Anno Domini 1890
England, London - East End
Da war er also. Hier vor der Polizei im East End. Die Zeit bis jetzt war keine leichte gewesen und die nächste würde es wohl auch nicht sein. Doch das interessierte ihn, zumindest im Moment, nicht besonders. Außerdem war er schließlich aus gutem Grund hier. Nach seiner Ausbildung, die er mit einem sehr guten Schnitt beendet hatte, wurde er mit einem Empfehlungsschreiben hierher geschickt. Es hatte ihn erst irritiert dann aber, im Gegensatz zu seinen Eltern, stolz gemacht. Denn das East End war das am meisten verrufene Viertel in ganz London. Hier gaben sich Armut, Krankheiten und Verbrechen die Klinke in die Hand. Genug zu tun würde es also gewiss geben. Dies war etwas, was für ihn am meisten zählte. Denn jemand der den ganzen Tag im Büro saß, wollte er nicht sein. Dafür war er einfach nicht geeignet. Er wollte raus auf die Straßen und den Menschen helfen. Das war es, weswegen er sich für den Dienst bei der Polizei entschied und das sogar gegen den Willen seines Vaters. Das wiederum war etwas, was so gut wie nie passierte. Doch dieses eine und beinahe einzige Mal hatte er seinem Vater widersprochen, was sogar in einen ziemlichen Streit ausgeartet war. Doch schlussendlich stimmte sein Vater zu und jetzt war Jonathan also hier. Er konnte es immer noch kaum glauben. Dennoch war er froh, wie alles gekommen war und begann, daran zu glauben, dass sein Vater ihn doch verstand. Jonathan atmete noch einmal tief durch, um seine ganze Aufregung wenigstens ein wenig in den Griff zu bekommen, dann trat er ein. Was ihn dort allerdings erwartete, damit hatte er am Allerwenigsten gerechnet.
Kaum, dass er eingetreten war, stellte Jonathan fest, dass er in ein absolutes Durcheinander geraten war. Überall in dem Vorraum der Polizeiwache herrschte ein totales Stimmengewirr und die Männer, die ab jetzt seine Kollegen sein würden, schienen mehr als überfordert zu sein. Jonathan schob sich an einigen übel schimpfenden Leuten vorbei. »Was in Gottes Namen ist denn hier los?«, erkundigte er sich bei einem der Polizisten.
Der sah ihn verwundert an. »Du bist wohl nicht von hier, was Junge?«, erkundigte der Polizist sich unwirsch.
»Ja Sir. Aber ich -«, setzte Jonathan an, wurde jedoch unterbrochen.
»Darf ich dir einen guten Rat geben?«, die Stimme des Polizisten hörte sich nun beinahe wohlwollend an.
»Natürlich Sir. Allerdings -«, sagte Jonathan an, doch der Polizist fiel ihm erneut ins Wort.
»Wenn du klug bist, verschwinde, bevor das hier noch ausartet«, riet er Jonathan.
Bevor das ausartet? Jonathan sah zu der Menschenmenge, die immer größer wurde. »Ist es das noch nicht?«, zu spät stellte Jonathan fest, dass er laut gedacht hatte.
»Du hast ja keine Ahnung«, meinte der Polizist, wobei er die letzten zwei Wörter am meisten betonte.
»Er ist zu spät«, knurrte Inspektor Richmond Lansbury mit einem Blick auf seine Taschenuhr.
Adam Fray, sein bester Freund, nickte. »Oder sehr intelligent. Wer würde schon zustimmen gerade hier seinen Dienst anzufangen? Dazu muss man entweder verrückt, komplett von sich überzeugt oder naiv sein«, warf er ein.
Richmond runzelte die Stirn. »Was soll das denn bitte heißen?«, erkundigte er sich bei Adam.
Der zuckte mit Schultern. »Das ist nur meine Meinung«, er grinste »wir sind davon natürlich ausgenommen. Davon abgesehen hat Scotland Yard uns mit Sicherheit wieder irgendein Jüngelchen geschickt. Die Veteranen und erfahrenen Leute benötigen sie schließlich selbst«
»Mal den Teufel bloß nicht an die Wand«, knurrte Richmond.
»Tu ich doch gar nicht. Ich stelle nur Tatsachen fest. Schließlich war es bisher immer so und das weißt du auch«, erinnerte Adam seinen Freund.
Richmond nickte resigniert. Was Adam sagte, war zweifellos richtig. Trotzdem wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, dass es dieses eine Mal wenigstens anders war.
»Du willst also noch immer nicht gehen?«, erkundigte Arthur Hitcrombe sich bei dem Jungen.
»Ich kann nicht Sir«, entgegnete dieser.
Arthur sah ihn irritiert an. »Was soll das heißen?«, wollte er wissen. Er gab es nicht gerne zu, doch so langsam beeindruckte ihn die Hartnäckigkeit des jungen Burschen, der ihm gegenüberstand. Arthur musterte ihn. Er schätzte ihn auf nicht viel älter als siebzehn. Sein Gesicht, welches schmal war, zeigte noch nicht einmal im Ansatz Bartstoppeln. Seine Augen waren dunkelbraun und das Haar, welches dunkelblond war, trug er kurzgeschnitten.
»Sir?«, hörte er die Stimme des Jungen.
Arthur räusperte sich. »Alles klar. Also weshalb bist du hier?«, fragte Arthur und hoffte, dass ihm die Antwort nicht schon gesagt wurde.
»Mein Name ist Hobbs. Jonathan Hobbs um genau zu sein. Ich habe vor einer Woche meine Ausbildung zum Polizisten beendet und wurde hierher geschickt meinen Dienst zu tun«, erklärte der Junge.
Arthur verzog das Gesicht. »Dein Ausbilder mochte dich wohl nicht besonders gerne, wie?«, fragte Arthur leicht amüsiert.
»Nein Sir. Er war zwar streng aber niemals ungerecht. Ich habe einen Brief von ihm an den Inspektor dieser Einheit. Ist es vielleicht möglich, dass ich mit ihm reden könnte?«, wollte Jonathan wissen.
Arthur zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß ist er in einem Gespräch mit Mister Fray. Du kannst es, wenn du willst, trotzdem versuchen. Hie vorne haben wir, wie du ja siehst, genug zu tun«, schlug Arthur vor. Dann fügte er hinzu: »Es ist das erste Büro links«
Jonathan nickte Arthur kurz zu. Dann verschwand er durch die Menschenmenge in Richtung des Büros.
Jonathan seufzte. Dadurch, dass er aufgehalten wurde, war jetzt mehr als eine halbe Stunde zu spät dran. Keine gute Voraussetzung für einen guten Anfang. Als er das Büro erreichte, blieb er einen Moment davor stehen, atmete kurz tief durch und klopfte dann an.
»Das wurde aber wirklich auch Zeit«, knurrte Richmond, der erneut einen Blick auf seine Uhr warf.
»Wenn er es denn ist?«, murmelte Adam gerade so laut, dass Richmond ihn hörte.
»Hast du was gesagt?«, Richmond funkelte ihn an.
»Nein«, ein Grinsen schlich sich auf Adams Gesicht.
»Dann ist ja gut. Herein!«, Letzteres rief Richmond.
Wenig später stellte er auch schon fest, dass Adam Recht gehabt hatte. Wenn das hier wirklich die sogenannte Verstärkung war, um nicht zu sagen ‘Ein Mann Verstärkung‘, half ihnen das trotzdem nicht besonders weiter. Vor allen Dingen wenn man sich diesen jungen Burschen mal näher ansah. Nein, der war für den Polizeidienst ebenso gut geeignet wie eine Stickerin für den Beruf des Tischlers.
Jonathan trat ein und sah die zwei Männer, die im Büro standen an. Der Mann der beinahe unmittelbar vor ihm stand, schien alles andere als begeistert. Im Gegensatz dazu wirkte der andere geradezu amüsiert. Jonathan räusperte sich und fischte währenddessen den Brief aus seinem Mantel. »Sir«, er verneigte sich leicht »mein Name ist Hobbs. Jonathan Hobbs. Ich glaube mein Ausbilder hat Sie bereits kontaktiert«, sagte Jonathan und versuchte seine Stimme, so gut wie möglich, unter Kontrolle zu halten, was ihm nicht besonders gut gelang.
»Sie sind zu spät«, fuhr der Mann, welcher Jonathan gegenüber stand, ihn scharf an.
»Verzeihung Sir, es tut mir Leid aber ich wurde aufgehalten«, berichtete Jonathan.
»Ich hoffe für Sie, dass das nicht öfter geschieht. Wir können Leute die unpünktlich oder nachlässig sind nicht gebrauchen, oder eigentlich überhaupt Leute in Ihrem Alter«, knurrte Jonathans Gegenüber.
Jonathan blinzelte irritiert. Dann aber riss er sich zusammen. Er hielt dem Mann den Brief hin.
»Was ist das?«, wurde er daraufhin gefragt.
»Ein Schreiben meines Ausbilders, welches ich an Inspektor Lansbury weitergeben soll«, erklärte Jonathan.
»Dann gib her«, sagte der Mann, der sich bisher aus allem rausgehalten hatte.
Jonathan schüttelte den Kopf. »Bedaure Sir. Aber diesen Brief gebe ich nur demjenigen der sich auch als der Inspektor ausweisen kann. Können Sie das?«, fragte er freundlich und schalt sich gleichzeitig zu vorlaut zu sein. Anders als erwartet lachten die beiden Männer jedoch.
»Nun vielleicht können wir ja doch noch was mit Ihnen anfangen«, Jonathans Gegenüber zog eine Dienstmarke aus der Tasche. »Mein Name ist Lansbury. Inspektor Richmond Lansbury um genau zu sein. Der Mann dort ist Adam Fray. Er ist Physiker, weiß allerdings auch einiges über die menschliche Anatomie«, Inspektor Lansbury nahm Jonathan den Brief aus der Hand und las ihn aufmerksam durch, dann sah er Jonathan anerkennend an.
»Ist das wahr? Sie können dieses Teufelsgerät bedienen?«, erkundigte er sich bei Jonathan.
»Sir?«, hakte dieser irritiert nach.
»Richmond meint den Telegraphen«, mischte sich nun Adam Fray ein.
Jonathan nickte. »Sie sind gut ausgestattet«, bemerkte er.
»Wenn wir hier gut ausgestattet wären müsste ich mir die Leichen, welche hier fast täglich angespült werden, nicht in einem dunklen und dreckigen Keller ansehen«, bemerkte Adam Fray bitter.
»Adam!«, kam es daraufhin leicht säuerlich von Inspektor Lansbury.
»Ich wollte es nur noch einmal erwähnt haben«, meinte Mister Fray.
»Genauso wie ich dir jetzt schon zum hunderttausendsten Mal sage, dass uns die Mittel fehlen«, knurrte Inspektor Lansbury. Dann wandte er sich noch einmal an Jonathan. »Das können Sie sich auch gleich hinter die Ohren schreiben Hobbs. Ihr Gehalt hier wird sie nicht reich machen. Jetzt gehen sie zu Arthur und holen Sie sich ihre Uniform. Er ist informiert darüber, dass Sie heute Ihren Dienst bei uns beginnen. Danach kommen Sie wieder zu mir und jetzt Abmarsch!«, wies Lansbury Jonathan harsch an.
Als Jonathan wieder im Vorraum ankam, stellte er überrascht fest, dass die Menschenmasse sich aufgelöst hatte. Jonathan wusste nicht genau warum, aber irgendwie beruhigte es ihn ungemein. Nicht, dass er Angst hatte vor vielen Menschen, doch die Menge flößte ihm ordentlich Respekt ein. »Und hast du schon mit dem Inspektor reden können, Junge?«, erkundigte sich der Constable, mit dem er vorhin schon geredet hatte.
Jonathan nickte. »Ja danke. Für die Wegbeschreibung zu seinem Büro«, bedankte sich Jonathan.
»Kein Ding«, der Mann lächelte breit.
Jonathan dachte kurz nach. Dann erwiderte er es. »Ich soll mich bei einem gewissen Arthur melden. Könntet Ihr vielleicht -«, Jonathan wurde unterbrochen.
»Das bin ich«, der Mann strahlte ihn breiter an als ohnehin schon, dann aber musterte er Jonathan. »Was kann ich für dich tun?«, erkundigte er sich.
»Mir meine Dienstuniform aushändigen. Inspektor Lansbury meinte, Sie haben sie mir zurückgelegt. Im Übrigen ziehe ich es vor, nicht als Junge bezeichnet zu werden. Ich habe schon eine dreijährige Ausbildung hinter mir und bin vor ein paar Wochen neunzehn Jahre alt geworden. Außerdem sind wir ja jetzt Kollegen, nicht wahr?«, Jonathan war selbst überrascht über seinen, für ihn doch recht emotionalen, Ausbruch.
Arthur sah ihn mit großen Augen an. »Natürlich Hobbs. Die Uniform liegt in dem Fach dort rechts unten. Allerdings solltest du dir im Klaren sein, dass unsere Arbeit hier uns mehr Nachteile als Vorteile bringt. Wenn du also auf Ruhm aus bist - den kannst du getrost vergessen! Aber aufhalten will ich dich natürlich nicht«, sagte Arthur.
Jonathan nickte ihm zu. »Danke. Sehr freundlich«, meinte er »allerdings hat der Inspektor schon etwas ähnliches gesagt. Und nein, ich quittiere meinen Dienst nicht, bevor er noch nicht einmal angefangen hat. Ich bin einfach nur hier, um den Menschen helfen zu können-«, stellte Jonathan klar.
»Den Menschen helfen? Da wärst du aber besser Arzt geworden als hierher zu kommen«, meinte Arthur.
»Sehr witzig«, murmelte Jonathan leicht beleidigt, griff nach seiner Uniform und kleidete sich in einem der hinteren Räume um.
Jonathan war mehr als ratlos. Der Tag verlief so ganz anders als erwartet. Um nicht zu sagen vollkommen anders. Natürlich, er hatte sich niemals vorgenommen, durch seinen Polizeidienst hier Ruhm zu erlangen aber die Begrüßung auf solche eine Art ausfallen wäre ihm als allerletztes eingefallen. Jonathan seufzte, richtete sich den Kragen und sah auf seinen Dienstausweis. Er hatte die Dienstnummer zweihundertsiebenunddreißig. Jonathan überlegte kurz wie viele Einheiten dieser Wache es wohl hier geben würde, anscheinend ja zu wenige, dann machte er sich zurück auf den Weg ins Büro des Inspektors.
»Was hältst du von ihm?«, Adam sah seinen Freund nachdenklich an.
Der zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich hätten wir es schlimmer treffen können«, meinte Richmond »aber er wird sich definitiv eine härtere Schale zulegen müssen«
»So viel ist klar«, stimmte Adam ihm zu. »Allerdings scheint er ja ein recht helles Köpfchen zu sein. Vielleicht überrascht er uns ja doch noch«, überlegte er.
»Wir werden sehen. Als erstes soll er sich um dieses Teufelsgerät kümmern. Soweit ich weiß gibt es keinen hier in der Wache der es ordentlich bedienen kann und der Junge hat dazu extra eine Schulung gemacht also-«, Adam unterbrach Richmond.
»Also willst du ihn erst einmal ins Büro verbannen«, er nickte nachdenklich. »So ist es«, stimmte Richmond zu. »Und wenn er sich gut macht? Was dann?«, Adam konnte ein Grinsen nicht zurückhalten.
»Dann schicke ich ihn zu dir nach unten«, erklärte Richmond.
»Arme Sau«, murmelte Adam vor sich hin.
»Wie bitte?«, Richmond funkelte ihn an.
»Ach nix. Hab nur laut gedacht«, sagte Adam und fügte schnell hinzu: »Sollte er nicht noch einmal vorbei kommen?« Genau in diesem Moment klopfte es an die Tür. Adams Grinsen wurde etwas breiter. »Oh, dieses Mal scheint er pünktlich zu sein«, bemerkte er.
»Umso besser«, war alles, was Richmond dazu sagte.
»Sir, ich bin bereit für meinen Dienst«, berichtete Jonathan nachdem eingetreten war und kurz vor Inspektor Lansbury salutiert hatte.
»Schön Hobbs. Und dieses Mal sind Sie sogar pünktlich. Das freut einen doch. Ich hoffe das ist nicht nur ein vorübergehender Zustand?«, fragte der Inspektor.
»Nein Sir«, verwundert sah Jonathan ihn an.
»Natürlich nicht. Fürs erste werden Sie das Büro nebenan beziehen Hobbs. Dort steht der Telegraph und es werden dort auch einige wichtige Akten aufbewahrt«, erklärte Inspektor Lansbury. Er räusperte sich. »Mister Fray wird Ihnen zeigen was genau zu tun ist«, stellte er klar.
»Ja Sir«, sagte Hobbs und der vorher noch gut heraus zu hörende Enthusiasmus war nun deutlich weniger geworden. Trotzdem, und darüber war Inspektor Lansbury schon etwas erstaunt, befolgte der Junge seine Anweisungen, ohne zu widersprechen.
»Das hier wird erst einmal das Büro von dir sein«, Adam Fray lächelte Jonathan aufmunternd an. Der jedoch sah nicht besonders glücklich aus. »Du hattest wohl eine ganz andere Vorstellung von deinem Dienst, was? Hättest wohl nicht gedacht, dass du hier landest, Hobbs?«, Adam grinste.
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Das kommt drauf an, wovon genau Sie reden Sir«, entgegnete Jonathan diplomatisch.
»Na ja hier zu landen zum Beispiel. Das East End ist schließlich nicht gerade der Bezirk, in dem man unbedingt Dienst haben möchte«, wandte Adam neugierig ein.
»Oh nein Sir. Es stimmt, dass ich erst verwundert war, als mein Ausbilder mich hierher geschickt hat aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Ich wollte schon immer den Menschen helfen und jetzt habe ich die Gelegenheit dazu«, klärte Jonathan Adam auf.
Letzterem fiel auf, dass Jonathans Augen erwartungsvoll zu leuchten begonnen hatten. Adam seufzte. »Wenn ich dir einen Rat geben darf: Erwarte keine Heldentaten. Denn die wirst du hier nicht finden. Im Gegenteil«, stellte er klar.
Jonathan sah ihn irritiert an. »Ich weiß Sir. Wie schon gesagt: Das einzige was ich will ist helfen«, wiederholte Jonathan. »Helfen. Ja, Hilfe brauch dieses Viertel wirklich«, murmelte Adam vor sich hin und ließ Jonathan damit im Büro zurück.
Jonathan sah sich um. Jetzt war er also doch im Büro gelandet, dachte er missmutig. Doch er würde es akzeptieren. Nicht, dass er feige wäre, das war nun wirklich nicht der Fall, sondern weil er hier gebraucht wurde. Dass es gut war gebraucht zu werden, hatte sein Vater ihm schon gefühlte Hunderttausendmal erklärt. Dennoch war es nicht so, dass er das hier für seinen Vater tat. Nein, so war es nun wirklich nicht. Sein Vater war gegen seine Entscheidung gewesen in den Polizeidienst einzutreten. Akzeptiert hatte er sie jedoch. Allerdings mit der Bemerkung »komm bloß nicht zurück gelaufen, wenn dir alles über den Kopf wächst und doch lieber in meine Fußstapfen treten willst«. Jonathan verzog das Gesicht. Er war der einzige Sohn seines Vaters und andere Geschwister hatte er auch nicht. Er konnte sich gut vorstellen, dass es ziemlich hart für seinen Vater sein musste, dass er nichts mit dem Kaufmannsgewerbe anfangen konnte. Trotzdem war Jonathan stolz darauf, so gehandelt zu haben. Natürlich wollte er seinen Eltern keinen Kummer machen, aber er war auch der Meinung, dass er selbst entscheiden musste, was in seinem Leben passierte. Andere entscheiden zu lassen wäre nicht nur bequem, sondern, zumindest seiner Meinung nach, auch sehr feige. Jonathan seufzte. Er würde sich also langsam hocharbeiten müssen. Doch das war ja eigentlich nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil. Also würde er wie immer sein Bestes geben.
Anno Domini 1890
England, London - am Rand zum East End
Sie wusste, dass sie Ärger kriegen würde, sobald sie wieder nach Hause kam - das aber war ihr im Moment so ziemlich egal. Außerdem konnte ihr Vater ihr sowieso nie lange böse sein. Natürlich wusste sie auch, dass ihr Vater sich um ihre Sicherheit sorgte, was verständlich war, schließlich war das East End alles andere als das. Sie allerdings war der Meinung, dass sie sich auch alleine recht gut zur Wehr setzen konnte - wenn sie denn musste. Davon abgesehen wohnte ihre beste Freundin nun einmal im East End und sie hatte sie bereits viel zu lange nicht mehr besucht. Dies lag überwiegend nicht an ihren Eltern, sondern an ihrer Anstandsdame, die sie auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Katie, die mit vollem Namen Katharine McKenzie hieß, seufzte, als sie an ihre Anstandsdame Madame Fleur dachte. Wann immer sie im Beisein von ihr war, musste sie französisch sprechen. Französisch! Wozu zum Henker würde sie diese Sprache jemals brauchen? Katie stöhnte. Zugegeben die Sprache hörte sich schön an, ja, aber warum musste man sich dabei regelmäßig die Zunge verknoten? Dies passierte jedenfalls ihr immer und dann war da noch Latein. Diesen Unterricht konnte Katie noch weniger leiden. Zumindest soweit das überhaupt möglich war, was daran lag, dass der Unterricht komplett in Latein abgehalten wurde. Egal was sie sagte, alles musste Latein sein. Was sie jedes Mal an den Rand des Wahnsinns trieb. Genauso wie vermutlich auch Bruder Lucas. Diesen allerdings mehr aufgrund ihrer Begabung Lateinisch zu sprechen, die nahe bei null lag. Mal von ein paar Texten aus der Bibel abgesehen.
Abermals seufzte Katie. Warum dachte sie eigentlich gerade jetzt daran? Das war doch nun wirklich nicht ihre Art - geschweige denn nötig! Katie überquerte die nächste Straße, das heißt sie wollte es, denn sie wurde aufgehalten.
»Miss, ich will nicht unhöflich sein aber dies ist nicht gerade der richtige Ort für jemanden wie Sie um sich allein aufzuhalten«, erklärte ihr ein junger Constable freundlich.
Katie musterte ihn neugierig. Er schien, zumindest vom Aussehen, nicht viel älter als sie zu sein. Trotzdem strahlte er eine gewisse Ernsthaftigkeit aus, die sie bei jungen Männern in seinem Alter, jedenfalls bei denen die sie kannte, noch nie erlebt hatte.
»Miss haben Sie mir zugehört? Es ist nicht gut, wenn Sie hier alleine sind. Haben Sie keine Begleitung?«, erkundigte der Constable sich erneut.
Katie strahlte ihn an, und zwar mit ihrem schönsten Lächeln, welches sie hatte. »Um ehrlich zu sein und das möchte ich, nein. Ich bin eine Ausreißerin, wissen Sie Mister-«, sie unterbrach sich.
»Hobbs. Jonathan Hobbs. Constable in der Einheit von Inspektor Lansbury«, stellte er sich vor.
»Nun wie gesagt Mister Hobbs. Ich bin eine Ausreißerin. So würden jedenfalls Sie es vermutlich nennen«, überlegte sie.
Constable Hobbs sah sie irritiert an. »Eine Ausreißerin?«, wiederholte er eindeutig verwirrt.
»Ja. Ich bin von zuhause ausgerissen ohne meiner Anstandsdame, die wahrscheinlich nachher deswegen zu einer Furie werden wird, oder meinen Eltern Bescheid zu sagen, hierhergekommen um eine Freundin zu besuchen«, sagte Katie.
»Eine Freundin von Ihnen?«, jetzt sah Constable Hobbs wirklich mehr als verwirrt aus. Er tat ihr beinahe Leid. Scheinbar konnte er sich nicht wirklich vorstellen, dass sie hier eine Freundin hatte, und wusste nicht, was er jetzt mit ihr tun sollte.
»Hören Sie Constable. Ich glaube es ist für uns beide das Beste wenn Sie mich einfach weitergehen lassen«, schlug Katie ihm vor. Er jedoch schüttelte den Kopf.
»Verzeihen Sie mir Miss-«, er sah sie fragend an.
»McKenzie. Katharine McKenzie. Sie dürfen aber gerne Katie zu mir sagen«, sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. Entweder es fiel ihm nicht auf oder er überging es. Katie tippte auf Letzteres.
»Also Miss McKenzie. Ich werde Sie zur Wache bringen. Mein Weg führt mich sowieso dorthin. Dort wird sich sicherlich jemand finden, der Sie zu Ihrer Freundin begleiten kann«, sagte Constable Hobbs.
Jonathan betrachtete das Mädchen, nein die junge Frau, welches vor ihm stand, nun genauer. Eines musste er ihr lassen: Selbstbewusst war sie durchaus. Viel selbstbewusster als die Frauen und jungen Damen, die er durch seinen Vater, kennengelernt hatte, auf jeden Fall. Dass sie wusste, was sie wollte, war nicht zu übersehen. Ebenso wenig wie er, allerdings nur sich, eingestand, dass sie schön war. Und zwar auf eine natürliche Art und Weise. Ihre Haare waren haselnussbraun und geschickt zu einem Zopf geflochten. Sie war ungeschminkt, was bei Frauen eine absolute Seltenheit war, wie er fand, und auf ihrem Gesicht entdeckte er ein paar vereinzelte Sommersprossen. Jonathan schmunzelte leicht. Noch nie hatte er eine junge Lady oder überhaupt eine Frau mit Sommersprossen gesehen. Doch es stand ihr. Genauso wie dieses Grinsen, mit dem sie seinen Blick erwiderte. Ihre Augen, die beinahe schwarz waren, funkelten übermütig, was nun auch ihm ein Lächeln entlockte.
Nein, hilflos war diese junge Frau sicher nicht. Das konnte er wohl ausschließen. Er entdeckte zwar keine Waffe bei ihr, zumindest von außen, doch das musste noch lange nicht heißen, dass sie nichts hatte, mit dem sie sich verteidigen konnte.
»Wie gesagt Miss McKenzie«, setzte Jonathan noch einmal an »ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich Sie begleiten lassen würden.«
»Schon gut, ich habe verstanden«, sie verdrehte die Augen.
Jonathan lachte. Er konnte einfach nicht anders.
»Lachen Sie mich gerade aus?«, erkundigte sie sich.
Jonathan hörte abrupt auf zu lachen. »Entschuldigen Sie, Miss McKenzie, falls ich Sie gekränkt haben sollte. Doch eines kann ich Ihnen versprechen: Sie auszulachen würde mir niemals einfallen«, Jonathan hoffte, dass er nicht allzu eingeschnappt klingen würde.
»Das sagen Sie nur, weil Sie mich nicht kennen«, widersprach sie zu seinem Erstaunen.
»Wie bitte?«, erkundigte Jonathan sich.
»Wenn Sie mich näher kennen würden, was nicht der Fall ist, würden Sie anders mit mir reden, glauben Sie mir Constable Hobbs«, stellte sie klar.
Jonathan zog eine Braue in die Höhe und sah sie fragend an.
Sie verzog das Gesicht. Dann räusperte sie sich. »Von meinen Eltern oder anderen Bekannten werde ich oft als zu leichtsinnig befunden«, gab sie zu. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. »Sie haben das wohl vorhin auch gedacht, nicht wahr?«, wollte sie wissen. Und fügte hinzu: »Was ich durchaus verstehen könnte. Immerhin sind, das weiß ich ganz genau und bin sogar ehrlich gesagt stolz darauf, die ganzen anderen Ladys anders als ich. Aber daran kann ich nun einmal nichts ändern. Ich komme nun einmal nicht aus meiner Haut«
Jonathan räusperte sich. »Um ehrlich zu sein, ich habe das nicht gedacht. Ich war nur ziemlich überrascht, dass eine junge Lady in ihrem Alter hier ohne Begleitung unterwegs ist«, erklärte er.
Katie war fasziniert von dem jungen Constable. Er war wirklich ganz anders als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Anders auf eine Art und Weise, die ihr sehr gut gefiel. Auch wenn ich ihn nach dem heutigen Tag wahrscheinlich nie wiedersehen werde, dachte sie und beinahe bedauerte sie es. Kurzum: Er war ihr sympathisch. Sie räusperte sich.
»Sie sind also jetzt auf dem Weg zur Polizeiwache?«, erkundigte Katie sich freundlich und hoffte, dass man ihr ihre Neugierde nicht zu sehr anmerkte. Sehr zu ihrem Erstaunen antwortete er auf ihre Frage.
»Ich wohne hier in der Nähe und bin jetzt auf dem Weg zur Wache, ja. Mein Dienst beginnt nämlich in exakt«, Constable Hobbs sah auf seine Taschenuhr »fünfzehn Minuten«
Katie grinste. »Ich hoffe Sie wissen, dass Sie mir auf diese Frage nicht hätten zwingend antworten müssen?«, wollte sie belustigt wissen.
Der Constable nickte. »Ich sehe keinen Grund, warum ich Ihnen auf diese Frage nicht hätte antworten dürfen«, entgegnete er.
»Da haben Sie auch wieder Recht. Ich habe nur gedacht, da wir uns vermutlich sowieso nie wieder sehen werden, nachdem Sie mich zu Ihren Kollegen gebracht haben-«, Katie brach ab als sie sein Erstaunen sah.
»Verzeihen Sie mir Mister Hobbs. Ich wollte nicht anmaßend oder vorlaut sein. Manchmal ist meine Zunge einfach schneller als meine Gedanken. Dass mir das schon des Öfteren einigen Ärger eingebracht hat können Sie mir glauben«, sie verzog das Gesicht.
»Ich sehe nichts, was ich Ihnen verzeihen müsste. Im Gegenteil. Vielen Dank für das Kompliment. Glauben Sie mir, ich weiß es zu schätzen«, widersprach er ihr und hielt ihr seinen Arm hin. Katie hakte sich lächelnd unter.
»Sie glauben also nicht, dass ich schon öfters durch meine Unüberlegtheit in Schwierigkeiten geraten bin?«, erkundigte sie sich. Er schien ernsthaft über ihre Frage nachzudenken.
»Nun, ich denke, dass dies nicht zwingend eine schlechte Eigenschaft sein muss. Zumindest wenn man nicht völlig naiv damit umgeht«, gab er zu bedenken.
Katie lachte bitter auf. »Sagen Sie das Mal bitte meinen Eltern oder Madame Fleur«, schnaubte sie.
»Madame Fleur?«, fragte er irritiert.
Katie nickte. »Sie ist meine Anstandsdame und eine der Personen die ich am wenigsten leiden kann«, gab Katie freimütig zu. Noch während sie das tat, wunderte sie sich über sich selbst. Sie war eigentlich nicht jemand der, ohne einen anderen zu kennen, einfach über ihr eigenes Leben erzählte. Bei ihm jedoch hatte sie das Gefühl, dass sie ihm alles erzählen konnte. Woran dies lag, konnte sie sich jedoch selbst nicht genau erklären. Kurz überlegte sie, ob es vielleicht daran liegen mochte, dass er Constable bei der Polizei war - sicher war sie sich darüber allerdings nicht. Worüber sie sich jedoch ganz sicher war, war, dass sie es wirklich genoss, in seiner Gegenwart zu sein und sich mit ihm zu unterhalten. Dies wiederum war ein Gefühl, welches sie in der Gegenwart von jungen Männern in seinem Alter, und da kannte sie einige, noch nie hatte. Groß darüber nachdenken, warum dies so war hatte sie allerdings jetzt auch keine Lust.
Katie sah den jungen Constable von der Seite her an.
»Sagen Sie wird der Inspektor, dem Sie unterstehen, es gut finden wenn Sie mich einfach so mitbringen zur Wache?«, wollte sie wissen.
Der junge Constable schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher Inspektor Lansbury wird Ihre Lage verstehen«, versicherte er ihr.
»Meine Lage? Wohl eher die Ihre, oder? Immerhin habe ich Sie- Moment. Sagten Sie gerade Inspektor Lansbury? Doch nicht etwa Inspektor Richmond Lansbury?«, Katie keuchte erschrocken auf.
Constable Hobbs blieb stehen. »Stimmt etwas nicht?«, erkundigte er sich stirnrunzelnd.
Katie zuckte mit den Schultern. »Das kommt auf die Sichtweise an, denke ich«, murmelte sie.
»Miss McKenzie, wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe müssen Sie mir auch ehrlich antworten«, sagte Constable Hobbs.
Katie verzog das Gesicht. »Inspektor Lansbury ist ein guter Freund meines Vaters«, gab sie schließlich zu. »Ich bin sicher, dass er mich gleich wieder zu meinen Eltern zurück schicken wird«, Katie seufzte.
»Ich verstehe«, meinte Constable Hobbs und er schien es tatsächlich. Dann nickte er. »Ich werde versuchen Ihnen zu helfen, dass Sie Ihre Freundin besuchen können«, sagte er schließlich »versprechen kann ich Ihnen allerdings nichts«
»Constable Hobbs! Der Inspektor- Was zum Henker hast du hier verloren Katie? Und dann auch noch in Begleitung von Hobbs?«, Arthur Hitcrombe sah Katie McKenzie, die Tochter eines der besten Freunde des Inspektors, als Jonathan Hobbs mit ihr auf der Polizeiwache eintraf, überrascht an.
Bevor Katie dazu kam etwas zu sagen, mischte sich dieser auch schon ein.
»Miss McKenzie befindet sich auf dem Weg zu einer Freundin, die hier wohl wohnt. Wäre es wohl möglich, dass einer von uns sie begleitet? Ich wollte sie nicht ohne jedwede Begleitung gehen lassen«, erklärte er.
Arthur seufzte resigniert. »Sag bloß, du besuchst schon wieder Annie?«
»Mich besuchen kann sie ja schlecht Arthur! Und das weißt du ganz genau!«, giftete Katie ihn, wie von ihm bereits erwartet, giftig an.
Arthur zuckte mit den Schultern. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Hobbs und du verschwinden jetzt besser zum Inspektor, sonst gibt’s Ärger. Darauf legst du es doch nicht an, oder doch?«, erkundigte Arthur sich.
Ehe Hobbs etwas sagen konnte, mischte sich Katie ein. »Ich werde Sie begleiten Mister Hobbs«, Katie bedachte Arthur mit einem funkelnden Blick.
Arthur seufzte. »Mach was du für richtig hältst«, knurrte er, sie aber hörte es nicht mehr.
»Hobbs! Sie sind fünf Minuten zu spät!«, schallte Jonathan die Stimme des Inspektors entgegen kaum, dass er die Tür zu dessen Büro geöffnet hatte. »Bitte verzeihen Sie Sir. Es wird nicht wieder vorkommen aber-«, Jonathan wollte noch mehr sagen, doch er wurde unterbrochen.
»Mister Hobbs ist wegen mir zu spät Richmond«, sagte Katie.
Nein, für mich immer noch Katharine McKenzie, schalt Jonathan sich.
»Katie? Wieso bist du hier? Steckst du in Schwierigkeiten?«, dass Inspektor Lansbury verwundert war, war nicht zu übersehen. Wobei nur verwundert es wohl nicht genau traf. Er schien auch ein wenig verärgert zu sein.
»Sir, lassen Sie mich bitte erklären-«, setzte Jonathan an, wurde jedoch ein weiteres Mal unterbrochen. Dieses Mal nicht gerade freundlich.
»Schweigen Sie Hobbs!«, wies Lansbury ihn nämlich ziemlich scharf zurecht.
Katie, die bisher an der Seite von Jonathan gestanden hatte, machte ein paar Schritte auf den Inspektor zu. »Du ziehst doch wohl nicht etwa in Betracht Mister Hobbs zu bestrafen, weil er mir geholfen hat und deshalb fünf Minuten zu spät ist?«, ihre Stimme stand der Schärfe von Inspektor Lansbury in nichts nach.
Sie funkelte ihn an. »Oder hättest du es etwa gut geheißen wenn er einfach an mir, ohne mir seine Hilfe anzubieten, vorbei gegangen wäre?«, Katie wirkte mehr als nur ein wenig gereizt auf Jonathan.
»Katie, reiß dich bitte zusammen!«, Inspektor Lansbury verschränkte die Arme vor der Brust.
»Also? Würdest du mir jetzt bitte sagen, weshalb du hier bist?«, auch seine Stimme hatte wieder an Schärfe gewonnen.
»Ich will Annie noch einmal besuchen«, stellte sie klar.
»Annie? Du redest doch nicht etwa von der Annie. Ich hab gedacht, du hast keinen Kontakt mehr zu ihr«, sagte Inspektor Lansbury.
»Eben drum. Genau das will ich ja ändern«, meinte Katharine trotzig.
Jonathan konnte nicht anders, er musste einfach schmunzeln. Auch wenn er sich immer noch fragte, was das genau für eine Freundin war, welche sie da hatte.
»Deine Eltern wissen vermutlich nichts von deiner Aktion, Katie?«, riet Inspektor Lansbury.
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Inzwischen vermutlich schon. Aber glaub bloß nicht, dass du mich jetzt einfach nach Hause schicken kannst«, stellte sie klar.
»Schon klar«, Inspektor Lansbury seufzte. Dann sah er Hobbs an. »Da Sie sich bisher schon so um Katie gekümmert haben, können Sie das auch gleich weiter machen Hobbs. Ich will schließlich nicht auch noch Ärger von ihren Eltern, also begleiten Sie Katie zu ihrer Freundin. Und zwar möglichst schnell, sonst reißt mir auch noch der letzte Nerv«, stellte Inspektor Lansbury klar.
»Sir?«, fragend sah Jonathan ihn an.
»Jetzt machen Sie schon! Alles weitere besprechen wir später!«, rief Inspektor Lansbury und machte eine Handbewegung, als ob er Fliegen verscheuchen wollte.
»Ja Sir. Miss McKenzie? Kommen Sie bitte mit«, bat Jonathan sie.
Katie grinste Inspektor Lansbury noch einmal breit an. »Danke Richmond«, meinte sie und folgte Jonathan dann aus dem Büro.
»Ich entschuldige mich vermutlich besser schon einmal im Voraus, aber dürfte ich Sie vielleicht um noch etwas bitten?«, wollte Katie wissen.
Constable Hobbs sah sie fragend an. »Natürlich«, er nickte, ohne zu zögern.
Katie lächelte. »Würden Sie bitte aufhören mich Miss McKenzie zu nennen? Katie reicht vollkommen aus«, bat sie ihn. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.
»Aber ihr Name ist doch eigentlich Katharine, oder?«, fragte er sie schließlich. »Die einzige, die mich so nennt ist meine Mutter und manchmal mein Vater wenn er mit mir schimpft«, erklärte sie.
»Ich verstehe. Also wenn Sie darauf bestehen Miss McKenzie- Aber dann nennen Sie mich bitte auch Jonathan«, sagte er.
»Sehr gerne Jonathan«, stimmte sie ihm zu. Er reichte ihr die Hand, um ihr in eine Droschke hinein zu helfen.
»Das kann ich nur erwidern-Katie«, meinte er verlegen, nachdem er sich neben sie gesetzt und dem Kutscher das Zeichen zum losfahren gegeben hatte.
Katie sah Jonathan an. »Es ist wohl auch etwas besser wenn ich dich etwas vorwarne«, meinte sie schließlich.
»Vorwarnen? Weswegen?«, wollte Jonathan wissen.
Katie räusperte sich. »Nun wegen Annie«, sagte Katie und konnte sehr zu ihrem Ärger nicht verhindern, dass sie errötete »sie ist-« Katie brach ab.
»Eine Prostituierte«, beendete Jonathan dafür ihren Satz.
Katie errötete noch mehr. Vermutlich sehe ich jetzt aus wie eine Tomate, überlegte sie. Dann aber nickte Katie. »Das ist korrekt. Wie hast du es herausgefunden?«, erkundigte sie sich.
»Das war nicht schwer. Zumindest nicht nach den Reaktionen von Arthur und Inspektor Lansbury«, erklärte Jonathan.
Katie seufzte. »Verurteilst du mich dafür? Dass ich eine Prosituierte zu meinen Freundinnen zähle, meine ich«, Katie wusste nicht warum, doch sie wünschte sich, dass er es nicht tun würde. Sehr zu ihrer Erleichterung schüttelte er den Kopf.
»Sie zu verurteilen, hab ich erstens kein Recht und zweitens würde es mir auch niemals einfallen Miss Katie« stellte Jonathan klar. Dann grinste er, sehr zur Überraschung von Katie, breit. Es war ein geradezu schelmisches Grinsen, welches sie nicht von ihm erwartet hätte.
»Außerdem mag es wohl durchaus eine unkonventionelle Ansicht sein, doch ich bin der Meinung, dass man sich seine Freunde selbst aussuchen sollte«, fuhr Jonathan fort. Dann wurde er wieder ernst. »Auch wenn es in der heutigen Zeit durchaus gefährlich ist solche Bekanntschaften zu pflegen«, fügte er schließlich noch hinzu.
Katie verzog das Gesicht. »Darf ich dich meinen Eltern vorstellen? Vielleicht kannst du sie ja mal genau davon überzeugen! Ich versuche das seit Jahren nämlich erfolglos«, meinte sie leicht säuerlich.
Jonathan lachte. Es war ein schönes Lachen. Nicht überdreht, aufgesetzt, hysterisch oder dass sie das Gefühl hatte, er würde sie auslachen. Nein, sein Lachen war vielmehr entspannt, herzlich und wirkte auf sie, als könne er nur zu gut verstehen, was sie meinte. Was anscheinend auch tatsächlich der Fall war.
»Glauben Sie mir Miss Katie, ich kann nur zu gut nachvollziehen, wie Sie sich fühlen. Denn auch ich hatte mit meinen Eltern schon einige ganz ähnliche Differenzen und-«, er wollte wohl noch mehr sagen doch plötzlich, sowie ziemlich abrupt, wurde die Droschke angehalten.
»Was ist da vorne los?«, rief Jonathan zu dem Lenker der Droschke. »Verzeihen Sie Sir. Ich kann nicht weiterfahren, es ist eine zu große Menschenansammlung. Da ist absolut kein Durchkommen«, berichtete dieser.
»Menschenansammlung?«, wiederholte Jonathan verblüfft.
»Ja«, kam die Bestätigung von vorne.
»Dann halten Sie einfach hier«, wies Jonathan den Lenker der Droschke an und stieg aus.
Dann hielt er Katie seine Hand hin. »Ich fürchte, es wird am besten sein, wenn Sie mich begleiten. Es sei denn Sie bestehen darauf, dass Sie hier auf mich warten«, sagte Jonathan. Ohne zu zögern, was er beinahe erwartet hatte, ergriff Katie seine Hand und ließ sich von ihm aus der Droschke helfen. Dann drückte er dem Lenker der Droschke einige Pennys in die Hand.
»Was ist passiert?«, verlangte Jonathan zu wissen nachdem er sich, mit Katie an seiner Seite, nach vorne durchgearbeitet hatte.
»Ah die Polizei! Das ging aber dieses Mal ziemlich schnell! Dabei haben wir sie noch nicht einmal gerufen«, ertönte plötzlich eine spöttische Stimme.
»Die Polizei ist nicht so unfähig wie manche glauben«, erklang auf einmal eine weitere Stimme. »Inspektor West, City Police«, mischte sich ein Mann, der wohl ungefähr Ende dreißig Jahre alt war, ein und zeigte seinen Ausweis. Ihm nach folgten zehn Constables.
Jonathan runzelte die Stirn. »City Police?«, erkundigte er sich verwundert. Der Mann, der sich als Inspektor West vorgestellt hatte, nickte. »Ganz recht. Und Sie sind Constable-?«, er musterte Jonathan von oben bis unten.
»Hobbs. Jonathan Hobbs. Ich bin Constable unter Inspektor Lansbury«, stellte er klar.
»Ah unter meinem verehrten Kollegen. Sie sind wohl neu, was?«, es klang in Jonathans Ohren nicht so, als ob Inspektor West sich besonders dafür interessieren würde. Geschweige denn, dass er auch nur einen Hauch von Respekt vor Inspektor Lansbury haben würde.
