1. Kapitel
Träume
Riiing. Riiing.
Der Wecker läutete. Verdammt. Sie will noch weiter schlafen. Noch weiter träumen. Schon wieder dieser seltsame Traum. Wer war dieser mysteriöse Mann? Später darüber nachdenken. Zoey kämpfte sich auf, zwang sich die Augen zu öffnen & aus den Decken zu krabbeln. Unter dem Klamottenberg, der sich vor ihrem zu großen Bett türmt, suchte sie wahllos etwas zum Anziehen & schleppte sich ins Bad. Oh mein Gott. So schlimm kann man doch nicht aussehen? Nicht mal nach einer durchzechten Nacht. Zoey spritzte sich Wasser ins Gesicht & putzte sich die Zähne. Nach einem schnellen Frühstück - Cappuccino & ein Brownie vom Vortag - schnappte sie sich ihre Handtasche & verließ die Wohnung. Auf dem Weg zur U-Bahn schlängelte sie sich den Weg durch den regen Verkehr auf dem Gehsteig, doch kurz vor der Treppe zur Unterführung rempelte sie einen hochgewachsenen Mann an & schüttete ihren Cappuccino über seinen teuer aussehenden Ledermantel. „Oh mein Gott! Das tut mir schrecklich leid“ Zoey kramte ein Taschentuch hervor & versuchte, den Kaffeefleck aus dem Mantel zu reiben. Ohne großen Erfolg. „Hey, kein Problem. Den wollte ich sowieso wegwerfen.“ Ein voller, geschwungener Mund lächelte sie an, als sie aufblickte. Und erst die Augen. Verdammt was waren das für Augen. Dunkelbraun, sodass sie fast schwarz wirkten, nein, sie waren schwarz. Sie lagen in einem dunklen Schatten, als wären sie geschminkt. Sein markantes Gesicht wurde von einer schwarzen Haarpracht umrahmt, & einzelne Strähnen hingen ihm in die Augen. Sein muskulöser Körper steckte in einem schwarzen Shirt & einer dunklen Röhren-Jeans, die in ebenfalls schwarzen Lederstiefeln endete. Zoey dieser Traum von Mann auf & davon. Mit fahrigen Bewegungen sammelte sie den Inhalt ihrer Handtasche zusammen, die bei dem Zusammenstoß heruntergefallen war & erwischte gerade noch rechtzeitig die U-Bahn zu ihrem Büro.
Ein erfrischender Duft von Orangenblüten schluh ihr entgegen, als sie die Tür öffnete, ein deutliches Zeichen dafür, dass ihr Freund & Fotograf bereits da war. „Guten Morgen!“ Der hochgewachsene, gutaussehende Mann saß hinter seinem Schreibtisch & tippte konzentriert in seinem Laptop. Die große Brille war bis zur Nasenspitze vorgerutscht & seine unordentlich gestylten, dunkelblonden Haare schimmerten golden in der Morgensonne, deren leuchtende Strahlen durch das geöffnete Fenster das geräumige Büro durchfluten.
„Hey Hon. Gut geschlafen? Oder hast du wieder von deinem Typen geträumt?“ Jason blickte nicht von seiner Arbeit auf, als er ihr antwortete, und seine gespielt beiläufige Frage verbarg den eifersüchtigen Unterton nicht. „Als ob du das wissen willst. Wie geht es dir?“ Zoey beugte sich über den Laptop, um ihn auf die Wange zu küssen & schnappte sich eine Hand voll Entwürfe & Fotos. „Gut danke. Das sind Bells Ideen für den Coffee.Dream-Spot. Ich finde sie super, da sollten wir dran bleiben.“ Die Entwürfe waren echt nicht schlecht. Bell hatte eine eigene Sicht auf Dinge, was sie noch wertvoller für Lucies Werbeagentur machte. „Sullivan Dreams“, eine kleine Agentur, in der nur Zoey und ihre Kollegen Bell & Jason arbeiteten, war nicht gerade kurz vor dem Durchbruch, im Gegenteil, Zoey musste jeden Penny zweimal umdrehen, doch ihr gefiel das Arbeiten. Und genau das sollte sie jetzt tun, anstatt hier rumzusitzen und bescheuerten Träumen nachzuhängen. Sie startete ihren Computer und öffnete die Mappe mit den Entwürfen.
