen wurde. Die Nachtruhe begann um zehn Uhr Abend, Katsu und die anderen kamen um fünf Minuten vor zehn an. Wären sie später gekommen hätte es am nächsten Tag Ärger gegeben und außerdem hätten sie sich ein Hotel nehmen müssen. Beides nicht wirklich erstrebenswerte Situationen. Denn auch wenn die Zimmer im Wohnheim der Agentur nicht gerade groß waren, was vermutlich daran lag dass alle sich meist nur zum schlafen hier aufhielten, reichte es aus. Außer einem Bett befand sich in allen Zimmern noch ein Bücherregal, ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch. Davon abgesehen hatte man selbst für alles zu sorgen und sein Zimmer immer gut Instand zu halten. Letzteres wurde alle zwei Tage von jemandem aus der Agentur penibel genau überprüft. Bei Beanstandungen konnte einem schon einmal, davon hatte Katsu jedenfalls mal gehört, das Konzert gestrichen werden wenn man es zu bunt trieb.
»Da wären wir also wieder«, meldete sich Hiroto noch einmal zu Wort. "Der Flug geht um sieben Uhr, richtig?"
Izuya, der bisher noch gar nichts gesagt hatte, nickte. »Richtig. Das heißt, wir stellen den Wecker für fünf Uhr. Spätestens.«
»Na hervorragend«, knurrte Kai, der alles andere als ein Frühaufsteher war.
»Sieh es doch mal positiv. Im Flugzeug kannst du nachher genauso gut schlafen. Immerhin sind wir acht Stunden unterwegs«, sagte Izuya.
»Neun Stunden«, korrigierte Tadashi ihn. »Und das auch nur wenn nichts an Zwischenfällen passiert.«
»Also ich freue mich auf Köln. Was ich gehört habe, glaube ich das dass dort ganz witzige Menschen sind. Die sollen sich wohl ganz gerne verkleiden«, warf Hiroto ein.
»Das klingt weder witzig, noch besonders vertrauenserweckend«, knurrte Kai. »Aber auch egal. Ich gehe jetzt jedenfalls schlafen. Wir sehen uns dann morgen um fünf«, damit ließ er die anderen stehen.
Am nächsten Morgen standen alle Mitglieder der Key-Pirates pünktlich zur vereinbarten Zeit im Gemeinschaftsraum, wo sie nur noch auf ihren Manager warteten. Der aus irgendeinem Grund, den sie sich erst nicht erklären konnten, total verspätet, und überaus atemlos, eintraf. Nachdem er schließlich vor ihnen stand und sich ein wenig erholt hatte, musterte er einen nach dem einen nach dem anderen. »Es tut mir wirklich furchtbar Leid aber-« Er seufzte »es ist ein äußerst ärgerliches Problem aufgetreten.«
Katsu sah den Manager von ihnen an. So zerknirscht hatte er ihn in den ganzen drei Jahren, seit ihrem Debüt, kein einziges Mal erlebt. Noch nicht einmal dann, als ein Erscheinungstermin ihres zweiten Albums um eine Woche verschoben werden musste. Was an sich schon für ihn ziemlich nervenaufreibend genug gewesen sein musste. Aber jetzt schien es sich um etwas richtig schlimmes zu handeln. Katsu seufzte leise, goss ein Glas Wasser ein und hielt es ihrem Manager hin, der es dankbar annahm. »Also was ist passiert?«, fragte Katsu schließlich.
»Derjenige der euch als Dolmetscher zugeteilt wurde hatte einen Autounfall und liegt jetzt im Krankenhaus für, so wurde es mir gesagt, die nächsten vier Wochen. Und andere aus unserer Agentur, die euch unterstützen könnten, sind gerade nicht verfügbar«, berichtete der Manager.
»Wie bitte?«, Katsu konnte nicht glauben, was er da hörte.
»Was bedeutet das jetzt genau für unsere Tournee? Sie wird doch nicht etwa abgesagt?«, mischte sich Izuya in das Gespräch ein.
»Eure Tournee absagen?«, die Stimme des Managers klang mit einem Mal erstaunlich schrill. »Aber nein! Auf gar keinen Fall! Ihr wisst doch selbst dass so gut wie alle Konzert komplett ausverkauft sind«, der Manager räusperte sich. »Allerdings stehen wir nun natürlich vor dem Problem, dass Euer Flug nach Köln in weniger als zwei Stunden geht. Daher habe ich mich mit der Musikschule dort in Verbindung gesetzt«, er reichte Katsu einen Zettel mit einer Adresse. »Bitte meldet euch direkt dort, nachdem er in eurem Hotel eingecheckt habt«, der Manager sah nun Tadashi an. »Dein Englisch dürfte wahrscheinlich gut genug sein um die Fragen die noch offen sind zu klären.«
»Ich denke schon-«, setzte Tadashi an, der genauso wie Hiroto und Kai dem Gespräch bisher schweigend zugehört hatte.
»Sehr schön. Dann ist das ja geklärt. Der Name von dem Professor steht auch auf dem Zettel«, erklärte der Manager. »Und jetzt los: Sonst verpassen wir wirklich noch den Flug, was nebenbei bemerkt ein absolutes Drama wäre-«, wieder räusperte er sich. »Aber ruft mich dann auch unbedingt an, nachdem ihr mit dem Professor dort geredet und alles geklärt habt, verstanden? Ich muss dem Präsidenten nämlich schnellstmöglich Rückmeldung über alles geben.«
»Verstanden. Wir schaffen das schon«, versuchte Tadashi, ihn zu beruhigen.
»Gut. Sehr schön dann starten wir jetzt«, stellte der Manager klar.
Schon als Samantha an diesem Morgen aufstand, sich anzog und sich auf den Weg in die WG-Küche machte, die sich mit ihrer besten Freundin Jana teilte, um zu frühstücken, beschlich sie ein Gefühl, dass dieser Tag einer derer Tage war, an denen man am besten im Bett blieb. Und sich darüber hinaus die Bettdecke über den Kopf zog. Einfach alles deutete darauf hin. Nicht nur der Blick aus dem Fenster, wo zu sehen war, dass es in strömen regnete und sie keinen Schirm in der Wohnung hatte. Sondern auch das ihr geliebtes Spiegelei aufplatzte und sich natürlich, anders wäre es ja langweilig, für den Kaffee weder Milch im Kühlschrank noch Zucker, oder notfalls Süßstoff, im Regal befanden. Darüber hinaus hatte ihr Handy nur noch knappe zehn Prozent Akku, wo das Ladegerät war, diese Frage stellte sie sich am besten erst gar nicht. Samantha warf einen erneuten Blick hinaus aus dem Fenster. Der Regen schien nicht besser zu werden, sondern im Gegenteil deutlich schlimmer.
Mal wieder ein absoluter Scheißtag, dachte Samantha. Vor allem wenn man kein Auto hatte um zur Musikschule zu fahren, sondern nur ein Rad, das diese Bezeichnung nicht verdiente und, trotz jeglicher Versuche, nicht einmal von den vielen Fahrraddieben, auf dem Campus, geklaut wird. Fahrraddiebe scheinen also auch etwas wie Verstand zu haben.
Samantha seufzte. Eigentlich hätte sie sich längst an so Tage wie heute gewöhnen müssen. Schließlich war sie, ihrer Meinung und der ihrer Freunde und Familie nach, Murphys Gesetz auf zwei Beinen. Hatte sie jemals einen Tag erlebt, an dem nicht eine einzige Sache in totalem Chaos endete? Die Antwort war ganz klar nein. Irgendwas ging irgendwie immer schief. Dabei legte sie es noch nicht einmal darauf an chaotisch zu sein. Nur schien eben Murphy es anders zu wollen. Warum hatte er sich auch so ein blödes Gesetz einfallen lassen müssen? Alles, was schief geht, geht auch schief. Wäre es nicht besser, wenn er sich gesagt hätte: Ein paar Sachen gehen schief aber der Rest funktioniert. Dieser Murphy musste wohl ein Masochist oder zumindest jemand sehr pessimistisches gewesen sein. Blöder Murphy.
»Morgen Sam«, hörte sie plötzlich eine schläfrige Stimme hinter sich, die Jana gehörte, mit der sie in der WG zusammen wohnte »musst du nicht längst los? Du hast doch heute diese wichtige Klausur um acht Uhr, oder etwa nicht?«
»Schon aber-«, Samantha drehte sich zu Jana um. »Moment. Wie viel Uhr haben wir gerade?«
»Zwanzig vor«, Jana gähnte. »Sag bloß, du hast das nicht gewusst?«, sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Muss ich wirklich darauf antworten?«, Samantha warf sich ihren Rucksack, wenigstens der stand dort wo er stehen sollte, über die Schulter und rannte zum Kleiderständer wo selbstverständlich nur ihre Sommerjacke hing.
»Nein natürlich nicht!«, rief Jana ihrer Freundin hinterher, doch da war diese schon längst aus der Tür heraus.
Als Samantha, erstaunlicherweise ohne weitere Zwischenfälle außer komplett nass zu werden, bei der Musikschule ankam ließ sie, wie immer ihr Rad einfach irgendwo stehen. Dann lief sie so schnell sie konnte noch kurz auf die Toilette um wenigstens die Haare ein wenig trocknen zu können. Alles andere musste nachher die Klimaanlage, während sie die Klausur schrieb, machen. Auch wenn es absolut alles andere als toll war Klausuren in nassen Klamotten zu schreiben. Etwas worauf sie wirklich verzichten konnte. Gerade als sie ihre Haare einigermaßen trocken bekommen hatte und sich auf den Weg zum Vorlesungssaal machte sprach sie jemand an. Jemand mit dem sie nicht gerechnet hatte. Nämlich ihr betreuender Professor. Professor Frank Wiskowski.
»Na Sam, sind Sie mal wieder spät dran?«
»Noch nicht Professor, ich habe noch fünf Minuten bis in den Vorlesungssaal«, entgegnete Samantha sarkastisch.
»Verstehe. Dann will ich sie auch nicht viel länger aufhalten allerdings-«, Professor Wiskowski räusperte sich.
»Ja?«
»Seien Sie doch so gut und kommen Sie, nachdem Sie die Klausur fertiggeschrieben haben, zu mir ins Büro. Ich habe da etwas was ich mit Ihnen besprechen möchte.«
»Besprechen? Was denn?«, verblüfft sah Samantha ihn an.
»Darüber reden wir nachher. Jetzt konzentrieren Sie sich erst einmal auf Ihre Klausur.«
»Dann sehe ich Sie später, Professor«, Samantha nickte ihm zu und ging, nun ohne noch irgendwie aufgehalten zu werden, in den Vorlesungssaal, welchen sie pünktlich auf die Minute erreichte.
Als Samantha die Klausur, noch vor Ablauf der verfügbaren Zeit, beendet und noch einmal kurz drüber geschaut hatte nahm sie ihren Rucksack und machte sich direkt auf den Weg zum Büro von Professor Wiskowski. Das heißt sie wollte es. Doch natürlich kam mal wieder alles anders. Denn gerade auf halbem Weg rannte sie jemand um. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade als Samantha sich, deren Rucksack sich nun auf dem Boden befand genau wie ihre Bücher, die darin waren, lautstark beschweren wollte kam der andere ihr zuvor.
»Hey du! Sag mal bist du blind oder hast keine Augen im Kopf? Was fällt dir eigentlich ein mich so anzurempeln?«, fuhr er Samantha wütend auf Englisch an.
Samantha sah ihn kurz verblüfft an. Dann funkelte sie ihn ebenso wütend an. »Sag mal bist du bescheuert oder so? Wer liegt denn hier am Boden? Du oder ich?«, entgegnete sie nun auch auf Englisch. Und fügte gut verständlich hinzu: »Arrogante Idioten gibt es wohl tatsächlich überall -«
Einen Moment lang starrte er sie einfach nur an. Dann aber tat er etwas womit Samantha so gar nicht gerechnet hatte. Er lachte. Und zwar schallend. Es war kein gemeines Lachen und auszulachen schien er sie auch nicht. Vielmehr klang es erstaunt und gleichzeitig über alle Maßen amüsiert.
»Du hast Mut«, bemerkte er schließlich anerkennend als er sich endlich, nach einigen Minuten, beruhigte. Seine Augen funkelten immer noch belustigt. »Ich glaube als arroganten Idioten hat mich bisher noch niemand bezeichnet.«
Samantha zog eine Braue in die Höhe. »Dann scheinen diese Leute entweder keine Menschenkenntnis zu besitzen oder sich bei dir einschleimen zu wollen. Warum auch immer.«
Wieder ertönte ein Lachen. Doch dieses Mal war es, wie sie schnell feststellte, nicht er sondern jemand anderes.
»Was ist daran bitte so unglaublich witzig?«, langsam aber sicher sank Samanthas Laune ins bodenlose.
»Das würde ich auch gerne wissen Tadashi!«, meinte der junge Mann, dessen Name Samantha immer noch nicht wusste, zu demjenigen der sich jetzt zu ihnen hinzu gesellt hatte.
Tadashi grinste breit. Er konnte einfach nicht anders. Dabei war er bis eben nicht einmal besonders guter Laune gewesen, weil Katsu ihn geschickt hatte um Kai zu suchen, da gleich eine Bandprobe anstand. So war es bis jetzt wenigstens geplant. Scheinbar würde sich diese Probe noch etwas hinaus zögern. Zumindest wenn sich diese Situation hier nicht schnell beruhigte. Er wandte sich an Kai. »Was ist hier eigentlich genau passiert?«, erkundigte Tadashi sich und sah zu dem, sichtlich wütenden Mädchen das gerade ihre Bücher, die auf dem Boden verstreut lagen, einsammelte.
Kai zuckte mit den Schultern. »Sie hat mich angerempelt und darüber einen arroganten Idioten genannt. Ach ja und das Wort bescheuert ist auch noch gefallen«, klärte er Tadashi auf ohne sich die Mühe zu machen Englisch zu sprechen.
»Würdet ihr bitte so reden dass ich es verstehe?«, das Mädchen funkelte erst Kai und dann Tadashi wütend an.
Tadashi seufzte. Scheinbar schien sich das hier wirklich in die Länge zu ziehen. Vielleicht sollte ich Katsu anrufen und ihm Bescheid geben, dass das hier noch etwas länger dauern könnte, überlegte er. Dann versuchte er sich an einem Lächeln in ihre Richtung. »Ich habe nur versucht herauszufinden was hier eigentlich passiert ist«, erklärte er ihr auf Englisch.
»Was hier passiert ist? Ist das nicht offensichtlich?«, erkundigte sich das Mädchen noch immer wütend. »Zumindest wenn man der Tatsache ins Auge sieht, dass alle meine Bücher und mein Rucksack bis jetzt gerade auf dem Boden lagen, dürfte dass doch jedem verständlich sein!«
Kai verdrehte die Augen, Tadashi dagegen seufzte abermals. Dann drehte Tadashi sich zu Kai um. »Du weißt doch, dass wir hier nur Gäste sind. Also würdest du dich bitte zusammenreißen? Deshalb entschuldige dich jetzt bitte bei ihr und lass uns dann einfach so schnell wie möglich zu den anderen gehen. Katsu wird schon verärgert genug sein wenn wir zu spät zur Probe kommen. Da können wir uns zusätzlichen Ärger wirklich ersparen, zumindest soweit möglich.«
»Ja, ist schon gut. Du hast Recht. Mir reicht eigentlich wirklich das was Katsu mir nachher sagen wird, um es mal milde auszudrücken«, stimmte Kai ihm zu.
»Dann hättest du besser gleich bei uns drüben im Trainingsraum bleiben sollen«, stellte Tadashi klar.
»Beim nächsten Mal denke ich dran, versprochen.«
»Hallo? Würdet ihr bitte aufhören mich zu ignorieren?«, Samantha sah die beiden wütend an. Sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen wenn man sie behandelte wie Luft und genau das taten die beiden, zumindest ihrem Empfinden nach, gerade. Sie warf einen schnellen Blick auf ihr Handy welches, mit inzwischen nur noch fünf Prozent Akku, anzeigte dass sie höchstwahrscheinlich zu spät zu ihrem Termin mit Professor Wiskowski kommen würde.
»Entschuldige, wir wollten dich wirklich nicht ignorieren«, bekam sie nun wieder auf Englisch gesagt. »Ich habe meinem Freund nur gesagt, dass er sich bei dir entschuldigen soll.«
Samantha zog eine Braue in die Höhe und sah denjenigen der sie vorhin umgerannt hatte erwartungsvoll an. »Also? Ich höre.«
»Es tut mir furchtbar Leid dich so umgerannt zu haben.«
»Na bitte, geht doch«, Samantha versicherte sich dass ihr Rucksack gut zugeschnürt und alle Bücher drinnen waren, dann warf sie ihn sich über die Schulter. »Und jetzt muss ich leider los. Ich habe nämlich noch einen wichtigen Termin.«
»Moment! Eine Sekunde noch! Wie war noch einmal dein Name?«, rief ihr der Freund des Typen der sie umgerannt hatte hinterher.
»Samantha!«, rief diese ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen.
»Sam Sie sind zu spät«, wurde Samantha begrüßt, kaum dass sie in dem Büro von Professor Wiskowski eingetreten war.
»Ich weiß Professor. Es tut mir auch furchtbar Leid es ist nur so dass ich-«, setzte Samantha an.
»Schon gut. Ich glaube ich will es gar nicht wissen«, Professor Wikowski winkte ab.
»Ist wahrscheinlich besser so«, Samantha seufzte. Dann sah sie sich im Büro um.
Es war kein besonders großes aber dafür standen an allen freien Plätzen irgendwelche Regale die vollgestopft mit Büchern über Musik und irgendwelchen Ordnern waren. Zum Teil lagen sogar Bücher auf anderen Büchern. Wie Professor Wikowski in diesem Chaos die richtigen Bücher oder Ordner sofort finden konnte war ihr ein Rätsel. Der Schreibtisch sah auch nicht viel besser aus. Auf der linken Seite stand ein große Laserdrucker. Und der Rest der Schreibtischplatte war mit verschiedensten Dokumenten bedeckt. Neben der Tür stand ein kleiner Papierkorb, welcher dringend mal wieder geleert werden musste, daneben wiederum ein Schredder. Das totale Chaosbüro aber irgendwie mochte Samantha es. Genauso wie sie auch Professor Wikowski an sich sehr sympathisch fand. Er war an die sechzig Jahre alt, was man ihm aber absolut nicht ansah, das fand zumindest Samantha. Außerdem wusste er sehr gut wie er mit seinen Studenten umzugehen hatte. Er war einer der wenigen Professoren, die sehr schnell heraus gefunden hatten dass Samantha es vorzog mit ihrem Spitznamen Sam angesprochen zu werden anstatt mit ihrem vollem Namen Samantha Katrina. Samantha Katrina wurde sie nämlich immer nur von ihrem Vater genannt wenn er sie ausschimpfte. Wenn sie einfach nur Samantha nannte waren die Erfolgschancen eine Reaktion von ihr zu bekommen schon deutlich höher aber bei Sam waren sie garantiert. Aber wenn man mal davon absah gehörte Professor Wikowski sogar zu der seltenen Spezies Professoren, die sich wirklich für die Probleme seiner Studenten interessierten und auch versuchten zu helfen. Darüber hinaus besaß er so sogar eine gute Portion Humor.
»Also was wollten Sie mit mir besprechen Professor?«, erkundigte Samantha sich schließlich und setzte sich auf den einzig freien Stuhl gegenüber des Schreibtischs.
Professor Wikowski nickte. »Richtig«, er räusperte sich. »Ich habe gehört du sprichst sehr gut Englisch. Ist das korrekt?«
»Ja. Warum?«, Samantha sah ihn verblüfft an. Mit so einer Frage hatte sie nicht gerechnet.
»Nun dann hätte ich eine wichtige Bitte an dich-«
***
»Ihr seid zu spät!«, fuhr Katsu Tadashi und Kai an, nachdem diese bei den anderen ankamen. Dann atmete er tief durch. »Ich hoffe ihr wisst, dass wir diesen Raum nur zeitlich begrenzt haben können um zu proben. Was jetzt nicht mal mehr als eine Stunde ist.«
»Ja es tut mir leid«, entschuldigte Kai sich. Nun ehrlich zerknirscht. Immerhin wusste er sehr gut, dass das Konzert schon in drei Tagen anstand.
»Na schön«, Katsu seufzte. »Aber dann lasst uns jetzt auch loslegen-«, er wollte noch mehr sagen, doch genau in diesem Moment klingelte sein Handy. Katsu ballte unwillkürlich eine Hand zur Faust, dann nahm er den Anruf an. »Ja? Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte er sichtlich genervt. Einen Moment schwieg er, dann wechselte er ins Englische: »Ja vielen Dank für Ihre Mühe. Wir kommen sofort.«
»Was ist los?«, erkundigte sich Tadashi bei Katsu. »Du lässt doch jetzt etwa nicht die Probe sausen?«
Katsu zuckte mit den Schultern. »Es geht nicht anders. Wie es scheint haben sie hier einen Dolmetscher für uns gefunden«, erklärte er.
»Einen Dolmetscher? Wir bekommen einen von hier? Hast du das wirklich richtig verstanden? Es ist nicht so, dass einer von unserer Agentur angereist ist?«, wollte Kai wissen.
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, mischte sich Izuya ein »denn hätten wir das mit Sicherheit von unserem Manager und nicht von den Leuten hier gesagt bekommen.«
Hiroto nickte. »Das sehe ich genauso. Aber wo müssen wir denn jetzt eigentlich hin? Und wie heißt dieser Dolmetscher eigentlich? Wurde dir das schon gesagt?«, fragte er Katsu.
»Wir müssen uns bei einem gewissen Professor Wikowski oder so melden. Bei ihm ist unser Dolmetscher. Er heißt Sam«, erklärte Katsu.
»Also dann Professor: Ich muss los«, Samantha schulterte ihren Rucksack, den sie kurz auf dem Boden abgestellt hatte. »Wir sehen uns dann morgen.«
»Einen Augenblick noch Sam, warten Sie bitte kurz. Ich möchte Ihnen die Leute für die sie ein Dolmetscher sein sollen noch schnell vorstellen. Sie dürften auch jeden Moment hier eintreffen«, hielt Professor Wiskowski Samantha zurück.
Diese seufzte. »Na schön. Aber nur wenn es nicht zu lange dauert.«
Bevor Professor Wiskowski darauf antworten konnte, klopfte es auch schon an der Tür. Professor Wiskowski räusperte sich. »Herein!«
***
»Was glaubst du wie unser Dolmetscher wohl ist? Denkst du er kann japanisch sprechen?«, Hiroto, der selbst nur wenig Englisch sprach und sich nicht länger zurückhalten konnte sah Kai an.
Der zuckte mit den Schultern. »Von Vorteil wäre es jedenfalls«, knurrte er. »Auch wenn ich mir das kaum vorstellen kann.«
»Ja, da hat Kai Recht. Der Name Sam hört sich eher nach jemandem aus den Staaten an«, stimmte Katsu zu.
»Fragt sich nur, warum jemand aus den Staaten gerade hier Musik studiert«, murmelte Hiroto nachdenklich.
»Falls das überhaupt so ist«, meinte Katsu.
Bevor Hiroto nachfragen konnte, wovon Katsu genau redete wurde auch schon die Tür geöffnet.
Als Samantha sah wer da eintrat glaubte sie einen Moment lang ihren Augen nicht trauen zu können.Zu den fünf jungen Männern die in der Tür standen gehörten doch tatsächlich die zwei, die sie vorhin getroffen hatte. Auch wenn das vorhin alles andere als beabsichtigt gewesen war. Wenigstens schienen die beiden, was Samantha durchaus etwas Genugtuung verschaffte, genauso verblüfft zu sein wie sie selbst. Bevor jedoch einer von ihnen, oder auch Samantha, etwas sagen konnte ergriff Professor Wiskowski das Wort.
»Es ist mir eine Ehre Sie kennenzulernen«, sagte er nämlich auf Englisch zu ihnen.
Samantha konnte sich gerade noch einen bissigen Kommentar verkneifen. Stattdessen versuchte sie sich an einem Lächeln. »Wie es scheint haben Sie noch einen Termin, Professor. Ich will Sie daher nicht weiter stören.«
Professor Wiskowski drehte sich zu Samantha um. »Mein Termin ist auch Ihr Termin, Sam«, sagte er streng. »Außerdem habe ich doch vorhin schon erwähnt, wer sie sind.«
»Nicht genau«, verteidigte sich Samantha, die die fünf nun misstrauisch musterte. »Also? Wer sind sie?«
Professor Wiskowski machte eine weitausholende Handbewegung. »Die Key-Pirates. Die derzeit angesagteste japanische Band, nicht nur in Japan sondern auch international!«
»Wie bitte?«, Samantha glaubte, sich verhört zu haben. »Das kann wohl kaum Ihr ernst sein, Professor!«, nicht nur langsam beschlich sie die Erkenntnis dass sie, egal wie wichtig die Klausur vorhin war, besser im Bett geblieben wäre.
