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1. Verwirrung

 

Isabell tat es schon wieder, bei Nacht und Nebel schlich sie sich ins Wasser. Okay, es gab keinen Nebel, aber ins Meer schlich sie sich trotzdem.

Sie zuckte kurz zurück, als das kalte Wasser gegen ihre Waden schwappte. Kichernd machte sie einige weitere Schritte. Das knielange, weiße Kleid begann langsam auf der Oberfläche des Wassers zu schwimmen.

Isabell kicherte wieder. Das kalte Wasser kitzelte an ihren Beinen. Ihre taillenlangen Haare schwammen mittlerweile ebenfalls auf der Oberfläche. Als sie bis zum Kinn im Wasser stand, schielte sie auf den silbernen Ring an ihrem Finger, welcher von einem Saphir geziert wurde.

„Verwandle dich“, hauchte Isabell.

Ihr Körper zog sich in die Länge, ihre Beine wuchsen zusammen, ihre Füße spreizten sich in einem ungesunden Winkel ab, wuchsen zusammen und zogen sich dann ebenfalls in die Länge. Isabells Oberkörper und das weiße Kleid blieben erhalten.

Staunend blickte Isabell an ihrem bronzefarbenen Delfinschwanz runter. Sie war eine der fünfzig Nereiden aus der griechischen Mythologie, halb Delfin und halb Mensch.

Andere Leute bezeichneten sie auch als Meerjungfrauen.

Es gab keine männlichen Nereiden, aber eine tote Nereide wurde entweder ersetzt oder sie wurde einfach wiedergeboren.

Isabell sah wieder auf den Ring an ihrer Hand. Sie trug ihn jetzt sechzehn Jahre. Ihre beste Freundin Lily hatte sie davor gewarnt sich zu oft zu verwandeln, denn Isabell sollte ihre Zeit als eines der vier Elemente endlich hinter sich lassen und als normaler Mensch leben.

 

Die Geschichte besagte, dass Poseidon einst zehn Ringe an die Menschen gegeben hatte um ihnen die Chance zu geben sich in eine Nereide zu verwandeln.

Sollten diese Ringe allerdings ohne Träger den Meeresboden berühren, würden sie an Poseidons Hand zurückkehren.

Die anderen neun Ringe waren bereits an die Hand des mächtigen Poseidons zurückgekehrt, nur den, den Isabell trug, hatten die Menschen noch.

Eine gute Freundin, Seline, hatte geschworen diesen Ring zu beschützen, was immer auch passieren würde. Dann hatte sie, um eines der vier Elementarorakel zu schützen, den Ring aber an Isabell weitergegeben und das Leben als Nereide gewählt. Dieser Zug befreite sie zwar nicht von ihrem Schicksal gegenüber dem Ring, aber ermöglichte es ihr, das Leben ihrer Wahl zu leben.

Der Ring war seit diesem Zeitpunkt ein ständiges Begleitstück von Isabell gewesen und hatte das zusammengelegte Orakel von Isabell, dem Element Luft, und Lily, dem Element Wasser, zusammengehalten.

 

Der Ring hilft mir nicht länger zu leben, ich werde erst recht nicht unsterblich, erhalte meine Elementarkräfte nicht zurück und ich komme auch nicht mit ihm nach Pangäa. Warum behalte ich ihn noch?, fragte Isabell sich zum wiederholten Male.

Zögernd fasste sie einen Entschluss. Sie wollte den Ring gerade von ihrem linken Ringfinger abstreifen und auf den Meeresboden fallen lassen, als sie die alte Macht ihrer Freundin Lily spürte.

Es war ein merkwürdiges Gefühl. Als hätten sie ein paar Finger ertastet. Kurz darauf kamen die Finger zurück. Sie legten sich um sie und verstrahlten Lilys alte Geborgenheit aus.

Isabell ließ sich einen Moment in der alten Geborgenheit ihrer besten Freundin fallen. Ein Gefühl, das sie in den letzten Jahren sehr vermisst hatte.

Urplötzlich verstärkte sich der Griff und zog Isabell mit sich. Anfangs kämpfte sie noch gegen den Strom an, aber sie gab es schnell auf. Sie war schon einmal so von Lily durch das Wasser gezogen worden und kannte den Erfolg des Ankämpfens gegen ihren Sog.

Wenigstens war diesmal Nacht. Letztes Mal war sie bei Tag von Lily durch Touristengebiete gezogen worden und wäre beinahe als Aquariumattraktion geendet. Bei der Erinnerung schüttelte Isabell sich, auch wenn sie das leise Lächeln an diese Zeit nicht unterdrücken konnte.

Damals war sie noch als das Element Luft aktiv gewesen.

Ein Hai hielt genau auf Isabell zu, Isabell wollte sich gerade wieder gegen die Fänge Lilys Sogs ankämpfen, als der Hai Lilys Macht spürte, abdrehte und vor Isabell floh.

Krass. Aber eigentlich müsste doch jetzt mal ihr Versteck auftauchen, dachte Isabell sich und hielt Ausschau nach Dingen, die sie mit Lily verband.

Bei Dingen, die sie mit Lily verband, handelte es sich zu achtzig Prozent um das Gefühl von Wasser in der Nähe – was im Ozean zugegebenermaßen sinnlos war – und zu zwanzig Prozent um extrem kitschige Objekte. In Pangäa hatte Lily beispielsweise eine Höhle, deren Namensschild so kitschig gewesen war, dass Isabell es nie wieder vergessen könnte.

Groß, kitschig und auffällig, das war aus unerklärlichen Gründen Lilys Einrichtungsstil – es war unerklärlich, weil man Lily diesen Geschmack auf den ersten Blick nicht zutrauen würde.

So sehr Isabell sich auch anstrengte, sie konnte nichts wahrnehmen, was zu Lily gehören könnte. Lediglich ein abgestorbenes Korallenriff.

Der Griff ließ sie augenblicklich los.

 

„Auch wenn wir die Welt gerettet haben, sie wieder zusammengewachsen ist, die Luft und das Wasser sauber sind, das Feuer und die Erde rein und nicht mehr verseucht sind, wird es noch lange dauern bis dieses Korallenriff wieder in voller Blüte stehen wird. Es dauert so viel länger Leben zu erzeugen, als es zu vernichten“, hörte Isabell eine bekannte Stimme hinter sich reden. „Es ist einer der letzten Orte, die abgestorben sind. Aber es ist meine Residenz auf dieser Erde“, jetzt war unverkennbar Wut in ihrer Stimme zu hören. Wut über die Tatsache, dass das Korallenriff zerstört war, nicht über die Tatsache, dass das zerstörte Korallenriff ihre Residenz war. Das wäre nicht Lilys Stil.

Isabell senkte den Kopf, das gehört sich einfach so, wenn man auf jemands Residenz steht, und wandte den Blick von Lily ab. Sie konnte es nicht ertragen, wie eindrucksvoll ihre alte Freundin aussah, als sie die Treppen herabkam und welche Macht sie dabei ausstrahlte.

„Lady Lily“, begrüßte Isabell sie. Sie klang dabei unterwürfig und gehorsam.

Lily kam in Menschengestalt die Stufen herab und hielt auf Isabell zu.

„Isabell, du kannst diesen unterwürfigen Schwachsinn sein lassen. Auch wenn wir uns sechzehn Jahre lang nicht gesehen haben, bin ich die Patentante von deiner Tochter, du bist meine beste Freundin und ich habe mindestens genauso viel Respekt vor dir, wie du an diesem Ort haben solltest. Aber du sollst keinen unterwürfigen Respekt vor mir haben“, wies Lily sie zurecht.

Auch wenn Lily normalerweise die Gestalt eines sechzehnjährigen Mädchens annahm, hatte sie heute die Gestalt einer dreißigjährigen jungen Frau gewählt. Ihre braunen Haare trug sie trotzdem in dem strengen französischen Zopf, ohne den sie nur die halbe Lily wäre und ihre Augen strahlten immer noch dieselbe Weisheit, dieselbe bedingungslose Treue und dieselbe Liebe aus.

„Warum siehst du nicht so wie immer aus?“, fragte Isabell vorsichtig.

„Ich dachte, dann falle es dir möglicherweise leichter mit mir zu reden.“ Lily musste nicht mehr sagen. Sie wusste genauso gut wie Isabell, dass diese noch nicht damit klarkam, dass sie ihre Unsterblichkeit und ihre ewige Jugend verloren hatte.

Ein einziges Flüstern genügte und Lily sah wieder aus wie immer. Sie lief auf dem Korallenplateau an Isabell vorbei, ließ sie stehen und setzte ihren Weg zum Ende des Plateaus fort.

Isabell folgte ihr vorsichtig. Es musste einen guten Grund für Lily gegeben haben, sie genau in diesem Moment zu zu beordern.

„Ich habe vor kurzem einen guten Bekannten von dir getroffen“, erzählte Lily beiläufig.

„Ach ja, wen denn?“, fragte Isabell interessiert. Sie konnte sich nicht an viele Bekannte erinnern, die Lily hätte getroffen haben können. In Pangäa hatte sie bewusst niemanden kennengelernt und auf der Erde war ihr niemand bekannt, den Lily meinen könnte. Es sei denn sie meinte Seline, die Nereide, die ihr den Ring geschenkt hatte.

Lily lachte leise. „Sagen wir, es war kein Mensch und kein Tier.“ Sie liebte es in Rätseln zu sprechen und Isabell zu verwirren – zumindest probierte sie das, auch wenn ihr das selten gelang.

Isabell ahnte schon wen sie meinen könnte. „Hatte er vielleicht eine Flosse und wollte dich im Wasser töten?“, fragte sie vorsichtig. Lily hatte vielleicht etwas übertrieben mit dem Ausdruck guter Bekannter.

Lily lachte laut auf und drehte sich um. Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Auch Isabell musste bei diesem Anblick lächeln, auch wenn sie nicht verstand, warum Lily lachte. Die Erinnerungen an dieses Wesen waren nicht unbedingt die besten in Isabells Leben.

„Du weißt wen ich meine, oder?“, fragte Lily. In ihrer Stimme schwang ein gewisser Klang von Triumpf in Erinnerung an eine alte Diskussion.

„Du meinst den Haimenschen. Ich hab die Doku nochmal angeguckt. Der Hai bleibt nur in Trance wenn man die Schnauze dauerhaft streichelt. Wann hast du mit ihm gemacht?“, fragte Isabell bedrückt.

Sie hatte bei ihrem ersten und letzten bewussten Abenteuer mit Lily einen Haimenschen getroffen. Getroffen war vielleicht das falsche Wort für die Bekanntschaft mit ihm.

Man hatte ihnen diesen Haimenschen aufgehalst, weil er sie hätte töten sollen, aber Isabell hatte probiert ihm das Leben zu retten. Im Moment befürchtete sie allerdings, dass Lily ihm dieses Geschenk genommen hatte.

Lily ließ sich auf einem schemenhaft erkennbaren Sofa aus Korallen nieder. Mit einer Hand bedeutete sie Isabell sich hinzusetzten. Vorsichtig drehte sich Isabell um, sie konnte kein Möbelstück hinter sich erahnen. Auf Lilys ermahnenden Blick hin, setzte sie sich trotzdem. Das Korallensofa war überraschend bequem.

„Die Möbel existieren wirklich. Nur weil du sie nicht sehen kannst, heißt das nicht, dass sie nicht existieren“, kritisierte Lily ihre Vorsicht. „Ich möchte eben nicht, dass jeder Taucher zufälligerweise mein Wohnzimmer in dieser Welt findet, ist das so unverständlich?“

Isabell schüttelte grinsend den Kopf, aber in ihrem Inneren gingen gerade andere Dinge vor sich.

Sie hat mich bestimmt nicht geholt um mit mir über alte Freundschaften zu reden oder sich über ihre Inneneinrichtung zu unterhalten. Es wird Zeit, dass wir unsere kleine Freundin mal ein bisschen aus ihrer Fassade zu locken.

„Ich denke nicht, dass deine wirklich faszinierende Inneneinrichtung der Grund dafür war mich zu holen. Falls das deine Absicht gewesen sein sollte, würde ich dich bitten, das nächste Mal einfach zu einer human Zeit für unsterbliche Leute an meiner Tür zu klingeln. Am besten wäre es natürlich, wenn du dich davor anmelden würdest, dann könnte ich Gebäck für den Kaffee besorgen. Ansonsten würde ich dich bitten mich jetzt zu entschuldigen, denn ich habe nicht die Zeit mich unendlich lange mit dir unter Wasser zu unterhalten. Ich habe nämlich einen Mann in meinem Bett liegen, zu dem ich gerne zurückkehren würde.“

Isabell machte Anstalten sich zu erheben. Es fiel ihr schwer ein Lächeln zu unterdrücken, so förmlich hatte sie nicht beabsichtigt zu klingen.

Lily sprang erbost auf. So hatte sie noch nie jemand in ihrem Haus zurecht gewiesen.

„Es reicht“, ihre Stimme hallte wie ein Donner über das Plateau, „du liegst richtig. Ich habe dich nicht geholt um mit dir ein nettes Gespräch zu führen. Warum gehst du eigentlich immer noch ins Wasser, wenn wir gerade dabei sind? Ich habe dir doch, gesagt, dass es nicht gut für dich ist. Musst du eigentlich immer alles machen, was dir nicht gut tut?“ Lily klang unglaublich wütend.

Isabell sah ihre Freundin geschockt an. Darum geht es also. „Wenn es darum geht: ich vermisse Pangäa, ich vermisse das Übernatürliche und ich würde gerne zurückkommen, aber das geht nicht“, antwortete Isabell, „aber dann musst du trotzdem keinen solchen Aufstand machen und mich mitten in der Nacht durch den halben Ozan ziehen, nur um mir eine Verhaltenspredigt im Umgang mit dem Unnatürlichen zu geben!“

„Leider geht es um etwas deutlich Schlimmeres. Es tut mir zwar Leid für dich, aber es scheint kein Weg daran vorbeizuführen, dass du mit deiner Familie wieder nach Pangäa musst. Es tut mir Leid, dass ich dich angefahren habe. Dich trifft keine Schuld daran“, entschuldigte Lily sich reumütig. Es tat ihr wirklich leid, sie hatte keine Ahnung gehabt, wie sehr Isabell ihr altes Leben vermisst hatte.

Ich würde gerne zurückkommen, aber das geht nicht. Isabells Gedanken überschlugen sich. Lily hatte ihr gerade eröffnet, dass ihr größter Herzenswunsch erfüllt werden müsste. Sie sollte mit ihrer Familie nach Pangäa zurückkehren.

Eigentlich müsste ich mich jetzt gut fühlen, überlegte Isabell, aber ich kann mich nicht gut fühlen. Es waren nicht mehr nur Jack und sie, um die sich ihr Leben drehte. Es gab auch noch ihre Tochter, das Wichtigste, das Isabell jemals besessen hatte und sie ging über ihren Wunsch nach Pangäa zurückzukehren.

„Das geht nicht, ich kann nicht nach Pangäa, ich habe Lara, sie braucht jetzt meine volle Aufmerksamkeit. Ich spiele keine Rolle mehr bei dieser Entscheidung“, antwortete sie Lily leise. Sie konnte es nicht fassen, sie wies ihren Herzenswunsch von sich.

„Isabell, wir brauchen dich. Es geht um etwas wirklich Wichtiges. Denk an Pangäa“, flehte Lily. Sie konnte es ebenfalls nicht fassen, sie hätte nie gedacht, dass Isabell diesen Wunsch zurückschlagen würde.

Sie ließ eine Fülle von Erinnerungen in Isabells Kopf fließen. Lachen eines Kindes, den Salzgeschmack der Luft, der Duft der Blumen im Sommer, Jacks Arme um sie geschlungen, die Kühle der Steine in ihrem Haus, die Landschaft in Pangäa, das Meer…

Isabell schüttelte sich frei von den Erinnerungen und ließ nicht zu, dass sie noch einmal kamen. Sie wollte nicht an die Zeit in Pangäa erinnert werden. Sie wollte keine schönen Erinnerungen an diesen Ort zulassen. Sie wollte nicht, dass irgendetwas ihren Entschluss ins Wanken bringen könnte und sie davon abhalten könnte ihr Tochter als oberstes Kriterium in ihrem Leben zu sehen.

„Worum geht es?“, fragte sie zögerlich. Vielleicht war es wichtig und könnte ihre Familie gefährden. Sie wollte Lily allerdings auch keine Hoffnungen machen und fügte gleich hinzu: „Aber ich werde nicht gehen, solange es hier sicher ist.“

„Aber es ist hier nicht sicher, Isabell. Darum geht es doch“, erläuterte Lily flehend. Was musste sie noch tun um ihre Freundin endlich davon zu überzeugen, dass sie ihr folgen sollte?

„Warum?“, fragte Isabell trotzig.

Lily biss sich auf die Lippe. Warum musste Isabell immer alles genau wissen wollen? Warum konnte sie sich nie mit knappen Informationen zufrieden geben?

„Kann ich auf dieser Welt nicht aussprechen“, presste sie hervor.

Jetzt wusste auch Isabell, dass es wichtig war. Zu wichtig als das das Risiko eingegangen werden könnte, dass irgendein Fremder davon erfuhr.. „Dann zeig es mir, Lily.“

Es wurde schwarz um sie als Lily ihre Hände wie aufgefordert um Isabells Kopf legte und ihr eine Fülle von Bildern in den Kopf lud.

 

Isabell konnte alles gestochen scharf aus Lilys Perspektive sehen. Hanna und Esmeralda standen um einen Tisch herum. Wo Lily war, konnte Isabell diesen Bildern noch nicht entnehmen.

Als Lily wieder gerade aussah, blickte sie in Jacks Gesicht. Um sie herum waren tanzende Paare. Auch Jack und Lily tanzten. Es war kein schneller Tanz, er war eher eng und umschlungen und Isabell konnte durch Lily  Jacks starke Arme stützend um sich fühlen.

„Erzähl das aber nie Isabell“, flüsterte Lily Jack ins Ohr, „sie würde dies nicht als rein freundschaftlichen Tanz sehen.“

„Aber genau das ist es“, lachte Jack, „manchmal ist sie so unerklärlich eifersüchtig.“ Er klang nachdenklich, als er an seine Frau und ihre Eifersucht dachte. Bei dem Gedanken an ihre Reaktion auf diesen Tanz, schüttelte er sich. „ Gehen wir zurück zu Hanna und Esmeralda“, schlug er vor. Er wollte Isabells Wut lieber nicht provozieren.

Lily löste sich aus Jacks Armen und schlug den Weg zu Hanna und Esmeralda ein. Sie war sich sicher, dass Jack ihr folgen würde.

Die nächsten Stunden konnte Isabell nicht wirklich verstehen. Es wurde viel gelacht und ab und zu wurde auch mal ein Glas Sekt getrunken. Dann zupfte Hanna an Jacks Anzugärmel.

 Verdammt, dachte sich Isabell, er trägt tatsächlich einen Anzug!!! Für mich würde er nie einen Anzug tragen.

„Guck mal“, flüsterte sie ihm ins Ohr und zeigte auf eine junge Dame, „unser Fisch hat den Köder geschluckt.“ Hanna kicherte bei den Worten.

Esmeralda lachte auf und verstrubelte Jacks Haare. „Jetzt wird der sexy Jack und nicht der brave Jack gebraucht“, erklärte sie. Man merkte ihr an, dass sie mindestens ein Glas Sekt zu viel getrunken hatte. Jack kommentierte das, indem er ihre Hand aus seinen Haaren nahm und Esmeralda ermahnend anlächelte.

„Ich kann das schon alleine, Esmeralda“, erkläre er ruhig.

Die junge Frau kam ziemlich unschlüssig auf Jack zu. Sie trug ein purpurfarbenes Kleid, das ihre ebenfalls purpurfarbenen Augen perfekt zur Geltung brachte. Ihr Gesicht war nicht unattraktiv, aber es besaß bis auf die purpurnen Augen keine großen Besonderheiten. Ihre dunkelbraunen Haare hingen lockig bis zu den Schultern und umspielten diese sanft.

Sie angelte sich zwei Sektgläser von einem Tablett und lief weiter auf Jack zu. Dieser löste sich jetzt von seine weiblichen Begleiterinnen und lief auf die fremde Frau zu.

Ein schnelleres Stück, Voulez Vous von Abba, wurde angespielt. Die fremde Frau hielt Jack ein Glas hin und fragte in perfektem Französisch: „Voulez vous, Monsieur?“

Lily nahm diese Worte nur noch undeutlich wahr, da die Musik sehr laut war und Jack und die Frau ein bisschen entfernt standen.

Jack nahm ihr die Sektgläser aus der Hand, stellte sie auf einen Tisch, führte sie auf die Tanzfläche und flüsterte ihr ins Ohr: „Jack.“

Danach verflogen die Stunden in Lilys Erinnerung nur so bis Jack zurückkam. Diesmal hatte er keine weibliche Begleitung und lehnte sich zu Lily hinüber. Diese konnte seine Alkoholfahne dadurch nur zu deutlich wahrnehmen. „Die hat dich aber ganz schön abgefüllt“, kommentierte sie.

„Anders erträgt man ihr Gelaber ja nicht“, antwortete Jack und blies Lily ungewollt in die Nase, „ich glaube ich kenne jetzt die komplette Lebensgeschichte dieser Frau und ich kann dir sagen: sie hat noch nie jemand annähernd so attraktiven wie mich gesehen. Sie war komplett aus dem Häuschen und hat die ganze Zeit nur davon geschwärt wie toll ich wäre.

Lily wedelte sich ungehalten vor der Nase und ignorierte Jacks unverständliches Lallen weitgehend. Sie hielt lediglich seine Hand fest, als er ihr fast ins Gesicht schlug. „So kannst du nicht nach Hause gehen. Isabell wird dich umbringen. Hast du noch was rausgefunden?“

„Isabell wird mich umbringen, weil ich hier war“, kommentierte Jack nachdenklich und blies sich in die Hand um zu testen wie stark er wirklich nach Alkohol roch.

„Hast du jetzt etwas herausgefunden?“, fragte Lily ungeduldig. Sie hasste es, wenn Jack trank. „Abgesehen von ihrer Lebensgeschichte?“

„Unsere Vermutung hat sich bestätigt, sie ist ein Doppelgesicht. Und sie heißt Charlotte. Sagt sie zumindest. Und angeblich leitet sie einen Laden der dafür sorgen soll, dass die Umgebung sauber bleibt, was allerdings auf Pangäa recht sinnlos ist und mehr als ein dummes, unkreatives Hobby klingt und mich dazu verleitet hat, das erste Glas Schnaps zu trinken“, erzählte Jack.

„Da hast du recht, was das mit dem sinnlosen Hobby zur Erhaltung der Umwelt betrifft, aber was ist jetzt mit dieser Charlotte? Hast du nicht noch mehr rausgefunden?“, fragte Lily drängend.

„Körbchen Größe 75B, fünf Exfreunde, interessiert sich für ältere Männer,…“, erzählte Jack mit merkbaren Desinteresse.

„Ich meinte etwas Relevantes!“, keifte Lily. Sie wollte nicht noch die Konfektionsgröße dieser merkwürdigen Frau erfahren und es gefiel ihr nicht, dass Jack sich so etwas merkte.

„Nö, damit ging sie seltsamerweise etwas vorsichtiger um.“ Seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er ernsthaft überrascht darüber war.

„Na die hat Prioritäten…“

Dann löste sich das Bild auf und es wurde schwarz.

 

„Bist du jetzt sauer auf ihn?“, fragte Lily besorgt. Sie hatte Jack schließlich versprochen Isabell nichts davon zu erzählen. Sie hatte es ihr zwar genau genommen nicht erzählt, aber zeigen machte die Situation nicht besser.

Isabell wirbelte fuchsteufelswild herum. „Nein, ich bin gar nicht wütend auf ihn“, fuhr sie Lily wütend an, „welchen Grund hätte ich auch? Ich bin auf euch beide wütend! Du tanzt auf diese Art und Weise mit ihm, obwohl du weißt, dass er verheiratet ist, er ist nach Pangäa gegangen ohne mich zu fragen, ob ich mitmöchte – er hätte zumindest dabei an mich denken können –, er hat mich mit dieser Charlotte“ – sie spie den Namen wie etwas Giftiges aus – „betrogen und du hast ihn nicht mal davon abgehalten, sondern ihn noch dazu angestachelt. Er hat sich betrunken und es hat dich nicht interessiert, er hat mit ihr getanzt und mich nicht einmal in sechzehn Jahren Ehe einfach so zum Tanzen aufgefordert. Er hat mit ihr intimer geredet, als er mit mir in sechzehn Jahren Ehe geredet hat und dabei habe ich nur ein einziges Wort von ihm gehört, nämlich seinen Namen! Ich bin jetzt fertig, wenn du etwas sagen möchtest!“

Isabell waren Tränen vor Wut in die Augen getreten, als sie diese Punkte alle aufgezählt hatte.

„Er hat dich nicht mit Charlotte betrogen. Ich habe ihn gebeten mit ihr zu tanzen, da hast du recht, aber er wollte das beim besten Willen nicht – bis wir ihn nach Pangäa gelockt hatten, brauchte es annähernd zwei Jahre. Er hat nicht gerne mit ihr getanzt und er hat in all der Zeit nur an dich und Lara gedacht, glaube mir, bitte“, flehte Lily sie an. Es tat ihr weh, ihre beste Freundin wegen etwas weinen zu sehen, was sie verursacht hatte und gegen das sie nicht mal etwas unternehmen konnte.

„Warum sollte ich dir glauben?“, fragte Isabell wütend. Sie sah keinen Grund mehr mit Lily zu reden und wäre am liebsten umgedreht.

„Er hätte sonst nicht so schlecht getanzt“, erklärte Lily hoffnungslos. Er hätte sonst nicht so schlecht getanzt, war nicht mal ansatzweise eine Erklärung, aber sie schien zu funktionieren. Isabells Blick wurde wieder weich und Sehnsucht lag in ihrem Blick.

„Jack hat schlecht getanzt?“, fragte sie ungläubig. „Ich wusste nicht einmal, dass er in der Lage ist schlecht zu tanzen, selbst wenn er sich Mühe geben würde. Kannst du mich nach Hause bringen? Zu Jack?“, fragte sie sehnsüchtig. Sie sah ein, dass ihr Mann sie nicht betrogen hatte und das niemals seine Absicht gewesen wäre.

Lily legte ihr wieder ihre Hand auf den Kopf und erneut wurden ihre Gedanken von Schwärze verhüllt.

2. Böse Überraschungen

 

Sie konnte Jacks muskulösen Körper neben sich erkennen. Er schlief noch tief und fest.

Heute ist Laras Geburtstag, ich muss noch Frühstück machen.

Sie wollte gerade aufstehen als Jack im Schlaf einen Arm um sie schlang.

Sie schob seinen Arm sanft zur Seite und stand müde auf, denn die letzte Nacht hatte sie erschöpft. Als sie nach draußen sah, schien die Sonne schon hell und klar vom Himmel.

Wie kann Jack zu dieser Uhrzeit noch schlafen?, fragte sich Isabell und lächelte.

Bei Lara war das etwas anderes, die war noch ein Teenager. Und die konnten ja bekanntlich ewig schlafen. Sie legte die Eier ins heiße Wasser und beschloss Jack zu wecken. Leise schlich sie die Treppe des Appartements hoch um Lara nicht zu wecken. Als sie im Schlafzimmer angekommen war, fiel ihr Blick zuerst auf das leere Bett.

Wo ist Jack?

„Hey Süße. Was machst du schon hier?“, fragte Jack in diesem Moment.

Isabell fühlte sich ertappt und drehte sich ruckartig um. Ihr Mann trug nur ein paar Jeans und die frisch gewaschenen Haare fielen ihm in die Stirn.

„Wie schaffst du es immer so kurz zu duschen?“, fragte Isabell ihn. Sie bewunderte ihn wirklich dafür. Gleichzeitig war sie aber auch damit beschäftigt ihm nicht zu sehr auf sein Sixpack zu starren, dass sie selbst nach dreizehn Jahren Ehe und über 2000 Jahren Beziehung beeindruckte.

Fairerweise musste man aber sagen, dass sie von diesen 2000 Jahren gerade einmal dreiunddreißig wirklich bewusst miterlebt hatte.

„Ich bin ein Mann, alles andere wäre unmännlich“, antwortete Jack grinsend und umarmte sie.

Glücklich atmete sie seinen frischen Geruch ein und fragte sich unwillkürlich wie lange er diese starken Muskeln noch besitzen würde, wann seine Haare grauer werden würden und natürlich ob es in Pangäa auch passieren würde.

„Denk nicht an sowas“, wies Jack sie an, „auch wenn du daran denkst, wird es nicht besser.“

Er blickte sie mit seinen durchdringenden Augen an, dann küsste er sie. Er lächelte, dann fragte er: „Du riechst nach Schinken. Hast du schon Frühstück gemacht?“

„Ach du scheiße, die Eier!“, murmelte Isabell. Schnell rannte sie die Treppe runter.

„Also mit meinen ist noch alles in Ordnung“, rief Jack ihr hinterher, dann trampelte er die Treppe lautstark hinunter

„Musst du immer so einen Krach machen, wenn du die Treppe runterläufst? Sie schläft noch“, motzte Isabell ihn an.

„Ich bin ein Mann, alles andere…“

„… wäre unmännlich, ich weiß“, fiel Isabell ihm ins Wort.

Jack stand beleidigt hinter ihr und zog ein Schmollgesicht.

Isabell begann zu lachen, auch Jack musste grinsen und fiel in ihr Lachen ein. Er drängte sie gegen die Küchenplatte und küsste sie leidenschaftlich.

„Müsst ihr das immer dann machen, wenn ich auch dabei bin? Was ist so schwer daran einfach ein bisschen später aufzustehen und das noch im Zimmer zu machen?“, beschwerte sich Lara. „Mama, die Eier kochen über.“

Laras goldblonde Haare fielen ihr über die Schulter und sie zog ein Schmollgesicht.

