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Prolog

Ich bin tot.

Dies lässt sich nun nicht mehr leugnen. Nun, da du dabei bist, diese Zeilen zu lesen.

Denn dies bedeutet, dass sie veröffentlicht wurden. Und das konnte nur durch meinen Tod passieren. Klar, während ich diese Zeilen schreibe, kann ich unmöglich tot sein, ich bin ja kein Geist oder so, aber ich weiß, weshalb ich das hier schreibe. Und wenn du weiter liest, wirst du meiner Geschichte bald folgen können.

Schade, dass es wirklich so weit gekommen ist, dass es zu spät ist.

Ich hatte noch immer die Hoffnung…

Doch genug davon. Es wird Zeit, dass ich dich aufkläre.

Ich heiße Anna, bin, okay – war – neunzehn Jahre alt und komme aus Brooklyn.

Ich bin auf der Suche nach einer Ausbildung. Beziehungsweise ich war. Keine Angst, nicht in jedem Satz betone ich jetzt, dass es der Vergangenheit angehört. Nein. Das war bezieht sich schon auf das Jetzt. Ich habe diesen Monat mein Studium abgebrochen. Es war einfach nicht das, was ich wollte, und nicht das, wofür ich geschaffen war. Der Plan war also eine schnelle Umsiedlung vom Studium aufs Berufsleben. Ich will euch mit keinen Details nerven, deswegen hier der Knackpunkt. Eines Tages, an einem düsteren, verregneten, dunklen Tag - nein, okay, eigentlich war es nur ein kalter Wintermorgen –hat mein Leben beschlossen eine große Kehrtwendung zu machen und in die Brüche zu gehen. Nicht das es bis dahin unfehlbar war, aber wir alle haben ja unsere Päckchen zu tragen. Nein, dieser Tag war sozusagen Ende und Anfang in einem. Im Grunde war es mein Ende, doch es war der Anfang dieser Geschichte. Letztendlich der Anfang meines Todes.

An jenem schicksalhaften Tag hatte ich einen kleinen Unfall. Ich hatte sogar ziemliches Glück. Ironischer Weise. Ich war gerade dabei meinem neu gewonnenen Hobby nachzugehen – dem Reitsport – in dem ich, zugegeben, noch nicht die meiste Erfahrung hatte, als es passiert ist. Ich konnte mich nicht mehr auf dem Pferd halten und bin elegant hinab geglitten. Dieses elegante hinab Gleiten, hat mich einen gesunden Wirbel gekostet. Das klingt etwas dramatisch, was ich meine ist, dass ich mir bei diesem Sturz einen Rückenwirbel gebrochen habe. Zum Glück kam ich ohne Rollstuhl und alles davon. Mir blieb nur ein Korsett, dass ich acht Wochen zu tragen hatte. Und damit fing es an…

Auch wenn damit alles anfing, sollte ich euch noch kurz erklären, wie es hier weitergeht.

Seit jenem Tag ging mein Leben ziemlich bergab. Und ich fing an, über das Leben und den Sinn davon nachzudenken (Bei acht Wochen absolutem überhaupt-irgendwas-machen Verbot, hat man sehr viel Zeit, nachzudenken).

Und eines Tages fing ich an, Abschiedsbriefe zu schreiben. Ich weiß nicht genau, warum ich damit angefangen habe, doch jeden Tag folgte ein neuer. Ich wollte mir ja nicht wirklich das Leben nehmen. Am Anfang zumindest nicht, aber wo sind wir jetzt? Ihr wahrscheinlich in einem gemütlichen Sessel und ich? Ich bin tot.

Im Folgenden werdet ihr sie zu lesen bekommen. Meine Abschiedsbriefe. Welcher letztendlich mein letzter war, weiß ich jetzt ja selbst noch nicht, aber da ihr das liest, wird es ihn wohl gegeben haben. Auch wenn ich gerade ehrlich sagen muss, dass es mich überrascht. Denn wie jeder Mensch in einer Krise denke ich mir eigentlich die ganze Zeit, dass es schlimmer gar nicht kommen könnte. Doch es kam wohl schlimmer.