Jonathan antwortete trotzdem. »Das ist richtig. Allerdings ist mir trotzdem bekannt, dass das Gebiet der City Police erst zwei Häuserblocks weiter beginnt. Dieser Block gehört noch zu der Wache von Inspektor Lansbury«, erklärte Jonathan ruhig und versuchte nicht allzu anmaßend oder belehrend zu klingen.
»Da hat Hobbs allerdings Recht«, warf jemand ein, den Jonathan als Mister Fray erkannte. Wenig später stand er auch schon bei Ihnen.
»Miss Katie, guten Tag. Es ist mir eine Freude Sie wiederzusehen«, Fray grinste sie an und zog kurz seinen Hut vor ihr.
»Danke, gleichfalls«, war alles, was Katie dazu sagte und Jonathan wurde das Gefühl nicht los, dass sie nicht besonders viel von Mister Fray hielt. Diesem jedoch schien das rein gar nicht aufzufallen.
»Also Hobbs: Worum geht es hier?«, wollte er von Jonathan wissen. »So genau weiß ich es leider selbst noch nicht, Sir«, gab dieser zu und nickte in die Richtung von Inspektor West.
»Inspektor West war schneller hier als ich nachsehen konnte«, erklärte Jonathan.
Mister Fray nickte verstehend. »Gut, dann werden wir uns das jetzt ansehen Hobbs«, meinte er. Dann wandte er sich noch an Inspektor West.
»Vielen Dank für das Angebot Ihrer Hilfe, doch ich glaube Hobbs und ich bekommen das auch alleine hin. Sie können also ohne ein schlechtes Gewissen zu haben wieder in Ihren Bezirk zurück«, Mister Fray nickte Inspektor West zu. Der war, zumindest kam es Jonathan so vor, viel zu überrascht um etwas dagegen zu sagen. Nachdem er noch irgendwas vor sich hin gebrummt hatte, drehte er sich auf dem Absatz um und verließ sie schnellen Schrittes.
»Hobbs, ich muss sagen Sie haben mich wirklich überrascht!«, sagte Adam Fray zu dem jungen Constable. Was er sagte stimmte. Er hatte weder erwartet, dass Hobbs wusste wie groß der Bezirk von Richmond, nein Inspektor Lansbury, war noch, dass er ihn hier mit Katie antreffen würde. »Also dann sehen wir uns mal die arme Socke an«, meinte er gelassen. Dann ging er zu der toten Frau, die dort auf dem Boden lag und kniete sich neben sie.
»Ihre Beobachtungen Hobbs?«, fragte er den jungen Mann, der nun neben ihm stand, während er sich die Leiche genauer ansah.
»Wenn man danach geht wie sie angezogen ist, könnte man denken sie kommt aus einem der besseren Viertel-«, überlegte Hobbs.
Adam sah auf. »Könnte?«, fragte er.
Hobbs nickte. »Ja. Denn wenn man genauer hin sieht erkennt man, dass die Kleider die sie trägt nicht gerade zueinander passen. Keine Frau aus den besseren Vierteln würde ihre Sachen so kombinieren. Außerdem erkennt man an ihren Händen Narben und leichte Schwielen«, fuhr Hobbs fort.
Adam nickte. »Sehr gut Hobbs«, meinte er anerkennend.
»Danke Sir«, bedankte Hobbs sich. Adam ging nicht weiter darauf ein. »Sonst noch irgendwelche Beobachtungen?«, hakte er nach.
Hobbs nickte. Adam sah ihn erwartungsvoll an. »Die da wären?«, fragte er. »Man erkennt es nicht sehr gut aber über der Schlagader am Handgelenk befindet sich ein Tattoo. Es könnte vielleicht eine Blume oder so etwas sein«, sagte Hobbs nachdenklich.
»Es ist eine Blume. Um genau zu sein eine Lotusblume«, war plötzlich eine zittrige Stimme zu hören.
Anno Domini 1890
England, London - West End; Villa der Familie McKenzie
»Was soll das heißen: Sie ist nicht hier«, Frank McKenzie sah seine Frau verärgert an.
Eleanor McKenzie seufzte. »Das muss ich dir doch nicht erklären, oder? Du kennst Katharine doch gut genug um zu wissen, dass es stimmt«, entgegnete sie.
»Allerdings und warum sie sich verdrückt hat weiß ich auch. Auch wenn das wohl aus irgendeinem Grund nie eine Rolle zu spielen scheint«, knurrte Frank. Dann fügte er hinzu: »Von mir hat sie diesen übergroßen Drang nach Freiheit jedenfalls nicht«.
Eleanor lachte. »Du weißt dass das nicht stimmt. Du warst ihr in deiner Jugend gar nicht mal so unähnlich-«, erinnerte sie ihren Mann belustigt. Der verzog das Gesicht.
»Nicht so sehr. Aber du hast Recht. Ein wenig ungestüm war ich schon«, Frank seufzte und als er seine Frau ansah wurde sein Blick etwas sanfter. »Ich würde mir wirklich wünschen, dass sie mehr wie du wäre«, fuhr er, ein wenig ruhiger nun, fort.
Eleanor machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Was du glaubst mir nicht?«, wollte Frank wissen. Eleanor schüttelte den Kopf. »Das hat nichts mit glauben zu tun, sondern mit Wissen. Und ich weiß, dass du es vermissen wirst wenn sie anders wäre«, meinte sie erheitert.
»Ich mein ja nur- Wenn sie mehr wie du wäre hätten wir eindeutig weniger Scherereien und Streitereien in diesem Haus. Aber du hast Recht, ich würde es tatsächlich vermissen«, gestand Frank.
»Da siehst du!«, Eleanor sah ihn triumphierend an.
Frank seufzte. Gerade als er noch etwas sagen wollte wurde die Tür zum Salon, in welchem sie sich befanden, geöffnet.
Emily, das Dienstmädchen des Hauses sah beide mit großen, erschreckten Augen an. »Madam und Mister McKenzie, Lady Katie ist wieder da. In Begleitung eines Constables«, berichtete Emily.
Frank McKenzie gehörte nicht zu den Leuten, welche die Polizei für unfähig hielten - jetzt aber war er alles andere als gut gelaunt. Es war ja schon des Öfteren vor, dass seine Tochter ihre eigenen Wege ging, was vermutlich ganz normal war, doch dass sie von der Polizei zurückgebracht wurde war noch nie passiert. Heute war wohl also wirklich nicht sein Tag. Das wiederum hatte er allerdings schon geahnt, seit er heute früh aus dem Bett gestiegen war. Frank versuchte sich an einem möglichst freundlichen Gesicht und trat dann, mit möglichst gemäßigtem Schritt, in die Eingangshalle.
»Du hättest mich wirklich nicht nach Hause begleiten müssen Jonathan«, sagte Katie mit leicht gesenkter Stimme zu diesem. Jonathan schüttelte den Kopf.
»Ich widerspreche nur ungern, doch in diesem Fall war es das Beste für Sie, Miss Katie«, entgegnete er, obwohl ihm der leicht gereizte Unterton, in ihrer Stimme, nicht entgangen war.
Statt auf ihrem Standpunkt zu beharren, was er von Katie erwartet hatte, verdrehte sie genervt die Augen. Sie seufzte. »Das weiß ich ja auch eigentlich«, gab sie schließlich zu »es ist nur so: Ich bin gerade ganz furchtbar-« Aufgebracht, wollte sie sagen, doch da erschien in der Tür eine, ihr allzu bekannte, Gestalt. »Vater!«, Katie wusste nicht genau ob sie sich freuen sollte oder nicht.
Jonathan sah den Mann, welcher gerade eingetreten war und den Katie als Vater bezeichnet hatte, aufmerksam an. Er mochte um die vierzig oder Mitte vierzig Jahre alt sein. Außerdem war er relativ vornehm gekleidet. Zwar nicht wie ein Lord oder Fürst aber so, dass man durchaus erkannte, dass er nicht zur Mittelschicht gehört. Die Haare trug er kurz geschnitten, wie es momentan bei den meisten Männern in Mode war und es auch Jonathan tat. Letzterer jedoch mehr aus praktischen Gründen. Der Blick mit dem Mister McKenzie ihn und Katie ansah war ziemlich intensiv.
»Vater«, wiederholte Katie und knickste vor ihm.
»Katharine«, ihr Vater verschränkte die Arme vor der Brust »was hast du dir nur wieder dabei gedacht, einfach zu verschwinden?«
»Es tut mir leid«, sagte Katie zerknirscht. Zerknirscht deshalb, weil es ihr so gar nicht gefiel vor Jonathan zurechtgewiesen zu werden. Ihr Vater schien es allerdings noch nicht dabei belassen zu wollen.
»Wie siehst du überhaupt aus? Geh auf dein Zimmer hoch und zieh dich um. Sofort!«, wies ihr Vater sie streng an.
»Aber-«, wollte Katie widersprechen, doch ihr Vater unterbrach sie.
»Sei lieber mal froh, dass deine Mutter mich eben etwas beruhigt hat«, erklärte ihr Vater ihr ungeduldig.
»Verzeihen Sie Sir, doch es wäre schön wenn das auf später verschoben werden kann«, mischte sich Jonathan sich ein.
Katie sah Jonathan mit großen Augen an. Es kam nicht oft vor, dass Menschen ihrem Vater widersprachen. Dazu hatten die meisten einfach viel zu viel Respekt vor ihm.
»Und Sie sind, Sir?«, erkundigte Frank McKenzie der, wie ihm jetzt erst auffiel, den jungen Constable ganz vergessen hatte.
»Constable Jonathan Hobbs. Ich gehöre zur Wache von Inspektor Lansbury«, stellte dieser sich freundlich aber dennoch ernst vor.
Frank nickte zum Zeichen, dass er zuhörte. »Dann sind Sie vermutlich die angekündigte Verstärkung, was?«, erkundigte er sich und hielt dem Constable seine Hand hin. »Mein Name ist Frank McKenzie. Ich bin der Vater von Katharine«, erklärte er unnötigerweise, wie zumindest Katie fand.
»Schön Sie kennenzulernen«, Constable Hobbs lächelte freundlich.
»Ob ich das über Sie sagen kann, weiß ich noch nicht«, Frank grinste, als er sah wie dem jungen Constable für einen Moment leicht die Gesichtszüge entglitten.
»Vater!«, kam es energisch protestierend von Katie.
Frank winkte ab. »Ich mache nur Scherze. Allerdings mach ich mir trotzdem ein wenig Sorgen warum meine Tochter von einem Polizisten nach Hause begleitet wurde. Bisher kam das nämlich noch nie vor«, gab Frank nun ernst zu bedenken.
Constable Hobbs nickte. »Wäre es in Ordnung, wenn wir das an einem anderen Ort als der Eingangshalle besprechen könnten«, bat er
. »Selbstverständlich«, bestätigte Frank »ist es in Ordnung wenn wir dazu in den Salon gehen?«
»Ja«, abermals nickte der Constable.
»Dann folgen Sie mir Constable. Und Sie sind wirklich sicher, dass Katharine wirklich dabei sein soll?«, wollte Frank wissen.
»Ja wenn das für Sie kein Problem ist. Miss Katie hat nämlich damit zu tun und es ist wahrscheinlich am besten wenn Sie nicht nur von mir sondern auch ihr erfahren«, meinte Constable Hobbs.
Frank sah seine Tochter streng an. »Darüber reden wir nachher noch Katharine!«, stellte er klar, in einem Tonfall leise genug war, dass nur sie ihn hören konnte.
»Sagen Sie Constable, Sie haben nicht zufällig Kinder?«, fragte Frank McKenzie Jonathan, nachdem dieser berichtet hatte was geschehen war.
»Nein…«, antwortete Jonathan deutlich überrascht über diese unerwartete direkte und persönliche Frage.
»Vater! Das ist nicht witzig!«, rief gleichzeitig Katie empört die, mal wieder, vor lauter Verlegenheit rot geworden war wie eine Tomate.
Frank McKenzie jedoch ignorierte Katie und redete einfach weiter. »Eins sage ich Ihnen Constable. Wenn Sie irgendwann einmal Vater sein sollten: Ich hoffe wirklich für Sie, dass es keine Tochter ist. Meine macht mir jedenfalls nichts als Ärger«, sagte Frank McKenzie.
»Vater! Würdest du bitte aufhören?«, Katies Stimme schoss einige Oktaven in die Höhe.
Scheinbar fühlt sie sich alles andere als wohl in ihrer Haut, überlegte Jonathan. Dann räusperte Jonathan sich. »Können wir bitte das Thema wechseln?«, fragte er dann jedoch höflich. Und fügte ernst hinzu: »Schließlich stehen wir gerade vor einem ganz anderen und meines Erachtens deutlich wichtigerem Problem«.
»Keine Sorge, ich habe nur gescherzt«, Frank McKenzie verzog das Gesicht. »Ich muss Ihnen jedoch zustimmen. Wir haben jetzt eindeutig wichtigere Dinge zu besprechen«, stimmte er Jonathan zu. Dann nahm er ein Glas aus einem in der Nähe stehenden Schrank. »Trinken Sie mit?«, erkundigte Frank McKenzie sich höflich.
Jonathan schüttelte den Kopf. »Nicht im Dienst«, stellte er klar.
»Schade«, meinte Frank McKenzie und goss sich ein Glas Brandy ein.
Katie machte einen Schritt nach vorne so, dass sie jetzt ebenfalls den Körper der jungen Frau die dort lag genauer sehen konnte. Als sie sie erkannte überkam Katie ein leichter Schwindel. Wie von ferne hörte sie den Beobachtungen von Jonathan zu. »Man erkennt es nicht sehr gut aber über der Schlagader am Handgelenk befindet sich ein Tattoo. Es könnte vielleicht eine Blume oder so etwas sein«, sagte Jonathan gerade nachdenklich.
Ohne zu wissen warum überkam Katie ein Gefühl erklären zu müssen um wen und was es sich hier handelte. »Es ist eine Blume. Um genau zu sein eine Lotusblume«, meldete sie sich mit zittriger Stimme zu Wort. Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, konnte sie sich auch schon der Aufmerksamkeit von Adam Fray und Jonathan gewiss sein. Katie sah Jonathan an.
Der erwiderte ihren Blick ernst.
»Dies hier ist Annie«, erklärte Katie, sehr darum bemüht den Tornado ihrer Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, welches ihr vermutlich mehr schlecht als Recht gelang.
»Katie, wäre es in Ordnung für Sie, wenn ich Sie nach Hause bringe?«, schlug Jonathan vor, dem anscheinend nicht entgangen war wie sie sich fühlte.
Katie nickte. »Selbstverständlich. Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass das im Moment das Beste ist«, stimmte sie ihr zu.
Jonathan wechselte einen Blick mit Adam Fray. Der nickte ebenfalls. »Keine Sorge Hobbs. Ich rede mit dem Inspektor und erkläre ihm alles. Sie müssen sich also keine Sorgen machen. Außerdem kann ich mich hier dann mal in aller Ruhe umsehen«, meinte er.
»Vielen Dank, Sir«, bedankte Jonathan sich.
Katie nickte Adam Fray einfach nur zu. Um etwas zu sagen war sie einfach noch zu sehr geschockt. Adam Fray jedoch schien ihr das nicht übel zu nehmen.
»Katie!«, riss die Stimme ihres Vaters sie mit einem Mal aus ihren Gedanken. »Ich kann verstehen, dass du dich momentan wohl nicht gerade gut fühlst - aber würdest du dich bitte zusammen reißen?«, es klang mehr nach einem Befehl, als nach einer Bitte.
»Natürlich Vater«, Katie lächelte zerknirscht.
Jonathan räusperte sich. »Von mir aus gibt es im Moment nichts mehr zu klären, denke ich«, wandte Jonathan ein.
Genau in diesem Moment ging die Tür zum Salon auf und herein traten Adam Fray und Inspektor Lansbury, gefolgt von Emily, dem Hausmädchen, wie Katie auffiel.
»Noch mehr Polizei? Wozu das denn?«, wunderte Frank McKenzie sich und sprach damit das aus was Katie gerade dachte. Sie sah zu Jonathan. Der schien ebenfalls überrascht zu sein und die beiden Männer nicht erwartet zu haben. Ob das nun gut oder schlecht war, konnte Katie nicht sagen.
»Inspektor Lansbury, Mister Fray. Ich hatte Sie beide hier nicht erwartet«, gab Jonathan zu, ehe einer der Anwesenden etwas sagen konnte.
Inspektor Lansbury zuckte mit den Schultern. »Das Gleiche könnte ich von Ihnen behaupten Hobbs«, begann er und redete, bevor Jonathan darauf etwas erwidern konnte, einfach weiter. »Allerdings wundert es mich nicht besonders, nachdem was passiert ist. Adam hat mir bereits von allem erzählt«, fuhr er fort.
Jonathan nickte. Etwas anderes fiel ihm im Moment einfach nicht ein. Das war allerdings auch gar nicht nötig, wie er wenig später feststellte.
»Wir haben etwas zu besprechen«, stellte Inspektor Lansbury klar »und es wäre mir sehr recht wenn deine Tochter dabei bleiben könnte Frank«. Letzteres sagte Inspektor Lansbury zu Frank McKenzie. Der seufzte wenig begeistert.
»Nun gut. Du hast es gehört Katie. Bleib bitte hier«, sagte er zu ihr.
Katie unterdrückte gerade noch rechtzeitig den Kommentar, dass sie auch ohne diese Bitte hier geblieben wäre. Oder zumindest irgendeinen Weg gefunden hätte um zu erfahren um was es hier ging. Denn das interessierte sie wirklich. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, was mit Annie geschehen war. Wenn nicht direkt, dann doch indirekt. Katie sah aus den Augenwinkeln hinüber zu Jonathan hinüber. Dieser wirkte eindeutig besorgt. Er schien einen Moment lang mit sich zu ringen, dann hörte sie ihn fragen: »Inspektor Lansbury denken Sie, dass dies ein Werk des Rippers war?«
Jonathan hatte nicht laut gesprochen. Sondern ruhig. Beinahe gelassen. Doch das tat nichts zur Sache. Er wusste, dass jeder, in diesem Raum, ihn verstanden hatte. Katie, die neben ihrem Vater stand, sah ihn mit weit vor Schreck aufgerissenen Augen an. Beinahe tat es ihm Leid gefragt zu haben. Schließlich wollte er sie nicht ohne Grund ängstigen. Doch er konnte einfach nicht anders. Als er sah wie der Inspektor den Kopf schüttelte war Jonathan mehr als erleichtert.
»Nein«, entgegnete Inspektor Lansbury »dazu passt nicht wie sie getötet wurde. Das müssten Sie doch wissen Hobbs. Sie haben die Leiche schließlich selbst gesehen«
»Sir es ist richtig, dass ich die die Leiche gesehen habe, doch in dem Fall von Jack the Ripper kenne ich mich zu wenig aus um das genau zu beurteilen können«, gab Jonathan zu bedenken.
»Gute Antwort Hobbs«, mischte sich Adam Fray nun ein. Er räusperte sich. »Erinnern Sie sich an das Tattoo auf ihrem Handgelenk?«, fragte Adam Fray.
»Sie reden von der Lotusblüte?«, warf Katie ein.
»Richtig«, bestätigte Adam Fray.
»Eine Lotusblüte? Auf dem Handgelenk?«, das Gesicht von Katies Vater war mit einem Mal aschfahl.
»Vater?«, beunruhigt sah Katie ihn an. Bei allem was gerade passierte, beschlich sie ein Gefühl welches so gar nichts Gutes verhieß.
»Wissen Sie etwas darüber?«, erkundigte Jonathan sich.
Katies Vater zuckte mit den Schultern. »Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet, aber ich habe einiges darüber gehört - und zwar nichts Gutes«, er räusperte sich. »Jedoch weiß ich genug um diesen Leuten aus dem Weg gehen zu wollen. Man sollte sich nicht mit ihnen anlegen«, fuhr er fort.
»Diesen Leuten?«, fragte Jonathan perplex.
»Dem Rat der Zwölf«, sagte Adam Fray bevor Katies Vater antworten konnte.
»Nicht so laut!«, herrschte Frank McKenzie ihn an. Noch immer hatte er eine mehr als ungesunde Gesichtsfarbe. Dann räusperte er sich. »Ich habe bisher immer versucht meine Familie aus allem was diese Leute betrifft heraus zu halten, wie es jetzt allerdings scheint vergeblich«, murmelte Frank McKenzie halblaut vor sich hin. Dann wandte er sich an Katie. »Katie, was ich dich jetzt fragen werde ist sehr wichtig. Was weißt du alles über Annie?«, erkundigte er sich bei seiner Tochter.
Diese zuckte mit den Schultern. »Sie war meine beste Freundin. Sie war eine- Prostituierte und zwar eine sehr angesehene. Sie hatte einen ziemlichen Dickschädel und hat sich auch des Öfteren mit der Madame des Hauses angelegt, wenn ihr etwas nicht gefiel. Sie hatte eine Vorliebe für kleine Vögel und Blumen. Die exotischen haben ihr immer am besten gefallen. Außerdem war sie immer sehr nett zu mir-«, berichtete Katie.
»Was ist mit Feinden?«, hörte sie Jonathan fragen.
»Feinde?«, Katie schnaubte. »Keiner der in diesem Klientel arbeitet, ist besonders beliebt. Bestimmt hatte sie welche. Fragen Sie mich aber bitte nicht wer und was für Feinde das waren. Da werde ich Ihnen nämlich nicht weiterhelfen können«, sagte Katie spitz.
»Trotzdem danke«, bedankte sich Jonathan freundlich, während Inspektor Lansbury ungeduldig schnalzte.
Adam Fray dagegen lachte amüsiert.
Jonathan überlegte einen Moment. Dann fiel ihm etwas ein. »Diese Lotusblume scheint eine Rolle zu spielen, richtig? Blumen werden heutzutage doch verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, gibt es hierzu etwas was wir als Information verwenden könnten?«, wollte er wissen.
»Das kommt ganz darauf an wonach Sie suchen«, meldete sich Frank McKenzie wieder zu Wort. Jonathan sah ihn interessiert an.
»Was meinen Sie damit?«, erkundigte er sich bei ihm.
»Nun ja, die Lotusblume hat verschiedene Bedeutungen und nicht nur eine einzige, Constable«, begann Frank McKenzie.
»Die drei, die am meisten heraus stechen, sind Reinheit, Vollkommenheit und Religion«, erklärte er. »Was für eine Farbe hatte die Lotusblume denn?«
»Die Lotusblume war weiß und makellos gezeichnet. Ohne jeglichen Fehler, zumindest soweit ich das beurteilen kann«, antwortete Adam Fray bevor Jonathan auch nur ein Wort sagen konnte.
Gerade als Jonathan erneut ansetzen wollte, kam ihm wieder jemand zuvor. Dieses Mal war es Katie. Das allerdings machte ihm nicht besonders viel aus, denn sie stellte exakt die Frage, die er auch hatte stellen wollen. »Wer oder was ist dieser Rat der Zwölf denn nun genau?«, wollte sie wissen.
»Was der Rat der Zwölf genau ist? Das kann noch nicht einmal ich dir, oder vermutlich auch jeder andere, genau sagen«, meinte Frank McKenzie resigniert. »Das einzige was ich weiß ist, dass es eine Art Sekte ist«, sagte er.
»Eine religiöse Sekte?«, hakte Jonathan nach.
Frank McKenzie schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht direkt jedenfalls. Es handelt sich mehr um eine Art Vereinigung. Eine Vereinigung die nach Gerechtigkeit strebt«, erklärte Frank McKenzie.
»Gerechtigkeit«, Katie schnaubte abfällig. »Soll das was sie Annie angetan haben etwa gerecht sein?«, sie war ehrlich wütend.
»Nein. Gerecht war das ganz sicher nicht«, stimmte ihr Vater ihr zu.
»Nun ja, Gerechtigkeit hat immer mehrere Seiten, nicht wahr?«, wandte Jonathan ein.
»Allerdings. Da müssen Sie sich nur die Bürgerwehr ansehen, Miss Katie. Die handelt auch meist vorschnell«, mischte sich Adam Fray ein.
Inspektor Lansbury nickte missmutig. »Ja. Aber mit der haben wir uns mehr oder weniger arrangiert. Das wird wohl in diesem Fall nicht gehen, wie ich vermute?«, fragte Inspektor Lansbury Frank McKenzie.
Dieser schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht. Es ist ja noch nicht einmal offiziell bekannt, dass es diese Vereinigung überhaupt gibt. Ganz zu schweigen davon, dass man weiß wer der Kopf davon ist«, sagte Frank McKenzie und räusperte sich.
»Ganz davon abgesehen, sehe ich immer noch nicht ganz ein was das alles mit meiner Tochter zu tun hat. Zumindest wenn mal absieht, dass sie mit jemandem befreundet war der ihnen angehörte. Was ich, wie ich betonen möchte, nicht gewusst habe. Wäre es mir bekannt gewesen, ich hätte den Kontakt sofort unterbunden«, stellte Frank McKenzie klar
. »Das ist ja alles schön und gut«, knurrte Katie »aber woher weißt du eigentlich so viel darüber?«.
Mit einem Mal sah Katie sich mit den Blicken aus vier Augenpaaren konfrontiert. »Was denn?«, fragte sie und bemühte sich möglichst ruhig zu klingen.
»An dem was Ihre Tochter sagt, ist etwas Wahres dran«, meinte nun auch Jonathan. »Woher wissen Sie darüber Bescheid?«, wollte er wissen.
»Durch einen unglücklichen Zufall«, die Stimme von Frank McKenzie klang wie ein Reibeisen. »Durch einen unglücklichen Zufall, den ich gerne mit Ihnen besprechen werde wenn meine Tochter dabei nicht zugegen ist«, erklärte Frank McKenzie.
Katie stemmte die Hände aufgebracht in die Hüften. »Was soll das heißen? Ich war schließlich die Freundin von Annie! Ich habe ein Recht das zu erfahren!«, beschwerte sie sich bei ihrem Vater.
Jonathan nickte nachdenklich. »Stimmt. Wenn Annie wirklich zu dieser Vereinigung gehört hat und das eine Art Sekte ist, dann ist mit Sicherheit bekannt mit wem Annie ihre Zeit verbracht hat. Das würde bedeuten, dass man Miss Katie kennt«, gab er zu bedenken.
»Was-?«, Katies Vater war zum zweiten Mal an diesem Abend bleich geworden. Seine Gesichtsfarbe glich der einer Leiche.
Katie fühlte sich gezwungen etwas zu sagen. »Ich bin siebzehn Vater. Ich bin kein Kind mehr-«, wandte sie ein.
Frank McKenzie schnitt ihr mit einer herrischen Handbewegung das Wort ab. »Du bist ein Kind. Und in dieser Sache kann ich dich leider nicht beschützen. Das liegt nicht in meiner Macht. So sehr ich es mir auch wünschen würde«, sagte er bitter.
»Ich kann das machen«, schlug Jonathan vor. Mit einem Mal sah er sich mit der Aufmerksamkeit aller konfrontiert.
»Ich kann das machen. Also Miss Katie beschützen«, sagte Jonathan noch einmal.
»Das ist eine gute Idee«, meldete sich zur Überraschung aller Adam Fray zu Wort.
»Eine gute Idee? Adam! Ich brauche Hobbs im Büro«, erinnerte Inspektor Lansbury seinen Freund verärgert.
Adam schüttelte den Kopf. »Wir sind bisher auch relativ gut ohne den Telegraphen ausgekommen. Wenn wir ihn jetzt für ein oder zwei Wochen immer noch nicht in Betrieb haben, wird das wohl nicht gerade ein Weltuntergang für uns sein«, meinte er leichthin.
Inspektor Lansbury knurrte etwas vor sich hin, was keiner so wirklich verstand, geschweige denn verstehen wollte. Das einzige was gut herauszuhören war, war »andere Pläne«. Dann nickte er schließlich »Wenn es denn sein muss. Aber ich erwarte mindestens einmal die Woche einen ausführlichen Bericht, den Sie persönlich bei mir abliefern. Ist das klar?«, Inspektor Lansburys Stimme hatte nun deutlich an Schärfe zugenommen.
»Selbstverständlich Sir«, Jonathan salutierte kurz. Inspektor Lansbury nickte ungeduldig.
»Schon gut. Aber für Ihre Unterkunft müssen Sie selbst sorgen Hobbs, das gilt auch für die Bezahlung derselben und andere zusätzlich anfallende Kosten. Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, wie knapp wir mit dem Geld dran sind, oder?«, erkundigte er sich.
Bevor Jonathan irgendwas sagen konnte, mischte sich Katie ein. »Das wird kein Problem sein. Es gibt hier in unserer Villa schließlich zwei, drei Gästezimmer«, erklärte sie mit vor Aufregung funkelnden Augen.
»Nein. Das ist keine gute Idee«, sagte Jonathan ernst »zumindest wenn man vermeiden will, dass der Rest Ihrer Familie in diese Sache involviert ist«.
Anno Domini 1890
England, London - West End
»Ist das wirklich notwendig?«, erkundigte Katie sich bei Jonathan. Der nickte entschlossen. Schon seit geraumer Zeit versuchte er ihr zu erklären, dass es am sichersten für sie wäre wenn sie von nun an alles mit ihm vorher besprechen würde. Einfacher wäre auf jeden Fall für ihn. Doch leider war Katie, was das anging, stur und sein Vorhaben daher nur wenig bis gar nicht von Erfolg gekrönt.
»Ich werde ganz sicher nicht einfach nur zuhause herum sitzen!«, zischte sie Jonathan an und schenkte dem Händler, vor dessen Warenstand sie sich gerade unterhielten, ein strahlendes Lächeln.
Jonathan seufzte. So langsam war er sich nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, dass er auf Katie aufpasste. Es gefiel ihm zwar, wie er insgeheim zugeben musste, dass sie wusste was sie wollte aber es konnte einem schnell den letzten Nerv rauben.
»Darauf bestehe ich auch gar nicht, wie du sehr gut weißt. Es wäre nur schön wenn mir sagen würdest, was du in nächster Zeit vorhast und ich dich begleiten dürfte«, stellte Jonathan ungeduldig, nun mit etwas lauterer Stimme, klar.
»Das kommt nicht in Frage!«, entgegnete Katie nun für alle hörbar.
»Miss, bedrängt dieser junge Kerl sie etwa? Wenn Sie es wünschen kann ich die Polizei rufen. Die nächste ist nicht weit von hier. Es wäre also schnell jemand da«, bot der Händler Katie an und strafte Jonathan mit einem bösen Blick.
Katie sah Jonathan amüsiert an. »Was denkst du Jonathan? Soll dieser nette Mann die Polizei rufen?«, sie konnte sich ein Grinsen nicht länger verkneifen.
Jonathan schnaubte als Antwort.
»Du hast Recht. Das wäre wohl etwas zu sehr übertrieben. Wir sind schließlich erwachsen«, sagte Katie immer noch grinsend. Dann räusperte sie sich. »Nun wie dem auch sei- Danke jedenfalls für das Angebot«, sie lächelte den Händler noch einmal freundlich an, dann ging sie einfach weiter. Jonathan folgte ihr, ohne zu zögern.
»Ich weiß, dass du dir Sorgen machst Jonathan. Und auch, dass du nur höflich sein willst aber du musst dir wirklich nicht so viele Sorgen um mich machen«, meinte Katie, die so langsam ein schlechtes Gewissen bekam. »Ich bin nämlich nicht so hilflos wie ich vielleicht aussehe, weißt du?«, fragte sie.
»Was macht dich da so sicher? Musstest du dich denn schon einmal richtig ernsthaft verteidigen?«, konterte Jonathan gereizt.
Katie seufzte. »Nein. Du hast Recht. In eine wirklich gefährliche Auseinandersetzung bin ich noch nie geraten«, gab sie zu.
Jonathan nickte. Genau diese Antwort, oder zumindest eine ähnliche, hatte er erwartet. »Also was machen wir jetzt?«, wollte er wissen.
»Na gut«, lenkte Katie schließlich nach kurzem Schweigen ein »ich zeig dir meinen Terminplan. Aber du kannst nicht zu allen Terminen mit, dass das klar ist«, erklärte Katie ihm. Dann sah sie Jonathan an. »Außerdem wäre es schön, wenn du ein wenig entspannter wärst. Du kommst einem so vor wie ein«, an dieser Stelle konnte Katie ein breites Grinsen nicht zurückhalten »steifer Polizist«.
Jonathan starrte Katie irritiert an. »Ich bin ein Constable, Katie«, erinnerte er sie.
»Ach, sag bloß«, Katie schnaubte. »Dir ist aber schon klar, dass du versuchen musst dich zu entspannen oder wenigstens ein bisschen lockerer zu werden? Ansonsten hilft es dir noch nicht einmal, dass du in Zivil arbeitest«, meinte sie jetzt wieder mit gesenkter Stimme.
Jonathan schüttelte resigniert den Kopf. Er hatte einfach keine Ahnung, was er dazu sagen sollte.
Katie musterte Jonathan nachdenklich. »Tut mir leid«, sagte sie schließlich »es ist nur so, dass ich mich dann abhängig fühle. Und das will ich mehr als alles andere nicht sein. Verstehst du das?«
»Ich denke schon. Trotzdem: Es geht nicht anders«, sagte Jonathan.
»Ich weiß«, Katie verzog das Gesicht. »Trotzdem«, fügte sie nun wieder etwas belustigt hinzu »das was ich gerade gesagt habe, habe ich durchaus ernst gemeint«.
»Wovon sprichst du?«, wollte Jonathan wissen.
»Davon wie du dich verhältst. Es ist wie ich gesagt habe. Du musst ein wenig lockerer werden, sonst können wir das Ganze hier gleich vergessen«, meinte sie.
»Das Ganze hier?«, wiederholte Jonathan stirnrunzelnd.
Katie seufzte. »Ist dir noch nie aufgefallen wie du dich benimmst? So ausgesucht höflich und-« Sie suchte nach einem passenden Wort »ernst«. Ein besseres Wort fiel ihr einfach nicht ein. »Es wird für keinen weither geholt sein, dass du ein Constable bist. Obwohl höflich zu sein natürlich nichts Schlechtes ist«, fuhr sie fort.
Jonathan nickte. Langsam glaubte er zu verstehen, was Katie meinte.
»Ich kann dieses Verhalten nicht einfach so ablegen. Meine Eltern, insbesondere mein Vater, haben mich so erzogen«, gab Jonathan zu bedenken.
Katie lachte und ihre Augen funkelten amüsiert.
»Glaub mir, wir kriegen das schon zusammen hin. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich dich komplett ändern will. Wie gesagt: Höflichkeit ist definitiv wichtig. Vor allen Dingen hier«, entgegnete Katie lächelnd.
Jonathan seufzte innerlich. Er wurde aus Katie einfach nicht schlau. Nie zuvor hatte er eine junge Frau wie sie kennengelernt. Eine die ohne zu zögern und vollkommen selbstbewusst, ihre Meinung vertrat, dass es einem bald unangenehm war Widerworte zu geben. »Ich werde versuchen mich zusammenzureißen«, sagte Jonathan und konnte sich ein Grinsen nun doch nicht mehr verkneifen.
»Lachst du mich etwa gerade aus?«, erkundigte sich Katie, als sie es bemerkte.
»Selbstverständlich nicht. Sollte es so ausgesehen haben, tut es mir leid«, entschuldigte Jonathan sich bei ihr.
»Da du tust es schon wieder!«
»Was denn?«, irritiert sah Jonathan sie an.
»Dich so höflich verhalten. Beinahe unterwürfig?«
»Unterwürfig? Aber ich habe mich doch nur entschuldigt!«, so langsam wurde es Jonathan wirklich zu viel.
Katie verdrehte die Augen und seufzte dabei genervt. »Benimm dich einfach mal lockerer«, bat sie Jonathan bemüht ruhig. Dieser ballte, ohne es selbst zu bemerken, kurz die Hände zu Fäusten.
»Also gut, ich werde mir Mühe geben. Aber im Gegenzug tust du selbiges für mich und versuchst nicht gleich alles nach deinem Gutdünken durchzusetzen, sondern redest vorher mit mir.«
»Mach ich doch auch so schon!«
Jonathan seufzte leise und ersparte es sich etwas darauf zu entgegnen. Andererseits wäre es auch gar nicht möglich gewesen, denn auf einmal stieß Katie einen spitzen Schrei aus und fasste ihn bei seinem Arm.
»Verdammt das habe ich ja ganz vergessen! Kein Wunder, ich hab ja auch absolut keine Lust drauf. Allerdings könnte das natürlich auch eine fantastische Gelegenheit für uns sein-«
»Dürfte ich erfahren wovon du redest?«, erkundigte Jonathan sich bemüht ruhig.
Katie ließ seinen Arm los. »Meine Eltern empfangen heute Abend Gäste. Die meisten sind Geschäftspartner meines Vaters. Einige davon gehören zur sogenannten Elite, wenn du weißt was ich meine. Wann immer sie bei uns sind wird allerdings nicht nur über Geschäfte geredet sondern auch über den neuesten Tratsch. Was unvermeidlich ist, da die Geschäftspartner meines Vaters meistens mit ihren Frauen, Töchtern und Söhnen kommen«, sie verzog für einen Moment ihr Gesicht, was Jonathan nicht entging.
»Ich denke ich weiß worauf du hinaus willst und die Idee ist gar nicht mal so schlecht«, stimmte er ihr zu.
»Gut, dann müssen wir jetzt zurück. Denn in einer halben Stunde geht es los«, teilte Katie Jonathan mit.
»Katherine! Wo warst du schon wieder?«, aufgebracht und geradezu bedrohlich hatte sich Madame Fleur vor Katie aufgebaut. Dass Jonathan neben Katie stand und Madame Fleur stirnrunzelnd musterte, fiel dieser gar nicht auf. »Du weißt ganz genau, dass du in zwanzig Minuten pünktlich zu Beginn der Veranstaltung deines Vaters erwartet wirst!«, schimpfte sie. Dann entdeckte Madame Fleur Jonathan. »Und wer sind Sie überhaupt?«, sie machte sich keine Mühe ihre Geringschätzung zu verbergen.
Jonathan verneigte sich höflich. »Ein guter Freund der Familie. Mein Name ist Jonathan Hobbs«, entgegnete er. Dann lächelte er sie gewinnend an. »Und Sie sind Miss-?«
»Nicht Miss, sondern Madame. Madame Fleur. Ich bin die Anstandsdame von Katherine.«
Katie nickte. »Ich hatte doch schon einmal von ihr erzählt, erinnerst du dich nicht?«
»Aber natürlich!«, Jonathans Lächeln, mit dem er Madame Fleur ansah, wurde eine Spur breiter. »Wie konnte ich das nur vergessen! Bitte verzeihen Sie mir. Madame Fleur. Miss Katherine hat Recht. Sie hat mir von Ihnen erzählt. Natürlich nur gutes«
»Ach wirklich?«, Madame Fleur sah aus, als wäre sie sich nicht sicher, was sie eigentlich sagen oder glauben sollte. Ihre Wut jedoch schien jedoch verraucht zu sein.
»Natürlich. Und wie ich sehe hat sie nicht übertrieben«
Katie konnte nur schwer an sich halten, um nicht laut loszuprusten. Es war einfach unglaublich, wie Jonathan Madame Fleur um den Finger wickelte. Sie einfach anlog. Es stimmte zwar, dass Katie ihm von ihr erzählt hatte aber der Wortlaut war ein ganz anderer, als der wie Jonathan ihn darstellte. Ihre exakte Wortwahl war vielmehr gewesen: Ich bin von zuhause ausgerissen ohne meiner Anstandsdame, die wahrscheinlich nachher zu einer Furie wird, oder meinen Eltern Bescheid zu sagen hierhergekommen um eine Freundin zu besuchen.
»Madame Fleur, ich werde auf mein Zimmer gehen und mich fertig machen. Könnten Sie Jonathan bitte einen Anzug oder dergleichen besorgen? Es dürfte sich hier doch sicherlich etwas finden?«
»Was-? Ja, natürlich Miss Katherine-«
Kaum dass Katie in ihrem Zimmer angekommen war, schloss sie die Tür hinter sich und lachte dann herzlich los. Noch nie in ihrem ganzen Leben, oder besser seit sie Madame Fleur kannte, hatte sie sie je so verblüfft und irritiert erlebt. Und erst recht hatte Katie nicht damit gerechnet, dass Jonathan Madame Fleur so gut im Griff haben würde. Dass er sie einfach ohne mit der Wimper zu zucken anlügen würde. Wobei genau genommen ja nicht alles gelogen war. Schließlich stimmte es. Katie sah in Jonathan, obwohl sie ihn noch nicht lange kannte, einen Freund. Dass er ihr als Beschützer zur Seite gestellt worden war spielte keine große Rolle, sondern war mehr so etwas wie ein Nebeneffekt. Allerdings würde sie sich hüten das irgendjemandem zu sagen. Erst Recht nicht Jonathan oder, noch schlimmer, ihrem Vater. Nein, darauf konnte sie wirklich gut verzichten. Aber warum dachte sie eigentlich darüber nach? Das stand schließlich jetzt nicht zur Debatte. Das Wichtigste war jetzt, dass sie pünktlich unten im Salon erschien und vorher noch was Ordentliches zum Anziehen fand. Wenn es nach ihr gehen würde, würde sie ihre momentane Kleidung einfach anlassen. Allerdings wäre das wohl eine ziemlich schlechte Idee da Madame Fleur deswegen einen hysterischen Anfall bekommen und ihr Vater ihr sobald wie möglich einen Vortrag über Manieren halten würde. Da hatte sie wirklich absolut keine Lust drauf.
»Amüsieren Sie sich Hobbs? Es ist doch sicher nicht das erste Mal, dass Sie auf solch einer Veranstaltung sind?«, Frank McKenzie musterte Jonathan Hobbs. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand und erst recht vor niemand anderem sagen würde, so imponierten ihm die Manieren des jungen Mannes.
»Ich weiß nicht ob amüsieren das richtige Wort dafür ist, Sir. Schließlich sind das Ihre Geschäftspartner, nicht wahr?«
Frank schmunzelte. »Und dennoch wirken Sie auf mich als seien Ihnen solcherlei Veranstaltungen nicht fremd«, entgegnete er.
»Das stimmt. Bis zu Beginn meiner Ausbildung habe ich des Öfteren an welchen teilgenommen. Zusammen mit meinem Vater-«, für einen Augenblick verfinsterte sich Jonathans Miene, was Frank nicht entging.
»Als was arbeitet Ihr Vater? Ist es möglich, dass ich ihn kenne? Er ist doch nicht etwa auch Polizist?«
»Möglich. Und nein er ist kein Polizist. Noch nicht einmal im Traum würde er sich so etwas vorstellen, was ich genauso wenig kann. Wenn es nach ihm ginge wäre ich es ebenso wenig-«
»Das klingt als hätten Sie Streit mit Ihrem Vater«, mutmaßte Frank und sah Jonathan neugierig an. Der schüttelte den Kopf.
»Keineswegs, Sir. Nur mit meiner Berufswahl war er nicht einverstanden. Vor allem da ich sein einziger Sohn bin. Ansonsten verstehen wir uns sehr gut. Sein Name ist Richmond Hobbs. Er hat die Oberverwaltung über den Hafen inne und besitzt zwei eigene Handelsschiffe«
»Richmond Hobbs-«, wiederholte Frank nachdenklich. »Irgendwoher kommt mir der Name bekannt vor aber-«
»Ihr werdet jetzt doch wohl nicht über Geschäfte und Politik reden!«, ohne dass sie es bemerkt hatten war Katie zu ihnen getreten.
»Katherine McKenzie. Wieso hat das denn wieder so lange gedauert?«, erkundigte sich ihr Vater natürlich sofort.
Katie verdrehte die Augen. »Sei doch froh Vater, so konntest du dich ein wenig mit Jonathan unterhalten«, konterte sie. Sie sah Jonathan an. »Der Anzug steht dir«, sagte sie, jedoch gerade so laut, dass nur er sie hören konnte.