Isabell drehte das Eierwasser runter und goss es aus.

„Mama lass mal“, sagte Lara und zog ihre Mutter von den Eiern weg, „ich mach das. Du verbrennst dir noch die Hände. Geh mit Papa raus und vergnügt euch, dann muss ich wenigstens nicht zusehen.“

Damit schob sie Isabell und Jack ohne Widerspruch zu dulden aus der Tür und machte das Essen selber fertig.

Allerdings nicht auf ganz normale Weise.

Zögernd hob sie die Hand und zeigte auf eines der hartgekochten Eier. Als sie sich komplett auf das Ei konzentrierte und ihre Hand hob, schwebte das Ei aus dem Topf heraus.

Vor Überraschung hätte sie es fast zurück in den Topf fallen lassen. Stattdessen ließ sie es zu dem Frühstückstablett schweben.

Einen kurzen Moment lang lenkte eine Fliege Laras Aufmerksamkeit auf sich. Das Ei flog mit voller Wucht auf einen Porzellanteller und zerschmetterte ihn.

„Naja, auch egal. Mama wird sich schon nicht so groß darüber aufregen, wenn ich ihr zeige, was ich kann“, sagte Lara zu sich selber und begann die Scherben aufzuwischen.

Nachdem das ganze Frühstück auf dem Tablett war, ließ Lara es herausfliegen.

 

„Mama, guck mal was ich kann!“, rief sie als sie mit dem fliegenden Frühstückstablett um die Ecke rannte.

„Toll, du kannst…“, Isabell versagte die Stimme als sie das Frühstückstablett in der Luft sah. „Bitte sag jetzt nicht, dass es dein Ernst ist.“

Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern. Totenblass sank sie in den Stuhl zurück. Ihr Blick war immer noch kampfhaft auf das schwebende Frühstückstablett gerichtet.

Jack stand auf und sagte zu Lara: „Geh bitte rein und zieh dich an.“

„Warum?“, fragte Lara trotzig.

„Mach einfach einmal, was ich dir sage!“, brüllte Jack fast schon.

Lara setzte ihr Trotzgesicht auf, aber es half ihr nicht, Jacks Blick bot keinen Widerspruch.

„Hey, Izzy. Ist alles in Ordnung?“, fragte er die zusammengesunkene Isabell, nachdem seine Tochter den Balkon verlassen hatte.

Sie schüttelte nur stumm den Kopf.

„Das hätte niemals passieren dürfen. Niemals“, sagte sie schließlich und schloss die Augen.

„Einer muss Lily anrufen“, gab Jack langsam von sich und suchte sein Handy.

„Jack, guck mich an“, bat sie ihn dringlich.

Besorgt musterte er ihr Gesicht und beugte sich runter um sie zu küssen. Isabell ließ in den Kuss ihre Erkenntnisse vom gestrigen Abend einfließen. Sie wusste, dass Jack sie sehen konnte. Keuchend ließ er von ihr ab.

„Hol du Lily“, sagte er zu Isabell, „ich hole Lara.“

Isabell konzentrierte sich in Gedanken auf alles was sie von Lily wusste. Dann rief sie ihren Namen gedanklich so laut sie konnte. Sie konnte spüren, wie jedes Grashälmchen, jede Blume, jedes Sandkörnchen und jedes Haus unter diesem Ruf erzitterte und ihn schnellst möglich weiterleitete.

An die Stellvertreterin des Herren des Meeres.

Was ist los?, konnte sie Lilys besorgte Stimme in ihrem Kopf hören.

Komm zu mir, bitte.

Auch ohne Antwort wusste Isabell, dass Lily alles stehen und liegen lassen würde nach so einem Ruf. Tatsächlich materialisierte sich ihre beste Freundin eine halbe Minute später aus einem Wassertropfen.

„Was ist denn passiert?“, fragte sie Isabell und ging neben ihr in die Hocke.

„Lara“, Isabell holte tief Luft um das Zittern ihrer Knochen unter Kontrolle zu bekommen, „Lara, sie kann Dinge durch die Luft fliegen lassen.“

„Isabell, bitte. Jeder Teenager kann Dinge in die Luft jagen“, witzelte Lily, „nur weil du ihre Mutter bist ist das kein Grund zur Beunruhigung.“

„Hör auf“, kreischte Isabell, „hör auf so zu spielen!“ Zitternd holte sie Luft, dann fuhr sie etwas ruhiger fort: „Sie hat das Frühstückstablett durch die Luft fliegen lassen. Ohne Bombe und ohne Helium. Einfach so.“

Isabell zitterte und verdeutlichte ihre Worte mit ein paar Handbewegungen. Lily sog tief Luft ein.

„Weißt du noch was ich dir gestern gesagt habe?“, fragte sie drängend.

„Ein Doppelgesicht.“

„Nein, ich meinte, ihr sollt nach Pangäa kommen. Das habe ich doch gestern gesagt, oder?“

„Ich glaube schon, dass du das gesagt hast. Ja hast du.“

„Eben, und Lara ist der Grund dafür das ihr kommen sollt“, fuhr Lily drängend vor.

„Lara ist doch nicht das Doppelgesicht, oder?“, fragte Isabell und fuhr herum.

„Bäh, das wäre ekelig“, antwortete Lily mit verzogenem Gesicht.

„Warum wäre das ekelig?“

„Weil die was von Jack will“, erläuterte Lily.

„Aber warum ist Lara dann der Grund dafür, dass wir nach Pangäa sollen?“, frage Isabell nun endgültig verwirrt.

„Wenn hier irgendeiner von Laras Fähigkeiten erfährt, ist sie in Gefahr.“

„Warum? Es können doch keine Hexen mehr nach Pangäa und auf die Erde, oder?“

„Ja, es können keine Hexen mehr kommen. Aber wer garantiert dir bitte, dass unser Doppelgesicht keine bösen Absichten hat und sich nicht vielleicht an deine Tochter ranmachen will um sie für ihre, möglicherweise bösen, Absichten einzusetzen?“, fragte Lily. Sie packte Isabells Hand.

„Keiner kann mir das garantieren“, antwortete Isabell langsam. „Bist du sicher das das Doppelgesicht böse ist?“

„Wenn sie gut wäre, hätte sie keinen Grund ihre Absichten vor uns zu verbergen, oder?“

„Du hast Recht. Du hast immer Recht. Das nervt irgendwie“, lächelte Isabell schwach.

Ein Lächeln schlich sich auf Lilys Lippen. „Ich weiß, dass ich immer Recht habe. Ich bin schließlich auch einige tausend Jahre älter als du.“

„Hahaha. Du weißt, wie ich es gemeint habe. Aber was machen wir jetzt?“, fragte Isabell.

Trotz Lilys unqualifizierter Antwort verschwand das Lächeln nicht von ihren Lippen. „Ich denke, dass du deine Mutter…“

„Adoptivmutter“, antwortete Isabell sehr trocken.

„Dann eben Adoptivmutter, ich wusste gar nicht, dass du das so ernst nimmst…“

„Nehme ich.“

„Du solltest deine Adoptivmutter…“, Lily betonte dieses Wort unnötig.

„Danke.“

„Lass mich endlich ausreden! Du solltest Nadine anrufen. Dann sammelst du Hanna und Esmeralda ein…“, wollte Lily fortfahren.

„Wie soll ich sie einsammeln?“, fragte Isabell mit nervtötender langweiliger genervter Stimme.

„Indem du sie rufst?“, die Gereiztheit in Lilys Stimme war unüberhörbar, „ich werde in dieser Zeit mit Jack und Lara ins Wasser gehen. Dann werde ich sie unter meinen Schutz stellen und dann werden wir zu den hohen Neun gehen und sie fragen was das soll.“

„Gute Idee. Aber probiere mal Lara ins Wasser zu gehen. Das hat sie noch nie gemacht“, warf Isabell ein.

„ISABELL!!!“

„Ich sag’s ja nur, dann machst du dir nicht zu viele Hoffnungen“, rechtfertigte sie sich.

Lily stand genervt auf und ging auf das Haus zu. Von Innen hörte man gedämpfte Schreie. Jack und Lara stritten vermutlich.

Hanna, Esmeralda, egal wie sehr sich Isabell auch anstrengte, sie bekam keine der beiden in ihre Erinnerung.

Zwischen ihr und Lily hatte eben schon immer ein legendäres, einzigartiges Band bestanden. Frustriert suchte sie nach ihrem Handy

 

„Hey, Izzy. Was ist los? Ich habe fast gedacht, ich hätte dich eben gehört“, meldete sich Hanna.

Ich dachte immer sie wäre die vernünftigste von uns.

„Ja, das war auch ich“, erwiderte Isabell genervt.

„Oh, cool. Ich hätte nicht gedacht, dass du das noch kannst. Was gibt es denn?“, fragte Hanna interessiert.

„Also Lara…“

„Wer ist Lara? Ach so, deine Tochter. Tut mir leid.“ Ein gedämpftes Kichern kam durch den Hörer.

„Ja, meine Tochter. Sie hat heute Morgen ein Frühstückstablett durch die Luft fliegen lassen.“

„Das ist normal in dem Alter. Ich habe zwar selber keine Kinder, aber eine menschliche Freundin von mir hat Kinder, die lassen auch ständig alles durch die Luft fliegen, das hört…“

„Nein, das hört bei ihr nicht von alleine auf…“

„Ach komm, in ein vielleicht auch zwei Jahren wirst du die Zeit vermissen. Dann wenn sie brav ist“, lachte Hanna ins Handy.

„Hör mir endlich zu“, Isabell schrie fast schon, „sie hat das Tablett so wie ich früher durch die Luft fliegen lassen, ok? Sie ist, wie ich es war.“

„Natürlich warst du auch mal so…“, probierte Hanna sie zu beschwichtigen.

„HÖR ZU!“, brüllte Isabell in den Hörer. „Meine Tochter baut keine Bomben oder spielt mit Helium. Sie beherrscht ganz einfach die Luft. Verstanden?“

„Ist ja gut. Wo bist du?“, fragte Hanna auf einmal sehr ernst.

„Mallorca.“

„Es gibt kein Mallorca mehr“, witzelte Hanna.

„Verdammt nochmal. Du weißt was ich meine!“

„Ich komme. Soll ich Esmeralda mitbringen?“, fragte Hanna entschuldigend.

„Bitte.“

Na endlich hat die auch kapiert, dass ich sie brauche. Jetzt brauch ich noch Nadine. Seufzend wählte sie die

Nummer des hohen Rates.

Der hohe Rat war eine Vereinigung aus neun Leuten. Er war eine Kontrolle über die Macht der vier Elemente.

Die hohen Acht waren in Zweiergruppen getrennt. Eine Gruppe war jeweils für ein Element verantwortlich.

Der Oberste war das Oberhaupt des hohen Rats. Er wurde nur zu besonders wichtigen Veranstaltungen gerufen und er war keinem Element zugeordnet.

 

„Hey, Mama“, begrüßte Isabell ihre Adoptivmutter als diese ans Telefon ging.

„Hey, Izzy. Du hast dich ein bisschen lange nicht gemeldet um mich Mama zu nennen, oder?“, ging ihre Mutter ran.

Genaugenommen hatte sich Isabell seit Laras Geburt immer weniger gemeldet. Das letzte Mal vor zwölf Jahren.

„Ja, ich weiß. Aber ich brauche deine Hilfe“, fuhr Isabell fort.

„Ach ja, brauchst du meine Hilfe oder die des hohen Rates?“

„Ich denke in diesem Fall eher die des hohen Rates.“

„Ich leite dich am besten gleich weiter an den Obersten.“ Nadines Stimme klang steif durch den Hörer.

„Nein. Ich denke du wirst mein Problem besser verstehen als er“, stammelte Isabell.

„Hat Jack dich verlassen?“, fragte Nadine mit mütterlicher Sorge.

„Sehr lustig“, keifte Isabell durch den Hörer, „Lara ist das Element Luft.“

„Okay, ihr kommt vermutlich sofort, oder?“, fragte Nadine ernst.

„Ja. Danke.“

„Tschüss.“

„Ach Mama, ich liebe dich“, wollte Isabell das Gespräch beenden, aber Nadine hatte schon aufgelegt.

„Wo ist denn die Kleine?“, fragte Hanna hinter Isabell, welche erschrocken herumfuhr.

Wie auch Lily konnte sich Hanna aus ihrem Element, der Erde, materialisieren und damit wunderbar gut Leute erschrecken, indem sie sich beispielsweise wie dieses Mal direkt aus der Erde hinter dem Haus materialisierte.

„Die Kleine sollte schon am Strand sein. Soll ich mal das Feuerzeug anmachen?“, fragte Isabell und hielt das Feuerzeug schon in der Hand.

Ehe die Flamme überhaupt angehen konnte, explodierte das Feuerzeug und Esmeralda fiel aus der Luft.

Sie hatte rote Haare und stechend grüne Augen. Außerdem war sie das Element Feuer.

„Ich glaube, so klein ist deine Kleine gar nicht mehr, oder Isabell?“, kommentierte sie.

Isabell schüttelte den Kopf.

Lara war fast so groß wie Jack geworden, hatte eine sehr weibliche aber schlanke Figur und lange goldene Haare.

Außerdem hatte sie die goldbraune Hautfarbe und die sanften braunen Augen von Jack geerbt.

Im Grund genommen war es Isabell scheiß egal, wie ihre Tochter aussah und wem sie ähnlich sah, sie liebte ihre Tochter von ganzem Herzen.

 

Schweigend brach die kleine Gruppe von ihrem Ferienhaus zum Strand auf.

Keine der drei Frauen musste Ausschau nach Isabell, Jack und Lily halten, denn sie waren laut und deutlich zu vernehmen.  

„Es kommt nicht in Frage. Ich kann mit meinen Schuhen nicht ins Wasser gehen. Außerdem ist Wasser nass und es ist salzig und da sind Fische drin. Nein danke!“, hörte man Lara kreischen.

Oh Gott, bitte nicht, dachte sich Isabell nur.

Ihre Tochter stand mit ihren schwarzen Sandaletten, schwarzen Hotpants und bauchfreien Top am Strand und blickte angewidert auf das Wasser.

„Lara, bitte…“, setzte Jack in fast schon flehenden Tonfall an.

„Ih, ih, ih. Da ist eine Alge im Wasser, bäh“, kreischte Lara und deutete auf ein kleines Stückchen Seetang. „Ihr wollt mich umbringen, bäh.“

Jack warf Isabell einen dezent genervten Blick zu.

„Lara, bitte geh jetzt ins Wasser. Lily hat dich doch geschützt. Du wirst nicht einmal nass werden“, erklärte er geduldig.

„Und für was hält die sich? Vielleicht für das Wasser selber?“, schnaubte Lara sarkastisch.

Der Blick den sie Lily zuwarf war ein Sag-was-immer-du-sagen-willst-ich-glaube-dir-nicht-Blick. Lily seufzte und ging ins Wasser.

Das blaue Kleid verwandelte sich fast augenblicklich in Wasser und Lilys Konturen wurden durchsichtiger, bis sie sich schlussendlich auflöste.  

„Stimmt, du hast Recht. Ich bin das Wasser selber. Und du hast vorhin eine wunderbare Erkenntnis gemacht. Wasser ist nass“, antwortete sie in spöttelndem Tonfall und zog auch Jack ein Stück ins Wasser. Er blieb ebenfalls komplett trocken.

Entsetzten, Angst und Hass wechselten sich auf Laras Gesicht. Ehe Jack etwas sagen konnte, war Lara ein Stück zurückgewichen.

„Lara, bitte…“, setzte Jack erneut an und griff nach ihrem Arm.

„Fass mich nicht an! Ich hab gesagt du sollst mich nicht anfassen. Sie ist eine Hexe!“, schrie Lara und stieß ihren Vater von sich.

Dann drehte sie sich um und rannte so gut es eben in Sandaletten geht weg.

Jack setzte ihr gar nicht erst nach. Bereits nach drei Schritten geriet Lara ins Straucheln und fiel nieder. Tränen liefen über ihr Gesicht, doch sie lief weiter.

„Lara“, jetzt rief Isabell ihr hinterher, „komm zu mir, bitte.“

Lara sah sie und lief auf sie zu. Ihre Haare waren mittlerweile von Tränen verklebt und auf ihren Füßen, Armen und Beinen hatten sich zahlreiche Kratzer durch den Sand gebildet.

„Mama, sie ist eine Hexe“, wimmerte Lara und ließ sich in die Arme ihrer Mutter fallen.

„Sie ist nicht anders als du, als ich, als Hanna und als Esmeralda“, beruhigte Isabell sie und strich ihrer Tochter sanft über die Haare.

„Das kann nicht stimmen. Mich und sie unterscheidet viel“, widersprach Lara trotzig, „alleine unser Kleidungsstil.“

„Und was war das mit dem Frühstückstablett heute Morgen? Lily ist deine Patin, sie will dir nichts antun“, redete Isabell ihr zu und überging den Kommentar mit der Kleidung.

„Das Frühstückstablett war doch nur Spaß, aber das hier ist ernst. Da ist ein gewaltiger Unterschied“, motzte Lara.

„Der Unterschied besteht nicht in der Absicht, er liegt in den Fähigkeiten. Dein Teilgebiet ist die Luft, Lilys das Wasser, Esmeraldas das Feuer und Hannas die Erde“, erklärte Isabell ungeduldig.

Lara sah die beiden anderen Frauen, die stumm nickten, ehrfürchtig an. „Dann sind wir die vier Elemente. Und was ist Papas und deine Aufgabe?“

„Ich war einst für die Luft zuständig und dein Vater war eines der vier Orakel.“

„Welche Orakel?“, fragte Lara verwirrt.

„Ein jedes Element bekommt ein Orakel. Durch meine enge Freundschaft zu Lily haben wir unsere Orakel zusammengelegt. Es konnte nur geöffnet werden, wenn Wasser und Luft untrennbar vereint waren und dadurch existierten nur noch drei Orakel, aber es wurden vier benötigt. Also hat man kurzerhand deinen Vater erschaffen“, erklärte Isabell knapp.

Was werden wohl die Leute am Strand denken?

Lara sah ehrfürchtig zu ihrem Vater und Lily rüber.

„Ach so. Dann ist also gar nichts so schlimm daran für mich ins Meer zu gehen. Aber wir sind unterschiedliche Elemente, würden wir uns nicht gegenseitig auslöschen?“

Isabell seufzte. Dann fragte sie: „Hast du eigentlich nie in Chemie aufgepasst? Wasser kann nicht ohne Luft existieren. Also warum sollte es sich gegenseitig auslöschen?“

„In Chemie schlafe ich immer. Es ist so langweilig“, antwortete Lara trotzig.

„Ich merke es.“

„Kommt ihr jetzt endlich?“, rief Lily einigermaßen verärgert und ungeduldig.

Sie wollte keine Aufmerksamen an einem vollen Strand erregen.

„Wir kommen“, flötete Isabell und stapfte durch den hohen Sand. Einige Meter vor dem Wasser blieb Esmeralda stehen. Zögernd sah sie auf das Wasser, sie sah auf Lily und sie sah auf Isabell und Lara.

„Warum gehst du nicht weiter Esmeralda?“, fragte Lara.

„Du bist vielleicht untrennbar mit dem Wasser verbunden. Oder Wasser ist an dich gebunden, wie auch immer. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Wasser mir als Feuer keinen Schaden antun würde“, erklärte Esmeralda widerwillig.

Lily seufzte und murmelte ein paar Worte. Jeder von ihnen fühlte eine Meeresprise durch sich wehen.

„Können wir dann? Es wird langsam voll am Strand“, bemerkte Lily erneut ungeduldig. Sie stand bereits bis zu den Knien im Wasser und wartete nur noch auf ihre Freunde.

Als Lara ins Wasser ging, war sie mehr als erstaunt. Das Wasser fühlte sich nicht so an, wie sie immer gedacht hatte. Es hatte eigentlich keine Temperatur, ihre Kleider wurden nicht nass und bis auf den Dreck, der darin rumschwamm, fand sie es sogar ganz schön.

„Ich dachte immer Wasser wäre kühl und nass“, murmelte sie fasziniert. „Zumindest fühlt es sich beim Duschen und Baden immer so nass an.“

Lily verdrehte genervt die Augen und warf Isabell einen Was-soll-das-bitte-Blick zu.

„Wasser ist in echt kühl und nass. Das du diese Eigenschaften nicht spürst liegt an dem Schutz von Lily“, erklärte Isabell ihrer Tochter.

„Ach so. Aber dieses Türkiesblau ist so wunderschön. Woran liegt diese Farbe?“, fragte Lara weiter. Isabell warf Lily einen fragenden Blick zu.

„Das liegt vermutlich daran, dass ich das so möchte. Verstanden?“

Isabell sah sie skeptisch an.

„Die genaue Antwort ist zu kompliziert“, rechtfertigte sich Lily.

Mittlerweile waren sie so weit ins Wasser gegangen, dass nur noch ihre Köpfe über Wasser waren.

„Isabell, ich glaube es ist Zeit für eine Verwandlung.“

Lily deutete äußerst ungenau auf den Ring aber Isabell hatte schon verstanden.

„Nein, nicht Lily. Du hast selber gesagt, sie soll sich nicht mehr so oft verwandeln“, warf Jack flehend ein. „Ich glaube, Isabell und du solltet euch einmal ganz dringend über das aussprechen was ihr in den letzten Jahren gemacht habt während der Partner nicht da war.“

„Was meint Lily mit verwandeln?“, fragte Lara sofort neugierig.

„Ich meine damit, dass sie sich in eine Nereide verwandeln soll.“

„Nereide?“

„Geschichtsunterricht gefällt dir wohl auch nicht…“

„Da hast du Recht.“

„Eine Nereide sieht aus wie eine Meerjungfrau.“

„Warum dann nicht gleich Meerjungfrau?“

„Mir gefällt Nereide besser.“

Isabell sprach leise: „Verwandle dich.“

Dann zog sich ihr Körper in die Länge. Als sie wieder zu sich kam war sie unter Wasser. Lily war gerade dabei an die Wasseroberfläche zu schwimmen.

„Warum kannst du an der Luft atmen und ich nicht?“, fragte Isabell neugierig.

„Du würdest das mit etwas mehr Übung auch können. Es macht keinen Unterschied. Man nennt das Labyrinth Organ.“

Isabell starrte ihre Freundin ungläubig an.

Ich habe sowas doch mal im Zusammenhang mit Fischen gehört, dachte sie sich.

„Mami, das ist so krass.“ Eine vor Freude strahlende Lara schwamm vor ihr Gesicht. „Du bist eine Meerjungfrau und ich kann unter Wasser atmen und ich kann unter Wasser sehen und das ist alles so wunder, wunderschön hier. Warum hast du mir nie gesagt wie schön das Meer ist? Kann ich auch eine Meerjungfrau sein?“

Lily seufzte und schnipste mit den Fingern. Einen Moment später zierte auch Lara eine wunderschöne, lange, grüne Flosse.

„Warum ist meine Flosse grün und eure ist silbern oder bronzefarben?“, kam natürlich sofort die nächste Frage hinterher.

„Eine grüne Flosse steht für eine normale Meerjungfrau, ich möchte nicht, dass du so sehr auffällst, eine bronzefarbene Flosse steht dafür, dass du etwas Besonderes bist, eine silberne dafür, dass man für das Wasser gemacht ist und eine goldenen würde dafürstehen, dass man für immer als Meerjungfrau bleiben wird“, antwortete Lily knapp.

„Ich dachte man kann sich bei Gold noch einmal entscheiden“, fragte Isabell neugierig.

„Kann man, aber es wirkt wie eine Art Sucht. Man möchte für immer Meerjungfrau bleiben“, antwortete Lily genervt.

Lara hörte gespannt zu und schwamm ein bisschen in der Gegend herum. „Das ist zwar alles total cool, aber wo gehen wir jetzt hin und wann gehen wir wieder zurück nach Hause?“, fragte sie aufgeregt.

„Wir werden zum hohen Rat gehen…“, wollte Isabell antworten.

„Warum nicht direkt nach Pangäa, wir können keine Zeit verlieren!“, warf Lily ein.

„Nadine sagte, dass der Oberste es so verlangt“, antwortete Isabell genervt.

„Nadine und der Oberste können mich mal!“, widersprach Lily.

„Nein, wenn Nadine das so sagt, machen wir das auch so“, antwortete Isabell ruhig.

„Wer ist Nadine?“, fragte Lara.

„Nadine ist sozusagen deine Oma. Zumindest das was einer Oma am nächsten kommt. Wenn wir beim hohen Rat waren, werden wir nach Pangäa gehen. Pangäa ist ein geheimer Kontinent. Ich weiß nicht, was wir dort machen werden und wann wir zurückkommen, aber es wird vermutlich nicht allzu bald sein“, erklärte Isabell weiter.

„Müssen wir auf dieses Pangäa?“, fragte Lara motzend weiter.

„Wenn du nicht sterben willst, solltest du dort hingehen“, antwortete Lily knapp. Das Gespräch war beendet. Sogar Lara hatte es verstanden. Ein Wunder.

Schweigend schwamm Lily voraus. Die anderen folgten ihr ebenfalls schweigend. Der Weg in die Tiefsee, wo sie das Haus des hohen Rates finden würden, verlief ruhig und schweigend. Ab und zu begegneten sie mal einem normalen Meereslebewesen welches ihnen aber nie Böses wollte.  

 

Die Gruppe von Nereiden, die auf sie zu schwamm, gehörte nicht zu normalen Meeresbewohnern. Eine der Nereiden kannte Isabell besser als jede andere. „Seline“, rief sie freudig und schwamm auf die jüngste der Nereiden zu.

„Isabell“, ihre Stimme klang freier als beim letzten Treffen. „Der hohe Rat schickt uns aus. Ich bin jetzt zur Gruppenleiterin einer Schwärm- und Verkündungsgruppe ausgebildet worden“, verkündete Seline freudestrahlend.

Schwärm- und Verkündungsgruppen waren meist Gruppen mit drei bis vier Nereiden. Diese gehörten zu den schnellsten, schönsten und anmutigsten Nereiden die der Hof der Nereiden zu bieten hatte.

Die Gruppenleiterin war immer die schnellste der Nereiden. Und sie musste die besten Kenntnisse über das Meer haben. Zumindest die besten in der Gruppe. Wenn eine wichtige Nachricht übermittelt werden musste, wurde der Schwärm- und Verkündungstrupp ausgeschickt diese Nachricht zu überbringen.

„Das ist toll, es war ja immer dein größter Wunsch dem Hof der Nereiden auf diese Weise zu dienen“, gratulierte ihr Isabell, „doch welche Botschaft hast du zu überbringen?“

„Erst einmal soll ich dir von dem Hof der Nereiden größtmöglichen Dank aussprechen, denn du hast dein Versprechen gehalten und unsere Meere von Verschmutzungen gereinigt. Die andere Nachricht ist die Nachricht, die mich leider Gottes zu euch führt.

Der Oberste wünscht zu wissen, wo ihr euch befindet, denn er sagt, er hätte noch andere, möglicherweise wichtigere Gespräche zu führen. Ihr sollt euch bitte beeilen“, verkündete Seline.

Einige Redewendungen ließen noch erkennen, dass sie früher einmal ein normaler Mensch gewesen war. Sonst war sie eine vollständige Nereide geworden.

Auf Selines Befehl hin griffen sich die Nereiden Jack, Hanna und Esmeralda. Dann schwammen sie alle zusammen los.

Isabell griff noch schnell nach Laras Hand, denn sie bezweifelte, dass Lara an Schnelligkeit mit dem Hof Volk der Nereiden mithalten konnte.

Auf einmal stoppten die Nereiden abrupt auf einer leeren Bodenfläche.

„Warum sind wir hier gehalten? Hier ist doch nichts“, bemerkte Lara laut.

„Hier ist das Haus des hohen Rates, es liegt nur hinter sehr mächtigen Schutzschilden“, erklärte Isabell ihrer Tochter leise.

Nach einigen Minuten schweigenden Wartens, hatte sich der Puls der Reisenden beruhigt, doch die Schutzschilde waren noch nicht verblasst.

Seline ging als Führerin ihrer Einheit nach vorne und sprach: „Ich, Seline, verlange Eintritt in das Haus des hohen Rates. Ich wurde geschickt Lily, Stellvertretende Herrscherin des Meeres und Element Wassers mit ihrer reisenden Gruppe zu finden. Ich absolvierte meinen Auftrag, denn hier steht die Gruppe. Doch ich verlange Einlass in das Haus des hohen Rates um sie dem Obersten zu übergeben.“

Es tat sich immer noch nichts.

„Warum nennt sie nicht ihren Nachnamen?“, fragte Lara neugierig.

„In dieser Welt gibt es so etwas wie Nachnamen nicht. Der Vorname ist die Persönlichkeit“, antwortete Isabell flüsternd.

„Und es gibt nie denselben Vornamen nochmal?“, fragte Lara irritiert.

„Manchmal schon, aber sie werden mit einem anderen Klang ausgesprochen.“

„Und wie ist man dann sicher, dass ihr die speziell richtige Isabell, oder Lily oder keine Ahnung wer ist?“

„Die Namen Lily, Isabell, Lara, Jack, Hanna und Esmeralda sind Heiligtümer. Niemand darf sein Kind so nennen. Es gibt sowieso sehr wenig Kinder auf Pangäa.“

In diesem Moment tat sich etwas Besonderes. Gerade als Lara etwas sagen wollte, blieb ihr der Mund offenstehen.

Der Schutzschild wurde von winzigen Fischen abgetragen. Sie schillerten in allen Farben des Regenborgens, dahinter kam ein Gebäude hervor, das Isabell nie mit Worten würde beschreiben können.

Das Gebäude des hohen Rates war in Form einer Muschel erbaut worden.