Ihr habt die Ehre meine letzten Gedanken zu erfahren. Ich werde es euch aber nicht so leicht machen. Die letzte Seite wird nicht zwingend der letzte Brief sein. Das ist sogar recht unwahrscheinlich. Zwischen den Briefen finden sich kleine Geschichten. Manche betreffen mich. Andere nicht. Die Briefe sind chronologisch geordnet. Ihr sollt ja sehen, wie mein Leben immer unerträglicher wird und wie verzweifelter ich werde. Vielleicht fragt ihr euch gerade warum. Ich bin mir nicht sicher, in wie weit diese Texte letztendlich veröffentlicht werden, da werde ich mir noch genauer Gedanken zu machen. Doch manch einer wird sich in meinen Geschichten und vielleicht auch in meinen Briefen wiederfinden. Dies ist keine Rache an irgendjemandem. Aber führt es euch mal genau vor Augen. Einige von euch haben ein Leben zerstört. Man beschließt ja nicht im glücklichen Zustand, ohne jegliche Probleme, sein Leben zu beenden. Nein. Es hatte alles seine Gründe. Und diese Gründe sollten es denke ich auch erfahren. Eventuell kommt das ganze etwas herzlos rüber. Vielleicht entspricht das der Wahrheit. Vielleicht ist mein Herz Stück für Stück zerstört worden. Denn ich weiß was mich zurzeit noch am Leben hält. Mein Herz. Meine Gefühle. Denn es gibt Dinge, die den Tod für mich unmöglich machen. Wenigstens zu diesem Zeitpunkt. Auch in diesem Aspekt werden sich Leute wieder finden. Es macht mich wirklich traurig, sollten diese Dinge irgendwann auch versagen. Aufgrund meines Todes, muss dies wirklich eingetreten sein.

Jetzt aber wirklich genug davon. Ich denke, dass ihr das Prinzip verstanden habt. Noch bin ich am leben, während ich diese Zeilen schreibe, doch während du dabei bist, sie zu lesen, liege ich schon irgendwo und rotte vor mich hin – ich hoffe wirklich, dass ich verbrannt wurde –

Folge meinem Leben, beziehungsweise dem Ende davon. Vielleicht verstehen einige von euch mich. Vielleicht tut es keiner. Das spielt keine Rolle mehr.

Aber mal sehen, wie weit ich es in meiner eigenen kleinen Geschichte schaffe und ob du dazu in der Lage bist, mich bis zum Ende zu begleiten…

 

 

 

 

Erster Brief

 

Diese Zeit. Diese gute alte Zeit. Die Zeit die vergeht.

So wie alles vergänglich ist. Warum denken wir an sie? An die gute alte Zeit?

Die längst Vergangenheit ist und auch als solche behandelt werden sollte.

Die Erinnerungen. Vergangen, doch nicht verblasst. Sie tauchen in den falschen Momenten auf. Sie tauchen auf, wenn ich alleine bin.

Ich erinnere mich doch so gerne an die gute alte Zeit. Denn sie war gut. Die Zeit. Die gute alte Zeit.

Doch ich hatte damals nicht was ich heute habe, und gleichzeitig fehlt mir heute das Selbe wie damals.

Ich bin glücklich. Glücklich mit meinem Leben. Glücklich in meiner Beziehung.

Doch es gibt einfach diese Momente. Die Momente der guten alten Zeit.

In denen ich mich an dich erinner. An uns.

Und ich hätte dir gerade beinahe wieder Geschenke da gelassen. Dir Mails geschickt. Wie damals. Doch das ist jetzt Vergangenheit.

Vorbei. Wir haben uns verändert. Sind gewandelt in der Zeit. Und trotzdem tu ich genau das Selbe wie damals.

Schaue auf deinem Profil nach deinem Status. Spüre das Stechen weil du nicht verliebt dort stehen hast. Habe es selbst aber auch nicht.

Und ich denke an das was wir erlebt haben. An unsere Versprechen.