Frank seufzte. »Wenigstens bist du pünktlich zur Eröffnung des Tanzes gekommen«, er nickte Jonathan zu. »Wir reden später weiter Hobbs.«
»Gerne, Sir«, Jonathan deutete eine Verbeugung an und wandte sich dann Katie zu. »Du siehst wunderschön aus.«
»Danke«, Katie lächelte. »Das zu sagen ist sehr freundlich von dir. Aber ehrlich gesagt habe ich eigentlich einfach nur in den Schrank gegriffen und irgendwas heraus gezogen«, sie grinste.
Jonathan lachte leise. »Das kann ich mir kaum vorstellen«
»Doch wirklich«, versicherte sie ihm. Dann räusperte sie sich. »Madame Fleur würde sagen, dass der Mann das zuerst fragen sollte aber hast du vielleicht Lust mit mir den Tanz zu eröffnen? Du kannst doch tanzen, oder?«
Nun musste Jonathan wirklich lachen. »Ich würde mich geehrt fühlen Miss Katie. Und ja ich kann tanzen. Zwar bin ich kein Profi aber deine Füße sollten in Sicherheit sein«
»Dann ist ja alles in Ordnung Mister Hobbs«, auch sie lachte jetzt. Dann aber wurde sie ernst. »Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben und du jetzt hier bist. So traurig die Umstände auch sein mögen«, fühlte sie sich plötzlich verpflichtet zu sagen.
»Danke, gleichfalls«, Jonathan hielt ihr seine Hand hin, welche Katie, ohne zu zögern ergriff, um sich in die Mitte des Saals führen zu lassen.
Jonathan schlug das Herz bis zum Hals, so aufgeregt war er. Eigentlich absolut nicht verwunderlich, schließlich habe ich schon seit mehreren Jahren nicht mehr getanzt, überlegte er. Dass er es nun auch noch mit Katie tat, steigerte seine Aufregung nur noch mehr und er hoffte inständig, dass sie es nicht bemerkte. Doch natürlich entging ihr es nicht.
»Tanzen macht Spaß Jonathan. Also entspann dich mal ein bisschen«, sie zwinkerte ihm zu.
»Verzeih mir«, entschuldigte Jonathan sich automatisch. Einen Augenblick später hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen, schließlich wusste er nur zu gut, was Katie davon hielt, wenn er so etwas sagte. Doch er irrte sich.
»Lass uns einfach tanzen, ja?«, schlug Katie fröhlich vor.
Jonathan atmete tief durch, reichte ihr seine Hände und nahm die korrekte Tanzhaltung ein. Dann begann die Musik auch schon zu spielen.
»Mister McKenzie, verzeihen Sie wenn ich Sie störe, doch wer ist der junge Mann der dort mit Ihrer Tochter tanzt? Ich habe ihn auf Ihren Veranstaltungen noch nie gesehen«, riss eine, ihm bekannte, Stimme Frank aus seinen Gedanken.
»Raymond«, Frank drehte sich um, nur um in das Gesicht eines seiner wichtigsten Geschäftspartner zu sehen. »Ich glaube nicht, dass Ihr ihn kennt.«
»Natürlich kenne ich ihn nicht. Sonst hätte ich Euch ja wohl kaum nach ihm gefragt. Also raus damit: Wer ist es?«
»Der Sohn von Richmond Hobbs, dem Oberverwalter des Hafens von London«, antwortete Frank, der sich an Jonathans Worte erinnerte »meine Tochter und er haben sich vor ein paar Tagen kennengelernt und zur Zeit ist er hier mein Gast.«
»Miss Katie und er sind doch nicht etwa befreundet?«
»Doch ich denke so kann man das durchaus bezeichnen. Allerdings sehe ich immer noch nicht so ganz was Euch das, bei allem Respekt, angeht.«
»Eine ganze Menge will mir scheinen Frank. Schließlich bemüht sich mein Sohn schon eine ganze Weile um Ihre Tochter und das bisher ohne Erfolg!«
»Tja dann sollte er sich vielleicht noch ein wenig mehr bemühen wenn er erfolgreich sein will. Ich werde Katherine in dieser Angelegenheit jedenfalls nichts vorschreiben!«
»Ihr werdet schon noch sehen wohin das führt!«, es war ohne Zweifel klar, dass Raymond sich gekränkt fühlte.
»Genau wie Ihr«, Frank grinste.
»Ich muss dir übrigens gratulieren Jonathan. Du bist der erste der es geschafft hat Madame Fleur anzulügen ohne rot zu werden und dabei erwischt zu werden«, meinte Katie amüsiert, während Jonathan sie vom Parkett hinunter und zu einem Sofa führte. Katie verzog das Gesicht. »Zumindest ich habe es noch nie geschafft.«
Jonathan grinste amüsiert. »Das kann ich wirklich kaum glauben.«
»Trotzdem ist es so. Du kannst mir nicht vielleicht beibringen, wie man sie so leicht um den Finger wickeln kann? Das würde mir nämlich wirklich helfen.«
»Ach weißt du Katie, ich glaube nach heute Abend bekommst du das auch ganz gut alleine hin«, meinte Jonathan und wunderte sich gleichzeitig über sich selbst, denn normalerweise neigte er gar nicht dazu, so etwas zu sagen. Dann fiel ihm noch was ein. »Ich wollte mich übrigens noch einmal für die Gastfreundschaft von dir und deiner Familie bedanken«, fügte er hinzu.
»Was soll das heißen? Du willst mich doch nicht etwa gerade jetzt im Stich lassen und zurück zu Inspektor Lansbury gehen?«, es klang gekränkt.
Jonathan schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich nicht. Das würde ich niemals tun. Allerdings ist es so wie ich neulich gesagt habe: Wenn ich weiter hier bin, bringe ich nicht nur dich sondern auch deine Eltern und alle anderen hier bei euch in Gefahr. Deshalb werde ich mich morgen nach einer kleinen Wohnung umsehen«, sagte er leise. »Außerdem fragen sich eure Gäste sicherlich schon seit Beginn dieser Veranstaltung wer ich eigentlich bin«, fuhr Jonathan, nun wieder in normalem Tonfall, fort.
Katie nickte. Sie verstand, worauf er hinaus wollte. »Da kann man wohl nichts machen.«
»Keine Sorge ich werde mich trotzdem regelmäßig bei dir melden und natürlich darauf achten, dass die Wohnung nicht allzu weit von hier entfernt sein wird«, fühlte Jonathan sich verpflichtet zu sagen.
»Nichts anderes erwarte ich von Ihnen«, erklang auf einmal die Stimme von Katies Vater. »Und es erfreut mich in Höchstem Maße, dass Sie selbst dieser Ansicht sind.«
»Vater!«, überrascht sah Katie ihren Vater an. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch er schnitt ihr mit einer harschen Handbewegung das Wort ab.
»Keine Widerrede Katherine!«, wies Frank sie zurecht. Dann wandte er sich an Jonathan. »Ich weiß sehr zu schätzen was Ihr für meine Tochter und meine ganze Familie tut Hobbs. Dennoch sehe ich es genau wie Ihr. Es wäre zu gefährlich wenn Ihr die ganze Zeit hier bleibt. Allerdings wäre ich gerne bereit Euch bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen.«
»Das kann ich nicht annehmen Sir. Sicherlich habt Ihr auch so genug wichtige Dinge zu tun-«, Jonathan wollte noch mehr sagen, doch Frank unterbrach ihn einfach.
»Wie Ihr Euch sicherlich vorstellen könnt ist mir nichts wichtiger als meine Familie. Daher mache ich das gern. Außerdem habe ich bereits eine Idee wo Ihr wohnen könntet für die nächste Zeit, in der Ihr auf meine Tochter aufpasst«, sagte Frank. Dann wandte er sich an Katie. »Ich werde dich wohl kaum abhalten können uns morgen zu begleiten, was?«, fragte er resigniert.
Katie strahlte. »Ich darf mit? Wirklich?«
Frank seufzte resigniert. »Wie gesagt: Ich werde dich, so wie ich dich kenne, wohl kaum abhalten können. Und dann ist es mir lieber dass du uns begleitest als dass du einfach deinen Kopf durchsetzt und uns hinterher spionierst-«
»Danke!«, rief Katie enthusiastisch und konnte sich gerade noch so davon abhalten, ihrem Vater um den Hals zu fallen. Sie räusperte sich. »Ich meine: Ich danke Euch wirklich sehr, Vater.«
Jonathan schmunzelte. Er konnte einfach nicht anders. Zu sehr amüsierte ihn Katies Temperament und auch die Erkenntnis von ihrem Vater. Denn Frank McKenzie hatte zweifellos Recht. Katie würde ihnen folgen und auch Jonathan persönlich war es dann doch lieber, wenn Katie sie beide dann direkt begleitete. Andernfalls war es gut möglich, zumindest falls es zufällig Inspektor Lansbury oder jemand anderes der Polizeistation mitbekam, dass es Probleme geben könnte. Was nicht gerade etwas war worauf er besonders erpicht war. Jonathan wandte sich noch einmal Katies Vater zu.
»Wann brechen wir morgen auf, Sir?«, erkundigte er sich höflich.
»Direkt nach dem Frühstück, wenn es für Sie in Ordnung ist«
»Selbstverständlich. Wenn Sie es mir gestatten würde ich mich dann jetzt auch zurückziehen-«
»Genau wie ich!«, mischte Katie sich ein.
»Geht nur«, Frank seufzte »hier wird sicher auch nicht mehr viel los sein. Zumindest bis auf den Umstand, dass Raymond es mir immer noch übel nehmen wird, dass du nicht mit seinem Sohn getanzt hast.«
Katie verdrehte genervt die Augen. »Der soll sich mal schön um sich selbst sorgen. Ich kann die beiden nun einmal nicht ausstehen- diese arroganten und überaus eitlen Pfauen!«, Letzteres zischte sie leise.
»Katherine! Bitte reiß dich zusammen!«, wies Frank sie zurecht.
Katie zuckte lediglich mit den Schultern. »Ich werde doch wohl noch meine Meinung sagen dürfen!«
»Natürlich. Aber nicht wenn sie dich dabei hören könnten. Du weißt doch ganz genau, dass Raymond zu meinen wichtigsten Geschäftspartnern gehört und dazu zählt nun auch einmal ebenso sein Sohn. Also benimm dich bitte!«
»Bin sowieso schon weg!«, Katie lächelte ihrem Vater zu. Dann wandte sie sich an Jonathan. »Also was ist? Können wir jetzt endlich?«
»Miss Katie, Ihr wollt uns doch nicht schon wieder verlassen?«, riss Katie, eine bekannte Stimme, aus ihren Gedanken. Katie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, zu wem sie gehörte. Trotzdem tat sie es.
»Henry? Ich wusste nicht, dass Ihr heute Abend auch anwesend seid.«
»Das könnte daran liegen, dass ich gerade erst angekommen bin. Und wie ich sehe wollt Ihr uns jetzt schon wieder verlassen«, Henry lächelte. Dann sah er Jonathan an. »Und Ihr seid-?«
»Jonathan. Jonathan Hobbs. Ich bin der Sohn von Richmond Hobbs. Er ist der Oberverwalter des Hafen von London«
»Mein Name ist Henry Kennington, sehr erfreut«
»Henry ist ein alter Familienfreund. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit.«
»Das hört sich furchtbar an, wenn Ihr das sagt, Miss Katie! So als ob ich bereits jetzt schon steinalt wäre«
Jonathan musterte Henry. Dieser mochte wohl gut drei oder vier Jahre älter sein als er selbst. Außerdem war er auffallend elegant gekleidet, ohne jedoch geckenhaft zu wirken. Von der Statur her war er schlank aber dennoch sportlich. Seine Haare waren braun, ebenso wie seine Augen, die Katie beinahe liebevoll ansahen. Jonathan runzelte die Stirn. Ja. Dass dieser junge Mann Katie mochte, konnte man nicht übersehen. Ihr jedoch schien das nicht aufzufallen. Oder sie ignorierte es einfach. Jonathan tippte jedoch mehr auf Ersteres. Und aus irgendeinem Grund, den er nicht genau benennen konnte, verspürte er Erleichterung.
»Jonathan? Ist alles ist in Ordnung?«, hörte er plötzlich Katie fragen.
»Selbstverständlich«, entgegnete Jonathan.
»Dann können wir ja endlich gehen«, Katie lächelte Henry entschuldigend an »es liegt nicht an dir, aber das weißt du ja sicher.«
»Allerdings. Schließlich kenne ich dich lange genug um zu wissen das-«
»Das Miss Katie nicht mit mir reden will? Wirklich Henry, Ihr seid heute mal wieder ganz besonders freundlich!«, warf ein hochgewachsener junger Mann, in Henrys Alter, diesem vor.
Jonathan wusste nicht warum, doch er hatte irgendwas an sich, weshalb er ihn auf Anhieb nicht leiden konnte.
»Und Ihr da? Wer seid Ihr überhaupt?«, fragte der junge Mann Jonathan alles andere als freundlich, geschweige denn höflich.
»Dasselbe könnte ich auch Euch fragen, Sir«, konterte Jonathan. Einen Moment lang herrschte, ein überaus angespanntes, Schweigen.
»Was wollt Ihr damit sagen? Etwa das ich keine Manieren habe?«, fragte der junge Mann schließlich und funkelte Jonathan herausfordernd an.
Katie, die neben Jonathan stand, wünschte sich weit weg.
»Bisher habt Ihr mir keine Veranlassung gegeben etwas anderes zu denken, Sir«, entgegnete Jonathan, dem so langsam der Geduldsfaden zu reißen drohte.
Katie wechselte einen Blick mit Henry, doch der schüttelte den Kopf. Scheinbar erahnte er, was sie vorhatte.
»Das sagt der Richtige! Immerhin wart Ihr es, der den ganzen Abend mit Katie getanzt habt. Was, nebenbei bemerkt, sehr selbstsüchtig war«, giftete der junge Mann Jonathan an.
»Dann hättet Ihr sie vielleicht auch mal fragen sollen. Und jetzt entschuldigt mich, Sir. Ich bin nicht länger an einer Konversation mit Euch interessiert«, nur mit großer Mühe gelang es Jonathan, ruhig zu bleiben. Dann verneigte er sich kurz vor Henry. »Es hat mich sehr gefreut Euch kennenzulernen, Henry. Vielleicht schaffen wir es mal ein anderes Mal, ohne irgendwelche Störungen, miteinander zu reden«
»Ja, sehr gerne«, Henry sah Jonathan erstaunt an.
»Ich begleite dich«, bevor jemand etwas sagen konnte hakte sich Katie bei Jonathan unter und verließ mit ihm die Halle.
»Unglaublich! Einfach nur unfassbar! Das war wirklich-«, Katie wollte noch mehr sagen, doch Jonathan unterbrach sie.
»Dämlich, unbedacht und gedankenlos?«, schlug Jonathan bitter vor.
»Fantastisch, großartig und höchste Zeit!«, widersprach Katie breit grinsend, geradezu fröhlich.
»Ich verstehe nicht, wie du dich darüber amüsieren kannst«
»Ich amüsiere mich ja auch nicht, sondern bin total begeistert. Und selbst begeistert trifft es nicht mal ansatzweise«, stellte Katie unmissverständlich klar.
Jonathan zog eine Braue in die Höhe.
»Wirklich. Es hat sich nämlich bisher noch nie jemand getraut so mit Sir Raymonds Sohn zu sprechen«, Katies Grinsen wurde noch eine Spur breiter »und erst Recht nicht in diesem Ton.«
»Verzeih mir. Dein Vater wird jetzt sicher Ärger bekommen«, entschuldigte Jonathan sich niedergeschlagen.
Katie winkte ab. »Darüber musst du dir nun wirklich keine Gedanken machen. Das verspreche ich dir Jonathan. Bei mir sieht das jedoch ganz anders aus. Also nicht dass mein Vater mir Vorwürfe machen aber-«, sie verstummte.
Zu Ende reden musste sie aber auch gar nicht. Jonathan verstand auch so, wovon sie sprach. Er versuchte sich an einem Lächeln, welches ihm nicht besonders gut gelang. »Wenn dich etwas bedrückt oder du jemanden zum Reden brauchst bin ich immer gerne für dich da«, bot Jonathan ihr daher an.
»Ihr seht sehr müde aus Miss. Es war wohl wieder anstrengend, was?«, erkundigte sich Emily, das Dienstmädchen des Hauses, die bereits in Katies Zimmer auf sie wartete.
»Du hast ja keine Ahnung!«, Katie seufzte lang. Dann aber lächelte sie. »Allerdings war es andererseits auch sehr schön«
»War der junge Constable auch da? Er ist ein richtiger Gentleman wie mir scheint.«
Katie nickte abwesend. »Ja, er war da. Als einzige vernünftige Person, wie mir scheinen will-«
Emily sparte sich jeden weiteren Kommentar. Mittlerweile war sie lange genug im Haushalt der McKenzies angestellt um zu wissen, wann es gut war zu schweigen und wann nicht. Und jetzt war es, wirklich besser still zu sein, beschloss sie für sich. Zudem stand es ihr, als einfaches Dienstmädchen, auch gar nicht zu Fragen über das zu stellen, was passiert war. Denn die McKenzies mochten zwar nicht so konservativ sein wie Emilys einstige Dienstherren, doch ihre Intuition sagte ihr, das Fragen jetzt fehl am Platz waren.
»Emily tust du mir einen Gefallen?«, fragte Katie plötzlich und riss sie so aus ihren Gedanken.
»Natürlich Miss«, Emily nickte.
»Du musst es mir versprechen!«
»Ich verspreche es, Miss. Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Und das wird auch immer so bleiben«, entgegnete Emily.
»Du weißt doch wie der Constable heißt, richtig?«
»Ja, Jonathan Hobbs. Er arbeitet unter Inspektor Lansbury.«
»Richtig. Erzähl das niemanden. Es darf keiner wissen. Hast du das verstanden?«
»Nein Miss. Aber ich werde trotzdem keinem davon erzählen«, versicherte Emily ihr.
»Danke«
Nachdem sich Katie, mit Emilys Hilfe, umgezogen hatte, darauf legte sie zwar nicht besonders viel Wert aber auf Streit ebenfalls nicht, schmiss sie sich undamenhaft auf ihr Bett. Sofort einschlafen konnte sie jedoch nicht. Zu viel war an diesem Tag passiert was, auch wenn sie nur daran zurückdachte, die unterschiedlichsten Gefühle in ihr wachgerufen hatte. Ganz besonders der Abend zählte dazu. Doch das war wohl nicht weiter verwunderlich. Ein Lächeln huschte kurz über Katies Gesicht. Besonders wenn sie daran zurückdachte, was für ein Gespräch Jonathan mit Daniel geführt hatte. Was ihr vor allem imponierte, war, dass Jonathan ihm genau das ins Gesicht gesagt hatte, was ihr selbst bei jeder Begegnung mit Daniel auf der Zunge lag. Und vermutlich nicht nur mir, überlegte Katie, die sich auch nur zu gut an Henrys Reaktion erinnerte. Doch wie Jonathan vorhin mit Daniel sprach, schlug dem Fass wirklich dem Boden aus, wie man so schön sagte. Natürlich nur positiv. Auch wenn Jonathan das wohl anders sah. Was sie, wenn sie genau darüber nachdachte, auch irgendwie verstehen konnte. Doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Katie gähnte, drehte sich noch einmal um und schlief schließlich lächelnd ein.
Nachdem Jonathan sein Zimmer betreten hatte, ließ er sich erst einmal auf einen der Sessel, die vor dem Kamin standen, fallen und versuchte seine Gedanken, so gut es ging, zu sortieren. Es war kaum zu glauben wie viel heute und vor allen Dingen, was alles geschehen war. Hätte man ihm am Morgen gesagt, dass alles so kommen würde, hätte Jonathan den Betreffenden für verrückt erklärt. Vor allem was den Abend anging. Denn Katie mochte zwar der Meinung sein, dass er richtig reagierte, doch er selbst war da definitiv anderer Ansicht. Ihr das allerdings noch einmal zu sagen würde vermutlich zu nichts führen. Außerdem fragte sich Jonathan, sowieso immer noch was ihn dazu bewegt hatte in einem solchen Ton mit dem jungen Mann zu reden. Fest stand nur, dass Katie ihn, ebenso wie Henry, nicht leiden konnten. Das war Jonathan sofort aufgefallen. Allein Katies Blick reichte aus, um ihm das zu signalisieren. Dem jungen Mann war es anscheinend jedoch nicht einmal ansatzweise aufgefallen. Oder wollte er es einfach nicht sehen? Jonathan seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass er solch einem Menschentyp begegnet war, doch normalerweise versuchte er es diesen aus dem Weg zu gehen. Einfach mal man sich, wie auch dieses Beispiel heute Abend mal wieder zeigte, nicht mit diesen unterhalten konnte. Doch jemandem mit solch schlechten Manieren, wie der junge Mann heute Abend zeigte, war Jonathan wirklich noch nie begegnet. Selbstverständlich war auch er selbst, obwohl Katie das wohl abstreiten würde, niemand der Wert auf hundertprozentige Manieren Wert legte. Dennoch war er der Meinung, dass jeder zumindest ein Mindestmaß an Anstand besitzen sollte. Und dieser Meinung war er nicht nur wegen dem Umfeld, in dem er aufgewachsen war und der Erziehung, die er genossen hatte. Doch all das war nicht das gewesen, was Jonathan am meisten überraschte. Diejenige die ihn am meisten verblüffte war mal wieder Katie.
Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Es war wirklich erstaunlich. Immer wenn er glaubte sie endlich zu verstehen, bewies sie ihm doch das Gegenteil. Genauso auch dieses Mal. Sein Grinsen wurde etwas breiter. »Der soll sich mal schön um sich selbst sorgen. Ich kann die beiden nun einmal nicht ausstehen- diese arroganten und überaus eitlen Pfauen!« Ja, wenn eines sicher war, dann das dieses Mädchen wusste, wie sie ihren Kopf durchsetzen konnte. Ob Jonathan das wirklich gut finden sollte, wusste er noch nicht. Trotzdem amüsierte es ihn. Auch wenn er es in der Situation selber dann doch meist eher ärgerlich fand. Katie. Sie war sowieso so ganz anders als jedes Mädchen, welches er bisher kennengelernt hatte. Zugegeben zu Anfang als er sie kennenlernte, hatte ihn das schon ein wenig erschrocken. Doch inzwischen, so musste er sich eingestehen, gefiel es ihm, dass ihr Charakter so erfrischend anders war. Es gefiel ihm, dass sie genau das sagte, was sie meinte und nicht lange um die eigentliche Sache herum redete oder sich von anderen irgendwie beeinflussen ließ. Wie es genug andere taten. Was auch ihm schon oft genug auf die Nerven gefallen war. Genau wie diese Scheinheiligkeit, die ebenfalls sehr viele an den Tag legte. All das tat Katie nicht. Hatte es auch gar nicht nötig, denn das was sie am meisten ausmachte war nun einmal ihr ganz natürlicher Charme und ihre Ehrlichkeit. Obwohl sie Letzteres wohl, wie es schien, gerne nach ihrem persönlichem Belieben auslegte.
Anno Domini 1890
England, London - am Rande des West End
»Nun was denken Sie Hobbs? Wie finden Sie es?«, Frank McKenzie nickte, ein Grinsen unterdrückend, in Richtung der kleinen Wohnung, welche sie sich gerade ansahen.
Jonathan räusperte sich diskret. »Angemessen«, meinte er dann.
Frank grinste nun doch. Wie er sich bereits gedacht hatte, war Jonathan viel zu höflich um weiter zu sagen was er eigentlich dachte. »Man wird die Wohnung noch ein wenig in Schwung bringen müssen-«, fuhr Frank fort.
»In Schwung bringen? Es ist am besten wenn man sie abreißt und komplett neu baut!«, mischte sich nun Katie empört ein. »Das kann nicht dein Ernst sein, Vater!«
Sehr zu Franks Überraschung schüttelte Jonathan den Kopf. »Es ist genau richtig. In der Tat mag es im Moment etwas« Jonathan räusperte sich abermals »heruntergekommen aussehen. Doch das hat auch durchaus seine Vorteile. Zum Beispiel wird niemand hier einen Polizisten vermuten«
»Das ist allerdings wahr«, stimmte Katie widerwillig zu. »Aber wird es nicht auch Aufsehen erregen, wenn du jeden Tag in Zivil bei uns erscheinst?«
Jonathan nickte. »Das ist richtig«, stimmte er ihr zu »jedoch auch kein besonders großes Problem-«
»Gibt es noch irgendjemand, dem ich vielleicht einen Boten schicken soll?«, erkundigte Frank sich schnell bei Jonathan. »Denn Sie leben wohl kaum noch bei Ihren Eltern, nehme ich an?«
»Das wäre nett, danke«, Jonathan dachte einen Augenblick nach »und zwar an Miss Sophie Harris«.
Frank sah ihn fragend an. Katie ebenso.
»Sie ist die Tochter meiner aktuellen Hauswirtin. Sagen Sie ihr bitte einfach, dass es mir gut geht, ich an einem Fall arbeite und nicht weiß wann ich wieder kommen kann. Das wird ihr vermutlich reichen«
»In Ordnung. Wenn ich zurück bin werde ich gleich einen Boten schicken«, versprach Frank, nachdem Jonathan ihm die genaue Adresse genannt hatte.
Katie musterte Jonathan und erst jetzt fiel ihr auf, dass sie bisher absolut keinen Gedanken daran verschwendet hatte wie und wo er wohl wohnte. Das einzige was er ihr diesbezüglich mal, bei ihrem Kennenlernen, vage erzählte war, dass er am Rande des East End wohnte. Oder das genauer gesagt damals andeutete. Wobei das wahrscheinlich auch nur aus praktischen Gründen, wie der Nähe zur Polizeiwache, überlegte sie nachdenklich. Gut, die Wohnung hier befand sich auch am Rand des East End, doch vermutlich wäre es auch zu riskant wenn Jonathan seine eigene Wohnung oder Haus benutzt hätte. Wobei es sich mehr nach einem Haus, einem kleinen, anhörte. Immerhin hatte Jonathan ihren Vater gebeten der Tochter seiner Hauswirtin Bescheid zu geben. Warum eigentlich der Tochter und nicht direkt der Hauswirtin? Katie biss sich, ohne es zu wollen, auf die Lippen. Sie gestand es sich nur ungern ein, doch es ärgerte sie. Es ärgerte sie, dass sie die Antwort auf diese Frage nicht kannte.
»Ich werde nachher auch noch auf der Wache vorbei gehen und Bescheid geben wo man mich ab heute finden kann«, riss Jonathans Stimme Katie aus ihren Gedanken.
»Ich werde dich begleiten«, stellte Katie sofort klar.
»Das wäre das Nächste gewesen, worum ich dich gebeten hätte«
»Na dann ist ja alles klar«, Katie grinste breit.
Frank sah von Katie zu Jonathan und wieder zurück. Schon von Anfang an war ihm aufgefallen wie vertraut die beiden miteinander umgingen. Vor allem Katie mit dem Constable. Doch auch Frank musste zugeben, wenn auch nur sich selbst erst einmal, dass er von dem jungen Mann beeindruckt war. Obwohl Jonathan nichts Offensichtliches getan hatte um das zu erreichen. Es lag wohl an seiner Ausstrahlung. Im Gegensatz zu Katie wirkte er ruhig und gelassen. Trotzdem kamen die beiden gut miteinander aus. Frank schmunzelte. Dann aber wurde er sofort wieder ernst. Natürlich war es gut, dass die beiden sich gut verstanden. Immerhin sollte Jonathan seine Tochter beschützen und da half das natürlich. Dennoch war zu viel Vertrautheit, wozu besonders Katie neigte, zwischen den beiden wohl auch nicht gut. Immerhin war Jonathan ein Constable. Und gerade in der heutigen Zeit war dies durchaus ein Beruf der mit gewissen Risiken verbunden war. Was Jonathan mit Sicherheit auch wusste. Zum Glück schien er jedoch auch ziemlich gut einschätzen zu können was er wann tun konnte und wann nicht. Eine Gabe die, wie Frank sehr gut wusste, nicht jeder besaß.
»Vater? Hast du zugehört? Jonathan und ich werden jetzt gemeinsam zu Inspektor Lansbury gehen um alles weitere mit ihm zu besprechen«, riss Katie Frank aus den Gedanken.
»Natürlich. Das wird sicher das Sinnvollste sein«, Frank wandte sich Jonathan zu. »Ich zähle auf Sie Hobbs«
Jonathan nickte. Sie können sich auf mich verlassen, Sir«
»Das will ich doch stark hoffen«
»Es besteht kein Grund zur Sorge Vater. Bisher hat Jonathan seine Sache doch auch gut gemacht«, Katie sah abwechselnd von ihrem Vater zu Jonathan und wieder zurück. Letzterer schien sich in seiner Haut nicht gerade wohl zu fühlen. Dabei war das vollkommen unmissverständlich ein Kompliment, dachte Katie irritiert. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihn nicht darauf ansprechen sollte, beschloss dann aber die Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen.
»Hobbs Sie werden bereits erwartet - und zwar im Büro von Inspektor Lansbury«, wurde Jonathan, kaum dass er die Wache mit Katie betreten hatte, vielsagend begrüßt.
»Danke«, beschied Jonathan seinen Kollegen knapp. Dieser war so überrascht darüber, dass er nur ein Nicken zustande brachte. Noch verblüffter sah er allerdings aus, als Katie Jonathan begleitete.
»Sie sind spät dran Hobbs!«, wies Inspektor Lansbury Jonathan zurecht kaum, dass dieser im Büro eingetreten war.
Jonathan nickte. »Aber nicht zu spät«, konnte er sich dann doch nicht verkneifen zu sagen.
Katie, die neben ihm stand, grinste.
Inspektor Lansbury jedoch fand es alles andere als witzig, wie man sehr gut sehen konnte. »Werden Sie nicht frech Hobbs. Dazu sind Sie noch nicht lange genug hier«
»Verzeihen Sie, Sir. Ich wollte damit nur sagen-«
»Das ist jetzt nicht wichtig«, unterbrach Inspektor Lansbury ihn. »Was dagegen jedoch wichtig ist, ist was wir bisher über die Umstände der Toten, also Miss McKenzies Freundin herausgefunden haben«
»Es gibt neue Erkenntnisse?«
»Sie wirken überrascht Hobbs. Haben Sie meine Wache bisher für tatsächlich so unfähig gehalten das-«
»Jetzt ist aber mal gut!«, Katie konnte sich nicht länger zurückhalten. Zu sehr gingen ihr die, teilweise nicht gerechtfertigten, Maßreglungen von Inspektor Lansbury auf die Nerven. »Würden Sie nun bitte mal auf den Punkt kommen? Ich habe nämlich noch etwas anderes vor als hier auf der Wache zu sein!«, beschwerte sie sich. »Natürlich sind wir beide etwas spät dran, zumindest wenn man bedenkt wann der Dienst für Constable Hobbs sonst beginnt, aber schließlich hat das auch einen Grund. Oder haben Sie etwa vergessen, dass er bei mir bleiben sollte um mich zu beschützen? Warum werde ich ihn doch wohl kaum nochmal erläutern müssen?«, wollte sie wissen. Dass Jonathan sie ansah, als hätte sie nun endgültig den Verstand verloren kümmerte Katie im Moment nicht besonders.
Gerade als Inspektor Lansbury etwas darauf entgegnen wollte, wurde die Tür des Büros schwungvoll geöffnet und herein trat Adam Fray.
»Adam! Würdest du dir bitte irgendwann mal abgewöhnen so in mein Büro zu stürmen als ob im nächsten Augenblick die Welt untergehen würde?«, herrschte Inspektor Lansbury seinen Freund an.
»Entschuldige Richmond«, Adam verzog, scheinbar reumütig, das Gesicht. »Hobbs, Miss Katie«, er nickte ihnen freundlich zu.
»Schön Sie zu sehen, Mister Fray«, begrüßte Jonathan ihn.
»Das würden Sie nicht sagen wenn Sie wüssten was wir über Ihren Fall herausgefunden haben«
»Allerdings«, knurrte Inspektor Lansbury missmutig. »Würdest du jetzt bitte trotzdem sagen worum es hier geht?«
Adam räusperte sich und musterte alle nacheinander knapp. »Hier Ist wohl gerade dicke Luft, was?«, murmelte er vor sich hin.
»Entschuldige Adam, aber hast du gerade etwas gesagt?«, wollte sein Freund wissen.
»Nein, das musst du dir wahrscheinlich eingebildet haben«, sagte Adam schnell. Vielleicht ein wenig zu schnell. Ja, hier ist definitiv dicke Luft, überlegte Adam. Dann räusperte er sich. »Nur um Sie vorzuwarnen Hobbs, Sie werden sich nicht über das freuen was wir erfahren haben«, warnte er Jonathan vor.
Dieser runzelte die Stirn. »Das hört sich nicht gut an«
Es hörte sich nicht nur nicht gut an, sondern war auch genau das. Wobei nicht gut noch eine ziemliche Untertreibung war. Zumindest sah es Katie so. Was Jonathan von all dem hielt, konnte sie nicht sagen, da sich auf seinem Gesicht so gut wie keine Regung zeigte, was ihr beinahe Angst einjagte. Trotzdem zwang sie sich, ruhig zu bleiben und einfach abzuwarten.
»Verzeihen Sie, Sir aber das können Sie einfach nicht ernst meinen«, meinte Jonathan schließlich nach einer ganzen Weile, die sie sich gegenseitig angeschwiegen hatten zu Adam Fray.
»Und dennoch ist es so und nicht anders. Auch wenn ich mir das Gegenteil wünschen würde«, sagte dieser.
»Aber das verkompliziert alles noch mehr. Wenn dieser Rat der Zwölf, was auch immer er sein mag, so etwas wie eine gehobene Bürgerwehr gewesen wäre, dann-«
»So ist jedoch nun einmal nicht. Wie ich also gerade gesagt habe: Es darf unter keinen Umständen bekannt werden das wir in diesem Fall ermitteln, denn offiziell gibt es diese Organisation nicht. Ich lehne mich schon so weit genug aus dem Fenster was meine Befugnisse angeht«, mischte sich nun Inspektor Lansbury ein. »Und falls es aus Ihrer Sicht irgendwelche Verdächtigen gibt, die Sie im Auge haben, dann berichten Sie bitte ausschließlich Fray oder mir davon und keinem anderen. Unternehmen Sie auf keinen Fall etwas auf eigene Faust, sondern sorgen Sie einfach nur für die Sicherheit Ihrer Schutzbefohlenen, verstanden?«
»Selbstverständlich«, Jonathan nickte. »Dieser Rat der Zwölf ist also eine Art Sekte?«, hakte er dann aber trotzdem nach.
»Ja. Eine Sekte, die nach eigenem Belieben über Recht und Unrecht entscheidet und richtet«, bestätigte Adam Fray.
»Also nur um es noch einmal zu sagen Hobbs: Sie sind nicht dazu da um der Sekte das Handwerk zu legen, sondern agieren ausschließlich als Beschützer von Katie«, stellte Inspektor Lansbury klar. »Denn solange wir nicht wissen mit was und wem wir es genau zu tun haben wäre es Selbstmord etwas anderes zu tun«
»Natürlich«, Jonathan verneigte sich höflich, verabschiedete sich und verließ dann das Büro von Inspektor Lansbury.
»Ist das dein Ernst, Jonathan? Du willst wirklich nichts unternehmen?«, erkundigte sich Katie, nachdem sie beide die Wache verlassen hatten ungläubig.
»Ich tue nicht nichts«, widersprach Jonathan leicht gereizt »schließlich bin ich dafür da um dich zu beschützen. Und das werde ich; falls notwendig; mit meinem Leben«
»Aber-«
»Nichts aber. In diesem Fall muss ich mich wirklich der Meinung von Inspektor Lansbury anschließen. Ich bin nur dazu da damit dir nichts geschieht«
»Das ist nicht gerecht! Wollt ihr denn gar nicht diesem Rat das Handwerk legen? Sonst ist die Polizei hier doch immer so schnell mit Verhaftungen!«, empörte sich Katie.
Jonathan antwortete nicht. Jedenfalls nicht sofort. Dann sagte er: »Man kann niemanden festnehmen der nicht existiert«. Es klang ruhig. Beinahe gelassen.
»Wenn man keine Anstalten macht etwas zu suchen, kann man natürlich auch nichts finden!«, rief Katie wütend.
Jonathan seufzte. »Glaubst du etwa mir gefällt das alles?«
»Meinst du es ist wirklich in Ordnung, dass wir das Alles so angehen?«, erkundigte Adam sich nachdenklich bei seinem Freund. »Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass wir unsere Befugnisse überschreiten-«
»Natürlich ist es nicht ideal. Doch gerade du solltest dir im Klaren darüber sein, dass es nicht anders geht«, entgegnete Richmond. Er räusperte sich. »Zumindest vorerst-«
»Zumindest vorerst? Was meinst du damit? Doch etwa nicht-«
»Doch«, Richmond nickte. »Genau das. Wenn sie wirklich über Katie informiert sind, wovon auszugehen ist, dann werden sie versuchen sie zum Schweigen zu bringen. Da jedoch Hobbs bei ihr ist besteht eine gewisse Chance, dass Katie es überlebt und vielleicht sogar auf ein paar Hinweise stößt, was uns nur von Nutzen sein könnte«
»Sollten wir den beiden dann nicht noch etwas Verstärkung schicken?«
»Nein. Auf keinen Fall. Denn dann müsste ich meinen Vorgesetzten erklären worum es genau geht und das wäre alles andere als ideal«, erklärte Richmond. »Außerdem würde es nur unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen«
Adam konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken. »Dann hältst du Hobbs also doch nicht für komplett unfähig?«
Richmond verzog das Gesicht. »Dass ich ihn für komplett unfähig halte, habe ich niemals behauptet. Hobbs ist eben noch neu hier deshalb war, zugegebenermaßen, ein wenig skeptisch. Wenn ich jedoch eines ganz sicher weiß, dann das er viel Wert auf Loyalität legt.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, stimmte Adam nachdenklich zu »allerdings könnte Hobbs das wohl auch in Schwierigkeiten bringen.«
»Wir werden sehen«
Katie musterte Jonathan, der neben ihr in der Droschke saß möglichst unauffällig. Seit sie ihm vorgeworfen hatte, dass er nichts unternehmen würde herrschte Schweigen zwischen ihnen. Ein Schweigen, welches sie geradezu verrückt machte. Natürlich war sie immer noch absolut nicht begeistert wie sie das alles angehen mussten, doch sah sie auch die Notwendigkeit, warum es so war, ein. Ganz davon abgesehen schien es Jonathan selbst ebenso wenig zu gefallen. Katie seufzte. Wieder musste sie an das denken was Jonathan gesagt hatte. »Ich tue nicht nichts. Schließlich bin ich dafür da um dich zu beschützen. Und das werde ich falls notwendig mit meinem Leben«, wie ein Echo hallten diese Worte noch immer in ihren Gedanken wieder. Dass er es ernst meinte, daran zweifelte sie keinen Augenblick, denn da war etwas in seinem Tonfall und Blick gewesen, das ihr zeigte wie ernst er es meinte.
»Es tut mir Leid«, platzte es plötzlich aus Katie heraus, die es nicht länger aushielt schweigend neben ihm zu sitzen.
»Was denn?«, Jonathan sah sie fragend an.
»Soll das ein Witz sein? Ich rede von den Vorwürfen, die ich dir gemacht habe«
»Ach so das«, sehr zu Katies Erstaunen lächelte Jonathan. »Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Ich denke, dass das vielmehr eine ganz natürliche Reaktion ist«
»Eine ganz natürliche Reaktion?«, Katie wusste nicht was sie sagen sollte. Zu verblüfft war sie über Jonathans Antwort.
»Nun ja, vielleicht sollte ich es eher eine angemessen nennen«, versuchte sich Jonathan zu erklären. Allerdings ohne Erfolg. Er räusperte sich. »Ich meine, es ist nur verständlich warum du das zu mir gesagt hast. Deine Freundin wurde immerhin von einer Art Sekte ermordet die offiziell gar nicht existiert. Und das obwohl deine Freundin dieser, wie es scheint, angehört hat. Und die Polizei will dennoch nicht ermitteln. Ich glaube, da wäre ich persönlich, wenn ich du wäre, auch wütend«
»Wirklich?«, wollte Katie wissen, die so langsam verstand wovon Jonathan redete.
Dieser nickte. »Ja. Denn auch ich bin mit der aktuellen Situation alles andere als zufrieden«
Was Jonathan sagte stimmte tatsächlich. Er war alles andere als zufrieden darüber wie alles gekommen war. Natürlich lag das nicht an Katie. Er mochte sie. Auch wenn sie manchmal, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, ein sehr impulsives und aufbrausendes Temperament besaß. So wie zum Beispiel als sie gemeinsam die Wache verließen und sie ihm vorwarf nichts zu tun. Bis jetzt hätte er sich jedoch niemals träumen lassen, dass so etwas wie sie beide gerade auf der Wache erlebt hatten tatsächlich passieren konnte. Dass es Fälle gab in denen die Polizei offiziell nicht ermitteln durfte. Es war etwas, das ihn wirklich ärgerte. Selbstverständlich konnte er auch nicht einfach auf eigene Faust Ermittlungen anstellen ohne Katie zu gefährden. Wie es aussah saß er in einer Zwickmühle.
»Wir sind da, Sir«, holte ihn auf einmal die Stimme des Droschkenführer und ein Ellenbogenhieb in die Seite von Katie in die Wirklichkeit zurück.
»Danke«, sagte Jonathan, half Katie beim Aussteigen und drückte dem Droschkenführer ein paar Pennys in die Hand.
Katie lächelte. »Wir sehen uns dann morgen Jonathan?«
»Ja«, Jonathan nickte. »Ich komme direkt nach dem Frühstück«, versicherte er ihr.
»Dann bis morgen. Ich freu mich schon«, meinte Katie.
»Miss Katie! Wie gut dass Sie endlich da sind!«, rief Emily die kaum, dass sie bemerkt hatte das Katie wieder da war, in die Eingangshalle eilte.
»Um Himmels Willen Emily! Was ist denn nun schon wieder passiert?«, erkundigte Katie sich, während sie ihren Mantel ablegte.
Emily griff in ihre Rocktasche, zog einen Brief heraus und reichte ihn Katie. »Der ist für Sie Miss. Er wurde vor etwa einer Stunde hier abgegeben«
Katie runzelte die Stirn. »Von wem denn?«, wollte sie wissen.
»Das weiß ich leider nicht. Er lag einfach vor der Tür«, berichtete Emily.
Als Jonathan am nächsten Morgen, nach dem aufstehen, aus dem Fenster sah stellte er fest, dass es wie in Strömen regnete. Jonathan seufzte. Normalerweise war es zwar nicht so, dass seine Stimmung wetterabhängig war, trotzdem konnte er sich eindeutig besseres Wetter vorstellen. Er verzog das Gesicht. Besonders große Lust durch solch einen Wolkenbruch zu laufen hatte er eigentlich nicht, aber es würde wohl nicht anders möglich sein. Plötzlich ertönte ein Klopfen an der Tür, was ihn zusammenzucken ließ. Jonathan fühlte, wie sich von einer Sekunde auf die andere sein Herzschlag beschleunigte. Das darf doch nicht wahr sein! Sie können mich doch nicht jetzt schon entdeckt haben! Jonathans Gedanken begannen zu rasen. Es kam ihm vor, als glichen sie einem Wirbelsturm. Was sollte er tun? Jonathan wusste es nicht. Nur eines wusste er ganz genau. Sagen würde er nichts. Absolut nichts.
»Jonathan wenn du jetzt nicht sofort die Tür öffnest erlebst du ein Donnerwetter, welches mit dem Unwetter hier draußen absolut nicht vergleichbar ist!«, erklang, höchst verärgert, Katies Stimme.