»Was meinst du worüber die beiden sich unterhalten?«, Hiroto sah Katsu fragend an.
»Keine Ahnung. Mit der deutschen Sprache kenne ich mich auch nicht aus«, entgegnete der. »Tadashi? Was denkst du?«
Tadashi zuckte mit den Schultern. »Geht mir genauso. Ich kann auch nur kombinieren.«
Katsu nickte Tadashi auffordernd zu. »Na dann kombiniere mal.«
»Also«, setzte Tadashi an. »Wie es schein wollte sie erst gehen, wurde dann aber aufgehalten. Was ich mir nicht erklären kann ist, weshalb sie dabei mit Sam angesprochen wurde. Dann schien sie sich danach erkundigt zu haben wer wir genau sind und es erklärt bekommen zu haben. Worauf ich mir ebenfalls keinen Reim machen kann-«
Katsu unterbrach ihn. »Besonders zufriedenstellend sind deine Kombinationen aber nicht gerade-«, er wollte noch mehr sagen, kam aber nicht dazu.
»Also noch einmal herzlich willkommen«, sagte Professor Wiskowski nämlich wieder in Englisch. »Ich möchte euch jemanden vorstellen. Dies ist Samantha, eine meiner Studenten. Sie hat bereits einige Kurse im Fach Englisch belegt weshalb sie diese Sprache fast fließend spricht. Demnach halte ich sie für die beste Wahl als eure Dolmetscherin, vor allem da ihr ja bis zu eurem Konzert auch die Räume unserer Musikschule nutzen werdet.«
»Sie studiert also nicht Musik?«, erkundigte sich Katsu verblüfft.
»Doch natürlich, schließlich wäre sie sonst nicht hier. Ihr Hauptfach ist allerdings-«
»Das ist nun wirklich nicht wichtig«, das war Samantha.
»Worum geht es gerade?«, wollte Hiroto wissen der, aufgrund seines schlechten Englisch, so gut wie nichts verstanden hatte.
Izuya erklärte es ihm.
Hiroto nickte. »Verstehe. Also haben wir uns wohl getäuscht«, er überlegte kurz »dann ist Sam wohl die Kurzform oder so eine Art Spitzname für Samantha, richtig?«
Izuya gab die Frage an Samantha weiter.
Die nickte. »Ja, ich mag es lieber wenn man mich so anspricht«, bestätigte sie.
Izuya wollte wieder für Hiroto übersetzen, doch der schien bereits verstanden zu haben.
»Als ist tatsächlich sie derjenige der uns hier als Dolmetscher bis zu unserem Konzert betreuen wird?«, meldete sich nun Kai zu Wort.
»Glaub mir, ich habe genauso viel Spaß daran wie du!«, entgegnete Samantha. Nämlich absolut gar keinen. Dann wandte sie sich an Professor Wiskowski. »Entschuldigen Sie, Professor aber kann ich mir vielleicht ein paar leere Notenblätter von Ihnen borgen? Mein Block ist leer und ich komme heut nicht mehr dazu neue zu kaufen.«
»Aber sicher doch«, Professor Wiskowski reichte ihr einen Block mit Notenlinien, den er aus irgendeiner Ecke seines Schreibtisches hervor holte, dann lächelte er sie an. »Wie wäre es wenn ihr untereinander die Handynummern austauscht? Das dürfte einiges erleichtern.«
»Das ist eine super Idee«, stimmte auch Katsu zu. Er sah die anderen an. »Wenn ihr wollt könnt ihr schon mal vorgehen, ich komm dann gleich nach.«
»Alles klar«, Tadashi der bisher nur zugehört hatte nickte. »Bis nachher«, damit verließ er mit den anderen das Büro.
Samantha seufzte. Na toll. Das hat ja alles mal wieder großartig geklappt. Sie kramte ihr Handy, dessen Akku mit knapp zwei Prozent inzwischen bedrohlich blinkte, aus der Tasche.
Katsu, dem das nicht verborgen blieb, grinste verstohlen. »Soll ich dir meine Nummer vielleicht besser auf einen Zettel schreiben?«, bot er an.
»Bloß nicht!«, Samantha schüttelte den Kopf. Dann fügte sie etwas ruhiger hinzu. »Ich schreib dir meine Nummer auf. Das ist wohl besser«, sagte sie, tat es und drückte Katsu dann den Zettel in die Hand. Gerade als sie das Büro verlassen wollte hielt er sie jedoch noch einmal zurück.
»Hey, warte mal!«, Katsu fasste sie am Handgelenk. »Samantha, richtig? Wozu benötigst du Notenpapier?«
»Lass mich los!«, Samantha funkelte ihn an. »Ja, mein Name ist Samantha. Und im Gegensatz zu euch habe ich wirklich wichtige Dinge zu tun. Zum Beispiel mein Studium.«
Katsu lachte. Er konnte einfach nicht anders. Als er jedoch bemerkte wie böse Samantha ihn ansah, besann er sich eines besseren. Er räusperte sich. »Also: Wozu brauchst du denn jetzt Notenpapier?«
»Na zum zeichnen wohl kaum, oder?«
»Sag bloß, du komponierst!«, Katsu war so erstaunt darüber, dass er sie los ließ.
Samantha schnaubte entnervt. »Wie gesagt: Zeichnen werde ich, wenn ich hier studiere, wohl kaum darauf!«
Katsu nickte. Dann lächelte er. »Ich freue mich wirklich auf unsere Zusammenarbeit«, damit ließ er sie stehen.
***
»Alles in Ordnung Katsu?«, wollte Izuya wissen, nachdem Katsu wieder bei den anderen im Hotel eintraf.
»Natürlich. Wirke ich denn irgendwie anders?«, fragte Katsu.
»Naja, vielleicht ein wenig.«
»Ist denn irgendwas passiert nachdem wir schon vorgegangen sind?«, wollte Tadashi wissen.
Katsu zuckte mit den Schultern, dann grinste er. »Kann man so sagen.«
»Jetzt bin ich aber wirklich neugierig«, mischte sich Hiroto ein, der bisher nur zugehört und dabei ein paar Akkordreihenfolgen auf seiner Gitarre durchging, welche ihm ein wenig schwer fielen.
Katsus Grinsen wurde eine ganze Spur breiter. »Ihr werdet es mir vermutlich nicht glauben aber ich habe heraus gefunden, dass Samantha Musikstücke komponiert und Komposition hier sogar studiert. Ist das nicht toll?«
»Ist nicht dein Ernst!«, rief Izuya überrascht und Kai meinte gleichzeitig: »Also Klassik und so langweiliges Zeug?«
Katsu zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber du kannst sie ja morgen danach fragen, wenn wir uns nach der Probe zusammen setzen.«
»Einen Teufel werde ich tun«, Kai schnaubte.
»Anscheinend nimmt er es ihr immer noch übel, dass sie ihn einen arroganten Idioten genannt hat«, bemerkte Tadashi belustigt. »Obwohl genau genommen sie im Recht war.«
Hiroto konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Gut, dass das die ganzen Fangirls von Kai niemals erfahren werden. Ansonsten würde Kai und vor allem Samantha in ziemlichen Schwierigkeiten stecken.«
»Allerdings«, Kai nickte. Auch er musste nun bei der Vorstellung kurz schmunzeln. »Von daher hatte es tatsächlich etwas erfrischendes.«
Katsu zog eine Braue in Höhe. »Du meinst es war mal was anderes statt dem ständigen Gekreische, was wir sonst immer hören, mal so richtig angeblafft zu werden?«
»Ganz genau«, wieder nickte Kai.
»Ist euch eigentlich auch aufgefallen, dass sie ziemlich genervt gewirkt hat als ihr Professor uns als die Key-Pirates vorgestellt hat?«, erkundigte sich Izuya.
»Du meinst noch genervter als sie ohnehin schon war?«, warf Kai ein.
Katsu verzog das Gesicht.
Hiroto aber nickte. »Stimmt. Das habe ich auch kurz gedacht. Meint ihr sie kennt unsere Musik und kann sie nicht leiden?«
»Kann unsere Musik nicht leiden? Machst du Witze? Es gibt sogar eine beträchtliche Anzahl an junger Männer die unsere Musik mögen. Und das auch international!«, entgegnete Kai ohne zu zögern.
Izuya nickte zustimmend. Doch gerade als er etwas sagen wollte, klingelte ein Handy. Es war, schon wieder, das von Katsu.
»Ja? Hallo?«, fragte Katsu nachdem er den Anruf angenommen hatte. Als er erkannte wer der Anrufer war, weiteten sich vor lauter Überraschung seine Augen. »Präsident? Sie sind es?«
Die anderen wechselten bedeutsame Blicke untereinander. Es kam so gut wie nie vor dass der Präsident ihrer Agentur sich persönlich bei ihnen meldete. Normalerweise lief alles über ihren Manager. Weshalb also nicht dieser, sondern direkt der Präsident anrief, konnte sich keiner von ihnen erklären.
»Wir sollen was?«, hörten die anderen wie sich Katsu ungläubig erkundigte. »Nein. Natürlich nicht. Es ist kein Problem. Ja, danke ich werde es mir gleich aufschreiben. Vielen Dank. Direkt ab morgen? Ja, in Ordnung. Auf Wiederhören.«
»Was war das denn?«, wollte Izuya wissen, der als erster die Sprache wieder fand.
»Der Präsident, aber das habt ihr ja sicher mitbekommen«, Katsu sah alle der Reihe nach an. »Wir sollen auf einem Blog, den die Agentur für uns gebaut hat, ein paar Videos hochladen wie wir unsere Tage so verbringen auf unserer Tournee. Quasi als Marketing für unsere Auftritte und unser neues Album.«
»Unser neues Album? Es steht noch nicht einmal genau fest was wir für Songs dafür haben, geschweige wann es erscheint! Und die Konzerte sind inzwischen auch ausverkauft«, wandte Kai ein.
»Echt?«, Hiroto sah Kai neugierig an. »Woher weißt du das denn?«
»Habe vorhin mal nachgesehen«, entgegnete Kai. »Aber um nochmal zurück zu kommen: Warum sollen wir das tun? Was ist die Begründung vom Präsidenten?«
»Besonderer Fanservice«, entgegnete Katsu. »Außerdem hat unsere Agentur doch sowieso schon vor längerer Zeit mal angekündigt, dass sie eine DVD mit uns aufnehmen will.«
»Also ich finde die Idee ehrlich gesagt auch gar nicht so schlecht. Für unser Marketing ist das wirklich gut. Und wir müssen ja auch nicht vierundzwanzig Stunden lang filmen, sondern jeden Tag nur ein bisschen. Zum Beispiel für jeden Tag eine viertel Stunde. Das reicht sicher schon. Und den Blog hat die Agentur für uns ja schon erstellt. So müssen wir nur noch die Videos hochladen. Und das dürfte ja nun wirklich kein großes Problem sein«, meinte Tadashi ein. »Dass wir noch nicht wissen wie wir unser neues Album gestalten müssen wir ja nicht erwähnen. Immerhin geht es nur um diese Tournee.«
Als Samantha endlich wieder zuhause ankam, fand sie die WG leer vor. Erst nachdem Samantha ihre Sachen im Flur ablud, fiel ihr ein, dass Jana heute ihre Eltern besuchen wollte. »Wenigstens kann ich mich dann erst einmal in Ruhe ausruhen«, murmelte sie vor sich hin. Etwas was nicht immer leicht war, geschweige denn selbstverständlich, denn Jana hörte in letzter Zeit Musik laut aufgedreht - und die Wände waren dünn. Wenn es wenigstens Musik gewesen wäre, die angenehm in den Ohren klingen würde ... Aber nein.
Samantha seufzte, als sie daran dachte, wie oft sie schon mit Jana über die Musik, insbesondere die der Key-Pirates, diskutiert hatte. Allerdings immer, oder zumindest so gut wie immer, ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Vielleicht liegt es auch einfach zum Großteil daran, dass ich Boygroups an sich nicht leiden kann, überlegte Samantha und goss sich ein Glas Wasser ein. Wären die Songs, besonders die von den Key-Pirates nicht mit so viel Elektroeffekten unterlegt und etwas ruhiger könnte es richtig gut klingen. Abermals seufzte Samantha. Dann ging sie in ihr Zimmer, kramte den Block Notenpapier aus ihrem Rucksack heraus. Dann druckte sich den Song Cherry Blossom, ein Song der Key-Pirates, aus, griff nach einem Rotstift und korrigierte es so, wie ihr es besser gefiel.
Ich muss nur darauf achten, dass Jana niemals hiervon erfährt, dachte sie.
***
»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist, Katsu?« Zweifelnd sah Tadashi ihn an.
»Nein.« Katsu grinste.
»Warum willst du es dann machen? Ich für meinen Teil bin überzeugt, dass sie nicht gerade davon begeistert sein wird.«
»Kann gut sein«, Katsus Grinsen wurde eine Spur breiter.
»Du willst es also wirklich darauf anlegen? Was ist wenn sie dich hochkant wieder rausschmeißt?«, mischte sich Kai in das Gespräch ein.
»Ich glaube nicht, dass sie das tun wird«, meinte Katsu. »Jedenfalls nicht wenn ich sie richtig einschätze.«
»Ach und wie schätzt du sie ein?«, erkundigte Kai sich. »Ich für meinen Teil halte sie für einen unausstehlichen Sturkopf.«
»Kai, das ist jetzt aber ein bisschen unfair«, wies Izuya ihn zurecht.
Sogar Hiroto, der sich aus allem raushalten wollte, sah jetzt auf. »Ich denke nicht, dass sie ein unausstehlicher Sturkopf ist-« Er wollte noch mehr sagen, wurde aber von Kai unterbrochen.
»Ach ja? Und wie kommst du zu dieser Ansicht?«
Hiroto zuckte mit den Schultern. »Ich schätze du hast nach dem Zusammenstoß mit ihr einfach ein zu verzerrtes Bild von ihr.«
Kai schnaubte. »Sagt der, der fast kein Wort Englisch spricht.«
»Das hat nichts damit zu tun.«
Izuya verdrehte die Augen. »Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass sie uns rausschmeißen wird aber ob es wirklich so eine gute Idee ist, sie zu besuchen wage ich trotzdem zu bezweifeln.«
»Das wissen wir erst wenn wir es getan haben«, meinte Katsu.
»Mal abgesehen von dieser verrückten Idee: Wie bist du eigentlich an ihre Adresse gekommen?«, fragte Kai.
»Ihr Professor hat sie mir per Mail geschickt. Für den Fall dass es wichtige Dinge gibt die wir, statt am Telefon, lieber persönlich mit ihr besprechen wollen.« Katsu räusperte sich »und dass wir uns eine anständige Kamera besorgen ist nun mal wichtig.«
»Daher weht der Wind also«, stellte Tadashi fest.
»Sollten wir sie nicht trotzdem vorher anrufen«, schlug Hiroto besorgt vor.
Katsu winkte ab. »Ich denke nicht, dass das nötig ist. Sie wird mit Sicherheit zuhause sein.«
»Das ist nicht. Worüber ich mir Sorgen mache«, wandte Hiroto ein.
Doch Katsu hörte ihm gar nicht mehr richtig zu. »Also, wollen wir dann los«?« Er sah die anderen auffordernd an.
***
»Da ihr mich nicht genau verstanden zu haben scheint frage ich nochmal: Wie zum Henker kommt ihr an meine Adresse?«, Samantha die, was sie jetzt bereute, die Haustür geöffnet hatte funkelte die Key-Pirates der Reihe nach an. Denn niemand anderes stand da vor ihrer Tür.
»Sie scheint wirklich nicht besonders glücklich darüber zu sein, dass wir sie besuchen«, warf Hiroto ein, bevor jemand etwas sagen konnte.
»Und redet gefälligst so, dass ich euch auch verstehe!«, wies Samantha Hiroto, der sie daraufhin verblüfft ansah, scharf zurecht.
»Du musst entschuldigen, Hiroto spricht so gut wie gar kein Englisch«, mischte sich nun Katsu ein. »Wenn du etwas sagst, dann am besten zu Tadashi oder mir. Zur Not auch Kai oder Izuya.«
»Na großartig«, Samantha seufzte. »Aber gut, dann ist es eben so. Allerdings beantwortet das immer noch nicht meine Frage.«
Katsu, dem langsam der Geduldsfaden zu reißen drohte, atmete tief durch. Gerade als er jedoch ansetzen wollte es zu erklären fuhr Samantha mit reden fort.
»Ihr seid doch nicht etwa solche Stalker, die einem auf Schritt und Tritt folgen?«, erkundigte sie sich.
»Stalker? Wovon redet sie?«, das war wieder Hiroto.
Tadashi, Kai und Izuya wechselten vielsagende Blicke.
Katsu wandte sich an Hiroto. »Muss ich dir das jetzt wirklich übersetzen?«
Hiroto sah Katsu mit großen Augen an. »Sie hält uns doch nicht etwa für welche?«, wollte er verblüfft wissen. »Wenn ja erzähl ihr doch einfach, dass wir ihre Anschrift von ihrem Professor erhalten haben.«
»Ihr davon erzählen? Glaubst du das ist eine gute Idee?«
»Na ja, es ist immer noch besser, als ihr auf gar keine ihre Fragen zu antworten«, mischte sich nun Izuya ein.
Tadashi und Kai nickten zustimmend.
Samantha ballte unwillkürlich eine Hand zur Faust. Es war zwar schon Nachmittag und der Tag anstrengend genug gewesen aber schon wieder schien Murphy ihr einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen. Dabei war der Tag seit sie wieder zuhause war gar nicht so schlecht gewesen. Sogar ihr Ladegerät fürs Handy wieder aufgetaucht - es hatte sich, warum auch immer, in der Sockenschublade befunden. Doch wie sagte man so schön? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Was definitiv zutrifft in Anbetracht dessen, dass auf einmal diese fünf hier bei mir aufgetaucht sind. Nur gut, dass Jana den ganzen Tag bei ihren Eltern verbringt, ansonsten könnte es ein absolutes Desaster werden, dachte Samantha missmutig, vor allem wenn sie erfahren würde, dass sie die Key-Pirates sind. Und wer weiß, was die wiederum anstellen würden, wenn diese herausfinden, dass Jana zu einen der größten Fans gehört diese haben. Das könnte auf keinen Fall gut enden.
»Hallo? Alles klar bei dir?«, fragte Katsu, wedelte mit seiner Hand vor Samanthas Gesicht herum und riss sie so aus ihren Gedanken.
»Nerv mich nicht!«, giftete Samantha ihn daraufhin an, die es absolut nicht ausstehen konnte, wenn man genau das tat.
»Schade.« Katsu gestatte sich ein Grinsen. »Dabei wollte ich dir gerade erzählen weshalb wir hier sind und wie wir das überhaupt geschafft haben.«
»Na dann schieß mal los!«
»Schießen?« Samantha erntete einen irritierten Blick seitens Katsu.
»Ich meine, erzähl es endlich!«, forderte sie ihn auf.
»Direkt hier in der Eingangstür?« Katsu sah Samantha verblüfft an.
Diese seufzte. »Na schön dann kommt eben rein. Das gilt aber nicht als Freifahrtschein!«
»Freifahrtschein?«
»Ich meine, ihr könnt nicht einfach immer dann hier auftauchen, wenn es euch am besten passt! Wie ich heute Mittag schon gesagt habe: Ich habe noch ein Studium, um das ich mich kümmern muss!«
Katsu runzelte die Stirn. »Wieso denn immer? Heute ist das erste Mal und außerdem-«
»Schon gut, schon gut. Also dann kommt jetzt mit rein. Wir können uns bei mir im Zimmer unterhalten.«
»In deinem Zimmer?«, wiederholte Katsu verblüfft.
»Ja. Oder rede ich etwa chinesisch?«, wollte Samantha ungeduldig wissen. Zu spät merkte sie, dass dieser Einwand wohl nicht der klügste war. Was sich gleich daraufhin bestätigte.
»Wenn sie chinesisch sprechen würde, würden wir alle sie wenigstens verstehen«, mischte Kai sich ein, mit einem Seitenblick zu Hiroto, ohne sich die Mühe zu machen Englisch zu sprechen.
Hiroto beschränkte sich darauf einfach nur zu nicken.
»Hallo? Wenn ihr bei mir seid sprecht Englisch! Ansonsten kann ich euch auch ganz schnell wieder rauswerfen!«, wies Samantha sie zurecht. "Also was ist jetzt? Kommt ihr rein oder wollt ihr wieder gehen?"
Katsu musterte Samantha einen Augenblick lang. Es war eindeutig, dass sie nicht besonders gut gelaunt war. Vielleicht sollten wir doch ein anderes Mal wiederkommen, dachte er, wobei das eventuell sehr schwierig werden könnte...
»Na schön. Ganz wie ihr wollt. Wer bei null nicht rein kommt, bleibt draußen«, stellte Samantha unmissverständlich klar und riss Katsu so aus seinen Gedanken. »Drei, zwei, eins-«, bis null kam sie nicht mehr, denn schon fast bevor sie eins erreichte, standen alle im Flur der WG.
»Schön hast du es hier«, bemerkte Tadashi, nachdem sie alle zusammen in die Küche gegangen waren und er sich umgesehen hatte. »Aber es ist erstaunlich groß für nur eine Person.«
Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf Samanthas Lippen. »Danke. Ich lebe hier zusammen mit meiner besten Freundin Jana, die gleichzeitig auch meine Kommilitonin ist. Anders könnte auch keiner von uns die Miete bezahlen«, erklärte sie.
»Und deine Freundin ist im Moment nicht da?«, das war Izuya.
Samantha schüttelte den Kopf. »Sie verbringt den Tag heute bei ihren Eltern«, sie hielt kurz inne. »Möchte einer von euch was trinken? Kaffee, Wasser, Tee oder Saft?«, erkundigte sie sich. »Was den Kaffee angeht, weiß ich aber nicht, ob wir hier Milch oder Zucker wieder da haben«, fügte sie schnell hinzu.
»Wasser für uns alle ist in Ordnung, danke«, das war wieder Katsu. Dann deutete er auf einen Zettel, der auf dem Tisch lag. »Da steht der Name unserer Band drauf. Was hat sie dir geschrieben?«
»Was-?«, fragte Samantha, dann entdeckte sie ebenfalls die Notiz. Ohne zu zögern, griff sie danach und las ihn sich durch:
Hi Sam, hab durch eine glückliche Fügung zwei Karten für das Konzert der Key-Pirates in zwei Wochen in Frankreich bekommen. (Für hier in Köln gab es leider keine mehr.) Du wirst natürlich mitkommen! Danach hast du auch (sollte dir die Musik immer noch nicht gefallen) etwas bei mir offen. Bis morgen! Hab dich lieb, deine Jana.
»Verdammt nochmal! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was denkt die sich eigentlich dabei, so etwas über meinen Kopf hinweg zu entscheiden?«, fluchte Samantha. Dann fiel ihr auf, dass es zusätzlich ein P.S gab:
Ach ja Sam? Bevor du mich verteufelst, hör dir wenigstens noch die instrumental Version an, wenn du schon keine Lust auf die mit Text hast, okay? (Das neuste Album am besten. Die CD liegt auf meinem Schreibtisch) Tu es für mich. Wir reden dann morgen. Ciao.
Samantha, die sich wieder etwas beruhigt hatte, seufzte. Dann zerknüllte sie den Zettel.
»Geht es dir gut?«, fragte plötzlich, zur Verwunderung aller, quasi wie aus dem Nichts heraus, Hiroto Samantha mit sehr brüchigem Englisch.
»Ja, keine Sorge«, antwortete Samantha reflexartig und nickte. »Jana hat mich nur ziemlich überrascht mit dem was sie mir geschrieben hat. Und wütend bin ich geworden, weil sie etwas über meinen Kopf hinweg entscheiden hat worauf ich absolut keine Lust habe ...« Nämlich ein Konzert von euch zu besuchen, ergänzte sie im Stillen. Hütete sich jedoch das zu sagen.
»Das freut mich«, entgegnete Hiroto, der im Großen und Ganzen, von dem was Samantha sagte, nur »ja, keine Sorge« komplett verstanden hatte.