Unabsichtlich stellte sich Isabell die Frage, wie man wohl all diese vielen Steine und die Farbe ins Meer gebracht hatte und vor allem, wie man dieses Gebäude unter Wasser erbaut hatte.

Die Muschel hatte gigantische Ausmaße. Isabell bezweifelte, dass diese Muschel real sein konnte. 

„Wenn es einen interessiert“, beantwortete Seline die stumme Frage, „wir haben die Muschel aus Pangäa hergebracht. In Pangäa haben solche gigantischen Muscheln einst existiert.“

Dann war auch sie still und sah zu, wie der letzte Teil des Schutzzaubers abgetragen wurde. Die Muschel öffnete sich ein wenig.

„Die Muschel lebt ja noch“, keuchte Isabell leise.

„Ja, sie lebt noch. Aber das ist kein Wunder. Die Muschel hat sich fast schon gewünscht den hohen Rat in sich aufzunehmen“, antwortete Seline.

„Jetzt sag nicht, dass du dabei warst“, bemerkte Isabell ungläubig.

„Nein, war ich auch nicht. Aber auch eine Übermittlerin und Schwärmerin sollte ein gewisses Maß an Bildung genossen haben und diese Muschel ist wirklich wichtig für uns.“

Eine, im Vergleich zu der Muschel winzige, Rampe wurde aus der Muschel gelassen.

Eine streng aussehende junge Dame lief auf ihr aus der Muschel. Sie hatte schulterlange, blonde Haare, trug ein schwarzes Kleid das ihre zierliche Figur gut betonte. Ihr scharf geschnittenes und strenges Gesicht wurde durch den missbilligenden Blick nicht verschönert.

Einsamkeit, Trauer und Sorge hatten ihrem Gesicht sehr zugesetzt.

„Isabell“, fragte die Frau, „wo bist du? Ich habe dich vermisst.“

Isabell trat zögernd aus der Gruppe hervor.

„Mama, ich habe dich auch vermisst“, antwortete sie und ging auf die Frau zu.

Ihre Schritte waren langsam, vielleicht auch ein bisschen bedächtig.

„Du hast dich aber nie gemeldet“, der missbilligende Ton war nicht mehr zu überhören.

„Ich weiß und es tut mir leid. Ich hatte wirklich nicht vor dich zu quälen“, antwortete Isabell zerknirscht.

„Aber du hast es getan. Warum hast du es getan, wenn du es gar nicht wolltest?“

„Es fiel mir leichter ohne jeglichen Kontakt zu meinem alten Leben“, antwortete Isabell ehrlich.

„Ach ja. Und die Frau, die dich sechzehn Jahre deines Lebens behütete, gehört dazu?“

„Es tut mir leid, aber ja. Sie gehört erst Recht dazu.“

„Und warum?“

„Weil ich Schuldgefühle hätte, wenn ich mit ihr reden müsste“, antwortete Isabell weiterhin ehrlich.

„Dann tut es mir leid. Aber jetzt tust du genau das“, erinnerte Nadine sie überflüssigerweise.

Isabell antwortete nicht mehr, sie wollte nicht mit ihrer Adoptivmutter streiten.

„Ist das meine Oma?“, fragte Lara.

„So ähnlich“, antworteten Isabell und Nadine gemeinsam.

„Warum ‚so ähnlich‘?“, fragte Lara weiter.

Keine Antwort kam zurück. Nadine winkte sie die Rampe hoch.

„Wenigstens konntest du diesmal warten, bis der Vorhang sich gelegt hat“, erinnerte sie Isabell an ihren ersten Besuch beim hohen Rat.

„Ich denke, es hat sich gelohnt“, erwiderte Isabell kühl.

Ein Lächeln schlich sich auf Nadines Gesicht. Ihre kleine Tochter war erwachsen geworden.

Nadine ging vor und führte sie in das überdimensionale Gebäude. Es war fast genauso wie Isabell es in Erinnerung gehabt hatte.

Immer noch waren alle Wände mit Marmor verkleidet.

Die Leute in dieser Zeit mussten eine ausgesprochene Schwäche für Marmor gehabt haben, dachte sich Isabell.

Der Marmor erschlug das gigantische Gebäude fast schon. Die Decke war weiß, der Rest der Wände ebenfalls und der Boden waren mit schwarzem Marmor gefliest.

Nadine lief ziemlich zielstrebig den Gang lang. Isabell musste sich anstrengen um ihr folgen zu können. Diesmal wurden sie direkt in den Besprechungssaal des hohen Rates geführt.

Er hatte sich nicht verändert, bis auf ein kleines, winziges Detail, welches Isabell sofort ins Auge stach.

Der Oberste saß erstens schon oben an seinem Tisch und zweitens hatte er abgenommen. Mindestens hundert Pfund.

„Ich freue mich wirklich sehr sie willkommen heißen zu dürfen in meinem Palast“, begrüßte er sie. Isabell nickte ihm mit dem Kopf zu.

Eigentlich hätte Seline mit dem Obersten sprechen müssen, da sie sie hierher geführt hatte. Aber Seline musste im Wasser bleiben.

„Ich erlaube mir unsere Führerin Seline zu vertreten“, setzte sie an, wurde aber abrupt unterbrochen.

„Nein, ich als der Oberste möchte dich nicht als Vertreterin“, wies der Oberste sie grob zurück.

„Wen wählt Ihr dann?“, fragte Isabell mit gespielter Unterwürfigkeit.

„Warum wagst du es, mit mir zu reden? Du bist nicht mehr als ein verachtenswerter Mensch ohne Fähigkeiten. Du bist sogar noch weniger als ein Mensch wert, denn du hattest einmal mehr, doch jetzt hast du es nicht mehr, oder?“, fragte der Oberste höhnisch.

Diese Worte trafen Isabell schwer. Sie ballte sich unbewusst vor Schmerzen zusammen.

„Ich denke Ihr seid auch nicht mehr wert. Ich würde mal gerne wissen wer ein solches Arschloch“, sie spuckte ihm das Wort vor die Füße, „wie Sie für diesen Posten ausgewählt hat.“

„Ich bin, im Gegensatz zu dir, kein Fan von vulgären Ausdrücken. Lily, wollt Ihr vielleicht als angesehenes Element Eure Freundin Isabell und Eure Führerin Seline sowie den Rest Eurer Gruppe vertreten?“, wandte sich der Oberste an Lily.

„Wie Ihr wünscht mein Herr“, antwortete Lily und trat einen Schritt vor. Aus dem Augenwinkel warf sie Isabell einen entschuldigen Blick zu, den diese ignorierte.

„Nun, wie trug sich die Geschichte zu, wegen der ihr alle meine Aufmerksamkeit beansprucht?“, fragte der Oberste grob.

„Heute Morgen rief mich Isabell…“

„Und dies ist der Grund warum ihr hierherkamt?“

„Nein, mein Herr. Würdet Ihr mich bitte erzählen lassen? Sie rief mich, um zu erzählen, dass ihre Tochter Lara das neue Element Luft sei. Wir machten uns unverzüglich auf den Weg um zu fragen, weshalb Lara das neue Element ist.“

„Warum sollte sie nicht? Und was habe ich damit zu tun?“

„Euch alleine obliegt die Macht ein neues Element einzusetzen.“

„Nun, ich hielt es für angemessen. Schließlich war Isabell schon ein äußerst starkes Element, da dachte ich, diese Stärke läge möglicherweise in der Familie.“

„Aber Lara ist unausgebildet und wir müssen möglicherweise gegen ein Doppelgesicht kämpfen“, rechtfertigte sich Lily.

„Ich muss sagen, über das Problem mit dem Doppelgesicht würde ich lieber mehr hören, als über euer elementares Ausbildungsproblem.“

„Aber was ist mit Lara, wir können nicht…“, setzte Lily wieder an.

„Stopp“, unterbrach sie der Oberste energisch und hielt die Hand hoch, „ich entscheide in meinem Haus worüber geredet wird.“

„Wie Ihr wünscht. Eine junge Frau in Pangäa ist möglicherweise ein Doppelgesicht und wir würden gerne ihre Absichten ermitteln und sie, falls nötig, stoppen.“

„Gut, ich erteile euch den Befehl das Doppelgesicht zu fangen und mir auszuhändigen.“

„Und was habt Ihr jetzt vor mit Lara zu machen?“

„Ihr könnt sie mit nach Pangäa nehmen und dort ausbilden. Ist noch etwas?“

„Wäre es vielleicht möglich Isabell einen Teil der Macht zu geben? Dann wären wir nicht ganz so ungeschützt.“

Der Oberste seufzte, dann befahl er: „Isabell, Lara kommt bitte beide nach vorne.“

Isabell schob Lara ein Stück nach vorne. „Weiter, weiter.“ Sie schob ihre Tochter noch ein Stück nach vorne. „Das reicht. Lara, ich übergebe deiner Mutter ein Stück deiner Kraft. Möge es bis zu unserem nächsten Treffen gut aufbewahrt sein.

Isabell, Lara, darf ich euch eure Kleider überreichen?“, fragte er.

Lara schreckte ein Stück zurück. „Ich ziehe nie im Leben ein Kleid an. Mama nein, das kannst du mir nicht antun.“

Der Oberste schüttelte verwirrt den Kopf. „Dann überreiche ich eben nur Isabell ihr Kleid.“

Als er die Worte gesagt hatte, bewegte sich die Luft um Isabell und überschütterte sie mit feinem, glitzernden Staub. Als sich der Staub gelegt hatte, stand Isabell mit ihrem weißen Kleid da.

Das Kleid schillerte glitzernd in den Farben eines Opals.

Isabell fühlte sich wohl in ihrer Haut, aber ihre Tochter sah sie an als könne sie diesen Anblick nicht verkraften.

„Was guckst du so?“, fragte Isabell erbost, konnte sich aber auch das Grinsen nicht verkneifen.

Lara sah ertappt zu Boden. „Ich habe mir nie vorstellen können, wie du in einem so edlen Kleid aussiehst.“

Der Oberste schnaubte erbost. „Könnten wir jetzt bitte die Höflichkeiten sein lassen“, fragte er leicht genervt, „es ist zwar alles so schön was ihr euch da zusammengeschustert habt, aber wo ist denn bitte der Beweis zu eurer gewagten These, dass Lara wirklich das neue Element ist?“

„Egal was du tust, ärgere ihn nicht!“, warnte Isabell vorsichtig ihre Tochter.

Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie sie den Obersten damals geärgert hatte. Sie hatte ihn aus Verachtung durch den Raum fliegen lassen.

Lara lächelte und hob die Hand. Sie erhob sich langsam in die Luft, durch eine Kippbewegung änderte sie ihre Flugkurve und flog auf den Obersten zu.

Nadine und Lily sogen kaum hörbar die Luft ein. Noch nie hatte es jemand gewagt dem Obersten so nahe zu treten.

„Ist das genug Beweis?“, fragte Lara und ließ sich wieder nach unten sinken.

Der Oberste lächelte. „Es hat gereicht um mich von einem zu überzeugen, du bist genauso leichtsinnig und starrsinnig wie deine Mutter. Das muss wohl in der ‚Familie‘ liegen.“

‚Familie‘ sprach er mit solcher Verachtung aus, dass kein Zweifel daran bestand, dass er Andeutungen machen wollte.

„Was meinen sie mit ‚Familie‘?“, fragte Lara. Dabei sprach sie das Wort ‚Familie‘ genauso abwertend aus wie er.

„Ich meine damit lediglich, dass deine Familie eben etwas ganz Besonderes ist.“

Er lächelte gespenstisch und machte dann eine winkende Handbewegung. Ganz eindeutig das Zeichen zu gehen.

„Wir danken für eure Zeit“, verabschiedete sich Lily unterwürfig, verneigte sich und verließ rückwärts den Raum.

Isabell bedeutete ihrer Tochter dasselbe zu tun, dann verneigte auch sie sich.

„Bin ich jetzt wieder mehr als ein einziger unbedeutender Mensch und wieder mehr wert als ein Mensch?“, fragte sie noch.

Dann verneigte sie sich wieder bis fast auf den Boden und verließ den Raum in gebeugter Stellung, wobei sie nicht auf das Knurren einging, das der Oberste vernehmen ließ. Sie war die Letzte die den Raum auf diese Weise verließ.

3. Erklärungen

 

„Was hat er gemeint mit ‚Familie‘?“, fragte Lara ihre Mutter in einem der großen Gemeinschaftsräume des hohen Rates.

Isabell sah zu Boden.

„Er hat bestimmt nichts Großes gemeint. Wir sind schließlich eine schöne Familie, in der alles geregelt verläuft“, log sie.

„Mama, du kannst immer noch nicht lügen“, machte Lara ihre Mutter auf ein offensichtliches Problem aufmerksam.

Isabells Gedanken wanderten zu einem Morgen in einem Krankenhaus in Stuttgart in Stuttgart, als man ihr erklärt hatte, dass sie schwanger war.

Schwanger ohne jemals Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Lara war durch einen puren Energiefluss zwischen Jacks und ihrem Körper entstanden. Sie konnte sich nicht mehr an die genaue Erklärung erinnern, aber sie wusste, dass Lara kein normales Kind war.

„Mama, wir haben nie meine Großeltern besucht oder waren bei Verwandten eingeladen“, beschwerte sich Lara.

Isabell sah hilfesuchend zu ihrem Mann und ihren Freunden die auch in dem großen Raum saßen. Lily stöhnte leise auf. Sie wusste, dass sie mal wieder erklären durfte, was vorgefallen war.

„Also Lara“, begann sie, wurde aber sofort unterbrochen.

„Nein, Lily. Ich möchte es gerne  von meinen Eltern hören. Es kotzt mich ehrlich gesagt an, dass du ihnen immer aus der Patsche helfen musst“, erklärte Lara direkt.

„Wörter wie ‚Ankotzen‘ verwendet man aber nicht“, gab Isabell ganz mütterlich zu bedenken. Das war ihre übliche Masche um schweren Erklärungen aus dem Weg zu gehen.

„Nein, Mama. Du entkommst diesmal nicht.“

„Liebling, du weißt doch, dass du uns immer vertrauen kannst. Also warum willst du das jetzt unbedingt wissen?“, fragte Isabell hoffnungsvoll.

„Weil alles, was ich bisher über mich weiß mein Name, meine Eltern und mein Zuhause ist“, antwortete Lara ehrlich, „ich würde gerne mehr über mich wissen.“

„Der Grund, warum wir nie deine Großeltern besucht haben ist der, dass du keine hast.“

„Und warum keine Verwandten?“, fragte Lara weiter.

„Hast du auch nicht“, erklärte Isabell ehrlich.

„Und warum nicht?“, fragte Lara verwirrt.

„Dein Vater und ich wurden von jemanden namens Prometheus erschaffen. Lily, Hanna und Esmeralda auch. Das war vor der Entstehung der Erde.

Wir lebten damals auf einem entfernten Planteten, der Pangäa heißt. Die Erde ist einfach nur das perfekte Spiegelbild von Pangäa.

Jack und ich wollten heiraten. Aber unsere Beziehung ließ die Erde zerspringen und deshalb hat man mich in eine Art Koma gesetzt. Dadurch verlief die Kontinentalverschiebung langsamer und als Jack und ich im Kampf unsere Unsterblichkeit verloren, entstand ein sehr großer Energiestrom zwischen uns. Dabei bist du entstanden.

Und weil wir unsere Unsterblichkeit verloren haben, ist die Erde wieder zusammengewachsen. Nach deiner Geburt sind wir noch zwei Jahre in Pangäa geblieben, aber wir haben darauf geachtet mehr oder weniger keinen Kontakt zu den anderen zu haben. Dann hat mich Nadine mich offiziell adoptiert und wir sind in unser altes Haus eingezogen“, erklärte Isabell zerknirscht.

Lara sah sie lange fassungslos an. „Und das ist alles, was du mir zu meinem ganzen Leben zu erzählen hast? Dass ich ein ziemlich ungewolltes Kind bin, nicht mal richtig zu euch gehöre und ganz nebenbei ihr auch keine richtigen Menschen seit? Das ist mein Leben und das Leben meiner Eltern?“

„Du hast es richtig erfasst“, kommentierte Jack.

„Bist du uns jetzt böse?“, fragte Isabell entsetzt.

„Böse? Böse trifft es nicht ansatzweise. Ich kann euch nicht böse sein für etwas, für das ihr nichts könnt. Also bin ich nicht böse. Aber ich kann auch nicht sagen, dass ich froh wäre darüber, wie ich entstanden bin, wie ihr entstanden seid, darüber wie mein Leben aussehen wird in der Zukunft. Ich kann aber auch nicht sagen, dass ich das für irgendetwas anderes aufgeben würde. Ein normales Leben wäre nicht ansatzweise so interessant oder aufregend wie das Leben jetzt“, antwortete Lara etwas schwammig.

Sie schüttelte resigniert den Kopf.

„Möchtest du vielleicht ein Bad nehmen, oder einen Tee haben?“, fragte Isabell besorgt.

Lara lachte freudlos. „Einen Tee? Ein Bad? Seid ihr ernsthaft so bescheuert? Ich könnte dir jetzt sagen, dass ich liebend gerne einen Tee hätte weil er mich beruhigt. Aber hast du lieber ein Kind das ehrlicher ist als du es zu ihm warst oder willst du ein Kind, das dich genauso belügt wie du es getan hast?“, fragte Lara resigniert. Sie lachte wieder mit derselben Freudlosigkeit in der Stimme.

„Lara bitte, was ist los mit dir?“, fragte Isabell entsetzt.

„Was mit mir los ist? Mein Leben, meine Existenz, alles wovon ich gedacht hätte, dass es wirklich mal existiert hat, ist zerstört.“

Isabell seufzte genervt. Pubertierende Kinder, dachte sie sich. „Lara, ich bringe dich jetzt ins Bett.“

Lara erhob sich fast schon widerstandslos.

„Morgen werden wir uns auf den Weg nach Pangäa machen“, erklärte Isabell als sie aus dem Aufenthaltsraum gegangen waren. Lara nickte stumm.

„Willst du eventuell auch mal wieder was sagen?“, fragte Isabell ihre Tochter genervt.

Lara schüttelte den Kopf.

„Herr Gott nochmal!“, schimpfte Isabell. „Geh ins Bett!“

Lara nickte wieder stumm. Gegen den Befehlsturm von Isabell konnte auch sie nichts sagen.

Kaum war Lara im Bett verschwunden ging Isabell wieder in den Gemeinschaftsraum. Erschöpft ließ sie sich neben Jack sinken

„Hätte ich gewusst, worauf wir uns damals eingelassen haben, hätte ich Lara nicht behalten“, schnaufte sie, „will noch jemand außer mir was trinken?“

Sie stand auf und holte sich ein Glas Wasser.

„Kannst du mir ein Glas Sekt mitbringen?“, fragte Esmeralda.

Isabell brachte fünf Gläser Sekt mit.

„Worauf stoßen wir an?“, fragte Lily.

Isabell zuckte mit den Schultern und hielt ihr ein Glas Sekt hin. Esmeralda antwortete für Isabell. „Also, ich dachte wir trinken auf Isabells Rückkehr in unsere Kreise. Es gibt bestimmt auch einiges, was sie noch brennend interessiert.“

„Stimmt“, antwortete diese, „mich würde zum Beispiel interessieren, ob ihr noch oft mit diesem Doppelgesicht gesprochen habt.“

„Sie heißt Charlotte“, warf Jack ein.

„Jemand, der dich so behandelt hat, verdient es nicht mit Namen angesprochen zu werden. Außerdem kennen wir ihren richtigen Namen nicht“, antwortete Isabell schnippisch.

„Es ist vermutlich wirklich besser, wenn Jacks sie Charlotte nennt. Er wird noch einige Male mit ihr Tanzen müssen und auch sonst genügend Interesse an ihr zeigen, damit sie endlich auspackt. Es wird ihm vermutlich leichter fallen, wenn er sie weiterhin als Charlotte und nicht als ‚das widerwärtige Doppelgesicht‘ bezeichnet“, half Lily ihm.

„Wie du meinst, Lily. Aber ich bin dagegen, dass er noch öfter mit ihr tanzt. Ich bin seine Frau, nicht sie!“

„Das ließe sich bestimmt auch leicht ändern“, antworte Esmeralda, „sie würden bestimmt auch gut zusammenpassen.“

Jack räusperte sich hörbar. „Das ist zwar sehr … nett von dir, Esmeralda. Aber bitte vergiss meine Existenz in diesem Raum nicht.“

„Außerdem wird da gar nichts geändert!“, warf Isabell ein und schmiegte sich besitzergreifend an Jack. Dieser streichelte ihr nur beruhigend den Kopf.

„Ich bin auch nicht gerade erpicht darauf noch länger mit ihr zu tanzen, Izzy. Aber es ist notwendig, leider.“

„Könnte man keinen anderen Plan umsetzten?“

„An was für einen Plan denkst du?“, fragte Lily, auf einmal sah sie ganz aufmerksam aus.

„Ich weiß nicht“, antwortete Isabell beschämt, „irgendetwas wodurch ein Doppelgesicht sich offenbart.“

Lily sah sie jetzt sehr aufmerksam an. „Dein scharfer Verstand hat mir gefehlt“, antwortete sie sehr langsam und bedächtig, „du kommst auf die offensichtlichsten und logischsten Lösungen. Ein Doppelgesicht offenbart sich bei starken Gefühlsregungen. Ins Positive wie ins Negative.“

„Das würde bedeuten“, fügte Isabell hinzu, „dass wenn wir das Doppelgesicht ausreichend reizen würden, sie ihre wahre Gestalt zeigen würde.“

„Genau“, bestätigte Lily.

„Das würde auch bedeuten, dass wenn ich ihr klarmachen würde, dass Jack mein Mann ist, sie eventuell so ausrastet, dass sie sich offenbart?“, fragte Isabell.

„Ja, das könnte passieren. Es könnte passieren, wenn das Doppelgesicht sich bei Jack wirklich sicher ist. Vermutlich ist es am besten, wenn sie dich erst mal nicht sieht“, schlug Lily vor.

„Nein, nein“, rief Isabell aus, „ich lasse Jack nicht unbeaufsichtigt mit dieser Frau!“

„Isabell, ich denke, wir sind mittlerweile über dieses Alter hinaus. Lass Vernunft walten“, sagte Lily zu ihr.

„Nein, ich will ein kleines Kind sein und schmollen.“

„Wie du willst“, gab Lily genervt von sich, „aber kleine Kinder werden selten beachtet.“

„Izzy, hör auf Lily, sie hat recht“, probierte auch Jack sie zu überzeugen.

„Nein, ich höre auf niemanden. Ich werde dich nicht mehr länger mit einer fremden Frau tanzen lassen ohne dabei zu sein!“, gab Isabell bockig zurück.

„Du kannst ja vielleicht in meiner Nähe bleiben“, schlug Jack vorsichtig vor.

„Nein, dieser Vorschlag ist komplett idiotisch, Jack“, widersprach Lily sofort.

„Also, mich würde interessieren, wie dies funktionieren soll“, sagte Hanna und beugte sich in Richtung Jack vor, „wie sieht der Plan deiner Meinung nach aus?“

„Hanna, bitte. Bring ihn gar nicht erst in Versuchung…“, probierte Lily sie zu stoppen.

Jack schien von seiner Rückendeckung begeistert zu sein. „Ich stelle mir das so vor“, setzte Jack an, „Isabell kann auf die Bälle gehen. Normalerweise gibt es seit der Zerstörung des dunklen Orakels jede Woche einen. Aber statt mit mir zu tanzen, tanzt sie mit einem anderen. Sie muss ihn ja nicht mögen, sie muss nur mit ihm tanzen können.“

Sogar Lily schien ernsthaft über diesen Vorschlag nachzudenken. „Jack“, sagte sie schließlich, „das ist die Lösung. Sie wäre bei dir, damit wäre sie befriedigt, und du wärst bei Charlotte. Es wäre perfekt.“

„Und wie locken wir das Doppelgesicht, ich meine Charlotte“, verbesserte sie sich mit Blick auf Jack, „aus ihrer Fassade?“

Jack hatte schon wieder eine brillante Idee. „Wie wäre es, wenn Isabell in dem Moment kommt, in dem Charlotte denkt, dass sie mich jetzt endgültig besitzt?“

„Dies wäre der beste Zeitpunkt“, gab Lily zu, „aber wie soll sie Charlotte aus ihrer Fassade locken?“

Isabell lachte fast schon spöttisch. „Lass mich nur machen“, lachte sie, „mir wird schon etwas einfallen.“

Lily nickte Jack und Isabell zu. „Dann trinken wir wohl heute auf zwei brillante Ideen. Oder trinken wir auf die Vereinigung zweier brillanter Ideen?“

„Ich denke, wir sollten auf die Vereinigung der beiden brillanten Ideen trinken, denn ohne die eine Idee wäre die andere nicht halb so viel wert“, antwortete Isabell mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Lily erhob sich als erste, Hanna und Esmeralda folgten mit fadenscheinigen Ausreden. Nichts desto trotz war Isabell froh über ihren Abgang.

 

„Jack“, sie legte den Kopf an seine Schulter, „wir müssen reden.“

Jack sagte lange nichts, sondern blieb ruhig sitzen und genoss ihre Nähe.

„Jack?“, fragte Isabell erneut.

„Worüber willst du reden?“, fragte er vorsichtig. Er wollte diesen Moment nicht zerstören.

„Du warst in Pangäa ohne mir davon zu erzählen.“

„Du hast dich in eine Meerjungfrau verwandelt ohne mir davon zu erzählen“, gab er trotzig zurück.

„Darum geht es jetzt nicht“, antwortete Isabell.

„Doch. Du bist wütend auf mich, weil ich dir nicht erzählt habe wo ich hingegangen bin. Aber du hast es mir auch nicht erzählt“, sagte Jack.

„Nein, ich bin nie wütend gewesen, weil du weggegangen bist ohne es mir zu sagen“, antwortete sie und ließ ihren Kopf auf seine Brust rutschen.

„Warum warst du dann wütend auf mich?“, fragte Jack verwirrt und streichelte ihren Kopf.

„Ich war nie wütend auf dich. Ich war nur enttäuscht.“

„Warum warst du nicht wütend auf mich? Ich meine, ich war wütend auf dich, weil du ohne mein Einverständnis gegangen bist, aber du warst nicht wütend auf mich?“

„Nein, ich war nicht wütend auf dich. Unsere Beziehung hat nur eine Chance, wenn sie auf gegenseitigen Vertrauen aufbaut, dies beinhaltet aber auch, dass man sich gegenseitig erzählt wo man hingeht“, ließ Isabell eine Weisheit vernehmen.

„Ja, aber das habe ich ja nicht gemacht. Also warum bist du nicht wütend auf mich?“, hakte Jack nach.

„Weil ich Vertrauen in dich hatte.“

„Hatte?“, hakte Jack jetzt nach.

„Naja, als Charlotte dann ins Spiel kam, da hat dieses Vertrauen irgendwie aufgehört. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nie in deiner Treue gezweifelt. Aber du liebst sie und ich…“, Isabell brach ab.

„Ich liebe Charlotte nicht!“, empört schlang Jack einen Arm um sie.

„Du liebst sie nicht?“

„Ich liebe nur dich. Wirklich nur dich.“

Isabell gefiel diese Aussage. „Aber du musst mir etwas versprechen“, setzte Jack an. „Du musst mir versprechen, dass du mir nie wieder misstraust.“

Isabell lächelte ein bisschen empört. „Es gibt wirklich kein Versprechen, das ich dir lieber geben würde, solang du es mir auch gibst.“

 

Die beiden erhoben sich und gingen in ihr gemeinsames Zimmer. Es war noch nicht wirklich spät in der Nacht, erst ungefähr zehn Uhr abends, nach ihrer Zeitrechnung, aber beim hohen Rat gab es keine Zeitrechnung.

Manche Sitzungen, die zehn Minuten lang waren, kamen einem vor wie Tage und bei anderen war es andersrum.

Vorsichtig küsste Jack ihren Hals, jeder Kuss hinterließ ein warmes Kribbeln auf ihrer Haut.

Isabell genoss diese wenigen intimen Momente mit Jack bis ins Unendliche. Auch Jack schien es zu gefallen sie zu küssen. Vorsichtig führte er sie zum Bett und legte sie aufs Bett.

„Du musst nicht immer so vorsichtig sein“, keuchte Isabell. Mehr als ein Keuchen brachte sie nicht mehr zu Stande.

„Vielleicht gefällt es mir ja vorsichtig zu sein“, hauchte Jack ihr ins Ohr und begann an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.

„Nicht Jack. Bleib einfach bei mir, dann hast du meinen größten Wunsch heute Nacht erfüllt.“

Einsichtig zog Jack sein T-Shirt aus, half auch Isabell aus ihrem langen Kleid und legte sich ins Bett.

 

Als Isabell am nächsten Morgen aufwachte, lag Jack nicht mehr neben ihr. Fast schon enttäuscht ging sie ins private Bad.

Als Isabell sich in die kleine Badewanne gleiten ließ, blieb ihr Blick an dem Armaturenbrett hängen. Am Armaturenbrett hing eine kleine Metallscheibe mit möglichen Bädern.

Isabell betrachtete die List ein bisschen abschätzend, in der großen Gemeinschaftsbadewanne war die Liste bestimmt doppelt so lang. Sie entschied sich für ein Regenbogenbad.

Sie hatte keine Ahnung was dies sein sollte aber wollte es unbedingt einmal ausprobieren.

Gespannt wartete sie auf die Veränderungen in der Badewanne.

In die Badewanne floss kunterbuntes Wasser, das sich nicht vermischte. Verträumt ließ Isabell sich zurücksinken und tauchte mit dem Kopf unter Wasser um sich das Meersalz aus den langen Haaren zu spülen.

Dann verwandelte sie sich in eine Meerjungfrau und schrubbte sämtliche Verschmutzungen von den Schuppen und aus den Schuppenzwischenräumen.