»Katie?«, einen Moment lang wusste Jonathan nicht, was er sagen sollte. Dann ging er zur Tür und schob den Riegel zur Seite. Auf der Türschwelle stand tatsächlich Katie.
»Ja Katie«, knurrte diese »oder hast du etwa jemand anderes erwartet?«
»Nein. Natürlich nicht aber-«
»Dann ist ja gut«, Katie trat ein. Als sie drinnen war fügte sie missmutig hinzu: »Was für ein Wetter! So ein Regen habe ich zuletzt erlebt als ich das letzte Mal in Schottland war. Hoffentlich geht das nicht den ganzen Tag so-«
»Schottland?«, fragte Jonathan nun eindeutig verwirrt.
»Hab ich dir das nicht erzählt? Bis vor sieben Jahren habe ich mit meinen Eltern in Edinburgh gelebt«, erzählte Katie.
Jonathan schüttelte den Kopf. »Das erklärt euren Nachnamen«
»Unseren Nachnamen? Was soll das heißen? Hast du irgendwelche Probleme damit?«
»Natürlich nicht. Nur ist er etwas ungewöhnlich für jemanden der aus England stammt«, meinte Jonathan. Dann räusperte er sich. »Darum geht es jetzt jedoch nicht«, sagte er »also weshalb bist du hier?« Er musterte sie. »Und dann auch noch in so einem Aufzug«
Katie sah in der Tat ziemlich abenteuerlich aus. Selbst für ihre Verhältnisse. Statt eines Kleides oder einem Rock trug sie eine ausgeleierte, ihr eigentlich zu große, Männerhose, die ihr um die Beine schlackerte. Darüber ein ausgewaschenes, ehemals wohl weißes, Hemd, das definitiv schon bessere Tage gesehen hatte als heute aber Katie wenigstens zu passen schien. Über dem Hemd trug sie einen karierten Fransenschal. Die Lederstiefel, die sie trug waren bereits abgetragen sahen aber wasserdicht aus. Der Kapuzenmantel, den Katie trug, war komplett schwarz. Die Haare, die sie bisher immer zu einem Zopf geflochten trug, hatte Katie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden.
»Dieser Aufzug, wie du es so schön nennst, war das Beste was ich bei diesem Wetter anziehen konnte. Außerdem soll doch keiner wissen, dass ich hier und vor allem wer ich bin, richtig?«
»Nun das dürftest du wohl auf jeden Fall erreicht haben«, Jonathan schmunzelte. Dann aber wurde er ernst. »Also weshalb bist du hier? Ich wollte doch sowieso gleich zu euch«
»Ich weiß aber es konnte nicht warten«, Katie erwiderte seinen Blick. Dann griff sie in eine der Hosentaschen .zog den, nun zerknitterten, Brief welchen sie von Emily bekommen hat heraus und hielt ihn Jonathan entgegen. »Ich glaube, du solltest dir das mal ansehen«, teilte Katie ihm mit und reichte ihm den Brief.
»Was ist das für ein Brief?«, Jonathan sah sie stirnrunzelnd an.
»Lies ihn doch. Dann wirst du es schon herausfinden«, forderte Katie ihn ungeduldig auf.
»Also gut«, Jonathan nickte, faltete den Brief auseinander und begann dann zu lesen. Während er das tat wurden seine Augen vor Erstaunen immer größer. »Das hier- Woher hast du das?«
»Irre oder?«, Katie strahlte förmlich. »Und was machen wir? Gehen wir hin?«
»Ich hab dich was gefragt Katie! Woher hast du diesen Brief?«, fuhr Jonathan sie schärfer als gewollt an.
»Schon gut, schon gut. Emily hat ihn mir gestern Abend gegeben. Sie sagte mir, dass sie ihn vor der Tür gefunden hat«
»Wer ist Emily?«
»Unser Hausmädchen. Ich kenne sie schon mein ganzes Leben lang. Sie hat den Brief mit Sicherheit nicht verfasst. Ich glaub sie kann noch nicht einmal schreiben«, erklärte Katie. »Also was ist gehen wir zusammen hin? Das ist doch eine absolut grandiose Sache um sich mal genauer umzuschauen. Und dann auch noch in solch gehobenen Kreisen. So eine Einladung bekommt man nicht jeden Tag. Außerdem können wir uns so mal ganz dezent umhören«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, Jonathan sah Katie an, als ob er an ihrem Verstand zweifeln würde. Dies wiederum ärgerte Katie.
»Hast du einen besseren Vorschlag?«, erkundigte sie sich.
Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein«, gab er zu. »Trotzdem finde ich es nicht gut. Überwiegend weil du dabei bist-«, fügte er hinzu.
Katie unterbrach ihn. »Weil ich dabei bin?«, wiederholte sie irritiert.
»Es ist nun einmal gefährlich sich unter diese Leute zu begeben!«, sagte Jonathan nun eindeutig gereizt.
»Machst du dir etwa Sorgen um mich?«, wollte Katie von ihm wissen. Eigentlich stellte sie diese Frage nur um die Stimmung aufzulockern. Bewirken tat sie jedoch damit genau das Gegenteil.
»Selbstverständlich mache ich mir Sorgen! Schließlich-gehört das zu meiner Arbeit!«, hätte Katie es nicht besser gewusst und Jonathan nicht den Kopf zur Seite geneigt - sie hätte geschworen, dass Jonathan errötete. Das aber war natürlich Unsinn, überlegte Katie, wie kam sie nur auf solch eine abwegige Idee? Denn dieser Gedanke war nun wirklich mehr als nur unsinnig.
Katie räusperte sich. »Also machen wir es jetzt so wie ich vorgeschlagen habe, oder nicht?«, fragte sie Jonathan so ruhig wie es ihr möglich war.
Jonathan sah Katie, nun wieder direkt, an. Es war unglaublich. Dieses Mädchen schaffte es tatsächlich immer wieder, ohne jede Vorwarnung, seine Gedanken und Gefühle von einer Sekunde auf die nächste durcheinander zu bringen. Hoffentlich ist ihr nicht aufgefallen, dass ich rot geworden bin, überlegte Jonathan. Denn das würde mich nur in Schwierigkeiten bringen - und zwar in ernsthafte.
»Ich werde mit Inspektor Lansbury darüber reden«, sagte Jonathan schließlich.
Katie strahlte. »Gut. Ich komme mit. Gehen wir?«, wollte sie wissen.
Anno Domini 1890
East End, London - auf der Polizeiwache
Es dauerte nicht lange, bis sie mit einer Droschke die Polizeiwache erreichten. Doch obwohl Jonathan geplant hatte direkt zu Inspektor Lansbury zu gehen wurde daraus erst einmal nichts. Dies lag vor allem daran, dass unzählige Menschen, zumindest kam es Jonathan zu so, die Wache belagerten. Einige davon gehörten zur Bürgerwehr. Das erkannte er an den Stoffbinden, die die Männer um die Arme trugen. Jonathan seufzte leise. Dann wandte er sich an einen Mann, der neben ihm stand.
»Verzeihen Sie, aber was ist denn eigentlich hier los?«, erkundigte er sich. Die Anrede Sir ließ er ganz bewusst weg, was ihm einen überraschten Blick seitens Katie und einen erstaunten des Mannes einbrachte.
»Wo hast du dich denn die letzte Zeit verkrochen, Junge?«, wollte der Mann schließlich wissen. »Seit heute früh redet doch wirklich jeder hier darüber«
Für einen kurzen Moment ballte Jonathan die Hände zu Fäusten. Nichts konnte er weniger ausstehen als wenn man ihn wie ein kleines Kind behandelte oder jemand nicht direkt sagte worum es eigentlich genau ging. »Also? Was ist denn jetzt genau passiert?«, fragte er noch einmal.
»Du weißt es wohl echt nicht, was?«, der Mann verzog das Gesicht. »Wie es aussieht hat der Ripper erneut zugeschlagen. Es wurde jedenfalls ein sehr übel zugerichtetes Opfer in der Fournier Street aufgefunden«, berichtete er. »Wie du sicher weißt befindet sich diese Straße ganz in der Nähe des Ortes wo man die erste Leiche des Rippers auffand-«
»Nicht nur die«, Jonathans Stimme war ein einziges Flüstern.
»Wie bitte?«
»Nichts. Danke für Ihre Auskunft. Sie haben mir sehr weitergeholfen«, sagte Jonathan abwehrend. Dann fasste er Katie, die neben ihm stand, unsanft am Handgelenk. »Ich schlage vor, wir verschwinden erst einmal von hier.«
Katie nickte hastig und versuchte sich an einem Lächeln, welches ihr jedoch misslang. »Vorschlag angenommen.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«, Inspektor Lansbury schrie beinahe. Adam dagegen lehnte sich, mit vor der Brust gekreuzten Armen, beinahe lässig gegen den Schreibtisch.
»Du glaubst doch nicht wirklich davon aus, dass er es ist, oder etwa doch?«, von wem Adam sprach musste er nicht weiter erklären. Sein Freund wusste es auch so.
»Ich schätze, im Moment ist es zu früh sich festzulegen«, knurrte er.
»Nervig«, kommentierte Adam das gesagte knapp.
»Das ist wirklich sehr milde ausgedrückt. Aber ja so ist es. Was mich allerdings am allermeisten wundert ist, dass mein geschätzter Vorgänger bisher noch nicht hier aufgetaucht ist. Normalerweise ist er doch einer der ersten, der eine Tat des Rippers bei so etwas vermuten würde.«
Adam nickte. »Da hast du allerdings recht«, stimmte er zu.
»Was bringt Sie beide auf die Idee, dass ich nicht hier bin?«, war mit einem Mal eine, den zwei nur zu bekannte, Stimme zu vernehmen.
Richmond Lansbury zuckte zusammen. Er musste sich nicht umdrehen um zu wissen wem diese Stimme gehörte. Auch so wusste er es ganz genau. Dennoch tat er es. Alles andere wäre auch unhöflich gewesen, schließlich war der Mann der nun ihm und Adam gegenüber stand kein anderer als sein Vorgänger Abberline. Der Mann, der auch noch heute geradezu verbissen nach dem Ripper Jagd machte - wenn auch bisher ohne Erfolg. Dass er auftauchte war nur eine Frage der Zeit gewesen. Vor allen Dingen bei dem, was nun geschehen war. Richmond tauschte einen schnellen Blick mit Adam, dann räusperte er sich. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«, erkundigte er sich so ruhig wie möglich.
»Womit Sie mir behilflich sein können, Lansbury?«, wiederholte Abberline scharf. »Sie hätten mir einen Boten schicken können und mir sagen, dass der Ripper erneut zugeschlagen hat!«
Richmond winkte beruhigend ab. »Bei allem Respekt, Sir - es wäre mehr als unklug diese Tat sofort als eine Tat des Rippers abzustempeln.«
»Was es ja mit größter Sicherheit auch ist«, entgegnete Abberline und funkelte Richmond an.
Der seufzte innerlich und schaffte es nur mit großer Mühe, sich zusammen zu reißen. »Habt Ihr Euch das Opfer denn schon angesehen, Sir?«
»Nein. Deshalb bin ich ja hier. Eure Leute haben mich nicht durchgelassen. Was eine, wie ich nebenbei bemerken möchte, bodenlose Frechheit ist!«
Adam, der der Auseinandersetzung bisher nur zugehört hatte, meldete sich nun doch zu Wort. »Also das könnt Ihr ihnen nun wirklich nicht zum Vorwurf machen, Sir«
»Ich muss mich doch sehr über Euch wundern Richmond. Ihr habt ja immer noch diesen-«, Abberline unterbrach sich und schnaubte missfällig.
»Amerikaner bei Euch?«, half Adam liebenswürdig aus.
»Ganz genau das wollte ich sagen«, entgegnete Abberline und bemühte sich nicht Adam gegenüber freundlich zu klingen. Was wiederum Richmond störte.
»Ich weiß dass Ihr Adam nicht leiden könnt, aber er ist einer der besten in seinem Fach und hat mir schon oft mit seinem Wissen beim abschließen eines Falls geholfen. Daher reißt Euch bitte zusammen, Sir«, sagte Richmond verärgert.
»Mach dir um mich keine Sorgen, Richmond. Du weißt doch dass mich so etwas nicht besonders kümmert«, versuchte Adam die Situation zu beruhigen, bevor sie eskalieren konnte.
»Mich aber! Also wie sieht es aus Abberline?«, erkundigte Richmond sich ungehalten bei diesem.
Abberline schnaubte verächtlich. Er schätzte zwar Richmond Lansbury aber seine Methoden fand er nicht immer gut. Geschweige denn diesen Amerikaner, Adam Fray, der mit ihm zusammenarbeitete und von doch sehr fragwürdiger Natur war. Abberline verschränkte die Arme vor der Brust. »Noch einmal Richmond: Wir hatten doch abgesprochen, dass Ihr mich sofort ruft wenn es Neuigkeiten wegen des Rippers gibt«
»Ich erinnere mich durchaus an unsere Vereinbarung«, gab Richmond knapp zurück. »Aber da noch nicht fest steht ob es tatsächlich ein Opfer des Rippers ist, hielt ich es nicht für nötig Euch her zu beordern.«
»Nicht nötig mich her zu beordern?«, wiederholte Abberline. »Ihr scherzt wohl!«
»Nein, ich scherze nicht. Insbesondere nicht bei solch heiklen Fällen!«, entgegnete Richmond und sehr zu seinem Ärger klopfte genau in diesem Moment jemand an seine Bürotür. »Was?«
»Ich bin es, Sir. Jonathan Hobbs. Ich würde gern etwas mit Euch besprechen!«
»Kommt rein«, sagte Richmond und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Adam ihm einen erstaunten Blick zu warf. Doch er ignorierte es und dann öffnete sich auch schon die Tür.
Ein wenig unwohl fühlte Jonathan sich schon, nachdem er in das Büro von Inspektor Lansbury trat. Dort befanden sich außer ihm noch zwei andere Männer. Einen davon kannte er. Es war Adam Fray. Doch wer der andere war, darauf konnte er sich im Moment keinen Reim machen.
»Wenn ich vorstellen darf Hobbs? Das ist mein Kollege Abberline. Er ist einer der Beamten, die sich mit Leib und Seele Jack the Ripper verschrieben haben«, stellte Inspektor Lansbury den Mann neben sich vor. Dann fügte er hinzu: »Vermutlich würde er ihn selbst in hundert Jahren noch jagen, wenn es möglich wäre.« Lansbury schien alles andere als begeistert.
Jonathan beschloss daher, dass es besser war sich einen Kommentar dazu zu verkneifen. Schließlich war Ärger das letzte was er wollte. Also hörte er einfach nur zu.
Jetzt aber mischte sich Abberline in das, bisher eher einseitige, Gespräch ein. »Nun«, meinte dieser nämlich »bis dahin wird sich der Fall natürlich längst erledigt haben. Oder ist Ihnen ein Fall bekannt, der seit solch einer langen Zeit noch ungeklärt ist?« Abberline sah Jonathan an. Der runzelte die Stirn.
»Ich kenne mich mit solchen Fällen nicht besonders gut aus«, gab er zu bedenken. Dann wandte er sich wieder an Lansbury. »Sir, Miss Katie hat eine Einladung für zwei Personen zu einem Ball bekommen. Wenn ich dort mit ihr würde hingehen dürfen könnte uns das vielleicht weiterbringen-«
Bevor er noch irgendwas sagen konnte, fiel Inspektor Lansbury ihm ins Wort. »Hobbs, Miss Katie wartet mit Sicherheit schon draußen bei Arthur auf Sie. Sollte wieder etwas in der Richtung wie heute vorkommen geben Sie mir bitte wieder umgehend Bescheid. Was diesen Ball angeht wenn es uns weiterbringt, gehen Sie hin aber nehmen Sie sich in Acht. Ansonsten tun Sie was Sie für richtig halten. Sie dürfen gehen, Hobbs«, er nickte ihm zu.
»Danke Sir. Ich werde Sie wie immer auf dem Laufenden halten«, versprach Jonathan pflichtbewusst.
»Schon gut. Jetzt verschwinden Sie endlich! Ich habe etwas mit Abberline zu besprechen«, stellte Inspektor Lansbury klar.
»Natürlich«, stimmte Jonathan ihm zu, ging aus dem Büro und schloss leise die Tür hinter sich.
»Wie sieht es aus Jonathan? Was hat Inspektor Lansbury gesagt?«, erkundigte Katie sich die, bis vor wenigen Minuten, mit Arthur geredet hatte. Auch dieser sah ihn nun neugierig an. Vermutlich hatte sie ihm ein wenig von ihren Beobachtungen erzählt.
Jonathan zuckte mit den Schultern.
»Nun begeistert war er, wie du dir sicher vorstellen kannst, nicht. Allerdings war er das noch weniger, was vermutlich daran lag das Inspektor Abberline bei ihm war. ist. Im Großen und Ganzen scheint er aber mit deiner Idee einverstanden zu sein«, erzählte Jonathan. Dass er sich persönlich darüber wunderte, verkniff er sich allerdings. Jetzt vor Arthur, der sich vermutlich schon so über das meiste wunderte, zu streiten lag, zumindest im Moment nicht, in seinem Interesse. Über ihre Idee würde Jonathan allerdings noch einmal mit Katie reden. Schließlich war er bei ihr geblieben um sie zu beschützen und nicht damit sie sich gleich ins nächste Abenteuer stürzten. Jonathan seufzte.
Katie musterte Jonathan, welcher aussah als ob er in Gedanken weit weg war. Vermutlich war es auch genauso. Trotzdem, sie sah es ihm hoch an, dass er mit ihrer Idee die beinahe, aber wirklich nur beinahe was sie niemals zugeben würde, zu Inspektor Lansbury gegangen war. Dass dieser dem zustimmte erstaunte sie jedoch um einiges mehr. Katie lächelte Arthur zerknirscht zu, fasste Jonathan am Handgelenk und zog ihn mit sich nach draußen.
»Du hältst das, was ich vorgeschlagen habe, für keine gute Idee, oder?«, erkundigte Katie sich vor der Wache.
»Doch«, widersprach Jonathan ihr sehr zu ihrem Erstaunen. »Allerdings nicht, dass du es bist«, fuhr er fort.
»Was soll das heißen? Du bist doch genauso dabei«, entgegnete Katie, nachdem sie sich halbwegs von ihrer Überraschung erholt hatte.
Jonathan nickte. »Schon. Mit so einer Situation habe ich mich allerdings noch nie konfrontiert gesehen«, erklärte er.
»Na dann wirst du eben um eine Erfahrung reicher. Außerdem wolltest du doch einen Dienst, bei dem du nicht im Büro sitzen musst«, erinnerte Katie ihn.
Jonathan nickte. »Du weißt wohl auf jede Frage eine Antwort, wie?«, erkundigte er sich missgelaunt.
Katie grinste. »Nicht auf jede, nein. Aber bisher auf jede die du mir gestellt hast«, sagte sie amüsiert.
»Versprich mir wenigstens, dass du in gefährlichen Situationen auf mich hören wirst«, bat Jonathan sie.
Katies Grinsen wurde eine Spur breiter. »Das kommt ganz auf deine Definition von gefährlich an«, wandte Katie ein.
»Meine Definition von gefährlich?«, wiederholte Jonathan und stöhnte leise. Katie brachte ihn wirklich so langsam, aber ziemlich sicher, um den Verstand. »Wie wäre es mit lebensbedrohlich?«, schlug Jonathan vor.
»Lebensbedrohlich? Was meinst du damit?«, Katie sah ihn mit hochgezogener Braue an.
»Was ich damit sagen will ist folgendes: Wenn dir auch nur irgendwas seltsam oder gar unheimlich vor kommt, sag mir bitte Bescheid«, sagte Jonathan und klang ohne dass er es verhindern konnte allmählich etwas gereizt. »Ich will dich nicht bevormunden«, fuhr er, nun ernst, fort »aber da ich inzwischen weiß, dass du manchmal ziemlich impulsiv reagierst-«
»Du meinst ohne nachzudenken«, fiel Katie ihm ins Wort, was Jonathan jedoch überging.
»Hoffe ich du bist klug genug auf mich zu hören. Und das nicht erst wenn dir jemand ein Messer oder Revolver unter die Nase hält. Was beides lebensbedrohliche Situationen wären«, redete Jonathan einfach weiter.
Katie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du denkst also ich würde in solch einer Situation unüberlegt handeln?«, fragte sie ihn und konnte nun ebenfalls etwas Ärger nicht verbergen.
Jonathan nickte trotzdem. »Ja genau. Gerade dann«, bestätigte er ihr.
Katie verzog das Gesicht. »Ich werde mir Mühe geben. Außerdem wie ich dir ja schon gesagt habe: Du wirst auch nicht zu allen Terminen von mir mitkommen«, erinnerte sie ihn noch einmal, obwohl sie wusste, dass dies nicht gerade zur Besserung seiner Laune beitragen würde. Sie behielt Recht.
Nur mit Mühe konnte Jonathan sich einen bissigen Kommentar verkneifen. Doch er schaffte es. »Dann nimm wenigstens jemand anderes mit«, bat er Katie, bemüht freundlich zu sein.
»Jemand anderes? Du redest doch hoffentlich nicht von Madame Fleur?«, nun war Katie eindeutig verärgert.
»Nein«, sagte Jonathan und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen »aber vielleicht deinen Vater«
»Meinen Vater? Soll das ein Witz sein?«, erkundigte Katie sich bei Jonathan.
Der zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht«
Katie musterte Jonathan. Ihr war selbstverständlich klar, dass sie, ihm gegenüber, nicht gerade gerecht war. Sie wusste, dass er sich um sie Sorgen machte wegen all dem was passiert war. Sie selbst ließ das alles ja auch nicht kalt. Trotzdem, sie mochte es nicht besonders sich nach anderen richten zu müssen - oder besser gesagt von anderen abhängig zu sein. Katie räusperte sich.
»Ich hab jetzt keine Lust zu streiten«, sagte sie schließlich. »Wir werden das schon schaffen. Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig sein werde«, meinte sie.
»Also gut. Dann belassen wir es eben erst einmal dabei«, entgegnete Jonathan, sehr zu ihrer Erleichterung. Anscheinend hatte auch er im Moment keine besonders große Lust auf einen Streit mit ihr. Überhaupt schien er ihr auch eher der Typ zu sein der, zumindest soweit es möglich war, Auseinandersetzungen aus dem Weg ging.
»Danke«, bedankte sich Katie trotzdem.
»Dank ist nicht nötig«, gab Jonathan zurück. Zumal ihm auch nicht ganz klar war, wofür sie sich eigentlich bedankte. Ob es nun war weil er nicht weiter auf ihre Idee einging, was definitiv zu einer Auseinandersetzung zwischen ihnen geführt hätte. Oder ob es doch etwas anderes war. Doch zugeben tat er das natürlich nicht. Schließlich gab es andere und deutlich wichtigere Dinge über die er nachdenken musste. Da war das hier eher von weniger wichtiger Bedeutung. Jetzt galt es erst einmal einen Plan auszuarbeiten wie sie als Nächstes und am besten vorgingen.
Ihr Atem raste, sie hatte ganz fürchterliches Seitenstechen und ihre Brust fühlte sich an als ob sie jeden Moment zerspringen würde. Nach hinten zu schauen traute sie sich nicht. Sie wusste nur eines ganz genau: Sie durfte unter keinen Umständen stehen bleiben. Allerdings fiel es ihr immer schwerer zu weiter zu rennen. Tat sie es das eigentlich noch? Sie konnte es nicht genau sagen. Ihre Beine fühlten sich an als ob Ameisen sich in ihnen eingenistet hätten. Doch sie bewegte sich vorwärts. Waren das ihre Schritte, die sie da hörte oder doch die ihres Verfolgers? Rennen. Sie musste rennen. Irgendwie musste sie es schaffen aus dieser finsteren Gasse hinaus und auf eine beleuchtete Straße zu kommen. Auf eine Straße wo sich möglichst viele Menschen befanden. Denn dann konnte sie untertauchen und sich vielleicht sogar irgendwie nach Hause durchschlagen. Vielleicht. Aber vermutlich wäre auch das nicht gerade die beste Idee, denn dann würde sie womöglich auch ihre Eltern gefährden. Doch sie brauchte nun einmal Hilfe. Und zu wem sollte sie sonst gehen? Es fiel ihr beim besten Willen keiner ein. Niemand bis auf-
Mit einem Schrei erwachte Katie. Eine Weile lang saß sie einfach nur in ihrem Bett und versuchte sich zu sammeln. Was für ein schrecklicher Traum, dachte sie. Wahrscheinlich war alles, was in den letzten Tagen geschehen war, zu viel für sie gewesen. Schließlich war sie nicht gerade jemand, der zu Alpträumen neigte. Im Gegenteil. Meistens träumte sie gar nicht. Katie seufzte, kletterte umständlich aus dem Bett und zog dann die Vorhänge auf. Zumindest vom Wetter her war der Tag schön. Das waren doch schon einmal gute Vorrausetzungen um den Tag zu beginnen.
»Du hast schlecht geträumt?«, Jonathan, der an diesem Tag zum gemeinsamen frühstücken gekommen war, hielt inne und sah Katie mit hochgezogener Braue an.
Katie nickte. »Ja und es war so real-und erschreckend«, gab sie verlegen zu.
»Das glaube ich gern«, meinte Jonathan nachdenklich und einen Moment sah es aus als ob er noch etwas sagen wollte.
Katie runzelte die Stirn. »Ist irgendwas?«, wollte sie von ihm wissen.
»Nein. Nichts. Was sollte schon sein?«, entgegnete Jonathan.
Nur mit Mühe verkniff Katie sich den Kommentar, der ihr eigentlich auf der Zunge lag. Nämlich der, dass es ganz und gar nicht nach nichts aussah. Um zu streiten, oder für sonst andere Auseinandersetzungen war es jedoch viel zu früh. Das fand zumindest Katie. Außerdem war sie sich auch ziemlich sicher, dass Jonathan ebenfalls nicht besonders begeistert davon wäre. Also zuckte sie nur mit den Schultern. »Dann ist ja gut. Ich hab schon gedacht-«, sie ließ den Satz absichtlich offen.
Jonathan musterte Katie. Manchmal war es geradezu erschreckend, wie leicht es ihr fiel, ihn zu durchschauen. Denn auch wenn sie wohl nicht ahnte, was ihm durch den Kopf ging hatte sie doch gemerkt, dass ihn etwas beunruhigte. Oder zumindest beschäftigte. Erst hatte er erwartet, dass sie ihn danach ausfragen würde. Sehr zu seinem Erstaunen jedoch riss sie sich zusammen. Ihm persönlich war das ganz recht. Lust sich am frühen Morgen zu rechtfertigen oder zu streiten hatte er nämlich wirklich gar nicht. Jonathan atmete tief durch. Dann lächelte er Katie freundlich an.
»Was steht denn heute bei dir so im Terminkalender?«, erkundigte Jonathan sich.
»Klavierstunde.« Katie seufzte.
»Du spielst Klavier?«, Jonathan sah sie interessiert und aufmerksam zugleich an.
Abermals seufzte Katie. »Ich würde eher sagen, dass ich versuche Klavier zu spielen«, gab sie zögernd zu.
Jonathan grinste. »Nun es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen«, ermunterte er sie.
»Danke für das Kompliment. Aber ich bin ein hoffnungsloser Fall, glaub mir«, entgegnete Katie.
»Schade. Ich hätte dich gern begleitet«, meinte Jonathan. Katie zog eine Braue in die Höhe und musterte ihn kritisch.
»Sag bloß du spielst Klavier?«, fragte sie verblüfft.
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Ganz passabel«, sagte er knapp.
»Ganz passabel ist um Längen besser als ich«, Katie fasste Jonathan am Ärmel. Ihre Augen begannen aufgeregt zu funkeln. »Besonders große Lust habe ich auf den Klavierunterricht eigentlich nicht aber dich würde ich wirklich gerne mal spielen hören«, stellte sie klar. Jonathan schmunzelte unwillkürlich. Dann hielt er ihr seinen Arm hin. »Also worauf warten wir noch?«, erkundigte er sich.
»Du wirst es wohl kaum zulassen, dass ich mich davor drücke, habe ich nicht Recht?«, stellte Katie resigniert fest.
Jonathan grinste. »Da hast du sogar vollkommen Recht«
Katie seufzte. »Na gut, dann komm eben mit. Aber beschwere dich hinterher bloß nicht. Denn ich bin absolut keine gute Pianistin«
Jonathan lachte.
»Katharine! Wann wirst du endlich lernen zu deinem Pianounterricht pünktlich zu sein!«, scholl Katie die Stimme ihrer Mutter entgegen, kaum dass sie die Tür zum Musikzimmer geöffnet hatte.
»Mutter, dieses Mal war es nicht meine Schuld. Jonathan- Ich meine Constable Hobbs, wollte mir unbedingt zuhören-«, Katie wollte noch mehr sagen, doch ihre Mutter unterbrach sie.
»Nun dann hoffe ich in Ihrem Interesse, Sie haben sich Ohrenschützer mitgebracht-«, sagte sie an Jonathan gewandt.
»Ja ich auch«, Katie verzog das Gesicht.
Jonathan konnte sich nicht länger ein Grinsen verkneifen. Katies Mutter, die ihre Lehrerin fürs Klavierspielen zu sein schien, war wohl ebenfalls nicht gerade begeistert, was Katies Talent betraf. »Keine Sorge, ich schätze so schlimm kann es nicht sein.«
»Das sagst du jetzt!«, zischte Katie Jonathan an und erntete dafür einen strengen Blick seitens ihrer Mutter. »Ja, ist ja schon gut«, sagte Katie zu ihrer Mutter, seufzte und begab sich dann zu dem Piano, setzte sich hin und begann zu spielen.
»Ich verstehe es einfach nicht!«, rief Katie genervt, nachdem ihr zum dritten Mal der Mittelteil misslang. Sie drehte sich zu Jonathan und ihrer Mutter um und verzog das Gesicht. »Ich habe es ja gesagt. Von ganz passabel bin ich momentan meilenweit entfernt!«
Jonathan sah zu Katies Mutter. »Madam, wenn Ihr erlaubt würde ich gerne Eurer Tochter zeigen wie man dieses Stück korrekt spielt«
»Gern Constable Hobbs. Macht Euch aber bloß keine allzu großen Hoffnungen«, Katies Mutter seufzte.
Jonathan lächelte. Dann setzte er sich neben Katie an das Piano.
»Du musst verrückt sein«, flüsterte Katie ihm zu. »Oder nein, verrückt trifft es nicht ganz«, sie dachte nach »ein Träumer. Ich werde es niemals hin kriegen«
Jonathan grinste nun. »Darum geht es doch jetzt auch erst einmal gar nicht. Sieh mir erst einmal zu, in Ordnung?«
Katie nickte. »In Ordnung«, stimmte sie schließlich zu und rückte ein wenig zur Seite, damit Jonathan etwas mehr Platz hatte.
»Das war wunderschön!«, rief Katie nachdem Jonathan begeistert. »Von wegen ganz passabel. Du spielst mindestens tausendmal besser als ich!«
»Unsinn«, widersprach Jonathan leicht verlegen. »Du lässt dich nur zu leicht ablenken und deshalb schleichen sich bei dir Flüchtigkeitsfehler ein«
»Denkst du wirklich?«, neugierig musterte Katie ihn.
»Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass das so ist«, sagte Jonathan.
Katie dachte einen Augenblick nach. »Kann schon sein«, gab sie schließlich zu. »Aber es ist nun einmal etwas was mir nicht gerade leicht fällt. Vor allem dieses stillsitzen. Das liegt mir einfach nicht.«
Jonathan grinste abermals. »Ja das kann ich mir denken«, sagte er und meinte es auch so. Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass Katie zu den Menschen gehörte, die länger, seien es auch nur fünf Minuten, ruhig sitzen konnten.
Katie verzog das Gesicht. »Das war die Stelle an der du das hättest abstreiten müssen«, stellte sie klar.
Jonathan runzelte die Stirn. »Wieso? Ich sollte dir doch sagen was du verbessern sollst, oder nicht?«
»Egal. Vergiss einfach was ich gesagt habe«, Katie seufzte.
»Ich will es aber nicht vergessen«, entgegnete Jonathan und musterte sie. »Würdest du mir daher bitte erklären von was du sprichst?«
Katie seufzte. Manchmal kann er wirklich naiv sein, auch wenn er älter ist als ich, dachte sie. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist nicht wichtig«
Jonathan runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht«, sagte er.
»Wie gesagt: Es ist nicht wichtig«, wiederholte Katie ungeduldig. »Was allerdings viel wichtiger ist, ist was wir jetzt vor haben«, sie musterte Jonathan neugierig.
Der seufzte. »So sehr ich es auch hoffe, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du nicht von deinem Klavierunterricht redest.«
Katie grinste breit. »Wie kommst du nur auf diesen Gedanken? Das kann ich mir wirklich gar nicht erklären«
»Natürlich nicht -«, Jonathan verzog das Gesicht. Dann klappte er den Deckel des Klaviers zu und wandte sich an Katies Mutter. »Ich möchte keinesfalls unhöflich sein, Madam, doch wäre es vielleicht möglich wenn ich Eure Tochter unter vier Augen sprechen könnte?«
Katie zog daraufhin erstaunt eine Braue in die Höhe. Ihre Mutter dagegen seufzte ergeben. »Da sie sich vermutlich sowieso nicht mehr auf ihr Spiel konzentrieren kann und Ihr ein Gentleman zu sein scheint, dürfte das wohl kein Problem sein«
Jonathan verneigte sich kurz vor Katies Mutter, bevor diese sich umdrehte, um den Raum zu verlassen. »Ich danke Euch.«
»Also was willst du von mir?«, erkundigte sich Katie, kaum dass sie alleine waren.
»Dir sagen, dass du recht hast«, entgegnete Jonathan.
»Ich habe Recht? Womit genau?«, irritiert sah Katie ihn an.
Jonathan seufzte. »Mit dem was du neulich gesagt hast. Wenn wir beide zusammenarbeiten wird dieser Fall wohl tatsächlich schneller aufgelöst.«
Katie starrte Jonathan an. »Ist das dein Ernst?«, brachte sie schließlich heraus.
Jonathan nickte. »Leider ja«
»Es wäre schon schön, wenn du wenigstens versuchst dich darüber zu freuen«, meinte Katie. Sie lächelte ihn an. »Ich jedenfalls tu es«
»Das ist ja genau das was mir Sorgen bereitet«, gestand Jonathan und musterte sie ernst. »Und vermutlich werden deine Eltern ebenfalls nicht besonders begeistert sein«
»Denkst du?«, Katie zog eine Braue in die Höhe.
Jonathan nickte. »Das denke ich nicht nur, sondern ich bin auch felsenfest davon überzeugt«, stellte er klar.
»Ach du wirst schon keinen Ärger von meinen Eltern bekommen, falls es das sein sollte was dir Sorgen bereitet«, meinte Katie leichthin. »Schließlich wissen sie, besonders mein Vater, warum du es machst. Falls nicht kannst du immer noch sagen dass ich dich überredet habe -«
Jonathan seufzte. Katie schien sich das alles deutlich einfacher vorzustellen, als er es tat. Wobei mit letzterem, was sie sagte, hatte sie noch nicht einmal so ganz Unrecht. Zu einem gewissen Maße hatte sie ihn, auch wenn ihn das nicht gerade begeisterte, tatsächlich überredet. Überhaupt schien sie eine gewisse Begabung dafür zu haben, andere von etwas was sie erreichen wollte zu überzeugen. Darüber ob er das wirklich gut finden sollte, war Jonathan sich allerdings noch nicht so ganz im Klaren. Worüber er sich jedoch auf jeden Fall im Klaren war, war, dass Katie lernen musste wenigstens ein wenig Geduld zu haben. Zumindest dann, wenn alles ab jetzt in geregelten Bahnen verlaufen sollte - und vor allem ohne jegliches Chaos.
»Jonathan! Würdest du mir bitte einen Gefallen tun?«, erkundigte sich Katie und redete, bevor Jonathan auch nur die Gelegenheit bekam zu antworten, direkt weiter. »Bitte hör auf so laut zu denken. Da bekommt man ja bald, von der Flut deiner Gedanken, einen Hörsturz!«
»Wie bitte?«, Jonathan sah sie irritiert an.
Katie seufzte. »Du bist doch nicht immer noch darüber besorgt, was meine Eltern von unserem Plan halten, oder etwa doch?«, misstrauisch erwiderte sie seinen Blick.
»Nicht mehr als über dich und dein Verhalten«, überwand sich Jonathan schließlich zu sagen.
»Nicht mehr als mich und- Sag mal beleidigst du mich gerade?«
»Es gibt nichts was mir ferner läge«, entgegnete Jonathan. Er räusperte sich. »Allerdings wirst du mir doch wohl zustimmen, wenn ich sage, dass es nicht gerade von Vorteil wäre wenn du dich von deinen Gefühlen leiten lassen würdest und-«, weiter kam er nicht.
»Du denkst wirklich, dass es von Nachteil ist dass ich mich von meinen Gefühlen leiten lasse?«, fragte Katie.
»In den meisten Fällen, ja«, stimmte Jonathan zu.
»Und warum genau?«
Jonathan seufzte. »Weil das einen schneller in Schwierigkeiten bringen kann als du dir vorstellen kannst oder dir vielleicht lieb ist«
»Also was das angeht, kann ich dir nicht zustimmen«, meinte Katie. »Wenn mich etwas bisher in Schwierigkeiten gebracht hat dann nicht meine Gefühle, sondern viel mehr meine überstürzten Aktionen«
Nur mit Mühe verkniff Jonathan sich ein erneutes Seufzen. Wollte Katie es nicht verstehen oder tat sie es tatsächlich nicht? Er konnte es nicht sagen. »Sieh mal«, begann er schließlich gezwungen ruhig »ich sage ja nicht, dass es schlecht ist sich auf seine Gefühle zu verlassen-«
»Das hat sich für mich aber ganz danach angehört!«, meinte Katie vorwurfsvoll.
»Sondern nur, dass es nicht gerade klug ist übereilt zu handeln«, fuhr Jonathan ohne ihren Einwand zu beachten fort.
»Du willst also damit sagen, dass es manchmal besser ist jemandem irgendwas vorzutäuschen als die Wahrheit zu sagen«
Jonathan nickte. »Zum Beispiel«
»Ach, das sind ja ganz neue Töne«, meinte Katie leicht spöttisch.
Jonathan runzelte die Stirn. »Wieso das denn?«
»Nun ja, bist du als Constable nicht verpflichtet immer die Wahrheit zu sagen?«
»Bist du tatsächlich so naiv?«, zu spät fiel Jonathan auf, dass er laut gedacht hatte.
»Hast du mich gerade etwa ernsthaft naiv genannt?«, wiederholte Katie, die kaum glauben konnte, dass Jonathan sie tatsächlich so bezeichnet hatte.
Jonathan nickte. »Ja genau. Naiv«, bestätigte dieser, dem allmählich die Geduldfäden zu reißen drohten. »Oder zumindest unerfahren«
Katie verzog das Gesicht. »Mit unerfahren könnte ich schon eher leben. Aber naiv würde ich doch als Beleidigung auffassen«
»Na schön. Dann belassen wir es eben bei unerfahren«, Jonathan seufzte. »Und genau deshalb sollten wir uns einen Plan, für unseren Besuch auf diesem Ball, zurecht legen«, stellte er klar und es war klar, dass er in dieser Sache keine weiteren Widersprüche dulden würde.
»Gut. Dann lass uns das hinter uns bringen«, meinte Katie.
»Hast du es verstanden Katie? Wir beobachten. Und mit beobachten meine ich, dass wir keine unnötigen Risiken eingehen sondern lediglich normale Gäste sind. Das bedeutet für dich: Es wird nicht Detektiv gespielt«, stellte Jonathan klar.
»Du bist so langweilig«, beschwerte Katie sich.
Jonathan seufzte. »Du hast eine seltsame Vorstellung von Langeweile.«
Katie verdrehte die Augen. »Und du vom ermitteln.«
»Siehst du? Genau das ist der Unterschied. Wir wollen und werden nicht dorthin gehen, um zu ermitteln, sondern nur um den Ball zu besuchen. Sollten wir dennoch etwas herausfinden, ist das gut aber wir werden es nicht darauf anlegen«
»Na schön«, meinte Katie. Es klang unzufrieden.
»Glaub mir, es ist fürs erste am besten so«, versuchte Jonathan sie versöhnlich zu stimmen.
»Fürs erste, ja?«, Katie musterte ihn knapp. »Soll das heißen wir werden später irgendwann zusammenarbeiten, um in diesem Fall weiter zu kommen?«
»Ist das eine Fangfrage?«, erkundigte sich Jonathan, der nicht genau wusste, was er dazu sagen sollte.
Katie grinste. »Vielleicht«
Jonathan seufzte abermals. »Natürlich kann es sein, dass ich bei verschiedenen Dingen irgendwann deine Hilfe benötige«, gab er zu. »Das heißt, aber noch lange nicht, dass du dich deswegen in Gefahr bringen musst. Erst recht, da ich angewiesen wurde dich zu beschützen«
»Ich kann -«, begann Katie, wurde jedoch von Jonathan unterbrochen.
»Nein«, er schüttelte den Kopf. »Darüber werden wir nicht diskutieren«, stellte er klar.
»Das sehe ich ganz genauso«, sagte Frank McKenzie, der ohne dass die beiden es bemerkten, hinzu getreten war.
Katies Augen leuchteten. »Dann seid Ihr meiner Meinung, Vater?«
»Sehe ich so aus?«, fragte Frank McKenzie sie.
Katie stöhnte auf. »Nein«
»Und warum fragst du dann?«
»Ich hatte nun mal ein wenig Hoffnung, dass Ihr dieses Mal einer Meinung mit mir seid«, erklärte Katie. »Aber ich hätte mir ja denken können, dass Ihr es genauso wie Jonathan seht«
»Machst du mir das etwa zum Vorwurf Katherine?«, fragte Frank McKenzie.
Katie schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht wagen, Vater. Aber es ist nun einmal so, dass es hier um meine Freundin geht, die ermordet wurde«
»Vor allem geht es jetzt darum, dass du in Sicherheit bist«, wagte Jonathan einzuwerfen.
Frank McKenzie nickte. »Ganz genau«
»Aber wenn ihr beide den Besuch auf dem Ball für so gefährlich haltet - warum ich gehe ich dann überhaupt dort hin?«, fragte Katie giftig.
»Katherine McKenzie, mäßige deinen Tonfall!«, tadelte ihr Vater sie.
»Was denn?«, erkundigte sich Katie herausfordernd. »Wenn es so gefährlich ist, wie ihr alle sagt: Warum geht dann Jonathan nicht alleine? Es wäre doch die einfachste Lösung oder etwa nicht? Denn er kann doch auf sich selbst aufpassen, oder nicht?«
Jonathan wollte etwas dazu sagen, doch Katies Vater war schneller.
»Wie Hobbs schon gesagt hat, junge Dame: Das ist nichts, worüber diskutiert wird«, stellte er unmissverständlich klar.
»Aber-«
»Nein!«, es klang scharf. »Und jetzt mach dich fertig. Die Kutsche wird euch in zwei Stunden abholen«
»In zwei Stunden?«, Katie sah ihren Vater fassungslos an.
»Ja. Ich rate dir, dass du jetzt hoch in dein Zimmer gehst und dich fertig machst«, schlug er vor. Dann wandte er sich an Jonathan. »Dasselbe gilt für sie Hobbs. Ich habe Ihnen schon einen Anzug bereitlegen lassen. Sie müssen sich daher keine Gedanken wegen Ihrer Garderobe machen.«
»Vielen Dank, Sir«, Jonathan verneigte sich kurz. »Das ist eine große Hilfe.«
Frank McKenzie winkte ab. »So etwas macht mir keine Umstände. Also haben Sie kein schlechtes Gewissen.«
Obgleich Katies Vater Jonathan gesagt hatte, dass er sich keine Sorgen machen sollte, tat dieser es dennoch. Vermutlich liegt es daran, dass ich nicht von anderen abhängig sein will und er mir schon geholfen hat, dachte er und sah zu dem Schrank, an den jemand einen Anzug gehängt hatte. Jonathan seufzte und nahm sich später einmal für alles zu bedanken. Doch jetzt musste er sich erst auf etwas anderes konzentrieren. Den Ball. Darauf dass der Besuch mit Katie auf diesem nicht in einem totalen Desaster endete. Und darauf hatte er absolut keine Lust.