»Ah, ich verstehe!«, rief Izuya, dem soeben ein Licht aufging. »Basis Englisch, wie sie Sätze die wir in unseren Songs haben versteht Hiroto natürlich und das was in der Schule gelernt haben.« Er wandte sich, nun auf japanisch, an Hiroto wiederholte das, was er gesagt hatte und fügte hinzu: »Das ist doch richtig, oder?«
Hiroto nickte.
»Wollt ihr damit sagen, dass er wenigstens ein bisschen Englisch versteht? Also Grundkenntnisse in Englisch hat?«, erkundigte Samantha sich.
»Wenn man langsam und nicht zu kompliziert oder zu schnell redet...«, sagte Izuya.
»Wann habe ich denn bitte kompliziert geredet? Bisher schient ihr mich doch gut zu verstehen, oder etwa nicht?«, Samantha musterte Izuya knapp. Dann aber winkte sie, bevor er oder einer der anderen antworten konnte, ab. »Egal. Das können wir später noch klären. Weshalb seid ihr jetzt genau hier? Ich hoffe wir können das schnell hinter uns bringen. Denn ich bin wirklich verdammt müde.«
»Müde?«, wiederholte Izuya verblüfft. »Es ist noch nicht einmal sechs Uhr abends.«
»Ja, müde«, Samantha seufzte. »Heute früh habe ich eine Klausur geschrieben, danach wurde ich samt Büchern und Rucksack umgerannt und danach wiederum von meinem Professor überredet zu dolmetschen. Als ob das nicht alles wäre taucht ihr dann plötzlich auch noch bei mir vor der Tür auf und dann ist da noch Janas wahnwitzige Idee mich zu eurem Konzert mitzunehmen.«, Samantha hatte sich so sehr in Rage geredet, dass ihr erst zu spät auffiel, was sie da sagte.
»Deine Mitbewohnerin will was?«, alle, bis auf Hiroto der aufgrund der Geschwindigkeit in der Samantha redete, kaum etwas verstand sahen sie verblüfft an.
Samantha stöhnte auf. Jetzt da sie es gesagt hatte war es ohnehin egal. »Jana will mich auf ein Konzert von euch schleifen.«
»Das klingt nicht so, als ob du unsere Musik besonders mögen würdest.« Zu Samanthas Erstaunen grinste Katsu.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Sagen wir, ich halte die Musik die ihr macht eindeutig für ausbaufähig.«
»Ausbaufähig?«, wiederholte Katsu verblüfft.
»Sag mal, dir ist aber schon klar, dass wir schon dutzende Male vor hunderttausenden Fans gespielt haben?«, fügte Kai hinzu.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Klar. Ich habe ja auch nicht gesagt, dass eure Musik schlecht ist«, erinnerte sie ihn »es ist nur so, dass ich mir keine Musik anhören will die man eigentlich noch viel besser machen könnte, wenn man sich ernsthaft darauf einließe.«
»Wenn man sich ernsthaft darauf einließe? Was glaubst du eigentlich wie wir so bekannt geworden sind? Durch Straßenmusik?«
Samantha funkelte Kai an. »Sag etwas gegen Straßenmusik und ich-«
»Was würdest du denn ändern?«, mischte sich Izuya schnell ein, um die Situation wenigstens ein bisschen zu beruhigen. »Hast du irgendwelche Vorschläge?«
Samantha nickte. Dann öffnete sie eine Schublade ihres Schreibtisches auf, zog zwei Notenblätter heraus und hielt sie Izuya hin. »Das ist euer Song Cherry Blossom. Die eine Version ist das Original von euch und das zweite ist von mir umgeschrieben.«
»Darf ich mal sehen?« Hiroto sah Izuya fragend an.
Dieser nickte und reichte ihm die Noten mit einem Stirnrunzeln.
Hiroto nahm sie entgegen und las sich dann beide nacheinander durch. »Das ist gut«, meinte er, nur um sich an Katsu zu wenden. »Kannst du mal fragen, ob sie vielleicht eine Gitarre hier hat?«
Katsu übersetzte.
»Eine Gitarre? Klar«, entgegnete Samantha und stand auf, nur um wenig später mit dieser zurück zu kommen, um sie Hiroto zu reichen.
»Danke«, bedankte sich Hiroto, um eine korrekte Aussprache bemüht, auf Englisch.
»Kein Problem«, Samantha lächelte. „Gefällt es dir denn?“
Hiroto antwortete nicht, er konzentrierte sich bereits darauf, die Gitarre zu stimmen.
Nachdem Hiroto die Gitarre gestimmt hatte, spielte er den Song Cherry Blossom komplett durch. Nicht einmal auf die Noten musste er schauen. Immerhin war Cherry Blossom der beliebteste Song von ihnen und daher immer ein Bestandteil jeder Probe und jedes Konzertes. Als die letzte Note des Songs endlich verklungen war, griff Hiroto nach der von Samantha korrigierten Version und begann diese zu spielen. Was ihm gleich auffiel war, dass sie ein gutes Stück langsamer war. Nun klang es fast wie eine Ballade aber trotzdem nicht langweilig. Darüber hinaus hatte sich die Tonlage geändert. Es gab nicht mehr so ganz hohe Stellen und nicht so viele komplizierte Griffwechsel. Nachdem er auch diese Version des Songs beendet hatte, sah er Samantha an.
»Das ist wirklich sehr gut«, sagte er, ohne in diesem Moment daran zu denken, dass sie Japanisch nicht verstand.
»Sehr gut? Ich bin fast eingeschlafen«, meinte Kai auf Englisch.
Samantha funkelte Kai an. Dann schenkte sie Hiroto ein strahlendes Lächeln. »Vielen Dank für dein Lob. Aber man kann es eben nicht allen Recht machen.«
Hiroto lachte, nachdem Katsu für ihn übersetzt hatte. »Wahrscheinlich will Kai es einfach nur nicht zugeben«, sagte er belustigt.
Abermals übersetzte Katsu, auch er nun deutlich amüsiert.
Nun lachte auch Samantha.
Tadashi räusperte sich diskret. »Mal abgesehen davon, dass die Version von dir wirklich nicht schlecht war - auf welches Konzert von uns will deine Freundin denn mit dir?«
»Frankreich«, antwortete Samantha, nun wieder ernst.
»Frankreich? Wieso denn nicht hier?«
»Für hier ist schon alles ausverkauft. Wusstet ihr das nicht?«
»Ach, da lässt sich mit Sicherheit was machen, oder Katsu?«, fragte Izuya.
Katsu grinste. »Aber klar doch«
Samantha seufzte. »Und wie soll ich ihr das erklären?«
»Warum sagst du ihr nicht einfach die Wahrheit?«
Gerade als Samantha darauf antworten wollte, dass dies das Letzte war, was ihr in den Sinn käme, klingelte ihr Handy. Genervt sah sie auf den Display. Als sie las, wer sie anrief verfinsterte sich ihr Blick zusehends, was den anderen nicht verborgen blieb.
»Ihr entschuldigt mich kurz, ja? Das hier ist etwas was ich schnell noch klären muss. Es dauert auch nicht lange, versprochen.« Ihre Frage glich einem Zähneknirschen.
»Nur zu«, sagte Katsu, doch da war Samantha schon längst aus ihrem Zimmer in die Küche verschwunden.
***
»Was fällt dir eigentlich, ein mich anzurufen?«, fragteSamantha ohne sich die Mühe zu machen den Anrufer zu begrüßen. »Ich habe dir schließlich, falls du es vergessen haben solltest, mehr als deutlich gesagt, dass ich nichts mehr von dir hören will. Und ganz bestimmt dann nicht wenn du in Problemen steckst aus denen ich dir ganz bestimmt nicht helfen werde!«
»Also hallo erst einmal«, ertönte es vom anderen Ende, der Leitung. »Wie es scheint geht es dir gut.«
»Ja, bis du gerade angerufen hast.«
»Du hättest ja nicht annehmen müssen«, ein Lachen war zu hören.
»Komm endlich zur Sache Marc«, knurrte Samantha, deren Laune immer weiter in den Keller wanderte.
»Keine Sorge, es dauert nicht lang. Ich habe nur gedacht, ich mach dir eine Freude und lade dich auf das Konzert der Key-Pirates ein.«
Einen Augenblick lang wusste Samantha nicht, was sie sagen sollte. »Sag mal bist du bescheuert?«, erkundigte sie sich dann.
»Wie war das?«, es klang ehrlich verblüfft.
»Ich hab dich gefragt, ob du bescheuert bist. Frage doch einfach deine Freundin.«
»Exfreundin«, korrigierte Marc knapp.
»Na dann herzlichen Glückwunsch. Anscheinend hast du wieder genauso einen Mist gebaut wie damals. Hast du auch dieses Mal wieder was mit der besten Freundin angefangen?«
»Das muss ich dir ja wohl nicht-«
»Es interessiert mich auch nicht. Und was die Karte angeht oder deine sogenannte Einladung: Ich hab keine Zeit und noch weniger Lust. Besonders nicht wenn du meine Begleitung bist. Was dir, wenn du auch nur ein bisschen Verstand hast, klar sein sollte. Denn wer geht schon mit jemandem aus, von dem er mit der besten Freundin betrogen wurde?«, damit legte Samantha auf und ging zu den anderen zurück.
»Darf man fragen wer das war?«, erkundigte sich Katsu vorsichtig bei Samantha, als diese zurückkam.
Samantha schaltete das Handy aus. »Marc«, sagte sie. »Er ist mein Exfreund.«
»Und was wollte er?«, das war Kai.
»Eigentlich geht euch das gar nichts an«, Samantha ließ sich auf ihr Bett fallen »aber er wollte mir auf euer Konzert gehen.«
»Und du hast nein gesagt«, stellte Izuya fest.
»Selbstverständlich! Oder würdet ihr mit jemandem gehen, der dich betrogen hat? In meinem Fall sogar mit der besten Freundin.« Samantha wusste nicht, warum das erzählte. Immerhin kannten sie sich so gut wie gar nicht.
»Ich nehme stark an, diese beste Freundin ist nun nicht mehr deine Freundin?«, erkundigte Izuya sich.
Samantha nickte. »Können wir bitte das Thema wechseln?«, fragte sie dann. »Ihr habt mir immerhin noch nicht gesagt, weshalb ihr eigentlich hier seid.«
Nun war es Katsu, der nickte. »Wir wollten fragen, ob du uns vielleicht eine Videokamera leihen kannst.«
»Wozu braucht ihr eine Videokamera?«
»Der Präsident unserer Agentur verlangt von uns, dass wir einen Blog während unserer Tournee führen.«
»Einen Videoblog also, ja?«, fragte Samantha. »Aber eine Kamera hab ich nicht. Außer die vom Handy, aber so eine habt ihr sicher auch. Wenn ihr eine wollt mit hoher Qualität solltet ihr euch eine in einem Elektrogeschäft kaufen,«
»Und wie viel kostet das?«
»Keine Ahnung. Am besten lasst ihr euch beraten«
Katsu nahm sich einen Moment lang die Zeit, Samantha zu mustern. Auf einmal wirkte sie tatsächlich müde auf ihn. »Du weißt nicht zufällig, wo wir ein Elektrogeschäft finden können?«
Samantha seufzte. »Doch. Rein zufällig weiß ich es«, entgegnete sie »aber ich werde ganz sicher nicht mit euch dorthin gehen. Jedenfalls nicht mit allen von euch.«
»Du hilfst uns dabei? Wirklich?«, erleichtert sah Katsu sie an.
»Ja aber nur wenn ihr mich kurz für fünfzehn Minuten ausruhen lasst.«
»Du willst jetzt echt schlafen?«, wollte Izuya verblüfft wissen.
»Ja allerdings. In fünfzehn Minuten könnt ihr mich wecken, wenn ihr wollt, aber nicht früher«, sagte Samantha, streckte sich auf ihrem Bett aus und war kurz darauf schon eingeschlafen.
»Sollten wir sie nicht mal langsam wecken?«, schlug Hiroto vor und fügte hinzu: »Es ist schon kurz nach sieben. Das heißt sie schläft bereits länger als eine Stunde.«
»Gute Idee«, stimmte Kai zur Überraschung seiner Freunde zu. »Aber wenn es schon jemand von uns macht, dann ganz sicher nicht ich.«
Tadashi, Izuya, Hiroto und Katsu nickten.
»Stimmt. Das wäre wohl keine besonders gute Idee...«, meinte Letzterer.
»Heißt das du übernimmst das?«, fragte Kai.
»Ich?«, Katsu sah ihn mit großen Augen an. »Wieso das denn?«
»Du bist immerhin der Kopf unserer Band.«
»Eins zu null für Kai«, Izuya grinste.
Tadashi biss sich kurz auf die Lippen. Um nicht laut aufzulachen.
»Bevor ihr noch weiter herum diskutiert, werde ich es eben machen«, mischte sich Hiroto in das Gespräch seiner Freunde ein.
»Du? Aber-«, setzte Katsu an, doch zu spät.
Hiroto war nämlich bereits zu Samantha gegangen und rüttelte sie sanft an der Schulter. Was ihm allerdings nicht den erhofften Erfolg einbrachte. »Komm schon... Eine Stunde, statt fünfzehn Minuten, ist doch wohl genug. Oder etwa nicht?«
»Der Wecker hat doch noch nicht mal geklingelt. Kannst du mich nicht noch ein bisschen schlafen lassen Jana?« Samantha blinzelte müde. Dann erkannte sie, dass es nicht Jana war, wer sie da geweckt hatte. »Hiroto? Was zum...«, fragte sie überrascht allerdings immer noch auf Deutsch.
Hiroto versuchte sich an einem Lächeln, welches ihm halb gelang, dann sah er Tadashi fragend an.
Der zuckte mit den Schultern.
Samantha, die sich inzwischen aufgesetzt hatte, gähnte. »Wie spät ist es?«, wollte sie, nun auf Englisch, wissen.
Katsu warf einen Blick auf seine Handyuhr. »Fast viertel nach sieben. Du hast wirklich geschlafen wie ein ...«, ihm fiel die englische Bezeichnung nicht ein.
»Toter?«, schlug Kai prompt vor.
»Nein, nein so schlimm war es nun auch wieder nicht. Ich meine dieses Tier-«
»Ein Bär?«
»Nein. Aber so ähnlich«
»So ähnlich? Was für ein Tier soll das denn bitte sein?«, wollte Kai wissen.
Tadashi dachte kurz nach. Dann fiel ihm etwas ein. »Kann es sein dass du einen Siebenschläfer?«
»Ja. Ganz genau. Nach diesem Wort habe ich gesucht!«, stimmte Katsu ihm zu.
»Besonders ähnlich ist ein Bär einem Siebenschläfer aber eigentlich nicht«, mischte sich Samantha in das Gespräch ein. »Und mal ganz davon abgesehen: Wir sollten los. Sonst stehen wir vor verschlossenen Türen. Und morgen ist wohl kaum Zeit sich eine Kamera zu kaufen.«
»Wir? Hast du nicht vorhin noch gesagt, dass du nicht mit uns allen gehen willst?«
»Will ich auch nicht.« Samantha sah alle der Reihe nach an. Dann nickte sie entschlossen. »Ich denke, ich nehme Tadashi und Hiroto mit.«
»Hiroto?«, wiederholte Katsu mehr als nur ein bisschen verblüfft. »Wieso das denn?«
»Das muss doch nun wirklich nicht eure Sorge sein"«, entgegnete Samantha »auf jeden Fall müssen wir jetzt los. Also was ist?«
»Worum geht es denn eigentlich?«, wandte Hiroto sich schließlich an Tadashi, der es ihm erklärte. Dann blickte Hiroto Samantha an. »Danke sehr. Das wird bestimmt interessant.«, sagte er in unsicherem Englisch.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht warum einkaufen besonders interessant sein sollte«, entgegnete sie. Dann wandte sie sich an die anderen. »In der Küche könnt ihr euch zu trinken holen und zur Not auch was zu essen aus dem Kühlschrank. Das Bad ist links neben dem Nachbarzimmer von mir«, erklärte sie. Dann fiel ihr noch etwas ein. »Achja und mein Schreibtisch ist für euch tabu!«
»Wahnsinn! Die Kirche hier ist wirklich riesig!«, bemerkte Tadashi beeindruckt, nachdem Samantha mit ihm und Hiroto nach einer kurzen Busfahrt am Domplatz angekommen war.
»Das ist keine Kirche, sondern ein Dom«, korrigierte Samantha Tadashi automatisch ohne darüber nachzudenken.
Tadashi zog eine Braue in die Höhe. »Und was ist da der Unterschied - außer dass es deutlich größer ist?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Samantha zu. »Kommt jetzt. Wir müssen hier entlang.«
Nur wenige Minuten später, inzwischen war es bereits halb acht, erreichten sie das Geschäft. Schwungvoll öffnete Samantha die Tür und hielt sie dann Hiroto und Tadashi auf. »Wir müssen in die erste Etage, soweit ich weiß«, teilte sie den beiden mit.
Tadashi nickte. »In Ordnung. Wir folgen dir einfach.«
Kurz nachdem Samantha, Hiroto und Tadashi die erste Etage erreichten und sich begannen umzusehen, kam auch schon ein Verkäufer auf sie zu - mit einem strahlenden Lächeln.
Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, sprach er Samantha direkt an, Hiroto und Tadashi beachtete er erst gar nicht.
»Ähm... Ja. Wir suchen eine gute Videokamera«, entgegnete Samantha, die sich, ob des Enthusiasmus, etwas überfordert fühlte.
»Verstehe«, der Verkäufer nickte »da haben wir einige. Für welchen Zweck benötigen Sie sie denn?«
»Sie ist nicht für mich«, korrigierte Samantha.
»Ah dann also ein Geschenk?«
»Nein«, Samantha schüttelte den Kopf. Dann seufzte sie. »Sie wird benötigt für Videos in einem Blog hochzuladen. In möglichst guter Qualität.«
Der Verkäufer nickte. »Für einen professionellen Videoblog?«, er blieb vor einem Modell stehen. »Da kann ich ihnen diese hier nur ans Herz legen.«
Samantha musterte die Kamera, auf die der Verkäufer zeigte. Sie war handlich, augenscheinlich leicht zu bedienen, sah auch gut aus aber-
»Der Preis ist nicht wirklich Ihr Ernst, oder? Das ist mindestens eine null zu viel!«
Hiroto und Tadashi, die von dem Gespräch kein Wort verstanden, da es auf Deutsch geführt wurde, sahen einander an. »Es scheint so als wäre diese Kamera nicht gerade billig«, schlussfolgerte letzterer aufgrund Samanthas Verhalten.
Hiroto nickte. »Frag Samantha doch einfach mal.«
»Gute Idee«, nun war es an Tadashi zu nicken. Dann wandte er sich an Samantha. »Stimmt etwas nicht?«, sprach er sie auf Englisch an.
Samantha verzog das Gesicht. »Nein es ist alles in Ordnung. Jedenfalls bis auf den Preis.«
»Wie hoch ist er denn?«
»Knapp zweitausend Euro.« Samantha deutete auf das Preisschild.
»Und wie viel ist es?«, wollte Hiroto von Tadashi wissen.
»Etwas mehr als zweihundertfünfzigtausend Yen«, erklärte Tadashi ihm, nachdem er den Preis grob umgerechnet hatte.
»Zweihundertfünfzigtausend Yen?«, Hiroto starrte Tadashi ungläubig an. »Wenn wir das kaufen, bringt uns unsere Agentur vermutlich um.«
»Allerdings«, stimmte dieser zu, wollte Samantha daher auffordern, sich nach einer anderen umzusehen, doch das hatte sie bereits getan.
»Was ist mit dieser Kamera hier?« Sie deutete auf ein ähnlich aussehendes Modell.
»Das ist die ältere Version«, erklärte der Verkäufer ihr. »Damit können Sie allerdings die Videos und Fotos nicht direkt von der Kamera aus online stellen, und der Speicherplatz ist auch kleiner.«
Samantha unterdrückte rechtzeitig den Kommentar, dass das auch gar nicht einer der Ansprüche gewesen war. »Wie viel kostet sie?«
»Tausend Euro«, lautete die Antwort.
Samantha gab die Antwort an Tadashi weiter. Der begann wieder zu rechnen. »Ungefähr hundertdreißigtausend Yen«, meinte er schließlich an Hiroto gewandt.
»Hundertdreißigtausend Yen sind in Ordnung, oder?«", fragte dieser.
»Dafür umbringen wird uns unsere Agentur wohl nicht«, stimmte Tadashi zu. Dann sah er Samantha an. »Wir nehmen die hier.«
»Diese hier? Ist das nicht immer noch ein wenig viel?«
»Ich schätze, es geht in Ordnung. Außerdem bekommen wir das Geld, wenn wir die Quittung mitnehmen, zurückerstattet von unserer Agentur«, erklärte Tadashi.
»Nun gut. Es liegt schließlich bei euch«, Samantha seufzte. Dass sie sich selbst niemals eine Kamera zu solch einem Preis kaufen würde, ließ sie unerwähnt.
***
»Sam! Na das ist ja mal eine Überraschung! Was machst du denn hier?«, ertönte hinter Samantha, gerade als sie sich mit Hiroto und Tadashi an der Kasse eingereiht hatte, eine ihr nur allzu bekannte Stimme. Samantha stöhnte leise auf. Dann drehte sie sich um.
»Ich habe keine Lust mich mit dir zu unterhalten. Das habe ich dir doch vorhin schon am Telefon deutlich genug gesagt, oder etwa nicht?«
Der junge Mann grinste breit. »Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
Samantha verdrehte genervt die Augen. »Marc, tu dir selbst und auch mir den Gefallen und verschwinde aus meinem Blickfeld. Sonst kann ich für nichts garantieren!«, giftete sie ihn an.
»Na jetzt habe ich aber Angst.« Marc lachte. Es klang spöttisch.
Samantha ballte die Hände zu Fäusten. »Ich meine das ernst. Wenn ich jetzt mit dir alleine wäre, hätte ich dir längst ein blaues Auge verpasst.«
»Wieso das denn? Ich habe dir doch gar nichts getan ...«
»Nichts getan?«, Samanthas Stimme schnellte um einige Oktaven in die Höhe. »Na du hast vielleicht Nerven!«
»Sam? Wir sind mit bezahlen an der Reihe«, mischte sich nun Tadashi in das Gespräch ein. Er hatte zwar kein Wort verstanden, erkannte aber auch so, dass Samantha äußerst aufgebracht war.
»Ja natürlich«, Samantha nickte.
Hiroto, dem ebenfalls auffiel, dass sich ihre Laune verschlechtert hatte, lächelte Samantha aufmunternd zu. Dann musterte er den jungen Mann. Hiroto konnte nicht sagen warum, doch er fand ihn sofort unsympathisch.
Als Samantha bemerkte, dass Hiroto ihr zulächelte konnte sie nicht anders, als es zu erwidern. Weshalb wusste sie selbst nicht so genau. Vielleicht jedoch lag es daran, dass es ihr einfach ehrlich vor kam und komplett ungezwungen. Sie wandte sich wieder an Marc. »Egal, wie, wo und ob wir uns treffen. Sprich mich nicht an«, damit drehte sie sich ohne einen weiteren Kommentar um. »Danke«, bedankte sie sich dann bei Hiroto.
»Gern«, entgegnete Hiroto noch immer lächelnd. »Du wirst in Ordnung sein, oder?«
»Ja, mir geht es gut.« Samantha nickte. Dann wandte sie sich an Tadashi. »Muss ich euch vorlegen oder bezahlt ihr selbst?«
»Ich bezahle«, bestätigte dieser und reichte der Kassiererin seine Kreditkarte.
»Sehr gut. Ansonsten wäre ich nämlich pleite gewesen.«
»Kein Problem«, Tadashi grinste kurz »können wir dann gehen? Morgen wird ein harter Tag.«
»Also so einen verrückten und chaotischen Tag wie heute haben wir wirklich schon lange nicht mehr erlebt, oder?«, fragte Katsu, nachdem er und die anderen Mitglieder der Key-Pirates, im Hotel ankamen und alles noch einmal Revue passieren ließen.
»Allerdings«, stimmte Kai ohne zu zögern zu. »Aber ihr wolltet mir ja schon zuhause nicht glauben, dass es stressig wird.«
Tadashi verdrehte die Augen. »Ich fand den Tag gar nicht so schlimm. Ein bisschen Abwechslung ist manchmal gar nicht schlecht. Auch wenn Samantha das, zumindest was heute angeht, sicher anders sieht.«
»Du machst dir doch nicht etwa Sorgen um sie?«, erkundigte Kai sich leicht spöttisch.