Die sich genauso wie die Zeit. Einfach in sich selbst verloren haben. Wie sich alles verloren hat. Wie wir uns verloren haben.

Wie wir diese gute alte Zeit verloren haben.

1

 

Stille.

Ja.

Diese Stille.

Vielleicht war es nicht ganz das, was ihr erwartet habt? Zu wenig Verzweiflung? Zu wenig Details? Zu wenig Information?

Keine Sorge. Das ändert sich. Das ändert sich alles noch. Doch für den Anfang sollte dies genügen. Dieser Brief richtet sich an eine einzige Person. Ich denke nicht, dass sie sich angesprochen fühlt. Leider. Aber ich habe mich schon einige Male in ihr getäuscht. Vielleicht versteht er es sofort. Entschuldigt. Sie. Die Person.

Wieder bereit zu reden? Habt ihr verarbeitet? Diesen öden, nichts aussagenden Brief? Das freut mich. Denn es wird direkt die Geschichte folgen. Vielleicht löscht sie euren Drang nach Aufregung. Vielleicht auch nicht. Mal sehen, wie viele hiernach noch weiter lesen werden. Mal sehen, wie viele mich weiter in den Tod begleiten…

Erste Geschichte

 

Ich hörte neben mir einen Schrei. Irgendwo vor mir auch. Doch ich musste mich konzentrieren. Ich parierte und duckte mich, dann stach ich zu, mit all meiner Kraft. Der Soldat vor mir ging zu Boden, doch es blieb keine Zeit durchzuatmen, denn schon stand der nächste Mann an seiner Stelle. Die Schlacht dauerte nun schon mehrere Stunden. Mein Arm fühlte sich schwer an und die Wunden, die meinen Körper bedeckten schmerzten stark. Meine Konzentration ließ nach. Dennoch vernahm ich einen Tumult zu meiner rechten Seite. Einige Männer stoppten mitten im Angriff, andere zogen sich ein Stück zurück. Ein Mann kam auf mich zu, groß gewachsen und viel zu auffällig gekleidet für eine Schlacht. Er zog die gesamte Aufmerksamkeit seiner Umgebung auf sich. Ein leichtes Ziel. Doch zugleich war es auch dieser Auftritt, der die Soldaten innehalten ließ. Ein Horn ertönte. Rückzug? Doch die Schlacht war noch nicht geschlagen. Zu meiner linken Seite tat sich nun ebenfalls eine kleine Gasse auf. Zwei Männer kamen auf prunkvollen Pferden angeritten. Sie selbst waren elegant und gebieterisch gekleidet. Beide trugen einen weiten Mantel, ihre Stiefel- und Gürtelschnallen blitzten in einem Goldton auf und ihre Waffen waren von höchster Qualität. Dies waren keine dänischen oder sächsischen Soldaten. Dies waren ihre Könige höchstpersönlich. Um mich herum hatten die Kämpfe nun endgültig aufgehört und auch ich starrte lediglich erwartungsvoll in Richtung der erschienenen Personen.

Der Ritter zu Fuß begann zu sprechen. Ich hatte ihn schon einmal gesehen. Er war vor einiger Zeit als ein Besucher bei seinem König von Worms erschienen. Hatte er nicht auch einen Teil des königlichen Heeres angeführt?

„Ich bin Prinz Siegfried von Xanten und ich werde dieser Schlacht ein Ende setzen. Nehmt eure Männer und zieht euch zurück, denn ein Sieg ist für euch beide nicht in Aussicht!“

Stille trat ein.

Einen Augenblick später, brach dann das Chaos aus. Die Könige ließen sich einen solchen Auftritt nicht gefallen und schon bald standen die drei sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Siegfried forderte sie zu einem Zweikampf heraus.

Und nach einem kurzen Moment war es soweit. Es hatte sich eine große Lücke zwischen den Soldaten gebildet. Wir alle verhielten uns ruhig, beobachteten unsere Feinde und waren trotzdem jederzeit bereit, wieder zum Schwert zu greifen.