»Na, Emily? Wie sehe ich aus?«, Katie sah sie fragend an.
»Ganz reizend Miss«, Emily lächelte. »Mr. Hobbs wird sicher auch derselben Meinung sein«
»Darauf lege ich es zwar nicht unbedingt an, aber falls es so sein sollte, wäre das nichts schlechtes«, Katie grinste sie verschwörerisch an und strich über den zarten Stoff des Kleides. »Ich schätze, ich sollte mich mal bei meinem Vater hierfür bedanken. Auch wenn vermutlich Mutter diejenige war, die es ausgesucht hat.«
»Das wäre sicher angemessen Miss«, Emily nickte zustimmend. »Ja, nicht wahr? Ich mache es, wenn Jonathan und ich zurück sind«
»Soll ich Euch vorsichtshalber morgen daran erinnern?«
Katie dachte einen Moment nach. Dann seufzte sie. »Ich gebe es nur ungern zu, aber vermutlich ist das gar nicht so dumm«
»In Ordnung, dann werde ich das machen«, versprach Emily »und jetzt lasst uns gehen. Mr. Hobbs wartet sicher schon auf Euch in der Eingangshalle. Auf jeden Fall aber Euer Vater«
»Ja er ganz bestimmt«, stimmte Katie zu und machte sich dann mit Emily auf den Weg nach unten.
Jonathan wartete tatsächlich schon, in der Eingangshalle auf sie. Als er sie entdeckte, wie sie die Treppe hinunter kam, verschlug es ihm für einen kurzen Moment die Sprache. Er hatte zwar erwartet, dass Katie sich umziehen würde, doch dass sie so wunderschön aussehen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Ihr Haar trug sie, wie gewohnt, zu einem Zopf geflochten. Über ihre Schultern trug Katie, passend zu ihrem schlicht beige farbenen Kleid, eine Stola. Diese war dunkelbraun und mit verschiedenen Goldstickereien verziert. Katie sah elegant aus. Das war etwas, was er wirklich zugeben musste. Jonathan lächelte und ging dann zu ihr.
»Ein Wort darüber, wie ich aussehe und du bist so gut wie tot«, zischte Katie ihm zu.
Jonathan zog eine Braue in die Höhe.
»Ich meine das ernst!«, versicherte sie ihm.
»Das lass aber lieber nicht deinen Vater hören. Davon abgesehen bist du wunderschön«, sagte Jonathan.
»Ach tatsächlich?«, wollte Katie wissen. »Na wenn du das sagst«, sie konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ich hoffe einfach mal, dass das ehrlich gemeint war. Wenn nicht ist es aber auch nicht so schlimm«
»War es«, Jonathan lächelte. »Und jetzt komm. Die Kutsche wartet bereits draußen«
»Na dann mal los«, Katie lächelte ebenfalls und nahm dann die Hand, die Jonathan ihr reichte. »Das ich dir eben gesagt habe, du sollst nichts darüber sagen wie ich aussehe lassen wir mal außer Acht«, schlug sie vor.
»Ganz wie du willst«, Jonathan grinste.
»Wahnsinn«, mehr fiel Katie vorerst nicht zu sagen ein, nachdem sie und Jonathan aus der Kutsche ausstiegen. Zu sehr, nahm der Anblick sie gefangen.
»Schon«, Jonathan nickte. Auch er fühlte sich nicht wenig überwältigt, was, seiner Meinung nach, nicht verwunderlich war, denn was sich ihnen hier bot, war besonders und vor allem nicht alltäglich.
Das Herrenhaus vor dem sie standen, man konnte man fast schon Villa sagen, war rundherum mit bunten Laternen am Eingang geschmückt. In der großen Auffahrt standen dutzende von Kutschen und Droschken, aus denen elegant angezogene Damen und Herren ausstiegen. Diese gehörten, das nahm Jonathan stark an, alle der gehobeneren Schicht an. Die meisten Frauen trugen teuer aussehende Kleider, die bis auf den Boden reichten. Einige trugen sogar Fächer mit sich herum. Die Anzüge der Männer waren schwarz. Wie auch der, den Jonathan selbst. Das einzige was die Männer anzugsmäßig unterschied, waren die Farben des Hemdes und der Schnitt des Anzugs. Und vermutlich auch der Preis. Aber nach so etwas fragte man nicht. Man konnte sehen, dass alle hier mehr sehr wohlhabend waren.
»Katie!«, erklang mit einem Mal, wie aus dem Nichts, eine Stimme. »Was machst du denn hier?«
Katie zuckte zusammen. Dann stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie erkannte wer sie angesprochen hatte. »Henry!«, rief sie überrascht.
Es war tatsächlich Henry Kennington, der da vor ihnen stand und Katie nachdenklich musterte. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich hier antreffen werde«, gestand er schließlich.
»Gleichfalls«, Katie grinste. »Aber ich freue mich auf jeden Fall. Dann ist Jonathan nicht der einzige, den ich hier kenne«
»Ach ja«, Henry nickte und wandte sich Jonathan zu. »Ich erinnere mich«, sagte er. »Euer Name war Jonathan Hobbs, richtig?«
Nun war es Jonathan, der nickte. »Ja. Und ihr Henry Kennington. Ein Kindheitsfreund von Katie«, entgegnete Jonathan. »Ist doch richtig, nicht wahr?«
»Ich bin beeindruckt«, Henry lächelte anerkennend.
»Wieso das?«, erstaunt sah Jonathan ihn an. »So seltsam ist das doch auch wieder nicht«
»Natürlich«, Henry lächelte. »Aber sagt, wie kommt es, dass Ihr und Katie auf diesem Ball seid? Soweit es mir bekannt ist, sind hier nur geladene Gäste«
»Oh, das sind wir Henry«, Katies Grinsen wurde etwas breiter. »Auch wenn uns, zugegebenermaßen, nicht bekannt ist von wem wir die Einladung zu verdanken haben«
Henry zog eine Braue in Höhe. »Und trotzdem nimmst du diese Einladung an?«
»Aber natürlich! Das siehst du ja«, entgegnete Katie.
»Stimmt«, Henry, der Katies Abenteuerlust nur zu gut kannte, seufzte. »Und Euch kam das wohl gar nicht seltsam vor, wie?«, es klang beinah vorwurfsvoll.
»Doch natürlich«, widersprach Jonathan, ohne zu zögern. »Allerdings gab es gewisse Umstände, weswegen wir keine Wahl hatten, als diese Einladung anzunehmen. So bedauerlich das sein mag«, fügte er nach kurzem überlegen hinzu und sah dann zu Katie.
»Er hat Recht, Henry«, meldete sich Katie zu Wort. »Und nur, um es erwähnt zu haben, Jonathan hat bis zum Ende versucht, einen Weg zu finden, dass ich zu Hause bleibe«
»Aha«, es klang nicht sehr überzeugt.
»Glaubst du mir etwa nicht?«, wollte Katie misstrauisch von Henry wissen.
»Doch selbstverständlich. Aber wenn du Probleme hast, hättest du dich doch auch an mich wenden können«
»Nicht bei diesen«, sagte Katie, bevor Jonathan die Möglichkeit hatte darauf zu antworten.
Henry seufzte. »Das hört sich ganz danach an, als ob du mir auch nicht davon erzählen wirst, wenn dich dich jetzt darum bitte«
»Gut erkannt«, stimmte Katie ihm zu. »Und darum lass es bitte auch«
»Na schön. Aber dir ist hoffentlich klar, dass mir das alles andere als gefällt«
»Absolut«, versicherte Katie, ohne schuldbewusst zu klingen. »Aber du kannst dir sicher sein, dass Jonathan auf mich aufpasst. Richtig, Jonathan?«, fügte sie hinzu.
»Selbstverständlich«, der Angesprochene nickte.
»Dann ist ja alles gut«, meinte Henry, immer noch nicht überzeugt oder begeistert.
»Ganz genau«, Katie lächelte.
Jonathan räusperte sich. »Wie wäre es, wenn wir jetzt erst einmal rein gehen? Alles andere können wir auch drinnen klären«, schlug er vor.
»Das ist eine hervorragende Idee«, stimmte Katie ihm zu und klatschte in die Hände. »Also los jetzt!«
Jonathan nickte. Dann blickte er Henry fragend an. »Sie ist auch bei Euch immer so direkt, nicht wahr?«
Henry grinste und klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Sorge, daran gewöhnt Ihr euch schon noch«
»Hey ihr beiden! Würdet ihr bitte aufhören so zu reden, als wäre ich nicht da?«, beschwerte Katie sich.
»Ich stelle lediglich Tatsachen fest«, meinte Henry. »Außerdem war es Jonathan, der danach gefragt hat. Ich dagegen habe nur seine Frage beantwortet«
»Eben«, entgegnete Katie.
Jonathan grinste. Er wollte etwas dazu sagen, doch Henry war schneller. Was ihm, im Nachhinein, ganz gelegen kam. Dann musste er sich wenigstens nicht vor ihr rechtfertigen.
»Außerdem glaube ich, dass die Frage mehr rhetorisch gemeint war«, sagte Henry.
»Und trotzdem antwortest du?«
»Aber natürlich« Henry nickte und fing sich damit einen, nicht sehr schmerzhaften, Schlag auf den Arm von Katie an.
Jonathan sah Katie und Henry an. Dass die beiden sich schon eine lange Zeit kannten, war keinesfalls zu übersehen. Zu vertraut gingen beide miteinander um. So vertraut, dass Jonathan fast eifersüchtig wurde. Aber nur fast. Davon abgesehen gab es ja auch gar keinen Grund dazu.
»Also, gehen wir jetzt rein, oder nicht?«, das war Katie. »Oder stehen wir noch länger hier rum?«
»Nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss«, das war wieder Henry.
Schon als Jonathan mit Katie und Henry in die Vorhalle eintrat, war mehr als ersichtlich, dass das hier alles andere als eine kleine Veranstaltung war. Zu viel wohlhabende Leute hielten sich hier auf. Jonathan sah sich um. Sogar ein kleines Orchester war zu sehen. Der Veranstalter musste wirklich Geld haben.
»Sagt Henry«, meinte Jonathan, dem plötzlich etwas einfiel. »Ist Euch bekannt, wer das Ganze hier organisiert?«, wollte er von ihm wissen.
»Sagt bloß, Ihr wisst das nicht?«, erstaunt sah Henry ihn an.
»Wäre es anders, würde ich kaum fragen«, konnte Jonathan sich nicht verkneifen zu sagen.
Henry grinste. Er sah Katie an. »Und du weißt es auch nicht?«
Katie schüttelte den Kopf.
»Und du bist trotzdem der Einladung gefolgt. Das ist wirklich-«
»Unvernünftig. Ich weiß«, fiel Katie ihm ins Wort. »Aber würdest du dennoch die Güte besitzen und auf Jonathans Frage antworten?«
»Schon gut. Aber mach mir bitte keine Vorwürfe, in Ordnung?«
»Das werden wir sehen wenn es soweit ist«, Katie verschränkte die Arme vor der Brust. »Also?«
Henry seufzte. Eigentlich hatte er vermeiden wollen, dass Katie davon erfuhr. Doch er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie nun nicht mehr locker lassen würde. »Raymond Castlewood«
»Wie bitte?«, Katie sah ihn mit großen Augen an.
Erneut seufzte Henry. »Ich sagte Raymond Castlewood«
»Ich habe gehört, was du gesagt hast, Henry«, entgegnete Katie. »Nur mein Gehirn will es nicht so recht begreifen«
»Verständlich«, Henry nickte. »Vor allem wen man bedenkt, dass du dich weder mit ihm noch mit Damien besonders verstehst«
»Entschuldigt, meine Frage. Aber würdet Ihr mir bitte erklären, worum es gerade geht?«, mischte sich Jonathan nun doch ein.
»Wir reden über Damien Castlewood«, Katie dachte kurz nach. »Er ist derjenige, den du neulich so zusammengestaucht hast«
»Oh«, mehr fiel Jonathan erst einmal nicht ein.
»Genau«, meinte Katie. »Und sein Vater ist der Veranstalter dieses Festes. »Was mich fast wieder dazu bringt, umzudrehen und nach Hause zu fahren«
»Du willst doch nicht-«, verblüfft sah Jonathan sie an.
»Nein. Ich habe ja auch fast gesagt«, erinnerte Katie ihn. Davon abgesehen interessiert es mich warum die beiden mich auf solch eine seltsame Art einladen«
»Seltsame Art?«, das war wieder Henry.
»Ja«, Katie nickte. »Oder zumindest ungewöhnlich«
»Ich schätze, es ist in deinem Sinn und wohl auch meinem Sinne, wenn ich nicht weiter nachfrage?«
»Gut erkannt«, Katie lächelte. »Und jetzt lasst uns den Abend genießen«, sie hakte sich bei Jonathan und Henry ein. »Ich werde mir heute Abend keine unnötigen Sorgen machen. Und ihr solltet das auch nicht«
Jonathan verkniff sich gerade noch rechtzeitig den Kommentar, dass er selbst sich sehr wohl wegen diesen Abend Sorgen machte. Ganz besonders nun, da er wusste dass der Vater, des jungen Mannes von neulich, Damien wie er hieß, der Veranstalter dieses Festes war. Und Jonathan verspürte keine große Lust, einem von beiden über den Weg zu laufen. Was sich allerdings nur schwer vermeiden ließ.
»Wenn das mal nicht im Chaos endet, weiß ich es auch nicht«, murmelte Jonathan.
»Jetzt sei bitte mal nicht so pessimistisch«, meinte Katie, die mitbekommen hatte, was er sagte und ahnte, worüber er sich Sorgen machte. »So schlimm wird es schon nicht werden«
»Bestimmt nicht«, stimmte Henry zu, der zu verstehen glaubte, worüber die beiden sprachen.
Katie und Jonathan ließen ihn wohlwissend in dem Glauben, dass alles andere die Situation nur heikler und verzwickter werden ließe. Und darauf hatte keiner der beiden Lust.
Anno Domini 1890
England, London - West End, Anwesen der Castlewoods
»Ich war ja vorhin schon beeindruckt, aber das hier drinnen in der Halle ist einfach nur-«, Katie fiel das passende Wort nicht ein.
»Umwerfend?«, schlug jemand hinter ihr vor.
Katie wirbelte herum.
»Entschuldigt, Miss Katie. Ich wollte Euch nicht erschrecken.«
»Guten Abend, Sir«, Katie versuchte sich an einem Knicks, als sie erkannte, wer der Mann war, der vor ihr stand. Es war kein anderer als Raymond Castlewood, in Person.
»Guten Abend. Wie ich sehe, habt Ihr schon Anschluss gefunden?«
»Anschluss?«, Katie runzelte die Stirn. Dann wanderte ihr Blick zu Jonathan und Henry. »Oh. Ihr redet von ihnen.«
Castlewood nickte. »Natürlich«, er lächelte den beiden jungen Männern zu. »Schön euch mal wieder zu sehen, Henry«, meinte er. Dann musterte er Jonathan kritisch. »Und Euer Name war nochmal?«
»Hobbs«, stellte Jonathan sich vor. »Jonathan Hobbs«, er deutete eine leichte Verbeugung an.
»Tatsächlich? Hobbs? Da klingelt irgendwas bei mir. Könntet Ihr mir auf die Sprünge helfen?«
»Nun, zum einen ist Hobbs kein seltener Name«, begann Jonathan.
»Nein, nein.« Castlewood schüttelte den Kopf. »Daran wird es sicher nicht liegen«, er dachte kurz nach. »Kann es sein, dass ich euren Vater kenne?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Ist wohl nicht ausgeschlossen, schätze ich«, meinte er nachdenklich.
Katie sah ihn mit großen Augen an. »Tatsächlich?«
»Ja«, begann Jonathan und unterdrückte noch rechtzeitig ein Seufzen »mein Vater ist sehr kontaktfreudig. Besonders dann, wenn es um die Pflege der richtigen Kontakte geht, wenn Ihr versteht, was ich meine«
Castlewood lachte. »Euer Vater scheint ein interessanter Mann zu sein«
Nun musste Jonathan doch seufzen. »Darüber kann mal verschiedener Ansicht sein«
»Und wer ist Euer Vater, Jonathan?«, das war Henry, der so langsam ungeduldig wurde.
»Er arbeitet in der Verwaltung des Hafens und ist für die gesamte Koordination dort zuständig«, erklärte Jonathan.
»Aber ja, natürlich!«, Castlewood klatschte in die Hände. »Dass er einen Sohn hat, wusste ich aber nicht. Arbeitet Ihr nicht im selben Gewerbe?«
»Nein. Auch wenn das sein Wunsch gewesen wäre«, entgegnete Jonathan und hoffte, dass Castlewood es dabei belassen würde. Sehr zu seinem Erstaunen tat er es sogar.
»Also dann, genießt mein Fest«, Castlewood lächelte sie an. Dann trat er auf Katie zu. »Und ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr meinem Sohn einen Tanz gewährt«
»Wenn er fragt«, entgegnete Katie knapp.
»Ich bin sicher, das wird er«, damit drehte sich Castlewood um und ließ die drei stehen.
»Bin ich damit alleine, oder fandet ihr das gerade auch mehr als seltsam?«, wollte Katie wissen, kaum dass Castlewood sich, außer Hörweite befand.
»Absolut«, stimmte Henry ihr, ohne zu zögern, zu.
Jonathan sah die beiden fragend an. »Wieso das?«
»Er war einfach zu freundlich«, meinte Katie.
»Zu freundlich?«, wiederholte Jonathan. »Inwiefern?«
»Na mit allem!«, stellte Katie klar.
Jonathan zog eine Braue in die Höhe.
Henry räusperte sich. »Was Katie sagen möchte ist, dass Sir Castlewood sich normal nicht so verhält«
»Das habe ich schon verstanden«, entgegnete Jonathan. »Was ich hingegen nicht ganz verstehe, ist, was ihr damit meint. Wie verhält er sich denn sonst?«
»Nicht so!«, sagte Katie nochmal. Sie senkte ihre Stimme etwas. »Sondern eher arrogant, so wie Damien eben«
»Vielleicht lag sein Verhalten ja an Jonathan«, schlug Henry, wie aus dem Nichts vor.
»An mir?«, Jonathan sah ihn verblüfft an. »Wie meint Ihr das?«
Katie, die, im Gegensatz zu Jonathan, verstand wovon Henry redete nickte. »Das kann gut sein. Nein, wahrscheinlich ist es sogar der Fall«
»Was denn?«, langsam aber sicher drohten Jonathan die Nerven zu reißen.
»Na das er nur so freundlich war, um dich nicht zu verärgern«, stellte Katie klar.
»Wie bitte?«, Jonathan konnte nicht glauben, was er da hörte. »Das kann unmöglich euer Ernst sein!«
»Doch das macht durchaus Sinn«, bestätigte Henry. »Immerhin ist Castlewood immer auf gute Beziehungen aus. Und wenn Euer Vater Master Hobbs von der Hafenverwaltung ist, kann ich durchaus verstehen, wie er sich benimmt«
Jonathan schnaubte. »Dann werde ich ihn wohl enttäuschen müssen. Im Moment verstehe ich mich mit meinem Vater nämlich nicht gerade gut«
Henry sah Jonathan an. »Ihr habt Streit mit Eurem Vater?«, es klang erstaunt. »Das hätte ich Euch gar nicht zugetraut«
Jonathan seufzte. »Es ist kein richtiger Streit. Ich habe bloß etwas getan, wovon er nicht gerade begeistert war. Und wenn man dann der einzige Sohn ist, wiegt so etwas eben schwer«
»Ihr seid der einzige Sohn?«, erstaunt blickte Henry ihn an. »Ist das nicht ein Privileg?«
»Ein Privileg? Ihr macht Scherze, Henry!«, Jonathan erwiderte seinen Blick.
Henry schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe drei andere Brüder und das ist nicht immer«, Henry suchte nach dem richtigen Wort »einfach«
»Aber deine Brüder sind doch nett«, warf Katie, die den beiden bisher nur zugehört hatte, ein.
»In deiner Gegenwart«, Henry seufzte. »Aber der Jüngste zu sein ist definitiv nicht leicht. Das kannst du mir glauben«
»Ihr seid der Jüngste?«, fragte Jonathan erstaunt. »Verzeiht die Frage, aber wie alt seid Ihr? Doch nicht so viel mehr als ich?«
»Einundzwanzig«, antwortete Henry.
»Das sind gerade einmal zwei Jahre Unterschied zwischen uns«, meinte Jonathan. »Und eure Brüder sind wie alt?«
»Francis, ist fünfunddreißig. James, zweiunddreißig und Thomas siebenundzwanzig Jahre alt«, erklärte Henry ihnen »darüber hinaus sind fast alle verheiratet, was die Sache für mich nicht leichter macht«
»Echt?«, verblüfft sah Katie ihn an. »Das wusste ich gar nicht«
»Was genau?«, fragte Henry.
»Na, dass fast alle von deinen Brüdern verheiratet sind«, sagte Katie. »Was mich zur nächsten Frage bringt: Wer von deinen Brüdern?«
»Francis und James«, antwortete Henry.
»Wahnsinn. Francis hätte ich das ja durchaus zugetraut aber James-«, Katie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Jonathan sah erst Henry, dann Katie an. »Du kennst seine Brüder?«
Katie nickte. »Ja. Ich habe sie vor einigen Monaten auf einer Veranstaltung meines Vaters kennengelernt«, erklärte sie. »Und zu der Zeit waren Francis und James noch nicht verheiratet«, Letzteres galt Henry.
»Können wir bitte über etwas anderes sprechen?«, bat dieser. »Wie gesagt, das ist nicht gerade mein Lieblingsthema«, erinnerte er nochmal.
»Also gut«, Katie grinste. »Dir ist aber hoffentlich klar, dass ich dich trotzdem später bis ins kleinste Detail ausfragen werde«
»Das hatte ich befürchtet«, nun war es Henry, der nickte.
Jonathan räusperte sich. »Was mich ja interessieren würde ist, woher du Inspektor Lansbury kennst«, meinte er.
»Das ist tatsächlich eine Geschichte für sich«, Henry grinste.
»Stimmt«, Katie grinste breit. »Und es lohnt sich sie zu erzählen«
»Darüber kann man wohl verschiedener Meinung sein«, warf Henry ein. »Immerhin war dieser Tag ziemlich chaotisch«
»Heißt das, dass Ihr an diesem Tag dabei wart?«, Jonathan musterte ihn.
»Nicht von Anfang an. Aber ich habe Katie in der Polizeistation getroffen, als sie und ihr Vater dort hin kamen«
»Du greifst zu weit vor, Henry«, sagte Katie. »Übrigens war dies auch der Tag, an welchem ich Annie kennengelernt habe«
»Du redest doch nicht etwa von-«, überrascht sah Jonathan sie an.
»Ach ja stimmt. Das hatte ich ganz vergessen. Du triffst dich doch hoffentlich nicht mehr mit ihr?«, wollte Henry wissen.
Katie funkelte ihn an. »Nein. Dazu habe ich leider keine Möglichkeit mehr«
»Dann haben es dir deine Eltern verboten?«
»Denkst du wirklich, dass ich mich von irgendeinem Verbot meiner Eltern aufhalten lasse?«, erkundigte Katie sich.
»Nein«, Henry schüttelte den Kopf. »Aber wieso-«
»Nicht wichtig«, Katie unterbrach ihn mit einer harschen Handbewegung. Dann schenkte sie Jonathan ein Lächeln. »Komm wir beide gehen ein Stück und dabei erzähle ich dir dann alles«, schlug sie vor.
»Aber-«, setzte Jonathan an.
»Nein, ist schon gut. Keine Sorge«, wandte Henry, wenig überzeugend, ein.
»Da siehst du? Alles ist gut«, Katie hakte sich bei Jonathan unter. »Also gehen wir?«
»In Ordnung«, Jonathan nickte. »Entschuldigt Henry«
Dieser schüttelte den Kopf. »Kein Problem. Wir hatten ja vorhin schon gemeinsam festgestellt, dass man sich, wenn Katie sich eine Sache in ihren Kopf gesetzt hat, nur schwer dagegen wehren kann«
»Stimmt«, abermals nickte Jonathan. »Dann also bis nachher«, brachte er gerade noch so heraus, bevor Katie ihn mit sich nach draußen zog.
Anno Domini 1888
England, London - Nahe des East End
»Dass das klar ist Katharine: Ich nehme dich nicht mit, weil du mich in irgendeiner Weise überzeugt hast, sondern nur weil, Richmond quasi bis zum Hals in der Arbeit versinkt, ich ihn dir aber vorstellen möchte«, stellte Frank McKenzie klar.
»Ja, ja«, Katie verdrehte die Augen.
»Wie heißt das?«, streng sah Frank McKenzie sie an.
»Vielen Dank, Vater. Ich habe verstanden, was Ihr meint«, Katie bemühte sich um einen möglichst eleganten Knicks. Ob das Ergebnis wirklich so elegant ausfiel, wagte sie allerdings, ob der Miene ihres Vaters, zu bezweifeln. Doch was zählte, war, zumindest ihrer Meinung nach, nicht das Ergebnis, sondern der Wille es zu versuchen. Scheinbar sah ihr Vater das, wenigstens im Moment, genauso.
»Katharine! Komm jetzt endlich!«, forderte Frank McKenzie sie nun streng auf.
Katie nickte und stieg in die Droschke, in der auch ihr Vater Platz genommen hatte. »Wir können los«, sagte sie.
»Frank! Was zum Geier machst du denn hier?«, begrüßte ein Mann mittleren Alters Katies Vater, als sie in der Polizeistation eintrafen.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Richmond«, entgegnete Frank McKenzie.
Richmond seufzte. »Also, sag schon. Weshalb bist du hier?«
Frank McKenzie lächelte und schob Katie nach vorne. »Ich möchte dir meine Tochter Katharine vorstellen.«
Richmond musterte Katie von oben bis unten. »Sehr erfreut, Miss.«
»Gleichfalls, Sir«, wieder knickste Katie. Dieses Mal gelang es ihr.
»Leider muss ich euch beiden mitteilen, dass ich keine Zeit habe mich mit euch zu unterhalten«, erklärte Richmond. »Ihr wisst schon, die Arbeit«
»Kann ich mir vorstellen. Man liest ja in jeder Zeitung, was für schreckliche Sachen hier in der Gegend passieren«, sagte Frank.
»Schreckliche Dinge? Was für schreckliche Dinge?«, fragte Katie.
»Ihr wisst davon nichts, Miss?«, erstaunt sah Richmond sie an. »Ihr geht wohl nicht besonders oft aus?«
»Zur Zeit nicht. Vater verbietet es mir, alleine draußen zu sein«, entgegnete sie.
»Damit hat er mehr als Recht. Denn hier treibt zur Zeit ein Serienmörder sein Unwesen«, erklärte Richmond.
»Ein Serienmörder?«, schockiert sah Katie erst ihn, dann ihren Vater an. »Ist das wahr?«
Frank nickte. »Leider ja. Und er ermordet ausschließlich Frauen«
»Das stimmt. Vier hat er bereits auf dem Gewissen«, berichtete Richmond.
»Vier?«, erstaunt sah Frank ihn an.
»Ja. Es ist wirklich tragisch«, Richmond seufzte. »Und wie immer geht er auf die immer selbe Art und Weise vor.«
»Wie geht er denn vor?«, wollte Katie wissen.
»Ich denke, das ist nichts was mit einer jungen Damen wie Euch besprochen werden sollte«, sagte Richmond.
»Aber weshalb bin ich denn dann überhaupt hier?«, erkundigte sich Katie leicht beleidigt.
»Das habe ich doch vorhin gesagt«, Frank seufzte.
»Ja, schon gut. Aber ich würde trotzdem gerne wissen, was für Frauen es sind und was dieser Mensch mit ihnen anstellt«
»Miss Katharine, ich würde diese Person nicht als einen Menschen bezeichnen. Menschen tun so etwas schreckliches nicht«, wandte Richmond ein.
»Aber was hat er denn jetzt eigentlich getan?«, hakte Katie nach.
»Katharine! Sei nicht so stur!«, wies Frank sie zurecht.
»Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn Eure Tochter davon erfährt«, wandte schließlich Richmond zögernd ein.
»Inwiefern?«, fragte Frank ihn.
»Nun, dann ist sie vorgewarnt was zur Zeit hier in London, in dieser Gegend geht«, wandte Richmond ein.
»Na schön«, Frank seufzte. »Vielleicht hast du Recht«
»Ich glaube, mir wird schlecht«, kommentierte Katie, nachdem Richmond und ihr Vater ihr von allem berichteten. »Darf ich mich kurz setzen?«
»Aber natürlich«, Richmond nickte und zog einen Stuhl heran, auf den Katie sich sofort fallen ließ.
»Ihr habt Recht, Sir«, meinte Katie an ihn gewandt. »So jemand hat wirklich jede Menschlichkeit verloren«
Richmond nickte. »Ihr seht also er wird nicht umsonst Ripper genannt«
Katie nickte und räusperte sich. »In diesem Fall trifft das wirklich mehr als zu. Ich hoffe, Ihr werdet ihn bald finden«
»Inspektor Abberline, mein Vorgesetzter, und ich geben auf jeden Fall unser Bestes«, versprach Richmond ihr. »Alles andere wäre auch grob fahrlässig«
»In der Tat«, stimmte mit einem Mal jemand zu, dessen Stimme zu hier zu hören Katie nicht erwartet hatte.
»Sir Henry Kennington«, sie lächelte ihm zu. »Ich hatte nicht erwartet, Euch hier zu treffen«
»Gleichfalls«, erwiderte Henry. »Ich grüße Euch Sirs«, meinte er dann an ihren Vater und Richmond gewandt
»Guten Tag, Henry«, Frank nickte ihm zu. »Seid Ihr ebenfalls gekommen um Neuigkeiten zu erfahren?«
»Natürlich. Immerhin will ich wissen, was in der Stadt, in der ich lebe, vor sich geht«, erklärte Henry.
»Das könnt Ihr aber alles in der Zeitung lesen«, sagte Richmond grimmig.
»Ich frage lieber hier nach bei Euch. Diese Zeitungsfritzen neigen dazu, alles zu verfälschen nur um es dramatischer zu machen als es ohnehin schon ist. Und das nur für eine gute Story. Wobei gute Story wohl, im Moment, nicht gerade die beste Bezeichnung ist«
»Das stimmt allerdings«, stimmte Frank ihm zu.
»Auf jeden Fall«, Katie nickte.
»Ihr habt auch schon von allem gehört?«, erstaunt sah Henry sie an.
»Sir Lansbury und mein Vater haben mir gerade davon erzählt«, erklärte Katie ihm.
»Ich verstehe«, Henry nickte. Dann wandte er sich an Richmond. »Wenn ich Euch mit was auch immer helfen kann, zögert nicht, es zu sagen«, bot er an. Er sah Frank an. »Dasselbe gilt für Euch«
»Ich danke Euch«, sagte Frank »und es kann gut sein, dass ich irgendwann einmal auf Euer Angebot zurückkommen werde«
»Kein Problem«, Henry lächelte. »Ich würde mich sehr darüber freuen«
»Ich hoffe sehr, Ihr meint damit nicht, dass Ihr uns gerne in Problemen sehen würdet«, wandte Richmond. »Denn Probleme haben wir bei weitem genug«
»Ich bin mir sicher, dass er das nicht so gemeint hat«, mischte sich Katie ein.
»Ich mache ja auch nur Witze, Miss Katherine«, erklärte Richmond.
»Dann ist ja gut«, Katie wusste nicht was, sie sonst noch darauf entgegnen sollte.
»Sehr schön«, Frank nickte. »Nun da also alles geklärt ist, werden wir wieder zurückfahren«, meinte er und sah Richmond an. »Das ist sicher auch in deinem Sinne«
»Ich will dich nicht kränken Frank, aber du hast Recht«, stimmte Richmond Katies Vater zu.
»Hab ich mir doch gedacht«, Frank wandte sich an Henry. »Gedenkt Ihr noch länger hier zu bleiben, oder können wir Euch mitnehmen?«
»Wenn es Euch keine Umstände macht«, Henry lächelte erst Frank und dann Katie an.
»Natürlich nicht«, sagte Letztere. »Das solltet ihr doch mittlerweile wissen«, fügte sie dann noch hinzu.
»Überredet«, meinte Henry. »Euch kann ich schließlich nichts abschlagen, Miss Katherine«, sagte er. »Und vermutlich wisst Ihr das auch«
»Stimmt«, Katie grinste ihn an.
»Miss! Entschuldigt, könnte ich Euch kurz sprechen?«, ein junges Mädchen, ungefähr in Katies Alter, stürmte auf sie zu, als sie gerade in die Droschke einsteigen wollten.
Katie musterte sie von oben bis unten. »Wer bist du?«
»Mein Name ist Anne. Aber die meisten nennen mich einfach nur Annie«, entgegnete das Mädchen.
»Annie«, sagte Katie »und was willst du von mir?«
»Es mag ungewöhnlich klingen für Euch, doch würdet Ihr es mir gestatten bei Eurer Familie zu arbeiten?«
»Wie bitte?«, Katie glaubte, sich verhört zu haben. Dieses Mädchen konnte das unmöglich ernst meinen.
»Ich bitte Euch um eine Anstellung, in dem Haus Eurer Familie«, wiederholte Annie.
»Also ich-«, Katie wollte noch mehr sagen, wurde jedoch unterbrochen.
»Was glaubst du, mit wem du hier sprichst?«, fuhr Henry Annie an. »Und auf welche Art?«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle!«, ereiferte Katie sich. Dann sah sie Annie an. »Warum willst du Dienerin in unserem Haus werden?«
»Das wüsste ich auch gern«, mischte sich nun endlich Frank ein.
Annie zögerte kurz. »Ihr habt doch bestimmt von den letzten Vorkommnissen hier gehört, oder Miss?«, fragte sie schließlich.
Katie musterte sie. »Redest du etwa von-«
»Ja«, unterbrach Annie sie, bevor Katie ihren Satz beenden konnte. »Ganz genau von ihm rede ich«
»Und was haben meine Tochter und ich damit zu tun?«, wollte Frank wissen.
»Wie gesagt: Ich würde gern bei Euch als Dienstmädchen arbeiten«, erklärte Annie. »Die Zeiten hier für meinen eigentlichen Berufsstand, den ich mir im übrigen nicht ausgesucht habe, sind alles andere als sicher. Das könnt Ihr mir glauben«
»Dann bist du eine Prostituierte?«, das war wieder Henry.
»Glaubt mir, Sir. Das ist nichts, woran Ihr mich erinnern müsst«, konterte Annie, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Sei mal nicht so frech«, wies Henry sie scharf zurecht.
»Vater?«, Katie sah Frank an. Sie wusste nicht, was sie von all dem halten sollte.
Ihr Vater wohl anscheinend genau so wenig. Denn es dauerte etwas bis er antwortete. »Ich kann das nicht alleine entscheiden«, meinte er dann. »Meine Frau sucht das Dienstpersonal aus. Wenn du bei uns anfangen willst, solltest du besser sie fragen«
»Vielen Dank, Sir!«, rief Annie. »Ich danke euch wirklich von ganzem Herzen!«
»Vater? Was sollte das?«, Katie sah Frank überrascht an. »Das habe ich nun wirklich nicht von Euch erwartet«
Frank seufzte. »Ich weiß, Katie. Aber jeder verdient eine Chance. So denkst du doch auch, oder nicht?«
»Schon aber-«, weiter kam Katie nicht.
»Ich finde, eure Tochter hat Recht«, mischte sich Henry ein. »Es könnte Eurem Ansehen schaden, wenn Ihr solch eine Person in Eurem Haushalt aufnehmt«
»Das war aber nicht das, was ich zum Ausdruck bringen wollte«, versuchte Katie, mit eher bescheidenem Erfolg, klar zu stellen.
»Ach ja? Und was meintet ihr dann?«, erkundigte sich dann Henry, fast provozierend.
»Das Vater Mutter darüber entscheiden lässt«, sagte Katie. »Vor allem, wegen ihrem Hintergrund. Auch wenn das natürlich nichts ist, wofür sie etwas kann«
»Miss Katherine, hört Ihr Euch reden?«, erkundigte sich Henry. »Ihr solltet lernen darüber nachzudenken, was Ihr anderen gegenüber sagt. Ansonsten könnte Euch das ernsthaft irgendwann in große Schwierigkeiten bringen«, riet Henry ihr.
»Dann missfällt Euch, dass ich anderen meine Meinung sage?«
»Nein, natürlich nicht aber-«, weiter kam Henry nicht.
»Ist schon gut«, das war wieder Frank. Er sah Annie an. »Allerdings wäre es dennoch etwas unpassend für uns, wenn wir dich hier in der Droschke mitnehmen würden. Daher komm bitte nachher persönlich vorbei«, er nannte ihr die Adresse.
»Danke, Sir. Ich werde auf jeden Fall da sein. Miss? Auch Euch danke ich ganz herzlich. Vielen Dank, dass Ihr mich angehört habt«
»Dann bis später«, Katie lächelte.
»Ja, Miss. Bis später«, Annie erwiderte ihr Lächeln.
Anno Domini 1890
England, London - West End, vor dem Anwesen der Castlewoods
»Im Ernst? Annie hat bei euch als Dienstmädchen gearbeitet?«, Jonathan konnte kaum glauben, was Katie ihm das erzählt hatte.
»Zwar nicht besonders lange aber ja«, Katie nickte.
»Und wieso hast du mir das nicht schon längst erzählt?«, wollte er wissen.
»Bestand denn die Notwendigkeit dazu?«
Jonathan konnte nicht anders, als sie anzustarren. Dann räusperte sich. »Das hast mich nicht wirklich gefragt?«
»Ich kann mich auch gerne wiederholen, damit du dir sicher bist«, Katie grinste.
»Nein. Nicht nötig – trotzdem danke«, Jonathan seufzte.
»Weshalb bist du denn jetzt genervt?«,fragte Katie.
»Ich bin nicht genervt«, stritt Jonathan an.
»Oh doch«, Katie verschränkte die Arme vor der Brust.
»Nein«
»Und wie du das bist. Auch wenn ich nicht ganz verstehe warum«
»Du verstehst nicht -«, Jonathan atmete tief durch. »Ist dir denn nicht einmal der Gedanke gekommen, dass es für mich wichtig wäre so etwas zu wissen«
»Wichtig? Wieso denn das? Wolltest du nicht einfach nur auf mich aufpassen?«,herausfordernd sah Katie ihn an.
Natürlich wusste Jonathan, dass sie Recht hatte. Immerhin hatte sogar Inspektor Lansbury ihn dazu angehalten sich nicht zu tief in dieser Sache zu verstricken, sondern dafür zu sorgen, dass Katie nichts geschah. Was, wie Jonathan nun erkannte, deutlich schwerer war, als er sich vorgestellt hatte. Aber das musste er dann wohl in Kauf nehmen. Auch wenn das ihm nicht gefiel.
»Jonathan!«, riss Katie ihn mit einem Mal aus seinen Gedanken. »Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass dir das so wichtig gewesen wäre«
»Schon gut«, Jonathan winkte ab. »Hast du Durst? Dann hol ich uns beiden was zu trinken«, schlug er vor.
»Das nenne ich mal eine Idee!«, Katie nickte. »Ich warte hier auf dich, in Ordnung? Ich möchte Damien nämlich, zumindest so lange wie möglich, aus dem Weg gehen«
»Ich verstehe«, Jonathan nickte. »Dann bis gleich«
Katie sah Jonathan noch kurz nach. Dann ließ sie sich auf eine kleine Bank fallen.
»Seid Ihr wirklich der Überzeugung, dass es eine gute Idee ist sich hier draußen zu unterhalten?«, hörte Katie plötzlich eine Stimme im Dunkeln, unweit hinter ihr.
»Auf jeden Fall besser als drinnen. Ihr habt doch selbst gesehen, wie viele Menschen da sind«, entgegnete eine zweite Stimme.
Katie spitzte die Ohren. Über was redeten die beiden da?
»Stimmt auch wieder. Also, was wolltet Ihr mit mir besprechen? Es schien Euch ja sehr wichtig zu sein.«
»Wegen neulich«, entgegnete die zweite Stimme. »Das war äußerst unklug. Denn wenn uns die Polizei auf die Schliche kommt-«
»Wird sie schon nicht«, entgegnete derjenige, der zuerst gesprochen hatte. »Macht Euch da mal keine Sorgen«
»Ich mach mir aber welche. Ihr kennt doch Inspektor Abberline und Inspektor Lansbury. Die stecken überall ihre Nasen rein. Vor allem was Morde an Prostituierte angeht«
»Schon gut. Ich habe ja verstanden, was Ihr meint«
»Sehr schön. Dann regelt das bitte. Und zwar möglichst schnell und diskret«
Katie beschloss, dass sie genug gehört hatte. Darüber hinaus schien das Gespräch sowieso beendet zu sein. Langsam und darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu versuchen, stand sie auf und machte sich auf den Weg zurück in die Halle um Jonathan zu suchen und ihm von allem zu berichten.
Jonathan, der von all dem nichts ahnte, hatte es geschafft sich bis zum Buffet durchzukämpfen. Das beinahe wortwörtlich, denn hier hatte sich eine ganze Menschenmenge versammelt. Was etwas war, was er äußerst ärgerlich fand. Denn er war keiner von denjenigen, die sich in so einer Situation wohl fühlten. Stattdessen zog er kleinere Gruppen vor. Oder allein zu arbeiten. Doch manchmal, wie jetzt, ließ es sich eben nicht verhindern. Also hieß es Augen zu und durch.
»Jonathan?«, erklang auf einmal eine Stimme hinter ihm. »Seid Ihr etwa fertig Euch mit Katie zu unterhalten?«
Jonathan drehte sich um. Kurz darauf erkannte er Henry. »Ja, ich denke schon«, antwortete er dann.
»Und was haltet Ihr von all dem?«, wollte Henry interessiert wissen.
Jonathan musterte ihn. »Ich bin mir noch nicht ganz sicher«, entgegnete er dann ausweichend.
»Verstehe«, meinte Henry. Allerdings klang es eher danach, als wäre das Gegenteil der Fall.
Daran Henry über alles aufzuklären, dachte Jonathan jedoch nicht einmal im geringsten nach. »Also dann. Ihr entschuldigt mich?«, fragte er höflich. »Katie wartet sicher schon auf mich«, erklärte Jonathan.
»Natürlich«, Henry nickte. »Wo ist sie eigentlich?«
»Sie wartet draußen, auf der Terrasse auf mich«, entgegnete Jonathan goss zwei Becher mit Punsch ein und nickte ihm zu. »Also wir sehen uns dann später«
»Klar«, wieder nickte Henry.
Anders als Jonathan dachte, befand sich Katie nicht auf der Terrasse, sondern bei der Bank. Aus einem ganz einfachen Grund: Die zwei Männer, die sich unterhalten hatten, standen vor ihr und sahen sie kritisch an.
»Kann ich Euch helfen, Sirs?«, Katie versuchte sich an einem, möglichst überzeugenden, Lächeln. Gleichzeitig hoffte sie sehr, dass man ihr nicht anmerkte, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte.
»Das könnt Ihr tatsächlich«, bekam sie von einem der zwei Männer zur Antwort.
»Ach ja?«, es fiel Katie immer schwerer, ihre Ruhe zu bewahren.
»Ja«, entgegnete der Mann. »Und zwar in dem Ihr Euren Namen sagt«
Katie zögerte. War es wirklich klug, das zu tun? Andererseits jedoch hatte sie auch keine Wahl.
»Katherine McKenzie«, sie knickste.