.. Ein Auto rast mit zu hoher Geschwindigkeit an der Straßenecke vorbei. Die Laternen flackern unheimlich, Nebel zieht auf. Wie in einem Horrorfilm. Zoey zieht ihren Mantel noch enger um ihren schlanken Körper und beschleunigt ihre Schritte. Hoffentlich erwische ich die U-Bahn noch. Irgendwo ertönt eine Sirene. Ein kalter Schauer läuft Zoey über den Rücken & ihre Nackenhaare stellen sich auf. Sie blickt zum 10. Mal über die Schulter, doch wie auch schon zuvor ist sie die Einzige auf der Straße. Ein plötzlicher, kräftiger Windstößt wirbelt Lucies Mantel auf & zwingt sie für einen kurzen Moment stehen zu bleiben. Schon wieder hat sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Und diesmal scheint sie Rech- Plötzlich steht ein großer Mann vor ihr & versperrt ihr den Weg. „Was-„ Doch eine kräftige Hand an ihrem Mund hindert sie am weiter sprechen. Eine tiefe Stimme flüstert ihr zu: „Keine Angst Kleine. Ich werde dir nichts tun. Ich werde nur …“ Das Flüstern endet in einem tiefen Knurren als sich ein von einer schwarzen Kapuze verdeckter Kopf ihrem Hals näherte …
„Was-„ Zoey schrak hoch. Verwirrt blickte sie auf das Chaos vor ihr: sie war auf dem Schreibtisch eingeschlafen. Zettel lagen verstreut auf dem Boden, Stifte & Kugelschreiber bildeten zusammen mit Büroklammern & Fotos ein Durcheinander auf dem Schreibtisch.
Just in diesem Moment öffnete sich ihre Tür & Jase kam schwungvoll herein. „Das hier müssen wir noch abschick- Alles Okay Honey?!“ Er ging um den Tisch & zog Zoey sanft in seine Arme. „Hey, hast du wieder geträumt?“ Sie atmete langsam aus, ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie den Atem angehalten hatte. Als sie aufsah, blickte sie direkt in Jasons mitternachtsblauen Augen, die sie besorgt beobachteten. Jase strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr & half ihr auf. Verwirrt setzte sie einen Schritt vor den anderen & versuchte, das Fenster zu öffnen, doch aus irgendeinem Grund klemmte es & Zoey ließ erschöpft davon ab. Das war neu. So extrem war der Traum noch nie gewesen. Das war das erste Mal, dass sie danach so desorientiert war. Wie spät war es überhaupt? Als hätte er ihre Gedanken gelesen, ertönte Jasons Stimme hinter ihr: „Es ist schon nach 6 Uhr, ich wollte dich gerade nach Hause fahren, wir waren doch zum Essen verabredet!“
„Verdammt, das habe ich komplett vergessen.“ In Wahrheit hatte sie eigentlich keine Lust darauf, mit ihm essen zu gehen, sie wusste nur zu gut, wie das enden würde. Er kam einfach nicht damit klar, dass sie nichts für ihn empfand, zumindest gab er nicht auf. Aber da sie nun schon zugesagt hatte, musste sie sich wohl oder übel ihrem Schicksal fügen.
Mit einem tiefen Seufzer packte sie ihre Handtasche zusammen und stieg hinter Jason die Treppen hinunter.
Wie oberflächlich hier alles war. Die Einrichtung des Restaurants, in dem sie Jase gegenübersaß, war mehr als nur kitschig und übertrieben. Billiger, goldbemalter Stuck und gleich gefärbte Tür- & Fensterrahmen wurden von schweren, roten Vorhängen übertönt. Den Tisch, der mit einer rotgoldenen Tischdecke gedeckt war, zierten viel zu viele Kerzen, die von dem billigen Besteck auch nicht schöner wurden. Aber ihm schien es zu gefallen. Sie bemerkte, dass sie seiner Lobeshymne auf sein Football-Team nicht gefolgt war, also versuchte sie, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
„Ich sag‘s dir, die Jungs sind einsame Spitze. Natürlich erst, nachdem ich sie auf Zack gebracht habe. Wenn man bedenkt, was für einen Käse die davor zusammengespielt haben, können sie froh sein, dass ich mich geopfert habe, sonst wären sie heute noch … „
Oh mein Gott. Sie konnte unmöglich den ganzen Abend damit verbringen, sich über Football zu unterhalten. Wenn sie nicht sofort eine Entschuldigung fand, um kurz von hier zu verschwinden, würde er noch bemerken, dass sie ihm kein einziges Mal zugehört hatte.
„Hey, Jase, Ich bin kurz auf der Toilette.“ Verwirrt blickte er ihr nach, wie sie schnellen Schrittes auf die Toiletten zu steuerte.
Als sie vor dem Spiegel stand, versuchte sie, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Verdammt. Nicht schon wieder. Sie hätte gedacht, diese Schwindelanfälle wären besser geworden. Als sie sich Waser ins Gesicht spritzte und ihr Make-up überprüfte, bemerkte sie eine Bewegung hinter sich. Doch als sie herumwirbelte, war nichts zu erkennen. Oh Mann. Jetzt wirst du auch noch paranoid, Zoey. Diese Träume machen dich noch mürbe, das kannst du dir im Moment echt nicht erlauben, also reiß dich zusammen, verdammt noch mal. Entschlossen schritt sie zur Tür, um prompt gegen eine Wand aus Muskeln zu rennen. Muskeln in schwarze Seide gepackt. Verdammt gut riechende Muskeln. Verdammt sexy Muskeln. Und der Kerl, der zu diesen Muskeln gehörte, war niemand anders als der Unbekannte, mit dem sie heute schon mal zusammengekracht war. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, als sie eine lahme Entschuldigung stammelte.