„Hey, Isabell. Wo bist du?“, riss sie Stunden später Jacks Stimme aus einem schönen Traum.

„Ich bin in der Badewanne“, rief Isabell. Zumindest hätte sie es gerufen, wenn ihr Kopf über Wasser gewesen wäre.

„Isabell“, hörte sie jetzt wieder Jacks panische Stimme in ihren Ohren.

„Ich bin in der Badewanne“, antwortete Isabell diesmal über Wasser.

Sie hörte ein erleichtertes Seufzen.

„Bist du etwa eingeschlafen?“, fragte Jack amüsiert.

„Wie kommst du darauf?“

„Du hättest sonst nicht so lange gebadet“, antwortete Jack und probierte die Tür zu öffnen. Unterbewusst ließ Isabell einen undurchsichtigen Luftschild direkt vor der Tür entstehen. Dann erhob sie sich aus der Badewanne und trocknete sich ab.

„Was soll der Luftschild?“, hörte sie Jack fluchen. „Der hohe Rat sucht schon ewig nach dir. Wir wollen beraten wie wir weiter vorgehen. Kannst du dich vielleicht mal beeilen?“

„Liebling, kannst du mir mein Kleid bringen?“, fragte Isabell ihn zuckersüß.

„Nein, da ist ein Luftschild vor mir“, gab Jack genervt von sich. Allerdings streckte er keine zehn Sekunden später seine Hand samt Kleid durch den Luftschild.

„Danke“, flötete Isabell und zog sich an.

Zehn Minuten später klopfte Jack energisch gegen den Türrahmen. „Ich hoffe du bist nicht wieder eingeschlafen.“

„Ich bin eine Frau“, gab Isabell beleidigt zurück.

„Und das ist die Entschuldigung für ständiges Einschlafen?“

„Nein, Frauen brauchen lange im Bad.“

Dann fiel der Luftschild zusammen und Jack konnte auf Isabell blicken. Sie hatte das weiße Kleid an, die weißen Schuhe, war dezent geschminkt und hatte die Haare in einen strengen Dutt gesteckt.

„Du siehst aus wie gestern. Und da hast du keine zwei Stunden gebraucht“, kritisierte Jack.

„Gestern bin ich nicht in der Badewanne eingeschlafen“, gab Isabell patzig zurück.

Jack musterte sie mit zusammengekniffen Augen. Dann löste er die Klammern aus Isabells Haaren und drapierte sie ihr über den Schultern.

„Du hast gerade meinen Dutt kaputt gemacht. Ich habe zehn Minuten dafür gebraucht“, stellte Isabell empört fest.

„Er sah grauenhaft aus, so ist es viel besser.

Der einzige Mann den ich kenne, der nicht zu allem Ja und Amen sagt. Ausgerechnet mein Mann, dachte sie sich während sie das Bad verließ.

Jack hatte sich nicht die Mühe gemacht sich irgendwie zurechtzumachen. Er trug seine üblichen Jeans, ein verwaschenes T-Shirt und ein unpassendes Silberarmband. Isabell nahm das Armband kurzerhand ab und warf es aufs Bett.

„Schmuck ist unmännlich“, kommentierte sie in Jacks typischen Tonfall.

„Du bist die einzige Frau, die mir nicht sofort verfällt und mich machen lässt, was ich will. Und ausgerechnet dich liebe ich“, kommentierte er.

„Du bist der einzige Mann der nicht gleich Ja und Amen sagt.“

„Ist auch gut so. Wir sollten gehen“, grinste Jack.

 

„Wir haben uns hier versammelt“, begann der Oberste in seinem monotonen, langsamen und einschläfernden Ton, „um zu besprechen, wohin ihr morgen aufbrechen werdet und warum ihr dies tun werdet.

Bisher haben wir zusammengetragen, dass ihr nach Pangäa aufbrechen werdet. Da der Raum der Wünsche leider nicht zur Verfügung steht, werdet ihr einfach aus der Vordertür schwimmen und euch in Pangäa befinden.

In Pangäa werdet ihr probieren in die Stadt zu kommen in dem das Doppelgesicht wohnt. Ab diesem Punkt dürft ihr jetzt weitererzählen.

Lily, wenn ich bitten darf.“

„Wir werden in die einzige richtig bewohnte Stadt reiten. Dort gibt es die Bälle, auf die Jack und das Doppelgesicht immer gehen. Allerdings besagt unser Plan auch, dass Isabell mitkommen wird auf die Bälle. Sie wird das Doppelgesicht aus seiner Fassade locken, indem sie ihr Jack wegnimmt in der Minute, in der sie denkt, dass Jack ihr gehört. Dann werden wir eventuell endlich ihre wahren Absichten erkennen.

Dies würde uns sehr dabei helfen sie aufzuhalten, wenn sie böse Dinge plant“, stellte Lily ihren Plan vor.

Lily verneigte sich bei dem Obersten und zog sich wieder zurück.

Der Oberste erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel und hob die Arme. „Wenn ihr morgen geht bitte ich euch heute die Wohlstände meines Hauses zu genießen und euch wie zuhause zu fühlen. Ihr dürft gehen.“

Als sie hinausliefen fragte Lara Isabell: „Mama, wenn die Welt damals zersprungen ist, weil Papa und du zusammen wart und ihr beide bedeutende Persönlichkeiten wart, was passiert dann jetzt? Wird die Welt wieder zerspringen?“

Isabell schüttelte den Kopf. „Nein, ich denke die Welt ist damals wegen der Spannung, die zwischen Jack und mir und unseren Orakeln entstanden ist, gebrochen. Da diese Spannung diesmal aber nicht entsteht, wird sie nicht brechen“, erklärte Isabell nach einer langen Pause.

„Bist du sicher, Mama?“, fragte Lara vorsichtig.

„Nein“, antwortete Isabell, „ich bin mir nie hundertprozentig sicher.“

Damit ließ sie ihre Tochter alleine stehen und ging zu Jack.

„Lara, wir gehen auf unser Zimmer, du kannst ja ein Bad nehmen“, sagte Isabell zu ihrer Tochter.

Lara zuckte nur mit den Schultern, dann ging auch sie ins Zimmer.

„Es muss alles so neu sein für sie, ich denke ich gehe in ihr Zimmer und probiere ihr etwas über ihre Fähigkeiten zu erklären“, meldete sich Lily auf einmal hinter hier.

Lily marschierte Lara hinterher und Isabell und Jack gingen in ihr gemeinsames Zimmer.

 

„Was war das denn gerade für eine beschissene Situation“, regte sich Isabell auf.

„Reg dich nicht auf, Izzy.“

„Ich soll mich nicht aufregen, jetzt probiert Lily auch noch meiner Tochter etwas über unser Leben zu erklären! Das ist meine Aufgabe, wenn Lara etwas wissen möchte!“

„Da du diese Aufgabe aber anscheinend ziemlich vernachlässigst und sie sehr wichtig ist, muss Lily eben aushelfen.“

„Wenn es nur dieses Aushelfen wäre“, regte Isabell sich weiter auf, „aber sie reißt immer alles an sich, was sie an Aufgaben bekommen kann. Für den Obersten Rat zu sprechen, Pläne zu schmieden…“

Der Rest ihrer abwertenden Rede ging in einem Kuss von Jack unter.

„Du bist so süß, wenn du dich aufregst“, flüsterte er ihr ins Ohr, dann trug er sie zum gemeinsamen Bett.

 

Zur selben Zeit ging Lily zu Laras Zimmer. Nachdem auf Klopfen niemand antwortete, öffnete sie die Tür.

Sie sah in einen leeren Raum. Frustriert holte sie sich in der Küche etwas Süßes zum Essen. Dann setzte sie sich in den Aufenthaltsraum.

Lily war aber nicht begeistert von der Süßigkeit. Sie war viel zu süß.

„Nadja“, brachte Lily auf einmal fassungslos hervor, „Nadja, du lebst.“

Das schlanke, braunhaarige Mädchen hinter ihr lachte. „Es war vermutlich der größte Fehler in meinem Leben gewesen dir zu vertrauen und dir zu folgen, aber ja ich lebe noch. Und ich bin froh darüber.“

Lily stimmte in ihr Lachen ein. „Ich hatte gehofft, dass du noch lebst aber nach all den Jahren habe ich nicht mehr daran geglaubt.“

Nadja war eine alte Freundin von Lily gewesen, ein normales Mädchen, dass Lily zum hohen Rat hatte bringen müssen. Jetzt arbeitete sie als Dienstpersonal.

„Der Oberste hielt mich lange Zeit gefangen“, Nadjas Stimme klang düster bei dem Gedanken daran, „ich habe seine Besprechungen belauscht und bin hier um euch zu warnen. Was hat er euch versprochen?“

„Warum, der Oberste muss auch sein Wort halten…“

„Was hat er euch versprochen!“, Nadjas Stimme klang aggressiv und unter Druck gesetzt.

„Er hat gesagt, wir könnten morgen früh nach Pangäa aufbrechen. Dann werden wir ein Doppelgesicht außer Gefecht setzten.“

„Ich würde jetzt schon gehen“, warnte Nadja sie, „ich darf nicht hier sein und ich darf dir auch eigentlich gar nichts davon erzählen, aber in den engsten Kreisen hat er abgemacht, dass er euch behalten möchte. Also lauft, lauft so schnell ihr könnt.“

„Warum sollte er uns behalten wollen? Wir sind für ihn doch nichts wert“, fragte Lily verwirrt, sie blickte nicht mehr durch.

„Ihr seid vielleicht für ihn nichts wert, doch ihr könnt auch nichts vernichten, was ihm etwas wert wäre. Du kennst das Gesetzt. Einer seiner Freunde möchte Nutzen aus euch ziehen“, sprach Nadja weiter.

„Und wie sollen wir überhaupt nach Pangäa kommen?“, fragte Lily skeptisch weiter.

„Nehmt die Wege, die ihr auch schon letztes Mal gegangen seid. Aber beeilt euch. Ich muss jetzt los, also noch viel, viel Erfolg.“

 

Bevor Nadja noch die erste Abzweigung erreicht hatte, hörte Lily schon die trippelnden Schritte des Hausmeisters.

„Äh, Herr Hausmeister“, redete Lily ihn freundlich aus dem Schatten an, „ich habe vor kurzem einen zerbrochenen Stuhl gefunden.“

Der Hausmeister fuhr sofort zu ihr herum.

Gut so, hör mir nur lang genug zu, dachte Lily und horchte wieder auf die huschenden Schritte auf dem Gang, sie waren fast verklungen.

„Und jetzt willst du mir etwa erzählen, dass du den Stuhl zerbrochen hast und ihn bezahlen möchtest“, lachte der Hausmeister. Er musterte sie scharf.

„Nein, eigentlich wollte ich ihnen das bloß der Information zu liebe gesagt haben. Aber ich hätte eine andere Frage an Sie“, nervte Lily ihn weiter.

„Die wäre“, knurrte der Hausmeister aggressiv.

„Lassen Sie die Tore nachts offen?“, fragte Lily unverwandt.

Der Hausmeister sah sie an. „Warum interessiert Sie, ein hübsches und junges Mädchen denn sowas?“, fragte er sie argwöhnisch.

„Der Oberste scheint oftmals Leute zu entlassen, wegen Dingen, die sie nicht gut genug gemacht haben. Ich wollte mich nur vergewissern, dass Sie nicht morgen auch auf der Straße sitzen.“

Der Hausmeister nickte verständnisvoll. „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Aber sehen sie mich doch an, ich bin gar nicht in der Lage diese Tore jeden Tag immer zu öffnen und zu schließen. Dafür würde es deutlich stärkere Wesen als mich benötigen und diese Wesen kosten dem hohen Rat wiederrum zu viel. Also kommen wir schlussendlich an dem Punkt an, dass die Tore Tag ein, Tag aus offenstehen und jeder rein und raus könnte.

Was aber durchaus seine Vorteile haben kann, wenn man gerade Mal fliehen muss. Ich denke, dass ich den Grund für Ihre Frage kenne, aber ich kann Ihnen nicht helfen außer mit der Information, dass die Tore an zwei Stunden am Tag nicht bewacht sind. Da sind die Wachen Wechsel, die benötigen immer eine volle Stunde.

Normalerweise werden die Wachen bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gewechselt. Zu dieser Zeit steht wirklich niemand am Tor und alle können frei rein und raus laufen. Ich hoffe ich konnte Ihre Frage beantworten.“

Der Hausmeister verneigte sich, dann ging er den nicht mehr vorhandenen Schritten weiter hinterher. „Jetzt hat mich dieses Gör auch noch von meiner Fährte abgelenkt“, knurrte er und lief tapsend weiter.

Lily jubelte innerlich. Auf dem Weg in ihr Zimmer kam ihr Lara entgegen. Lara trug immer noch ihre schwarzen Hotpants, das schwarze Top und ihre schwarzen Sandaletten. Frustriert schwang sie die langen Haare über die Schulter und ging auf Lily zu. „Gibt es bei euch immer nur diese formellen Kleider zum Anziehen?“, motzte sie.

„Pangäa ist ein eher altmodisch orientierter Planet. Dort ist es Sitte, dass Männer in Anzügen oder Hosen und Frauen in Kleidern oder Röcken erscheinen“, erklärte Lily ihr sachlich. „Mit diesen Klamotten kannst du auf gar keinen Fall nach Pangäa gehen. Dort gibt es auch kleine Kinder, die streng nach der Tradition erzogen werden. Man muss sehr darauf achten was man trägt“, fügte sie in bemängelnden Ton hinzu.

Lara schlang entsetzt einen Arm um ihre geliebten Kleider.

„Ich werde auf gar keinen Fall so ein affiges Kleid wie meine Mutter anziehen“, gab sie entsetzt von sich, „die stehen mir nämlich überhaupt gar nicht.“

Lily verdrehte genervt die Augen. „Komm mit“, wies sie Lara an. Dann machte sie sich auf den Weg in den Schmink-, Ankleide- und Waschraum.

Der Waschraum war auch bekannt als das Gemeinschaftsbad mit seiner monströsen Badewanne. Als Lara die Badewanne sah, kippte sie beinahe um. Sie hatte noch nie so etwas Gigantisches, Luxuriöses und Großes, wie diese Badewanne gesehen.

„Kipp mir ja nicht um“, ermahnte Lily sie, „ich gebe dir eine Stunde Zeit dich in der Badewanne zu vergnügen. Du kannst von mir aus Baden worin du willst, Hauptsache du bist danach sauber und wir können dich ankleiden. Deine Kleider kannst du hier in den Schrank legen, Handtücher gibt es auch hier oben in dem Schrank. Du kommst in die Badewanne über eine Leiter, über die kommst du dann auch nachher bitte wieder raus. Außer du willst natürlich hochfliegen, niemand soll dich daran hindern. Das ist bestimmt eine hervorragende Übung für dich.“

 

Nachdem Lily den Raum verlassen hatte, entkleidete sich Lara und sprang über die Brüstung. Zehn Meter tiefer kam ihr der Boden immer schneller entgegen.

„Stopp, stopp, stopp“, rief sie panisch. Doch der Boden kam immer noch schneller entgegen.

Sie streckte reflexartig eine Hand zum Boden und konzentrierte sich darauf die Luft zu verdicken. Entgegen ihrer Erwartungen prallte sie wirklich nicht auf dem Boden sondern auf verdickter Luft auf.

„Also solche Sturzflüge müssen wir noch einmal üben“, sagte sie zu sich selber und sah sich in der Badewanne um.

Sie war weiß gefliest aber ein Ring weit oben war mit goldenen Platten besetzt. Auf der anderen Seite von ihr konnte sie ein Armaturenbrett erkennen.

Sie selbst befand sich auf einer deutlich erhöhten Stelle auf der man wohl auch sitzen konnte.

Entgeistert sah sie zur anderen Seite, wie sollte sie denn bitte dorthin kommen? Sie musste dafür ja erstmal die ganze, glatte Wand ihres Podests herunterklettern. Dann erkannte sie eine sauber gearbeitete, vergoldete Treppe an ihrem Podest.

Aber warum soll ich denn bitte klettern, wenn ich fliegen kann, dachte sie sich und sprang runter vom Podest.

Diesmal achtete sie besonders auf die Luft, die sie umgab. Sie wollte einen langsamen und gleichmäßigen Sinkflug haben. Aus dem gleichmäßig wurde zwar nichts, aber sie flog schon deutlich besser als zuvor. Zufrieden mit sich selber ließ sie sich noch zum Armaturenbrett schweben.

Da sie keine Lust auf Experimente wie ‚heißer Strand‘ hatte wählte sie ein einfaches Schaumbad. In dem goldenen Ring öffneten sich überall mehr und mehr Löcher, bis sich ein gewaltiger Spalt geöffnet hatte aus dem Wasser und Schaum flossen.

Schon bald reichte das Wasser ihr bis zum Hals, aber ihr Podest stand kaum unter Wasser. Das Armaturenbrett schien mit dem Wasserspiegel zu steigen und es war für sie nicht mehr zu erreichen.

Flieg, flieg, flieg, dachte sie sich. Konzentrieren.

Damit schoss sie aus dem Wasser empor, blieb für einen Augenblick in der sicheren Luft stehen, dann flog sie zu ihrem Podest herüber.

Sie ließ sich glücklich gegen die Wand hinter ihr sinken und wusch sich das Meersalz, Sand und Dreck von der Haut und aus den Haaren.

 

„Lara, bist du fertig?“, fragte Lily als sie an die Tür klopfte.

Lara bejahte und bekam als Anweisung, sie solle einen der Frotteebademäntel überziehen und die Tür öffnen. Lara tat wie man ihr gesagt hatte und öffnete mit immer noch nassen Haaren die Badezimmertür. Lily sah sie bemängelnd an, irgendwie sah sie Lara immer so an.

„Du hättest deine Haare doch föhnen sollen“, bemängelte sie als sie Laras nasse Haare sah.

„Nein, ich würde niemals auf die Idee kommen meine Haare auch nur ansatzweise zu föhnen“, widersprach Lara trotzig, „davon gehen meine Haare immer kaputt.“

„Du bist so trotzig wie deine Mutter“, bemängelte Lily weiter.

„Ich bin stolz darauf so trotzig zu sein wie sie.“

„Da habe ich aber vor kurzem anderes gehört“, erinnerte Lily sie an den Streit. 

„Da war ich schlecht gelaunt. Und ich werde meine Haare nicht föhnen!“, widersprach Lara weiterhin trotzig.

Lächelnd legte Lily ihre Hand auf Laras Haare und saugte das ganze Wasser aus ihnen heraus. Trocken und weich fielen Laras Haare jetzt über ihre Schultern.

„Ist es so besser?“, fragte Lily sie.

„Ja, aber wie hast du das gemacht? Kann ich das auch?“, begann Lara sofort loszufragen.

Lily schüttelte lächelnd den Kopf. „Jeder ist für sein Element zuständig, ich kann schließlich auch nicht fliegen.“

Lara nickte betrübt, es wäre zu schön gewesen, wenn auch sie das Wasser beherrschen könne. Sie fand das Wasser so viel anmutiger, schöner, eleganter und vor allen anderen Dingen edler als die Luft.

„Ich weiß, dass dir das Wasser gefällt. Es gibt wenige Leute denen es nicht gefällt, also sei beruhigt, dass du zumindest mit ihm verbunden bist“, sagte Lily ihr lächelnd und fuhr ihr mütterlich besorgt durch die Haare.

„Ich mag es nicht, wenn fremde Leute in meinen Haaren rumfuhrwerken“, bemerkte Lara gereizt.

Lily verstand die Aufforderung und nahm ihre Finger aus Laras Haaren.

„Gehen wir jetzt in den Ankleideraum?“, fragte Lily sie. Lara nickte und verließ fast schon widerwillig den großen Baderaum.

 

Lara staunte nicht schlecht als sie die komplett verspiegelte Wand im Nachbarraum sah.

„Schwarz würde dir gut stehen“, sagte Lily und ging auf die Wand zu die den Raum in der Diagonalen teilte.

Als Lara ihr durch die verspiegelte Wand folgte, fand sie sich in einem großen mit Spanplatten verkleideten Raum wieder. Überall waren Kleiderständer, kleine Tischchen mit Kleidern drauf, Kommoden mit Unterwäsche, Schuhregale oder Glasvitrinen mit Schmuckstücken.

„Willst du ein Kleid oder einen Rock tragen?“, fragte Lily Lara. Diese blickte die Röcke und Kleider skeptisch an.

Entweder es waren Wickelkleider oder Kleider die gestützt werden mussten.

„Ehrlich gesagt würde ich sagen, du schaust erst nochmal bei den Röcken. Deiner Mutter haben die Kleider hier besser gestanden als dir“, bemerkte Lily.

Also nickte Lara zustimmend und wandte sich eher nach links. Lily suchte für Lara einen schwarzen Bleistiftrock raus. Der Rock passte Lara wie angegossen. Dazu suchte Lily ein weißes, kurzärmliges Oberteil raus. Das Hemd war stark tailliert und betonte Laras ziemlich weibliche Figur.

„Wie gefällst du dir bisher“, fragte Lily sie.

„Ich habe keinen Spiegel“, antwortete Lara sachlich, „aber es fühlt sich einigermaßen gut an. Eben ziemlich ungewohnt, aber ich kann mich damit abfinden.“

Lily nickte zufrieden und führte sie zu den Schuhen. Zuerst wollte sie Lara in ein paar schwarze Sandalen stecken, aber diese weigerte sich.

„Kann ich nicht einfach meine schwarzen Sandaletten tragen?“, fragte sie Lily.

Lily musterte die Schuhe. „Naja, es könnte schon gehen. Wie viel haben sie den gekostet?“, fragte sie vorsichtig.

„Ist doch egal“, antwortete Lara und schlüpfte sofort wieder in ihre geliebten Sandaletten.

„Eigentlich sollten Mädchen in deinem Alter ja noch keine so hohen Absätze tragen“, kommentierte Lily wieder. Dafür bekam sie einen abwertenden Blick von Lara.

„Du siehst aber auch nicht viel älter aus als ich“, antwortete Lara böse.

Das hätte sie lieber nicht gesagt. Lilys Antlitz zerfiel vor ihren Augen. Die langen braunen Haare wurden grau, dann wurden sie weiß und fielen alle nacheinander aus. Ihr Gesicht veränderte sich auch.

Das Gesicht einer Sechzehnjährigen fiel herunter, es wurde blass, dann gräulich, sie bekam unzählbar viele Falten, nur ihre Augen veränderten sich nicht.

Ihr einst schöner Körper zerfiel und wurde mehr zu einem Skelett als zu dem Körper einer Frau. Sie schrumpfte aber auch als sie aussah wie eine Tote, hörte sie noch nicht auf zu altern.

Lara begann zu schluchzen. „Hör auf, bitte hör auf“, flehte sie und berührte vorsichtig Lilys zitternde und fast schon zerfallenen Hand.

Lilys Stimme glich nur noch einem Krächzen als sie sagte: „Siehst du, dass ich alt bin? Sehr alt. Und ich bin noch nicht am Ende meiner über 2000 Jahre.“

Doch wie Lara es sich gewünscht hatte, hörte das ständige Altern auf und wurde wieder jünger.

Ihre Falten verschwanden mit einem Lächeln auf den Lippen, ihr Atem wurde wieder ruhiger, ihre Figur normalisierter sich wieder und ihre Haare wuchsen wieder an.

Lara schloss die Augen um das grauenhafte Bild der gealterten Lily zu vergessen.

Als sie die Augen wieder aufschlug war alles, das noch von der gealterten Lara übrig war ihre Augen. Ihre Augen sahen nicht aus wie die einer Sechzehnjährigen, sondern sie waren wie tiefe Tunnel.

Auf einmal sah Lara nicht mehr die Augen eines jungen Mädchens, sondern die Augen einer unsterblichen Frau, welche die Tiefen und Höhen der Welt bereits erlebt aber noch immer nicht verstanden hatte.

„Kann Mama sich auch so gruselig verändern?“, fragte Lara vorsichtig. Sie war sich nicht ganz sicher ob sie die Antwort hören wollte.

„Natürlich kann sie das auch“, lachte Lily. „Das kann jede von uns. Schließlich kann sie auch aussehen wie sechzehn, auch wenn sie in echt viel, viel älter ist.“

Lara nicke verständnisvoll. „Eine Frage, habt ihr hier sowas wie Schminke?“, fragte Lara vorsichtig um das traurige Thema zu wechseln.

Lily lachte. „Junge Mädchen“, lachte sie, „natürlich haben wir Schminke. Denkst du wirklich wir würden uns nie schminken?“ Lara nickte heftig mit dem Kopf.

„Du einfältiges Kind“, lachte Lily weiter, „komm mit.“

Lara folgte ihr in den nächsten Raum. Im nächsten Raum befand sich ein riesiger Schminktisch. Neben dem Tisch befand sich ein kleines Nagelstudio.

Über dieses Nagelstudio entstand eine heftige Diskussion zwischen Lara und Lily. Das junge Mädchen konnte einfach nicht verstehen, dass in Pangäa ganz andere Dinge gerne gesehen wurden, als auf dieser Welt.

Am Ende endete es darin, dass Lara trotzig auf dem Schminkstuhl lümmelte und Lily machen ließ was sie wollte.

Diese begann zuerst den geliebten schwarzen Nagellack von den Nägeln zu entfernen. Lara sah bekümmert zu, wie ihr geliebter Nagellack abgetragen wurde. Nicht viel später und Lara glich mehr einer ladyhaften Barbie als dem trotzig, rebellischen Teenager der sie noch vor kurzem gewesen war.

 

„Es muss reichen“, meinte Lily zufrieden, „holst du deine Eltern? Wir sollten heute noch gehen.“

Lara sah sie fragend an. „Aber der Oberste hat doch gesagt dass wir bleiben können. Solange bis er uns morgen schicken wird.“

„Der Oberste baut oftmals Fallen die man erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt“, erklärte Lily, „er hat auch uns schon wieder eine Falle gestellt. Ich habe sie erst erkannt als mich jemand darauf hingewiesen hat. Ich schäme mich dafür, dass ich es erst so spät mitbekommen habe.“

Lara sah Lily erstaunt an. „Aber wenn du so weise bist. Wie kann er dir dann eine Falle stellen?“, fragte sie neugierig.

„Ich bin vielleicht weise, aber ich besitze nur halb so viele Berater und ich habe auch nur ein halb so schwarzes Herz wie er. Ich verstehe nicht, warum er uns gefangen nehmen will, aber ich weiß, dass hinter dieser Falle ein schwarzer, dunkler Plan steckt“, sagte Lily, „es weiß noch keiner davon. Dieser Verrat reicht vermutlich tief. Wir müssen auf jeden Fall heute fliehen. Bevor er uns gefangen nehmen kann.“

Lily sah die Wand an. Dann neigte sie den Kopf.

„Er darf nicht mitbekommen wann wir gehen, oder?“, fragte Lara.

„Das Tor ist bei Sonnenuntergang unbewacht, dann können wir gehen. Er muss glauben, dass wir noch da wären. Auf keinen Fall darf er mitbekommen, wann wir gegangen sind. Wir sollten in Pangäa sein bevor er mitbekommt, dass wir gegangen sind“, antwortete Lily monoton.

„Warum sollten wir in Pangäa sein?“

„Wir bestehen fast schon aus Pangäa. Wenn wir auf diesem Planet sind, sind wir unschlagbar. Dann können wir nur besiegt werden von Dingen, die auch aus Pangäa kommen.“

„Der Oberste kommt doch aus Pangäa, oder nicht?“, fragte Lara verwirrt.

„Es würde ihn freuen, wenn er aus Pangäa kommen würde, aber er kommt nicht aus Pangäa. Er ist ein ganz normaler Mensch. So wie du es vor kurzem warst. Aber das ist jetzt auch egal. In Pangäa musst du noch sehr viel lernen. Du musst ausgebildet werden. Wir treffen uns kurz vor Sonnenuntergang in den Gemeinschaftsräumen. Sorg dafür, dass du das Nötigste für dich dabeihast“, wies Lily sie an.

Damit verließ Lily das Zimmer. Lara folgte ihr und sah aus dem Fenster. Ihr Gesichtsausdruck entglitt ihr ebenso wie der von Lily.

„Scheiße“, war alles was Lily noch hervorbrachte. Dann sandte sie einen Notruf aus. Den Notruf konnten nur diejenigen hören, die selber elementare Kräfte besaßen oder ein Orakel waren.

Kommt sofort zum großen Tor, besagte der Notruf.

Dann rannte Lily zusammen mit Lara zum großen Tor.

4. Überstürzte Flucht

 

Pünktlich in der letzten Minute des Sonnenuntergangs trafen sich die vier Elemente und Jack vor dem großen Tor.

Da keine Zeit für viele Erklärungen blieb, sprach Lily einfach schnell den Schutzzauber und ließ sich ins Wasser gleiten. Kurz nachdem Hanna ins Wasser geglitten war, hörten sie die Stimmen der neuen Wächter über sich: „Immer lässt dieser bescheuerte Hausmeister die Tore offen. Theoretisch könnte jede Sekunde ein Feind des hohen Rates hineinschwimmen und den Rat vernichten“

Der zweite widersprach ihm: „Nein, erstens müssten sie davor an uns vorbei und wir sind bekannt dafür, dass wir breiter als der Türsteher sind, und zweitens sind da noch diese komischen Schutzschilde.“

„Ja, schon. Aber wenn einer die komischen Schutzschilde überwinden kann, dann kommt er auch an uns vorbei. Außerdem verstehe ich nicht, warum man Millionen für solche Toren ausgibt und sie dann doch nie schließt.“

„Vielleicht war der Oberste gerade in seiner Midlifecrisis.“

Der erste Wächter stimmte in das herzhafte Lachen ein. Lily steckte ihren Kopf aus dem Wasser und sah was los war.

In dem Tor standen, hinter der wasserdichten aber durchsichtigen Barriere, zwei Wächter. Beide waren sehr groß und deutlich untersetzt.

