„All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“[1] Dieses Zitat aus dem Beginn seiner Erzählung Worstward Ho (1982) bringt auf den Punkt, womit sich der irische Schriftsteller Samuel Beckett auf literarischer Ebene immer und immer wieder beschäftigte: das Scheitern. Das Prosastück stammt aus der späten Schaffenszeit des unter anderem mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Autors, die von einem streng minimalistischen Stil geprägt ist. Neben den grammatikalisch fast ausschließlich unvollständigen Sätzen ist auch die semantische Ebene mehr assoziativ als kohärent. Doch eines vermittelt der Text in allen Dimensionen: die ständige Fluktuation zwischen Scheitern und Hoffnung. Dabei deutet das Zitat insbesondere mit den letzten drei Sätzen „Try again. Fail again. Fail better.“ einen Handlungsspielraum an, der durch das Moment des Scheiterns erst geschaffen wird, denn Aufgeben steht hier nicht zur Debatte.
Beckett beschäftigt sich nicht erst am Ende seiner literarischen Schaffenszeit mit dem Scheitern. Im Gegenteil: Schon sein bekanntestes Theaterstück Warten auf Godot, das 1952 unter dem französischen Originaltitel En attendant Godot veröffentlicht wurde, verhandelt das Scheitern auf verschiedenen Ebenen. So warten die beiden Protagonisten Wladimir und Estragon zum einen vergebens, da sie immer wieder ihr Ziel aus den Augen verlieren und der geheimnisvolle Godot weder erscheint noch dessen Existenz überhaupt geklärt ist, und zum anderen scheitert die Kommunikation zwischen den beiden durchweg, da sie stets aneinander vorbeireden, wie die folgende Aufforderung Wladimirs andeutet: „Hör mal, Gogo, du mußt mir von Zeit zu Zeit den Ball zuspielen.“[2] Ähnlich verhält es sich im Drama Happy Days, dessen Uraufführung zeitlich zwischen den beiden bisher genannten Werken Becketts in den 60er Jahren angesiedelt ist. Die Protagonistin Winnie führt hier einen andauernden, jedoch sinnentleerten Monolog, der ebenfalls nicht als Kommunikation mit ihrem Mann Willie, der zweiten Person auf der Bühne, zu bewerten ist. Die Situation ähnelt der in Worstward Ho, mit dem Unterschied, dass sich die Protagonisten von Grund auf in einem ewigen Zustand des Nicht-Erfolgs befinden. Es ist keine Entwicklung absehbar, weder ins Positive noch ins Negative, wobei gerade darin die positive Bewertung Winnies liegt: „ah well […] – no worse […] – no better, no worse […] – no change […] – no pain“.[3] Während sich an der Situation während der gesamten Handlung äußerlich nichts verändert, findet sich in den letzten Worten Winnies eine Implikation zumindest einer inneren Bereitschaft zum Aufbruch. Denn das Stück kann sinnbildlich als die gescheiterte Beziehung zwischen Winnie, die zunächst bis zu den Hüften und später bis zum Hals in einem Erdhügel steckt, und Willie, der sich die meiste Zeit in einer Aushöhlung verbirgt und am Ende erfolglos versucht, den Erdhügel zu erklimmen, verstanden werden. Bevor sie ihn ein letztes Mal anfeuert, kommentiert die völlig bewegungslose Winnie die erfolglosen Versuche ihres Mannes mit den folgenden Worten, welche das unwiederbringlich Vergangene, Gescheiterte evozieren:
„Is it a kiss you're after, Willie ... or is it something else? [Pause.] There was a time when I could have given you a hand. [Pause.] And then a time before that again when I did give you a hand. [Pause.] You were always in dire need of a hand, Willie. [He slithers back to foot of mound and lies with face to ground.] Brrum! [Pause. He rises to hands and knees, raises his face towards her.] Have another go, Willie, I'll cheer you on. [Pause.] Don't look at me like that! [Pause. Vehement.] Don't look at me like that! [Pause. Low.] Have you gone off your head, Willie? [Pause. Do.] Out of your poor old wits, Willie?“[4]
Es zeigt sich auch hier eine gewisse Zerrissenheit, die am Rande des absoluten Scheiterns immer wieder kleine Funken der Hoffnung aufblinken lässt. Am Beispiel wird dies etwa an Winnies Lächeln sowie ihren unermüdlichen Anfeuerungsrufen deutlich, welche die Hoffnungslosigkeit und sinnentleerte Routine durchbrechen. Bei beiden Dramen stellt sich außerdem die Frage, ob die jeweilige Theateraufführung selbst nicht auch permanent am Rande des Scheiterns steht. Zumindest der zeitgenössische Zuschauer sitzt in beiden Fällen vor einem Rätsel, einem Stück ohne erkennbare Handlung, ohne Fortschritt, ohne „Moral.“ Das Absurde Theater stellt eine Herausforderung an jeden Zuschauer dar. Dennoch findet sich in allen drei Beispielen eine Spur an Hoffnung, die zwar kaum greifbar ist, vom Rezipienten allerdings nicht bestritten werden kann. Zwischen den Zeilen verbirgt sich die Implikation eines Potentials im Scheitern, denn in jeder Situation wird die Existenz von Handlungsoptionen angedeutet, wie Wladimir feststellt: „’s ist zu viel für einen allein. […] Andererseits, wozu gerade jetzt den Mut aufgeben, das sage ich mir auch.“[5] Die Konfrontation mit dem vermeintlich „Unsinnigen“ veranlasst den Rezipienten dazu, einen Sinn zu suchen, und regt ihn so zum Nachdenken an: Sind die jeweiligen Protagonisten wirklich gescheitert? Ist die Situation wirklich ausweglos? Und wird nicht gerade hier ein Reflexionsraum eröffnet, welcher gerade das Scheitern fruchtbar werden lässt?