»McKenzie?«, wiederholte der Mann irritiert. »Reden wir über den Kaufmann, der vor einigen Jahren aus Schottland hierher gezogen ist?«, wollte er wissen. »Ich wusste gar nicht, dass der eine Tochter hat«
Katie nickte. »Doch er hat, glauben Sie mir«
»Dann ist er heute auch eingeladen?«, meldete sich der andere zu Wort.
Katie schüttelte, wahrheitsgemäß, den Kopf. »Nein, ich bin mit einem Freund der Familie hier«
»Und der ist?«, wurde sie sofort gefragt.
Wieder zögerte Katie. Gerade als sie etwas sagen wollte, kam ihr jemand zuvor.
»Ist doch nicht so wichtig«, meinte der, der sie zuerst angesprochen hatte.
»Nicht so wichtig?«, fragte der andere. »Irre ich mich, oder warst nicht du derjenige, der sich vorhin Sorgen gemacht hat über-«
»Ihr habt Sorgen? Kann ich Euch vielleicht doch helfen?«, fragte Katie unschuldig.
»Das Angebot ehrt Euch Miss, doch dies ist nichts, worin Ihr Euer Näschen stecken solltet«, bekam sie direkt zur Antwort.
»Wenn Ihr meint«, Katie lächelte ihn an. »Wenn Ihr gestattet, würde ich mich dann zurückziehen. Mein Begleiter sucht mich sicher schon«
»Natürlich«, die beiden Männer nickten ihr zu. »Habt noch einen schönen Abend, Miss McKenzie. Vielleicht sieht man sich ja irgendwann noch einmal«
Katie nickte ebenfalls und knickste noch einmal. »Ja, vielleicht«, sagte sie. Dann drehte sie sich um, um zurück zur Terrasse zu gehen. Wobei gehen ihr schwer fiel, da nicht nur ihre Beine sich anfühlten wie Pudding, sondern auch ihr Herz raste, als würde es ein Wettrennen gewinnen wollen.
»Katie! Wo warst du?«, wurde sie auch schon begrüßt von Jonathan, kaum dass sie die Terrasse erreichte.
»Lass mich erst was trinken«, Katie nahm ihm ein Punschglas aus der Hand und trank es, alles andere als damenhaft, in einem Zug aus.
Jonathan musterte Katie von oben bis unten. »Lass mich meine Frage ändern: Was ist passiert?«
Katie seufzte lange. »Wenn ich das wüsste!«
»Katie, bitte bleibe ernst!«, bat Jonathan sie. »Also? Ich höre?«
»Ich habe aber tatsächlich keine Ahnung«, versicherte sie ihm. »Da waren diese zwei Männer und-«
»Sag mir bitte nicht, dass du Detektiv gespielt hast«,
»Hab ich nicht«, entgegnete Katie, was ja auch stimmte. »Während ich mich hinten auf der Bank ausgeruht habe, haben die zwei sich unterhalten«
»Bitte sag mir, dass es nichts mit unserem Vorfall zu tun hat«, bat Jonathan.
»Es hat damit zu tun«, sagte Katie »und zwar zweifelsfrei«
Jonathan stöhnte auf. »Und wieso siehst du jetzt so, verzeih wenn ich so direkt bin, zerstört aus?«
»Sie haben mich angesprochen«
»Sie haben was?«, Jonathan konnte nicht glauben, was er da hörte. »Also das kann jetzt nicht dein Ernst sein«
»Ist es aber«, Katie seufzte. »Meine Beine singen ein Lied davon, glaub mir«
»Wie darf ich das verstehen?«, irritiert sah Jonathan an.
Katie verdrehte die Augen. »Sie fühlen sich an wie Pudding. Das meine ich damit. Oder glaubst du etwa, dass ich Nerven aus Stahl habe und mich so etwas unberührt lässt?«
»Oh«, mehr fiel Jonathan erst einmal nicht ein.
»Genau«, meinte Katie und seufzte erneut. »Ich glaube, wenn ich mich noch eine Minute länger mit ihnen hätte unterhalten müssen, wäre ich umgekippt«
»Darüber macht man keine Scherze!«,sagte Jonathan streng.
»Mach ich ja auch gar nicht«, entgegnete Katie, in fast demselben Tonfall. »Oder sehe ich etwa so aus?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein eigentlich nicht«
»Gut«, Katie nahm ihm das zweite Punschglas aus der Hand und trank auch dieses in wenigen Zügen leer. »Wenn du erlaubst, würde ich gerne nach Hause«
Jonathan dachte kurz nach. Es war nicht einmal Mitternacht. Das hieß, das Fest hatte noch nicht seinen Höhepunkt erreicht, doch Katie sah wirklich fix und fertig aus von daher-
»Jonathan, bitte!«, es klang beinahe flehend.
Jonathan nickte. »Also gut. Morgen werden wir aber über alles ausführlich reden müssen. Ich hoffe, du weißt das«, stellte er klar.
»Natürlich«, Katie nickte. »Werden wir, versprochen«
»Gut, dann komm mit«, Jonathan hielt ihr seinen Arm hin.
»Danke«, Katie lächelte ihm entschuldigend zu, stellte die Gläser zur Seite und hakte sich dann bei ihm ein.
»Was hast du da gerade gesagt?«, Jonathan konnte nicht glauben, was Katie ihm da erzählt hatte, was sie am Abend zuvor erlebte.
»Wenn du willst, kann ich es gerne wiederholen«, Katie grinste ihn an.
»Danke nicht nötig«, Jonathan schüttelte den Kopf. Ob zum verneinen oder oder aus Resignation wusste er nicht. Wahrscheinlich wegen beidem. Was nur verständlich wäre. Der Meinung war jedenfalls er.
»Das freut mich«, entgegnete Katie. »Denn sonst hätte ich es als sehr lästig empfunden«
Jonathan schnaubte. »Was ich als lästig empfinde, ist, die neue Situation, die sich uns nun auftut«
»Ha!«, rief Katie triumphierend.
»Was ist denn?«, Jonathan sah sie an.
»Du hast uns gesagt!«
»Ja und?«
»Das heißt also, dass wir jetzt zusammen arbeiten, um diesen Fall zu lösen«, meinte Katie mehr als zufrieden.
»Na schön«, entgegnete Jonathan, wenig begeistert.
»Toll!«, meinte Katie freudig. »Also? Was machen wir jetzt?«
Jonathan dachte nach. Wenn er ehrlich war, hatte er absolut keine Antwort auf Katies Frage. Auch wenn er das nur äußerst ungern zugab.
»Du weißt es nicht, stimmt es?«, wollte Katie wissen, die ihm genau das wohl ansah.
Jonathan nickte. »Ja«, antwortete er seufzend.
»Habe ich mir schon gedacht«, Katie grinste ihn an.
»Ich sehe nichts, was daran lustig sein könnte«, meinte Jonathan mürrisch.
»Ich finde es ja auch nicht lustig«, entgegnete Katie.
Jonathan sah sie misstrauisch an.
»Na gut, vielleicht ein wenig amüsant«, gab Katie zu. »Aber das ist doch auch verständlich, oder?«
Jonathan schüttelte entschieden den Kopf. »Nein«, sagte er knapp »ist es nicht«.
»Nun ganz wie du meinst«
»Wie ich meine? Was soll das denn jetzt schon wieder-«, weiter kam er nicht.
»Ist jetzt auch egal«, Katie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Also was machen wir nun?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung«, gab er frei heraus zu.
»Du weißt es nicht?«, verblüfft sah Katie ihn an.
»Wundert dich das so sehr?«
»Um ehrlich zu sein: Ja, das tut es«, sagte Katie. »Normal scheint es immer so, dass du wenigstens einen Notfallplan hast«.
Jonathan verzog das Gesicht. »Danke, sehr freundlich«
»Gern geschehen«, Katie grinste ihn an. »Wie wäre es, wenn wir erst einmal herauszufinden versuchen, wer alles gestern auf der Feier war?«, schlug sie dann vor.
»An sich keine schlechte Idee«, gab Jonathan zu »du vergisst nur eine Sache«
»Die da wäre?«
»Ich bin nicht als Constable dort gewesen, sondern als Privatperson. Außerdem wäre es alles andere als geschickt, wenn bekannt wird, dass ich bei der Polizei arbeite«, erinnerte Jonathan sie.
»Verdammt, das hatte ich ja ganz vergessen«, meinte Katie missmutig. »Und wenn wir Richmond fragen, ob er uns hilft?«
»Redest du von Inspektor Lansbury?«
»Von wem denn sonst? Oder kennst du noch einen anderen Richmond, der uns in dieser Situation helfen könnte?«
Jonathan schüttelte den Kopf.
»Na siehst du?«, sagte Katie selbstzufrieden. »Dann lass uns am besten jetzt gleich aufbrechen um mit ihm zu reden«
»Moment, nicht so schnell«, hielt Jonathan sie zurück. »Wir sollten uns das alles gut überlegen«, stellte er klar.
»Ist es doch«, entgegnete Katie. »Wir bitten ihn darum, herauszufinden wer alles dort war und dann-«, weiter kam sie nicht.
»So leicht, wie du dir das vorstellst, geht das alles nicht«, widersprach Jonathan ihr.
»Ach. Und warum nicht?«, mit hochgezogener Braue sah sie ihn an.
»Ganz einfach. Ich bin offiziell für diesen Fall gar nicht zuständig«, erinnerte er sie. »Sondern nur dich zu beschützen«. Was es nicht leichter macht, fügte Jonathan in Gedanken hinzu.
»Und deshalb sollen wir das was passiert ist für uns behalten? Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Das habe ich nicht gesagt«
»Es scheint mir aber so«, beschwerte Katie sich.
»Dann hast du mich falsch verstanden«, meinte Jonathan.
»Tatsächlich? Wie hast du es denn gemeint, wenn ich fragen darf?«, Katie sah ihn an.
Jonathan seufzte. »Was ich meinte, war: Wir sollten gut darüber nachdenken wem wir was erzählen und vor allem wie viel«
»Du willst damit doch nicht etwa sagen, dass du die Polizei für nicht vertrauenswürdig hältst? Oder etwa doch?«
Jonathan musterte Katie von oben bis unten. »Habe ich dir das nicht schon einmal erklärt?«
Katie runzelte die Stirn. »Nicht dass ich wüsste«
»Na schön«, Jonathan seufzte. »Was ich meine ist: Diese zwei Männer, die dich gestern angesprochen haben, scheinen weitreichende Kontakte zu haben. Daher sollten wir vorsichtig sein, was wir mit wem besprechen. Und das hat nichts damit zu tun, ob ich Inspektor Lansbury vertraue oder nicht«, erklärte er.
»Du willst also damit sagen, dass wir durch eine unbedacht geäußerte Sache in große Schwierigkeiten geraten könnten?«, fasste Katie nachdenklich zusammen. »Stimmt doch oder?«, sie sah ihn an.
»Das sage ich doch die ganze Zeit!«, entfuhr es Jonathan.
Katie verdrehte die Augen. »Ja. Auf eine äußerst komplizierte Art und Weise«
»Auf eine was?«, mit großen Augen blickte er sie an.
»Auf eine komplizierte Art und Weise. Du solltest lernen, dich auf das Wesentliche zu konzentrieren«
»Sagst ausgerechnet du«, konnte Jonathan sich nicht verkneifen.
»Was soll das denn jetzt heißen?«
»Das heißt, das -«, Jonathan schüttelte den Kopf. »Egal. Das ist jetzt nicht wichtig«.
Einen Moment lang überlegte Katie, ob sie nicht noch einmal nachhaken sollte, entschloss sich dann aber dagegen. Obgleich es sie schon ärgerte, nicht zu wissen, wovon er genau sprach. Andererseits: Wäre es wichtig, würde Jonathan ihr sicher davon erzählen. Und jetzt gab es Dinge, die definitiv Vorrang hatten. Katie sah ihn an. »Also? Was machen wir?«
»Gute Frage«, entgegnete Jonathan. »Auf jeden Fall, erst einmal nichts überstürzen«, stellte er klar.
»Ja. Das hatten wir ja schon. Ich meinte: Abgesehen davon«
Jonathan dachte kurz nach. »Wie wäre es, wenn wir noch einmal mit deinem Vater reden?«
»Mit meinem Vater? Was bringt dich denn auf diese Idee?«
»Nun«, begann Jonathan zu erklären, der gehofft hatte, dass sie es sofort verstand, was aber wohl nicht der Fall war »zum ersten, war dein Vater bisher der einzige, der uns etwas Näheres zu dieser seltsamen Sekte erzählen konnte«
»Wenn es denn eine ist«, wandte Katie ein.
»Und zum anderen, würde mich sehr seine Meinung, zu dem was wir heraus gefunden haben, interessieren«, fuhr Jonathan fort, ohne auf ihren Einwand zu achten.
»Was nicht wirklich viel ist«, Katie verzog das Gesicht.
»Aber immer noch mehr, als ich erwartet habe.«
»Ach echt?«, Katie musterte ihn. »Ein besonders hohes Vertrauen in deine Fähigkeiten scheinst du ja nicht zu haben«, es klang sarkastisch, was sie auch sehr gut wusste. Doch das war ihr gerade egal.
»Doch eigentlich schon. Ich halte mich lediglich zurück, was meine Erwartungen angeht. Dann ist die Enttäuschung bei einem Fehlschlag auch nicht so hoch«, meinte Jonathan und verkniff sich rechtzeitig den Kommentar, dass sie das alles doch ernster nehmen sollte. Immerhin hatte er es oft genug gesagt. Mit ihr zu diskutieren besaß er jetzt absolut keine Nerven. Darüber hinaus, würde das zu nichts führen und bloß Zeitverschwendung sein, überlegte er.
Katie nickte. »Ich glaube, ich verstehe, was du damit sagen willst.«
»Gut«, Jonathan lächelte kurz, wurde dann aber wieder ernst. »Also: Was hältst du davon, mit deinem Vater zu reden?«
»Meine Begeisterung hält sich in Grenzen«, gestand Katie. »Andererseits, finde ich diese Idee allerdings auch nicht richtig schlecht«, fügte sie noch hinzu.
»Gut«, nun war es Jonathan, der nickte »dann ist es beschlossen«, stellte er klar.
»Also schön«, meinte Katie und seufzte »aber lass uns mit diesem Gespräch bis nach dem Mittagessen warten, in Ordnung?«
»Ich weiß zwar nicht warum aber, wenn du darauf bestehst -«, Jonathan wollte noch mehr sagen, doch Katie unterbrach ihn.
»Ja, das tu ich!«, stellte sie klar. »Absolut! Und glaube mir, wenn ich sage, dass du mir dafür noch dankbar sein wirst.«
»Vater?«, fragte Katie als sie und Jonathan, wie besprochen, nach dem Mittagessen zu dem Büro ihres Vaters gingen. »Seid Ihr anwesend?«, fügte sie noch hinzu, als nach mehrmaligem Klopfen nichts zu hören war. Katie runzelte die Stirn.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte Jonathan sich bei Katie.
Diese zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Normalerweise ist mein Vater immer in seinem Büro. Jetzt jedoch -«, sie brach ab.
»Immer?«, wiederholte Jonathan ungläubig.
»Na ja fast immer«, korrigierte Katie. »Und in sein Büro rein gehen werde ich ganz sicher nicht. Jedenfalls nicht ohne seine Erlaubnis«
Jonathan nickte. Er verstand sehr gut, worauf sie anspielte. Umso erstaunter war er, als er sah, wie Katie ihre Hand auf die Klinke der Tür legte.
»Aber vielleicht ist irgendwas passiert -«
»Katherine McKenzie, dürfte ich wohl bitte erfahren, was hier los ist?«, erklang auf einmal eine ihr nur zu bekannte Stimme.
»Vater!«, Katie wirbelte herum.
Frank McKenzie sah seine Tochter nachdenklich an. »Habe ich irgendwas verpasst, oder weshalb steht ihr beide vor meinem Büro wie zwei lauernde Wölfe?«
»Also erstens stimmt das nicht und zweitens -«
»Wir, insbesondere ich, wollten uns nochmal mit Euch unterhalten«, fiel Jonathan Katie ins Wort, überging ihren bösen Blick, den sie ihm darauf hin schenkte. Dann verneigte er sich knapp vor ihrem Vater.
Frank musterte erst Jonathan, dann Katie. »Ist etwas schlimmes passiert, von dem ich wissen sollte?«
»Jonathan«, Katie funkelte diesen warnend an. »Wage es ja nicht -«
»Es ist etwas passiert«, schlussfolgerte Frank, öffnete die Tür zu seinem Büro und machte eine einladende Geste. »Nur zu. Tretet ein.«
»Danke, Sir«, Jonathan verneigte sich erneut knapp. Dieses Mal mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Dankt mir besser nicht vorschnell«,riet Frank ihm.
»Natürlich«, Jonathan nickte.
»Also worüber wolltet Ihr mit mir reden?«, hakte Frank noch einmal nach, nachdem er sich an seinen Schreibtisch setzte. »Meine Tochter macht Euch doch nicht etwa Probleme?«
Katie gab daraufhin einen protestierenden Laut von sich. Sagen tat sie jedoch nichts dazu.
Jonathan, den das überraschte, schüttelte den Kopf. »Nein, darum geht es nicht«, meinte er dann aber.
»Worum denn dann?«, erwartungsvoll und etwas beunruhigt sah Frank den jungen Mann vor ihm an.
Jonathan räusperte sich unwohl. »Wie Ihr wisst, waren Eure Tochter und ich gestern Abend auf dem Ball«, begann er.
»Ja, natürlich«, Frank nickte. »Gibt es irgendwelche Probleme damit?«
»Noch nicht«, wagte Katie, vorsichtig einzuwerfen.
Frank zog eine Braue in die Höhe. »Noch nicht?«, wiederholte er. Dann sah er Jonathan an. »Jetzt erzählt endlich, Mann. Was ist geschehen?«
»Es wird dir nicht gefallen, Vater«, sagte Katie »aber rege dich bitte nicht auf, in Ordnung?«
»Das werden wir noch sehen«, knurrte Frank.
Anno Domini 1890
London, England - West End
Villa der Familie McKenzie
»Das kann doch kaum euer Ernst sein?«, ungläubig sah Frank McKenzie seine Tochter an.
Katie seufzte. »Vater, glaubt Ihr wirklich, dass ich Euch freiwillig so etwas erzählen oder als Lüge vortragen würde?«, wollte sie wissen.
Frank schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Auch wenn ich dir so manches zutraue, bin ich mir doch sicher, dass du über so etwas keine Witze reißt«.
»Das freut mich«, Katie sah erst ihren Vater und dann Jonathan an. »Was machen wir jetzt?«
Frank dachte kurz nach. »Ihr beide erstmal gar nichts«, meinte er schließlich. »Ich dagegen werde mal mit Richmond reden«.
»Seid Ihr sicher, dass das eine gute Idee ist Vater?«, wollte Katie wissen.
»Solange ihr zwei nicht dabei seid, ja«, sagte Frank.
Jonathan konnte nicht anders, als für einen Moment das Gesicht zu verziehen. Rumsitzen lag ihm so gar nicht. Am liebsten hätte er Katies Vater darum gebeten ihn zu begleiten. Es gelang ihm jedoch, sich zurückzuhalten. Wenn nur mit großer Mühe.
»Keine Sorge. Ich werde Euch alles berichten, von dem ich etwas erfahre«, versprach Frank, der ahnte, wie Jonathan sich fühlte.
»Danke«, Jonathan zwang sich zu einem, möglichst überzeugenden, Lächeln.
»Na schön«, meldete sic Katie wieder zu Wort. »Und was soll ich in der Zeit machen?«
»Wenn ich mich nicht irre, hast du Französischunterricht bei Madame Fleur«, Frank, der genau wusste, wie sehr sie diesen Unterricht nicht leiden konnte, grinste. »Und zwar in zehn Minuten«
Katie verdrehte die Augen. Sie konnte einfach nicht anders.
Normalerweise würde Frank sie dafür tadeln. Doch im Moment amüsierte es ihn. Er wandte sich an Jonathan. »Ich schätze, Euch muss ich nicht sagen, was Ihr zu tun habt?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, entgegnete er.
»Sehr gut«, meinte Frank. »Dann lasst uns alle mal starten«
»Also jetzt sag schon: Was hast du vor?«, verlangte Katie von Jonathan.
Der zuckte mit den Schultern. »Nichts besonderes«
»Und das heißt?«
»Wieso willst du das eigentlich wissen?«, wollte Jonathan wissen. »Du hast doch sowieso keine Zeit mich zu begleiten«.
»Das beantwortet nicht meine Frage!«
»Na schön«, Jonathan seufzte. »Ich würde mich gerne mal mit deiner Mutter unterhalten.«
»Mit meiner Mutter?«, wiederholte Katie erstaunt. »Wieso das?«
»Das hat dich gar nichts anzugehen, junge Dame!«, erklang mit einem Mal eine Stimme, mit der keiner von beiden gerechnet hatte. Vor ihnen stand, Katie streng ansehend, Eleanor McKenzie.
»Madam«, Jonathan, der als erster seine Sprache wieder fand, verneigte sich formvollendet. Als er sich wieder aufrichtete, lächelte er. »Ich freue mich, Euch zu sehen«. Das stimmte. Er freute sich wirklich.
Eleanor musterte Jonathan kurz. Er erschien ihr zwar noch relativ jung zu sein, dennoch musste sie zugeben, dass seine Manieren vorbildlich waren. Eleanor erwiderte sein Lächeln. »Ganz meinerseits«, sagte sie schließlich. »Ich hoffe, meine Tochter macht Euch nicht allzu viele Probleme?«
»Aber nein«, Jonathan schüttelte den Kopf. »Eher scheint sie es zu sein, die unbeabsichtigt in diese gerät«.
»Das hatte ich fast befürchtet«, Eleanor seufzte unwillkürlich. »Ich hoffe sehr, Ihr nehmt ihr das nicht übel«.
»Aber mitnichten«, versicherte Jonathan ihr ehrlich. »Im Gegenteil. Ich finde es viel mehr erfrischend. Es ist, leider, selten geworden, dass man genau das ins Gesicht gesagt bekommt, was andere von einem denken«.
Eleanor nickte. »Da habt Ihr Recht«, stimmte sie ihm zu. Dann drehte sie sich zu Katie, die immer noch anwesend war und das Gespräch interessiert verfolgte, um. »Junge Dame! Du bist ja immer noch hier! Wenn du nicht sofort losgehst, wirst du noch richtig Ärger bekommen!«
»Ja Mutter«, es klang wenig begeistert. Ein Seufzer folgte noch, dann machte Katie sich schließlich auf den Weg.
»Das kannst du doch nicht ernst meinen!«, rief Richmond Lansbury, dem Frank McKenzie, der vor kurzem in der Polizeistation eintraf, berichtete was er von Katie und Jonathan erzählt bekommen hatte.
»Interessant in der Tat«, fügte Adam Fray, der sich wie so oft ebenfalls in Richmonds Büro aufhielt, hinzu.
»Danke Adam. Das war wie immer sehr hilfreich«, knurrte Richmond, der noch immer nicht glauben konnte, was er erfahren hatte.
»Aber gerne doch«, Adam grinste.
»Katie geht es doch gut trotz dieser Sache?«, erkundigte sich Richmond und ignorierte Adams Kommentar vorläufig.
Frank nickte. »Ja. Sie ist voller Tatendrang. Am liebsten hätten sie und Jonathan mich hierher begleitet«, er seufzte kurz. »Ich hielt es jedoch für keine gute Idee«.
»Dem kann ich nur zustimmen«, meinte Richmond. Er musterte Frank kurz nachdenklich. »Wie macht sich der Junge denn so? Er verursacht dir doch etwa keinen Ärger?«
»Falls du von Jonathan redest: Er zeigt vorbildliche Manieren und Ärger macht er schon gar nicht. Viel eher ist es leider Katie, die ihn in Schwierigkeiten bringt. Wenn auch, zumindest nicht immer, gewollt«.
»Na dann ist ja gut. Etwas anderes hätte ich auch nicht geduldet«, stellte Richmond unmissverständlich klar.
»Ich weiß«, Frank gestattete sich ein kurzes Grinsen.
»Daher erwarte ich auch von dir, dass du mir keine Märchen erzählst«.
»Auch das weiß ich«, Franks Grinsen wurde noch etwas breiter. Er räusperte sich. »Jetzt aber mal ernsthaft: Hobbs ist wirklich gut, Richmond. Vielleicht noch etwas unerfahren, ja. Dennoch sehr pflichtbewusst und nicht auf den Kopf gefallen. Du solltest froh sein, dass er dir zugeteilt wurde«.
»Wenn du meinst -«, ganz überzeugt klang Richmond nicht.
»Geht es aber im Moment nicht um etwas anderes?«, mischte sich Adam noch einmal in das Gespräch ein. »Nämlich darum wer diese Typen sind und was wir jetzt machen?«
Richmond nickte nachdenklich. »Selbstverständlich«, stimmte er zu. »Das wird nur nicht besonders einfach sein«, er seufzte.
»Wieso das denn?«, wollte Adam wissen.
»Ist doch logisch! Oder denkst du im Ernst, dass diese Kerle persönlich hier aufkreuzen werden?«
»Oh. Du hast Recht«, stimmte Adam Richmond zu. »Das hatte ich tatsächlich ganz übersehen«
»Und aus exakt diesem Grund bin ich Inspektor und du derjenige, der sich um die Opfer kümmert«, sagte letzterer.
»Du meinst die Leichen der Opfer«, korrigierte Adam ihn.
»Wie auch immer«, Richmond sah erst Adam, dann Frank an. »Hat jemand vielleicht eine Idee für unser weiteres Vorgehen?«
»Hattest du nicht gesagt, dass du hier der Inspektor bist, womit es bei dir läge, darüber zu entscheiden«, meinte Adam freundlich aber mit einer leichten Portion Spott in der Stimme.
»Haha, sehr witzig«, es klang genervt.
»Ja, finde ich auch«, Adam grinste breit, wodurch er sich sofort einen bösen Blick, seitens Richmond, einhandelte.
Frank, der der Diskussion der beiden bisher nur zugehört hatte, räusperte sich. »Können wir bitte zum eigentlichen Thema zurück kommen?«, bat er die beiden ungeduldig.
Richmond nickte. »Wie wäre es, wenn wir mal Arthur fragen?«, schlug er vor. »Vielleicht ist ihm ja etwas aufgefallen. Immerhin hat er Dienst am Empfang«
»Du redest von Arthur Hitcrombe, richtig?«, erkundigte sich Frank.
Richmond nickte.
Arthur Hitcrombe, der seit zwei Jahren schon am Empfang saß, seufzte. Heute war einer der Tage, an denen er es bedauerte, keinen Außendienst mehr machen zu können. Denn heute war wie verhext. Das Chaos, welches sonst immer um diese Zeit herrschte, blieb bislang aus. Nicht einmal einer der Bürgerwehr ließ sich blicken. Und das war, zumindest nach seiner Meinung, höchst ungewöhnlich. Natürlich war es auch nicht so, dass er Chaos oder gar die Bürgerwehr mochte, ganz im Gegenteil, doch dann hätte er wenigstens etwas zu tun. Denn nur hier zu sitzen, das lag ihm so gar nicht. Ja, der Außendienst damals, der war abwechslungsreich gewesen. Doch nachdem ihm, bei einer Verfolgung, in sein rechtes Bein geschossen wurde war er, trotz schneller Entfernung der Kugel, nicht mehr so beweglich wie damals. Woran das lag? Sein Bein war steif geworden. An Außendienst war dann natürlich nicht mehr zu denken.
»Quacksalber«, knurrte Arthur missmutig vor sich hin. »Richtige Ärzte müssten doch wissen, wie man so etwas machen muss«
»Stimmt«, bekam er, sehr zu seiner Überraschung, zur Antwort.
Arthur sah auf. Vor ihm stand niemand anderes als Adam Fray. »Kann ich Euch helfen, Sir?«, fragte er.
Adam zuckte mit den Schultern. »Vielleicht, vielleicht auch nicht«
»Wie bitte?«, irritiert sah Arthur ihn an.
»Das kommt darauf an, ob, was oder wen Ihr heute gesehen habt«, erklärte Adam ihm.
»Wenn Ihr es sagt -«, meinte Arthur, den die Erklärung nur noch mehr verwirrt hatte.
»Na dann kommt mit.«
»Mitkommen? Wohin?«, fragte Arthur.
»In das Büro von Inspektor Lansbury«, sagte Adam.
Nun war Arthur endgültig verwirrt. In Gedanken ging er, alles was er in den letzten Tagen getan, hatte durch. Er hatte doch nicht etwa gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen? Oder doch? Waren neue dazu gekommen und man versäumte ihm, davon zu berichten? Ganz unmöglich war das nicht. Aber dass er dann zu Inspektor Lansbury ins Büro gerufen wurde, war schon seltsam. Normalerweise kümmerte sich da doch eine andere Abteilung darum. Oder ging es gar um etwas anderes? Inspektor Lansbury war unter anderem für Neueinstellungen und Entlassungen von Mitarbeitern zuständig. Aber das würde er nicht tun, richtig? Er würde ihn nicht einfach nach mehr als zwei Jahrzehnten entlassen? Bestimmt nicht.
»Arthur bitte tut mir den Gefallen und hört auf damit«, riss Adam ihn plötzlich aus seinen Gedanken.
»Aufhören? Womit denn?«, fragte Arthur irritiert.
»Na damit so laut zu denken. Da bekommt man ja fast einen Hörschaden«, meinte Adam.
»Wie bitte?«
»Ich sagte, Ihr müsst Euch keine Gedanken machen. Inspektor Lansbury hat nur eine einfache Frage und die könnt Ihr entweder beantworten oder nicht. Aber falls Ihr es nicht könnt, ist es ebenfalls nicht so dramatisch«.
»Dann werde ich nicht aus meinem Dienst entlassen?«, es klang mehr als erleichtert.
»Aus dem Dienst entlassen? Warum das denn?«, mit weit aufgerissenen Augen sah Adam ihn an.
»Ich weiß nicht. Sagt Ihr es mir«, sagte Arthur.
»Jetzt kommt erst einmal herein«, schlug Adam vor und hielt Arthur die Tür zum Büro auf, so dass er eintreten konnte.
»Tag, Arthur«, wurde dieser direkt von Richmond Lansbury begrüßt.
»Sir«, Arthur nickte ihm, knapp aber freundlich, zu. »Wie kann ich Euch helfen?«
Richmond musterte ihn kurz. »Ihr seid doch wie immer am Empfang gewesen, richtig?«
»Selbstverständlich, Sir. Das ist schließlich meine Aufgabe«.
»In der Tat«, stimmte Richmond ihm zu. »Und ist euch in letzter Zeit irgendwas seltsames oder ungewöhnliches aufgefallen?«
»Eigentlich nicht«, sagte Arthur. »Nur heute ist etwas komisch. Aber ob das etwas zu bedeuten hat, weiß ich nicht«.
»Inwiefern komisch?«, mischte sich Frank McKenzie ein.
Arthur, der ihn erst jetzt bemerkt hatte, räusperte sich. »Nun, der Tag ist einfach anders als sonst, Sir. Normalerweise herrscht ein reges kommen und gehen. Aber heute hat sich nichts getan. Nicht einmal ein Mitglied der Bürgerwehr war hier. Nicht, dass ich das bedauerlich finde, es ist einfach seltsam. Fast so als wäre es die Ruhe vor dem Sturm. Vielleicht bilde ich mir das aber nur ein«
»Nein, nein. Es ist gut, dass Ihr uns das gesagt habt. Außerdem seid Ihr lange genug hier, um das sicher bewerten zu können«, entgegnete Richmond. »Es sind bei Euch schon zweiundzwanzig Jahre, richtig?«
»Dreiundzwanzig«, korrigierte Arthur.
Richmond nickte. »Und ihr habt wirklich immer großartige Arbeit geleistet«.
»Das ist schließlich auch meine Pflicht«, stellte Arthur klar.
»Selbstverständlich. Ich dachte nur, dass Ihr vielleicht gerne etwas mehr Abwechslung haben würdet«
»Ihr wollt mich doch nicht etwa entlassen?«, wollte Arthur wissen.
Richmond winkte ab. »Wo denkt Ihr hin!«, er sah ihn mit großen Augen an. »Ich würde Euch gerne, wenn Ihr damit einverstanden seid, zu Hobbs schicken. Als Verstärkung sozusagen«
»Zu Hobbs?«, fragte Arthur überrascht. »Was macht er eigentlich in letzter Zeit? Ich habe ihn schon seit längerem nicht mehr hier gesehen. Oder irre ich mich?«
»Ihr irrt Euch nicht«, das war wieder Frank. »Er ist momentan bei mir zuhause«.
»Bei Euch? Weshalb das denn?«
»Wegen meiner Tochter«, erklärte Frank knapp.
»Ist Miss Katie etwas zugestoßen?«, fragte Arthur erschrocken.
»Nein, ihr geht es gut. Worum es genau geht, soll Euch Hobbs erklären«, meinte Richmond. »Das heißt, wenn Ihr zusagt.«
»Natürlich tue ich das«, mit einem Mal fühlte Arthur sich so motiviert wie schon lange nicht mehr.
»Na dann viel Spaß«, mischte sich nun wieder Frank ein.
»Danke«, Arthur lächelte. »Wann geht’s los?«
»Madam, Mister Hobbs«, sagte Emily, die in das Zimmer trat in welchem Jonathan und Eleanor McKenzie sich miteinander unterhielten »Ich störe Sie beide nur ungern bei ihrem Gespräch aber-«
»Komm zur Seite, Emily!«, fuhr Eleanor sie schärfer als gewollt, an.
Emily nickte hastig. »Constable Hitcrombe ist unten in der Eingangshalle. Er sagt, er müsse dringend mit Mister Hobbs reden.«
»Ist etwas schlimmes passiert?«, mehr fiel Eleanor erst einmal nicht ein.
»Ich weiß leider nicht, Madam«, sagte Emily. »Tut mir leid.«
»Schon in Ordnung«, Eleanor versuchte sich an einem Lächeln. »Mister Hobbs? Begleiten Sie mich bitte mit nach unten? Ich denke, wir sollten Constable Hitcrombe nicht länger warten lassen.«
»Natürlich«, Jonathan, der immer noch nicht ganz glauben konnte was gerade passierte, nickte.
»Mister Hitcrombe? Darf ich fragen, was Sie hierher führt?«, fragte Eleanor Arthur, bevor Jonathan auch nur die Chance dazu bekam.
Arthur verneigte sich kurz. »Inspektor Lansbury schickt mich. Ich soll Hobbs unterstützen.«
»Mich unterstützen? Ist etwas passiert?«, fragte Jonathan erschrocken.
Arthur schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber Inspektor Lansbury scheint genau das zu erwarten.«
Jonathan nickte. »Ich verstehe«, sagte er »ich denke wir müssen uns über einiges unterhalten.«
»Absolut«, stimmte Arthur ihm zu. »Sie erlauben doch, dass ich mich kurz mit Hobbs zurück ziehe?«, wollte er dann von Elanor wissen.
Diese nickte. »Ja, schon gut. Schließlich scheint es eine wichtige Angelegenheit zu sein.«
»Das ist es in der Tat«, bestätigte Arthur und verließ dann mit Jonathan die Eingangshalle.
***
»Also, was gibt es?«, wollte Jonathan wissen, nachdem er mit Arthur in eines der Gästezimmer, welches man ihm für ihr Gespräch zur freien Verfügung bereitgestellt hatte, gegangen war.
»Das wollte ich eigentlich dich fragen, Hobbs«, entgegnete Arthur.
»Mich?«, wiederholte Jonathan irritiert.
»Ja. Immerhin ist bei dir wohl gerade so einiges los.«
»Wenn Sie meinen«, Jonathan zögerte kurz. »Inspektor Lansbury hat Ihnen also wirklich den Auftrag gegeben mich zu unterstützen?«, wollte er von ihm wissen.
»Ja, hat er. Wenn es dir lieber ist, kannst du auch Katies Vater fragen. Er kann und wird es dir gerne bestätigen.«
»Schon gut. Ich denke nicht, dass das nötig«, sagte Jonathan.
»Sehr schön«, Arthur lächelte. »Und noch etwas -«
»Ja?«, aufmerksam sah Jonathan ihn an.
»Du musst mich wirklich nicht siezen.«
»Wie bitte?«, fragte Jonathan überrascht, der etwas ganz anderes, oder zumindest nicht das hier, erwartete.
»Damit hast du wohl nicht gerechnet, was?«, Arthur lachte.
»Ja«, gestand Jonathan, der sich langsam wieder gefangen hatte.
»Dann lass uns dem wichtigeren Thema kommen. Du erzählst mir alles, was du weißt und ich halte es genauso.«
»In Ordnung«, stimmte Jonathan ihm, nach kurzem nachdenken, zu.
»Arthur ist hier?«, erkundigte Katie sich bei Emily, die ihr gerade, nachdem Katie von ihrem Französisch Unterricht zurückkam, davon erzählte.
Emily nickte, »Er und Mister Hobbs scheinen jetzt wichtiges miteinander zu besprechen.«
»Ohne mir Bescheid zu geben?«, beschwerte Katie sich sichtlich empört.
»Sie wollten Sie sicher nur nur nicht stören«, versuchte Emily sie zu beruhigen. Jedoch ohne viel Erfolg.
»Ich glaube eher, dass die beiden gar nicht daran gedacht haben mich zu informieren«, knurrte Katie. »Wo sind die beiden jetzt?«
»In dem Zimmer von Mister Hobbs, denke ich«, antwortete Emily leicht eingeschüchtert.
»Danke, Emily«, sagte Katie und ließ sie damit stehen.
»Was geht hier vor?«, fragte Katie, direkt nachdem sie in Jonathans Zimmer eintrat, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
»Hallo Katie«, Arthur grinste sie an.
»Hallo«, entgegnete Katie nun doch. »Also: Was ist passiert?«, sie sah erst Arthur, dann Jonathan streng an.
»Muss es das denn zwingend?", wollte Arthur wissen, der sich einen Spaß daraus machte, ihr nicht sofort alles zu erzählen.
»Jonathan!«, rief Katie und funkelte ihn an.
»Ja?«, fragte Jonathan, der sich bisher wohlwissend aus dem Gespräch zwischen Arthur und ihr heraus hielt. Was aber jetzt nicht länger möglich war.
»Ich würde gerne wissen, was hier los ist. Also? Ich höre!«
Jonathan sah unsicher zu Arthur.
»Ich bin hier, auf Befehl von Inspektor Lansbury, um Jonathan zu unterstützen", erklärte dieser ihr.
»Zu unterstützen? Warum?«, irritiert sah Katie ihn an.
»Inspektor Lansbury ist wohl der Ansicht, dass bald etwas äußerst unangenehmes geschehen wird. Und nachdem was Jonathan mir so alles erzählt hat, durchaus zu Recht, denke ich«, meinte Arthur.
»Was um Himmels willen hast du Arthur erzählt?«, wollte Katie von Jonathan wissen. »Ist da irgendwas von dem ich nichts weiß?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Unsinn. Aber die Situation in der wir, oder besser du, das letzte Mal warst, war eben nicht besonders ungefährlich. Das dürfte dir doch auch klar sein«, erinnerte Jonathan sie.
Arthur nickte. »Ganz genau«, stimmte er ihm zu.
Katie seufzte. »Heißt das, dieses Thema hat sich noch nicht erledigt?«
»Natürlich nicht«, stellte Jonathan klar. »Immerhin wissen wir immer noch nicht, wer das eigentlich war. Und warum sie das alles tun«
»Warum sie das alles tun?«, wiederholte Katie. »Also das dürfte doch wirklich inzwischen klar sein!«
Jonathan sah sie irritiert an. »Wieso das?«
»Das wüsste ich auch gerne«, mischte sich Arthur wieder in das Gespräch.
Katie seufzte. »Hieß es nicht, dass dieser Rat der Zwölf, der wohl dafür verantwortlich ist, sich Gerechtigkeit so auslegt wie es passt? Dann hatten sie wohl irgendein Problem mit Annie gehabt.«
»Das ist mehr als offensichtlich«, Jonathan nickte. »Fragt sich nur, was es für ein Problem ist, dass es nötig war sie umzubringen. Immerhin ist es nicht so, als ob sie jemand war, der sich in hoher Gesellschaft bewegt hätte.«
»Da wäre ich mir nicht ganz so sicher, Jonathan«, mischte sich nun Arthur ein. »Du wärst überrascht was für Männer zu Mädchen wie Annie gehen.«
Katie musterte Arthur von oben bis unten. »Ich frage mal lieber nicht nach, woher du darüber Bescheid weißt.«
»Danke, sehr freundlich«, Arthur grinste.
»Nur um mal noch einmal zum eigentlichen Themas zurück zu kommen«, sagte Jonathan nachdenklich. »Habe ich das richtig verstanden? Es ist möglich, dass Annie etwas wusste, was sie nicht hätte wissen sollen – also zumindest laut der Meinung von anderen, womöglich hochrangigen, Personen?«
Arthur nickte. »Ganz genau, das habe ich gemeint.«
»Und was können wir jetzt deswegen machen?«, wollte Katie wissen. »Die anderen Mädchen fragen?«
»Wäre das naheliegende«, Jonathan. »Aber ich glaube, dass das nicht gerade einfach werden wird.«
Erneut nickte Arthur. »Das glaube ich auch. Zumindest wenn einer von uns beiden geht.«
Katie runzelte die Stirn. »Wieso das?«
»Nun ja, Jonathan ist, verzeih, nicht gerade entspannt was diese Dinge angeht und wird sicher im Nu als ein Constable erkannt«, erklärte Arthur. »Und bei mir weiß jeder im East End, dass ich für Inspektor Lansbury arbeite.«
»Also schön«, sagte Katie »ich habe schon verstanden.«
»Verstanden? Was denn?«, irritiert sah Arthur sie an.
Jonathan dagegen ahnte langsam, worauf das hier hinaus laufen würde. Er schüttelte den Kopf. »Auf gar keinen Fall! Kommt nicht in Frage!«
»Verzeiht, aber würdet ihr mir bitte erklären, von was ihr gerade sprecht?«, bat Arthur die beiden.
»Ich werde -«, setzte Katie, doch Jonathan war schneller.
»Katie will mit den Mädchen sprechen«, teilte er Arthur mit. Er blickte Katie an »was eine mehr als leichtsinnige Idee ist.«
»Wieso habt ihr eine bessere?«, erkundigte Katie sich.
Arthur dachte kurz nach. »Es stimmt, es ist leichtsinnig -«
»Ganz genau«, Jonathan nickte.
»Aber wirklich dumm ist es nicht. Immerhin kennen die Mädchen sie. Und vielleicht erzählen sie ihr ja wirklich etwas«, überlegte Arthur nachdenklich. »Ganz auszuschließen ist es jedenfalls nicht.«
»Sag ich doch!«, triumphierend sah Katie Jonathan an.
»Und ihr glaubt wirklich dass das funktioniert?«, erkundigte sich dieser nicht überzeugt.
»Nun, dass werden wir nur wissen, wenn wir es versuchen, richtig?«, fragte Katie. »Und ich verspreche dir, dass ich auf mich aufpassen werde.«
»Das hoffe ich«, Jonathan seufzte. Er sah Arthur an. »Und was machen wir in der Zeit?«
»Wir könnten versuchen heraus zu finden, wer diese zwei Männer waren auf die Katie unfreiwillig gestoßen ist. Oder noch besser: Wir finden eine Möglichkeit, an die Gästeliste zu kommen«, schlug Arthur vor.
Jonathan nickte. »Einen Versuch wäre es wert. Vielleicht kann uns dabei auch Katies Vater helfen. Immerhin ist der Gastgeber ein Geschäftspartner von ihm«, überlegte er.