„Guck mal“, rief der erste, der größere Wächter, „da ist wieder eine dieser Meerjungfrauen. Komm mal her.“

Stattdessen spielte Lily die unschuldige Meerjungfrau und senkte bescheiden den Blick. Dann ließ sie sich wieder komplett ins Wasser gleiten.

„Siehst du, für nichts sind diese Meereswesen gut“, sagte der Oberste, „da sind mir doch diese Hai Wesen, die auch dort vor der Haustür schwimmen lieber. Die sind wenigstens für was gut.“

Der zweite Wächter lachte wieder. „Sie sind dir solange lieber bis sie dich gefressen haben.“

Lily und ihre Freunde lauschten den letzten Worten besorgt. „Mist“, sagte Lily, „ich hatte die Hoffnung, dass es sich bei dem Haimensch den wir vor sechzehn Jahren gesehen haben um den einzigen gehandelt hat.“

Isabell zeigte nach vorne. „Ich möchte deine Hoffnung jetzt ja nicht zerstören, aber das da vorne sieht nicht danach aus“, sagte sie.

Dabei deutete sie auf einen maroden Zaun, der als einziger Schutz vor den Bestien dahinter diente. Hinter dem Zaun standen, in diesem Fall eher schwammen, weiße Haie mit menschlichem Verstand.

Diese Haimenschen waren mehr als nur grauenhafte Bestien. Sie fraßen Menschen, jagten sie aber waren im Kopf trotzdem Menschen.

„Wir sollten probieren an diesen Bestien vorbeizukommen. Ohne größere Verluste“, schlug Isabell vor.

Lily nickte zustimmend. „Welch ein großartiger Vorschlag…“

Isabell grinste und sagte: „Ich weiß.“

Als sie probierten an dem großen Haifischkäfig vorbei zu schwimmen, drehten sich die Haie um. Isabell vernahm ihre Stimmen. Haie können reden, dachte Isabell.

„Ich rieche an dir Blut“, zischte einer der Haie Lily an, „ich rieche das Blut meines Bruders. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Seit ungefähr sechzehn Jahren nicht mehr. Was hast du ihm angetan?“ Lily sah den Haimenschen an. „Dein Bruder ist tot. Widersetzt euch dem Obersten. Denn er ist schuld an dem Tod deines Bruders.“

Die Haie zischten und fauchten. „Nein, dieser Mensch ist der einzige der uns akzeptiert. Ich werde mich niemals gegen ihn wenden!“, fauchte der Anführer der Haie.

Lily sah das verstümmelte Wesen mitleidig an.

„Du kannst mir folgen und ich mache dich zu dem, was du sein willst. Du musst mir nur folgen und mir vertrauen. Kannst du das?“, fragte sie das Wesen.

„Wir haben doch schon einen Meister. Hast du nicht verstanden? Ich will dir nicht folgen. Was bist du? Wofür hältst du dich?“, fragte er sie.

Lily sah ihn lange nachdenklich an. „Schwöre bei deinem Herrn, dass du es niemand in diesem Haus erzählen wirst“, sagte sie schließlich.

„Es muss dir wirklich sehr wichtig sein, wer du bist.“

„Es ist sehr wichtig“, antwortete Lily zögernd.

„Dann sollte ich jetzt vielleicht schon Alarm schlagen“, drohte der Haimensch

„Ich kann dir alles nehmen, das du hast“, drohte Lily zurück.

„Was willst du mir noch nehmen?“, fragte der Hai spöttisch.

„Das einzige, an das du dich erinnern kannst. Vielleicht möchte ich dir deine Erinnerungen nehmen.“

Der Haimensch zuckte zurück. „Ich werde dich nicht melden. Nicht weil ich Mitleid oder andere Gefühle für dich hätte, sondern weil ich dich töten möchte“, lächelte der Haimensch.

Dann rammte er sich gegen den instabilen Zaun.

„Schwimmt, schwimmt“, schrie Lily panisch und schnappte sich Esmeralda und Hanna. Mit den beiden an der Hand preschte sie durchs Wasser.

Isabell schnappte sich panisch Jacks und Laras Hand. Dann preschte sie Lily hinterher. Hinter sich hörte sie, wie der Haimensch sich wieder gegen das Tor warf.

Noch hielt das Tor.

Isabell gab sich größte Mühe keine der beiden Hände loszulassen und nun langsam zu Lily aufzuschließen.

„Lily, du bist doch die Herrin des Wassers. Warum machst du uns nicht einfach schneller?“, fragte sie ihre Freundin keuchend.

„Geht nicht, zu viel Anstrengung“, keuchte Lily.

Das ergab nicht wirklich viel Sinn, weil sie sich gerade fast totschwamm, aber Isabell wollte sie nicht drängen irgendetwas zu tun, was sie nicht tun wollte. Trotzdem war wohl auch Lily zu der Überzeugung gekommen, dass ihre Entscheidung etwas schwachsinnig war. „Na was soll’s“, keuchte sie.

Einen Moment später schossen die beiden Meerjungfrauen mit ihren Schwimmgefährten wie Blitze durchs Wasser.

„Wow, das ist voll cool“, lachte Lara gerade als hinter ihnen das Gatter der Haimenschen zerbrach.

Lily vernahm es im Schwimmrausch kaum, aber Isabell bemerkte es mehr als deutlich.

„Schwimm schneller“, schrie sie Lily an. Lily blickte sich kurz um, sie wollte den Grund für Isabells Reaktion sehen. Als sie die Haimenschen hinter sich sah, fluchte sie laut. Trotz aller Bemühungen nahm der Abstand zu den Haimenschen immer mehr ab.

„Lily, das ergibt nicht wirklich Sinn, oder?“, schnaufte Isabell. Sie konnte nicht mehr lange mit Lily mithalten, da ihre Tochter wie ein Stein an ihrer Hand hing.

„Arbeite doch mal mit“, motzte sie Lara an und beschleunigte ihre Schwimmbewegungen noch einmal.

Lara probierte verzweifelt sich ihrem Schwimmrhythmus anzupassen aber es gelang ihr genauso wenig, wie es Jack gelang. Die beiden baumelten wie auch Hanna und Esmeralda als zusätzliche Last an den Händen ihrer Führer.

„Lily“, keuchte Isabell nochmal, „kannst du keinen Wasserschild erstellen?“

Lily fluchte nochmal. Sie ließ Hanna und Esmeralda los, drehte sich um und schleuderte etwas durchs Wasser. Was auch immer es gewesen war, es traf den Anführer der Haimenschen an der empfindlichen Schnauze. Der Haimensch drehte ab.

Er wird uns von der Seite attackieren, kombinierte Isabell blitzschnell.

„Lily, Seite decken“, brüllte sie.

Sie konnte nicht sehen was ihre Freundin machte, sie sah nur aus den Augenwinkeln ein blaues Aufblitzen. Dann spürte sie Erschütterungen, die die ganze Wasserlandschaft erschütterten.

„Was hast du gemacht?“, fragte sie Lily.

Als sie an Lily vorbei sah, stockte ihr der Atem. Hinter Lily schwammen die Leichen von mindestens dreißig Haimenschen.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Isabell unsicher. Sie wollte die Antwort eigentlich nicht wissen. „Ich habe sie mit einem Blitz abgeschossen“, antwortete Lily todernst.

„Und warum leben wir noch?“, fragte Isabell.

„Ich beherrsche das Wasser, denkst du wirklich ich könnte nicht aussuchen, wen ich töte? Oder willst du lieber tot sein?“, fragte Lily sarkastisch.

„So war das auch nicht gemeint“, antwortete Isabell kleinlaut.

Lily nickte. Dann blickte sie zu den restlichen Haileuten, die noch lebten. Diese kauerten wütend am Rand ihres Blickfeldes.

„Soll ich sie umbringen, oder nicht?“, fragte Lily Isabell.

Isabell blickte die Wesen unsicher an. „Sie haben uns nichts getan“, antwortete sie schließlich.

Lily sah sie zweifelnd an. „Sie hätten aber auch nicht gezögert uns zu töten“, warf sie ein.

„Du kannst sie töten, wenn du willst aber ich sehe keinen Grund sie zu töten“, antwortete Isabell ehrlich.

„Sie könnten uns verraten“, gab Lily zu bedenken.

„Trotzdem haben sie uns nichts getan. Ich sehe keinen Grund unschuldige Wesen zu töten.“

„Isabell, sie können uns verraten“, widerholte Lily sich.

„Das ist dein Element. Wenn du gedenkst sie zu töten, dann töte sie. Aber ich halte es nicht für klug sie zu töten. Vielleicht könnten sie uns helfen.“

Lily sah die Wesen an. Sie streckte ihre Hand aus, spreizte die Finger, dann schloss sie die Hand wieder. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann sie nicht töten.“

Sie schwamm auf einen der Haimenschen zu. Dieser schnappte wütend nach ihr, probierte aber nicht ernsthaft sie zu töten.

„Ich gebe euch mein Versprechen. Ihr seid frei“, sprach Lily, „wenn ihr euren Meister auf immer verlasst und euch nicht dazu herablasst noch einmal zu ihm zu gehen.“

Der Haimensch sah sie fragend an. „Du meinst“, gab er schließlich von sich, „dass wir nie wieder unschuldige Leute jagen müssen, uns nicht mit den Küchenabfällen von Leuten begnügen müssen und ein besseres Leben haben werden?“

Lily nickte. Der Haimensch nickte. Dann sah er sie mit scharfen Blick an.

„Du hast dreißig meiner Brüder getötet. Nur zehn hast du am Leben gelassen. Erscheint dir dein Angebot eine faire Entschädigung zu sein?“, fragte er.

Lily schüttelte den Kopf. „Das mit deinen Brüdern tut mir leid. Such dir einen weiteren Wunsch aus.“

Der Haimensch verjagte sie wütend aus seinem Revier. Dann beriet er sich mit seinen neun verblieben Brüdern. Es vergingen Stunden im kalten Wasser.

Es spürte zwar keiner der Menschen etwas davon, aber sie wussten, dass ihnen die Zeit langsam ausging. Der hohe Rat würde früher oder später erfahren, dass sie geflohen waren. Als Lily die Haimenschen gerade zu Eile treiben wollte, entschieden sie sich.

„Wir wollen“, begann der Haimensch fordernd „eines von beiden sein.“

Lily sah ihn verwirrt an. „Ihr wollt was?“

„Wir wollen entweder Mensch oder Hai sein. Nicht mehr beides. Beides passt nicht zusammen.“

Lily sah den Haimenschen an. Dann hob sie die Hand und begann unverständliche Worte zu murmeln. Gleichzeitig errichtete sie einen Schutzschild um ihre Freundinnen und sich. „Möget ihr erlöst sein“, war ihre letzten Worte. Dann sprang sie hinter ihren Schutzschild.

„Können uns die Haie sehen?“, fragte Isabell und spähte vorsichtig aus dem Schutzschild raus.

„Der Schutzschild ist bewegbar. Er schützt uns vor feindlichen Blicken und Angriffen aller Art.“ Isabell blickte den Schutzschild dankbar an.

„Kann uns der Schutzschild auch runter zum Meeresboden fliegen?“, frage Isabell neugierig. Lily blicke ihren Schutzschild nachdenklich an. Dann fügte sie schnell noch einen Boden und einen Deckel an. „Ich denke nicht, dass es gehen wird. Aber eventuell werden wir jetzt noch besser geschützt sein“, sagte Lily, „ich kann unter Wasser keine Strömung erschaffen, wie du Wind an der Luft.“

Sie probierte aus ihrem Schutzkäfig rauszugucken, aber es gelang ihr nicht. „Mist“, schimpfte sie.

Isabell sah ihre Freundin besorgt an. „Was ist denn?“, fragte sie mitfühlend.

Lily sah sie wütend an. „Wenn zehn Haie gleichzeitig diesen Käfig angreifen, wird er nicht standhalten. Deshalb würde ich sie gerne sehen, aber es geht nicht!“, erklärte sie.

„Warum geht es nicht?“

„Ich kann die Haie spüren, ich weiß, dass sie ganz in der Nähe sind. Aber sieh selber.“

Lily trat einen Schritt von der Außenseite weg, so dass Isabell rausgucken konnte. Isabell sah in die Tiefen des unendlichen Ozeans. Sie konnte Quallen erkennen. Aber sie konnte nirgends einen der Haie erkennen.

„Wo sind die Haie hin verschwunden?“, fragte sie.

In diesem Moment schrie Lara auf. Sie deutete auf die Fußplatte und unter sich konnte Isabell erkennen, wie eine Gruppe von zehn weißen Haien auf den Käfig zuschoss. Ihr reichte die Zeit zum Schreien nicht mehr.

Die ersten Haie prallten gegen den Boden. Dann schwärmte die Haigruppe auseinander. Zurück blieb eine zerstörte Bodenplatte. Lara weinte und drückte sich gegen Jack. Auch Lily konnte ihre Verstörtheit nur schwer verstecken.

„Was können wir tun?“, fragte Isabell panisch.

Lily schüttelte zur Antwort den Kopf. „Wir können gar nichts tun. Außer beten.“

Isabell sah betend aus dem Fenster. Als sie gerade glaubte, dass die Haie verschwunden wären, kamen sie zurück.

Diesmal von der Seite. Lara begann erneut zu schluchzen und Isabell bereitete sich auf eine erneute Erschütterung vor. Lily bündelte ihre Kräfte und verstärkte die Mauern des Käfigs noch einmal. Hanna und Esmeralda saßen still auf dem Boden.

„Alles wird gut“, flüsterte Jack seiner Tochter ins Ohr und umarmte sie, wie er es das letzte Mal getan hatte, als Lara ein kleines Kind gewesen war.

„Du musst nicht probieren mich zu trösten“, antwortete Lara schluchzend. Aber Jack hörte ihr gar nicht zu.

Die Haigruppe teilte sich nach rechts und nach links auf. Es dauerte nicht lange und von jeder Seite des Käfigs kamen Haie angeschwommen.

Die Scheiben bekamen Sprünge unter dem Aufprall der Haie. Isabell betete dafür, dass die Scheiben noch ein bisschen halten würden. Lily ließ eine Menge Energie in die Scheiben fließen, schloss die Risse und verdickte die Wasserwand noch mehr.

„Woraus bestehen die Scheiben?“, fragte Isabell.

Lily antwortete zwischen zusammengebissen Zähen: „Aus meiner Energie und dem Wasser.“

Es herrschte eine kaum auszuhaltende Spannung in dem Raum während Lilys Gesicht immer älter wurde und ihre Haare ergrauten.

Dann kamen die Haie wieder zurück und krachten nochmals mit voller Wucht in die Scheiben.

Der ganze Raum bebte noch mehr unter diesem Aufprall. Isabell fühlte sich in ihrer Meerjungfrauengestalt unwohl, aber sie wagte nicht in eine menschliche Gestalt zu wechseln und Lilys Energiereserven zu strapazieren.

Die Haie formatierten sich schon wieder zu einem neuen Angriff.

Lily arbeitete immer noch an ihren Scheiben.

Hanna war die Erste, die ihre Hand auf Lilys Arm legte und ihre Energie in Lily überfließen ließ.

Lily nahm die angebotene Energie dankend an und reparierte die Scheibe schneller.

Allerdings nicht schnell genug, denn die Haie kamen schon wieder angeschwommen.

Bitte, bitte, bitte. Haltet, ihr müsst halten, dachte Isabell.

Dann legte auch sie eine Hand auf Lilys Arm und ließ sie auf ihre Energie zugreifen. Lily verstärkte die Scheiben. Ihr Gesicht glich jetzt mittlerweile dem einer Hundertjährigen und auch das Gesicht von Hanna und Isabell war stark gealtert. Esmeralda ließ zusätzlich Energie in die Scheiben fließen um sie mit der Wärme des Feuers zu härten.

Nach diesem Angriff sprangen einzelne Stücke der Scheibe raus.

„Die Haie geben nicht auf“, weinte Lara.

Jack legte auch einen Arm auf Lily und Lara machte es ihm nach. Ein schwacher Schimmer erhellte den Raum. Die vielen Energien die zusammenwirkten gaben Lily Mut. Mit einem letzten großen Aufwand stabilisierte sie die Scheiben vollständig.

Dann sackte sie zusammen und blieb reglos an der Außenwand ihres Schutzkäfigs liegen. Isabell vergaß die Haie und alles um sie herum und stürzte zu ihrer Freundin.

„Lily, ist alles okay bei dir?“, fragte sie bestürzt. Lily schlug langsam die Augen auf. Sie hatte eine Glatze und ihr Gesicht zerfiel fast.

„Isabell“, murmelte sie, „du siehst alt aus.“

Isabell lächelte. Dann kamen die Haie wieder angeschwommen und krachten mit all ihrer Kraft gegen den Schutzkäfig. Isabell spürte kaum noch eine Erschütterung. Auch waren in dem Glas keine Risse zu sehen. Stattdessen sah sie im Waser die Leichen von zehn Haien schwimmen.

„Wir sollten uns diese Scheiben als Geschäftsidee überlegen“, sagte Lily noch mit einem schwachen Lächeln, dann schloss sie ihre Augen wieder und sank in einen tiefen Schlaf.

Hanna lag auch schon auf dem Boden und schlief, Esmeralda legte sich neben sie, Jack und Lara lagen am Boden und schliefen.

Isabell probierte sich wach zu halten um das Schutzgefäß im Notfall zu verteidigen, doch ihr Plan schlug fehl und sie sank neben Lily zu Boden. Dann sank auch sie in unruhige Träume.

 

„Keine von diesen lächerlichen, kleinen Bestien wird mir morgen entkommen“, lachte der Oberste.

Die Vertreter der Elemente waren nicht im Besprechungssaal, dafür aber ein fremder Mann. Er hatte ein vernarbtes Gesicht, trug zerlumpte Klamotten und einen merkwürdigen Ring der eine Frau mittleren Alters abbildete.

„Sie haben Recht“, meldete sich der Fremde zu Wort, „keine dieser Gören wird Ihnen entkommen. Und dann können wir ihre Macht endlich für immer eindämmen.“

Die Stimme des fremden Mannes klang merkwürdig kratzig. Isabell konnte das Pochen in ihren Ohren spüren, als sie diese Stimme hörte.

„Aber bevor es so weit ist, gehen wir noch einmal unseren Plan durch“, kommandierte der Oberste und rief den Fremden zu sich.

Er ging bereitwillig zum Obersten. „Morgen werden sie darauf bestehen, dass wir sie gehen lassen. Nach Pangäa. Um ihr Doppelgesicht zu jagen.“

Das Lachen des Obersten erschütterte die Wände.

Der Fremde grinste. Er schien wohl nicht viel von dem Plan zu halten. „Du vergisst, dass es die vier Elemente sind“, warf er ein.

Der Oberste sah ihn grob an. „Und das heißt?“

„Man kann die vier Elemente nicht einfach gefangen nehmen.“

„Stimmt, aber meine Haimenschen können das bestimmt.“

Gut, er weiß weder von unserer Flucht noch weiß er davon, dass seine Haimenschen gestorben sind, dachte Isabell und freute sich still.

„Ihre Haimenschen. Eine grandiose Idee. Aber ich zweifle nicht daran, dass Lily sie umgehend in normale Haie oder Menschen verwandelt. Oder sie sofort tötet.“

Der Oberste warf ihm einen bitterbösen Blick zu. „Was willst du damit sagen?“

„Ich will nur sagen, dass wir sie nicht gefangen nehmen können, wenn sie ihre Kräfte noch haben. Wir müssen sie ihnen auslaugen. Am besten in dem wir sie ermüden. Ihre Körper könnten wir dann benutzen.“

„Wofür willst du ihre Körper benutzen?“, fragte der Oberste äußerst interessiert.

„Für den Freikauf meiner Seele, wenn Ihr versteht mein Lord.“

Der Oberste nickte ihm wohlwollend zu. „Ihr dürft ihre Körper benutzen, für was immer Ihr wollt. Solang ich ihre Macht zugesprochen bekomme. Darf ich fragen wovon Ihr eure Seele freikaufen müsst?“

Der Fremde seufzte und blickte den Obersten an. „Erst einmal sollten wir dieses ständige Wechseln zwischen Du und Sie lassen. Ich bin Tiran, oder auch…“, er unterbrach sich und wedelte mit dem Ring. Der Oberste nickte.

„Nun Tiran, ich bin Jonathan.“ Tiran nickte Jonathan zu.

„Man sollte dich nicht Jonathan sondern Luzifer nennen. Denn auch du setzt dich mit Göttern, denen du dienst gleich und probierst dich von ihnen zu befreien.“

„Aber ich werde gegenüber ihnen siegen“, antwortete Jonathan.

Für mich wird er trotzdem immer der Oberste bleiben. Oder der Fettsack, dachte sich Isabell.

Jonathan und Tiran tauschten noch ein paar Höflichkeiten aus, dann kam Tiran endlich zu den wichtigen Dingen. „Jonathan, wir haben uns heute nicht zusammengesetzt um eine neue Freundschaft zu schließen. Auch wenn dies gelungen ist und wir uns mit gegenseitigem Respekt und Freundschaft behandeln. Ich denke wir sollten uns dem Plan die Elemente zu entehren wieder widmen.“

Aha, er möchte uns also nicht tot sehen, sondern nur entehrt.

„Nein, mein Freund. Du hast mir noch nicht erzählt wovon du deine Seele freikaufen musst. Ich weiß nur, dass es dir sehr wichtig sein muss.“

„Ich habe eventuell ein paar Menschen die Isabell und ihren Freunden nahe standen ermordet“, er unterbrach sich kurz um Isabell und ihre Freunde zu verfluchen, „dann hörte ich von deinem grauenhaft guten Plan. Er gefiel mir so gut, dass ich begann ihn in die Tat umzusetzen. Aber ich band meine Seele an etwas, an eine imaginäre Person.

Um diese Person endgültig auflösen zu können, muss ich meine Seele von ihr freikaufen. Diese imaginäre Person muss richtig entstehen. Sie wird nur den Jungen aus der Gruppe wollen, sich aber bestimmt auch über seine Freunde freuen.“

Der Oberste lachte wieder grauenhaft. Diesmal stimmte auch Tiran ein. „Man sollte dich nicht Tiran nennen, mein Freund. Du solltest Tyrann genannt werden oder noch besser, Teufel.“

Tiran konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Tiran klingt zumindest mehr nach Tyrann oder Teufel als Jonathan nach Luzifer.“

„Stimmt. Lass uns auf deine geniale Vorarbeit trinken.“

Der Oberste und Tiran stießen ihre Sektgläser an.

„Wenn wir die Elemente entmachtet haben, werden wir uns zwei Traumkörper leisten. Die entsprechenden Damen könnten gleich mitkommen“, lachte Tiran.

Er war von der Figur her das Gegenteil des Obersten. Während der Oberste einfach nur fett war, war Tiran abgemagert. Doch in seinem abgemagerten Gesicht leuchteten zwei gemeine und hinterlistige schwarze Augen.

„Diese Idee gefällt mir. Doch nun erzähl deinen Plan.“ Der Oberste sah ihn jetzt fordernd an. Nun erkannte man das erste Mal, dass der Oberste eigentlich ganz intelligent sein konnte.

„Also, ich habe mir das so vorgestellt. Dieser Jack hat sich in unsere liebe Charlotte verliebt. Charlotte ist die imaginäre Person, von der ich mich freikaufen muss. Wenn Charlotte sich Jack nimmt, wird sie ihn behalten wollen. Aber er hat für uns sowieso keine Funktion. Charlotte kann mit den anderen Körpern machen was sie möchte, aber wir werden die Könige, die Götter dieser erbärmlichen Welt sein.“

„Dieser Plan ist genial, lass uns auf deine Genialität trinken. Wofür braucht man eine Isabell, eine Lily, seine besten Berater oder auch eine Hanna, wenn man dich hat?“

Sie stießen ihre Gläser wieder an.

„Man braucht sie um an seine individuelle Macht besser ranzukommen“, kommentierte Tiran.

„Lasst uns mal unseren Jack holen“, murmelte der Oberste, „Tiran, du kannst dich ja schon mal in die reizende Charlotte verwandeln.“

Bitte nicht, bitte nicht, betete Isabell als sie diese Worte hörte.

„Diener“, rief der Oberste in kommandierendem Ton, „holt mir Jack!“

Der Diener verschwand. Nach einigen Minuten kam er zurück. „Der Herr befindet sich nicht auf dem ihm zugewiesenen Zimmer.“ Der Oberste kochte fast vor Wut.

„Sucht in dem Zimmer seiner Frau!“, befahl er. Als der Diener das Zimmer verlassenen hatte, fauchte er zu Tiran: „Wie dumm manche Leute doch sind.“ Als der Diener wieder alleine kam, wurde er langsam sehr wütend.

„Wo ist dieser Schwachkopf?“, brüllte er den Diener an.

Dieser stand mit käsigem Gesicht da und stotterte: „ Der gewünschte Herr befand sich auch nicht in dem Zimmer seiner Frau, mein Lord.“

Der Oberste brüllte fast vor Wut: „Lasst eine Durchsage schicken, ich will diesen…“

 

„Izzy, wach auf. Wir können nicht noch mehr Zeit verlieren“, weckte Lily sie auf. Isabell zitterte am ganzen Körper.

„Lily, er weiß von unserer Flucht. Wir müssen schwimmen. Sofort!“, schrie Isabell hysterisch.

Lily dachte nicht lange nach. Sie schnappte sich Hanna und Esmeralda und schoss wie der Blitz davon. Isabell schnappte sich Jack und ihre Tochter, dann folgte sie.

„Halt“, japste hinter ihnen eine bekannte Stimme.

Isabell legte einen weiteren Gang zu. „Isabell, halte an!“, donnerte die Stimme hinter ihr. „Ihr seid nicht befugt weiter zu schwimmen. Der hohe Rat hat dies veranlasst!“

Lily ließ sich durchs Wasser treiben um abzustoppen. Hinter Isabell schwamm eine alte Freundin. Seline. „Seline, der Oberste jagt uns. Wir müssen vor ihm fliehen. Also bitte, lass uns weiterschwimmen“, bat Lily Seline.

Seline blickte ihre Gefährten an. Dann blickte sie zu Lilys Truppe. „Ihr seid meine Herrin“, sagte sie schließlich, „Königin des Meeres. Ich lasse euch passieren. Aber bitte, lasst mich nicht die Schmerzen und Foltern ausstehen.“

Lily sah ihre alte Freundin an. „Komm mit mir nach Pangäa. Dir wird dort nichts passieren.“

Seline redete schnell auf ihre Gruppe ein. Dann schüttelte sie den Kopf. „Wir können dir nicht folgen. Unser Platz ist hier.“

Lily nickte ihnen wohlgesinnt zu. Es waren nur noch einige Meter bis zum Meeresboden. Als sie ihn erreichten, legten sie alle ihre Hände aufeinander und wünschen sich nach Pangäa. Jeder an den Ort den er am meisten vermisste. Dann schoss ein Blitz aus ihrer Hand und schoss hoch in den Himmel.

 

Tiran blickte auf den Blitz. „Sechzehn Minuten, die wir nichts tun können. Dann sind sie in Pangäa und unsere Falle wird zuschnappen“, lachte er.

5. Zuhause

 

Als Isabell aus dem Wasser auftauchte, war alles, das sie fühlte Glück. Wie auch bei ihrer ersten Anreise nach Pangäa tauchte sie aus Lilys See auf.

Als Isabell in Pangäa ankam, hatte sie die Gestalt eines jungen Mädchens. Außerdem fühlte sie die altbekannte Macht ihres Elements.

Isabell blickte sich um. Neben ihr kam Lara aus dem Wasser getaucht. Auch ihre Haare waren klitschnass.

Lara drehte sich um und sah in das Gesicht ihrer Mutter.

„Mama, bist du das?“, fragte sie.

Isabell nickte. „Ich glaube schon, dass ich es bin“, antwortete sie, „sehe ich anders aus?“

Lara musterte sie. Sah ihre Mutter anders aus als sonst? Ihre Haare waren immer noch lang, ihre Augen waren diese tiefen Tunnel, durch die Lara nicht blicken konnte und ihre Haut sah immer noch gut erhalten aus. Aber sie sah nicht nach zweiunddreißig aus. Eher nach einem undefinierbaren Alter aber es erinnerte sehr an sechzehn.

„Ich weiß nicht Mama, die wichtigen Merkmale sind dieselben. Aber du wirkst jünger. Auch wenn ich nicht sagen kann warum“, antwortete sie zögernd.

Ich habe es vermutet, jubelte Isabell innerlich. Ihre Augen suchten nach Jack. Sie sah an das Ufer des Sees, aber dort stand er nicht. Sie machte eine dreihundertsechziggrad Drehung aber sie konnte ihren geliebten Mann immer noch nicht sehen.

„Jack“, schrie sie hysterisch. „Jack“, sie schrie seinen Namen immer wieder.

Lara stand mittlerweile am Ufer und suchte ebenfalls nach ihrem Vater. „Papa“, schrie sie immer wieder. Aber Jack tauchte nicht auf. Isabell konnte das Gefühl der unglaublichen Schmerzen nicht aushalten und brach am Ufer zusammen.

Keine ihrer Freundinnen konnte ihr sagen wo Jack sein konnte. Als Lily probierte Isabell zu trösten rastete sie vollkommen aus.

„Lass deine Finger von mir“, schrie sie Lily an. Diese zuckte unwillkürlich zurück.

„Isabell“, begann Hanna, „der Oberste hat in der letzten Sekunde versucht uns zurückzuhalten. Es kann durchaus sein, dass Jack noch auf der anderen Welt ist. Wenn das der Fall ist, würde er nicht wollen, dass es dir schlecht geht. Glaub mir. In der ganzen Zeit die wir in Pangäa waren, hat er sich weniger Sorgen um das Doppelgesicht, als um deine Reaktion auf seine erneute Abwesenheit gemacht. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es ihm gut geht. Du würdest das Gegenteil bestimmt spüren.“

Isabell nickte. Sie konnte immer spüren, wenn es Jack gut oder schlecht ging.