Während Beckett das Scheitern im 20. Jahrhundert in der für ihn typischen absurden Form literarisch abhandelte und stilisierte, wurde das Motiv in den vergangenen Jahren international von verschiedenen Autoren aufgegriffen und erlebt im Zuge des heutigen neuen Realismus geradezu einen Boom. So hat es sich im zeitgenössischen Roman zu einem Trend entwickelt, scheiternde Individuen zum Protagonisten der Handlung zu machen, wie es etwa der mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnete Franzose Michel Houellebecq tut. Seine ersten Romane Extension du domaine de la lutte (1994), Les particules élémentaires (1998) und Plateforme (2001), die ihm seinen literarischen Erfolg brachten, gelten als charakteristisch für die zeitgenössische französische Literatur. Aus einem kritischen Blickwinkel heraus thematisieren sie alle die Ökonomisierung von Sexualität in der Gesellschaft, in deren Fängen die Protagonisten mit ihrem Leben gänzlich scheitern und letztendlich jeglicher Handlungsoptionen beraubt sterben. Dabei vermögen die beinahe schon naturalistisch anmutenden Schilderungen des sinnentleerten Alltags der Protagonisten sowie der jeglicher Zärtlichkeit beraubten pornographisch-sexuellen Handlungen den Leser in eine Mischung aus Verachtung und mitfühlendem Schockzustand zu versetzen. Die Erzählungen sind durchzogen von Wut und Hoffnungslosigkeit: „Je suis prise dans un système qui ne m’apporte plus grande chose, et que je sais au demeurant inutile ; mais je ne vois pas comment y échapper.“[6]
Ähnlich verfährt der unter anderem mit dem Berliner Literaturpreis sowie dem renommierten Georg-Büchner-Preis geehrte deutsche Autor Rainald Goetz. Sein 2012 nach langer Pause im Bereich der erzählenden Literatur veröffentlichter Roman Johann Holtrop handelt von dem Absturz eines deutschen Spitzenmanagers kurz nach der Jahrtausendwende. Das mit dem Untertitel Abriss der Gesellschaft versehene Werk wird in der Kritik als „ein kaltes, ein schreckliches Buch“ gefeiert.[7] Nach seinem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg scheitert der durchweg unsympathische Protagonist Holtrop auf ganzer Ebene. Gefangen in einem Strudel von Gier, Macht und Geld steuert er unaufhaltsam auf den Nullpunkt seiner Karriere zu, die Insolvenz der von ihm in den Ruin gesteuerten Firma: „Es war aus, das war die Lage, Punkt, aus, Ende. Holtrop schaute zur Decke hoch. Aber auch dort passierte nichts, niemand meldete sich, game over, Mr. Holtrop.“[8] Danach endet der Roman nicht etwa, sondern beschreibt weiter Holtrops Misere als gescheiterter Karrieremann, der aufgrund laufender Ermittlungen wegen zweifelhafter Finanzdeals seinen nun unspektakulären Alltag tatenlos zuhause verbringen muss: „In jedem Weltkontakt war der gesellschaftlich Entehrte im Kern seiner Existenz ruiniert, sogar in jedem eigenen Gedanken.“[9] Die Handlung endet mit seinem Tod in Folge eines leichtsinnigen, aber letztendlich nicht ernst gemeinten Selbstmordversuchs – sogar darin scheitert er.