»Sorgen?«, wiederholte Tadashi verblüfft. »Wieso das denn?«
»Also was ich heute am überraschendsten fand war, dass sie dich und Hiroto mitgenommen hat um die Kamera zu kaufen«, mischte sich Izuya an Tadashi gewandt ein, bevor das Gespräch aus dem Ruder laufen konnte - und zwar in eine Richtung, auf die er nicht besonders erpicht war.
»Stimmt«, Tadashi nickte »das hat mich auch verwundert.«
»Und mich erst«, fühlte sich nun Hiroto verpflichtet zu sagen. »Vor allem da sie im Endeffekt nur mit dem Verkäufer, Tadashi«, Hiroto verzog kurz das Gesicht »und diesem Marc geredet hat.«
»Marc? War das nicht ihr Exfreund?«, erkundigte Kai sich.
»Ganz genau«, Tadashi nickte.
»Sie schien auch alles andere als begeistert zu sein ihn zu sehen«, fuhr Hiroto fort. Er grinste kurz. »In einem Moment sah sie sogar aus, als ob sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpassen würde ...«
»Ja, den Eindruck hatte ich auch«, bestätigte Tadashi.
»Und? Hat sie?«, das war wieder Kai. Nun klang seine Stimme mehr neugierig als spöttisch.
»Nein«, Hiroto schüttelte den Kopf. »Aber stattdessen hat sie etwas zu ihm gesagt, was ihn quasi auf der Stelle verstummen ließ.«
»Beeindruckend«, meinte Izuya.
Katsu lachte. »Frag sie doch, wie sie das gemacht hat, Tadashi. Vielleicht haben wir dann weniger Probleme mit unseren Hardcore Fans.«
»Das ist nicht wirklich dein Ernst, oder?«, wollte Tadashi wissen.
»Wieso denn nicht? Ich finde die Idee toll«, bemerkte Kai, ehe Katsu antworten konnte.
»War mir irgendwie klar«, das war wieder Hiroto. »Mal ganz von allem abgesehen davon, was wir heute alles erlebt haben, sollten wir uns nicht auf unsere Probe morgen konzentrieren?«, er räusperte sich. »Außerdem wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn wir Samantha morgen bei der Probe dabei haben.«
Katsu musterte Hiroto. Ihm war heute schon ein paarmal aufgefallen, zumindest glaubte er das, dass Hiroto Samantha sympathisch fand. Was erstaunlich war, da Hiroto aufgrund seines schlechten Englisch nur wenig verstand - und von Deutsch konnte natürlich erst recht nicht die Rede sein. Ganz davon abgesehen wusste Katsu jedoch auch, dass Hiroto ein sehr guter Zuhörer war. Selbst wenn es einem selbst anders erschien, weil man ihn für schüchtern oder zurückhaltend hielt oder es einem gar so vorkam als ob er sich in seiner ganz eigenen Welt befinden würde. Am Ende wurde man doch überrascht. Vielleicht war das auch Samantha aufgefallen. Inwiefern jedoch genau konnte sich Katsu nicht erklären. Was ihm jedoch durchaus imponiert hatte war, als Samantha ihnen den geänderten Song von ihnen gezeigt hatte. Denn die Änderungen waren alles andere als schlecht und langweilig. Katsu räusperte sich.
»Eine Frage hätte ich noch, bevor wir Schluss machen«, er sah alle der Reihe nach an »sollen wir den geänderten Song in unser Programm aufnehmen?«
Hiroto blickte ihn mit großen Augen an. »Das wäre großartig!«
»Ich weiß nicht. Sollten wir diese Entscheidung nicht besser auf Morgen verschieben? Außerdem bräuchten wir dafür noch das Einverständnis unserer Agentur und das von Samantha«, gab Kai zu bedenken.
Katsu grinste. »Du bist also nicht rigoros dagegen?«
Kai schüttelte den Kopf. »Nein. Immerhin war es wirklich nicht schlecht.«
»Vorhin klang das aber noch ganz anders«, erinnerte Hiroto ihn. »Hattest du nicht irgendwas von wegen man schläft dabei ein gesagt?«
»Ich hatte eben schlechte Laune«, verteidigte Kai sich.
»Oh ja, das war wirklich nicht zu übersehen«, Izuya nickte.
»Dann solltest du dich vielleicht morgen bei ihr entschuldigen«, riet Tadashi Kai.
»Heißt das sie kommt morgen tatsächlich zu unserer Probe?«, fragte dieser. Tadashi ignorierte er einfach.
»Nun in die Musikschule kommt sie wohl auf jeden Fall. Warum also nicht zu uns?«, meinte Katsu.
***
Als Samantha am nächsten Tag erwachte, brauchte sie einen Moment, bis ihr einfiel, was am Tag zuvor passiert war. Als sie sich jedoch wieder an alles erinnerte, nachdem sie sich fertigmachte und nun in der Küche war, hob das nicht gerade ihre Laune. Was besonders daran lag, dass sie für sich heute einen der Proberäume gemietet hatte. Was wiederum bedeutete, dass sie den Key-Pirates wohl oder übel über den Weg laufen würde. Immerhin probten diese heute ebenfalls. Samantha warf einen Blick auf die Küchenuhr. Acht Uhr. Vielleicht sind sie ja noch gar nicht dort, überlegte Samantha hoffnungsvoll, nahm sich einen Apfel aus der Obstschale und machte sich dann auf den Weg, nachdem sie sich Notenpapier in ihre Tasche gepackt hatte.
Nach einer viertel Stunde, als Samantha endlich die Musikschule erreichte war wie erwartet sehr wenig los. Die wenigsten ihrer Komillitonen arbeiteten am Wochenende hier, sondern nutzten die freie Zeit, die sie hatten, um zuhause zu entspannen. Deshalb war es immer leicht am Wochenende einen Proberaum zu bekommen und Samantha hatte es sich daher zu einem Ritual gemacht jeden Samstag fast den ganzen Tag genau das auszunutzen. Besonders da sie für ihre Arbeit langsam in Zeitdruck geriet. Denn bis zur Abgabe waren es nur noch vier Wochen. Vier Wochen, die sie zu nutzen gedachte. Nachdem Samantha ihr Fahrrad abstellte und wie immer nicht abschloss, vielleicht klaute es ja doch jemand, woran sie niemand hindern wollte, ging sie zu den Proberäumen.
Der Proberaum, den man ihr zugeteilt hatte, war genau der, nachdem sie gefragt hatte: Proberaum 1124. Es war zwar nicht einer der allergrößten, dafür aber befand sich ein Instrumentenschrank darin und ein Klavier. Die Schlüssel zum Proberaum und dem Schrank hatte sie noch vom letzten Mal. Als Samantha den Proberaum erreichte sah sie sich vorsichtshalber kurz um. Von den Key-Pirates war bis jetzt weder etwas zu sehen noch zu hören. Erleichtert atmete sie aus. Dann schloss sie den Proberaum auf und trat ein.
***
»Seht mal! Ist das nicht Samanthas Fahrrad?«, fragte Katsu, die anderen als sie, später als geplant, an der Musikschule eintrafen.
»Es kann nur ihres sein. So einen Schrotthaufen auf zwei Rädern gibt es auf keinen Fall ein zweites Mal auf dieser Welt«, gab Kai zu bedenken.
»Sie hat es noch nicht einmal abgeschlossen«, bemerkte Izuya belustigt.
»Warum sollte sie auch? Wahrscheinlich hofft sie, das es jemand klaut. Obwohl: Diebe die so Fahrräder stehlen dürften nicht ganz klar im Kopf sein«, meinte Kai »Oder würdest du gern mit sowas umher fahren wollen?«
Izuya schüttelte den Kopf. »Danke, aber danke nein.«
»Siehst du«, Kai grinste ihn an. Dann wandte er sich an Katsu. »Also ist Samantha tatsächlich auch heute hier, wie du gesagt hast.«
Katsu nickte. »Scheint so. Aber jetzt lasst uns erst einmal zu unserem Proberaum gehen.«
»Welcher ist es denn?«, erkundigte Tadashi sich.
»Proberaum 1125«, erklärte Katsu.
»Was so viele Proberäume haben sie?«, erkundigte Hiroto sich verwundert. »So viele hat doch noch nicht einmal unsere Agentur und deren Gebäude ist viel größer.«
»Quatsch. Vermutlich ist 1125 einfach nur die Raumbezeichnung«, erklärte Tadashi.
»Stimmt auch wieder«, Hiroto. »Es klingt jedenfalls logisch.«
»Na dann los«, forderte Katsu die anderen auf.
***
Als Katsu mit den anderen bei dem Proberaum ankam, den sie nach kurzem umher irren fanden, war bereits Musik aus einem der Räume zu hören. Um genau zu sein aus dem Raum direkt gegenüber.
»Das klingt wirklich nicht schlecht«, meinte Tadashi irgendwann anerkennend, nachdem Katsu die Tür aufgeschlossen hatte.
»Schon. Die Frage ist nur, ob wir uns bei diesem Krach auch auf unsere Musik konzentrieren können«, meinte Kai.
Hiroto lachte.
»Was ist daran bitte so witzig?«
Hiroto schüttelte den Kopf. »Ich kenne wirklich keinen anderen, außer dir, der eine Sache loben und dann im gleichen Satz wieder kritisieren kann.«
»Ich bin eben einzigartig.«
»Oh ja. Das auf jeden Fall«, mischte sich Katsu in das Gespräch ein. Dann grinste er. »Und darüber hinaus scheinst du glücklicherweise heute richtig gute Laune zu haben.«
»Allerdings«, Kai nickte. Dann dachte er kurz nach. »Meint ihr, es ist Samantha, die im Raum gegenüber von uns probt?«
»Das halte ich für recht unwahrscheinlich«, meinte Izuya, der bisher den anderen nur zugehört hatte.
»Unwahrscheinlich? Wieso das denn?«
»Eben hat es sich eher nach einem Gitarren- und Klavier Duett angehört. Dafür muss man logischerweise mindestens zu zweit sein und ...«
»Was wenn sie ein Aufnahmegerät benutzt?«, schlug Hiroto vor. »Das ist doch immerhin möglich, oder etwa nicht?«
»Schon aber-«
»Ich geh einfach mal nachsehen«, sagte Hiroto.
»Warte!«, wollte Katsu ihn noch zurückhalten, doch da war Hiroto schon längst aus der Tür raus.
***
»Verdammt nochmal! Wieso klingt das einfach nicht so, wie ich es will!«, fluchte Samantha und funkelte die Noten auf dem Notenständer des Klaviers wütend an. »In der Gitarrenversion klingt es doch auch gut, wieso also nicht mit dem Klavier?«, unwillkürlich ballte sie eine Hand zur Faust. Dann, wenige Minuten später, als sie es erneut versuchen wollte, klopfte es an der Tür.
Und schon wieder will Murphy mich einfach nicht in Ruhe lassen, dachte Samantha.
»Herein!«, rief sie schließlich aber doch. Als sie sah, wer die Tür geöffnet hatte, riss sie ihre Augen unwillkürlich weit auf. »Hiroto? Was machst du hier?«
»Guten Morgen«, begrüßte Hiroto Samantha lächelnd auf Englisch, ohne auf ihre Frage zu antworten.
Samantha seufzte. »Dass das heute wirklich ein guter Morgen ist, kann ich bisher wirklich noch nicht behaupten«, entgegnete sie missmutig und zeigte auf die Noten vor ihr. »Der Gitarrenpart klingt bisher gut, aber zusammen mit dem Klavier passt es aus irgendeinem Grund nicht.«
»Oh«, meinte Hiroto, der das meiste nur aufgrund ihrer Körpersprache verstanden hatte. Er deutete auf das Klavier und dann die Noten. »Darf ich mal sehen?«
Samantha nickte und stand, von dem Klavierhocker, auf und machte eine einladende Handbewegung. »Bitte sehr. Ich komme im Moment sowieso nicht weiter.«
»Danke«, erneut lächelte Hiroto sie an, setzte sich hin und besah sich dann die Noten. Das Schwierigkeitslevel war gerade so hoch, dass er es ohne Probleme spielen konnte. Normalerweise war er eher bei Gitarre in seinem Element.
»Den Gitarrenpart hast du aufgenommen und dann über ein Gerät abgespielt, oder? Ist es für dich in Ordnung, wenn ich einfach vorerst ohne die Gitarrenaufnahme spielen werde? Nur damit ich weiß, wie es alleine klingt-« Erst jetzt, als er sah wie irritiert Samantha ihn anblickte, fiel Hiroto auf dass er ins japanische gewechselt war.
Samantha unterdrückte gerade noch rechtzeitig ein erneutes Seufzen. »Fang am besten einfach an.«
»Hiroto ist jetzt schon seit zwanzig Minuten drüben - sollten wir nicht auch mal nachsehen weshalb er nicht zurück kommt?«, erkundigte sich Izuya nach einem Blick auf seine Handyuhr.
Katsu zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hast du Recht. Aber wenigstens können wir eines mit Sicherheit sagen«, er grinste »es ist wohl tatsächlich Samantha, die im Raum gegenüber probt.«
Tadashi nickte. »Denke ich inzwischen auch. Ansonsten wäre Hiroto vermutlich längst wieder hier.«
»Schon. Aber wie schafft er es, mit ihr zu reden? Immerhin ist er derjenige von uns, der am schlechtesten Englisch spricht«, gab Kai zu bedenken.
»Stimmt auch wieder«, nun war es Izuya, der nickte. »Aber eigentlich muss man ja nicht unbedingt dieselbe Sprache sprechen, um sich verständigen zu können.«
Kai verdrehte die Augen.
»Wieso gehen wir nicht einfach mal kurz rüber? Ohne Hiroto können wir sowieso nicht anfangen«, schlug Katsu schließlich vor.
»Das könnte durchaus lustig werden«, meinte Kai und grinste.
Hiroto sah Samantha, nachdem er das Stück auf dem Klavier durchgespielt hatte, an. »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte er schließlich bemüht auf Englisch.
»Na da bin ich aber erleichtert!«, entgegnete Samantha, ohne zu zögern. »Und du hast nicht zufällig eine Idee, wie ich das korrigieren kann?«
Hiroto schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment nicht.«
»Schade.«
»Keine Sorge. Wenn du willst, denk ich mal drüber nach«, Hiroto wollte noch mehr sagen, doch genau in diesem Augenblick öffnete jemand die Tür. Und herein kamen ...
***
»Was macht ihr denn hier?«, fragte Samantha, bevor Hiroto oder einer der anderen auch nur ein Wort sagen konnten.
»Was wir hier machen? Ist das nicht offensichtlich?«, wollte Katsu von ihr wissen. Dann wandte er sich nun auf japanisch an Hiroto. »Was treibst du denn so lange? Wir müssen mit der Probe anfangen und ohne dich geht das nicht.«
»Entschuldigung. Es tut mir leid, aber ich habe ihr noch bei etwas geholfen. Oder es zumindest versucht...«, entgegnete Hiroto.
»Du hast ihr bei etwas geholfen? Bei was denn?«, erkundigte Kai sich neugierig bei ihm.
Hiroto sah Samantha fragend an. Er wusste nicht, wie er es genau erklären sollte.
»Ich habe zur Zeit einige Schwierigkeiten mit einem Klavierstück, für das ich eine Gitarrenbegleitung vorgesehen habe. Beides einzeln klingt gut, aber wenn man es miteinander kombiniert entspricht es noch nicht ganz meinen Vorstellungen«, half Samantha ihm.
»Interessant. Darf ich mal sehen? Vielleicht fällt mir ja was dazu ein«, schlug Kai vor.
Samantha sah Kai mit großen Augen. »Wow. Du scheinst heute ja einen richtig guten Tag zu haben!«
Die anderen, selbst Hiroto, lachten. Bis auf Kai.
Der zog eine Braue in die Höhe. »Was soll das denn heißen?«
Samantha zuckte mit den Schultern. »Dass du gestern echt miese Laune zu haben schienst.«
»Miese Laune?«, wiederholte Kai verblüfft. »Vielleicht genervt. Aber zu behaupten, dass ich mies gelaunt war ist denke ich übertrieben...«
»Kai mag es nicht besonders auf Tournee zu gehen. Besonders wenn wir mehr als drei Stunden dafür im Flugzeug verbringen müssen«, mischte sich belustigt Katsu ein.
»Allerdings«, Kai nickte.
Samanta lachte auf. »Wenn das deine Fans hier wüssten...«
»Ich mag es nun einmal nicht besonders meine Zeit, mit unwichtigen Dingen, zu verschwenden«, konterte Kai. Er sah Samantha auffordernd an. »Also was ist jetzt? Darf ich mir die Noten mal ansehen?«
»Vielleicht später. Ich mach jetzt erstmal eine Pause«, entgegnete Samantha, griff nach den Noten und räumte sie in ihre Tasche. »Außerdem: Wolltet ihr fünf nicht für das Konzert von euch morgen Abend proben?«
»Das stimmt. Immerhin haben wir gestern den ganzen Tag vertrödelt«, mischte sich Katsu erneut ein.
Samantha funkelte ihn an. »Du wagst es doch wohl nicht, zu behaupten, dass das an mir lag?«
»Das würde mir niemals einfallen«, entgegnete Katsu, konnte jedoch ein Grinsen nicht verhindern. Er räusperte sich. »Hast du vielleicht Lust uns bei der Probe zuzusehen?«
»Warum sollte ich?«
***
Kai, der genau wie die anderen, das Gespräch zwischen Katsu und Samantha neugierig verfolgt hatte, konnte nicht anders als Letztere nun überrascht anzustarren. Schon seit gestern hatte sie ihn nicht nur einmal verblüfft - und selbst das war noch äußerst milde ausgedrückt. Denn Samantha war so komplett anders als die Mädchen und Frauen, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte. Denn die brachen sofort in Gekreische aus, wenn sie ihn und die anderen Mitglieder der Key-Pirates nur von ferne sahen. Und wie viele bei Konzerten von ihnen umgekippt waren, vor Begeisterung, nur weil er oder die anderen ihnen zu lächelten ließ sich gar nicht nachzählen. Und dann war da Samantha. Samantha die ihre Musik für ausbaufähig hielt, von Anfang an absolut genervt war als sie hörte, dass sie ihnen dolmetschen musste, mit ihnen umging wie mit jedem anderen und nun sogar eine Einladung zu einer Probe von ihnen ausschlug. Zumindest sah es bis jetzt so aus.
»Warum sollte ich euch bei eurer Probe zusehen?«, erkundigte Samantha sich noch einmal, da sie bisher keine Antwort erhalten hatte.
»Dir ist aber schon klar, dass jeder unserer Fans so eine Einladung als Privileg sehen würde?«, fragte Kai schließlich.
»Und euch ist schon klar, dass das mir als Grund nicht reicht?«, konterte Samantha ohne zu zögern.
Kai verdrehte die Augen.
»Wenn du jetzt Pause machst, würdest du doch sowieso nur alleine hier sein. Das wäre doch ziemlich langweilig, oder nicht?«, versuchte sich nun Tadashi daran, sie zu überzeugen.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Nicht zwingend. Ich mach das schließlich jede Woche so.«
»Jede Woche?«, meldete Izuya sich zu Wort. »Wieso das denn?«
»Weil ich, im Gegensatz zu euch, studiere und für meine Arbeit eine gute Bewertung bekommen möchte.«
»Aber etwas Abwechslung wäre doch wirklich nicht schlecht, oder? Und da du unsere Musik für ausbaufähig hältst, kannst du uns vielleicht ein paar Tipps geben«, schlug Katsu vor.
Samantha zog eine Braue in die Höhe. »Das ist zumindest schonmal ein guter Ansatz.«
»Ein guter Ansatz?«, wiederholte Katsu. »Was-« Er wollte noch mehr sagen, wurde jedoch von Hiroto unterbrochen.
»Ich würde mich freuen, wenn du uns bei unserer Probe zusiehst«, sagte dieser in sehr holprigem Englisch. Dann wechselte er ins Japanische. »Ich verstehe auch, dass du es nicht als Privileg siehst, aber vielleicht tut es dir ja tatsächlich gut mal etwas anderes in deiner Pause zu machen als sonst. Obwohl ich natürlich, genau wie die anderen, nicht genau weiß was du sonst so in deiner Pause machst. Aber wenn du jetzt einfach hier alleine bleibst wirst du dich, vielleicht, gar nicht richtig entspannen können, was ja der eigentliche Sinn ist, sondern immer nur über dein Notenproblem nachdenken und dich damit nur noch mehr unter Stress setzen. Und das wird dir wahrscheinlich gar nichts bringen, außer dass du dich nur noch mehr ärgerst. Aber auch wenn du von unserer Musik nicht der größte Fan bist, was dein ganzes Recht ist, kommst du vielleicht auf andere Gedanken.«
Katsu, Kai, Tadashi und Izuya sahen Hiroto verblüfft an, nachdem dieser geendet hatte.
»Das nenne ich mal eine Rede!«, meinte Izuya, der als Erstes seine Sprache wiederfand, ebenfalls in japanisch.
»Aber hallo!«, Tadashi nickte.
»Entschuldigt«, mischte sich Samantha ein »doch könnte mir vielleicht mal jemand sagen, worum es gerade geht?«
»Selbstverständlich«, abermals nickte Tadashi und klärte Samantha dann darüber auf, was Hiroto gesagt hatte.
»Wow!«, mehr fiel Samantha erst einmal nicht zu sagen ein.
»Heißt das du kommst mit?«, erkundigte sich Katsu.
»Nun, nach so einer Rede werde ich wohl kaum nein sagen können.«
»Sehr schön«, freute Katsu sich »dann wirst du ja auch einen Teil unserer Probe filmen können, oder? Heute ist nämlich der erste Videoeintrag für den Blog fällig.«
Samantha räusperte sich und schluckte die, nicht unbedingt freundliche, Entgegnung die ihr dazu auf der Zunge lag gerade noch rechtzeitig herunter. »Na gut. Vielleicht kann ich mich ja tatsächlich damit ein wenig ablenken«, sagte sie stattdessen.
Hiroto sah Tadashi an. »Kommt sie mit?«, erkundigte er sich bei ihm, da er wieder nur ungefähr die Hälfte von allem verstanden hatte, in japanisch.
Tadashi zog es vor, einfach nur zu nicken.
»Also da das ja nun geklärt zu sein scheint, sollten wir nicht endlich mal anfangen?«, fragte Izuya.
»Ganz deiner Meinung«, Katsu nickte.
***
»Na, das lief doch gar nicht so schlecht«, meinte Katsu eine Stunde später, nachdem sie mehrere Songs durchgegangen waren.
»Besser waren wir aber auch schonmal«, entgegnete Kai, kramte eine Wasserflasche aus seiner Tasche und trank einen Schluck. »Mit dieser Qualität können wir das Konzert morgen jedenfalls nicht machen.«
»Es tut mir Leid. Das liegt nur an mir. Ich hab den Akkordwechsel wieder verpasst«, entschuldigte Hiroto sich niedergeschlagen.
»Keine Sorge. Beim nächsten Mal klappt es ganz sicher«, versuchte Izuya ihn zu beruhigen. »Und wenn nicht jetzt, dann beim Konzert. Da hast du ja bisher auch sonst alle Töne genau getroffen.«
»Genau. Davon abgesehen sagt man doch auch, das die Generalprobe schief gehen muss damit der Auftritt super wird«, schaltete sich nun Tadashi ein. »Also sollen wir es einfach noch einmal probieren?«
»Also irgendwie bin ich ja schon etwas nervös«, gab Hiroto zu, wenige Minuten bevor sie auf die Bühne gingen. »Ich meine es ist das erste Mal, dass wir hier in Deutschland spielen und-«
»Kein Grund zur Panik«, unterbrach Katsu ihn. »Die Probe gestern hat doch letztendlich auch gut geklappt.«
»Genau, davon abgesehen sind es nicht so viele Fans wie sonst. Normalerweise spielen vor dreißigtausend, aber hier passen die Halle nur fünfzehn oder zwanzigtausend Menschen rein«, ergänzte Izuya.
»Na das beruhigt mich jetzt aber ungemein«, entgegnete Hiroto sarkastisch und verdrehte die Augen.
»Wie machen wir das jetzt? Spielen wir die Cherry Blossom in der Version Samantha?«, erkundigte sich Tadashi bei Katsu.
»Dürfen wir das denn überhaupt?«, fragte Izuya. »Ich meine, wir müssten das doch eigentlich absprechen mit ihr, oder? Und geprobt haben wir es auch nicht also ...«
»Na ja ... So schwer ist es ja auch nicht«, meinte Kai.