Vielleicht zerstört die Tatsache das wir in unterschiedlichen Welten sind diese Eigenschaft, meldete sich eine zweifelnde Stimme in ihrem Herzen.

Isabell blendete die Stimme aus. Jack geht es gut. „Aber was ist, wenn der Oberste ihn holt?“, fragte sie besorgt.

Lily sah ihr tief in die Augen. „Wenn du Zweifel hast“, antwortete sie, „dann hör auf dein Herz. Es wird dir keine Lügen erzählen, solang du die Wahrheit wirklich wissen willst. Jack wird antworten, ich bin sicher, er wird es hören und antworten.“

„Aber was ist“, Isabells Stimme erstickte, „was ist, wenn er es nicht spürt oder nicht in der Lage ist zu antworten?“

„Du darfst an sowas nicht denken.“

Lily hielt den Arm ihrer besten Freundin liebevoll. „Er hat es immer gehört, oder? Du hast ihn von den Toten zurückgeholt. Warum solltest du ihn dann nicht aus einer anderen Welt zu dir holen können?“

„Was ist, wenn er wieder tot ist?“, fragte Isabell schluchzend. Ihr Verstand wollte sie umbringen, dafür, dass sie an sowas dachte, aber sie konnte die Schmerzen bei der Vorstellung nicht aushalten.

Sie sank ins Wasser und schluchzte unkontrolliert.

„Jack ist nicht tot. Das spüre ich. Es würde etwas von unserer Macht fehlen.“

Isabell nickte verständnisvoll.

Jack geht es gut.

 

Als Isabell sich soweit beruhigt hatte, dass sie weitergehen konnten, führte Lily die Gemeinschaft in den Wald. Dort verabschiedeten sich Hanna und Esmeralda. Lily kam mit bis Isabell und Lara einen alten, morschen Baum erreicht hatten.

„Mama, lebst du hier in einem Baum?“, fragte Lara verwundert.

Sie hatte sich immer vorgestellt, dass Isabell und Jack als Retter dieser Welt in einem riesigen Palast wohnen würden.

Isabell lächelte. „Das ist kein Baum. Dieser Baum, wie du ihn nennst, ist der Eingang in ein großes Heim“, antwortete sie schmunzelnd, „aber wir haben natürlich auch noch ein richtiges Haus.“ Sie stockte einen Moment, dann fügte sie hinzu: „Aber es ist zu groß für zwei Personen. Und Jack hat die Schlüssel.“

Lara nickte und starrte Isabell verwundert an, als diese ihre Hand auf den Baum legte. Als sie den Baum länger betrachtete, fiel ihr auf, dass auf dem Baum in verschnörkelter Schrift die Namen ihrer Eltern standen.

Isabell sah Lara einen Moment an. „Du solltest auch Zutritt zu deinem Zuhause haben“, sagte sie.

Sie legte ihre Hand unter Jacks und ihren Namen, dann murmelte sie etwas. Als sie wieder zurücktrat, stand auch Laras Name auf dem Baum.

Isabell trat ein weiteres Stück zurück, schloss die Tür wieder und bat Lara vor. „Probiere mal die Tür zu öffnen.“

„Muss ich etwas Spezielles machen?“, fragte Lara zögernd.

„Leg einfach deine Hand auf den Baum und die Tür wird sich öffnen.“

Lara legte ihre Hand auf die Tür und sie öffnete sich. „Cool“, war alles was Lara dazu sagen wollte und wollte.

Dann trat sie in den Baum ein. Die Eingangshalle war wie der Rest der unterirdischen Wohnung mit Kirschholzplatten getäfelt. Lara betrachtete staunend die Wände und die Decke, wie hatten ihre Eltern diese Wohnung bauen können?

Isabell wandte sich bereits der Treppe zu.

Als Isabell einen Kommentar über den kitschigen Kleiderständer machte, konnte sie etwas fühlen. Es fühlte sich an, wie wenn sie das belustigte Grinsen von Jack sehen könnte. Sie wusste, dass er ihre Belustigung gespürt hatte und geantwortet hatte, ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als sie Jacks Belustigung fühlte – er liebte diesen Kleiderständer.

„Lily, ich habe Jack gespürt, in meinem Kopf“, rief sie aufgeregt und lief auf Lily zu.

Lily fing sie auf, als sich Isabell in ihre Arme schmiss. „Ich habe doch gesagt, dass es ihm gut geht“, antwortete Lily lächelnd und drückte Isabell fest an sich.

„Mama, was ist hinter der Tür?“, fragte Lara sie und riss ihre Mutter damit aus dem Freudengefühl.

Isabell sah die Tür an. Es war schon lange her gewesen, dass sie hier gewesen war und sie hatte keine exakten Erinnerungen mehr an das Haus.

„Ich denke, dass jetzt eine Weggabelung kommen müsste. Eine Tür gerade aus, die geht ins Wohnzimmer. Eine nach rechts, die müsste ins Schlafzimmer gehen und dann gibt es noch die Tür links, die führt nach meiner Meinung ins Bad“, antwortete sie unsicher, „aber verlass dich da bitte nicht auf meine Orientierungskünste.“

Jack und sie hatten das Haus umgebaut als sie von Lara erfahren hatten.

„Das ist auf jeden Fall nicht das Bad“, kommentierte Lara die linkte Tür und schloss sie wieder.

Als sie die rechte Tür öffnete, sah sie das Schlafzimmer von Jack und Isabell und als sie die letzte Tür in der Mitte öffnete, sah sie in ein dezent dekoriertes Wohnzimmer.

„Hä“, kommentierte sie, „warum habt ihr keine Toiletten?“

„Ach so, stimmt ja“, Isabell lachte auf, „wir haben bei der Renovierung und den Umbauarbeiten in dein Zimmer ein separates Bad eingebaut. Wir haben in unserem Zimmer ebenfalls ein separates Bad.“

Lara öffnete noch einmal die linke Tür. Diesmal stockte ihr fast der Atem. Was ihr bei der ersten Besichtigung nicht aufgefallen war, war die gigantische Größe des Zimmers und die Ausstattung.

Sie lief staunend in das Zimmer, fuhr dabei über den rötlichen Mahagonitisch und ließ sich sprachlos aufs Bett fallen.

Die gesamte Einrichtung in ihrem Zimmer musste ewig viel gekostet haben. Ihr Blick glitt über den Kleiderschrank aus Walnussholz, den Schminktisch aus Walnuss, die Wandverkleidungen aus Mahagoni und schlussendlich über die Tür aus Walnuss.

Isabell nickte zu der Tür und Lara ging auf sie zu. Als sie die Tür öffnete, sah sie in ein Bad.

„Das ist noch besser als das Bad beim hohen Rat“, freute sie sich.

Isabell verschwand um zu kochen. Lara blieb noch eine Weile in ihrem Zimmer und amüsierte sich.

 

Isabell stellte eine Pfanne auf den Herd. Lily sah sie fragend an. „Was gedenkst du zu kochen?“, fragte sie argwöhnisch.

Isabell antwortete beschäftigt: „Ich gedenke Burger zu machen.“

Lily sah Isabell mit aufgerissenen Augen an. Seit sie denken konnte, hatte Isabell noch nie Burger gemacht.

„Was ist so erschreckend an Burgern?“, fragte Isabell verwirrt und hielt in ihrer Arbeit in.

Lily schüttelte lachend den Kopf. „An Burgern ist gar nichts erschreckend, aber an deinen nicht vorhandenen Kochkünsten. Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte sie.

Isabell schüttelte vergnügt den Kopf und drehte den Fleischwolf weiter.

„Bist du dir sicher?“, fragte Lily weiter.

„Klar bin ich mir sicher. Was soll denn sein?“, fragte Isabell zurück.

„Naja, vielleicht kannst du irgendwie, in Bezug auf deine Psyche, Hilfe gebrauchen“, antwortete Lily zaghaft.

Isabell drehte sich blitzschnell herum und zog eine Augenbraue hoch. „Was meinst du mit ‚deine Psyche‘ und was soll an meiner Psyche nicht stimmen?“

Sie nahm die Hackfleischbällchen aus dem Fleischwolf und warf sie in die heiße Pfanne.

„Ich meine nur“, druckste Lily herum, „vielleicht, eventuell, im unwahrscheinlichen Falle, dass…“

„Dass was?“, fragte Isabell herausfordernd.

„In dem unwahrscheinlichen Falle, dass du Dummheiten machst“, spuckte Lily aus.

Isabell verzog ihr Gesicht auf eine groteske Art, die bedeuten sollte Ich-verstehe-nicht-im-Geringsten-was-du-meinst, stattdessen brachte sie Lily zum Lachen.

„Warum genau lachst du?“, fragte Isabell und verzog das Gesicht wieder.

Lily schnappte lachend nach Luft, brachte aber kein Wort hervor. Prustend brachte sie schließlich hervor: „Es sieht so komisch aus, wenn du das machst.“

Isabell begann auch zu lachen. 

„Aber warum sollte ich Dummheiten machen?“, fragte sie schließlich, als sie sich eingekriegt hatte.

„Ich weiß nicht. Du reagierst so komisch darauf, dass Jack nicht mehr da ist.“

„Wie meinst du komisch?“

„Du machst Burger und…“

Isabell entglitt ihr Gesichtsausdruck. Ihre Augen weiteten sich und ihr Gesicht wechselte in drei Sekunden von Freude auf Entsetzen.

„Mist“, entwich es ihr, „ich hab die Burger vergessen.“

Sie drehte sich ruckartig um und betrachtete die angebrannten Reste in der Pfanne.

„Warum haben wir nichts gemerkt?“, fragte Lily besorgt.

„Jack hat in einen sehr guten Abzug investiert“, antwortete Isabell trocken. Dann probierte sie den größten Schaden aus der Pfanne zu kratzen.

 

In der Zwischenzeit hatte Lara ihr Zimmer genauer besichtigt.

Als sie den Kleiderschrank geöffnet hatte, hatte sie neben ihren alten heißgeliebten Klamotten auch neue Klamotten im Stil von Pangäa gefunden.

Lara sah die Klamotten bedrückt an. Jetzt konnte sie sich nicht mehr davor drücken diese Klamotten zu tragen. Leider waren auch noch alle Klamotten genau in ihrer Größe und in ihrem Schnitt.

Und Lara musste zugeben, dass sie in den meisten Stücken wirklich gut aussah, denn sie hatte die meisten Kleidungsstücke sofort aus Neugierde anprobiert.

Zu ihrem Entsetzten hatte sie auch eine Waschmaschine in ihrem Bad entdeckt, sie stand zwar in der letzten Ecke aber war eine klare und unmissverständliche Aufforderung endlich ihre Wäsche selber zu waschen.

Nach der ausgiebigen Erkundungstour durch ihr Zimmer ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Sie war erschöpft und ihre Entdeckungen hatten sie teilweise mehr als geschockt. Vor allem die Waschmaschine.

Gerade als sie dachte, es würde gar nicht mehr schlimmer kommen können, klappte einer der schönsten Wandteppiche in ihrem Zimmer zur Seite und ihre Mutter kam aus einem Loch in der Mauer gestiegen.

„Mama, du hast mir nicht gesagt, dass es hier Löcher in meinem Zimmer gibt!“, schrie sie entsetzt. „Heißt das, dass du jetzt wann immer du willst in mein Zimmer kommen?! Und du hast mir auch nicht gesagt, dass es hier Waschmaschinen für mich gibt.“

Lara verkroch sich bei der Vorstellung ihre Wäsche selber zu machen unter ihrer Bettdecke.

Isabell musste über die schauspielerische Darbietung ihrer Tochter lachen.

„Es gibt sogar noch ein Bügeleisen. In Pangäa ziehen die meisten Mädchen mit sechzehn aus, da hielt ich es für sinnvoll, dass du auch einen eigenen Haushalt hast“, lachte sie.

Lara riss die Augen auf und glotzte ihre Mutter an. „Du meinst mit Kochen und Wäsche waschen und das alles?“, fragte sie entsetzt und wich gleich noch ein Stück zurück.

Zuhause hatte sie noch nie irgendetwas machen müssen, sie hatte noch nicht einmal die Spülmaschine aufgesetzt, aber das gab es hier ja nicht mal.

Isabell konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Sie musste sich an die Wand lehnen um nicht zusammenzubrechen.

Lara konnte ihre Mutter nicht verstehen und starrte sie entgeistert an.

„Ist noch alles in Ordnung bei dir? Du willst mich versklaven und lachst auch noch darüber?“, fragte sie entsetzt.

„Es ist einfach nur lustig, welche Angst du vor ein bisschen Haushalt hast“, lachte Isabell.

Lara starrte ihre Mutter wieder entgeistert an. „Was soll daran bitte so komisch sein?“

„Es ist lustig, weil jedes Kind in Pangäa im Haushalt helfen kann und du dich darüber aufregst, weil du es lernen musst.“

„Ich bin eben kein versklavtes Kind aus Pangäa“, antwortete Lara bockig.

Sehnsüchtig dachte sie an ihre eigene Etage zuhause und Hotel Mama, in dem sie immer etwas zu essen gefunden hatte und immer jemanden hatte, der ihre Wäsche wusch.

„Die Kinder werden hier nicht versklavt. Das Jugendschutzgesetz besagt hier, dass Kinder in jedem Alter im Haushalt mithelfen müssen“, erklärte Isabell schmunzelnd.

„Wie kann man sowas Jugendschutzgesetz nennen?“, fragte Lara wieder entsetzt. Jetzt hatte ihre Mutter sogar noch ein Gesetz gegen sie.

„Man kann sowas Jugendschutzgesetz nennen, da die Kinder dadurch vor Depressionen geschützt werden oder vor tiefen Niederschlägen, wenn sie später mit dem eigenen Haushalt nicht klarkommen. Außerdem haben die meisten Eltern so etwas wie ein Gewissen und würden ihre Kinder niemals ausnutzen, sondern sie probieren ihnen zu helfen.“

„Ich würde sowas nicht als Jugendschutzgesetz, sondern als Gesetz der Sklaverei bezeichnen“, antwortete Lara bockig.

Sie setzte sich im Schneidersitz auf ihr Bett und schmollte.

Isabell musste bei diesem Anblick fast wieder loslachen. „Das Jugendschutzgesetz umfasst auch das regelmäßige Einnehmen von Mahlzeiten in der Familie um das tiefe Verbundenheitsgefühl innerhalb einer Familie, welches in Pangäa sehr ausgeprägt ist, zu erhalten“, setzte Isabell ihren Vortrag fest.

„Was willst du mir jetzt damit sagen?“, fragte Lara eingeschnappt.

„Das bedeutet, dass es jetzt Essen gibt. Zumindest demnächst“, kicherte Isabell.

Dann lief sie kichernd den Gang, den sie gekommen war in die Küche zurück.

„Hat Mama Drogen genommen?“, fragte Lara die völlig verdatterte Lily.

Lily schüttelte erstmal zu Laras Beruhigung den Kopf. „Aber sie hat probiert Burger zu machen“, flüsterte Lily zu Lara.

„Sie hat was probiert zu machen?“, fragte Lara entsetzt und rannte den Gang entlang in die Küche und zur Spüle, wo sie die angebrannten Reste der missglückten Burger sah.

„Burger.“

„Ich hatte es akustisch verstanden“, antwortete Lara trocken, „ich hatte bloß gehofft mich verhört zu haben.“

„Ich weiß nicht, was mit ihr los ist“, antwortete Lily besorgt.

„Wenn sie keine Drogen genommen hat, hat sie vielleicht zu viel getrunken?“, fragte Lara besorgt.

„Ich meinte gar keine Drogen. Nicht einmal legale Drogen.“

Lara beobachtete ihre Mutter noch ein bisschen. Das merkwürdige Gelächter und Gekicher wurde aber nicht besser.

Isabell warf gerade lachend die Teller auf den Tisch. Sehr zu Laras Verwunderung blieben die Teller auf dem Tisch stehen ohne zu zerbrechen. Vermutlich lag es daran, dass Isabell die Fluggeschwindigkeit und den Druck der beim Aufprall steuern konnte.

So wie die Kraft, die der Teller dabei an den Tisch wirkte und der Tisch im Gegenzug auf den Teller. Lara sah staunend zu, wie alle Teller ohne den kleinsten Schaden auf dem Tisch standen.

„Mama, du hast für sechs Personen gedeckt, warum?“, fragte Lara ihre Mutter.

„Hast du etwas gesagt?“, fragte Isabell ihre Tochter kichernd.

Isabells Kichern war durch und durch verstörend.

Lara fand es ja ganz lustig, dass ihre Mutter auch lachen konnte, aber sie war immer noch ihre Mutter! Und keine Drogenabhängige!

Es war zwar schön, dass ihre Mutter lachen konnte, auch wenn ihr Vater nicht da war, aber das, was sie gerade tat, war nicht mehr schön.

In diesem Moment klingelte die Türglocke. Nachdem Isabell anscheinend keine Lust hatte, die Tür zu öffnen, ging Lara um die Tür zu öffnen.

Als sie die Tür öffnete, stand sie Esmeralda und Hanna gegenüber. Sie hatte Esmeralda und Hanna noch nie genau angesehen. Wenn man die beiden nebeneinander sah, stellte man fest, dass Esmeralda und Hanna die kompletten Gegenteile voneinander waren.

Hanna strahlte mit ihren warmen braunen Augen und den weichen Gesichtszügen eine vertrauenswürdige Atmosphäre aus.

In ungefähr das, was man fühlte, wenn man seiner Mutter gegenübersteht.

Hanna war als Person für das Element Erde eingesetzt worden. Damit sollte sie natürlich schon die Eigenschaften der Erde ausstrahlen und nicht umsonst trug die Erde auch den Beinamen Mutter Erde.

Wenn man daneben allerdings Esmeralda betrachtete, konnte man in ihren Gesichtszügen Härte und Kälte lesen. Ihre grünen Augen strahlten meistens Abweisung und Feindschaft aus. Ihre roten Locken sorgten auch nicht für ein freundlicheres Aussehen, sondern eher für eine feindliche Atmosphäre.

Denn Feuer war ein zusammengestückeltes Element. Zum einen waren die Menschen zwar darauf angewiesen, da sie damit schmieden, kochen und sich wärmen konnten, aber zum anderen barg das Feuer auch ein komplett unkontrollierbares Risiko sich zu verletzen oder zu sterben und Feuer war hart.

„Möchtest du unsere Gäste jetzt vielleicht hereinlassen?“, fragte Lily hinter ihr. „Oder möchtest du sie nur anstarren? Weißt du, auch wir fanden sowas unangenehm.“

Lara war gar nicht aufgefallen, wie lange sie den unerwarteten Besuch schon angestarrt hatte. Hastig trat sie einen Schritt zurück um Hanna und Esmeralda hereinzulassen.

„Warum passt du nicht auf Mama auf?“, zischte sie Lily hastig ins Ohr, während Hanna und Esmeralda an ihr vorbeiliefen.

Aber Lily hatte sich schon wieder an einer anderen Stelle materialisiert.

 

„Nein“, Lilys Stimme klang erschöpft aus der Küche, „du musst nicht für sechs Personen decken. Wir sind nur fünf Personen. Du, deine Tochter, Hanna, Esmeralda und ich. Siehst du, eins, zwei, drei, vier, fünf.“

„Aber Jack…“, widersprach Isabell heftig.

„Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Jack kommen wird“, gab Lily genervt zurück.

„Aber Jack wird doch kommen, oder?“, fragte Isabell mit kindlicher Naivität.

Lily seufzte genervt. „Von mir aus, stell Jack einen Teller hin. Aber erwarte bitte nicht, dass er kommt.“

Isabell jubelte laut auf.

Als Esmeralda die Tür vorsichtig öffnete, stand Lily mehr als genervt an dem Wandbogen zwischen dem Wohnzimmer und der Küche.

Sie winkte Esmeralda matt zu. Isabell stellte jubelnd den sechsten Teller zurück auf den Tisch und deckte den Platz besonders liebevoll.

„Zu Tisch, es gibt Burger“, rief Lily matt.

„Aber wir können noch nicht essen“, protestierte Isabell empört, „Jack ist noch nicht da.“

Esmeralda warf Hanna einen fragenden Blick zu. Diese konnte ihn aber auch nicht beantworten. Stattdessen sah Hanna fragend zu Lara.

„Die ist, seit wir hier angekommen sind, komisch drauf“, antwortete Lara.  

Lily und Lara probierten noch ein weiteres Mal Isabell zu erklären, dass ihr Mann nicht kommen würde, weil er auf einem anderen Kontinent war.

Gerade als Lara ihrer Mutter noch einmal schonend erklären wollte, dass Jack nicht kommen können würde, klingelte die Glocke.

6. Kriegsrat

 

„Ich habe doch gesagt, dass Jack kommen wird“, jubelte Isabell und rannte die Treppen hoch. Als sie oben angekommen war, riss sie die Tür auf.

Vor der Tür stand zu aller Überraschung Jack. Er trug ein verwaschenes T-Shirt und Cordhosen. Dazu sah er sah so gelassen aus, als wäre nichts passiert.

Isabell erwachte schlagartig aus ihrem Wahnsinn. Sie stand mit weit aufgerissenen Augen in der Tür und sah ihn an. Sie konnte gar nicht fassen, was sie da gerade sah.

Sie wollte ihn anfassen, seine Haare berühren, seinen Oberkörper streicheln und ihn umarmen.

Jack grinste sie schief an, als er bemerkte, dass sie wohl nichts mehr sagen wollte.

„Willst du mich hereinlassen?“, fragte er sie.

Auffordernd blickte er sie an. Isabell sagte immer noch kein Wort und machte auch keine Anstalten sich zu bewegen.

„Erde an Isabell“, neckte Jack sie.

Isabell erwachte schlagartig aus ihrer Trance. „Was fällt dir ein?“, schrie sie an, „du hast mir solche Sorgen bereitet und jetzt stehst du in der Tür und fragst nett, ob du reinkannst?“

Jack zuckte mit den Achseln. „So bin ich nun mal“, antwortete er, „aber kann ich jetzt rein? Ich kann natürlich auch böse fragen.“

Isabell trat wütend einen Schritt zur Seite.

„Geht es dir auch wirklich gut?“, fragte sie ihn plötzlich. Sie hatte schreckliche Angst, dass ihm etwas passiert war.

Statt ihm zu antworten, zog Jack sie an sich und nahm sie fest in den Arm, vergrub seinen Kopf in ihren Haaren und hielt sie solange fest, bis Isabell sich wieder sicher war, dass er da war.

Isabell löste sich nur widerwillig aus seiner Umarmung und murmelte: „Ich glaube wir müssen nach unten gehen.“

„Geh vor“, flüsterte er ihr ins Ohr. Isabell ging lächelnd die Treppe hinunter und durch die Wohnzimmertür. Jack folgte ihr noch nicht, obwohl sie immer noch seine Hand hielt, dann ließ er los und schob sie ein Stück nach vorne.

„Es tut mir so leid für dich, aber du hättest damit rechnen können, dass er nicht kommt“, sagte Lily vorsichtig und strich Isabell eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn.

In diesem Moment schwang die Tür wieder auf. Ein triumphierendes Lächeln legte sich auf Isabells Lippen und Jack lief durch die Tür.

„Ich habe doch gesagt, dass er kommt“, lachte Isabell und lief wieder auf ihren Mann zu und zog ihn an den Tisch.

Zusammen nahmen sie ein herrliches Mal aus Burgern ein. Nach dem Essen wurde Lara in ihr Zimmer geschickt, denn jetzt sollte Kriegsrat gehalten werden und weder Isabell noch Jack wollten ihr einziges Kind in einem Krieg haben.

 

„WO BIST DU GEWESEN, JACK“, fragte Esmeralda mit viel Nachdruck, „wir haben uns Sorgen um dich gemacht! Deine Frau ist fast wahnsinnig geworden!“

„Ich weiß auch nicht, wo ich war“, antwortete dieser wahrheitsgemäß, „ich war auf keiner Welt und dann habe ich probiert durch Isabell auf mich aufmerksam zu machen, aber …“

„Das ist also der Grund dafür, dass ich mich so seltsam verhalten habe?“, unterbrach diese ihn sofort.

„Exakt, ich wollte wirklich keinem was…“, wollte Jack weiterreden.

„Weißt du, wie extrem gruselig das war?“, unterbrach ihn Lily als er weiterreden wollte.

„Ich weiß, dass es nicht nett war, aber…“

„Nicht nett? Du hast uns einen riesigen Schrecken eingejagt!“, motzte Lily weiter.

„Aber ich wollte euch echt nichts Böses, ich wollte…“

„Was du wolltest, ist egal, du hast uns wahnsinnig erschreckt“, warf Lily ein.

„Aber ich habe auch noch etwas Interessantes zu berichten“, rechtfertigte Jack sich.

„Und was willst du uns berichten?“, fragte Hanna vorsichtig. Sie signalisierte Lily den Mund zu halten.

„Als ich zwischen den Welten gefangen war, spürte ich Charlottes Anwesenheit“, erzählte Jack.

Lily sah ihn grübelnd an. „Das ist wirklich interessant. Isabell hat wenige Minuten davor geträumt, dass der Oberste sich mit dem Mann verbündet hat, der Charlotte als Doppelgesicht verwendet.“

„Stimmt das Isabell?“, fragte Jack sie.

Isabell erzählte ihnen schnell von ihrem Traum, vom Obersten, und Tiran. Jack ballte die Hand zu einer Faust.

„Es hat doch alles keinen Sinn“, nuschelte er. „Wenn der Oberste hinter dem Doppelgesicht steckt, dann haben wir keine Chance. Er muss das Doppelgesicht extra so ausgesucht haben, dass wir es nicht vernichten können.“

„Warum können wir es nicht vernichten?“, fragte Isabell neugierig.

„Es gab einst ein gesprochenes Gesetz“, begann Hanna, „wir sind uns nicht sicher, ob es überhaupt wirksam ist, aber dieses Gesetz besagt, dass wir uns nicht gegen den Obersten wenden können, ohne das der hohe Rat zerbricht, dann sterben wir und die Erde zerbricht. Ich weiß nicht, warum das Gesetz bei seinen Haimenschen nicht wirksam wurde, aber vielleicht waren sie nicht direkt genug mit dem Obersten verbunden. Aber wenn wir uns gegen seine direkten Gedanken und gegen seine direkte Macht stellen, wird er das als Angriff sehen.“

Isabell schwieg eine Weile. Dann zog sich ihre Stirn in bedenkliche Falten und entspannte sie wieder. „Wenn wir das Doppelgesicht nicht zerstören können, können wir es dann nicht trotzdem zu einem Ort bringen, an dem es zerstört werden kann?“

Lily sah sie aufmerksam an. „Deine Intelligenz hat mir in den letzten Stunden wirklich gefehlt“, bemerke sie, „aber du hast Recht. Leider. Wir müssen das Doppelgesicht von uns überzeugen. Wir müssen sie an Jack binden. Ich habe ein paar Freunde, im Wasser. Sie müssten uns helfen können.“

Hanna fragte besser nicht, von was für Freunden Lily redete. Sie hielt sich aus Lilys speziellen Angelegenheiten unter Wasser raus.

„Wir haben noch ein weiteres Problem“, warf Hanna ein, „auch wenn das Doppelgesicht zerstört ist, wer ist dann der neue Oberste?“

Isabell zuckte mit den Achseln.

„Ein weiteres Problem“, setzte Esmeralda fort, „ist die Machtaufteilung.“

Isabell sah sie verwundert an. „Wie meinst du das?“

„Zurzeit teilst du dir deine Macht mit Lara. Lara muss ausgebildet werden. Eine vernünftige Ausbildung benötigt Zeit – zweihundert Jahre mindestens. Das Problem ist, dass wir diese Zeit nicht haben. Aber wir brauchen trotzdem ein funktionsfähiges Element Luft. Nach dem Doppelgesicht könnten wir Lara Zweihundertjahre ausbilden. Aber Lara hat nicht diese enge Bindung zu Pangäa und sie besitzt nicht diese spezielle Ausstrahlung und Dominanz als Element.“

Alle sahen Esmeralda eine Weile an, keiner hatte bisher so weit gedacht. Lara besaß wirklich nicht das, was man Ausstrahlung nennen könnte.

„Vielleicht will Lara auch gar kein Element sein“, warf Isabell ein, „wenn das Doppelgesicht besiegt ist, steht ein Platz als Oberster aus. Lara ist unvoreingenommen, sie ist gütig, sie kann die Gesetzte dieser Welt lernen und sie steht jenseits von Gut und Böse. Außerdem ist sie unbestechlich.“

Jack sah seine Frau eine Weile sprachlos an. „Du willst unser Kind als Oberste einsetzten?“, fragte er schließlich.

„Ja, ich denke wir könnten eine Menge Ärger damit einsparen. Und sie wäre wirklich geeignet, oder?“

Sie bekam ein einstimmiges Nicken als Antwort.

„Aber die Entscheidung, was sie sein möchte liegt bei ihr. Und mit ihrer Entscheidung fällt auch die Entscheidung über unser Leben“, fügte Isabell hinzu, „zumindest das von Jack und mir.“

Es folgte wieder einstimmiges Nicken.

„Aber es steht noch eine weitere Frage im Raum“, erinnerte Esmeralda, sie war in dieser Besprechung ungewöhnlich aktiv, „welche von Lillys Freunden können uns bei der Vernichtung des Doppelgesichts helfen?“

„Ich meinte die Meermenschen damit“, gab Lily kleinlaut zu.

„Du meinst die fünfzig Nereiden, die es insgesamt gibt?“, fragte Isabell ungläubig.

„Ich meinte Meermenschen“, antwortete Lily widerstrebend.

„Ist doch dasselbe. Aber warum so widerstrebend?“

„Meermenschen mögen den Namen Meermensch nicht, deshalb so widerstrebend. Außerdem können sich Nereiden nicht fortpflanzen, hier liegt wohl der größte Unterschied zwischen den beiden Völkern.