»Guter Plan«, Arthur nickte. »Nun, dann weiß ja jeder was er zu tun hat, oder?«
»Natürlich. Also, entschuldigt mich. Ich werde mich auf den Weg machen«, stellte Katie klar. »Wir sehen uns dann nachher.«
Selbst wenn Katie es niemals zugeben würde, musste sie doch wenigstens sich eingestehen, dass sie durchaus aufgeregt war. Was vermutlich aber verständlich war, immerhin machte sie sich gerade auf den Weg, um im East End etwas zu dem Tod von Annie zu erfahren. Und das ohne Begleitung. Zugegeben, es war nicht das erste Mal, dass sie das tat. Doch das erste Mal, unter diesen Umständen.
»Was mach ich mir eigentlich solche Sorgen? Irgendwie wird das schon funktionieren«, murmelte Katie leise vor sich hin. »Und falls nicht, habe ich es wenigstens versucht.«
»Miss Katie!«, wurde sie dann auch, etwa fünfzehn Minuten später, direkt begrüßt. »Was macht Ihr hier? Und dann auch noch ohne Begleitung!«
Katie winkte, so lässig wie möglich, ab. »Ich bin gekommen um mich noch einmal mit euch zu unterhalten.«
Die Frau, die Katie begrüßt hatte, sah sich um, als würde sie befürchten, dass jemand anderes sie belauschen könnte. »Ich will euch nichts Böses, Miss. Doch Ihr sollet wirklich nicht hier aufhalten. Besonders nicht jetzt und alleine.«
»Wieso ist etwas passiert, von dem ich wissen sollte?«, erkundigte Katie sich sofort.
»Ihr solltet eben nichts wissen, Miss. Deshalb geht jetzt bitte wieder«, es klang beinahe flehend.
»Was? Aber-«
»Nein, Miss. Nicht jetzt, nicht hier«, sagte die Frau. »Annie hätte Euch genauso darum gebeten wie ich. Also bitte, tut was ich sage.«
Die Erwähnung verblüffte Katie so, dass sie schließlich zustimmte. Auch wenn Katie alles andere als begeistert davon war.
Da Katie sich nicht überwinden konnte, direkt zurück nach Hause zu Jonathan und Arthur zu gehen, streifte sie noch eine Weile ziellos im East End umher. Auch wenn sie wusste, dass es keine gute Idee und alles andere als sicher war. Und sie obendrein, wenn es heraus kam, definitiv Ärger deswegen bekommen würde. Aber sie konnte nicht anders. Nichts hasste sie mehr, als untätig herum zu sitzen, ohne etwas erreicht zu haben. Denn wenn sie in einem sicher war, dann darin dass Jonathan und Arthur das auf jeden Fall würden. Ihr Vater mochte zwar streng sein und ihr nicht viel über bestimmte Dinge erzählen. Doch Jonathan und Arthur würde er mit Sicherheit reden. Davon war sie überzeugt. Das ärgerte sie natürlich, andererseits aber verstand sie sein handeln auch irgendwo. Doch genau deshalb wollte sie selbst auch noch etwas erreichen. Ansonsten käme sie sich nur vor wie ein Klotz am Bein. Ein Gefühl, auf das sie getrost verzichtete. Sie würde es nicht zulassen, dass man sie ein weiteres Mal abservierte. Auch wenn es zugegebenermaßen nicht gerade höflich war, ein solcher Sturkopf und so hartnäckig zu sein.
»Miss, schnell folgen Sie mir«, riss plötzlich eine Stimme direkt hinter ihr Katie aus ihren Gedanken.
»Was-?«, fragte Katie, doch weiter kam sie nicht mehr.
»Bitte, kommt mit. Oder wollt ihr doch nicht wissen, was hier passiert ist wegen Annie?«, die Stimme klang drängend.
Obwohl Katie kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache hatte, gab sie ihrer Neugierde nach. Dass das nicht immer gut endete und durchaus ein Risiko war, verdrängte sie vorerst. Außerdem war Neugierde ja nicht unbedingt immer etwas schlechtes. Auch wenn Jonathan, sowie vermutlich auch Arthur, nur wenig begeistert über alles sein dürfte. Der Gedanke an die beiden hielt allerdings auch nur kurz an, als Katie sah, wer da vor ihr stand und sie abwartend anblickte.
Es war einer der vielen Straßenjungen, vermutlich nicht viel älter als zwölf oder dreizehn Jahre, die sich hier immer herumtrieben. Wie die meisten anderen Jungen hier, war er ziemlich dürr auf eine, wie Katie schien, beinahe ungesunde Art und Weise. Seine Kleidung, vor allem sein Hemd und die Hose waren mindestens eine Größe zu groß, woran auch die Hosenträger nichts änderten, und sichtbar abgetragen. Seine Haare waren schwarz und standen ihm wild von seinem Kopf ab. Seine braunen Augen funkelten belustigt.
»Du weißt also, was mit Annie passiert ist?«, erkundigte sich Katie misstrauisch, nachdem sie beschlossen hatte, dass es nicht schaden konnte sich anzuhören, was der Junge zu sagen hatte.
»Ich weiß so ziemlich über alles Bescheid, was hier so passiert, Miss«, der Junge grinste. »Wenn Ihr mir was zu essen spendiert verrate ich es Euch gerne.«
»Soll das heißen du weißt, wer Annie getötet hat?«, Katie konnte es nicht glauben. Sollte es tatsächlich so einfach sein?
Das Grinsen des Jungen wurde noch größer. »Auf jeden Fall weiß ich genug, dass ich Euch weiterhelfen kann. Zumindest wenn Ihr mir etwas gutes zu essen kauft. Den ganzen Grießbrei, den es sonst immer gibt, hängt mir langsam zum Hals raus«, erklärte er. »Außerdem ist es für Euch doch sowieso besser, in Begleitung zu sein.«
Katie zog eine Braue in die Höhe. »Soll das heißen du willst mich beschützen?«
»Ich bin besser als gar keiner, Miss«, sagte der Junge. »Ihr wäret überrascht, wenn Ihr wüsstet, was ich alles für Tricks kenne.«
Dem wusste Katie nichts entgegenzusetzen. »Also schön. Ich besorge dir was. Aber wie heißt du eigentlich?«
»Tommy«, stellte sich der Junge mit einer schnellen und ungelenken Verbeugung klar. »Und Ihr seid Miss Katie.«
Kurz überlegte Katie sich, ob sie ihn fragen sollte woher er das wissen konnte, ließ es dann aber bleiben. »Du glaubst also, dass du etwas wichtiges weißt, was weiterhelfen kann? Und wie kommst du auf diesen Gedanken?«
»Ganz einfach, Miss«, Tommy blickte sie verschmitzt an. »Wir Straßenjungen können uns hier überall aufhalten, ohne Aufsehen zu erregen. Was man von Euch nicht behaupten kann.«
Katie nickte. Was er sagte stimmte. Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte sie selbst ebenfalls nie darauf geachtet, ob Straßenjungen in ihrer Nähe waren und was sie taten. Da war es durchaus im Bereich des möglichen dass-
»Also kommen wir jetzt ins Geschäft, oder nicht?«, erkundigte sich Tommy, der wohl langsam ungeduldig zu werden schien. »Ihr werdet es ganz sicher nicht bereuen mir zugehört zu haben, das verspreche ich Euch.«
»Einverstanden«, meinte Katie schließlich. »Ich habe sowieso nichts besseres zu tun.«
***
»Mister Hobbs, Arthur«, Frank McKenzie sah von einem zum anderen. »Ich hörte, Sie beide wollen mit mir reden?«
Jonathan nickte. Es war ihm eigentlich ganz Recht, dass er sofort zur Sache kam. »In der Tat, Sir«, antwortete er. »Arthur und ich wollten uns nochmal bei Ihnen erkundigen, was sie genau alles über den Rat der Zwölf wissen. Es könnte von entscheidender Wichtigkeit sein.«
»Arthur? Ich hatte nicht erwartet, Sie so schnell hier zu sehen«, merkte Frank an. »Aber es freut mich natürlich sehr.«
»Ihr wusstet davon?«, fragte Jonathan mit einer Mischung aus Erstaunen und leichtem Ärger.
»Selbstverständlich. Ich habe es mit immerhin mit Inspektor Lansbury und Adam Fray abgesprochen.«
»Das stimmt«, Arthur nickte in Richtung Jonathan.
»Nun gut«, meinte dieser. »Auch wenn ich es vorgezogen hätte, wenn Ihr mir direkt davon berichtet hättet«, Jonathan seufzte. »Doch das ist jetzt nicht wichtig. Wie zuvor erwähnt, Arthur und ich würden uns gerne mit Euch unterhalten.«
»Setzen Sie sich«, Frank machte eine einladende Bewegung. »Ich hoffe jedoch, dass Sie sich darüber im Klaren sind, dass ich etwas weiter ausholen muss. Und womöglich ist auch nicht ganz so aufschlussreich, wie Sie beide es sich vielleicht vorstellen mögen.«
»Das werden wir sehen, wenn Sie Ihren Bericht beendet haben«, meinte Jonathan. »Darüber hinaus ist Ihnen sicher bewusst, dass selbst jedes kleinste Detail uns zum Erfolg verhelfen mag.«
Frank nickte. »Nun, dann will ich beginnen.«
Erinnerungen II
Anno Domini 1883 (7 Jahre zuvor)
Schottland, Edinburgh
Ohne Zweifel konnte man von Frank McKenzie behaupten, einer der erfolgreichsten und angesehensten Männer zu sein, die es in Edinburgh gab. Zudem war er ein sehr sozialer Mensch, ein Gentleman der alten Garde sozusagen, der es mochte sich mit anderen zu umgeben, so verschieden sie auch waren. Denn gerade diese Verschiedenheit machte schließlich die Vielfalt der Charaktere aus. Natürlich wusste er, dass er mit diesem Denken eher zu der Minderheit gehörte. Waren die meisten Adligen und einflussreichen Händler mit denen er geschäftlich zu tun hatte doch eher borniert und konservativ. Worüber er sich jedoch nicht beschwerte, denn mit ihnen verdiente er schließlich sein Geld. Worüber er sich allerdings doch beschwerte, war, wenn es persönlich wurde und seine Familie mit hinein gezogen wurde. Und zwar in sehr unschönem Maße, welches er weder tolerieren konnte noch wollte.
»Du solltest dich wirklich nicht so aufregen«, unterbrach seine Frau, Eleanor McKenzie, ihn in seinen Gedanken. »Auch wenn es natürlich ärgerlich ist dass -«
»Ich will mich aber aufregen!«, wies Frank sie harsch zurecht.
»Nun, dann hoffe ich allerdings, angesehen davon dass ich es unvernünftig finde, dass du nichts unüberlegtes tun wirst«, Eleanor seufzte. »Ihr Mckenzies handelt doch manchmal sehr kopflos.«
»Vergiss nicht, dass auch du eine McKenzie bist«, knurrte Frank.
»Nur angeheiratet, mein Lieber«, korrigierte Eleanor ihn lächelnd und legte ihm eine Hand auf seine Schulter. »Was ist denn eigentlich passiert?«
Ja, was war passiert? So ganz konnte sich Frank, das alles selbst nicht erklären. Denn anfangs hatte ihm das Treffen mit seinen möglichen Handelspartnern sogar Spaß gemacht. Dann aber war es irgendwie außer Kontrolle geraten. Was, das fang jedenfalls Frank, nicht seine Schuld war. Im Gegenteil. Schließlich war es nur selbstverständlich, dass er seine Familie verteidigte. Jeder andere mit klarem Verstand hätte dasselbe getan, oder etwa nicht? Wieso also wurde er jetzt als der Schuldige hin gestellt?
»Frank«, hörte er Eleanor ihn ermahnen. »Wenn du mir nicht sagst, was geschehen ist, ist es mir auch nicht möglich dir zu helfen.«
Frank schnaubte. »Wie solltest du mir bitte helfen können?«
»Wenn du nicht endlich davon erzählst, gar nicht«, entgegnete Eleanor. »Also reiß dich bitte zusammen.«
»Na schön.« Frank seufzte. »Aber dann sei bitte so freundlich, mir einen Schnaps zu bringen«, bat er sie. »Und schenke dir besser auch gleich einen ein.«
Eleanor runzelte die Stirn, tat aber, worum er sie gebeten hatte. Dann reichte sie ihm ein Glas Wodka und setzte sich ihrem Mann gegenüber. »Also?«
»Du trinkst nicht?«, wollte Frank wissen.
Eleanor schüttelte den Kopf. »Vielleicht nachher. Aber ich denke, es ist vorerst besser, wenn ich einen klaren Kopf behalte.«
»Ganz wie du wünschst«, sagte Frank und trank einen ersten Schluck. »Falls du deine Meinung änderst, sag mir einfach Bescheid.«
»Versprochen.« Eleanor nickte.
»Frank es ist schön, euch mal endlich nochmal zu sehen«, begrüßte William Goldstein, einer seiner langjährigen Geschäftspartner Frank. »Wie schön, dass Ihr es geschafft habt. Es freut mich wirklich, dass Ihr zu unserer kleinen Runde hinzustoßt.«
Frank nickte. »Gleichfalls. Ich weiß allerdings nicht, wie lange ich bleiben kann.«
William winkte lässig ab. »Für den ein oder anderen Schnaps wird doch sicher reichen.«
»Für einen.« Frank mochte Goldstein. Er war einer der Geschäftspartner, mit denen er sich außerhalb der Geschäfte gut verstand. Zudem amüsierte ihn sein Akzent. Goldstein war gebürtig aus Deutschland, aufgrund seines Berufs hielt er sich jedoch oft in England auf. Zudem vermutete Frank, dass William hier in Edinburgh eine Geliebte hatte. Doch das ging ihn nichts weiter an. Auch wenn Frank eigentlich immer gerne darüber Bescheid wusste, mit wem sich seine Geschäftspartner abgaben.
»Wie geht es Eurer Frau? Und Eurer reizenden Tochter, ich erinnere mich an sie als ziemlichen Wirbelwind.« William lächelte.
Frank seufzte und nahm den Schnaps, der ihm gereicht wurde entgegen. »Katie hat sich nicht geändert, seit Ihr das Letzte Mal bei uns wart. Sie ist immer noch ein wenig stürmisch.«
»Das wundert mich nicht. Ich hatte schon damals ihren Hang danach überall nach Abenteuern zu suchen bemerkt«, erinnerte William sich. »Sagt, habt ihr schon von diesem neuen Schriftsteller gehört?«
»Neuer Schriftsteller?«, wiederholte Frank und runzelte die Stirn.
»Ja, Robert Louis Stevenson, wenn ich mich erinnere kommt er sogar hier aus Edinburgh. Er hat vor kurzem ein Abenteuer Buch herausgebracht, namens die Schatzinsel.« William musterte Frank von oben. »Das wäre nicht vielleicht etwas für eure Tochter? Es wird in den höchsten Tönen gelobt. Man spricht sogar von einem Meisterwerk.«
»Ich weiß nicht. Vermutlich setzt ihr das nur noch mehr Flausen in den Kopf. Und die sind im Moment schon genug.«
»Ihr könnt ja mal darüber nachdenken, jetzt kommt erst einmal mit. Es geht hier entlang.«
»Du hast Goldstein getroffen?«, fragte Eleanor. »Ich wusste gar nicht, dass er wieder in der Stadt ist.«
»Ich habe es auch nur durch Zufall heraus gefunden«, gestand Frank. »Und es hat mich wirklich gefreut. Immerhin gehört er zu den vernünftigeren Menschen, mit denen ich sonst so zu tun habe. Was sich auch heute mal wieder gezeigt hat.«
»Wir müssen ihn unbedingt mal nochmal einladen«, meinte Eleanor und lächelte. »Aber jetzt erzähl erstmal weiter.«
»McKenzie, ich hatte keine Ahnung, dass Ihr Euch auch noch hier einfindet. Es ist definitiv eine Überraschung. Goldstein, wieso habt Ihr es nicht erwähnt?«
Frank schaffte es gerade noch rechtzeitig, nicht die Augen zu verdrehen und und ein möglichst neutrales Gesicht aufzusetzen. »Carter«, er nickte dem Mann, der nun neben Goldstein stand, knapp zu. Zu sagen, dass Frank nicht erfreut war, Carter hier zu treffen, war maßlos untertrieben. Er konnte ihn nicht leiden. Denn Carter gehörte nicht nur zu den Menschen, die es mit dem Gesetz nicht so ganz genau nahmen. Nein. Es gingen auch die übelsten Gerüchte über ihn um. Und auch wenn Frank normal nichts auf diese gab, waren es in Carters Fall so viele, dass mit Sicherheit irgendwas dran war. Und das bedeutete nichts Gutes. Ohnehin verstand Frank nicht, wie Goldstein es möglich war, sich mit diesem Parasiten zu treffen, der nur darauf wartete, nur für sich allein das Beste heraus zu holen aus allem und jedem. Ganz gleich, wer dabei auf der Strecke blieb. Denn Goldstein war das komplette Gegenteil von ihm.
»Ah, Ihr kennt euch also?«, schien es dieser nun auch zu erkennen. »Das hätte ich mir ja denken können.«
»Ja, wir haben uns bereits das ein oder andere Mal getroffen bei verschiedenen Anlässen«, erklärte Frank Goldstein. »Es war immer sehr - interessant.«
Carter lachte.
Es war ein Lachen, das Frank ihm am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte und schon jetzt fiel ihm auf, dass er sich immer mehr anspannte. Frank trank den nächsten Schluck von seinem Schnaps. Vielleicht brachte das ja seine Nerven dazu, sich wenigstens etwas zu beruhigen. Sagte man doch allgemein über Alkohol, dass dieser entspannend wirkte auf Körper und Geist. Man musste nur darauf achten, dass es nicht zu viel wurde. Das war die Kunst daran. Doch Frank war stolz darauf, dass er von sich behaupten konnte ein ziemlich guter Trinker zu sein. Immerhin kam er aus einer rein schottischen Familie, in der so manches Familienfest, wovon immer einige stattfanden in nur einem Jahr, mit viel Alkohol begossen wurde.
»Interessant! Na Ihr macht mir vielleicht Spaß, Frank!«, rief Carter, nachdem er sich wieder gefasst hatte.
Frank funkelte ihn an. »Ich wüsste nicht, wann ich Euch erlaubt habe mich bei meinem Vornamen zu nennen«, fuhr er Carter scharf an.
Nun war auch das letzte Lächeln auf dessen Lippen verschwunden. Er beugte sich vor zu Frank. »Passt lieber Ihr auf, wie Ihr mit mir redet. Ansonsten könntet Ihr und Eure Familie in große Schwierigkeiten geraten.«
»Wollt Ihr mir drohen?«, erkundigte sich Frank bei Carter.
»Drohen?«, wiederholte der. »Nein, Frank. Ich stelle lediglich Tatsachen fest. Denn auch wenn Ihr hier ein recht angesehener Kaufmann seid, so reichen meine Fühler hier in dieser Stadt doch deutlich weiter, als die Euren.« Er runzelte die Stirn. »Wie war doch noch einmal der Name Eurer Tochter? Katherine, nicht wahr? Oder irre ich mich?«
Frank ballte seine freie Hand, die nicht das Schnapsglas hielt, zur Faust. »Was wollt Ihr?«
»Ich persönlich? Nichts. Doch es gibt ein paar meiner Freunde, die verlauten haben lassen, dass sie sich für Euch und Eure Familie interessieren«, erklärte Carter. »Auch wenn ich nicht wirklich verstehe, wie das der Fall sein kann.«
Das klang nicht gut. Denn Frank bezweifelte stark, dass der Freundeskreis von Carter viel niveauvoller sein konnte, als dieser es war. Mächtig, ja. Aber alles andere wahrscheinlich nicht.
»Und wer sollen diese Freunde sein?«, erkundigte Frank sich, auch wenn er es eigentlich gar nicht wissen wollte. Zumindest einerseits, andererseits jedoch -
»Ah, das wird Euch überraschen«, Carter grinste bösartig. »Sagt, habt Ihr schon einmal etwas von dem Rat der Zwölf gehört?«
Frank schüttelte den Kopf. »Nein. Was ist das?« Vermutlich nichts gutes, fügte er in Gedanken hinzu, unterließ es jedoch, das auszusprechen.
»Der Rat der Zwölf ist eine noch überwiegend unbekannte Organisation, die meiner bescheidenen Meinung nach, das Zeug hat über die Geschicke des Landes zu bestimmen. Es würde Euch überraschen, was für wichtige Leute außer mir dabei sind.«
Einen Moment lang konnte Frank nicht anders, als Carter anzustarren, als wäre dieser von einer anderen Welt. »Das ist Verrat!«, brach es dann aber aus ihm hervor. »Nichts weniger als Landesverrat!« Damit drehte er sich, nach einem entschuldigenden Blick in Richtung Goldstein, um und verließ eiligen Schrittes das Haus.
Anno Domini 1890
England, London – Villa der Familie McKenzie
»Was habt Ihr da gerade gesagt?«, fragte Jonathan Frank McKenzie, nachdem der seinen Bericht beendete. Jonathan wusste nicht warum, aber mit einem Mal fühlte er sich schwindelig. »Landesverrat? Ist das Euer Ernst?«
Frank nickte ernst. »So hat es sich für mich angehört, ja.«
»Habt ihr es damals zur Anzeige gebracht?«, erkundigte sich Jonathan bei ihm. »Bestimmt, oder?«
Frank schüttelte seinen Kopf. »Nein.«
»Aber warum?«, wollte Jonathan nahezu fassungslos wissen. »Es geht hier nicht um irgendein Verbrechen! Sondern um Landesverrat. Das hättet Ihr melden müssen, das ist Euch doch klar, oder?«
»Was hätte ich denn sagen sollen?«, erkundigte Frank sich. »Das ich erfahren habe, dass es eine geheime Organisation gibt, die plant nach der Herrschaft über das vereinigte Königreich zu greifen?« Frank schnaubte. »Ihr merkt selbst, wie närrisch sich das anhört, oder?«
»Ihr wisst aber auch, das in zehn Jahren viel passieren kann, nicht wahr?«, wollte nun auch Arthur wissen, der bisher nichts gesagt und nur zugehört hatte. »Zu viel.«
»Das ist mir inzwischen auch bewusst geworden, ganz besonders jetzt, nachdem Sie und Katie auf die Leiche des bedauernswerten Mädchens gestoßen seid.« Frank räusperte sich. »Nun ist es mein oberstes Ziel meine Familie zu schützen. Das war es schon immer.«
»Ich verstehe«, sagte Arthur und seufzte.
Jonathan nickte ebenfalls, zum Zeichen, das auch begriffen hatte. Es war wahr. Er verstand durchaus, wovon Frank McKenzie sprach, doch das hieß lange nicht, dass er es gut hieß, dass dieser so lang geschwiegen hatte. Denn es stimmte. Eine schwerwiegende Behauptung aufzuführen, wie Landesverrat es war, ohne Beweise zu haben wäre vermutlich nach hinten losgegangen. Und vor allem hätte es für Gerede gesorgt, keines der guten Sorte. Im Gegenteil. Es wäre vermutlich sogar rufschädigend für Frank McKenzie gewesen. Der andere, Carter, hätte dagegen als unschuldig da gestanden, denn mit Sicherheit hätte er, selbst wenn es zu einer polizeilichen Untersuchung gekommen wäre, nichts eingestanden. Und der Rat der Zwölf, je nachdem wie mächtig er damals war, wäre in Aktion getreten. Wer wusste schon, was danach geschehen wäre. Sicherlich nichts Gutes.
»Ich sehe, Sie verstehen, wovon ich rede«, unterbrach Frank Jonathan in seinen Gedanken. »Das freut mich.«
»Mich nicht«, entgegnete Jonathan. »Denn wenn Ihr schon vor zehn Jahren nichts unternehmen konntet, wird es wohl heute nicht anders sein.«
»Dem stimme ich nicht zu. Jedenfalls nicht ganz«, sagte Frank. »Denn es haben sich doch einige Dinge inzwischen verändert.«
»Das was sich aber nicht verändert hat, ist, dass es dieser Rat der Zwölf offiziell nicht existiert«, erinnerte Arthur ihn. »Was alles deutlich komplizierter macht.« Er seufzte. »Das einzige was sich sagen lässt, ist, dass sie aus zwölf Personen bestehen und dieser Carter damit zu tun hat. Aber selbst das ist nicht sicher.«
»Wer ist Carter überhaupt? Wissen Sie mehr von ihm? Er scheint, nachdem was Sie uns erzählt haben, einen hohen gesellschaftlichen Rang zu haben«, überlegte Jonathan.
»Seinen genauen Rang kenne ich leider nicht. Zudem hat er sich inzwischen wahrscheinlich auch geändert«, antwortete Frank. »Aber es war anscheinend hoch genug, dass er seine Nase immer bis hoch in den Himmel getragen hat, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nur zu gut«, stimmte Arthur ihm zu, bevor Jonathan die Möglichkeit hatte etwas zu sagen. »Es ist oft leichter mit den einfachen Leuten zu sprechen. Und meistens auch deutlich Aufschlussreicher.«
»Wie kann das sein?«, wollte Jonathan wissen und blickte Arthur fragend an.
Der lachte kurz auf. »Das werden Sie merken, sobald Sie erstmal ein paar Jahre bei uns sind«, meinte Arthur. »Es ist immer wieder überraschend, was einfachen Leuten auffällt, wenn plötzlich die Routine ihres Tagesablaufs unterbrochen wird. Und sei es nur eine Kleinigkeit, die sich ändert. Und das sorgt schnell für Gerede.«
Jonathan begann zu verstehen. »Das macht Sinn«, stimmte er Arthur zu. Er dachte kurz nach. »Was ist mit diesem Mr. Goldstein? Habt Ihr noch mit ihm Kontakt? Vielleicht weiß er ja etwas mehr über Carter?«
»Das kann natürlich sein«, bestätigte Frank. »Doch so viel Kontakt, wie damals, habe ich mit Goldstein schon länger nicht mehr. Zudem ist die einzige Adresse von ihm, die ich besitze, eine aus Edinburgh. Man müsste also hoffen, dass er noch immer dort wohnt.«
»Stimmt. Das macht es tatsächlich nicht einfacher«, meinte Arthur. »Von London bis Edinburgh dauert eine Fahrt mit der Postkutsche mindestens zehn Tage. Mit Pech sogar etwas mehr.« Er seufzte. »Inspektor Lansbury wird uns den Kopf abreißen, wenn wir mit solch einem Vorschlag zu ihm kommen.«
»Aber das müssen wir gar nicht, oder?«, fragte Jonathan. »Wir können ihm doch auch telegrafieren«, erklärte er dann, als er die irritierten Blicke bemerkte. »Oder wir benutzen einen dieser neumodischen Fernsprecher.«
Arthur schüttelte den Kopf. »Haben Sie denn schon einmal eines dieser Dinge benutzt, Hobbs?«, wollte er wissen.
»Einen Telegrafen, ja«, antwortete Jonathan. »Mit einem Fernsprecher habe ich jedoch bis jetzt keine Erfahrung gesammelt und kenne mich daher damit leider noch nicht aus.«
»Die Frage ist nur, wie wir an ihn telegrafieren, oder? Immerhin wissen wir nicht, ob er überhaupt dort wohnt«, sagte Arthur.
»Wenn wir nichts unternehmen, kommen wir gar nicht weiter«, erinnerte Jonathan ihn. »Ich würde also vorschlagen, dass wir uns an das Postamt oder eines der Polizeiämter wenden. Das dürfte in Ordnung gehen.«
»Vermutlich werden Sie dennoch etwas Überzeugungsarbeit leisten müssen«, meinte Frank nachdenklich. »Wenn ich mich richtig daran erinnere, ist Inspektor Lansbury alles andere als begeistert von dieser Technologie.« Er räusperte sich kurz. »Aber ich werde Sie gerne unterstützen, Hobbs.«
»Das stimmt«, bestätigte Arthur. »Man könnte sogar sagen, dass er es meidet wie der Teufel das Weihwasser.« Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Na also, da haben wir es schon. Dann wird es wohl wirklich besser sein, wenn ich Sie begleite«, wandte Frank sich an Jonathan. »Arthur kann in der Zwischenzeit ja darauf achten, dass Katie nichts Verrücktes anstellt.«
»Natürlich, Sir«, Arthur nickte und wechselte stumm und möglichst unauffällig einen Blick mit Jonathan. Immerhin war es längst zu spät. Gerade jetzt da Katie, ohne Wissen ihres Vaters, unterwegs war um sich mit den anderen Mädchen und »Arbeitskolleginnen« von Annie zu unterhalten, ob und was diese über die vergangenen Geschehnisse wussten. Was bei ihrem Vater durchaus vermutlich unter verrückt fiel.
»Wo wir gerade darüber reden: Wo ist Katie?«, erkundigte sich Frank in genau diesem Moment. »Es ist zur Zeit erstaunlich ruhig. Das kann nichts Gutes verheißen.«
»Ich werde gleich mal nachsehen, ob sie nicht in ihrem Zimmer ist«, meinte Arthur. »Ihr beide könnt ja schonmal rüber gehen und mit Inspektor Lansbury alles besprechen. Je früher wir erfahren, ob wir mit diesem Mr. Goldstein in Kontakt treten können, desto besser. Oder nicht?«
Jonathan seufzte leise, nickte aber. »Ja, wahrscheinlich ist das tatsächlich am besten«, stimmte er Arthur zu und hoffte inständig, dass sie Katie nicht über den Weg liefen. Denn sollte das doch passieren, konnte das extrem peinlich werden. Für jeden von ihnen. Und das musste nun wirklich nicht sein.
Frank, der nichts von alldem ahnte, nickte zufrieden. »Dann sollten wir uns auf den Weg machen«, er blickte auf seine Taschenuhr. »Das möglichst bald, sonst gibt es kaum ein Durchkommen auf den Straßen.«
»Also was hast du zu berichten?«, wollte Katie von Tommy wissen, nachdem dieser sich, von ihrem Geld wohlgemerkt, erst einmal etwas zu essen gekauft hatte. »Oder war das alles nur ein Trick?«
»Miss!«, rief Tommy, und es klang nahezu entrüstet. »So etwas würde mir niemals einfallen! Das schwöre ich Ihnen!«
»Nicht nötig.« Katie winkte ab. »Dennoch würde ich mich freuen, wenn du jetzt endlich von dem erzählst, was du weißt.«
»Sicher Miss. Wäre es aber nicht besser, wenn Ihr mich gleich mit zu dem Bobby nehmt, der Euch sonst begleitet? Sonst muss ich alles doppelt und dreifach erzählen. Ehrlich, auf sowas hab ich echt keine Lust-«
Katie runzelte die Stirn. »Bobby? Wer ist Bobby?«
»Ah ja-« Tommy nickte ihr zu. »Scheint so, als kennen Sie den Begriff nicht. Ich rede von dem Constable«, erklärte er.
»Na also schön, das ist ja auch nicht das, was gerade wichtig«, meinte Katie, die immer noch nicht ganz verstand. »Also nochmal zurück. Was hast du mitbekommen?«
»Nicht viel«, gab Tommy zu. »Aber«, fuhr er schnell fort, als er Katies Blick bemerkte »trotzdem ein paar Dinge, die wichtig sein könnten. Das verspreche ich.«
Katie zog eine Braue in Höhe. »Ist das so?«
»`türlich Miss«, Tommy nickte. »Am Tag vor Annies Tod haben sich zum Beispiel seltsame Gentlemen hier herum getrieben.« Er hielt kurz inne. »Wobei, wenn ich es genau bedenke, Gentlemen vermutlich waren die beiden wohl nicht wirklich.«
»Was meinst du damit?«, fragte Katie ihn.
Tommy zuckte mit den Schultern. »Na, wie ich es sage. Sie waren hier und haben sich nach ihr erkundigt. Auch bei mir.«
Katie starrte ihn an. »Du hast mit ihnen gesprochen?«
»Nur kurz. Sie haben gesagt, sie müssten dringend etwas geschäftliches mit Annie klären. Wo sie sie finden, wollte sie wissen«, berichtete der Junge.
»Du hast es ihnen gesagt?«, riet Katie und seufzte.
»Logisch. Da hätten sie aber auch jeden anderen fragen können, immerhin wusste jeder wo Annie arbeitet.«
»Du hast nicht zufällig weiter nachgefragt, was genau die Männer geschäftliches von ihr wollten?«, erkundigte Katie sich bei ihm.
»Beim besten Willen, Miss«, sagte Tommy. »Aber wenn so Typen wie die drei sagen, dass sie etwas geschäftliches mit Mädchen wie Annie zu besprechen haben, bedeutet das so gut wie immer -«
Katie brauchte einen Moment, dann fiel bei ihr der Groschen. Sie errötete. »Oh.«
»Genau.« Tommy nickte.
»Aber drei-« Katie schluckte hart. »Egal. Du sagst also du hast sie nie zuvor hier gesehen?«
»Ja, genau. Aber ich bin sicher, dass meine Jungs und ich mehr herausfinden können«, sagte er. »Gegen Bezahlung, aber das versteht sich wohl von selbst.«
Katie seufzte. »Einverstanden.« Sie drückte ihm ein paar Pennys in die Hand.
»Ich denke das reicht vorerst«, meinte Tommy, nachdem er nachzählte, wie viel sie ihm gegeben hatte. »Wo soll ich hin gehen, wenn ich was weiß?«
Katie zögerte. Vermutlich wäre es nicht die beste Idee, ihn zu bitten zu ihr nach Hause zu kommen, wenn er Ergebnisse hatte. Keiner aus ihrem Haushalt würde es zulassen, dass ein Straßenjunge sich auf ihrem Grundstück aufhielt. Und selbst wenn Tommy ihn sagen würde, dass er von Katie erwartet wurde, würde ihm das wohl niemand glauben.
»Ich komm in drei Tagen einfach hierher. Das wird am besten sein. Wenn mein Vater erfährt, dass ich hier war und das auch noch alleine, könnte ich Schwierigkeiten geraten.«
»Versteh schon, Miss. Dann also in drei Tagen wieder hier.«
***
Jonathan konnte nur mit Mühe verbergen, wie unwohl er sich gerade in seiner Haut fühlte. Was nicht daran lag, dass er mit Frank McKenzie auf dem Weg zu Inspektor Lansbury war. Sondern vielmehr daran, dass Katie ihnen hier mit Pech über den Weg laufen konnte. Was keinen von ihnen in eine angenehme Situation brächte. Ganz im Gegenteil.
»Hobbs, Sie müssen nicht so nervös sein«, riss Frank ihn aus den Gedanken. »Sie müssten doch inzwischen verstanden haben, dass Richmond - Inspektor Lansbury manchmal zwar etwas unwirsch wirkt, aber dennoch vernünftigen Argumenten zugänglich ist. Was gerade in seinem Beruf nützlich ist. Immerhin gibt es genug andere Polizisten, die sturer sind als ein Esel es jemals sein könnte.«
Jonathan nickte. »Ja. Es wird bestimmt funktionieren.« Das hoffte er jedenfalls. Und nicht nur allein, was das Gespräch mit Lansbury anging. Aber den zweiten Grund, nämlich Katie, verschwieg er Frank dann doch lieber. Auch wenn er sich obendrein immer noch Sorgen machte, ob Katie überhaupt etwas erreicht hatte. Aber das würde er dann später mit ihr besprechen. Wenn er wieder zurück und sie beide unter sich waren.
Frank nickte ihm aufmunternd zu. »Sie werden sehen, Hobbs. Es wird keinerlei Probleme geben. Oder zumindest keine großen, wie Sie es sich ausmalen.«
Wenn Ihr davon erfahrt, worüber ich mir genau Sorgen mache, würdet Ihr das anders sehen, dachte Jonathan, sprach es jedoch nicht aus. »In Ordnung.«
»Na also.« Frank lächelte. »Also kommt jetzt. So dass wir es hinter uns bringen können. Je früher wir seine Erlaubnis erhalten, umso früher können wir mit Ergebnissen rechnen.«
Das stimmte natürlich. »Einverstanden.«
***
»Frank, Hobbs! Sie beide hatte ich heute wirklich nicht hier erwartet«, begrüßte Richmond sie, nachdem sie sein Büro betraten. »Was führt Sie zu mir? Ich hoffe doch, es sind keine schlechten Neuigkeiten.«
»Nein, nicht unbedingt, Sir. Aber letztendlich kommt das wohl auf die Sichtweise an.«
Richmond zog eine Braue in die Höhe. »Ist das so?«
»Vor allem ist es eine Bitte, die wir an dich haben«, korrigierte Frank Jonathan.
»Jetzt macht ihr mich aber wirklich neugierig«, meinte Richmond. »Also raus damit. Worum geht es?«
»Hobbs und ich haben uns vorhin noch einmal ausführlich unterhalten, und dabei sind mir ein paar Kontakte von damals eingefallen, die uns weiterhelfen könnten«, berichtete Frank. »Zwei um genau zu sein.«
»Das klingt interessant.« Richmond deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. »Setzt euch doch.« Er runzelte die Stirn. »Ich nehme an mit damals meint ihr die Zeit, als Ihr und Eure Familie noch in Edinburgh gelebt habt?«
Frank nickte und nahm Platz. »So ist es. Es geht um die beiden Herren William Goldstein und Landon Carter.« Den Kommentar, dass er Landon Carter normalerweise nicht als einen Herr bezeichnen würde, sondern mit anderen Worten, sparte er sich.
»Was ist mit den beiden?«, erkundigte Richmond sich. »Könnten sie uns in dem Fall weiterhelfen? Das wäre großartig.«
»Könnte trifft es ziemlich auf den Punkt«, sagte Frank. »Ich kenne leider nur die Adresse von Goldstein, jedoch die von vor sieben Jahren. Ob er sie noch benutzt weiß ich nicht. Es kann auch sein, dass er zurück nach Deutschland gezogen ist.«
»Ah, dann ist er Deutscher? Das habe ich mir bei dem Namen schon gedacht.« Richmond runzelte die Stirn. »Ich liege wohl richtig auch mit, dass er Kaufmann ist wie Ihr?«
»Ja«, bestätigte Frank. »So ist es. Er war damals in Edinburhg auf der Suche nach«, er suchte nach dem passenden Wort »erfolgversprechenden Beziehungen.«
»Was ist mit dem anderen? Landon Carter, richtig?« Richmond sah auf seinen Notizblock. »Was ist mit dem?«
»An ihn kommen wir nur über Goldstein ran. Aber falls wir das schaffen, würden wir sicher einiges lohnenswerte und interessante erfahren. Vermutlich nicht nur über ihn«, sagte Frank.
»Ich verstehe.« Richmond verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber selbst wenn wir einen der beiden erreichen – es dauert dann immer noch ein paar Tage, bis sie hier sein könnten.«
»Es gäbe aber auch noch andere Möglichkeiten direkt mit ihnen zu sprechen, Sir«, wandte Jonathan vorsichtig ein.
Richmond blickte ihn missmutig an. »Ein Telegramm zu schicken, ist keine Unterhaltung. Das wissen Sie, oder?«
»Ein Gespräch mit einem Fernsprecher schon«, entgegnete Jonathan.
»Sie reden doch nicht von einer dieser neumodischen Erfindungen, Hobbs?«, wollte Richmond wenig begeistert von ihm wissen. »Davon abgesehen: Haben Sie überhaupt schon einmal so ein Monster bedient? Das ist immerhin etwas ganz anderes als ein Telegramm zu versenden.«
»Nein, Sir. Aber so schwer kann das nicht sein, oder? Außerdem lerne ich gern neues.«
»Ich glaube ja nicht, dass sich das durchsetzt«, sagte Richmond und seufzte. »Allein der Aufwand und die Kosten um so ein Gerät überhaupt zu installieren ist zu intensiv. Dann hat auch noch jeder seine eigene persönliche Nummer. Wer soll sich das denn alles merken können?«
»Aber es gibt hier einen Fernsprecher, oder? Und auch in der Polizeistation in Edinburgh?«, hakte Jonathan nach.
»Davon gehe ich aus«, antwortete Richmond. »Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie gerne ihr Glück versuchen.«
»Das werde ich. Vielen Dank, Sir«, sagte Jonathan. »Ich werde Ihnen beiden dann auch sofort berichten wenn ich mehr weiß.« Damit verließ er nach einer kurz angedeuteten Verbeugung das Zimmer.
»Gut. Und wir beide unterhalten uns jetzt noch weiter über diese zwei Männer«, stellte Richmond und blickte Frank auffordernd an.
»Arthur, wir müssen reden«, verkündete Katie, nachdem sie ohne auf eine Einladung zu warten, das Gästezimmer betrat, welches er zur Zeit nutzte. »Es gibt Neuigkeiten.«
Arthur seufzte. »Manchmal frage ich mich ernsthaft, wie es sein kann, dass du dich im einen Moment undamenhaft verhältst und auf der anderen Seite aber auch das Gegenteil sein kannst. So als wärest du eine komplett andere Person.«
Katie zog eine Braue in die Höhe. »Vergleichst du mich gerade mit Doktor Jekyll und Mister Hyde?«
»Ja, genau das meine ich.« Arthur verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein wohlerzogenes Mädchen würde so ein Buch nicht einmal kennen.«
»Die verpassen dann auf jeden Fall eine gute Geschichte«, Katie grinste. »Obendrein, sind diese Ladys langweilig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, glaube mir.« Sie räusperte sich. »Willst du jetzt wissen, was ich in Erfahrung gebracht habe oder wollen wir weiterhin über Manieren und Etikette reden? Denn wenn das der Fall ist, kann ich auch mit Madame Fleur reden.«
»Sollten wir nicht besser auf Jonathan warten? Sonst musst du alles noch einmal neu erzählen«, schlug Arthur vor.
»Aber wenn ich es dir jetzt schon überlegen was wir tun oder zumindest einen Plan schmieden«, meinte Katie. »Das wäre doch viel besser, oder nicht?«
»Also gut«, stimmte Arthur zu. »was hast du in Erfahrung gebracht?«
»Nicht so viel, wie ich es mir gewünscht habe aber dafür ein paar sehr interessante Dinge«, teilte sie ihm mit und berichtete dann von ihrem Gespräch mit Tommy.
»Nur damit ich das richtig verstehe«, begann Arthur, nachdem er alles von Katie erfahren hatte. »Du hast dich mit einem Straßenjungen unterhalten, der dir erzählt hat, dass Annie von drei Gentlemen Besuch hatte und-«
Katie schnaubte. »Gentlemen waren das ganz gewiss nicht.«
»Dass das was du getan hast extrem riskant war?«, fuhr Arthur fort. »Dein Plan, den Jungen erneut zu treffen macht es nicht viel besser.«
»Dann denkst also, dass es eine dumme Idee war, den Jungen nochmal zu sehen und dass er nichts erfahren wird?«, wollte Katie wissen.
Arthur schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin sicher, es wird ihm gelingen neues zu herauszufinden. Denn er hat Recht, die meisten Leute achten nicht auf die Straßenjungen.«
»Aber?«, hakte Katie nach. »Wo liegt dann das Problem?«
»Erstens, ich finde es nicht gut, wenn du dich alleine dort sehen lässt. Zweitens, wird dir das wohl kaum auf Dauer gelingen. Drittens, falls du das öfters machst wirst du mit Sicherheit irgendwann auffliegen.«
»Hältst du mich wirklich für so leichtsinnig?«, erkundigte Katie sich. »Dich kann ich ja wohl kaum mitnehmen. Immerhin kennt dich quasi jeder.«
»Jonathan wird genau dasselbe wie ich sagen, da bin ich mir sicher«, entgegnete Arthur. »Davon abgesehen-«
»Warte mal!«, fiel Katie, die sich plötzlich an etwas erinnerte, ihm ins Wort. »Ich glaube Tommy kannte Jonathan schon.«
Mit, vor Erstaunen, großen Augen blickte Arthur sie an. »Wie bitte?«
Katie nickte. »Ja, ich denke schon. Tommy hat mich nämlich am Anfang unseres Gesprächs gefragt, wo der Bobby, wie er es ausdrückte, ist der mich sonst begleitet.«
»Das sagst du erst jetzt?« Arthur massierte sich für einen Moment die Schläfe. Langsam bekam er das Gefühl, als würden ihn Kopfschmerzen plagen.