»Stimmt«, Hiroto nickte zustimmend. »Also ich hätte kein Problem damit.«
»Also von mir aus können wir das machen - als Zugabe zum Beispiel«, sagte Katsu. »Auf jeden Fall wäre es sicher eine schöne Überraschung für unsere Fans.«
»Nicht nur für die. Oder habt ihr vergessen, dass es übertragen wird?«, erinnerte Tadashi. »Und ihr glaubt, das geht okay?«
»Bestimmt«, Katsu nickte nun ebenfalls.
»Und weil wir doch gerade darüber reden. Weiß einer von euch, wo Samantha ist? Sie sollte doch jetzt auch hier sein, oder?«, erkundigte Kai sich.
Katsu nickte. »Logisch. Ich habe den Mitarbeitern hier jedenfalls Bescheid gesagt, dass sie sie reinlassen sollen und dürfen. Und Samantha weiß auch davon.«
»Wahnsinn. Sie hat das einfach so akzeptiert, ohne dir irgendwelche Vorträge zu halten?«, erstaunt sah Kai ihn an. »Das hätte ich jetzt echt nicht erwartet.«
»Ich auch nicht«, gab Izuya zu.
***
»Ich verstehe wirklich nicht, warum du mich einfach so mitschleppst«, beschwerte sich Samantha bei Jana. »Du weißt doch, dass ich die Musik nicht mag.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber das musste Jana ja nicht unbedingt wissen.
»Und ich verstehe nicht, dass wir doch noch auf das Konzert hier können«, entgegnete Jana. »Und das ohne Karten!«
»Nicht so laut!«, Samantha funkelte ihre beste Freundin an. »Gut, aber dann sag mir wenigstens den Grund! Und wehe dir, du lügst mich an!«
Samantha schluckte unwillkürlich. Nachher würde sie mit Katsu ein ernstes Wort reden müssen. Und was sie ihm zu sagen hatte, würde ihm sicher nicht gefallen. Doch jetzt galt es erst einmal Jana zu beruhigen. »Ich habe von meinem Professor den Auftrag bekommen, den Key-Pirates als Übersetzerin zu helfen-« Es war nahezu ein Flüstern.
»Ich habe gesagt, du sollst mich nicht anlügen!«, rief Jana draufhin, wie erwartet alles andere als begeistert.
Samantha seufzte und zuckte mit den Schultern.
Langsam schien nun auch bei Jana der Groschen zu fallen. »Du machst doch Scherze, oder?«, nun senkte auch sie die Stimme, so dass nur Samantha sie hören konnte. »Bitte sag mir, dass das ein Witz ist.«
»Würdest du mich hassen, wenn ich nein sage?«, erkundigte sich Samantha vorsichtig. »Im Ernst jetzt, ich bringe Katsu um«, knurrte sie dann leise vor sich hin.
Jana starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Du hast mit Katsu, dem Band Leader, und den anderen gesprochen?«
»Muss ich ja wohl...«, sagte Samantha mit zusammen gebissenen Zähnen.
»Oh. Mein. Gott«, Jana fächelte sich Luft zu. Und das nicht, weil es hier im Konzertsaal so stickig war. »Du musst sie mir unbedingt vorstellen!«
»Sei nicht so laut! Oder denkst du, dass ich gerne von Fangirls getötet werde?«
»Übertreib mal nicht«, Jana grinste breit. »Also was ist? Machst du es? Bitte!«
»Ich schätze, sie werden mich genau dasselbe in Bezug auf dich fragen.« Samantha seufzte.
Jana umarmte Samantha stürmisch. »Du bist die beste Freundin, die ich je hatte!«
***
»Und jetzt werden wir euch zum Abschied Mal einen Song vorspielen, den wir niemanden, auch zuhause nicht, gebracht haben. Ihr seid also die Ersten, die ihn hören. Wir hoffen sehr, dass er euch gefällt!«, sagte Katsu, nachdem . Dann spielte er die ersten Takte an.
Kaum hatte er es getan, war es mucksmäuschenstill im gesamten Saal. Allerdings nur so lange, sie den Song spielten, den schon wenige Minuten später, brach solch ein Jubel aus, dass man ihn sicher bis nach draußen hören konnte. Zumindest erschien jedem der Key-Pirates so.
»Ich habe doch gesagt, dass es eine gute Idee ist«, sagte Hiroto zu Katsu.
Der nickte. »Und ich habe sogar noch eine viel bessere Idee«, teilte Katsu seinem Freund mit.
»Was denn?«, neugierig sah Hiroto Katsu an.
Der aber war schon weiter. »Wir freuen uns sehr, dass euch diese neue Version von Cherry Blossom so gut gefallen hat. Auch für uns sie etwas ganz besonderes-«
»Katsu sei still«, ermahnte Izuya ihn eindringlich. »Bitte tu nicht das, was ich befürchte, das du tun willst.«
Katsu jedoch ignorierte ihn gekonnt. »Und nun haben wir noch etwas zu verkünden. Wie ihr wisst, sind wir gerade am Anfang unserer Europatournee. Da unser eigentlicher Dolmetscher, der uns begleiten sollte krank ist wurde uns ein neuer zugeteilt. Wenn wir euch nun also unseren neuen Dolmetscher vorstellen dürfen? Sam!«, Katsu sah über das Meer, sah über die Menschenmenge. »Würdest du bitte nach vorne kommen?«
Als Samantha ihn das sagen hörte. Fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe.
Jana dagegen grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Das wird großartig!«, rief sie begeistert.
»Sam, ich verstehe, dass du überrascht bist, aber bitte vergiss nicht zu lächeln, das hier ist live«, sagte Katsu möglichst unauffällig zu Samantha. »Oder willst du-«
»Ich lächel doch ...«, unterbrach Samantha ihn. Sehr darum bemüht, nicht allzu grimmig zu klingen oder auszusehen. Was ihr sichtlich schwer fiel. Was aber wohl auch durchaus nachvollziehbar war.
»Wenn das Lächeln ist, dann ist Kai ja der größte Clown im Gegensatz zu dir«, bemerkte Izuya sarkastisch, der auf der anderen Seite von Samantha stand. »Und das will etwas heißen.«
»Das habe ich gehört!«, beschwerte Kai sich sofort.
»Leute! Lächelt, bitte. Ausdiskutieren können wir das nachher noch!«, ermahnte Katsu sie. »Also reißt euch zusammen. Ihr wisst, das hier ist live.«
***
Ob man das, was sie später taten, ausdiskutieren nennen konnte, wagte Samantha, ernsthaft, zu bezweifeln. Sie persönlich verstand unter diesem Begriff etwas ganz anderes. Und während sie sich mehr als Sorgen machte, schienen alle anderen, vor allem Jana, total begeistert zu sein.
»Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie sehr ich dich beneide«, sagte sie auch jetzt wieder. Dieses Mal auf Englisch.
Katsu grinste, als er es hörte. »Ich glaub, ich mag deine Freundin«, verkündete er Samantha. »Und wo wir gerade dabei sind: Wie heißt du eigentlich?«
»Jana«, stellte Jana sich vor. Dann kicherte sie. »Aber ihr müsst euch nicht unbedingt vorstellen, ich kenne euch so schon. Also nicht so richtig aber-«
»Ich glaube, sie haben es verstanden, Fangirl«, knurrte Samanta immer noch missgelaunt. Wenn auch nicht mehr ganz so sehr, wie vor einer halben Stunde.
»Nein«, Katsu schüttelte den Kopf. »Ich finde, wir sollten uns dennoch vorstellen. Das wäre nur höflich, schließlich haben wir Manieren«, stellte er klar.
»Ach ja?«, Samantha zog eine Braue in die Höhe. »Und ich habe gedacht, dass ...«
»Darüber reden wir nachher, wenn wir unter uns sind«, sagte Katsu. »Wir möchten deine Freundin schließlich nicht mit irgendwelchen Nichtigkeiten belästigen, nicht wahr?«, er lächelte Jana an.
»Nichtigkeiten?«, wiederholte Samantha fassungslos, die nicht glauben konnte, was Katsu da gerade gesagt hatte. Für sie selber war das alles andere als eine Nichtigkeit.
»Nur um eines klar zu stellen«, mischte sich nun Izuya ein »es war alles eine Idee von Katsu.«
»Außerdem werden wir sicher Ärger von unserer Agentur bekommen, weil es vorher nicht abgesprochen war. Nicht nur, dass das Katsu dich zu unserem Dolmetscher ernannt hat, sondern auch dass wir Cherry Blossom in der neuen Version gespielt haben«, ergänzte Tadashi.
»Wenn es nach mir geht könnt ihr mit Samantha ruhig jetzt und hier reden«, meinte Jana. »Denn vermutlich wird sie mir sowieso nachher alles erzählen«, sie blickte Samantha an. »Stimmt doch, oder?«
Samantha funkelte sie wütend an. Jana war ihre beste Freundin, doch manchmal konnte sie ein Quälgeist sein.
»Na wenn das so ist.« Katsu grinste breit. »Sollen wir dann jetzt sofort drüber reden?«
»Wäre vermutlich das beste, dann können wir uns dabei auch gleich erzählen wie wir das alles unserem Manager erklären«, mischte sich Izuya ein. »Ich wette, er steht jetzt kurz vor einem Nervenzusammenbruch.«
»Könnte ich nur zu gut nachvollziehen«, sagte Samantha. »Und ich hoffe sehr, dass ihr nicht immer so unüberlegt handelt. Auf so etwas habe ich nämlich absolut keine Lust.«
»Heißt das du machst es?«, mit vor Freude funkelnden Augen blickte Katsu sie an.
Samantha seufzte. »Mir bleibt ja keine andere Wahl. Allerdings werde ich trotzdem mit meinem Professor reden müssen – und ihr kommt zu dem Gespräch mit. Immerhin habt ihr mich in diese Situation gebracht.«
»Ich denke, das wird das kleinste Problem sein«, Katsu grinste breit. »Aber mal was anderes. Wie fandest du die neue Version von Cherry Blossom? Hat sie dir gefallen?«
»Natürlich hat sie das!«, rief Jana, ehe Samantha auch nur die Möglichkeit hatte, irgendwas zu sagen. »Es war anders, aber trotzdem einfach wunderschön«, sie räusperte sich. »Und ich will nicht unhöflich sein, doch ich fand es sogar schöner als die erste Version.«
»Dass es gut angekommen ist, darüber gibt es sicherlich keine Zweifel«, sagte Tadashi und lächelte. »Daher danke noch einmal.«
Samantha zuckte mit den Schultern. »Schon okay, denke ich.«
»Nein, ernsthaft«, mischte sich Hiroto ein, der bisher noch gar nichts gesagt hatte. »Wir haben wirklich zu danken. Wenn du also unsere Hilfe brauchst dann-«
»Stopp. Eine Sekunde«, unterbrach Jana ihn. »Was hat Sam mit der neuen Version eures Songs zu tun?«
»Du hast was?«, rief Jana ungläubig, nachdem Samantha ihr von allem erzählte. »Oh Gott, das kann einfach nicht wahr sein ...«
»Es ist nicht so, dass ich sie direkt eingeladen habe. Sie standen vor der Tür, da konnte ich sie nicht draußen stehen lassen, oder?«
Was auf Samanthas Frage hin geschah überraschte nicht nur sie, sondern auch alle der Key-Pirates. Jana erbleichte, nur um wenige Sekunden später daraufhin so knallrot zu werden wie eine überreife Tomate. Es war ein durchaus amüsantes Schauspiel.
»Ich schätze, es ist eine gute Idee, wenn du erst einmal tief durchatmest«, sagte Katsu amüsiert zu Jana.
»Durchatmen? Ich? Aber-«, stammelte Jana und brach dann ab. Nur, um Samantha böse anzufunkeln. »Warum hast du mich nicht sofort angerufen? Du weißt doch, dass ich seit Jahren ihr Fan bin!«
Samantha verdrehte die Augen. »Ganz genau deshalb. Außerdem hatte ich wahrlich andere Probleme, als dir von allem erzählen.«
»Andere Probleme? Was ist denn noch passiert, von dem ich nichts weiß?«
»Marc hat angerufen«, es war nahezu ein Knurren.
»Bitte was?«, Jana starrte ihre beste Freundin entgeistert an.
»Genau genommen, haben wir ihn sogar später noch getroffen?«, ergänzte Tadashi Samantha. »Als wir einkaufen waren, haben wir ihn nämlich noch getroffen.«
»Ihr macht doch wohl Scherze«, Jana sah Tadashi ungläubig an.
Der aber schüttelte den Kopf. »Hiroto war dabei. Wenn du willst, kann er es dir gerne bestätigen...«
»Oh. Mein. Gott«, Jana ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. »Was wollte er um Himmels willen?«
»Oh. Stimmt«, Katsu nickte. »Das hast du uns noch gar nicht erzählt.«
»Weil es euch nichts angeht«, Samantha seufzte. »Können wir da nicht nachher drüber reden Jana? Alleine?«
»Nein«, Jana schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall. Ich will es jetzt wissen. Sofort.«
Samantha verzog das Gesicht. Sie kannte den Tonfall, in dem Jana mit ihr redete nur zu gut. Ihr zu widersprechen würde jetzt definitiv nichts bringen. »Also schön«, sagte sie daher »er wollte mich einladen.«
»Einladen? Ist der Typ irre?«, das war Kai. Er hatte bisher noch gar nichts gesagt. »Du hast doch wohl nicht ja gesagt?«
»Offensichtlich nicht. Immerhin stehe ich jetzt mit euch hier, oder nicht?«, Samantha schnaubte.
»Und das soll was genau heißen?«, hakte Izuya nach.
»Das soll heißen, dass er mich eingeladen hat. Mit ihm auf ein Konzert zu gehen«, Samantha stöhnte auf. »Auf euer Konzert, dass ihr heute hattet.«
»Moment«, sagte Jana »nur, damit ich dich richtig verstehe: Marc, dein bescheuerter Exfreund, hat dich angerufen um dich auf das Konzert hier einzuladen?« Zu sagen, dass Jana fassungslos klang wäre eine Untertreibung gewesen.
»Ja, er hat«, entgegnete Samantha. »Aber wie ich habe nein gesagt.«
»Das ist ja wohl selbstverständlich«, meinte Katsu. »Alles andere wäre mehr als naiv und idiotisch.«
»Ihr wisst, was zwischen ihm und Sam passiert ist?«, erkundigte Jana sich verblüfft.
»Ich hatte es kurz mal erwähnt«, erklärte Samantha. »Aber können wir jetzt bitte über etwas anderes reden? Zum Beispiel darüber, wie ihr ...«, sie wurde unterbrochen. Durch das Klingeln eines Handys.
»Unser Manager«, sagte Katsu, denn es war sein Handy, das klingelte. »Ich denke, es wird ganz gut sein, wenn ich da dran gehe«, er zwinkerte Samantha kurz zu. Dann nahm er den Anruf an und verließ den Raum.
»Ich hoffe wirklich, dass das gut geht«, Tadashi seufzte. »Und dass unser Manager nicht die Nerven verloren und unserem Boss davon erzählt hat-«
»Auch wenn er es nicht hat, weiß er sicher schon Bescheid«, sagte Izuya unbeeindruckt. »Es gibt bestimmt jetzt dutzende Youtube Videos von unserem Konzert heute«, fuhr er fort. »Sollen wir mal nachsehen?«
»Ich weiß nicht«, meinte Kai. »Ich habe keine besonders große Lust auf irgendwelche neuen komischen Meme von uns zu stoßen. Das letzte Mal war verstörend genug.«
Hiroto, der lange Zeit nichts mehr gesagt, sondern nur den anderen zugehört hatte, nickte. »Allerdings. Da ist jeder Horrorfilm leichter zu ertragen«, stimmte er ihm zu.
»Manches ist aber auch irgendwie witzig«, wandte Izuya ein.
»Witzig?«, wiederholte Kai ungläubig. »Du machst wohl Scherze!«
»Ich denke nicht, dass er Scherze macht«, mischte sich Jana nun wieder ein. »Manche Fans von euch sind sehr...«, sie suchte nach dem richtigen Wort »seltsam.«
»Das ist wirklich sehr umsichtig ausgedrückt«, sagte Kai. Er musterte sie von oben. »Hattest du nicht gesagt, dass du ein Fan von uns bist? Wer sagt uns, dass du nicht auch selbst ...«
»Also ich darf doch sehr bitten!«, rief Jana, nahezu empört. »Ich mag ein Fan von euch sein aber: Mir würde es niemals im Leben einfallen, euch zu ...«
»Du musst dich nicht rechtfertigen«, unterbrach Tadashi sie und blickte Kai tadelnd an. »Zeig mal etwas mehr Manieren!«
»Wie auch immer«, sagte Samantha. »Sollen wir jetzt nach Videos, von eurem Konzert, suchen oder nicht?«
»Was ich erst einmal für das wichtigste halten würde, ist, dass du uns deine Handynummer gibst«, schlug Izuya, wie aus dem nichts, vor. »Immerhin arbeitest du jetzt mit uns zusammen.«
»Reicht es nicht, dass Katsu meine Nummer hat?«, erkundigte Samantha sich, den entgeisterten Blick von Jana vorerst ignorierend. »Immerhin ist er der Bandleader.«
»Nun ja, wir sind nicht immer alle zusammen unterwegs und daher wäre es vermutlich am besten, wenn wir alle deine Nummer haben«, erklärte Izuya ihr geduldig.
Samantha runzelte die Stirn. »Ich habe gedacht, ihr macht die Proben immer zusammen.«
Izuya nickte. »Die Proben schon. Aber manchmal haben wir Interviews und davon sind manche Einzeltermine.«
»Wie genau ist das jetzt bei eurem Aufenthalt hier? Die habt ihr schon zusammen?«, erkundigte Samantha sich.
Izuya zuckte mit den Schultern. »Da fragst du am besten Katsu.«
»Soll das heißen, dass er der Einzige ist, der von euren Terminen einen Plan hat?« Es klang sarkastischer als geplant.
»Was?« Erstaunt sah Izuya sie an. »Nein, natürlich nicht. Aber er wird immer als erster über alles in Kenntnis gesetzt.«
»Aber du hast doch gerade gesagt ...«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber darüber können wir auch nachher reden«, meinte er.
»Na schön«, Samantha seufzte. »Aber es gibt sowieso Wichtigeres. Ich werde morgen auf dem Campus Stadtgespräch Nummer eins sein, worauf ich keine Lust habe.«
»Du bist seltsam«, sagte Kai. »Jedes andere Mädchen würde sich darum reißen ...«, weiter kam er nicht.
»Ich bin aber nicht wie jedes andere Mädchen«, knurrte Samantha.
»Das ist wahr«, stimmte Hiroto ihr zu und zog damit sämtliche Aufmerksamkeit auf sich. »Was denn? Es ist doch so, oder etwa nicht?«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle«, mischte sich nun endlich auch Tadashi wieder ein.
»So würde ich das jetzt nicht ausdrücken«, meinte Izuya »aber ihr habt recht. Es gibt tatsächlich ein paar Dinge, die etwas wichtiger sind.«
»Wie zum Beispiel, dass ihr mich morgen mit zu meinem Professor begleiten werdet«, sagte Samantha. »Und versucht bloß nicht, irgendwelche Ausreden dafür zu finden. Immerhin war ihr es, die mir das alles eingebrockt haben«, stellte Samantha klar.
»Um genau zu sein hat Katsu das ganz alleine entschieden also-«, setzte Izuya an, kam jedoch nicht viel weiter.
»Das ist genau das, was ich meine!«,Samantha funkelte alle der Reihe nach an.
»Schon gut«, versuchte Tadashi schnell, sie zu beruhigen. »Jetzt aber noch etwas anderes. Wo bleibt Katsu denn so lange? Soll mal einer von uns nachsehen?«
Nachzusehen war dann doch nicht nötig, denn genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und herein kam Katsu. Das Handy in der Hand haltend, sagte er etwas auf japanisch was Izuya, Tadashi, Hiroto und Kai vor Erstaunen die Augen aufreißen ließ.
»Was ist passiert?«, erkundigte Samantha sich. »Bekommt ihr sehr viel Ärger? Bekomme ich Ärger? Oder ...«
»Du solltest es ihr sagen«, sagte, nachdem er es nicht länger aushielt, Hiroto. »Irgendwann musst du es ohnehin. Warum dann nicht jetzt?«
»Entschuldigung? Was sollte Katsu mir sagen?«, Samantha sah von Hiroto zu Katsu. Sie wusste nicht warum, doch irgendwie beschlich sie ein ganz mieses Gefühl.
»Reg dich aber bitte nicht auf«, bat Katsu sie.
»Das werden wir dann sehen«, entgegnete Samantha. »Also was ist? Ich höre.«
Katsu räusperte sich. Es war ihm nur zu gut anzusehen, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. »Also schön«, meinte er. »Unser Manager möchte sich mit dir unterhalten. Er kommt mit dem nächsten Flug nach Köln. Was bedeutet, dass er morgen gegen acht Uhr früh hier sein wird.«
Samantha fühlte sich, als ob ihr jemand einen rechten Haken verpasst hätte. Und überhaupt war sie von allem, was diesen Abend passiert war durchweg überfordert – zurecht wie sie fand.
»Also gut, ich rede mit ihm«, meinte sie schließlich. »Wenn ihr mit meinem Professor sprecht.«
»Einverstanden«, Katsu nickte.
»Wie jetzt? Im Ernst?«, mit großen Augen sah Samantha ihn an. Irgendwie hatte sie erwartet, dass es schwieriger werden würde ihn zu überzeugen. Was, den Blicken der anderen nach, gar nicht so abwegig zu sein schien.
»Ja, versprochen«, bestätigte Katsu. »Immerhin bist du uns ja schon entgegengekommen, indem du mit unserem Manager sprichst. Da ist es nur selbstverständlich und höflich, wenn wir dasselbe für dich tun.« Katsu lächelte. »Stimmt doch, oder Jungs?«
»Soll das heißen, du willst dich freiwillig ausliefern?«, fragte Kai. »Gerade nach allem, was heute Abend passiert ist?«
»Also ich finde das wirklich sehr nett«, merkte Jana an. »Ich bin sicher, ihr werdet Samantha eine große Hilfe sein. Und sie bestimmt auch für euch.«
»Wenn wir morgen wieder in der Musikschule sind, könnten wir doch vielleicht noch einmal an deinem Song arbeiten«, schlug Hiroto an Samantha gewandt.
»Wie war das?«, mit großen Augen blickte Jana sie an. »Ihr arbeitet gemeinsam an einem Song? Wieso weiß ich nichts davon?«
»Weil es immer noch mein Song ist«, stellte Samantha klar. »Ich habe nur einen kleinen Hänger. Hiroto hat nur vorgeschlagen, dass er mal kurz drüber schaut und mir so vielleicht einen Tipp geben kann.«
»Und spielt ihr diesen Song dann auch bei einem eurer Konzerte?«, wollte Jana wissen.
»Ähm ...«, Katsu sah hilfesuchend zu Samantha.
»Nein! Es ist nur für meine Präsentation für die Musikschule – nichts weiter!«, rief Samantha.
»Schade. Es klingt nämlich richtig gut, in der Piano Version«, meinte Hiroto.
»Also abgemacht? Du zeigst uns deinen Song morgen nochmal, redest mit unserem Manager und wir sprechen mit deinem Professor«, fasste Katsu zusammen. »Dürfte doch alles kein Problem sein.«
Dass es kein Problem war, wagte Samantha dann doch sehr zu bezweifeln. Andererseits: Vielleicht wurde sie ja doch überrascht und nur zu pessimistisch. Wer wusste das schon?
»Nun wie dem auch sei«, meinte Samantha schließlich. »Auf jeden Fall fahr ich jetzt erst einmal nachhause. Ich will mich wenigstens ein bisschen mental auf das Chaos vorbereiten. Zumindest soweit das überhaupt möglich ist.« Sie blickte Jana an. »Und wir beide haben auch noch ein paar Dinge zu besprechen.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben«, meinte Jana, als Samantha mit ihr zurück in ihrer WG war. »Es ist als wäre ein Traum war geworden und ...«
»Wohl eher ein Alptraum«, unterbrach Samantha sie. »Und auf jeden Fall etwas, was ich zur Zeit nicht gebrauchen kann.«
»Ach komm schon, du übertreibst«, Jana zwinkerte ihr zu. »Ich bin sicher, es wird lustig.«
Samantha verzog das Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, wie den Babysitter von einer Band zu spielen lustig sein kann.«
»Jetzt mach aber mal halb lang«, entgegnete Jana »sie scheinen doch ganz sympathisch zu sein, oder?« Sie zwinkerte ihrer Freundin zu. »Ich bin überzeugt, dass ihr Spaß miteinander haben werdet. Und wenn nicht, kann ich ja fragen, ob du mit mir tauschen kannst. Ich hätte nämlich definitiv Spaß dabei.«
Das war etwas, was Samantha sich nur zu gut vorstellen konnte. Doch womöglich hatte Jana Recht. Vielleicht brauchte sie einfach nur ein bisschen Zeit um sich an ihre neue Situation zu gewöhnen. Auch wenn die Jungs ihr ein wenig chaotisch und impulsiv erschienen, unsympathisch waren sie nicht. Da hatte Jana Recht. Mal abgesehen von dem holprigen Start mit Kai. Doch jeder hatte mal einen schlechten Tag, oder? Abgesehen davon hatte er sich inzwischen bei ihr entschuldigt.