Was Michel Houellebecq und Rainald Goetz miteinander verbindet ist die Darstellung des Scheiterns im Rahmen ihrer in einem stark realistischen Stil gehaltenen fiktionalen Erzählungen. Beide sind in ihrem Land gefeierte Autoren, deren Werke zahlreich übersetzt und mit viel Begeisterung aufgenommen werden. In den Beispielen zeichnet sich eine Tendenz einerseits der Autoren ab, über scheiternde Protagonisten ohne „Happy End“ zu schreiben, und andererseits der Leserschaft, besagte Werke zu kaufen und zu rezipieren. Im Unterschied zu Samuel Beckett findet sich hier nicht die kleinste Spur der Hoffnung, auch nicht unterschwellig, denn die Romanfiguren scheitern schlichtweg auf ganzer Linie. Wo Becketts Dramen den Zuschauer mit einem offenen Ende zur eigenständigen Reflexion und Sinnsuche auffordern, stellen Houellebecq und Goetz den Leser vor ein gescheitertes Leben und den Tod des Protagonisten. Dennoch folgen sie der Spur des Iren: Der Reflexionsraum ist nun lediglich vollends von der Handlung weg und stattdessen in die rezeptive Dimension gewandert. Auch die zweifellos gescheiterten Protagonisten einer dunkeln, aber realistischen Spiegelung unserer Gesellschaft regen zum Nachdenken und zur Sinnsuche an.
Die Inszenierung des Scheiterns erfreut sich ebenso abseits der „höheren“ Literatur zunehmender Beliebtheit. Ein Beispiel ist die erfolgreiche britische Anthologie-Serie Black Mirror[10] des Streaming-Anbieters Netflix. Es handelt sich um eine dystopische Abhandlung mit den technologischen und medialen Entwicklungen unserer Zeit. Dabei ist der Handlungsbogen jeder einzelnen Folge vergleichbar mit etwa den Romanen Houellebecqs und Goetz’. In einem nicht in der Gegenwart, sondern in der nahen Zukunft angesiedelten Setting stellt Black Mirror ebenfalls Protagonisten in den Mittelpunkt, die aufgrund bestimmter technologischer Voraussetzungen an ihrem Leben scheitern. Sie überleben die Handlung zwar häufig, befinden sich am Ende jedoch in einem ausweglosen Zustand der Apathie oder der Verzweiflung. Auch hier ist es der Rezeptionsarbeit des Zuschauers überlassen, aus dem dargestellten völligen Scheitern an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ein produktives Moment zu generieren.
Neben den genannten literarisch hoch angesehenen Romanen zeigt das Beispiel Black Mirror, dass die Thematisierung des Scheiterns heutzutage auch in der populären Serienkultur beliebt ist. Die Inszenierung des Scheiterns ist im Vergleich zwischen Beckett und den angeführten zeitgenössischen Romanen sowie der Serie zwar einem Wandel unterworfen – von der Suggestion von Hoffnung zur völligen Hoffnungslosigkeit –, dennoch offenbart diese Tendenz in der Literatur wie auch in der Populärkultur das Verlangen nach einer Ästhetisierung des Scheiterns. Die Handlung wird bewusst auf ein Scheitern hin konzipiert, mit dem Ziel, dadurch im Rezipienten einen Reflexionsprozess anzuregen. Indem das fiktive Scheitern also einen individuellen Reflexionsraum schafft, enthält es ebenso eine ethische Implikation. Denn in dem Moment, in dem das Scheitern diskursiv verhandelt und bewertet wird, oszilliert es zwischen ethischen Kategorien. Ausgehend von der Begegnung mit dem Anderen in der Fiktion generiert die Projektion des jeweiligen Szenarios des Scheiterns auf sich selbst ein auslösendes Moment im Rezipienten, das für diesen wiederum Handlungsräume eröffnet.
---------------------------------
[1] Samuel Beckett: „Worstward Ho,“ in: ders.: Nohow On, London: John Calder 1989, S. 99–128, hier 101.
[2] Samuel Beckett: Warten auf Godot, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1963, S. 12.
[3] Samuel Beckett: „Happy Days,“ in: ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber, 1986, S. 135–168, hier 139.
[4] Ebd., S. 167.
[5] Beckett, Warten auf Godot, S. 8.
[6] Michel Houellebecq: Plateforme, Paris: Flammarion, 2001, S. 158.
[7] Volker Weidermann: „Die böse Botschaft der Literatur,“ Faz.net, 01/09/2012, <www.faz.net/-gqz-72jgu?GEPC=s3>, aufgerufen am 20/08/2018.
[8] Rainald Goetz: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft, Berlin: Suhrkamp, 2014, S. 335.
[9] Ebd., S. 341.
[10] Black Mirror, Prod.: Charlie Brooker/Annabel Jones, Netflix 2011–2017.
Texte: Sandra W.
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2019
Alle Rechte vorbehalten