„ Na so ein Zufall.“ Lächelnd blickte er sie mit einem intensiven Blick an, der ihren Puls mehr als nur beschleunigte.
Immer noch lächelnd, beugte er sich hinunter und küsste sie völlig unerwartet auf die Wange.
„ Zoey Sullivan, ich freu mich schon, dich näher kennen zu lernen.“
„Bitte .. Was? Woher kennen Sie meinen Namen? Und was erlauben Sie sich eigentlich …“ Sie blinzelte verwirrt, und plötzlich stand sie allein vor den Toiletten. Was zum Teufel … Das konnte doch nicht sein? Wie – Wie war das möglich? Aber er war nicht mehr da. Keine Spur von ihm zu sehen. Hatte sie sich das eben nur eingebildet? Aber sie konnte die Wärme von seinen Lippen immer noch an ihrer Wange spüren.
Verstört kehrte sie zu ihrem Tisch zurück, wo Jase gerade mit einer hochgewachsenen Blondine ein sehr lebhaftes Gespräch führte.
„Jason?“ Überrascht drehte er sich um. „Oh, Zo … „ „Ich bin dann mal weg, Hny. Viel Spaß noch.“ Lächelnd blickte sie zu der Blondine und zwinkerte ihm zu. Sie nahm ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zur Garderobe, um ihren dunkelgrauen Wollmantel zu holen.
Herbst. Eine faszinierende Jahreszeit. Nebelschwaden durchzogen die verlassenen Straßen und Gassen. Grüne, saftige Wiesen und dunkle, satte Wälder verloren ihr Leben für kurze Zeit, um sich für den Frühling zu erholen, Bäume warfen ihre Blätter ab um nicht zu verdursten. Eisige Winde trieben loses Laub durch düstere Landschaften. Und doch ist der Herbst alles andere als hässlich. Zoey fühlte sich verdammt wohl, wenn sie im verlassenen Park der Stadt stand, die Augen schließen konnte und der Wind mit ihrem Haar spielte. Wenn er ihren Mantel aufwirbelte, ihr Gesicht umschmeichelte und langsam durch ihre Klamotten drang, erinnerte sie sich wieder daran, wie es war ein Mensch zu sein.
Als ein heftiger Windstoß ihren Mantel aufwirbelte, erinnerte sie sich plötzlich an ihren Traum, den sie diesen Nachmittag in ihrem Büro hatte. Sie öffnete langsam ihre Augen und blickte über die Schulter, doch sie war allein, verdammt verlassen in diesem dunklen Park, der auf einmal trostlos und finster wirkte. Langsam bewegte sie sich auf die Straßen zu, bei jedem Blick über die Schulter beschleunigte sie ihre Schritte. Als sie die Straße erreichte, die sie auch im Traum entlang gegangen war, überkam sie ein beklommenes Gefühl. Sie spürte, dass sie nicht allein war, als sie plötzlich jemand am Oberarm packte und am weiter gehen hinderte. Ihr Schrei wurde von niemandem gehört, da ihr Mund von einer kräftigen Hand verschlossen wurde. Sie wand sich, wehrte sich. Sie kämpfte, und hatte nicht die geringste Chance. Dieser Mann, wer auch immer es war, war viel größer und stärker als sie. Doch sie gab nicht auf, sie konnte nicht aufgeben, nicht noch einmal. Doch als eine dunkle, tiefe Stimme ihr zuflüsterte, versteifte sich alles in ihr. „Keine Angst Kleine, ich tu dir nicht weh, ich will nur … Ich brauche nur etwas von dir.“ Sie kannte diese Stimme. Sie würde diese rauchige Stimme überall erkennen. Ihre Angst wurde schwächer, als sie seine beruhigenden Worte hörte, doch als er ihr Haar zur Seite schob und ihren schmalen Hals freilegte, kehrte sie doppelt so stark zurück. Ihr Puls schlug heftig, man konnte es deutlich unter der dünnen Haut des Halses sehen. Als sie aufblickte, sah sie gerade noch das helle Aufblitzen in den Augen ihres Entführers, bevor er seinen Kopf senkte und sie einen stechenden Schmerz an der Stelle ihres Pulses spürte. Sie keuchte auf, als er den ersten kräftigen Zug von ihrem Blut nahm und sich von ihr nährte. Ihr etwas nahm, von dem sie nicht einmal wusste dass jemand es wollen würde. Sie klammerte sich an ihm fest, doch sie wusste nicht, ob sie ihn davon abhalten wollte, weiter zu trinken, ob sie Gefallen an seiner Tat fand oder ob sie fürchtete zu fallen. Gerade als sie dachte, den Bezug zur Realität zu verlieren und in Ohnmacht zu fallen, spürte sie, wie er von ihr abließ und mit seiner Zunge sanft über sie Wunde fuhr.
Als sie die Augen öffnete, saß sie an eine Mauer gelehnt auf dem Bürgersteig, den Mantel halb ausgezogen und verdreckt, desorientiert und verwirrt. Hatte sie geträumt?
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2011
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