»Wie wäre es, wenn wir schlafen gehen«, sagte Jana und riss sie damit aus ihren Gedanken. »Morgen sieht alles bestimmt schon viel einfacher aus, als es eigentlich ist. Außerdem ist es nun tatsächlich sehr spät geworden.«
Samantha nickte. Das war eine gute Idee.
Als Samantha einen Tag später aufwachte, brauchte sie einen Moment, um sich an all das zu erinnern, was am Tag zuvor alles passiert war. Doch als es wieder einfiel, hätte sie sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen und eine Runde weiter geschlafen. Nicht, dass das eine gute Idee wäre. Im Gegenteil.
»Sam!«, schall auch da schon die Stimme ihrer Freundin durch die Tür. »Ich hoffe, du bist inzwischen wach! Ansonsten ist dir hoffentlich klar, dass du bald Hals über Kopf in Schwierigkeiten steckst!«
Nicht zum ersten Mal wunderte sich Samantha darüber, dass Jana zu solch einer gottlosen Zeit wie sieben Uhr, wie ein Blick auf ihr Handy ihr sagte, schon fit wie ein Turnschuh war. Eine Eigenschaft, über die sie selbst so gar nicht verfügte. Sie war mehr der Typ »Bär im Winterschlaf«.
»Sam!«, gerade als Samantha sich dazu überwand doch aufzustehen, wurde ihre Zimmertür schwungvoll geöffnet und Jana sah sie tadelnd an. »Sag mal, bist du taub?«
Samantha stöhnte auf. »Leider nicht.«
Jana verdrehte die Augen. Dann seufzte sie. »Du hast es echt vergessen, was?«
»Was genau?«, erkundigte Samantha sich. »Warum weckst du mich überhaupt so früh? Meine Vorlesung beginnt erst um zehn. Deshalb hätte ich heute gut noch mindestens zwei Stunden schlafen können und außerdem ...«
»Du hast es wirklich vergessen«, wiederholte Jana das, was sie vorhin schon gesagt hatte. »Nicht zu fassen ...«
»Würdest du mir endlich mal auf die Sprünge helfen, von was genau du die ganze Zeit redest?«, bat Samantha ihre Freundin ungeduldig. »Bitte.«
Nun funkelten Janas Augen belustigt. »Sag bloß, du hast dein Date nachher vergessen?«
»Date?«, wiederholte Samantha irritiert und nun vollends verwirrt. »Du sprichst in Rätseln. Zumindest für so eine frühe Uhrzeit.« Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Halb acht.
»Unglaublich ...« Jana ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. »Du erinnerst dich echt nicht daran, dass du versprochen hast mit dem Manager der Key-Pirates zu reden? Hast du dir hier in deinem Zimmer Alkohol gebunkert, von dem ich nichts weiß und dir gestern Abend noch die Kante gegeben?«
»Was hast du gerade gesagt?«, mit großen Augen sah Samantha ihre beste Freundin an.
»Ich hoffe, du hast dir nicht die Kante gegeben?«
Samantha schüttelte den Kopf. »Nein. Das davor.«
»Ach das. Du wolltest mit dem Manager der Key-Pirates reden. Der übrigens um acht am Flughafen ankommt«, sagte Jana grinsend.
»Oh mein Gott!« Auch wenn Samantha nicht behaupten konnte, bis vor ein paar Minuten wach gewesen zu sein, nun war sie es auf jeden Fall. »Wieso zum Henker hast du mir das nicht früher gesagt?«
Was danach folgte, war, wie an den meisten anderen Tagen, hastiges fertig machen mit einem noch mehr übereilten und kurzen Frühstück. Gerade als Samantha dieses beendet hatte, klingelte es an der Tür.
»Ich komme ja schon«, murmelte sie, nachdem es, bei nicht sofortigen öffnen noch ein weiteres Mal läutete.
Irritiert sah Katsu auf die Tür, die sich noch immer nicht geöffnet hatte. »Glaubt ihr, sie schläft noch?«, fragte er schließlich in ihre Runde. »Sie kann uns doch nicht vergessen haben, oder?«
»Bestimmt hat sie es nur nicht gehört«, versuchte Izuya, seinen Freund zu beruhigen. »Sie scheint zwar etwas unorganisiert zu sein aber ...«
»Um was wollen wir wetten, dass sie es vergessen hat?«, unterbrach Kai ihn. »Zweitausend Yen?«, bot er an.
»So verplant kann sie doch nicht sein«, meinte Tadashi. »Du solltest wirklich mal lernen ein bisschen vertrauen in die Menschen um dich herum zu haben.«
»Hab ich ja auch«, Kai grinste. »Und zwar darin, dass ich dank ihr gleich ein wenig mehr Geld in der Tasche haben werde. Also machst du mit?«
Tadashi seufzte. »Na schön.«
»Ihr seid echt unmöglich«, tadelte Izuya sie beide. »Katsu, sag doch mal was dazu!«
Katsu, der ein weiteres Mal klingelte, zuckte mit den Schultern. »Lass sie doch machen. Ist schließlich ihr eigenes Geld.« Er wollte noch mehr sagen, doch da wurde schon die Tür geöffnet.
»Hallo Sam«, begrüßte Katsu sie freundlich, als Samantha vor ihnen stand. »Na, gut geschlafen?«
»Ja, nur zu wenig«, entgegnete sie, zu Katsus und der Belustigung der anderen. »Guten Morgen, übrigens.«
Katsu grinste. »Gleichfalls«, er zwinkerte ihr zu.
Samantha nickte. Dann aber runzelte sie die Stirn. »Wieso seid ihr nur zu dritt? Wo ist Hiroto? Ist etwas passiert?«
Katsu schüttelte den Kopf. »Nichts Schlimmes. Vermutlich nur Jetlag oder eine kleine Erkältung. Deshalb ist er vorerst im Hotel geblieben«, erklärte er ihr. »Also kein Grund zur Panik.«
»Aber ist euer nächstes Konzert in Paris nicht schon in drei Tagen?«, wollte Jana, die auf einmal wie aus dem Nichts gekommen hinter Samantha stand, wissen. »Proben müsst ihr doch auch regelmäßig. Oder etwa nicht?«
»Ja schon«, gab Katsu zu. »Auch wenn wir die meisten Lieder bereits perfekt einstudiert haben.«
»Was aber nicht bedeutet, dass wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen«, ergänzte Izuya, bevor Samantha etwas sagen konnte. Etwas, dass, wie er zurecht annahm, eine Kritik gewesen wäre.
»Gut«, Jana nickte zufrieden. »Alles andere hätte mich schwer enttäuscht.«
»Dann ist ja gut, dass dem nicht so ist«, meinte Tadashi, der sich bisher aus allem heraus gehalten hatte. »Und jetzt sollten wir uns endlich auf den Weg machen. Sonst kommen wir zu spät am Flughafen an, um Benjiro-san abzuholen.«
»Benjiro? Wer ist das?«, erkundigte sich Samantha.
»Na unser Manager«, sagte Kai ungeduldig. »Du bist wirklich gerade erst aus dem Bett gefallen, wie? Ich wette, du hattest noch nicht mal Frühstück.«
»Doch natürlich«, entgegnete Samantha und funkelte ihn an. »Und Tadashi hat Recht. Ich finde auch, dass wir so langsam los gehen sollten. Immerhin ist es schon viertel vor. Vor allem wenn wir den Bus noch erwischen wollen.«
»Wir fahren Bus?«, ungläubig sah Kai sie an. »Hältst du das im Ernst für eine gute Idee? Besonders nach gestern wäre es doch naiv zu glauben dass ...«
»Unsinn«, Katsu winkte ab. »Du siehst Gespenster.« Einen Moment sah er aus, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, ließ es dann aber bleiben.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Katsu nicht ganz zwanzig Minuten später, als sie vor der großen Anzeigetafel in der Eingangshalle des Flughafen Köln/Bonn standen. »Irre ich mich, oder steht da, dass der Flug von Benjiro-san eine Stunde Verspätung hat?«
Samantha nickte. »Sieht leider so aus.«
»Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert«, meinte Izuya nachdenklich. »Irgendwelche Katastrophen können wir jetzt nicht gebrauchen.« Er seufzte.
»Wie wäre es erst mal mit einem Kaffee? Ich habe keine Lust hier eine Stunde herum zu stehen«, mischte sich nun Tadashi in das Gespräch ein. »Ändern an dem Stand der Dinge können wir ohnehin nichts mehr.«
»Das ist doch mal eine gute Idee«, stimmte Samantha zu. Dann blickte sie Katsu an, der immer noch nicht besonders überzeugt zu sein schien. »Einverstanden?«
Katsu verzog kurz das Gesicht. »Also gut«, stimmte er dann aber zu. »Trotzdem, gefällt mir das alles gar nicht.« Er sah zu Izuya.
Dieser zuckte mit den Schultern. »Mir auch nicht«, gestand Izuya. »Aber Tadashi und Samantha haben Recht. Ändern lässt es sich nicht. Und bestimmt erzählt uns Benjiro-san nachher, was passiert ist.«
»Ganz genau«, meinte nun auch Kai. Dann blickte er Samantha an. »Also, was ist? Besorgen wir uns jetzt einen Kaffee?«
»Gar nicht mal so ungemütlich hier«, meinte Kai, nachdem sie sich in eines der Cafés am Flughafen gesetzt und bestellt hatten. »Bist du oft hier?«
Samantha verdrehte die Augen. »Klar, logisch. Es ist mein Lieblingscafé.«
»Im Ernst?«, wollte Kai wissen.
»Ich glaube, das war sarkastisch gemeint«, mischte sich Izuya ein. »Stimmt doch, oder?«
Samantha nickte. »Ja«, bestätigte sie dann. »Auch wenn der Kaffee hier gut ist. Der Kaffee am Automaten in der Musikschule hat noch einmal seinen ganz eigenen Charme.«
»Das war wieder Sarkasmus, richtig?«, wollte Katsu von ihr wissen.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Kann sein.« Sie nickte der Kellnerin, die gerade ihre Getränke brachte und vor ihnen abstellte, freundlich zu.
»Ich mag mich irren«, sagte die Kellnerin nach kurzem Zögern zu Samantha »aber sind das neben dir etwa ...«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, unterbrach Samantha sie rüde mitten im Satz. »Aber ich glaube, da sind neue Gäste gekommen, die sicher gerne eine Bestellung aufgeben möchten.«
Die Kellnerin starrte Samantha einen Augenblick lang irritiert an. Dann aber trollte sie sich, ohne einen weiteren Kommentar abzugeben. Scheinbar hatte sie der Mut verlassen.
»Puh, das war knapp«, murmelte Samantha halb genervt, halb erleichtert vor sich hin und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Für sowas wie Fans ist es echt zu früh am Morgen.«
»Was hast du gesagt?«, wollte Katsu von Samantha, da ihm aufgefallen war, wie brüsk sie mit der Kellnerin gesprochen hatte, doch kein Wort verstand. »Gibt es Probleme?«
Samantha seufzte. »Ich denke, wir sollten in einem Souvenirshop Hüte oder Kappen kaufen«, sagte sie, ohne ihm eine direkte Antwort zu geben. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ich gehe vorne schnell bezahlen.«
»Nein. Wir laden dich ein«, sagte Katsu. »Als zusätzliche Entschuldigung für ...«
Samantha schüttelte entschieden den Kopf. »Ein andermal. Aber nicht jetzt. Bis wir euren Manager hier ist, kümmere ich mich darum und nun macht euch endlich fertig.« Ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu.
»Schon gut, schon gut«, Katsu nickte. »Kein Grund, sich aufzuregen.« Er verzog für einen Augenblick das Gesicht. »Manchmal verstehe ich Frauen einfach nicht«, meinte er dann auf Japanisch.
Izuya und Kai konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Wie war das gerade?«, fragte Samantha, winkte dann aber, bevor einer der Jungs darauf antworten konnte, ab. »Nein, warte. Eigentlich will ich das gar nicht wissen.« Damit stand sie auf, um nach vorne zum Bezahlen zu gehen.
»Geht es nur mir so, oder kommt sie euch heute auch ziemlich aufgekratzt vor?«, erkundigte Katsu sich bei Izuya, Kai und Tadashi. »Oder bilde ich mir das nur ein?«
»Nein, das ist mir auch schon aufgefallen«, meinte Letzterer. »Vielleicht ist sie nervös wegen nachher.«
Izuya nickte. »Aber was war das vorhin dann, als sie mit der Bedienung gesprochen hat?, sie schien alles andere als begeistert zu sein.«
»Das ist noch sehr positiv ausgedrückt«, meinte Tadashi. »Außerdem ärgert es mich immer noch, dass sie darauf bestanden hat für uns zu bezahlen.«
»Aber ihr weiter dabei zu widersprechen, wäre vermutlich keine gute Idee gewesen«, gab Kai zu bedenken. »Aber mal davon abgesehen ...« Er wollte noch mehr sagen, wurde aber durch das Klingeln eines Handys unterbrochen.
»Oh«, meinte Katsu, um dessen Handy es sich handelte. »Ich hab eine Nachricht von Hiroto.«
»Der wundert sich bestimmt zu Recht, wieso wir nicht längst zurück sind«, überlegte Izuya und genauso war es.
»Er schreibt: Wieso seid ihr noch nicht hier? Gibt es Probleme oder warum braucht ihr so lange?«, las Katsu vor. Er grinste kurz. »Wie es aussieht, ist ihm langweilig.«
»Das verfliegt sicher, sobald wir wieder da sind«, sagte Kai. »Wir nehmen Samantha nachher noch kurz mit zu uns ins Hotel für eine kurze Besprechung, richtig?«
Katsu nickte. »War jedenfalls mit ihr so abgemacht. Also gehe ich mal davon aus.«
»Denke ich auch«, meinte Izuya. »Immerhin hat sie uns ja genau aus diesem Grund hierhin begleitet.«
»Und weil wir ansonsten wahrscheinlich nicht so schnell den Weg gefunden hätten«, ergänzte Kai.
»Wohl wahr«, stimmte nun auch Tadashi zu, der das Gespräch seiner Freunde aufmerksam aber schweigend verfolgt hatte.
»Auf jeden Fall sollten wir jetzt los«, meinte Katsu und trank den letzten Schluck seines Kaffees. »Ich habe keine Lust, Samantha noch mehr zu reizen, als sie es ohnehin ist.«
Dem widersprach keiner der anderen.
»Denkst du wirklich, dass das nötig ist?«, wollte Katsu von Samantha wissen, als diese eine Weile später darauf bestand, Kappen für sie in einem Souvenirshop zu kaufen. »Bisher hat uns doch keiner erkannt.«
»Ganz genau, bisher«, Samantha nickte. »Aber das war auch nur Glück. Davon abgesehen hat die Bedienung vorhin im Café durchaus beinahe gemerkt dass ...«
»Ach deshalb hast du so seltsam reagiert«, fiel Katsu ihr ins Wort. »Jetzt macht das endlich Sinn. Wir haben uns schon gewundert, wieso du mit ihr so gereizt geredet hast.«
»Ich habe eben absolut keinen Nerv auf eine riesen Auflauf von euren Fans«, stellte Samantha klar. »Was vermutlich nachher wenn wir in die Musikschule spätestens der Fall sein wird. Aber wenigstens bis dahin möchte ich meine Ruhe davor haben.« Sie sah alle Jungs der Reihe nach an. »Habt daher bitte ein bisschen Verständnis für mich, einverstanden?«
Tadashi, Izuya, Kai und Katsu sahen sich kurz an. »Einverstanden«, meinte letzterer dann. »Für uns ist es wahrscheinlich auch am besten kein Aufsehen zu erregen.«
»Danke«, Samantha lächelte.
»Ihr könnt sagen, was ihr wollt«, knurrte Kai nicht einmal zehn Minuten später »aber ich sehe so selten dämlich aus.«
»Wieso? Ich finde, die Farbe rosa steht dir echt gut«, Izuya zwinkerte ihm zu.
»Ich hasse rosa«, Kais Miene verfinsterte sich nur noch mehr. Dann blickte er Samantha an. »Du schuldest mir einen Gefallen dafür, klar?«
»Jetzt übertreib mal nicht«, meinte Tadashi. »Es gibt nun wirklich Schlimmeres. Zum Beispiel ...«
»Zum Beispiel, wenn wir jetzt doch zu spät kommen, um Benjiro-san abzuholen«, sagte Katsu, der seine Baseball Kappe, die genau dieselbe Farbe hatte wie Kais, tiefer ins Gesicht zog. Dann grinste er diesen an. »Und hey, vielleicht setzen wir mit der Farbe sogar neue Modetrends.«
Kai murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, was sich jedoch ziemlich nach einer Beschwerde anhörte. Ansonsten aber hielt er sich mit jeglichen anderen Kommentaren zurück und folgte seinen Freunden und Samantha widerspruchslos. Was wahrscheinlich auch besser war. Vor allem jetzt, wo sie kurz davor waren sich mit Benjiro-san zu treffen. Und da der Tag bisher doch chaotischer verlaufen war, als sie hofften, wäre Streit das letzte, was sie gebrauchen konnten. Doch vielleicht würde der Tag ja doch noch besser werden, als es das im Moment war. Die Hoffnung starb zuletzt.
***
Normal gehörte Benjiro zu der Art von Menschen, die sich nur schwer aus der Ruhe bringen ließen. Jetzt aber war das Gegenteil der Fall. Denn seit dem Konzert, welches die Key-Pirates gegeben hatten, war einfach zu viel passiert, als dass er einen klaren Kopf hätte bewahren können. Und nicht nur ihm erging es so, sondern das ganze Entertainment war in hellem Aufruhr. Kein Wunder also, dass man ihn in den nächsten Flug nach Köln setzte, um die Wogen zu glätten. Und natürlich um Katsu und die anderen zu fragen, was sie sich bei all dem dachten.
»Diese Jungs können einen manchmal echt zum Wahnsinn treiben«, murmelte er vor sich hin. »Wie kommen sie nur auf die Idee, solch eine plötzliche Entscheidung, wie die Ernennung eines Dolmetschers von jemand, den bisher niemand kannte, ohne Absprache zu treffen? Kein Wunder, dass der Chef sich so aufgeregt hat.« Benjiro seufzte. Hoffentlich ging das alles gut und würde nicht für noch mehr Ärger als ohnehin schon sorgen.
»Das haben wir gehört Benjiro-san« war auf einmal jemand zu hören.
»Katsu«, entfuhr es Benjiro erleichtert als er den Band Leader der Key-Pirates erkannte. »Entschuldigt, dass ihr warten musstet«, entschuldigte er sich. Dann blieb sein Blick an dem Mädchen hängen, dass bei den anderen stand. »Und du musst Samantha sein, richtig?«, er musterte sie neugierig.
Sie hielt ihm ihre Hand hin, die Benjiro sofort ergriff. »Ja, richtig«, bestätigte sie mit einem Lächeln. »Aber Sam reicht vollkommen aus.«
»Guten Tag, Sam«, er lächelte sie freundlich an. »Ich freue mich, dich kennenzulernen.« Das war nicht gelogen. Er freute sich wirklich. Ganz besonders, da sie so normal zu sein schien. Oder zumindest normaler als er sie sich ihr vorgestellt hatte. Denn, um ehrlich zu sein, er hatte damit gerechnet, dass er sich mit irgendeinem Fan würde rumschlagen müssen. Doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Und das war etwas, was ihn mit Erleichterung erfüllte.
Samantha nickte ihm freundlich zu. »Ich freue mich ebenfalls. Katsu und die anderen haben mir schon etwas über Sie berichtet«, sagte sie.
Benjiro sah Katsu misstrauisch an. »Ich hoffe gutes.«
Samantha nickte erneut. »Ja natürlich. Und jetzt sollten wir zurückfahren. Sich weiter hier zu unterhalten wäre vermutlich keine gute Idee.«
Dem konnte Benjiro nur zustimmen. »Wo ist eigentlich Hiroto?«, wollte er wissen, als ihm auffiel, dass bis auf diesen alle hier waren.
»Er ist im Hotel geblieben und wartet dort auf uns«, berichtete Katsu. »Aber du musst dir keine Sorgen um ihn machen.«
Benjiro konnte nicht anders, als für einen Moment das Gesicht zu verziehen. »Um euch muss man sich immer sorgen. Darüber hinaus gehört das zu meiner Arbeit. Trotzdem wäre es schön, wenn ihr mir das etwas leichter machen würdet.«
»Gab es denn sehr viel Ärger?«, wollte nun Izuya wissen.
»Das komplette Chaos«, sagte Benjiro. »Ihr könnt froh sein, dass ihr nicht zuhause wart.«
Katsu schluckte hart. »Danke und Entschuldigung nochmal wegen allem.«
Benjiro nickte zufrieden. »Natürlich werdet ihr euch nicht nur vor mir zu verantworten haben. Aber wie gesagt, das sollten wir alles besprechen, wenn wir im Hotel sind.«
»Einverstanden«, stimmte Katsu zu. »Also lasst uns jetzt fahren. Deine Koffer hast du ja schon, wie ich sehe.«
»Da seid ihr ja endlich«, begrüßte Hiroto als sie im Hotel ankamen. »Ich habe schon angefangen, mir Sorgen zu machen«, Letzteres sagte er, mit leicht vorwurfsvollem Ton, zu Katsu. »Ihr hättet mir ruhig mal nochmal schreiben können.«
»Du hast ihm nicht Bescheid gesagt, dass wir später kommen?«, fragte Izuya Katsu ungläubig. »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst?«
Katsu zuckte mit den Schultern. »Jetzt sind wir jedenfalls hier«, entgegnete er unbeeindruckt. »Das ist das wichtigste, oder etwa nicht?«
»Nun wie auch immer«, mischte sich jetzt Benjiro ein »es ist schön, zu sehen, dass dir gut geht Hiroto. Die anderen meinten, dir ging es nicht so gut.«
»Benjiro-san, bitte entschuldige. Ich freue mich natürlich ebenfalls, dich wieder zu sehen«, Hiroto lächelte ihn entschuldigend an. »Es geht mir jetzt auch besser, nachdem ich mich etwas ausgeruht habe. Wahrscheinlich war es nur die ganze Aufregung nach gestern Abend und ein bisschen Jetlag. Die letzten Tage waren nicht anstrengend, sondern auch chaotisch.« Sein Blick wanderte erneut zu Katsu.
Benjiro nickte. »Ich verstehe absolut, was du meinst«, stimmte er ihm zu. »Immerhin bin ich genau deshalb hier her gekommen um mit euch über alles zu reden.«
»Irre ich mich, oder waren das alles Seitenhiebe gegen mich?«, wollte Katsu wissen.
»Na ja, letzten Endes warst du derjenige, der dieses Chaos verursacht hat«, mischte sich Samantha ein. »Also sollte dich das doch eigentlich nicht wundern.«
»Stimmt«, bestätigte Izuya mit einem Grinsen. »Wo sie Recht hat, hat sie Recht.«
»Was genau der Grund ist, weshalb wir uns unterhalten sollten«, meinte Benjiro tadelnd. »Mal abgesehen davon, dass mir gesagt wurde, dass ihr einen Videoblog über eure Tour machen sollt – und ihr damit noch nicht angefangen habt.«
»Stimmt, das ist in dem ganzen Trubel untergegangen«, meinte Katsu, der sich wieder daran erinnerte. »Es hieß, wir sollten über unsere Tour berichten, richtig?«, fragte er.
»Genau«, sagte Benjiro »und das ist auch die perfekte Möglichkeit euch bei euren Fans zu entschuldigen. Nur schaffen wir es vermutlich heute nicht mehr.«
»Wir sollen uns entschuldigen? Wofür? Dafür das wir eine Dolmetscherin engagiert haben?«, fragte Katsu ihn. »Das ist doch nichts schlimmes.«
»Manchmal frage ich mich wirklich, wie du es schaffst, die offensichtlichen Dinge nicht zu sehen«, sagte Tadashi.