»Es tut mir leid. Ich hatte es vergessen.« Katie versuchte sich an einem Lächeln. »Andererseits ist doch auch gar nicht so schlecht, oder? Was ich damit meine ist-«
»Ich weiß.« Nun war er es, der ihr ins Wort fiel. »Aber das heißt noch lange nicht, dass ich selbst es gut finde.«
Katie nickte. »Vielleicht ist es doch am besten, wenn wir vorerst abwarten, bis Jonathan und Vater zurück sind. Sonst kommen wir hier nicht weiter. Auch wenn Geduld so gar nicht meine Stärke ist.«
***
Es dauerte zu Katies Missfallen, eine ganze Weile bis Jonathan und ihr Vater zurückkamen. Zumindest aber deutlich mehr als sie es sich gewünscht hatte. Dann zwei Stunden, die sich viel länger anfühlten, sah sie aus den Fenstern ihres Zimmers endlich eine Droschke vorfahren. Aus der beide ausstiegen und sie musste sich zurückhalten um nicht die Treppe, die in die große Eingangshalle führte herunter zu rennen. Was ihr Vater, kaum dass er mit Jonathan eintrat, sofort durchschaute.
»Katie? Was ist los mit dir? Geht es dir nicht gut? Ich habe gedacht, du wirst uns direkt überfallen«, er klang belustigt.
»Vater! Ich-«, setzte Katie an und blickte hilfesuchend zu Jonathan. Doch der sah aus, als hätte er einige Mühe nicht laut zu lachen. »Ach egal. Also? Was habt ihr erfahren? Gibt es etwas neues?«
»Das wird sich erst noch zeigen müssen«, sagte Jonathan, anstelle ihres Vaters. »Es wäre immer noch am besten, wenn es einen Augenzeuge gäbe. Aber danach sieht es zur Zeit leider nicht.«
»Selbst wenn. Die Leute reden zwar gerne über jede Menge unnötiges, doch mit der Polizei geben sie sich nur ungern ab. Deshalb wird sich wohl kaum jemand melden.«
»Aber was habt ihr denn dann so lange bei Inspektor Lansbury gemacht, dass das alles so lange gedauert hat?«, wollte Katie wissen. »Ihr habt doch nicht einfach nur nett geplaudert.«
»Natürlich nicht. Aber warum sollten wir über etwas reden von dem wir noch keine Ergebnisse haben?«
»Vater, bitte«, versuchte Katie es erneut. »Ihr könnt mich doch nicht so in der Luft hängen lassen!«
»Ich werde Arthur aufsuchen«, sagte Jonathan und sah Katie an. »Weißt du ob er in seinem Zimmer ist?«
Katie nickte und erwiderte seinen Blick. »Ist er. Ich habe mich ebenfalls gerade kurz mit ihm unterhalten. Aber auch er hat wohl keine neuen Ideen was man machen könnte.«
»Gut. Ich werde trotzdem bei ihm vorbeischauen«, sagte Jonathan und verneigte sich zum Abschied kurz vor Katies Vater. »Ich sehe sie später, Sir.«
»Dann gehe ich auch zurück auf mein Zimmer, Vater. Ich habe noch ein Buch, welches ich weiterlesen möchte«, teilte Katie ihm mit. »Bis später beim Abendessen.«
»Einverstanden«, stimmte Frank zu. »Hobbs, wollen Sie uns nachher Gesellschaft leisten? Ich bin mir sicher, meine Frau würde sich ebenfalls freuen. Ebenso wie meine Tochter.«
Katie sah Jonathan erneut an und es wunderte sie nicht, dass er zögerte.
»Gerne«, meinte er dann aber zu ihrer Überraschung und verneigte sich erneut vor Frank. »Vielen Dank für Ihre Einladung Sir.«
***
»Hobbs, da sind Sie ja wieder«, begrüßte Arthur ihn, kaum dass Jonathan ihn aufsuchte. »Gibt es was Neues?«
»Das müssen wir noch abwarten aber womöglich haben wir eine Spur und-, weiter kam er nicht.
»Ich wusste es!«, erneut wurde die Tür geöffnet und herein kam Katie.
»Wolltest du nicht in deinem Zimmer ein Buch lesen?«, fragte Jonathan sie.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Katie sah ihn an. »Also?«
Jonathan seufzte. Er sah zu Arthur, der mit den Schultern zuckte.
»Wenn du willst, kann ich dir auch zuerst erzählen was ich heraus gefunden habe«, bot Katie an. »Interessant ist es auf jeden Fall.«
»Da muss ich ihr Recht geben«, stimmte Arthur zu. »Auch wenn ich nicht gut heiße, wie sie an die Sache herangegangen ist.«
»In Ordnung. Dann erzähl du zuerst«, forderte er sie auf. Nur um sich zu wünschen, dass er sich anders entschieden hätte. Auch wenn es nichts besser machen würde, ob er es nun früher oder später erfuhr.
»Jonathan, ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst aus als ob du in eine Zitrone gebissen hättest?« Katie blickte ihn stirnrunzelnd an. Klar, sie hatte sich schon gedacht, dass er alles andere als begeistert sein würde, aber mit so einer Reaktion hatte sie dann doch nicht gerechnet.
»Katie«, begann Jonathan, nachdem er noch einmal tief durch atmete. »Es tut mir leid, aber ich brauche einen Moment um das zu verarbeiten.«
»Kein Problem.« Katie versuchte sich an einem Lächeln. »Ich verstehe das.«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke nicht«, widersprach er, nur um sich auf einen der Sessel im Zimmer fallen zu lassen.
»Wie du meinst.« Katie zuckte mit den Schultern.
»Zuerst einmal möchte ich erneut anmerken, wie unvernünftig die ganze Aktion war«, begann Jonathan dann. »Dich alleine ins East End gehen zu lassen... Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dem zugestimmt habe.«
»Aber?«, hakte Katie nach, die nicht wusste, was sie voon seiner Reaktion halten sollte.
»Andererseits muss ich zugeben, dass es uns tatsächlich weiter gebracht hat«, sagte er. »Was nicht bedeutet, dass ich es gut heißen würde, wenn du es erneut machen willst.«
»Was aber-«
»Nein«, schnitt Jonathan ihr das Wort ab. »Wie du selbst gesagt hast, dieser Tommy scheint zu wissen, wer ich bin. Daher wird es bestimmt auch in Ordnung sein, wenn er mir berichtet und nicht dir. Denn immerhin sollen Arthur und ich dich beschützen. Dich alleine im East End herum laufen zu lassen, nur damit du dich mit diesem Straßenjungen treffen kannst war eine dumme Idee. Das ist auch der Grund, weswegen ich von Anfang an dagegen war.«
Katie starrte ihn mit ungläubig weit aufgerissenen Augen an. Sie wollte auch etwas sagen, doch es fehlten ihr die Worte.
»Du musst aber zugeben, dass wir ansonsten erst später davon erfahren hätten. Du weißt, dass die meisten Menschen im East End nicht erpicht darauf sind mit der Polizei zusammen zu arbeiten«, mischte Arthur sich ein. »Auch wenn es natürlich richtig ist, was du sagst.«
»Glaubt ihr beide denn wirklich, dass ich nicht alleine auf mich aufpassen kann?«, wollte Katie empört wissen.
»Das habe ich nicht gesagt«, meinte Jonathan. »Was ich gesagt habe ist, dass ich es für unvernünftig halte und mir nicht gefällt. Was glaubst du wohl, was passiert wenn dein Vater von alle dem erfährt?«
Katie seufzte. Es gefiel ihr nicht, doch sie musste zugeben, dass Jonathan damit Recht hatte. Ihr Vater war zwar im Großen und Ganzen ein verständnisvoller und gerechter Mann, aber auch er hatte seine Grenzen. Bisher hatte sie diese nicht überschritten, doch ihre Ausflüge alleine ins East End könnten das ändern. Andererseits jedoch-
»Dir ist aber bewusst, dass die anderen Mädchen eher Katie etwas erzählen als uns beiden, oder?«, erkundigte sich Arthur bei Jonathan. Dann blickte er sie an. »Ach ja, wolltest du das nicht auch heute machen? Davon hast du noch gar nichts erzählt.«
»Weil es da nichts zu erzählen gibt«, sagte Katie. »Ich habe es natürlich auch bei den Mädchen versucht, wurde von ihnen jedoch sofort weggeschickt«, berichtete sie. »Auf eine Art und Weise, die irgendwie seltsam war, wenn ich jetzt genau darüber nachdenke.«
»Seltsam?«, wiederholte Jonathan. »Was meinst du damit?«
»Nun sie klang geradezu alarmiert«, erinnerte sich Katie. »Fast sogar panisch. Mir fällt nur leider ihr Name nicht ein.«
»Das ist wirklich ungewöhnlich«, stimmte Arthur ihr zu. »Nicht wahr, Jonathan?«
Der nickte nachdenklich. »Ja, durchaus. Aber einfach noch einmal hingehen ist auch nicht die optimale Lösung. Es wird mit Sicherheit einen Grund für dieses Verhalten geben und es lohnt sich nicht auf schmerzhafte Weise heraus zu finden was es ist.«
Arthur nickte. »Das stimmt allerdings.«
»Na großartig.« Katie klang alles andere als begeistert. »Aber was machen wir stattdessen? Ich habe keine Lust einfach nur hier herum zu sitzen und nichts zu tun.«
»Mehr als abwarten geht aber vorerst nicht«, meinte Jonathan. »Zumindest bis wir die Ergebnisse der Polizei aus Edinburgh haben.«
»Was meinst du damit?« Katie kam sich auf einmal wie erschlagen vor. »Was hat Edinburgh mit allem zu tun?«
Jonathan biss sich kurz auf die Lippe, wie er es oft tat, wenn er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Doch was brachte es jetzt noch, Katie zu verschweigen, was ihr Vater ihm und Inspektor Lansbury berichtet hatte? »Es könnte sein, dass wir durch deinen Vater auf eine Spur gestoßen sind.«
»Ernsthaft?« Katie konnte es immer noch nicht glauben. »Aber wer-«
»Das ist jetzt erst einmal nicht wichtig«, schnitt Jonathan ihr das Wort ab.
»Aber wenn es zu der Zeit war, in der wir in Edinburgh gelebt haben, kann es doch auch sein, dass ich diese Person kenne«, gab Katie zu bedenken. »Oder nicht?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass dein Vater dir von ihm erzählt hat. Vor allem nicht, wenn man bedenkt wie schlecht zu sprechen er auf diese eine Person war.«
Katie zog eine Augenbraue in die Höhe. »Eine Person, auf die er schlecht zu sprechen war?«, wiederholte sie. »Nun das grenzt es zumindest etwas ein.«
»Wie meinst du das?«, wollte Jonathan wissen.
Katie zuckte mit den Schultern. »Na ja, mein Vater hatte in Edinburgh eigentlich zu fast allen seiner Geschäftspartner eine gute Beziehung. Was natürlich auch heute noch so ist. Abgesehen von drei Personen.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Arthur. »Dein Vater nimmt dich wohl auch zu seinen Geschäftsterminen mit.«
Katie schnaubte. »Das mag sein. Aber hatten wir nicht vorhin schon gesagt, dass Kinder weit mehr mitbekommen als die Erwachsenen meinen?«
»Dann hast du deinen Vater ausspioniert?«
Katie schüttelte den Kopf. »Spionieren ist so ein hartes Wort. Ich würde eher sagen, dass ich unauffällig zugehört habe, wenn sich die Gelegenheit geboten hat.«
»So nennt man das also heutzutage«, sagte Jonathan, doch er konnte nicht von sich behaupten, dass er Katie tadelte. »Wie alt warst du damals eigentlich?«
»Elf aber das spielt keine Rolle, oder?« Katie sah Jonathan an. »Willst du nicht gerne wissen, von wem ich gesprochen habe? Oder du sagst mir einfach wen du meinst.«
Jonathan zögerte kurz. War es klug, ihr zu sagen, was ihr Vater ihm und Inspektor Lansbury berichtet hatte? Immerhin musste er einen guten Grund haben, dass er Katie bisher nichts sagte. Der wahrscheinlich war, dass er sie nicht in Gefahr bringen wollte. Trotzdem ... »Also gut«, stimmte er schließlich zu. »Der Mann um den es vor allem geht, heißt Landon Carter.«
Katie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Landon Carer?«, wiederholte sie ungläubig. »Du machst Witze!«
»Soll das heißen du kennst ihn?«, wollte Jonathan sie.
Katie schüttelte den Kopf. »Kennen ist übertrieben Aber ich weiß wer er ist – und zwar eine der furchtbarsten Personen, die ich jemals getroffen habe«, stellte sie klar.
Jonathan und Arthur wechselten einen Blick.
»Wie meinst du das genau?«, erkundigte sich Letzterer bei ihr.
Katie zuckte mit den Schultern. »Genauso wie ich es sagte«, meinte sie. »Obwohl ich das nicht objektiv beurteilen kann, denn immerhin habe ich ihn nur zweimal gesehen. Doch das hat mir auch wirklich gereicht. Eine hohe Position zu haben, heißt eben noch lange nicht, dass man ein guter Mensch ist.«
»Das allerdings richtig«, stimmte Arthur ihr zu.
»Dann hoffen wir mal, dass er sich nicht an dich erinnert«, meinte Jonathan. »Sonst haben wir sehr wahrscheinlich ein noch größeres Problem als ohnehin schon.«
»Wer war eigentlich der andere Mann? Du hattest von zweien erzählt, oder?«
»Ja, William Goldstein«, sagte Jonathan.
»Goldstein?«, fragte Katie und ihre Augen begannen zu funkeln. »Ihr versucht über ihn an Carter ran zu kommen?«
Jonathan nickte. »Versuchen trifft es gut. Wir wissen aber im Moment nicht einmal ob er sich überhaupt in Edinburgh aufhält.«
Katie nickte. »Das weiß ich auch nicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass er euch helfen wird wenn ihr ihn findet.«
»Das hört sich an als ob er vernünftig ist«, sagte Arthur.
Katie nickte. »Oh ja, das ist er. Auch wenn er einen seltsamen Humor und manchmal echt komischen Akzent hat.« Sie grinste. »Aber er ist wirklich in Ordnung. Vater hat sich damals oft mit ihm getroffen und Geschäfte gemacht, als wir noch in Edinburgh gelebt haben.«
»Nun, wenn er mit vielen Leuten Geschäfte gemacht hat, dann wird er uns wohl auch einiges zu erzählen haben«, meinte Jonathan. »Zumindest dann, wenn wir das Glück haben sollten, dass er noch immer in Edinburgh lebt.«
Katie nickte erneut. »Davon bin ich überzeugt.«
»Von was genau? Dass er uns weiterhilft oder dass er noch in Edinburgh ist?«, wollte Arthur wissen, der alles bisher überwiegend schweigend verfolgt hatte.
»Beides«, antwortete Katie, ohne zu zögern. »Ganz davon abgesehen würde ich mich sehr freuen, wenn ich mich nochmal mit ihm unterhalten könnte. Mister Goldstein ist nämlich ein interessanter Mensch.«
Arthur lachte auf. »Wenn du das schon sagst, dann muss das schon was heißen.«
Jonathan sagte zwar nichts dazu, doch insgeheim konnte er nicht anders als ihm zuzustimmen. Darüber hinaus aber musste Goldstein ein anständiger Mann sein. Denn selbst wenn Katie dazu neigte, Dinge übereilt anzugehen, konnte er ihr eine gewisse Menschenkenntnis nicht absprechen. »Du glaubst also, dass er uns helfen wird?«, wollte er schließlich wissen.
»Davon bin ich überzeugt.« Katie lächelte. Auch wenn es mich jetzt nervt, dass wir nicht mehr tun können, als zu warten.
Ungeduldig tippte Richmond mit seinen Fingern auf dem Schreibtisch. Er war heute noch früher als sonst zur Arbeit angetreten. Denn es hätte schließlich sein können, dass es inzwischen Neuigkeiten gab. Doch er hatte sich getäuscht. Bisher war nicht einmal ein Telegramm angekommen. Ganz zu schweigen von dem, welches er so sehnlichst aus Edinburgh erwartete. Und das ärgerte ihn. Natürlich gehörte es in seinem Beruf dazu sich in Geduld zu üben, doch er konnte nicht sagen, dass es ihm leicht fiel.
»So früh schon da?«, erklang auf einmal eine ihm vertraute Stimme.
Richmond sah auf und erkannte Adam, der sich dort an den Türrahmen seines Büros lehnte. »Es können eben nicht alle so kommen und gehen wie sie wollen.«
Adam lachte auf. »Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.«
»Oh doch, das hast du«, meinte Richmond mürrisch. »Aber das ist jetzt nicht von Belang.«
»Heißt das, dass es etwas Neues gibt?«, wollte Adam wissen und trat ein in das Büro, nur um sich auf einen der Stühle vor Richmonds Schreibtisch zu setzen. »Erzähl!«
»So viel gibt es nicht zu erzählen. Jedenfalls noch nicht. Schließlich sind es gerade die Neuigkeiten aus Edinburgh auf die ich warte«, stellte Richmond klar und gestattete sich ein Seufzen.
»Edinburgh?« Adam zog erstaunt eine Augenbraue in die Höhe. »Anscheinend habe ich ja doch einiges verpasst.«
»Es ist aber auch alles von jetzt auf gleich passiert«, sagte Richmond. Er runzelte die Stirn. »Sag mal, hast du eigentlich ein paar Kontakte zu ehemaligen Kollegen von dir von den Pinkertons hier im Königreich?«
Adam brauchte einen Moment, bis die Frage bei ihm ankam. »Worum geht es?«, wollte er dann wissen.
Einen weiteren Augenblick später berichtete Richmond seinem Freund, was gestern geschehen war. Denn Adam mochte zwar Amerikaner sein und ab und an die Gesetze etwas dehnen, aber er wusste, dass er ihm vertrauen konnte, wenn es darauf ankam. Darüber verfügte Adam über Kontakte, an welche Richmond alleine gar nicht herankäme, denn dazu zählte unter anderem lichtscheues Volk und natürlich seine Verbindung zu Pinkerton. Obwohl Adam offiziell aus dem Dienst ausgetreten war.
»Es wird wohl nicht einfach werden, doch ich schätze wenn ich bei der ein oder anderen Stelle nachfrage, die mir noch einen Gefallen schulden, könnte ich tatsächlich ein paar Dinge herausfinden«, überlegte Adam, nachdem er sich alles anhörte. »Ich schätze mal, wenn ich dir spätestens morgen was sagen kann?«
Richmond nickte. »Je früher, desto besser.«
»Dann mach ich mich mal auf den Weg. Ich schick dir einen Jungen, sobald ich mehr weiß. Für ein Telegram wird mir die Zeit wahrscheinlich nicht reichen.« Er salutierte. »Bis später.«
***
Sein erster Gang führte Adam nach China Town zu dem Teehaus »aufgehende Sonne«. Wobei Teehaus nicht zutraf, denn der Verkauf von Tee fand lediglich im Vorderhaus statt. Die großen Geschäfte machte Ming, der Besitzer, im Hinterhof und Keller, zu dem die breite Öffentlichkeit keinen Zugang hatte. Adam war schon länger nicht mehr hier gewesen, dennoch wurde er von einem der Verkäufer sofort erkannt, sobald er den Laden betrat.
»Wir Sie nicht erwartet haben, Sir Adam«, sagte dieser.
Adam schmunzelte. Es war eine Abwechslung, die er genoss, mal statt Mister Sir genannt zu werden. Auch wenn letzterer Begriff gesellschaftlich gesehen, nicht korrekt war. Er trat an den Tresen. »Ich muss mit deinem Chef sprechen.«
Die Augen des Verkäufers weiteten sich vor Überraschung. »Dann Sie kaufen nicht Tee?«
»Vielleicht später. Erst einmal möchte ich deinen Chef um einen Gefallen bitten, den er mir schuldet«, teilte Adam ihm mit.
»Oh.« Der Verkäufer winkte einen Jungen heran, der Teedosen in eines der Regale stellte und sagte etwas auf Chinesisch zu ihm.
Daraufhin musterte der Junge Adam kurz, nur um dann durch die Hintertür des Ladens zu verschwinden.
»Sie warten hier. Dauert nicht lange«, sagte der Verkäufer zu Adam. Nur um sich dann einer elegant aussehenden jungen Dame zuzuwenden, die den Laden betrat.
***
Es dauerte exakt siebzehn Minuten, bis der Junge gefolgt von Ming zurück in den Teeladen kam. Dort angekommen, lächelte der füllige Chinese solch ein breites Lächeln, dass seine Zähne funkelten wie kleine Diamanten. Denn der Grund, warum Ming so erfolgreich in seinem Geschäft war, mochte zum Großteil sein, dass er seine Ware nicht selbst konsumierte. »Sir Adam, mein lieber Freund! Es freut mich sehr, Sie zu begrüßen.«
Adam nickte. »Gleichfalls. Ich bin hier um mir dir etwas geschäftliches zu besprechen. Es geht um den Gefallen, den du mir schuldest.«
Sofort verschwand das Lächeln aus Mings Gesicht. »Dann reden wir hinten.«
»Das wird wohl besser sein«, stimmte Adam ihm zu und blickte zu dem Verkäufer hinüber, der bemüht unauffällig versuchte zuzuhören.
»Also wie kann ich helfen?«, erkundigte Ming sich kurz darauf, als sie sich an einen Tisch im Hinterhof gesetzt hatten.
Adam lächelte. Es war ihm lieb, direkt zum Geschäft zu kommen. »Wenn ich mich richtig erinnere hast du über das ganze East End deine Kontakte verteilt. Ist das richtig?«
Ming nickte.
»Sehr schön. Dann hast du sicher auch von dem Mord an der Prostituierten gehört?«, erkundigte Adam sich.
»Schlimme Sache«, meinte Ming. »Sehr tragisch. Annie war gutes Mädchen.«
»Dann hast du sie gekannt?«, wollte Adam wissen und mit einem Mal sah Ming ein wenig schuldbewusst aus.
»Viele haben sie gekannt«, wich er aus. »Nicht nur ich.«
»Sie hatte eine Tätowierung. Einen weißen Lotus. Weißt du etwas darüber?«, erkundigte Adam sich. »Oder hat vielleicht einer deiner Leute etwas seltsames bemerkt?«
»Viel ist seltsam im East End. Es ist ein Dreckloch«, sagte Ming und spuckte auf den Boden. »Du ermittelst mit der Polizei? Wir mögen keine Polizei.«
»Ich weiß. Deshalb bin ich hier und nicht der Inspektor, der den Fall leitet. Der übrigens ein guter Freund von mir ist.« Adam verschränkte die Arme vor der Brust. »Er weiß nicht, dass ich hier bin und auch nicht, zu wem ich noch gehe. Er bat mich lediglich, über Kontakte ein paar Dinge herauszufinden. Du bist mir als erstes eingefallen. Denn dein Netz im East End ist beachtlich. Ich nehme an, deine Geschäfte laufen immer noch gut?«
Ming nickte stolz. »Ja. Sehr gut. Auch kommen inzwischen mehr edle Herren. Opium und meine Mädchen immer beliebt. Verdiene viel Geld.«
»Das freut mich. Also hör dich für mich ein wenig um. Diskret versteht sich. Dann werde ich weiterhin beide Augen zudrücken über die Geschäfte, die du hier sonst tätigst.«
Ming zögerte kurz. »Einverstanden«, sagte er, doch ihm blieb am Ende auch gar nichts anderes übrig. »Ich werde dir eine Nachricht geben, sobald ich was weiß. An dieselbe Adresse wie sonst?«
»Selbstverständlich.« Adam stand auf, tippte sich zum Abschied noch kurz an seine Melone. »Bis bald. Wir hören von einander.«
Das nächste Ziel von Adam, nachdem er das Teehaus verließ, war der Ort, wo Annie gearbeitet hatte. Das »Haus der Liebe«, wie es sich nannte und in dem Adam ebenfalls kein Fremder war, wie er zugeben musste.
»Adam, lange nicht gesehen«, wurde er, kaum dass er eintreten wollte, begrüßt. »So früh dran heute? Bist wohl sehr gestresst, was? Soll ich dir helfen dich zu entspannen? Du weißt, wie gut ich das kann, nicht wahr?«, sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Mittags allerdings mit Aufpreis.«
Adam schüttelte bedauernd den Kopf. »Zu entspannen, gerade mit dir, wäre zwar wunderbar aber leider bin ich wegen der Arbeit hier, wenn du verstehst.«
»Schade«, das Mädchen machte einen Schmollmund. »Wir vermissen deine Besuche hier.«
»Ich euch auch.« Adam küsste sie. »Aber du weißt ja wie es ist, wenn man von Kopf bis Fuß in der Arbeit steckt.«
Sie lachte. »Nur zu gut. Also wie kann ich dir helfen? Wenn du sagst du bist hier um zu arbeiten, nehme ich an, du kommst wegen Annie?«
»Du bist nicht nur hübsch, sondern ebenso auch schlau, meine Liebe«, antwortete Adam und lächelte sie charmant an. »Heißt das, du kannst mir helfen?«
»Wenn du gut bezahlst.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich bin nur erstaunt, wie viele Leute in letzter Zeit nach Annie fragen. Selbst nach ihrem Tod.«
»Was meinst du damit?«, wollte Adam wissen, den das aufhorchen ließ und drückte ihr zur Ermunterung ein paar Pennys in die Hand. »Wer wollte denn etwas von ihr?«
»Da waren drei Gentlemen am Abend vor ihrem Tod, die etwas mit ihr besprechen wollten«, sagte sie und steckte die Pennys in ihre Rocktasche. »Wir waren alle verwundert, dass Annie mit ihnen in ihr Zimmer ist. Sie hat normalerweise solche Anfragen nicht angenommen, wenn du weißt was ich meine.«
»Natürlich.« Adam nickte. »Habt ihr sie gefragt, was diese Gentlemen von ihr wollten?« Er zog zwei weitere Pennys aus seiner Geldbörse und hielt ihr auch diese hin.
»Klar, haben wir. Aber eine richtige Antwort bekommen, haben wir nicht. Keine von uns. Noch nicht einmal, die Frau Lady. Aber es muss wohl wichtig gewesen sein.«
Die »Frau Lady«, wie alle Mädchen sie nannten, war die Besitzerin des Hauses und führte mit strenger Hand das Regiment. Sorgte im Gegenzug aber dafür, dass es den Kunden, und vor allem ihren »Angestellten« gut ging. Adam hatte sie einmal kennengelernt und sofort erkannt, dass es nicht klug war, sie zu verärgern. Dass Annie es trotzdem riskierte, den Unwillen dieser Frau auf sich zu ziehen, verhieß nicht Gutes.
»Außerdem habe ich die Männer noch nie hier gesehen, aus dem East End sind die sicher nicht«, fuhr das Mädchen fort. »Auch wenn`s hier ein paar Typen gibt, die Zylinder und Anzug tragen.« Sie nahm Adam die nächsten Pennys aus der Hand, die er ihr hinhielt. »Und gestern war die junge Lady da, die mit Annie befreundet ist. Kate ... Oder wie auch immer sie heißt – und hat auch nach ihr gefragt. Aber Frau Lady hat sie weg geschickt.«
»Katie«, korrigierte Adam sie. »Na großartig.« Er seufzte. »Aber danke fürs erzählen. Falls dir noch was einfällt, du weißt wo du mich finden kannst.« Er drückte ihr noch einen Kuss auf den Mund. Dann ging er weiter.
»Mister Fray? Sind Sie das?«
Adam musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer ihn angesprochen hatte, tat es jedoch trotzdem. »Guten Morgen, Hobbs. So sehen wir uns also wieder.«
Jonathan musterte ihn misstrauisch. »Aber Sie kommen doch nicht nur auf einen Höflichkeitsbesuch vorbei. Oder irre ich mich?«
»Nein, Sie irren nicht«, teilte Adam ihm mit. »Ich komme wegen Miss Katie.«
Jonathan sah ihn überrascht an. »Wegen Katie?«, fragte er und stellte gleichzeitig fest, dass es sicher nicht sehr intelligent klang, wenn er immer das wiederholte, was Adam ihm zuvor schon mitgeteilt hatte. »Ist etwas passiert wovon ich wissen sollte?«
Adam runzelte die Stirn. »Es ist besser wenn wir drinnen darüber sprechen, denke ich.«
Jonathan nickte. »Ja, davon gehe ich auch aus«, stimmte er ihm zu. »Außerdem gibt es ein paar Dinge, über die ich Sie und Hitcrombe gerne informieren möchte. Arthur ist doch immer noch hier, oder?«
»Selbstverständlich«, antwortete Jonathan. »Viel leichter wird das alles dadurch aber nicht. Selbst wenn er Katies Macken besser kennt, als ich.«
Adam konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. »Soll das heißen, Sie sind bereits am verzweifeln?«
»Nein, das nicht. Aber Überzeugungsarbeit zu leisten kann mitunter sehr anstrengend und Energie verzehrend sein«, meinte Jonathan und seufzte. »Obwohl ich natürlich verstehe, dass sie helfen möchte. Immerhin ging es um ihre Freundin.«
»Dann glauben Sie wirklich, dass Annie und Katie befreundet waren?«, erkundigte Adam sich. »Dass Freundschaft zwischen einer jungen Dame aus gutem Haus und einem Mädchen wie Annie möglich ist? «
Einen Moment lang wusste Jonathan nicht, was er sagen sollte. Natürlich, einerseits hatte Adam Recht. Andererseits jedoch ... »Ihr wisst doch, dass Katie auf andere Dinge mehr Wert legt.«
»Ich kenne Miss Katie nicht gut genug, aber ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Auch wenn meine bisherigen Treffen mit ihr nicht die besten waren.«
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Jonathan. »Ich konnte mir bisher nur noch nicht erklären warum es so ist.«
»Sagen wir so, wir haben eine Vorgeschichte«, wich Adam ihm aus. »Eine ziemlich unrühmliche was mich betrifft, wie ich zugeben muss. Doch dafür ist jetzt nicht die richtige Zeit.«
»Für Dinge, über welche man nicht gern spricht, gibt es wohl nie den passenden Zeitpunkt«, meinte Jonathan.
Adam nickte. »Das kann gut sein.« Er zwinkerte ihm kurz zu. »Dennoch: Dieses eine kleine Detail möchte ich trotzdem vorerst lieber für mich behalten.«
»Solange dadurch keine Probleme entstehen werden, ist das für mich in Ordnung«, meinte Jonathan resigniert. »Nicht aber, wenn wir dadurch in noch mehr solcher geraten.«
»Natürlich.« Erneut nickte Adam. »Ihr könnt Euch auf mich verlassen«, versprach er. »Abgesehen davon, habe ich bei ein paar Freunden Erkundigungen eingezogen über-« Er unterbrach sich. »Nun, Sie wissen schon. Das was passiert.«
»Ich denke, ich frage lieber nicht nach, wen Sie genau damit meinen«, sagte Jonathan.
»Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen, Hobbs.« Adam zog kurz seinen Hut und verneigte sich knapp vor ihm. »Richmond, zieht es zum Glück vor, das genauso zu tun.«
»Das glaube ich gerne«, entgegnete Jonathan. »Auch wenn ich mir fast sicher bin, dass ich mir so in etwa vorstellen kann, von wem Sie sprechen.«
»Dann wissen Sie bestimmt auch, dass es erst einmal mal das Beste sein wird, wenn wir das hier für uns behalten«, bat Adam ihn. »Sobald ich weitere Neuigkeiten habe, werde ich Sie aber natürlich benachrichtigen.«
»Das wäre sehr freundlich, danke. Bleiben Sie jetzt noch etwas?«
»Nein, lieber nicht. Ich möchte schließlich kein Chaos stiften. Also dann, wir sehen uns.« Damit machte Adam kehrt und verschwand in einer der Straßen.
»Was zum Teufel-« entfuhr es Jonathan verwundert, doch weiter kam er nicht, da exakt in diesem Moment mit Schwung die Tür geöffnet wurde.
***
»Nein! Ich will nicht!« Zu sagen, das Katie aufgebracht wäre, traf es nicht einmal ansatzweise. Vielmehr war sie wütend und ja, ein wenig enttäuscht. Doch wer an ihrer wäre das in so einer Situation nicht?
Frank seufzte. Klar, er hatte erwartet, dass Katie nicht begeistert sein würde, dass sie jetzt so sehr ablehnend war, überraschte ihn dann doch. »Komm schon. Es sind nur ein oder zwei Stunden.«
»Nur?«, fauchte Katie. »Du weißt ganz genau, dass ihn auf den Tod nicht ausstehen kann. Hättest du mich also nicht wenigstens fragen können?«
»Du hättest doch sowieso nein gesagt«, entgegnete Frank. »Das wissen wir beide.«
»Verdammt richtig!«, rief Katie wütend.
»Katherine bitte nicht fluchen«, erklang die ruhige Stimme ihrer Mutter, die neben Frank saß, sich bisher aber zurückhielt etwas zu sagen. »Du weißt genau, dass ich das nicht mag.«
»Und ich möchte mich nicht mit Damien treffen, aber das wurde ja schon über mein Kopf hinweg entschieden.« Katie verschränkte die Arme vor der Brust. »Scheinbar bekommt heute niemand genau das, was er sich wünscht.«
»Eleanor, würdest du bitte-« das war wieder Frank.
Katies Mutter, die verstand, was er sagen wollte, nickte. »Natürlich. Keine Sorge, wir finden eine Lösung mit der jeder zufrieden ist.«
Katie jedoch wagte, das ernsthaft zu bezweifeln. Denn wenn es nach ihr ging, würde sie niemals zustimmen Damien Castlewood freiwillig zu treffen. Selbst dann sollte er der einzige Mensch auf der Erde sein. Und das würde auch so bleiben.
»Ich lasse euch beide dann mal alleine«, beschloss Frank, stand auf und verließ den Raum.
Eleanor sah ihre Tochter an. Sie wusste natürlich nur zu gut, dass Katie Damien Castlewood und dessen Vater absolut nicht leiden konnte. Ihr selber erging es nicht anders. Diese beiden Menschen waren in allem absolut furchtbar. Würde sie sich in Katies Situation befinden, würde sie sich vermutlich ebenfalls weigern, sich mit solch einer Person zu treffen. Doch das spielte jetzt keine Rolle. Immerhin ging es nicht um sie, sondern ihre Tochter.
»Ich kann wirklich nicht glauben, dass du dem zugestimmt hast«, sagte Katie in diesem Moment. »Alleine schon zwei Minuten, in denen ich mich gemeinsam mit Damien in demselben Raum aufhalte machen mich wahnsinnig. Wie soll ich dann zwei Stunden aushalten?«
»Mit Ruhe und Disziplin. Vielleicht wird es ja auch gar nicht so schlimm, wie du jetzt noch denkst?«
»Was soll das heißen?« Katie runzelte die Stirn. »Wie könnte es denn sonst werden?«
»Nun, vermutlich sollte ich das nicht sagen aber wieso benutzt du das Treffen mit Damien nicht als Möglichkeit für Nachforschungen?«, schlug Eleanor ihr vor.
»Nachforschungen?«, wiederholte Katie. »Was für- Oh.« Sie sah ihre Mutter an. »Ist das denn Ordnung? Jonathan kommt doch nicht mit, oder doch?«
»Selbstverständlich nicht. Aber als deine Anstandsdame wird Madame Fleur dich begleiten.«
»Na großartig.« Katie seufzte. »Du meinst also es könnte sein, dass Damien etwas weiß, dass uns weiterhilft?«
»Wenn du ihn nicht fragst kannst du es nicht wissen«, meinte Eleanor. »Du weißt doch, wie er tickt. Lass deinen Charme spielen, schmeichel seinem Ego. So wirst du bestimmt etwas nützliches erfahren.«
»Mhm.« Katie runzelte die Stirn. »Das klingt tatsächlich gar nicht mal nach so einer schlechten Idee«, gab sie zu. »Und könnte vielleicht sogar funktionieren«, murmelte sie vor sich hin. »Das heißt aber noch lange nicht, dass es mir gefällt. Wann soll dieses Treffen überhaupt stattfinden?«
»Heute Nachmittag. Du hast also noch ein paar Stunden Zeit, um dich vorzubereiten und ein paar Worte mit Jonathan zu wechseln«, teilte Eleanor ihr mit.
»Dann soll ich also davon erzählen?«, erkundigte Katie sich ungläubig. »Ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist.« Sie konnte sich jetzt schon vorstellen, was Jonathan davon hielt: Nichts.
»Dann musst du ihn eben auch überzeugen«, meinte Eleanor. »Ich bin sicher du schaffst das.«
»Begeistert wird er sicher nicht sein. Genauso wenig wie ich es immer noch bin. Aber gut. Versuchen kann ich es ja mal.«
»Das ist die richtige Einstellung. Dann sag ich deinem Vater Bescheid, dass du diesem Treffen zustimmst.« Eleanor stand von ihrem Platz auf. »Und nun lass uns gehen.«
Katie nickte. »Hoffen wir mal dass das gut endet.«
»Du weißt aber schon, dass das wirklich keine gute Idee ist?«, erkundigte sich Jonathan bei Katie, denn niemand andere war es, die vorhin zu ihnen ins Zimmer gestürmt kam.
Katie seufzte. »Hast du mir nicht zugehört?«, fragte sie ihn. »Ich würde mich am liebsten auch davor drücken. Allein bei dem Gedanken Damien zu treffen bekomme ich Gänsehaut. Dass Miss Fleur mich begleiten wird, hilft da auch nicht. Andererseits hat meine Mutter aber Recht. Mich mit ihm zu treffen ist eine ganz wunderbare Gelegenheit für unsere Nachforschungen.«
Jonathan seufzte. Er hatte geahnt, dass so etwas kommen würde. »Ich höre immer nur unsere Nachforschungen. Dabei sind es, die der Polizei.«
»Zu der du gehörst«, erinnerte Katie ihn ungeduldig. »Oder habe ich da etwas missverstanden?«
Er schüttelte den Kopf. »Natürlich. Aber du nicht. Du bist höchstens unsere Schutzbefohlene. Um alles andere kümmern sich Inspektor Lansbury und Mister Fray. Was du wissen solltest.«
Katie verdrehte genervt ihre Augen. »Na ganz toll. Die beiden Schlaftabletten bekommen das bestimmt besser hin, als wir.«
»Willst du damit etwa sagen, dass Inspektor Lansbury ein schlechter Ermittler ist?«, wollte Jonathan scharf wissen und wusste selbst nicht, warum er sich angegriffen fühlte.
Jetzt war es Katie, die den Kopf schüttelte. »Das habe ich nie gesagt. Er ist bestimmt gut ... Auf seine Weise. Aber wenn es andere Möglichkeiten gibt schneller an Ergebnisse zu kommen, sollte man das doch nutzen.«
Unrecht hatte sie da keines, das wusste auch Jonathan. »Trotzdem«, beharrte er aus seinem Standpunkt. »Was wenn du in Gefahr gerätst?«
»Jonathan.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Du weißt doch, dass ich das schon beim letzten Mal auf dem Ball längst gewesen bin. Und da warst du auch nicht an meiner Seite und ich habe es überlebt.«
Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Willst du damit sagen, dass es vollkommen in Ordnung ist, in Gefahr zu geraten, weil es neulich auch geklappt hat? Deine Argumente sind nicht wirklich gut.« Er verschränkte die Arme energisch vor der Brust. »Warum musst du dich überhaupt mit diesem Kerl treffen? Das verstehe ich immer noch nicht.«
»Sag bloß, du bist eifersüchtig?«, Katie grinste.
»Eifersüchtig?«, wiederholte Jonathan. »Ich? Wohl kaum.«
»Natürlich nicht.« Sie trat näher zu ihm. »Du bist dir da auch wirklich sicher, ja?«
»Klar.« Er hoffte, dass er sich überzeugender anhörte, als er sich fühlte. Die Wahrheit war, dass Eifersucht definitiv eine Rolle spielte. Er wollte nicht, dass sie sich mit Damien traf, weil er diesen schon vom ersten Moment, da er ihn sah, nicht mochte. Doch er hatte nicht das Recht, ihr das zu sagen. Immerhin waren sie wirklich nichts anderes als Schutzbefohlene und Aufpasser. Aber auch das sagte er ihr nicht.
»Selbst wenn«, meinte Katie, der seine reservierte Antwort nicht entging, »du musst dir keine Sorgen um mich machen, das verspreche ich dir hiermit.« Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen. Nur um ihm daraufhin einen Kuss auf seine Wange zu geben. »Ich habe außerdem meine Mittel und Wege um das zu erreichen was ich will.« Sie zwinkerte ihm zu. »Du weißt schon, die Waffen einer Frau.«
»Mhm«, war alles, was Jonathan heraus brachte. Noch immer zu überrascht, um etwas anderes zu sagen.
»Sehr gut!« Katie sah ihn freudig an. »Nachdem das jetzt geklärt ist, werde ich mich mal langsam fertig machen. Ich sage dir dann später wie es gelaufen ist. Wahrscheinlich werde ich aber in zwei, drei Stunden wieder hier sein.« Kaum hatte sie es gesagt, verließ sie auch schon den Raum.
***
»Nur, um wirklich sicher zu gehen, dass ich das richtig verstanden habe«, meinte Arthur, nachdem Jonathan zu ihm ging und davon erzählte, was Katie ihm eben berichtet hatte. »Miss Katie trifft sich nachher alleine mit jemandem den du für nicht vertrauenswürdig hältst? Stimmt das so?«
Jonathan biss sich verärgert auf die Unterlippe. »Im Großen und Ganzen ja.« Dass das überwiegend auf einer persönlichen Abneigung beruhte, erwähnte er nicht. Ebenso wenig den Kuss, den Katie ihm auf die Wange gegeben hatte.
Arthur seufzte. »Ich weiß ebenfalls wie dominant Katie manchmal charakterlich sein kann aber-«
»Ich glaube, dass du hast das nicht ganz verstanden«, fiel Jonathan ihm ins Wort. »Ihre Eltern haben dieses Treffen arrangiert.«
Das schien Arthur doch zu überraschen. »Wirklich?« Mit großen Augen sah er ihn an.
»Das ist ja das Problem«, merkte er an. »Aber andererseits hat Katie auch nicht Unrecht.«
»Was soll das denn heißen?«, wollte Arthur wissen.
Jonathan wollte gerade auf seine Frage antworten, da tat Arthur das schon selbst.
»Moment.« Er sah Jonathan an. »Wenn du sagst, dass Katies Eltern das Treffen arrangiert haben meinst du doch nicht etwa das...« Er unterbrach sich selbst.
Jonathan war trotzdem klar, wovon er sprach. »Ich glaube nicht, dass Katie einer Verbindung mit diesem Kerl zustimmen würde«, antwortete er ihm, auf die unausgesprochene Frage. »Zumindest nicht, wenn man bedenkt wie sie eben gelaunt war.«
»Dann ist ja gut.« Arthur atmete erleichtert aus. »Ich habe schon einen ordentlichen Schreck bekommen.«
Jonathan runzelte die Stirn. Es ging ihn schließlich auch nichts an. »Trotzdem. Es stimmt schon. Katie kommt an manche Informationen leichter ran, als wir.«
»Einverstanden bin ich damit dennoch nicht«, meinte Arthur. »Sollte nicht doch einer von uns Inspektor Lansbury Bescheid geben?«, schlug er vor. »Nur zur Sicherheit.«
Daran hatte er noch gar nicht gedacht. »Das ist eine gute Idee«, stimmte er Arthur zu.
»Zwei Köpfe haben eben doch mehr Ideen als nur einer«, entgegnete dieser amüsiert. »Wer von uns soll gehen? Du oder ich?«
»Ich, wenn es dir nichts ausmacht«, antwortete Jonathan, ohne zu zögern.
Arthur grinste. »Mit dieser Antwort habe ich gerechnet. Ich bin aber auch ganz zufrieden damit hier die Stellung zu halten.«
Jonathan erwiderte das Grinsen. »Na dann mache ich mich mal auf den Weg«, meinte er und tat genau das.
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2021
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