Des Weiteren sind Meermenschen von mir erzeugte Mischwesen aus Nereiden und Menschen. Sie verehren die Nereiden als Götter.“

„Du hast dir das Recht genommen Leben zu erzeugen?“, fragte Isabell entsetzt.

„Ich bin sehr stolz auf diese Meermenschen.“

„Hast du nie Frankenstein gelesen?“, fragte Isabell entsetzt.

„Doch, warum?“, fragte Lily irritiert.

„Dann wüsstest du, was passiert, wenn man einfach Leben erschafft.“

„Ich fand das Buch nicht schlimm“, antwortete Lily wahrheitsgemäß.

Isabell verdrehte genervt die Augen. „Entweder du hast eine harmlose Variante gelesen, oder du hast ein anderes Empfinden von Horror.“

„Ich habe die Englischversion in der neunten Klasse gelesen.“

Isabell seufzte auf. „Das ist doch nie im Leben horrormäßig übersetzt worden.“

Lily zuckte mit den Achseln. „Wie auch immer, meine Meermenschen haben ihr eigenes Reich, sind in normaler Größe erschaffen worden, sehen hübsch aus und sind in fünf einander freundlich gesinnten Reichen unter Wasser.“

„Wie sollen sie uns denn dort helfen?“, fragte Isabell dezent irritiert.

„Wir könnten Charlotte doch bei einem romantischen Ausflug mit Jack aufs Meer locken“, schlug Lily vor.

Isabell zog eine Augenbraue hoch. Aber sie fand keine Kritik an diesem Vorschlag.

„In Ordnung. Dieser Punkt wäre abgestimmt.“

„Noch nicht ganz. Ich müsste mit den Meermenschen reden.“

„Und wo ist das Problem?“, fragte Isabell.

„Es wäre nett, wenn einer mitkäme“, meinte Lily vorsichtig.

„Warum?“, wollte Isabell wissen.

„Ich denke, dass sie sich dann zum einen leichter überzeugen lassen und zum anderen davon überzeugt sind, dass sie uns helfen müssen“, erklärte Lily.

„Warum sollten sie nicht davon überzeugt sein, wenn du alleine kommst?“

„Perle, die Königin von Miranda, ist davon überzeugt, dass die Wichtigkeit einer Sache darauf beruht, wie viele Menschen von welchem Rang kommen um sie zu verkünden.“

„Wann sollen wir hingehen?“, fragte Isabell.

„Das heißt, dass du mitkommst?“, fragte Lily sie.

„Natürlich komme ich mit.“ Isabell winkte den Dank mit der Hand ab.

„Ich denke wir sollten gehen, wenn Lara mit ihrer Ausbildung einigermaßen weitergekommen ist.“

„Warum erst dann?“

„Ich würde es nicht wagen mich Tiran und dem Obersten, beides zwei sehr gefährliche und mächtige Personen, in den Weg zu stellen ohne vier komplett fähige Elemente.“

Isabell nickte verständnisvoll. „Wie willst du Laras Ausbildung angehen?“, fragte sie.

„Wer sagt, dass Lily die Ausbildung alleine angeht“, fragten Hanna und Esmeralda beide erbost aus einem Mund.

„Sie hat am meisten Erfahrung und sie hat auch mich ausgebildet“, rechtfertigte Isabell ihre beste Freundin.

Hanna und Esmeralda musterten Isabell abschätzend. „Ein Grund mehr, dass wir die Ausbildung gemeinsam angehen“, kommentierten sie.

Lily seufzte genervt. „Ich hatte gedacht, dass wir mit einigen einfachen Dingen beginnen. Die Lehre, wie die Welt entstanden ist, würde ich weglassen, sie erfordert zu viel Zeit und Lara ist ungeduldig. Aber wir müssen ihr die ganzen magischen Kreaturen erklären.“

Hanna und Esmeralda schüttelten energisch den Kopf. „Wir müssen sie erst einmal darauf ausbilden gegen ein Doppelgesicht zu kämpfen.“

Jack der die ganze Zeit eher desinteressiert am Tisch gesessen hatte, vergrub den Kopf in den Händen, „Stopp“, rief er, „Lara ist meine Tochter und ich lasse nicht zu, dass sie auf irgendeinem Kampffeld steht und sich mit Hexen oder ähnlichem prügelt!“

Isabell nahm beschwichtigend seine Hände in ihre und lehnte sich an seinen Oberkörper. „Lara wird nichts passieren, Jack. Sie wird nur darauf ausgebildet solche Sachen tun zu können. Sie muss wie wir werden, wenn sie in dieser Welt als das, was sie ist, überleben möchte.“

„Übernimm du die gesamte Macht, bitte“ flehte er, „bitte, Izzy.“

„Ich kann jetzt unmöglich ihre komplette Macht übernehmen“, widersprach Isabell.

„Warum nicht?“

„Lara wäre entsetzt“, erklärte Isabell.

„Sie würde es verstehen“, flehte Jack weiter, „bitte, Izzy.“

Hanna schüttelte den Kopf. „Lara ist mit dem Segen der Unsterblichkeit in Berührung gekommen. Ihr seid nicht mehr unsterblich – beide. Die Welt braucht vier Orakel und vier Elemente. Das geht nicht, wenn ihr diese Aufgabe übernehmt und wegsterbt. Du kannst bestimmt mit deiner Tochter aushandeln, dass sie ihre Macht nicht nutzt, aber sie muss ausgebildet werden, dann kann sie das Amt nach eurem Tod übernehmen.“

Jack gefiel nicht wie eine einzige Tatsache, in diesem Fall seine Sterblichkeit und die seiner Frau, die Welt so beeinflusste.

„Lara wird das Kämpfen mit Waffen dieser Welt lernen müssen, sie wird lernen müssen ihr Element zu beherrschen und sie muss…“, setzte Hanna ihre Rede fort.

„… es alles in kurzer Zeit schaffen“, beendete Esmeralda.

Jack zog gedemütigt den Kopf ein. Isabell fuhr ihm beruhigend durch die Haare, gab ihm einen Kuss auf die Wange und strich ihm übers Gesicht.

„Es ist meine Tochter und nicht meine Frau, beachtet das bitte bei ihrer Ausbildung“, sagte er noch, dann löste er sich von Isabell und verließ den Raum.

Lily schüttelte den Kopf ungläubig. „Lara ist ein verzogenes Kind. Die Ausbildung wird sie lehren, wie sie sich verhalten soll. Wenn Jack dieses verzogene Kind will, kann sie nicht ausgebildet werden.“

„Ich will dieses Kind auch“, warf Isabell ein und stellte sich hinter ihre Tochter.

Lily verzog das Gesicht. „Liebe macht die Liebenden zu Lügnern.“

Isabell sah sie fragend an. „Wie meinst du das?“

„Du liebst deine Tochter und wenn du sie nicht so sehr lieben würdest, würdest du erkennen, wie sehr ihr sie verzogen habt.“

„Ich habe ihr immer nur gegeben, was sie sich gewünscht hat“, antwortete Isabell total verwirrt.

„Das meine ich. Denk mal drüber nach“, antwortete Lily und stand auf, „ich gehe jetzt mal zu mir nach Hause.“

Auch Esmeralda und Hanna verabschiedeten sich und verließen den Raum. Nachdem Isabell ein bisschen aufgeräumt hatte, zog sie sich um und legte sich zu Jack ins Bett. Jack schlief schon lange tief und fest. Glücklich legte Isabell den Kopf an seine Brust und schlief ein. 

7. Ein Monat voller Action

 

Für Lara begann der Horror an dem Tag nach ihrer Ankunft in Pangäa.

Als sie aufwachte, glitt ihr Blick über die ungewohnt teure Einrichtung des Zimmers. Sie stand von dem unglaublich bequemen Bett auf, dann suchte sie ihre Stereoanlage.

Sie konnte aber in der ganzen Wohnung keinen Stromanschluss finden. Miesepetrig gelaunt ging sie in das überdimensionale Bad.

Die große Badewanne konnte ihre Laune etwas verbessern, aber sie sah immer noch ziemlich schlecht gelaunt aus.

Als sie im Bademantel aus ihrem Zimmer ging um sie etwas zu trinken zu holen, musste sie leider feststellen, dass sie sich in der Wohnung nicht mehr zurechtfand. Sie lief ausversehen schnurstracks in das Schlafzimmer ihrer Eltern und weckte diese aus ihrer liebevollen Umarmung.

Sie murmelte eine Entschuldigung, dann ging sie ins Wohnzimmer. Kein Fernseher, keine Wii– nichts, was Laras Laune ansatzweise verbessert hätte.

Aber der Zettel, den sie in der Küche auf dem Tisch liegen sah, war der Horror.

 

Liebe Lara,

ich denke, wenn du diesen Brief liest, wirst du schlecht gelaunt sein, denn keiner deiner geliebten Luxusgegenstände ist mehr da.

Ich erlaube mir einen Spaß und treibe deine Verzweiflung noch weiter. Wir beschlossen gestern Abend du würdest ausgebildet werden müssen. Damit du ein waschechtes Element bist.

Dein Training sieht wie folgt aus:

 

Montags:

Allgemeinbildung über die Welt (Hanna)

Elementare Fähigkeiten (Lily, Isabell)

Geschöpfe der Welt (Esmeralda)

Musik (Isabell)

Kampftraining (Alle)

 

Dienstag:

Elementare Fähigkeiten (siehe alle weiteren Angaben wieder oben)

Allgemeinbildung

Kampftraining

Geschöpfe dieser Welt

 

Mittwoch:

Siehe Montag

 

Donnerstag:

Siehe Dienstag

 

Freitag:

Rein musikalischer Tag

 

Samstag:

Nur Kampftraining

 

Sonntag:

Tanzabend

 

Bitte lass deine schlechte Laune jetzt nicht an deinen Eltern aus. Da heute passenderweise Sonntag ist, hast du noch einen Tag Zeit dich zu entspannen. Aber bitte nehme dieses Training ernst, es hängt viel von dir ab.

 

Viele Grüße,

deine Patentante Lily

 

Lara rutschte das Wasserglas bei diesen Worten aus der Hand. Es zersprang auf dem harten Boden, doch Lara rutschte ohne es zu bemerken auf einen Stuhl und hielt das Blatt zitternd in der Hand.

Womit hatte sie diese unglaublichen Qualen verdient? Ein Schluchzen kam aus ihrem Mund. Ich will doch gar kein Element sein, dachte sie sich.

Klar, es war unglaublich cool alles durch die Gegend fliegen lassen zu können. Aber solches Training und dann diese Verantwortung? Das gefiel Lara nicht.

Durch das Zerbrechen des Glases geweckt, kamen Jack und Isabell in die Küche gestürmt. Als sie Lara entsetzt auf dem Stuhl sahen, musste Isabell grinsen.

„Und vergiss nicht, der Haushalt kommt auch noch dazu“, bemerke sie.

Jack kniete neben seiner Tochter auf dem Boden und gab sich Mühe sie zu trösten. Isabell dachte dabei nur an die Worte ihrer besten Freundin.

Ich habe ihr immer nur gegeben was sie wollte.

Genau das meine ich. Denk mal darüber nach.

Jetzt bemerkte sie, was ihre Freundin gemeint haben musste. Lara konnte mit nichts eigenständig umgehen. Die kleinste Veränderung in ihrem Leben bewirkte einen kompletten Nervenzusammenbruch. Ihre Tochter musste entweder noch sehr viel lernen oder sie konnten sich gleich ein neues Element aussuchen.

„Jack, komm mal bitte mit“, wies Isabell ihren Mann mit gebieterischen Tonfall an, wobei sie zur Tür winkte.

„Bitte geh jetzt nicht, Papi“, bettelte Lara.

An seine Tochter gewandt sagte er: „Frauen lässt man besser nicht warten.“

Dann wandte er sich ab und ging zu seiner Frau. Isabell zog ihn aus der Tür. Jack funkelte seine Frau wütend an.

„Was sollte das denn jetzt?“, fragte er sie wütend.

„Durch dieses Du-bist-so-süß-Verhalten verweichlichen wir sie total. Das meinte Lily gestern.“

Jack blickte sie verdattert an. Aus dem verdatterten Blick wurde ein wütender Blick. Sie hatte sein Ego getroffen, indem sie seine Tochter kritisiert und verweichlicht genannt hatte. „Ach ja, ist sie dir zu weich“, fauchte er Isabell wütend an, „nicht jeder kann eine Maske aus Stein tragen, so wie du. Sie ist sechzehn, ein bisschen mehr Verständnis von dir als Mutter würde sie sich bestimmt auch wünschen.“

„Verständnis? Wir leben in einer harten Welt, es ist glaube ich nicht angebracht, jemanden zu verstehen, der sich dagegen wehrt, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Wir brauchen Lara als Element und nicht als das verweichlichte Kind eines Orakels, verstehst du das?“, hielt Isabell wütend dagegen.

Jack genoss es irgendwie sich mit Isabell in Wortduelle zu verstricken, sie wurde dabei immer richtig wütend, was Jack aus unerklärlichen Gründen süß fand. Aber er fand es auch gut, ihr einmal seine Meinung an den Kopf zu werfen.

Lara hatte den Großteil des Streits mitbekommen. Jetzt kam sie auch aus der Tür hinausgelaufen. „Ich will und werde kein Element sein“, sagte sie entschlossen zu ihren Eltern.

„Es ist egal ob du willst oder nicht, du musst“, antwortete Isabell.

„Nein“, bockte Lara, „ich habe mich mit Kevin verabredet.“

„Bitte, mit wem?“, fragte Isabell komplett irritiert.

„Kevin“, antwortete Lara laut und deutlich.

„Du meinst jetzt bitte nicht den asozialen Kerl der vor kurzem vor unserer Tür stand, oder?“, fragte Isabell.

„Ich meine genau den“, lächelte Lara ihre Mutter an.

Lara hielt ihr Handy hoch.

 

Kevin: Du bist so cute, ich vermiss dich.

Lara: Nein, du bist süß, wmd?

Kevin: Ich bin nicht süß, ich bin männlich

            An dich denken, bby.

Lara: Wie du willst…

            Ich auch an dich <3

Kevin: Hast du mal Lust dich mit mir zu treffen?

Lara: Morgen?

Kevin: Perfekt

Lara: Dann bis morgen, bby

 

„Bitte was?“, fragte Isabell die bei den ganzen Abkürzungen nicht durchblickte.

Lara rollte genervt mit den Augen. „Bby heißt Baby, wmd heißt was machst du“, übersetzte sie ins normale Deutsch.

Isabell sah den Chat desinteressiert an. „Aha. Was soll mir das jetzt genau sagen?“, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue, während sie Lara mit beiden Augen fixierte.

„Das heißt“, sagte Lara genießerisch, „dass ich morgen nach Hause gehe und mich mit Kevin treffe.“

„Gib mir bitte dein Handy.“ Es war keine wirkliche Bitte. Es war ein kühler Befehl.

Lara gab ihr unüberlegter Weise ihr Handy.

„Ich führe den Chat ab jetzt weiter. Nur mit ihm.“

 

Lara: Aus dem Treffen morgen wird leider nichts. Meine Mutter verreist mit mir.

Kevin: Dann geh halt nicht mit.

Lara: Kevin, ich muss mit, tut mir leid.

Kevin: Ach komm schon, es wird bestimmt lustig

Lara: Lass deine hässlichen Finger von mir, bedeutete das!!!

Kevin: Was los mit dir?

Lara: Wenn du noch einmal die Finger an meine Tochter legst, bring ich dich um!!!

Kevin: Wer bist du?

 

Isabell blockierte ihn daraufhin kurzerhand. „Wenn du ihn noch einmal entsperrst, merk ich das“, warnte sie Lara und gab ihr das Handy zurück.

Lara riss ihr das Handy fast schon aus der Hand und las fassungslos den Chat durch. „Wie konntest du es wagen?“, schrie sie ihrer Mutter hinterher als diese das Zimmer verließ.

Isabell drehte sich um. „Es gibt hier deutlich bessere Jungen, da brauchst du diesen Arschkriecher nicht“, antwortete sie.

Lara hatte ihre Mutter fast noch nie Schimpfwörter gebrauchen hören. Erst recht nicht Arschkriecher. „Kevin ist kein Arschkriecher“, schrie Lara ihr aufgebracht hinterher.

„Ach ja“, Isabell klang sehr kühl, „was ist er dann?“

„Er ist genau wie Jack auch nur ein Junge“, wehrte Lara sich.

„Mit dem kleinen Unterschied, dass es deinem Vater um mehr als Geschlechtsverkehr ging.“

Lara kamen vor Wut die Tränen. „Das hätte deine Mutter damals bestimmt auch über Jack gesagt“, schrie sie ihrer Mutter hinterher, dann rannte sie aus dem Haus.

Isabell wollte ihr gerade hinterherstürmen, als Jack sie am Handgelenk festhielt.

„Ich habe jetzt verstanden, was du gemeint hast“, sagte er und zog sie in seine Arme. Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, dann rannte er selber seiner Tochter hinterher.

„Lara“, hörte Isabell ihn auf der Treppe brüllen. Aber sie konnte ihre Tochter nicht mehr hören.

Erst als Jack die Treppe hochgerannt war, rannte Isabell hinterher. Sie wusste, dass Jack Lara zwar sehr schnell einholen könnte, aber nur wenn er wüsste wo sie langlief.

 

Lara hörte zwar ihren Vater hinter sich brüllen, aber sie blieb nicht stehen. Sie wollte nie wieder mit ihm reden, mit Isabell auch nicht.

„Lara“, die Schreie wurden mit der Zeit leiser. Sie hatte ihn abgehängt, er hatte keine Ahnung mehr wo sie war.

Langsam wurde Lara wieder langsamer, ihr Puls raste, ihre Füße schmerzten, ihr ganzer Körper war mit Kratzern und Schrammen von dem Wald um sie herum bedeckt und der Schweiß rann in ihre Augen wo er sie zu Tränen trieb. Erschöpft lehnte sie sich gegen einen Baum und sammelte sich.

Sie trug immer noch einen Bleistiftrock und eine Bluse. Der Rock war mittlerweile komplett zerrissen und auch die Bluse ließ zu wünschen übrig.

„Lara“, sie konnte Jacks Rufe immer noch hören.

Sie war also noch nicht weit genug von ihrem Vater weg. Ihr Blick wandte sich hilfesuchend zum Himmel. Vielleicht könnte sie probieren zu fliegen. Aber sie hatte noch nie Unterricht gehabt und ihre letzten Versuche waren auch etwas misslungen gewesen.

Trotzdem fokussierte sie ihre Gedanken darauf in die Luft zu fliegen. Sie hob gerade vom Boden ab, als etwas ihre Konzentration störte. Es flog am Himmel aber es störte Lara so sehr, dass sie gegen einen Baum flog.

Als Lara erbost ihren Kopf hob um den Vogel zu sehen, der sie gestört hatte, blieb ihr der Mund vor Staunen offenstehen.

Isabell flog mit ihren riesigen Flügeln zwischen Armen und Rücken über den Himmel. Als sich das Sonnenlicht in dem opalfarbenen Kleid brach und ihre schwarzen Haare dabei über den Himmel zu schweben schienen, fühlte Lara plötzlich den innigen Wünsch auch so fliegen zu können. Aber sie würde niemals so fliegen können, wenn sie jetzt zu Kevin ging.

Mit dem kleinen Unterschied, dass es deinem Vater um mehr als Geschlechtsverkehr ging. Lara wurde mit einem Mal klar, dass ihre Mutter recht hatte.

Kevin hatte nicht einmal gefragt wie es ihr ging, hatte nie persönlich mit ihr geredet, hatte mit ihr sofort zu ihm nach Hause gewollt und es hatte ihn auch nie interessiert, was sie machte.

Kevin schien wirklich nur an dem Einen interessiert zu sein.

Lara wusste mit einem Mal, was sie wirklich wollte. Sie wollte nicht zu Kevin gehören und sich mit ihm treffen. Sie wollte so talentiert, schön und ausstrahlungskräftig sein wie ihre Mutter. Sie wollte eine ebenwürdige Nachfolgerin ihrer Mutter werden.

Den Preis dafür kannte sie bereits. Er lag auf dem Küchentisch und beinhaltete eine ganze Liste von Trainingseinheiten. Sie ging es noch einmal im Kopf durch.

„Mama hier unten bin ich“, brüllte sie. Isabell schien sie trotzdem nicht zu hören.

Lara hätte ihren Plan vielleicht besser überdenken sollen. Aber als sie sich in die Höhe erhob, flog sie erstmal unbeholfen gegen einen Baum, danach ging ihr Flug bergauf.

„Hallo Mama, hier bin ich.“ Dabei probierte sie zu winken, was dazu führte, dass sie unkontrollierte Schlenker flog.

Als Isabell ihre Tochter in den Baumkronen erblickte, änderte sie ihren Gleitflug in einen schlagartigen Sinkflug.

Erst hatte sie ihre Tochter für eine Krähe gehalten, als sie in den zerfetzten Kleidern durch die Baumkronen flog. Im Näherkommen wurde ihr klar, dass diese Krähe außergewöhnlich groß war und vor allem menschliche Kleider trug.

Isabell näherte sich ihrer Tochter langsam und umkreiste sie. Als sie sich sicher war, dass es sich bei der Gestalt um ihre Tochter handeln musste, streckte sie eine Hand nach der unbeholfen schlingernden Gestalt am Himmel aus.

Lara ergriff die Hand ihrer Mutter dankbar. Entgegen ihrer Erwartungen erhob sich ihre Mutter wieder in den Himmel während sie an ihrer Hand baumelte.

„Es ist bestimmt schon Vormittag, wir können mit elementaren Fähigkeiten beginnen“, erklärte Isabell und flog weiter, „hilf mal mit.“

Lara breitete die Arme aus bis sie auch in der Waagrechten in der Luft lag.

„Du machst das gut“, lobte Isabell. Unerwartet drehte sie ab, so dass sie eine elegante Kurve flog.

Lara folgte der unausgesprochenen Aufforderungen und probierte die Kurve nachzufliegen. Sie schwenkte zu sehr zur Seite und kippte. Sie bemerkte noch, wie sie dem Boden unaufhörlich schneller werdend entgegenflog.

Gerade als sie glaubte, dass sie ihren letzten Flug gemacht hatte, sah sie ihre Mutter aus dem Rande ihres Blickwinkels heranschießen und sie wieder in die Waagrechte zerren. Als sie wieder stabil in der Luft lag, erklärte ihr Isabell ganz langsam wie sie zu fliegen hatte.

„Wenn du in der Luft fliegen willst, ist es wichtig, dass du deinen Körper kontrollieren kannst. Du musst genau einschätzen, wie steil deine Kurve sein soll und wie scharf sie sein kann, ohne zu kippen. Deine Gedanken müssen dabei darauf fokussiert sein, dass du in der Luft sein willst.“

Lara probierte es wieder. Für die Kurve brauchte sie zwar mehrere Kilometer, aber sie hatte sich schon deutlich gesteigert.

„Das war schon besser“, lobte Isabell. Sie kam aber wie gewohnt auch wieder mit Kritik. „Du brauchst nur deinen Körper zum Lenken. Es ist egal, wie hoch du in der Luft bist. Du brauchst deine Elementarkraft nur um nicht abzustürzen, aber lenken musst du durch deinen Körper.“

Sie demonstrierte wieder eine perfekte Kurve. Sie hielt die Arme auch in der Kurve komplett ausgestreckt. Dann legte sie sich leicht nach links und zog ihren Körper gleichzeitig nach vorne. Gerade als Lara dachte, ihre Mutter würde sich überschlagen wollen, stoppte sie ihre Linksdrehung und ließ sich in Kurven durch den Himmel gleiten.

„Du musst dir vorstellen, dass du ein Flugzeug bist“, lachte Isabell dabei laut.

Lara zog eine Augenbraue hoch, dann legte sie sich auch nach links, genauso weit wie ihre Mutter und ließ ihren Körper nach vorne gleiten. Sie stoppte die Linksdrehung und folgte ihrer Mutter gleitend über den Himmel.

Pangäa von oben war wunderschön. Lara und Isabell flogen wie zwei Vögel über den Himmel. Isabell immer ein Stück eleganter und weiter vorne als Lara. Lara fühlte langsam ein Gefühl des Übermuts in ihrem Körper.

Es musste dasselbe Gefühl sein, dass damals auch Ikarus gefühlt hatte. Bevor er seine Wachsflügel an der Sonne geschmolzen hatte.

Lara drehte übermutig Kurven am Himmel, flog nach oben und nach unten. Dann erblickte sie ihre Mutter. Sie flog Spiralen, Saltos und rasante Sturzflüge über den Himmel. Lara blickte sie an und probierte es ihr nachzumachen.

„Du musst die Luft in dir spüren“, lächelte Isabell bei ihrem nächsten Salto, „hör tief in dich hinein, dann kannst du sie bestimmt fühlen.“

Lara hörte tief in sich hinein. Sie spürte die Quelle des Übermuts und ließ zu, wie sie sich durch ihren ganzen Körper ausbreitete. Auf einmal fühle sie sich tief mit diesem Gefühl verbunden.

Es war die wohl beste und legalste Droge auf der Welt. Das Gefühl brachte sie dazu, dass sie einen Salto nach dem anderen schlug, bis ihr langweilig wurde. Dann flog Isabell eine steile Rechtskurve. Lara folgte ihr willenlos.

 

Lily hatte die beiden schon von weitem gesehen, es war nicht wirklich schwer Isabell und Lara in der Luft ausfindig zu machen.

Es gab nicht allzu viele Menschen, die die wahnsinnige Idee hatten auf einmal zu fliegen. Abgesehen von Ikarus und Dädalus.

Isabell und Lara schienen in die Luft zu gehören wie ein Fisch ins Wasser. Es war nicht das erste Mal, dass Lily die beiden um ihre Fähigkeiten in der Luft beneidete.

Neben Isabells besonderem und sehr schwer zu zügelnden Element besaß sie noch viel mehr um das Lily sie beneidete. Zum Beispiel war sie das einzige verheiratete Element und das einzige Element das ein Kind bekommen hatte.

Lara schien sich wohl zu fühlen. Lily freute sich für sie. Lily hatte von Jack über den Streit zwischen Isabell und Lara erfahren.

Glücklicherweise hatte sich das Mädchen für eine Zukunft als Element entschieden, alles andere wäre Verschwendung dieses Potentials gewesen.

Aber jetzt stand Laras Hassunterricht an. Es ging um ungewöhnliche Geschöpfe, die es nur in dieser Welt gab.

Lara landete ungewöhnlich sanft auf dem Boden. Isabell landete einen Tick eleganter neben ihr.

„Welcher Unterricht steht jetzt noch mal an?“, fragte Lara.

Lily verzog auf Laras Frage das Gesicht. „Kunde über ungewöhnliche Geschöpfe in dieser Welt“, antwortete sie.

„Cool“, antwortete Lara unmotiviert.

Sie sah zu der unmotiviert aussehenden Esmeralda, die sie in dieses extrem langweilige Fach einweihen würde.

„Ich gebe dir dieses Buch jetzt schon. Ich denke, wenn dir langweilig wird, kannst du es lesen“, sagte sie zu Lara und gab ihr ein altes Schulbuch über magische Geschöpfe.

Lily begann zu kichern.

„Ich denke, wir werden in den Wald gehen, da haben wir wenigstens unsere Ruhe“, sagte Esmeralda kühl. Sie schnappte sich Laras Hand und zog sie in den Wald.

Im Wald erreichten sie sehr bald eine Lichtung. Esmeralda setzte sich auf einen Baumstumpf der in der Gegend stand, mit einer knappen Handbewegung wies sie Lara an, sich ihr gegenüber zu setzten.

Lara nahm Platz. Mit Ehrfurcht musterte sie die deutlich ältere Frau ihr gegenüber. Esmeralda musterte ihrerseits Lara. Sie hatte keine hohe Meinung von ihr.

„Du kannst dein Buch aufschlagen. Auf den ersten Seiten wirst du wie üblich den Autor und so weiter finden. Die ersten magischen Wesen werden dich vermutlich auch nicht besonders interessieren. Ich werde dich auf jeden Fall in Hexen, Doppelgesichtern und Nereiden unterrichten. Aber Such dir doch bitte ein Thema aus dem Buch aus, das dich interessiert“, wies Esmeralda sie an.

Lara schlug das ungewohnt schwere und altmodische Buch auf, sie durchblätterte das Inhaltsverzeichnis. Sie fand eine Sache besonders interessant.

„Sind Meermenschen nicht genau dasselbe wie Nereiden?“, fragte sie Esmeralda.

„Es sind beide aufgeführt“, kam die knappe Antwort zurück. Das bedeutete wohl nein.

Esmeraldas Gesicht hellte sich etwas auf. Sie hatte erwartet, dass Lara gar kein Interesse an diesem Fach hegen würde. Da war es doch schon ein Fortschritt, wenn sie sich für Nereiden und Meermenschen interessierte. Außerdem musste sie die beiden sowieso unterrichten, wenn Lily die Meermenschen besuchen und ihre Hilfe einfordern wollte.

„Meermenschen sind eine Mischung aus Nereiden und Menschen“, erklärte Esmeralda.

„Also haben sich die Nereiden mit den Menschen mit den Nereiden gepaart?“, fragte Lara ungläubig.

Sie kannte nur die edle Seline, die früher einmal ein Mensch gewesen war. Aber die anderen Gruppenmitglieder waren den Menschen stets mit Argwohn und Hass begegnet. Sie hätte sich nie vorstellen können, dass die beiden stolzen Völker sich freiwillig gepaart hatten. 

„Nicht ganz“, sagte Esmeralda, schmunzelnd bei der Vorstellung Menschen und Nereiden hätten sich gepaart, „Lily hat sich Menschen und Nereiden zusammen vorgestellt. Weil ihr diese Mischung besonders gut gefiel, hat sie die Meermenschen aus dem Wasser geschaffen.