»Stimmt«, Kai nickte. »Es ist absolut unglaublich, was für eine lange Leitung du haben kannst. Dabei bist du doch unser Band Leader. Oder glaubst du tatsächlich, dass es unsere Fans nicht kümmert, das du Samantha so aus dem Nichts zu unserer Dolmetscherin ernannt hast?«, fragte er Katsu. »Eine junge Frau, die obendrein gutaussehend ist. Dir ist hoffentlich klar, dass dir keiner glauben wird, dass du sie erst vor ein paar Tagen kennengelernt hast?«, fügte er auf Japanisch hinzu.
Izuya, Tadashi, Hiroto, Katsu und Benjiro nickten.
»Kai hat Recht. Jeder eurer Fans wird glauben, dass ihr, oder zumindest du, schon länger in einer Beziehung zueinander steht«, ergänzte Benjiro ebenfalls auf Japanisch. »Es ist eine Tatsache, dass manche Menschen einem nicht glauben, auch wenn man ihnen die Wahrheit ins Gesicht sagt.«
»Leider ja«, stimmte Hiroto zu. »Also lasst uns einfach das beste daraus machen.« Er dachte kurz nach. »Vermutlich ist es gut, wenn wir erst einmal nicht erwähnen, dass Samantha es war, die die neue Version von Cherry Blossom geschrieben hat?«
»Ich störe euch ja nur ungern in eurem Gespräch, doch würdet ihr mir bitte sagen, worum es geht?«, erkundigte sich Samantha, der es langsam zu bunt wurde und die kein Wort verstanden hatte. »Das wäre nämlich echt hilfreich.«
»Oh, entschuldige«, sagte Benjiro. »Kai meinte nur gerade, dass die Fans es ihnen vermutlich nicht glauben werden, dass ihr euch erst seit ein paar Tagen kennt«, erklärte er. »Und Hiroto meinte, womit er absolut Recht hat, dass es keine gute Idee ist, den Fans zu sagen, dass du es warst, die die Cherry Blossom bearbeitet hat.«
»Genau«, bestätigte Kai, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, dass Benjiro den Satz »Eine junge Frau, die obendrein gutaussehend ist«, Samantha verschwieg. Worüber er selbst ziemlich froh war. Denn er wollte sich nicht ausmalen, zu was es geführt hätte, wenn Benjiro es ihr gesagt hätte.
»Stimmt«, sagte Tadashi. »Ich schätze, dass es aber trotzdem gut sein wird, wenn wir unseren Fans Samantha vorstellen. Was wir dann gleich über den Video Blog machen könnten. Immerhin wird sie die meiste Zeit mit uns unterwegs sein.«
»Das ist eine hervorragende Idee!«, meinte Benjiro nahezu begeistert. »Außerdem können wir so auch Akiyama-sama Bescheid geben. Das schuldet ihr ihm, was euch hoffentlich klar ist.«
Was daraufhin folgte, war ein nahezu synchrones Aufseufzen der Key-Pirates.
»Wer ist Akiyama-sama?«, wollte Samantha wissen, die sich wieder etwas verloren vorkam und das nicht zum ersten Mal heute. Das Einzige was ihr klar war, war, aufgrund er vielen Anime, die sie gesehen hatte, dass sama eine ziemlich große Höflichkeitsform darstellte – es also um jemand wichtigen handeln musste.
»Akiyama-sama ist unser Chef. Oder um genau zu sein: Er ist der Geschäftsführer des Entertainment, dem wir angehören«, erklärte Izuya ihr freundlich. »Vermutlich ist er gerade ein wenig aufgeregt wegen allem, was passiert ist.«
»Das ist noch eine Untertreibung«, sagte Benjiro. »Ihr seht also, es wäre nur anständig, wenn ihr euch bei ihm entschuldigt.«
»Ich schätze, wir kommen nicht darum herum«, murmelte Katsu vor sich hin.
»Sieh es mal positiv: Es ist immer noch besser, als wenn wir vor ihm in seinem Büro stehen«, versuchte Izuya, wenig erfolgreich, ihn aufzuheitern. »Das wäre noch unangenehmer. Und zwar für uns alle.«
»Er scheint sehr streng zu sein«, merkte Samantha an.
Tadashi schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt«, widersprach er. »Es kann sehr viel Spaß machen sich mit ihm zu unterhalten. Aber er ist natürlich vor allem auch ein Geschäftsmann und wir haben ihn jetzt in eine unbequeme Situation gebracht.«
»Unbequeme Situation?«, wiederholte Benjiro. »Ihr scheint nicht die japanischen Nachrichten gelesen oder Videos über euch von eurem Konzert gesehen zu haben. Es als Chaos zu beschreiben ist noch milde ausgedrückt.«
»Wir schauen uns schon länger nicht mehr die Kommentare unter unseren Videos an«, gestand Tadashi. »Man wird zu schnell zu den seltsamsten Fan Videos weiter geleitet. Und nein, was ich damit meine möchte ich nicht näher erklären.«
Nun war es Samantha, die sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
»Sag bloß, du hast mal so ein Video gesehen und findest das witzig?«, fragte Kai verständnislos, als er es bemerkte.
Samantha zuckte mit den Schultern. »Sagen wir es mal so: Manchmal ist es schon komisch, was ihr für Dinge in einem Interview sagt. Dass da etwas missverstanden wird, wundert mich nicht.«
»Wem sagst du das«, stimmte Benjiro ihr zu. Anscheinend hatte sie damit einen wunden Punkt bei ihm getroffen.
»Du hast also wirklich so ein Video gesehen?«, wollte nun Hiroto wissen und sah sie stirnrunzelnd an.
»Schon vergessen? Ich wohne mit Jana zusammen. Sie hat praktisch jedes Interview von euch gesehen. Und einige davon hat sie mir gezeigt«, berichtete Samantha. »Youtube vergisst nicht, wie ihr wissen solltet.«
»Gott, das ist so peinlich«, Hiroto stöhnte auf.
Samantha winkte ab. »Keine Panik. Ich habe schon Dinge gesehen und erlebt, von denen manche noch peinlicher sind.«
»Ach ja?«, neugierig sah Hiroto sie an.
»Ja«, Samantha nickte. »Aber davon werde ich euch nicht erzählen. Ihr habt eure Geheimnisse, ich meine.«
»Ich finde es nicht gut, dass Samantha Geheimnisse vor uns hat«, merkte Katsu an, als sie kurz unter sich waren. »Immerhin arbeiten wir zusammen. Sollten wir da nicht über einander Bescheid wissen?«
»Ach ja?«, Izuya zog eine Braue in die Höhe. »Dann willst du ihr tatsächlich alles über dich erzählen? Das könnte interessant werden.«
Sogar Hiroto konnte sich nun ein Grinsen nicht mehr verkneifen. »Das glaube ich auch.«
»Ich habe keine Ahnung, von was ihr redet«, meinte Katsu. Was nicht stimmte, und das wusste jeder von ihnen nur zu gut. »Anderseits vielleicht hat sie doch Recht. Privates sollte privat bleiben.«
»Na ja, privat ist deine Geschichte von vor zwei Jahren eigentlich nicht. Samantha müsste nur auf Wikipedia gehen und schon wäre sie informiert. Oder auf andere Seiten. Immerhin wissen quasi all unsere Fans Bescheid. Auch wenn sie nicht alle Fakten kennen«, meinte Tadashi.
Kai nickte. »Amüsant zu wissen was sie darüber denkt, wäre es in jedem Fall.«
»Mal ganz hiervon abgesehen – es könnte gut sein, dass Benjiro-san ihr davon erzählt. Schließlich wird sie diesen und den nächsten Monat immer an unserer Seite sein. Und da sollte sie auf alles gewappnet sein, oder nicht?«, wollte Izuya wissen.
»Auch wieder wahr«, Katsu seufzte. »Aber sie wird mir sicher keine Vorwürfe machen, oder?«
»Warum sollte sie? Es war nicht sie, die du hast sitzen lassen. Darüber hinaus hat sie sicher ganz andere Probleme, als über so etwas nachzudenken«, sagte Hiroto. »Und bestimmt keine Lust über dieses Thema zu reden, wenn man mal bedenkt, was sie über ihren Exfreund erzählt hat.« Sein Blick verfinsterte sich zusehends.
Nun war es Izuya, der nickte. »Das war echt mies«, stimmte er ihm zu, als er sich daran erinnerte, was Samantha ihnen vor ein paar Tagen erzählte.
»Allerdings«, Katsu nickte ebenfalls. »Also wäre es wohl besser, wenn wir es nicht weiter erwähnen. Ansonsten wird es nur Ärger geben.« Er hielt kurz inne. »Außerdem ist in fünf Tagen unser nächstes Konzert, und zwar in Paris. Es gibt also wichtigere Dinge, die wir zu planen haben.«
»Auch wieder wahr«, stimmte Tadashi ihm zu. »Davon mal ganz abgesehen, wo bleiben Benjiro-san und Samantha eigentlich?«, wollte er wissen. »So lang kann es doch nicht dauern Kaffee zu holen, oder?«
***
Benjiro musste zugeben, dass Samantha ihn beeindruckte. Denn wenn er ehrlich war, hatte er sie sich anders vorgestellt. Er hatte erwartet, bei ihr auf eines dieser Fangirls zu treffen, doch das Gegenteil schien der Fall zu sein. Denn auch wenn sie diejenige war, die den Song umschrieb, schien sie sich nicht für die Arbeit der Key-Pirates zu interessieren. Oder zumindest nicht so, wie er dachte. Das war, seiner Meinung nach, etwas eigenartig, doch vermutlich gar nicht so schlecht. Dann würde das alles doch nicht so außer Kontrolle geraten, wie er bisher befürchtete.
»Wir sollten langsam zurück«, unterbrach Samantha ihn, in seinen Gedanken. »Ich schätze, die anderen warten schon auf ihren Kaffee. Um ehrlich zu sein, ich möchte das alles hier schnell hinter mich bringen«, teilte sie ihm mit. »Ich habe ohnehin schon genug Ärger am Hals.«
Benjiro konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Dann freust du dich nicht darauf, mit den Key-Pirates zusammen zu arbeiten?«
Samantha zuckte mit den Schultern. »Na ja, ich schätze, es gibt Schlimmeres.«
Benjiro schüttelte ungläubig den Kopf. »Das gibt es durchaus. Du kannst dir vermutlich nicht einmal im Traum vorstellen, wie viele Mädchen und Frauen sich wünschen an deiner Stelle zu sein.«
»Das hat Kai neulich schon zu mir gesagt«, entgegnete Samantha. »Aber das ist nichts, was für mich eine Rolle spielt.«
»Und was ist dir dann wichtig?«, wollte Benjiro von ihr wissen, während er die Kaffeebecher für die Jungs so zu balancieren versuchte, dass möglichst wenig verschüttete. Was alles andere als ein leichtes Unterfangen war. Jedenfalls bis Samantha ihm ein paar abnahm, bevor es doch noch schief gehen konnte.
»Im Grunde möchte ich einfach nur in Ruhe studieren«, stellte Samantha klar. »Was aber nicht bedeutet, dass ich euch jetzt hängen lassen werde.«
»Das ist schön zu hören«, Benjiro lächelte. »Etwas anderes hätte ich auch nicht geduldet.«
Nun war es Samantha, die grinste. »Ich weiß.«
»Ihr beide scheint euch ja wirklich gut zu verstehen«, merkte Izuya, der gerade die Tür öffnete um nachzusehen wo Samantha und Benjiro blieben. »Das ist schön zu sehen. Immerhin ist ein gutes Betriebsklima wichtig, richtig?«, er zwinkerte Samantha zu.
»Nimm ihr doch erst einmal etwas ab«, sagte in diesem Moment Hiroto und tat es dann anstelle von Izuya. »Das riecht gut, danke«, er lächelte Samantha zu.
»Kaffee ist wohl tatsächlich für die meisten Leute auf der Welt ein Lebensretter«, meinte diese.
»Absolut«, Katsu nickte, ohne zu zögern, und trank einen Schluck aus seinem Becher. »Der ist echt gut«, stellte er dann anerkennend fest.
Nicht viel später saßen sie an dem kleinen Wohnzimmertisch in Katsus Zimmer um alles genau zu besprechen, was zu tun war. Und wie sich herausstellte, war das nicht wenig. Ganz davon abgesehen, dass das nächste Konzert schon in drei Tagen in Paris stattfinden würde.
»Und bis dahin müsst ihr mindestens schon ein Video in eurem Blog hochgeladen haben«, sagte Benjiro. »Nehmt es am besten heute noch auf oder aber spätestens Morgen früh. Die Zeitverschiebung ist für eure Fans zuhause natürlich ärgerlich, doch daran können wir jetzt nichts machen.«
»Ich dachte, wir sollten live Videos machen und nicht einfach nur stur hochladen?«, erkundigte sich Katsu. »Kommt das nicht besser an?«
Benjiro nickte. »Natürlich. Aber nachdem was ihr gestern gebracht habt ...«, weiter kam er nicht.
»Du scheinst nicht gerade Vertrauen in uns zu haben«, zog Tadashi ihn auf.
»Oh doch«, sagte Benjiro »das habe ich. Und zwar, dass es nur noch chaotischer wird, so wie ich euch kenne.«
»Dem kann ich nicht widersprechen«, stimmte Samantha ihm zu. »Zumindest wenn man bedenkt, was gestern so passiert ist.«
»Darauf wollt ihr mich jetzt aber nicht auf ewig festnageln, oder?«, erkundigte Katsu sich. »Außerdem ist es doch eigentlich für fast uns alle von Vorteil.«
»Das wage ich doch sehr zu bezweifeln«, wandte Kai ein. Dann sah er Benjiro an. »Bleibst du jetzt eigentlich auch bei uns?«
Benjiro nickte. »Für die nächste Zeit ja. Außerdem habe ich noch den Vertrag mitgebracht, den Samantha unterschreiben muss um dann offiziell auf dem Papier als eure Dolmetscherin zu sein.« Er griff in seine Aktentasche und zog ihn heraus, nur um ihn Samantha zu reichen.
Diese sah Benjiro erstaunt an. »Es gibt einen extra Vertrag?«
»Selbstverständlich. Immerhin müssen wir alle abgesichert sein, auch in Sachen Datenschutz«, erklärte Benjiro. »Und außerdem werden auch sicher noch einige Unkosten anfallen, die aber zusätzlich zu deinem Gehalt Akiyama Entertainment übernehmen oder dir erstatten wird. Ich hoffe, du bist damit einverstanden.« Benjiro sah sie an. »Natürlich ließen sich im Notfall ein paar Klauseln ändern aber ....«
»Ich bekomme Gehalt?«, fragte Samantha und kam sich langsam ein wenig idiotisch vor. »Ich dachte, dass das nur so etwas wie ein Praktikum ist?«
Für eine Weile, Samantha konnte im Nachhinein nicht sagen, wie lange das ungläubige Schweigen zwischen ihnen anhielt. Aber mit Sicherheit waren es mehrere Minuten, davon war sie überzeugt. Daran gedacht, dass wenn sie die Dolmetscherin der Jungs, diese auch gleichzeitig ihre Arbeitgeber waren, hatte sie nicht gedacht. Oder wie es hier stand, sogar Akiyama Entertainment.
»Wie viel bezahlt Akiyama-sama ihr eigentlich?«, wollte Kai wissen und war damit der Erste, der das Schweigen brach.
»Das geht euch gar nichts an«, fuhr Benjiro ihm sofort über den Mund. »Es sei denn, Samantha möchte es euch mitteilen.«
»So geschockt wie sie aussieht, wird es eine stattliche Summe sein«, merkte Tadashi amüsiert an.
»Ich werde nicht nur mit meinem Professor, sondern auch meinen Eltern reden müssen«, murmelte Samantha wie in Trance vor sich hin. »Immerhin kann ich nicht einfach abhauen, selbst wenn Jana Bescheid weiß.«
»Wer ist Jana?«, erkundigte Benjiro sich sofort.
»Jana ist Sams Freundin und Mitbewohnerin«, erklärte Katsu. »Und anscheinend ein großer Fan von uns. Wir haben sie gestern nach dem Konzert getroffen.«
»Ihr habt was?«, nun war es Benjiro, der die Augen weit aufriss vor Überraschung. »Soll das heißen, ihr kennt sie? Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
»Ist es aber«, sagte Katsu. »Und sie scheint ganz sympathisch zu sein.«
»Es hat euch aber keiner zusammen gesehen, oder?«, wollte Benjiro wissen. »Ansonsten wäre das ...«
Katsu schüttelte den Kopf. »Die einzigen, die vermutlich etwas bemerkt haben, sind die Mitarbeiter hinter der Bühne. Und davon sicher auch nicht alle.«
»Das ist aber bestimmt auch kein Problem«, meinte Tadashi. »Immerhin dürfte ihnen bewusst sein, was passiert, wenn jemand etwas ausplaudert. Davon abgesehen haben wir alle Namen der Mitarbeiter.«
Benjiro nickte. »Gut, das ist erfreulich. Und was diese Jana angeht ...«
»Sie ist Sams beste Freundin«, warf Hiroto ein. »Sie wird bestimmt nichts sagen, was ihr schaden könnte.«
Izuya nickte. »Das glaube ich auch«, stimmte er ihm zu. »Sie erschien mir viel eher sie in allem unterstützen zu wollen – und uns natürlich.«
Samantha nickte zur Bekräftigung. »Das stimmt«, versicherte sie Benjiro. »Um sie müsst ihr euch absolut keine Sorgen machen. Da bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Immerhin ist sie meine beste Freundin.«
»Man kann sich irren in Menschen«, meinte Benjiro. »Manche sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.«
Einen Moment sagte keiner etwas. »Ich weiß und das nur zu gut«, durchbrach Samantha schließlich die Stille. »Aus eigener Erfahrung. Aber was Jana angeht, bin ich mir sicher. Mehr als bei jemand sonst.«
»Eigener Erfahrung? Was genau soll das heißen?«, erkundigte Benjiro sich sofort. »Ist da irgendwas, dass ich wissen sollte?«, er musterte Samantha von oben bis unten. »Du warst doch noch nie einen größeren Skandal verwickelt, oder?«
»Skandal?«, wiederholte Samantha ungläubig. »Was zum Teufel meint ihr?« Hilfesuchend sah sie zu Katsu und den anderen. Eigentlich hatte sie so absolut keine Lust, zu erzählen, was zwischen ihr und Marc passiert war. Doch anscheinend ließ sich das nicht vermeiden.
»Entschuldige«, meinte Katsu, der ahnte, was in ihr vorging. »Aber ich denke, es ist wirklich besser, wenn wir Benjiro-san sagen, was zwischen dir und Marc passiert ist.«
»Wenn es sein muss«, Samantha seufzte. Dann berichtete sie Benjiro, was sie den Key-Pirates vor ein paar Tagen erzählte. Auch von der Begegnung und dem Telefongespräch mit Marc.
Benjiro hörte geduldig zu, nickte zwischendurch und machte sich ab und zu Notizen. »Gut, dann weiß ich Bescheid«, meinte er schließlich. »Soweit es möglich ist, wäre ich froh wenn wir diesen Typen nicht weiter erwähnen oder mit ihm interagieren müssen. Doch vermutlich ist das auch in deinem Sinne, nehme ich an?«
»Absolut«, stimmte Samantha ihm ohne zu Zögern zu. »Immerhin gibt es wichtigeres zu tun. Er dagegen ist noch nicht einmal einen Gedanken wert«, versicherte sie. »So sehe ich das jedenfalls.«
Benjiro nickte nachdenklich. »Es wäre toll wenn wir das so halten können. Allerdings beschleicht mich ein Gefühl, dass es sich wohl doch nicht so leicht abschließen lässt, wie wir es uns das erhoffen.«
»Warum?« Samantha sah ihn verwundert an.
»Du scheinst dir deiner Rolle immer noch nicht ganz bewusst zu sein«, sagte Benjiro. »Die Key-Pirates, eine der erfolgreichsten japanischen Bands haben dich zu ihrer Dolmetscherin gemacht – live vor Zehntausenden Besuchern und Fans. Die Videos davon wurden mehrere hunderte Male, wenn nicht mehr, hochgeladen und geteilt. Glaubst du also wirklich, dass das dein Exfreund nicht mitbekommen hat?«
Samantha fühlte sich geplättet, in etwa so wie ein Luftballon, aus dem alle Luft gewichen war. Denn natürlich hatte Benjiro Recht. Es war so gut wie unmöglich, dass Marc von dem was passierte, nichts mitbekommen hatte. Immerhin war Marc es gewesen, der sie ja sogar zu dem Konzert einlud. Auch wenn sie sich immer noch darüber wunderte, wie er auf die Idee gekommen war sie zu fragen. Er konnte doch nicht wirklich gedacht haben, dass sie nach allem was zwischen ihnen beiden vorfiel, zusagte? Falls doch, musste er ein ziemlicher Idiot sein. Aber das war ja nichts Neues.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy. Drei verpasste Anrufe von ihren Eltern, fünf von Jana. Das konnte nichts gutes bedeuten. Sie seufzte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Izuya, der ihr, seiner Meinung nach seltsames, Verhalten als erstes auffiel. »Geht es dir gut?«
»Ja«, antwortete Samantha. »Aber wahrscheinlich sollte ich mal meine Eltern anrufen. Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis sie hiervon erfahren, schätze ich.«
»Sollen wir ...«, begann Katsu, doch kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden.
»Nein«, fiel Samantha ihm sofort ins Wort. »Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.«
»Dem kann ich mich nur anschließen«, stimmte Benjiro zu. »Außerdem habt ihr dazu gar keine Zeit. Immerhin habt ihr genug Songs, die ihr Proben müsst.«
»Also eigentlich können wir die doch schon. Also wäre es vollkommen in Ordnung wenn wir ...«, meinte Katsu, wurde aber sofort wieder unterbrochen.
»Nein«, wiederholte Samantha erneut, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Kommt nicht in Frage.« Sie blickte Benjiro an. »Wenn es in Ordnung ist, würde ich aufbrechen. Falls etwas ist, wobei ihr Hilfe benötigt. Katsu und die anderen haben meine Handynummer«, fügte sie hinzu, ehe sie den Hotelraum verließ.
***
»Das war jetzt aber doch ein schneller Abgang«, meinte Katsu, der immer noch auf die Tür sah, durch die Samantha gerade verschwunden war.
»Und sie hat in all dem Trubel auch noch vergessen, den Vertrag zu unterschreiben«, sagte Benjiro, dem das erst in diesem Moment auffiel. »Dabei muss der doch so schnell wie möglich an Akiyama-sama zurückgeschickt werden«, er seufzte.
»Ich bin mir sicher, er wird dir nicht den Kopf abreißen, wenn es ein oder zwei Tage länger dauert«, versuchte Katsu, ihn aufzuheitern. Was nur teilweise von Erfolg gekrönt war.
»Außerdem ist das ganze Chaos ja nicht deine Schuld, sondern unsere«, ergänzte Tadashi.
»Richtig«, stimmte Hiroto ihm zu. »Dir kann man keinen Vorwurf machen.«
Benjiro nickte. »Dann werdet ihr ja sicher nichts dagegen haben, endlich euren Videoblog anzufangen«, es war keine Bitte.
»Na schön«, sagte Katsu. »Wir machen das nachher, während einer Pause im Proberaum.« Er sah seine Freunde an. »Einverstanden?«
Samantha musste nicht lange vor der Haustür ihrer Eltern warten, denn nach nur kurzer Zeit wurde ihr geöffnet.
»Ich habe mich schon gefragt, wann du bei uns vorbei kommst«, meinte ihre Mutter zur Begrüßung und musterte sie von oben bis unten. »Komm rein. Du hast uns wohl einiges zu erzählen.«
Samantha schluckte unwillkürlich. Irgendwie war sie sich nicht sicher, ob sie sich auf das Gespräch mit ihren Eltern freuen sollte oder nicht. Auf jeden Fall war klar, dass sie schon Bescheid wussten. Zumindest etwas. Kurz darauf war ihr auch klar warum, als sie die Zeitung auf dem Tisch liegen sah.
»Verdammt«, murmelte sie vor sich hin. »Das hatte ich ganz vergessen.«
»Wie vermutlich auch uns davon zu erzählen«, tadelte ihre Mutter sie. Wütend schien sie jedoch zum Glück nicht zu sein.