Als erstes trat der König von Sachsen Siegfried gegenüber. Es wurde ein Kampf mit bloßen Händen. Zunächst schien keiner der beiden überlegen zu sein, doch schnell änderte sich die Situation und Siegfried riss den König zu Boden, wo er ihn problemlos hielt, bis dieser seinen stummen Kampf gegen den Tod letztendlich verlor.

Einige zustimmende Rufe seitens der Männer von Worms erklangen, auch ich brüllte einmal kurz auf. Doch schon hatte der übrig gebliebene König sein Schwert gezogen. Ein Raunen ging durch die Umstehenden, denn Siegfried war unbewaffnet, als der König schon auf ihn zustürzte.

So schnell, dass ich nicht erkennen konnte woher, hatte Siegfried jedoch schon ein Schwert zur Hand und parierte den Schlag mühelos.

Der Kampf dauerte länger als der erste, doch irgendwann zeigte der König Anzeichen von Erschöpfung und Siegfried, der Schwäche erkennen ließ, nutzte diesen Moment aus und stach dem König tief zwischen die Schlitze seiner Rüstung, sodass dieser nach einem kurzen Röcheln ebenfalls zu Boden ging. Die dänischen und sächsischen Soldaten traten die Flucht an.

Der Kampf war zu Ende. Die Schlacht war geschlagen. Und der Held dieses Tages war dieser sonderbare Siegfried, dem schon bald sein Ruf vorrauseilen wird.

2

 

Oh ja. Es geht doch nichts über eine gute alte Schlacht. Zu altmodisch? Ihr seid schon ziemlich schwer zufrieden zu stellen. Ich muss dazu sagen, der Gedanke an eine offene Schlacht, ein Kampf, ein riesiges, blutbesudeltes Schlachtfeld hat mich schon immer gereizt. Vielleicht verbinde ich die Person meines ersten Briefes auf irgendeine Weise damit. Nicht weil er mal in so einer Schlacht war oder so. Nein. Er könnte mein Interesse vielleicht etwas nachvollziehen.

Wieso schreibe ich also gleich als erstes einen Brief an oder über ihn, wie ihr wollt.

Das ist sowohl eine sehr gute, als auch eine sehr schwierige Frage.

Ich weiß nicht genau, wie lange er mich jetzt schon durch mein Leben begleitet. Definitiv nicht als längstes. Ich kenne viele Leute, die ich vor ihm getroffen habe. Wobei treffen hier wirklich seehr ironisch ist. Denn getroffen habe ich ihn noch nicht. Er ist eine Internetbekanntschaft. Nicht was ihr jetzt vielleicht denkt. Mit anzüglichen Fotos und so, wobei es die, wie ich ehrlicherweise zugeben muss, auch gab. Nein. Er war eigentlich schon immer mehr für mich. Warum genau, weiß ich nicht. Vielleicht weil wir, seit ich ihn damals angeschrieben habe, niemals den Kontakt wirklich abgebrochen haben. Wir haben jeden Tag geschrieben. Auch wenn es nur drei Sätze waren. Er war einfach eine Konstante in meinem Leben. Auch wenn es eine virtuelle war.

Doch er ist nicht für immer virtuell geblieben. Dazu aber später mehr.

Also kurzer Rückblick. Junge, virtuell, Konstante in meinem Leben, Freund oder auch mehr.

So viel zunächst zu ihm.

Der Anfang dieser ganzen Sache mag für einige von euch eine seltsame Art an sich haben. Das lässt sich nicht mehr ändern. Ich denke, dass es noch früh genug zu den ernsten Dingen kommt. Ein kleiner Brief, der in Rätseln spricht und eine Geschichte, die weit zurück führt. Das ist etwas, was ich gut mit mir verbinden kann. Ich schreibe schon immer gerne. Und ich schreibe gerne etwas, was zum Nachdenken anregt. Wenn man es genau betrachtet, ist diese ganze Aktion an sich nichts anderes. Lasst mir also ein wenig meine kreative Entfaltung, bevor es weiter geht. Bevor wir zu den ernsten Dingen des Lebens kommen.

