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Dunkelheit

Verzweifelt versuchte sie einen Ausweg zu finden. Sie spürte einen Luftzug von links. Hastig wandte sie sich um. Nach einem kurzen Blick ging sie weiter. Das Rascheln der Blätter auf dem Boden hinter ihr beschleunigte ihre Schritte. „Rache!“, ertönte irgendwo leise seine samtene, dunkle Stimme. Sie blieb stehen. „Na, gibst du schon auf, meine Liebe?“ Erneut lief sie los, angetrieben von Angst, beachtete nicht, wie schwer ihr Atem ging. Kümmerte sich nicht um den Schmerz in ihrer Seite. Ihr Herz schlug fest gegen ihre Brust. Er würde es hören. Sie lief schneller, wich den Bäumen aus und suchte einen Fluchtweg. Leises Lachen erklang hinter ihr, dann spürte sie einen weiteren Windstoß. Kein Flügelschlag eines Vogels oder der Schrei einer Eule war zu vernehmen. Sie spürte nur seine übernatürliche Präsenz. Sie stolperte, fiel hin. Erneut erklang das Gelächter, und Tränen der Verzweiflung rollten ihr über die Wangen, als sie sich aufrappelte. Hastig wischte sie den Dreck von ihren Händen, schaute sich dabei verängstigt um. Sie lauschte angestrengt, konnte ihn jedoch nicht mehr hören. Es war unmöglich, dass er weg war. Ihr Atem zeichnete kleine Wölkchen in die Luft vor ihr. Langsam machte sie einen Schritt nach vorne, ihre Sinne darauf konzentriert, Hinweise auf seine Anwesenheit zu entdecken. „Hast du etwa Angst?“ Erschrocken fuhr sie herum. In seiner vollen Pracht und zugleich seiner ganzen Grausamkeit stand er im Mondschein direkt vor ihr. Er lächelte. Ein siegessicheres Lächeln. Sie zog scharf die Luft ein und spürte den Schauder, der über ihren Rücken lief. Ein bösartiges Kichern erklang im Inneren seiner Brust, bis es in die Stille der Nacht hinaus brach. Dann wurde er wieder ernst. „Du weißt, was jetzt passiert!“ Verzweifelt schloss sie die Augen. Sie schloss sie vor dem Tod, der ihr bevor und zugleich gegenüber stand. Sie war bereit zu sterben. Doch nicht kampflos. Entschlossen öffnete sie ihre Augen wieder und blickte ihrem Gegenüber furchtlos entgegen. „Möchtest du etwa kämpfen, honey? Ich kenne diesen Gesichtsausdruck bei euch Menschen. Die wilde Kämpfernatur ist jetzt in deinem Inneren entfacht!“ Wieder dieses grausame, eiskalte Lachen. Er trat einen Schritt auf sie zu und automatisch wich sie vor ihm zurück, doch er war zu schnell für sie. Er packte ihren Arm, sie versuchte sich von ihm zu lösen, doch sein eiserner Griff verhinderte jegliche Möglichkeit zu entkommen. Mit aller Kraft lehnte sie sich gegen ihn, um ihren Arm zu befreien, doch schaffte sei es nicht, ihn auch nur einen Millimeter zu bewegen. Er war zu stark. Mit Leichtigkeit, als würde sie nur wenige Gramm wiegen, zog er sie an sich und blickte von oben auf sie herab. Ängstlich sah sie hoch in seine smaragdgrünen Augen, die durch den Blutdurst um die Iris herum einen türkis-blauen Ton annahmen. Trotz ihrer Angst kam sie nicht umher, seine Schönheit und seinen verführerischen Duft wahrzunehmen. Langsam hob er einen Finger und strich ihr entschlossen die Haare über die Schulter. Sein Blick ruhte auf einer ihrer Adern. Sie schluckte schwer, war sich der Macht seiner Worte schmerzlich bewusst. Er würde sie töten. Den letzten Tropfen Leben aus ihr heraussaugen. Erneut spürte sie, wie Tränen über ihr Gesicht rollten. Sie versuchte sich zusammen zu reißen, wollte nicht, dass er sah, wie sehr er ihr zusetzte. Er blickte sie schweigend an, fast schon Mitleid in seinem Blick. Doch sie wusste, dass dies eine Täuschung war. Er würde sie nicht verschonen. Dann sprach er: „Wo ist dein Mut? Wo ist deine Würde? Wolltest du mir nicht mit Stolz entgegentreten? Was ich jedoch sehe, ist Angst. Angst vor der Wahrheit und Angst vor der Zukunft. Nicht sehr würdevoll, meine kleine Claire!“ Sie würde sterben. Verzweiflung durchströmte sie und Erinnerungen an schöne Momente ihres Lebens tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Erinnerungen an ihre Familie, ihr Zuhause, ihre Freunde und zuletzt Erinnerungen an die Zeit mit ihm. Sie war glücklich gewesen, dass musste sie zugeben. Doch das war, bevor er sich verändert hatte. Entkräftet ließ sie sich ein wenig in seine Arme sinken. Arme, die ihr so vertraut und zugleich so fremd waren. Er hielt sie, wenn auch nur, um zu bekommen, was er wollte. Sie hatte das Unveränderliche akzeptiert, sodass der Tod ihr fast schon wie ein altbekannter Freund vorkam. Ein Freund, der sie freudig und mit offenen Armen empfangen würde. Er beugte sich vor, wobei ein kurzer Blick zur Seite ihr ein letztes Mal den atemberaubenden Anblick seiner Fänge offenbarte. Ein letztes Mal strich sein Atem ihre Haut, ein letztes Mals durchfuhr ein Kribbeln ihren Körper. Sie war bereit zu sterben. Wie erwartet explodierte ein stechender Schmerz an ihrem Hals, bis die Vertrautheit des Dunklen sie für immer umfing.

Impressum

Texte: Luisa Weich
Bildmaterialien: Luisa Weich
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2013

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