»Ich bin gekommen um euch jetzt davon zu erzählen«, entgegnete Samantha schnell. »Das reicht doch, oder? Außerdem hatte ich vorher gar keine Zeit dazu, wie ihr euch sicher vorstellen könnt.«
»Soll das heißen, dass du wirklich mit diesen Jungs unterwegs sein wirst?«, ihre Mutter sah Samantha fragend an. »Und was sagt dein Professor dazu? Immerhin solltest du dich doch auf dein Studium konzentrieren.«
Samantha ließ sich auf ihren Lieblingssessel im Wohnzimmer fallen. »Genau genommen, war er es, durch den es überhaupt dazu gekommen ist«, entgegnete sie. »Immerhin hat er mich Ihnen vorgestellt.«
»Trotzdem, dass es so endet, hat er sich bestimmt nicht gewünscht«, mischte sich ihr Vater ein. »Immerhin bist du eine seiner besten Studenten.«
Das stimmte sogar. Aber nichtsdestotrotz ...
»Dein Vater hat Recht«, sagte Samanthas Mutter. »Du wirst doch bestimmt mit ihnen reden können und sagen, dass es nicht möglich ist.«
Samantha schnaubte missfällig. Immerhin war es nicht so, dass sie das nicht getan hatte. Sie hatte versucht, mit Katsu zu reden. »Habe ich schon. Und es ist nicht möglich.«
Sie wusste, das Nächste, was sie sagen würde, würde ihren Eltern nicht gefallen. »Und ich werde es auch nicht.«
»Aber ...« Ihre Mutter starrte sie an. »Du kannst doch nicht einfach ...«
»Es ist wirklich nicht einfach«, stimmte Samantha ihr zu. »Im Gegenteil. Aber ich habe einen Vertrag bekommen und werde bezahlt, sogar sehr gut. Und wie es aussieht, werde ich meine Notenhefte mitnehmen können. Da ich ohnehin im Moment an einer Arbeit bin, die ich erst in einem Monat abgeben muss, ist das auch kein Problem.«
»Du wirst sehr gut bezahlt?«, erkundigte sich ihr Vater, den das aufhorchen ließ. »Wie viel bekommst du denn?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen«, meinte Samantha. »Auf jeden Fall müsst ihr euch keine Sorgen um mich machen. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich nicht bei euch melden werde.«
»Das erwarten wir auch«, stellte ihre Mutter klar und runzelte die Stirn. »Weiß Jana schon Bescheid?«
Samantha nickte. »Sie hat die Jungs sogar kennengelernt.« Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da bereute sie schon, es gesagt zu haben. Und das aus gutem Grund.
»Wenn Jana sie kennt, dann können wir sie doch auch kennenlernen«, schlug Samanthas Mutter natürlich sofort vor. »Immerhin wäre es schön für uns zu wissen, mit wem du unterwegs bist.«
»Also ich weißt nicht ...«, begann Samantha, doch es war zu spät.
»Nein, keine Widerrede. Das ist eine großartige Idee«, fiel sie Samantha ins Wort. »Ich weiß auch schon, was ich kochen werde. Wann denkst du, dass sie Zeit haben?«
»Warte eine Sekunde«, bat Katsu, der nicht glauben konnte, was Samantha ihm soeben am Telefon erzählt hatte. »Du meinst das doch nicht etwa ernst?«
»Was ist passiert?«, wollte Izuya wissen, der langsam nervös wurde.
Katsu brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Später.« Dann runzelte er die Stirn. »Nein, ich habe nicht mit dir geredet, sondern mit Izuya«, erklärte er dann.
»Scheint ernst zu sein, wie?«, flüsterte Tadashi Izuya zu.
Dieser nickte. »Glaubst du, sie hat es sich doch noch anders überlegt? Den Vertrag unterschrieben hat sie schließlich nicht«, erinnerte Izuya ihn und runzelte die Stirn. »Aber das kann nicht sein, oder?«
»Nein, das denke ich auch nicht. Außerdem würde ihr das auch gar nicht ähnlich sehen«, stimmte Tadashi ihm zu.
»Aber was kann es dann sein?«, fragte nun auch Hiroto. »Es scheint sich jedenfalls um etwas Wichtiges zu handeln.«
»Okay. Ja, natürlich. Ich sage ihnen und Benjiro-san Bescheid. Bis gleich dann also«, damit beendete Katsu das Telefongespräch und sah seine Freunde an. »Jungs, es gibt Neuigkeiten«, teilte er ihnen mit.
»Irgendwie hört sich das nicht nach guten Nachrichten an«, bemerkte Kai, der alles bisher skeptisch verfolgt hatte. »Was wollte sie denn von dir?«
»Von uns«, korrigierte Katsu ihn.
»Erzähl schon«, drängte nun auch Tadashi ihn. »Es ist doch nichts Schlimmes, oder?«
»Das kommt wahrscheinlich auf den Blickwinkel an«, überlegte Katsu. »Benjiro-san wird jedenfalls sicher nicht begeistert sein. Samantha war es überdies auch nicht.«
»Aber worum geht es denn jetzt?«, wollte Izuya ungeduldig wissen. »Spann uns doch nicht so auf die Folter.«
»Lasst uns nur noch kurz auf Benjiro-san warten«, bat Katsu ihn und die anderen. »Ich habe keine Lust alles zweimal zu erzählen.«
***
Nachdem Benjiro ebenfalls eingecheckt hatte und zurück kam, fiel ihm sofort auf, dass irgendwas nicht stimmte. Auch wenn Katsu sich bemühte ihn möglichst neutral anzusehen. Doch Benjiro arbeitete inzwischen lange genug mit den Key-Pirates zusammen, um zu erkennen, wenn etwas nicht so war, wie es sein sollte.
»Was ist passiert?«, wollte er deshalb auch sofort wissen.
»Benjiro-san«, Katsu lächelte. »Schön, das du wieder da bist. Hat alles geklappt?«
» So wie du dich verhältst anscheinend nicht«, entgegnete Benjiro. »Was zur Hölle habt ihr jetzt schon wieder angestellt?« Nun sah er auch die anderen an.
»Nur für das Protokoll: Wir haben nichts angestellt«, sagte Kai.
Benjiro seufzte. Er konnte sich nicht erklären warum, doch obwohl Katsu der Frontmann der Band war, neigte er eindeutig dazu in Schwierigkeiten zu geraten oder zu verursachen. Auch wenn zugegeben nicht immer alles seine Schuld war und er unerhört viel Glück hatte es heil zu überstehen.
»Und außer Katsu weiß auch niemand, was los ist. Das einzige was wir wissen ist, dass er mit Samantha telefoniert hat«, ergänzte Izuya. »Er meinte, er wolle uns erst davon erzählen, wenn du da bist.«
»Nun, jetzt bin ich ja wieder hier«, meinte Benjiro. »Also? Was ist passiert?«
»Wie Izuya schon sagte«, begann Katsu, der sich so gar nicht wohl in seiner Haut fühlte »Samantha hat angerufen.«
»Das habe ich verstanden. Aber was hat sie gewollt?«, erkundigte Benjiro sich bei ihm. »Sie hat es sich doch wohl hoffentlich nicht anders überlegt?«
Izuya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Witzig, genau das war auch meine erste Frage.«
»Und ist es so?«, hakte Benjiro nach.
Katsu schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Warum denkt ihr eigentlich alle so von ihr? Ich muss mich wirklich wundern.«
»Hätte ja sein können«, meinte Benjiro, ohne auf Katsus Frage zu antworten. »Aber was wollte sie dann?«
»Uns zum Essen einladen«, antwortete Katsu endlich und fühlte sich, dann doch so erleichtert, als ob ein Stein von seinen Schultern fiel. »Oder um genau zu sein, ihre Eltern.« Jetzt war es raus. Er hatte es hinter sich gebracht. Und die Reaktionen der anderen fielen überwiegend genauso aus, wie er es erwartete. Unglaube und Überraschung stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben. Was Katsu allerdings durchaus nachempfinden konnte. Immerhin ging es ihm genauso, als Samantha ihm davon erzählte.
»Du nimmst uns doch auf den Arm! Komm schon, jetzt sei mal ehrlich. Was ist wirklich passiert?«, forderte Kai ihn auf.
»Nein.« Katsu schüttelte den Kopf. »Es ist genau so, wie ich es sage. Wenn ihr mir es nicht glaubt, könnt ihr Samantha gerne anrufen und sie fragen.«
»Ich denke nicht, dass das nötig sein wird«, sagte Izuya. Dann blickte er Benjiro an. »Stimmt doch, oder?«
Benjiro runzelte die Stirn. »Wie sind ihre Eltern überhaupt auf diese Idee gekommen?«, erkundigte er sich bei Katsu. »Sie selbst?«
»Nein, sicher nicht«, entgegnete dieser, ohne zu zögern. »Sie hat gemeint, ihre Mutter hatte die Idee.«
»Heißt das, dass wir sie bei ihren Eltern treffen?«, fragte Hiroto. »Wir wissen doch nicht einmal, wo das überhaupt ist, oder doch?«
»Und was ist mit euren Proben?«, erinnerte Benjiro ihn. »Ihr wisst, bis zum nächsten Konzert ist es nicht weit.«
»Können wir doch dort machen«, schlug Kai vor. »Ich kann mir gut vorstellen, dass sich auch bei Samanthas Eltern ein Klavier oder eine Gitarre befindet«, meinte er. »Und falls nicht, können wir improvisieren.«
»Ich kann meine Gitarre auch mitnehmen«, sagte Hiroto. »Immerhin habe ich sie direkt hier im Zimmer.«
»Das ist eine großartige Idee«, meinte Tadashi und nickte. »Kai hat Recht, das könnte funktionieren.«
»Soll das heißen, dass ihr eine Art Hauskonzert dort veranstalten wollt?«, fragte Benjiro. »Was wenn ihre Eltern das nicht möchten? Habt ihr schon einmal daran gedacht?«
Katsu konnte sich ein Grinsen nicht länger verkneifen. »Oh, glaube mir, Benjiro-san wenn ich sage, dass sie zustimmen werden.«
»Wo zum Henker seid ihr?«, erkundigte Samantha sich über das Telefon bei Katsu, nachdem sie mit dem Auto ihres Vaters vor dem Hotel vor fuhr. »Ihr seid doch hoffentlich nicht zu Fuß los?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Katsu. »Gib uns fünf Minuten, dann sind wir unten.«
»Lässt sich wohl nicht ändern«, Samantha seufzte. »Aber trotzdem ...«
»Na dann, bis gleich«, sie konnte Katsu am anderen Ende lachen und dann etwas auf Japanisch sagen hören, zu Benjiro oder dem Rest der Key-Pirates. Welche antworteten, nur eben auch auf Japanisch, so dass sie nichts verstand. Nicht, dass es sie interessierte. Na ja, vielleicht ein kleines Bisschen. Aber mehr auch nicht. Zumindest für den Moment.
»Ja, bis gleich«, sagte Samantha und seufzte. »Ich warte vor dem Hotel auf euch.«
»Alles klar«, damit legte Katsu auf, kurz darauf war nur das Tuten zu hören.
»Darüber reden wir noch«, knurrte Samantha. »Wie auch über so viel anderes«, fügte sie dann nach einem Zögern hinzu. Auch wenn sie natürlich die Einzige war, die es hörte.
***
»Denkt ihr wirklich, dass es eine gute Idee ist, Samanthas Eltern zu besuchen?«, fragte Tadashi. »Wir kennen sie rein gar nicht und außerdem ...«
»Ach was, das wird lustig«, entgegnete Kai. »Du und Benjiro macht euch wirklich zu viel Sorgen.«
»Das habe ich gehört!«, teilte Benjiro ihnen mit. »Und nach allem was passiert ist, in so kurzer Zeit, werde ich mir wohl ein paar Gedanken machen dürfen.« Er seufzte kurz. »Ganz besonders, da ihr das nicht zu tun scheint.«
»Aber mit ihren Eltern zu reden ist bestimmt auch interessant«, merkte Izuya an. »Außerdem ist es für sie bestimmt auch besser zu wissen, mit wem Sam unterwegs sein wird.«
Hiroto nickte. »Bestimmt. Immerhin wissen sie so gut wie nichts über uns.«
Katsu zuckte mit den Schultern. »Na dann lasst uns das ändern.«
»Hoffen wir trotzdem, dass das heute nicht lange dauern wird. Immerhin müssen wir morgen früh raus«, erinnerte Benjiro Katsu. »Im Flugzeug zu schlafen ist nämlich nicht gerade das bequemste.«
Kai nickte. »Das stimmt allerdings. Auch wenn der Flug nicht wirklich lange dauern wird diesmal.«
»Kann Samantha eigentlich französisch?«, erkundigte Izuya sich. »Englisch wird uns in Frankreich wohl nicht viel weiter helfen.«
»Auch das gehört zu den Dingen, die wir sie nachher fragen werden«, sagte Katsu. »Und falls sie es nicht spricht, wir haben immer noch unsere Handys.«
»Auch wieder wahr«, Izuya nickte. »Und jetzt lasst uns endlich gehen. Sonst sind wir es, die sich Sorgen machen müssen, dass Samantha uns nicht den Kopf abreißen wird.«
»Von mir aus können wir los«, sagte Hiroto, der sich gerade seine Gitarre geschultert hatte.
»Super«, meinte Katsu zufrieden. »Also los. Auf in das Abenteuer. Sonst kriegen wir noch Ärger von ihr.«
***
»Da seid ihr ja endlich«, sagte Samantha, die vor dem Haupteingang gewartet hatte. Einfach im Auto sitzen zu bleiben, dafür war sie zu ungeduldig und zugegebenermaßen auch zu nervös.
»Du bist aber nicht mit dem Fahrrad hier, oder?«, erkundigte Kai sich belustigt.
Samantha sah ihn irritiert stirnrunzelnd an. »Nein, mit dem Auto meines Vaters. Fahrrad fahren mit euch wäre doch etwas zu ...«, sie suchte nach dem richtigen Wort. »Unpraktisch.«
»Du hast einen Führerschein?«, erstaunt sah Katsu sie an. »Warum fährst du dann Fahrrad?«
Samantha schnaubte missfällig. »Weil es erstens schwierig ist Parkplätze zu finden, zweitens Autofahren in Köln absolut kein Spaß macht und es mit dem Fahrrad schneller geht wegen des ganzen Stau. Drittens habe ich kein Geld mir ein Auto zu leisten.« Sie sah Katsu an. »Brauchst du noch mehr Gründe?«
»Nein«, Katsu schüttelte den Kopf. »Das reicht schon.« Dann sah er sie fragend an. »Wo hast du geparkt?«
»Maximal fünfzig Meter von hier«, teilte sie ihm mit. »Aber bevor wir gehen, habe ich eine Frage.«
»Was denn?«, wollte Katsu wissen, obgleich er ahnte, wie ihre Frage lauten würde.
»Warum habt ihr eure Gitarren dabei?« Sie erwiderte Katsus Blick. »Ihr wollt doch nicht etwa vor ...«
»Doch«, Katsu nickte. »Falls wir die Gelegenheit dazu bekommen. Immerhin haben wir seit dem Konzert nicht mehr geprobt. Da wäre das doch heute Abend, wenn wir bei deinen Eltern sind, eine gute Gelegenheit.«
Natürlich war es erst einmal ein ziemliches Gedränge im Auto, da sie insgesamt zu siebt waren, aber eigentlich nur fünf Personen hinein passten. Doch trotzdem schafften sie es irgendwie. Darüber hinaus war Samantha froh der Fahrer zu sein, andererseits hätte es sie das Chaos hinten auf der Rückbank zu sehr genervt. Was ja sogar jetzt schon beinahe der Fall war. Sie hoffte nur, dass sie nicht von der Polizei kontrolliert wurden. Das könnte nämlich durchaus Ärger geben. In mehr als einer Hinsicht. Glücklicherweise dauerte die Fahrt bis zum Haus ihrer Eltern nicht allzu lange.
»Sind wir bald da? So langsam wird es hier nämlich echt ungemütlich«, teilte Kai, der auf der Rückbank in der Mitte saß, ihr mit.
»Da hat er nicht unrecht«, stimmte Katsu ihm zu.
»Also ich habe keine Probleme«, merkte Benjiro an, der sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
Kai schnaubte. »Hätte ich auch nicht, wenn ich auf dem Beifahrersitz säße.«
Samantha konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken. »Keine Panik, wir sind gleich da. Fünf Minuten werdet es doch wohl noch dahinten aushalten, oder nicht?«
Kai murmelte etwas auf Japanisch, was ihm einen unsanften Ellenbogenstoß von Izuya einbrachte. Und etwas, das sich eindeutig nach einer Ermahnung anhörte.
Samantha entschloss sich dazu, nicht nachzuhaken, worum es sich dabei handelte. Vermutlich war das, zumindest für jetzt, die bessere Idee. Dann fiel ihr noch etwas ein. »Ihr seid nicht allergisch gegen Katzen, oder?«, wollte sie wissen.
»Nein, wieso?«, erkundigte sich Izuya. »Haben deine Eltern eine?«
»Das ist nach dieser Frage wohl offensichtlich«, sagte Samantha. »Aber wahrscheinlich könnt ihr schon froh sein, wenn Mina euch auch nur ansieht. Sie ist nicht gerade die sozialste Katze unter der Sonne.«
»Mina, wie die Mina in Dracula von Brams Stoker?«, wollte Hiroto wissen. »Deine Eltern mögen wohl die Geschichte.«
Samantha schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, war ich es, die den Namen ausgesucht hat«, erklärte sie. »Leider sind Tiere in der Wohnung, in der ich und Jana wohnen verboten. Ansonsten hätte ich sie mitgenommen.« Sie hielt den Wagen an. »Wir sind übrigens da.«
»Na endlich ...« Das war wieder Kai, der sich damit nur einen weiteren, nun aber nicht ganz so unsanften, Ellenbogenstoß von Izuya einfing. »Was denn? Ihr könnt mir nicht erzählen, dass einer von euch es hier hinten bequem gehabt hat!«
Samantha seufzte leise und stieg aus. Die anderen folgten ihrem Beispiel kurz darauf.
***
»Da seid ihr ja endlich!«, war das Erste womit Samanthas Mutter sie begrüßte, nachdem sie öffnete. Tadelnd sah sie ihre Tochter an. »Wieso hat das denn so lange gedauert?«
»Na ja, das lag vor allem daran dass ...« Weiter kam Samantha nicht.
»Ist nicht wichtig«, ihre Mutter winkte ab. »Jetzt kommt erst einmal herein.«
Samantha nickte. »Na kommt schon, oder seid ihr etwa zu Stein erstarrt?«
»Nein, natürlich«, entgegnete Katsu. »Trotzdem, irgendwie fühle ich mich gerade so nervös, als ob ich zukünftigen Schwiegereltern vorgestellt wurde«, teilte er auf Japanisch seinen Freunden und Benjiro mit, die zustimmend nickten.
»Wie war das?«, wollte Samantha wissen.
»Ach nichts«, antwortete Tadashi schnell. »Katsu meinte nur, dass ihr es echt schön hier habt.«
Das wagte Samantha stark zu bezweifeln, doch sie ging nicht näher darauf ein. Eine Diskussion war schließlich das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. »Danke«, meinte sie trotzdem. »Das ist sehr nett.«
»Kein Problem«, Katsu lächelte sie an. »Und auch nochmal Danke für eure Einladung, so kurzfristig hierher zu kommen«, Letzteres sagte er zu Samanthas Mutter. »Mein Name ist übrigens Katsu. Das hier sind übrigens meine Freunde und Bandmitglieder Izuya, Tadashi, Kai und Hiroto«, stellte er sie vor. »Und der junge Mann hier«, fuhr Katsu fort und nickte in Benjiros Richtung »ist Benjiro, unser Manager.«
Samanthas Mutter erwiderte sein Lächeln, ohne zu zögern. »Aber gerne, vielmehr sollten wir wohl eher euch danken, dass ihr so spontan konntet. Immerhin habt ihr mit Sicherheit genug zu tun. Wann ist euer nächstes Konzert?«
»In zwei Tagen«, meldete sich nun Benjiro zu Wort. »Das heißt, wir nehmen morgen Vormittag den Flug nach Paris.«
»Morgen?«, wiederholte Samantha. »Das sagt ihr mir jetzt?«
Katsu sah sie stirnrunzelnd an. »Ich dachte, wir hatten dir das gesagt?«
»Nein, habt ihr nicht.« Samantha atmete tief durch.
»Jetzt entspannt euch erst einmal«, Samanthas Mutter. »Nichts hilft dabei besser als gutes Essen. Und ich will wirklich nicht angeben, doch ich denke ich kann behaupten, dass ich eine gute Köchin bin.«
Da hatte sie durchaus Recht, das musste Samantha ihrer Mutter lassen. Auch wenn sie selbst, oder sogar Jana, nicht schlecht im Kochen war, das Essen von ihrer Mutter hatte sie nach ihrem Einzug in die WG definitiv vermisst. Außerdem machte es Spaß mit Freunden zusammen zu essen. Die Key-Pirates zählte sie dazu. Auch wenn sie sich noch nicht einmal ganz eine Woche kannten. Und Benjiro erst seit einem Tag. Doch trotz des holprigen Starts, den sie mit ihnen gehabt hatte, musste sie zugeben, dass sie es mochte mit ihnen Zeit zu verbringen. Was jetzt definitiv gut war. Immerhin würden sie nun erstmal viel Zeit zusammen sein.
»Wie lang seid ihr eigentlich unterwegs?«, riss Samanthas Mutter sie aus ihren Gedanken. »Sam hat uns noch gar nichts davon erzählt.«
Katsu, der sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen schien, schluckte. »Ein Monat auf jeden Fall, wenn wir die Tour verlängern, was durchaus möglich ist, auch zwei.«
»Die Tour verlängern?«, wiederholte Samantha ungläubig. »Wieso solltet ihr das tun?« Hilfesuchend sah sie zu Benjiro hinüber.
»Na ja«, begann dieser. »Unüblich und das erste Mal wäre es nicht«, erklärte er. »Aber meistens wird das von Akiyama-sama spontan entschieden. Vor allem wenn die bisherigen Konzerte ein Erfolg waren. Was hier in Köln auf jeden Fall so ist.«
Samantha atmete tief durch. »Akiyama-sama ist euer Chef, richtig?«, fragte sie.
Benjiro nickte. »Ja, allerdings«, bestätigte er. »Auch wenn er ein wenig exzentrisch ist, ist er dennoch einer der fähigsten Geschäftsmänner, die ich kennenlernen durfte.«
Katsu nickte. »Kenji-sama ist wirklich jemand ganz besonderes«, stimmte er Benjiro zu, ohne zu zögern. Dann dachte er kurz nach. »Hey, da du uns begleitest, wirst du bestimmt auch mal die Gelegenheit bekommen, mit ihm zu sprechen.«
»Eine Frage«, meldete sich wieder Samanthas Mutter zu Wort. »Wer genau ist jetzt Kenji und wer Akiyama?«
Katsu konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Es handelt sich um ein und dieselbe Person. Sein Name ist Akiyama Kenji«, erklärte er.
»Akiyama ist der Nachname und Kenji der Vorname«, fügte Samantha kurz darauf hinzu.
Ihre Mutter nickte. »Ach ja, stimmt. Ich habe mal gelesen, dass in Asien die Namen falsch herum geschrieben werden. Das hatte ich doch glatt vergessen.«
Katsu sah hilfesuchend zu Samantha. »Was hat deine Mutter gerade gesagt?«
Erst jetzt fiel Samantha auf, dass das was ihre Mutter zuletzt sagte Deutsch und nicht Englisch war. Kein Wunder, dass Katsu sie nicht verstanden hatte. Also erklärte sie ihm, worum es ging, woraufhin er verstehend nickte.
***
Katsu wusste nicht genau warum, doch die Nervosität, die zuvor als sie hier ankamen, noch verspürte, war nahezu komplett einem anderen Gefühl gewichen. Und zwar Neugierde. Darüber hinaus erschien ihm Samanthas Mutter bisher durchaus sympathisch. Vor allem, da sie Samantha selbst auch ähnelte. Abgesehen von ihrer Sturheit. Zumindest bis jetzt. Aber das hatte noch lange nichts zu heißen. Plötzlich fiel ihm etwas auf.
»Ist dein Vater nicht hier?«, wollte er wissen.
»Stimmt«, fiel jetzt auch Samantha auf. »Bevor ich los bin, war er doch noch da. Ist etwas passiert?«
»Nein, nichts schlimmes«, meinte ihre Mutter. »Er müsste sicher gleich wieder da sein. Ich glaube, er wollte noch schnell eine Flasche Wein besorgen. Aber ich denke, es ist in Ordnung, wenn wir schon einmal mit dem Essen anfangen.«
Katsu lächelte. »Das klingt gut.«
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2021
Alle Rechte vorbehalten