Denn das ist es doch, worauf ihr wartet. Das ihr alle erfahrt, was mit mir passiert ist. Und warum

Keine Sorge. Da kommen wir schnell genug hin.

Vielleicht ist der zweite Brief schon eher das, wonach es euch dürstet…

 

Zweiter Brief

 

Zweiter Brief:

 

Wir haben alles geteilt. Das wären die richtigen Worte jetzt. Doch in Wahrheit hast du mir alles gegeben. Ich brauchte dich. Und ich konnte dir niemals zurück geben, was du mir gabst. Ich habe es versucht, aber du hast es nicht zugelassen. Also gewöhnte ich mich irgendwann daran. Machte mich abhängig von dir, wie du nachher sagtest.

Wir gehörten zusammen. Man sah uns kaum noch einzeln. Jeden Tag machten wir die Gegend unsicher. So kam es mir jedenfalls vor. Ich möchte jetzt nicht anfangen irgendwas Schlechtes über dich zu sagen. Du hast mir so unendlich viel gegeben. Ich habe so oft gesagt, dass ich ohne dich nicht existieren könnte. Und so sollte es letztendlich auch sein. Eines Tages hast du beschlossen mich zu verlassen. Ich kann bis heute noch nicht sagen warum. Denn ich konnte es nicht verstehen. Und ich wollte auch nicht. Ich wollte nur, dass du zurück kommst. Denn du warst viel mehr wert als irgendein Mann es mir jemals hätte sein können. Du warst meine beste Freundin. Hast mich aus jedem noch so dunklem Loch geholt.

Doch an diesem Tag hast du beschlossen, mich von der obersten Mauerkante hinab zu stoßen.

Ich hatte mir vorgenommen, nicht dramatisch zu werden. Keine Träne zu vergießen und mein Leben einfach weiter zu leben. Aber du hast tatsächlich eine solche Wunde hinterlassen, dass ich niemals die Wahl hatte.

Du hast mir niemals eine Wahl gelassen.

Niemals die Chance, in das ganze einzugreifen.

Wie schon früher immer, hast du die Entscheidung getroffen.

Früher war ich so glücklich darüber, dass ich die Verantwortung abgeben konnte und jemand hatte, dem ich folgen konnte.

Doch meine Liebe, dieses Mal, wäre ich einen anderen Weg gegangen.

 

3

 

An dieser Stelle fallen mir keine zynischen Sprüche ein und mir ist auch nicht nach Scherzen zumute. Denn dies drückt so ziemlich genau das aus, was mit mir geschah. Mir wurde der Boden unter meinen Füßen weggerissen. Und von allem, was passiert ist, konnte ich diese Sache niemals auch nur ansatzweise verstehen, geschweige denn verarbeiten.

Das Loch blieb. Und wurde immer größer.

Zweite Geschichte

 

Zweite Geschichte

 

„Wehe du lässt mich hier stehen“

Meine Stimme klang leicht zittrig.

Und sie ging weiter.

Er drehte sich wenigstens um. Und kam zurück.

Ich sah ihn böse an und versuchte verzweifelt meine Angst hinunter zu schlucken.

Sie drehte sich lachend um, sah mir in die Augen. Und das Lachen verschwand.

„Anna. Du hast Tränen in den Augen“, sagte sie und kam besorgt zu mir.

Ich wischte sie nervös weg.

„Ja, ist irgendwie ein komisches Gefühl, so hilflos zu sein. Das macht mich etwas fertig.“

John griff sich den Rollstuhl und schob mich den Gang entlang. Ich versuchte ihn anzusehen, wimmerte aber bei dieser kleinen Bewegung und starrte wieder geradeaus.

Beth schüttelte nur den Kopf und begann vor uns her zu hüpfen, um mich zum Lachen zu bringen. Es gelang ihr.

Eine halbe Stunde später hatten die beiden mich wieder in mein Zimmer im Krankenhaus gebracht und die Schwester hatte nett darauf hingewiesen, dass die Besucherzeit vorbei sei.

John gab mir einen Abschiedskuss und Beth boxte mir kurz gegen die Schulter und versprach mir, am nächsten Tag so schnell wie möglich wieder vorbei zu kommen. So wie sie die letzten drei Tage auch dort gewesen war.

 

Eine Woche später saß ich auf der Couch. Das Handy in der Hand. Und frustriert. So furchtbar ich es auch im Krankenhaus gefunden hatte, dort hatte ich wenigstens Gesellschaft gehabt.

Wo waren diese vielen Freunde hin, wenn man sie brauchte?

Es war der dritte Tag ohne große Neuigkeiten. Nicht mal von Beth.

 

Ein Monat war rum. Ich saß in meinem Zimmer. Die Tränen liefen wie gewohnt meine Wange hinunter.

Einige Minuten später fand ich mich auf dem Boden wieder. Mein Rücken tat furchtbar weh. Meine Augen brannten. Ich bekam keine Luft. Ich musste wieder geschrien haben. Es war der zweite Zusammenbruch seit dem Krankenhaus.

 

Ich beschloss die Initiative zu ergreifen. Es war jetzt sechs Wochen her.

Meine Hand zitterte.

Ich schrieb ihr.

Und dann kam der Streit.

Diese Dinge. All diese Worte, die mich immer heftiger nach Luft schnappen ließen.

Der nächste Zusammenbruch.

Das Handy lag ein Stück von mir weg. Ich hoffte sehr, dass ich es nicht von mir weg geworfen hatte. Ich konnte mich nicht erinnern. Nahm nur die andauernden Schmerzen war.

Sie brauchte so jemanden wie mich nicht in ihrem Leben.

Das war ihre Aussage gewesen.

Sie habe sich Prioritäten gesetzt.

Ihren Freund. Den sie neuerdings hatte. Und über den sie sich nur aufregte.

Wäre sie verliebt gewesen, hätte ich es ja verstehen können.

Doch sie wollte ihn nicht mal. Lies mich aber fallen.

Und wollte mich nicht mehr.

Drei Nervenzusammenbrüche waren genug. Ich musste irgendwas unternehmen.

Doch die einzige Person, die mir in solchen Situationen immer helfen konnte, hatte beschlossen, dass sie so jemanden wie mich nicht in ihrem Leben bräuchte.

Wer würde mich überhaupt noch brauchen?

Sie hatte mich verlassen, als ich sie am allerdringendsten brauchte.

 

4

 

 

Bevor ihr rätselt – Ja. Es waren drei Nervenzusammenbrüche. Und sie waren nicht schön. Sie waren überhaupt nicht schön.

Die Zeit nach dem Krankenhaus war auch nicht schön. Vielleicht konntet ihr es euch ja schon denken. Es war nach meinem Sturz vom Pferd. Nach meinem Wirbelbruch. Da lag ich einige Tage im Krankenhaus. Wenn ich damals gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich mir nicht gewünscht, so schnell hinaus zu kommen.

Das Problem war wohl, dass alles auf einmal kam. Ich war den ganzen Tag zuhause, weil ich nichts machen durfte.

Und wenn man den ganzen Tag alleine ist und keine Aufgabe hat, hat man wirklich sehr viel Zeit zum nachdenken.

Und vor allem hatte ich sehr viele Dinge, über die ich nachdenken musste.

Ich kann euch ehrlich gesagt den genauen Zeitraum nicht sagen, denn ich habe es tatsächlich verdrängt. Doch nach dem Krankenhaus ist sie gekommen. Die Zeit, in der ich meine beste Freundin am allerdringendsten gebraucht habe.

Und sie nicht da war.

Na? Wer hat schon eine Idee was da wohl passiert ist?

Eigentlich ist es ganz einfach. Denn es erscheint mir das logischste von der Welt zu sein heute.

 

Impressum

Texte: Luisa Weich
Bildmaterialien: Luisa Weich
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2015

Alle Rechte vorbehalten

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