Der große Unterschied zwischen Meermenschen und Nereiden ist, dass die Meermenschen fruchtbar sind. Zum anderen vergöttern die Meermenschen die Nereiden und sie reichen nie im Leben an die Geschwindigkeit einer Nereide heran.“

Diese Erklärungen leuchteten Lara ein. Trotzdem nahm sie sich das Kapitel im Buch noch einmal vor.

„Ähm Esmeralda, hier steht, dass die Meermenschen in fünf Völker unterteilt sind und das man jedes Volk an der Farbe der Flosse erkennen kann.“

Esmeralda seufzte theatralisch. „Die Meermenschen leben wirklich in fünf Völkern. Das größte der Königreicher ist Miranda. Die typischen Kennzeichen für Miranda sind die smaragdgrünen Augen, eine schwarze Flosse, schwarze Haare und sehr helle Haut.

Zurzeit ist Perle die Königin von Miranda. In den Unterwasservölkern werden so gut wie nur Königinnen eingesetzt. Nach Perle kommt Nacre, ihre Tochter auf den Thron. Sie soll in zwei Jahren den Prinzen von Milia, er heißt Corail, heiraten.

Der Grund dafür ist, dass Perle und die Königin von Milia, Avenir heißt sie, gerne die zwei größten Unterwasserreiche vereinigen würden.

Die typischen Merkmale von dem Volk der Milia sind die perlmuttfarbene Flosse, die blonden Haare, die helle Haut und ebenfalls grüne Augen.

Alle Meeresvölker haben aus unerklärlichen Gründen grüne Augen. Nur die Malya nicht, sie haben saphirblaue Augen und eine saphirblaue Flosse. Sie haben wie auch das Volk der Miranda schwarze Haare. Die Malan haben eine rubinrote Flosse, dunkelbraune Haare und sie sind als das listigste Volk bekannt geworden.

Du solltest keinem von Volk der Malan trauen.

Das letzte und kleinste Volk sind die Mylana. Sie haben eine smaragdgrüne Schwanzflosse, grüne Augen, blonde Haare, ein feingeschnittenes Gesicht und werden als das schönste und vertrauenswürdigste der Völker beschrieben.“

Lara nickte. Esmeralda schien sehr viel über alle diese Völker zu wissen. Eventuell war sie doch eine gute Lehrerin.

„Noch eine Frage“, sagte Lara, „gibt es eine Möglichkeit echten Meermenschen zu begegnen?“

„Du kannst am Sonntag, der Tanzabend, echten Meermenschen begegnen. Die Wassermenschen werden sich in relativ großen Wasserbecken befinden. Jeder Wassermensch hat seine eigene Wanne. Die Wannen sind so groß, weil die Meermenschen sehr komplizierte Tänze tanzen, die viel Fläche benötigen. Der Prinz von Milia, Corail, tanzt auch sehr oft an diesen Tanzabenden mit. Wie ich gehört habe, soll er auch diesen Sonntag wieder mittanzen“, erzählte Esmeralda Lara erfreut, „leider ist er schon vergeben.“

Bei diesem letzten Satz schien Esmeralda fast schon traurig zu sein.

Lara legte ihr tröstend einen Arm um Esmeraldas Schulter. „Feuer und Wasser, dass würde eh nichts geben.“

Esmeralda zuckte unmerklich zurück. „Ich habe dabei nicht an mich gedacht. Ich habe an dich gedacht. Du könntest einen gescheiten Mann an deiner Seite gebrauchen“, sagte sie und zwinkerte Lara zu.

Mit einem Blick auf den Sonnenstand traten Lara und Esmeralda den Rückweg an.

 

Als sie ankamen an Jacks Haus hörten sie Isabell Klavier spielen.

Erst klang es nach Elton Johns ‚Candle In The Wind‘, doch Isabell wechselte am Ende des Stückes in ‚Song For Guy‘.

Esmeralda verabschiedete sich leise um Isabell nicht zu stören, dann verschwand sie in einer aufgehenden Flamme. Lara fand diese Effekte ultracool. Nach ihrem Stundenplan stand jetzt der musikalische Teil des Tages an.

Als sie die Treppe runterlief, sah sie in der Ecke des Wohnzimmers einen großen Flügel stehen.

Sie hätte schwören können, dass er davor noch nicht dastand. Sie starrte den Flügel so bewundernd an, dass ihr gar nicht auffiel, dass Isabell aufgehört hatte zu spielen.

„… spielen“, hörte sie noch von dem was Isabell gesagt hatte.

„Wie bitte“, antwortete Lara völlig perplex.

„Ich habe gefragt, ob du Lust hast Klavier zu spielen“, widerholte Isabell schmunzelnd.

„Deswegen bin ich doch hier, oder?“, fragte Lara wieder verwirrt.

Isabell grinste. „Wir können auch nur Theorie machen, oder du kannst Geige spielen.“

Lara schüttelte den Kopf entschieden. Isabell grinste weiter und stand auf. Dabei nahm sie aber ihre Noten vom Klavier und ließ Lara ein sehr einfaches Notenheft stehen.

Lara hatte mal probehalber probiert Klavier zu spielen. Allerdings hatte sie nur einfaches Geklimper auf dem Klavier zustande gebracht.

„Was soll ich spielen?“, fragte Lara.

„Eine C-Dur-Tonleiter.“

Lara sah verwirrt auf die Klaviatur. Was zur Hölle war bitte das C und was war eine Tonleiter? Hilfesuchend sah sie zu ihrer Mutter.

„Eine C-Dur Tonleiter ist eine Tonleiter, die bei einem C beginnt. Meistens ist es das kleingeschriebene c‘, das befindet sich ungefähr in der Mitte der Klaviatur. Dann spielst du mit drei Fingern die ersten drei Töne, das c, d und e. Dann untersetzt du mit dem Daumen und spielst dann einfach die Finger runter, f, g, a, h und das c‘‘“, sagte Isabell und spielte Lara eine Tonleiter vor.

Lara starrte interessiert auf die Finger ihrer Mutter. Die Bewegung der Finger beim Klavierspielen fand sie faszinierend. Sie hätte ihrer Mutter stundenlang zuschauen können. Vor allem als Isabell auf einmal schneller wurde, übte es eine ungeheure Faszination auf sie aus.

„So sollte es auch irgendwann bei dir aussehen“, sagte Isabell und unterbrach ihr Klavierspiel.

Lara sah sie entgeistert an. „Wie bitte?“, fragte sie.

„So soll es…“

„Ich habe es akustisch schon verstanden, aber wie soll ich das machen?“, fragte sie unsicher.

Sie hatte gehofft sich verhört zu haben.

„Training, Training, Training“, antwortete Isabell, „es ist wie fliegen.“

„Nein“, antwortete Lara entschlossen, „beim Fliegen habe ich etwas in mir gespürt, ich wusste was richtig ist und was nicht.“

„Dann musst du das beim Klavierspielen genauso machen. Beginn doch mal.“

Unsicher spielte Lara die Tonleiter einmal hoch.

„Du musst mehr Druck auf die Tasten ausüben“, korrigierte Isabell sie sofort.   

Lara probierte es noch einmal mit etwas mehr Druck. Isabell schnalzte ärgerlich mit der Zunge.

„Sorry“, entschuldigte sie sich bei ihrer Tochter, „aber manchmal werde ich ärgerlich, wenn man solche einfachen Übungen nicht schafft.“

Lara nahm die Entschuldigung an und probierte es nochmal. Diesmal mit mehr Erfolg. Sie probierte es immer wieder, eine Stunde später gelang es ihr fast fehlerfrei.

„Du musst einen Schlüssel in dir Klacken hören. Es ist, als ob du eine Tür aufschließt, dann wirst du verstehen, wie du es spielen musst.“

„Und wenn es nicht funktioniert?“, fragte Lara unsicher.

„Es ist nicht anders als Fliegen. Es beginnt alles in deinem Kopf. Es beginnt alles mit dem Verstehen.“

Lara sah sie verwirrt an. Isabell spielte ihr eine Tonleiter über fünf Oktaven. Lara sah bewundernd auf ihre schnellen, eleganten Finger.

„Wenn du verstanden hast, wie es geht, kannst du es so schnell oder langsam spielen wie du willst. Siehst du? Der Rest ist Training, damit deine Finger sich nicht verhaken, oder so was“, erklärte Isabell ruhig während sie weiterspielte.

„Ich kann keine Noten lesen“, erinnerte Lara sich und ihre Mutter.

Isabell zog die Stirn in Falten. „Dann müssen wir das wohl üben“, antwortete sie ruhig, „daran wird es wohl nicht scheitern.“

Dann sah sie auf die Uhr. „Das reicht für heute. Wir machen morgen weiter, aber jetzt darfst du Kämpfen.“

 

Isabell führte Lara aus dem Haus heraus. Lara fragte nicht, wohin sie gingen, sie folgte Isabell stumm. Isabell ging auf eine große Lichtung auf der noch zwei wohlernährte Pferde standen. Isabell legte beruhigend ihre Hand auf die Schnauze des Pferdes.

Als Lara zurückscheute, beruhigte Isabell sie: „Sie kennen mich, Lily hat mich mit ihnen vertraut gemacht. Lara kann mit ihnen reden, schließlich hat Poseidon als Gott des Meeres die Pferde geschaffen und Lily hat das Element Wasser.“

„Kannst du mir noch einmal die Verbindung zwischen Elementen und Göttern erklären?“, fragte Lara ihre Mutter.

„Die Götter waren auf Pangäa, aber sie haben es vernachlässigt. Dann wurden die Elemente geschaffen, die sich als Untergeordnete der Götter um die Elemente kümmerten“, erklärte Isabell geduldig. Sie war schon erfreut über das Interesse ihrer Tochter an den Elementen und den Göttern.

Isabell stieg auf die weiße Stute auf. Das andere Pferd war ein schwarzer Hengst.

„Ich bin verwundert, dass der noch hier ist“, erzählte Isabell, „eigentlich reitet Jack ihn, dann muss er wohl Cortana genommen haben.“

Lara fragte lieber nicht nach, wer oder was Cortana war. Sie war immer der Meinung gewesen Cortana wär der Name eines Schwertes gewesen. Oder der einer Suchmaschine auf Windows 10.

Als ihre Mutter nach ihr winkte, kam sie zögerlich heran. Sie hatte großen Respekt vor Pferden. Die weiße Stute und der schwarze Hengst sahen beide sehr eindrucksvoll aus.

„Du musst keine Angst haben“, lächelte Isabell, „das sind Jasmine und Jacob. Sie sind die ruhigsten Pferde aus der ganzen Bande.“

Lara lächelte. „Welches ist das wildeste?“, fragte sie.

„Florina, das Pferd von Lily“, antwortete Isabell, „aber du wirst es niemals reiten dürfen.“

„Warum?“, fragte Lara sofort neugierig nach.

„Erstens, würde das Pferd dich umbringen wollen und zweitens wird Lily dich dafür hassen.“

Lara lachte. „Es ist gut zu wissen, wovon ich meine Finger lassen sollte.“

Isabell schnalzte ärgerlich mit der Zunge, als Jasmine und Jacob losreiten wollten. „Seht ihr nicht, dass Lara noch nicht aufgestiegen ist?“, fragte sie die Pferde. „Steig endlich auf, Lara.“

Lara beäugte den Hengst, den sie reiten sollte argwöhnisch.

„Komm, gib dir einen Ruck. Er frisst dich nicht“, forderte Isabell sie auf.

Lara zweifelte nicht an dieser Aussage, Pferde fraßen ihres Wissens nach kein Fleisch. Sie legte dem Hengst ihre Hand zitternd auf den Hals.

Jacob schüttelte sich einen Moment, dann beugte es sich hinunter, so dass Lara bequem aufsteigen konnte. Es war ihr erster Ritt auf einem Pferd.

Isabell ritt flott voran. Laras Pferd folgte ihr in demselben Tempo. Lara krallte sich verzweifelt in der Mähne des Pferdes fest um nicht runterzufallen.

„Wohin reiten wir?“, fragte sie ihre Mutter panisch.

Isabell hörte sie erst nicht. Nach einiger Zeit antwortete sie allerdings: „Wir reiten zu unserem Haus.“

Lara verstand die Welt nicht mehr.

„Aber da sind wir doch gerade erst hergekommen, oder?“, fragte sie.

„Das war das Ferienhaus“, gab Isabell zurück.

„Warum haben wir ein Ferienhaus?“

„Da haben Jack und ich ursprünglich gelebt, aber als du dann auf die Welt gekommen bist, hat er mir das große Haus zur Hochzeit geschenkt.“

„Süß.“

Dann krallte sich Lara wieder in der Mähne fest und schloss ängstlich die Augen.

„Wir werden dann dauerhaft in dem großen Haus bleiben“, erzählte Isabell weiter.

Lara riss erschrocken ihre Augen auf.

„Kommen wir nicht mehr auf die Erde zurück?“, fragte sie.

„Warum sollten wir?“, fragte Isabell verwirrt.

„Naja, ich dachte, weil du Nadine dort hast, sie ist schließlich deine Mutter…“

„Adoptivmutter“, wurde Lara sofort kühl unterbrochen.

„Dann eben Adoptivmutter. Aber ich habe auch Freunde auf der Erde. Und ich muss in die Schule.“

Isabell lachte laut auf. „Was bringt dir die Schule? Du schläfst doch eh nur. Und der hohe Rat würde der Schule irgendwas erzählen, sie haben auch dafür gesorgt, dass wir auf der Erde wohnen konnten.“

Lara merkte, dass sie verloren hatte.

„Wo liegt das Haus?“, fragte sie vorsichtig.

Isabell lächelte geheimnisvoll. „Es wird dir gefallen.“

Lara und Isabell ritten weiter stumm durch den dichten Wald. Es war genau das, was Lara sich unter dem Wort Wald vorgestellt hatte. Überall wuchsen hohe Bäume, es gab Farne, die Luft war schwül, es gab tiefes Unterholz und keine Straßen nur ab und zu mal einen Trampelpfad.

Der Wald gefiel Lara mit jedem Schritt besser.

„Ungefähr 70% der Landfläche bestehen noch aus Wald. Die anderen 30% sind kleine Städte. Nie mehr als hundert Einwohner“, erzählte Isabell fröhlich.

Lara sah bewundernd durch den Wald. Auf der Erde war sie nie wirklich in einem Wald gewesen.

„Zählst du bei nie mehr als 100 Einwohnern auch die Kinder mit?“, fragte Lara.

Isabell zögerte einen Moment, dann antwortete sie: „Auf Pangäa gibt es kaum Kinder.“

Lara sah sie verwundert an. Dann fragte sie eine sehr einfache Frage: „Warum?“

Trotz der einfachen Frage antwortete Isabell nicht. Also fragte Lara noch einmal ihre Frage.

„Die Menschen auf Pangäa haben ein seltsames Geschenk bekommen“, antwortete Isabell zögerlich, „sie haben eine halbe Unsterblichkeit bekommen. Ich denke nachdem Prometheus gesehen hat, wie die Menschen sich auf der Erde vermehrt haben, erschien ihm diese Möglichkeit klug.

Die Leute in Pangäa können selber bestimmen, wie alt sie aussehen wollen, aber sobald sie Kinder bekommen, verfliegt ihre Unsterblichkeit. Eines der Kinder wird dann unsterblich, meistes das älteste. Manche der Menschen auf Pangäa wollen ihr eigenes Leben für ein Kind aufgeben, aber nicht viele.“

Lara schüttelte sich. „Das ist kein Geschenk, das ist ein Fluch.“

Isabell nickte. „Aber er ist notwendig um diese Natur so zu halten. Im Gegensatz zu unserem Wald der schrumpft, wächst dieser Wald.“

„Aber das hängt doch bestimmt auch mit der Anwesenheit von euch Elementen zusammen.“

Isabell nickte wieder. „Das stimmt natürlich auch.“

„Habt ihr dann schon mal darüber nachgedacht auf der Erde zu leben um sie zu schützen?“, fragte Lara.

„Unsere Kraft ist untrennbar mit der von Pangäa verbunden. Ohne regelmäßig und lange auf Pangäa zu leben, werden wir sie verlieren und nichts mehr für die Erde tun können. Außerdem wirken wir uns auch von Pangäa sehr auf die Erde aus.“

„Aber würde das nicht viel direkter sein, wenn ihr direkt auf der Erde währt?“, fragte Lara weiter.

„Aber dann würde Pangäa eingehen. Unsere Aufgabe ist es auf Pangäa und nicht auf die Erde aufzupassen.“

Lara sagte nichts mehr. Stattdessen probierte sie sich auf dem Pferd etwas zu entspannen, schließlich wollte sie nicht total verkrampft zum Kampftraining auftauchen.

Auf einmal lichtete sich der Wald etwas auf und sie ritten nach einer halben Stunde schnellen Rittes auf einen Vorhof.

Der Boden des Vorhofs bestand aus Kieselsteinen. Der Vorhof war kreisförmig angelegt, auf der anderen Seite von Lara und Isabell ging es eine breite Treppe hoch auf die Terrasse von einem großen Steinhaus. Das Steinhaus erschien im Vergleich zu dem Ferienhaus von Isabell und Jack gigantisch. Von außen gesehen, bestand es aus unregelmäßig geschlagenen Steinen und immer wieder blauem Glas.

Das Highlight war aber die blaue Glaskuppel auf dem Dach.

Isabell trabte auf ihrem Pferd ehrfürchtig und stolz auf die Treppe zu. Als Lara und sie die Steintreppe erreicht hatten, kam ein Diener durch eine kleine, unscheinbare Tür gelaufen. Er half Isabell sofort vom Pferd. Danach nahm er die beiden Pferde und führte sie sofort über den großen Kieselplatz und an der Rückseite des Steinhauses vorbei.

„Wo bringt er sie hin? Und wer ist das überhaupt?“, fragte Lara.

„Er bringt sie auf eine Wiese auf der sie grasen können“, antwortete Isabell, „und wer das ist. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“

„Du weißt nicht, wer in deinem Haus wohnt?“, fragte Lara verständnislos.

„Es wird einer der Bediensteten sein, ich kenn doch nicht alle Bediensteten, die wir mal hatten.“

„Werden sie denn wenigstens gut dafür bezahlt?“, fragte Lara verärgert. Sklaverei oder solche Knechtschaft widersprach ihren ethnischen Grundsätzen.

„Nein“, antwortete Isabell ruhig, „zumindest nicht im Sinne von Geld.“

„Warum werden sie nicht einmal bezahlt?“, fragte Lara verärgert.

„In Pangäa gibt es kein Geld. Geld war der größte Fehler auf der Erde. Was zählt Geld bitte? In Pangäa lebst du unmittelbar neben der Natur, hier zählen andere Dinge. Feuerholz, Wärme, ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Schutz vor wilden Tieren und sowas.

In Pangäa bezahlst du nicht mit Geld, Häuser und sowas baut man sich sowieso selber und ansonsten bezahlst du mit einem Stück Fleisch oder so. Da die Angestellten bei uns leben, bekommen sie von allem was wichtig ist genug ab. Glaub mir.“

Damit wandte Isabell sich der Treppe zu und lief sie hoch. Sie kam zu einer Glastür. Wie auch bei der Haustür von Jacks unterirdischen Wohnung standen die Namen der Bewohner in schwungvollen Goldlettern neben der Tür.

Isabell legte ihre Hand auf die Lettern. Als sie sie wieder wegnahm, stand Laras Name unter denen von Jack und Isabell. Als Lara ihre Hand auf die Glastür legte, schwang sie erwartungsgemäß auf und ließ Isabell und Lara eintreten.

Als Lara in der riesigen Eingangshalle stand, blieb ihr der Mund vor Staunen offen stehen. Die Wände waren komplett aus unregelmäßigen schwarzen Steinen gefertigt. Die Rückseite des Raums bestand allerdings aus einer massiven Glaswand, mit einer großen Tür um auf die Steinterrasse zu gehen.

An den beiden Seitenwänden der Eingangshalle hingen kunstvoll gearbeitete Kleiderhaken. Neben den Kleiderhaken ging auf beiden Seiten eine gewundene Treppe nach oben ins nächste Stockwerk.

Als Lara ihren Blick bewundernd nach oben wandern ließ, sah sie eine Glasdecke an, die den Blick in den Speisesaal freigab. An der Glasdecke hing ein kunstvoll gearbeiteter Kronleuchter aus Goldstäben und Glasperlen.

Die Halle war zwar kühl gehalten, aber strahlte unglaubliche Schönheit aus. An den Kleiderhacken hingen bereits die Jacken von Lily, Esmeralda, Hanna und Jack. Lara wollte gerade die Treppe nach oben in den Speisesaal nehmen um das Haus ein bisschen zu erkunden als Isabell ihr ins Ohr flüsterte: „Ich geh schon mal raus.“

Während Isabell den Raum durch die Glastür verließ und auf die Steinterrasse ging, nahm Lara die linke Treppe nach oben. Die rechte Treppe hätte aber genauso in den großen Speisesaal geführt.

Während sie die schlichte Treppe hochlief, strich sie ehrfürchtig mit der Hand über das rötliche Mahagonigeländer

Der Speisesaal war für mindestens zweihundert Personen ausgelegt. Es war keine riesige Tafel, wie in dem Ferienhaus, sondern immer drei Tische als Rechteck aufgestellt.

Lara fand den Blick nach unten am faszinierendsten. Er zeigte ihr perfekt den Blick auf die Eingangshalle, die sich dreieinhalb Meter unter ihr befand. Die Decke war diesmal nicht aus Glas gefertigt, sondern aus 3D-Fließen, die einem einen perfekten Himmel zeigten.

Im Speisesaal bestand jede Wand aus Glas.

Lara ging an die Wände und sah hinaus. Das Glas war so gut gefertigt, dass man ohne Brechung hinabsah und das Glas nicht bemerkte. Lara litt zwar nicht an Höhenangst, aber auch sie fand den Ausblick leicht beängstigend.

Die Fenster zeigten nicht sehr interessante Bilder. Drei von ihnen zeigten nur Wald, das vierte zeigte Meer.

Laras Blick wanderte zur Treppe. Sie stand mitten im Raum. Es handelte sich dabei um eine schwarze Steinwendeltreppe, die in den nächsten Stock führte.

Im nächsten Stockwerk kam sie auf einem gefliesten Flur raus. Der Flur war sehr schmal und hätte beunruhigend düster gewirkt, wenn die Decke nicht wieder aus Glas gewesen wäre und Sonnenlicht von oben eingefallen wäre.

Es waren zwei Türen in die Wände eingelassen. Eine rechts und eine links. Lara war genau in der Mitte des Flurs rausgekommen.

Lara wandte ihren Blick zuerst nach rechts, weil von dort Sonnenlicht einfiel.

Der Grund dafür war, dass die Tür zu einem Raum offen stand. Lara setzte sich in Bewegung um das Zimmer zu erkunden.

Durch die schwarzen Fliesen und das wenige Licht war der Flur unglaublich kühl.

Als Lara das Zimmer ansah, blieb ihr wieder der Atem stocken. Es war ohne Zweifel das Zimmer von Jack und Isabell. Es war nicht nur deswegen klar, weil es an der Tür stand, sondern auch wegen der Einrichtung. Dies schien das private Wohnzimmer der beiden zu sein. Alle drei noch freien Wände waren verglast. Das Sonnenlicht erfüllte das Zimmer mit wunderschönem Licht.

Eingerichtet war das gemeinsame Wohnzimmer mit einem großen Flachbildschirmfernsehgerät, einer großen Ledercouch, zwei Ledersesseln, einem großen blauen flauschigen Teppich und einen goldenen Couchtisch mit Glasplatte. In Richtung des Gangs ging auf der rechten und linken Seite des Wohnzimmers ging eine Tür weg.

Hinter der Tür links war das Schlafzimmer. Es war sehr schmal, hatte auf der Längsseite, die nicht zum Gang zeigte eine Glaswand, beinhaltete ein großes Doppelbett und einen Kleiderschrank der die ganze Längsseite zum Gang beanspruchte.

Auf der rechten Seite führte die Tür in ein relativ großzügig gestaltetes Bad mit 3D-Fliesen. Lara fand diese Fliesen mehr als cool. Im Bad von Isabell und Jack zeigten sie einen ruhigen Strand, der zum Meer hinführte.

Die Wände hatten dieselbe Gestaltung wie der Boden. Ansonsten glich das Bad eins zu eins dem von Lara in dem Ferienhaus.

Lara verließ das Zimmer staunend und ging den Gang zum anderen Zimmer durch. Hier musste sie allerdings bemerken, dass der Architekt echt keine Fantasie gehabt hatte, denn Laras Zimmer war exakt so eingerichtet, wie das von Isabell und Jack.

Der einzige Unterschied bestand darin, dass die 3D-Fliesen in Laras Bad keinen Strand, sondern eine Unterwasserlandschaft mit Haien und Delfinen darstellten, was ihr deutlich besser gefiel.

Nachdem Lara ihr Zimmer, das glücklicherweise eine Stereoanlage, eine Wii und einen Haufen DVDs zusätzlich beinhaltete, begutachtet hatte, nahm sie die Wendeltreppe wieder und stieg hoch in den letzten Stock.

Oben angekommen, im letzten Stock mit der Glaskuppel, stockte ihr der Atem. Sie hatte alles erwartet, aber nicht das. Statt weiteren Wohnräumen oder Räumen wie dem Speisesaal hatte sie einen Trainingsraum gefunden.

Auf dem Boden des Raums lagen weiche Matten, es standen Schwebebalken auf dem Boden, es gab Turngeräte aber das was Lara am meisten beeindruckte war die Sammlung an Waffen die an der kuppelförmigen Wand hing.

Es gab Schwerter, Dolche, Pfeil und Bogen, Speere und noch vieles mehr. Teilweise kannte Lara auch die Namen der Kampfgeräte nicht. Entgegen ihrer Erwartungen fand sich oben an der Spitze der Kuppel ein Ausgang.

Lara flog hoch zur Kuppel und drückte sie auf. Auf der Kuppel überkam sie ein plötzliches Glücksgefühl und sie segelte zum Erdgeschoss zurück. Elegant landete sie auf der Steinterrasse. Ihr Blick glitt über die relativ breite Steinterrasse aber sie konnte ihre Mutter nicht erblicken.

Als sie über das Geländer blickte, sah sie erst wie groß das ganze Anwesen war.

Es gab nicht nur die Steinterrasse, auf der sie war. Über das ganze Anwesen, bis hin zum Strand, waren kleine Steinplattformen, die in der Luft schwebten mit Hängebrücken verbunden.

Lara fragte sich gerade, warum sie mit Hängebrücken verbunden waren, als sie nach unten sah.

Das Haus stand am Ende einer Klippe. Die ganzen Steinplattformen, die Lara sah, schwebten in der Luft. Denn nach der großen Steinterrasse auf der sie stand, fiel die ganze Ebene schlagartig um mindestens hundert Meter nach unten. Der ganze Weg von ihrem Standpunkt bis zum Strand war mit Steinplatten überbrückt.

Lara musste lachen, so schön war es hier.

„Gefällt es dir hier?“, fragte Isabell. Sie war plötzlich hinter ihrer Tochter aufgetaucht.

Lara konnte nichts anderes machen als nicken. Was hätte sie sonst auch tun sollen? Die Anlage hatte ihr die Sprache verschlagen.

Isabell griff nach Laras Hand und zog sie über eine Steintreppe zur nächsten Steinplattform. Lara bewunderte wieder wie geschickt die Steinterrassen angelegt worden waren.

„Diese Steinterrassen werden durch meine reine Existenz in der Luft gehalten – entschuldige, deine Existenz spielt natürlich auch eine große Rolle“, erklärte Isabell ihr.

Lara nickte, sie hatte sich schon etwas Ähnliches gedacht. Schließlich war Pangäa an sich nicht magisch.

„Wenn du jetzt abheben würdest, würdest du die komplette Schönheit dieser Anlage erfassen“, sagte Isabell leise, „von oben betrachtet, sieht diese komplette Anlage aus wie ein riesiger Garten – oder ein Wald.“

Lara kam der unausgesprochenen Aufforderung nach und hob ab. Von oben betrachtet, sah die Anlage wirklich noch viel gigantischer aus als schon von unten. Lara schwebte einige Kreise über die Anlage, dann wollte sie sich wieder zu ihrer Mutter auf den Boden sinken lassen.

Isabell hatte sich aber bereits auf den Weg zur Glaskuppel gemacht. Lara flog ihr nach.

Im Obergeschoss warteten bereits Lily, Jack, Esmeralda und Hanna.

„Da seid ihr ja endlich“, sagte Lily.

Sie warf kurz einen Blick nach draußen, wo sich große Wolken zusammenballten.

„Ich denke der Oberste heckt schon einen guten Plan aus. Wir sollten uns mit deiner Ausbildung beeilen.“

Sie führte Lara zu den Waffen die an den Wänden der Kuppel hingen.

„Sieh dir die Waffen genau an, ich möchte, dass du dir die Waffe raussuchst, mit der du augenscheinlich am besten kämpfen kannst.“

Lara sah sich die Waffen zunächst nur zögerlich an. Mit der Zeit wurde sie mutiger und nahm die Waffen auch aus ihren Halterungen. Aber die meisten Waffen waren ihr zu schwer, zu unhandlich, man konnte sie schlecht transportieren oder sie waren zu groß.

Die Schwerter, und zwar sämtliche Unterordnungen, gab sie sofort auf. Jedes der Schwerter war lang, schwer und kunstvoll verziert. Diese Waffen waren für Lara einfach zu schwer.

In der Abteilung der Dolche fand sie schließlich eine Waffe die ihr zusagte. Es handelte sich bei dieser Waffe um einen Glasdolch.

„Das Glas des Dolches wurde unter elementarer Hitzeeinwirkung extrem ausgehärtet“, erzählte Esmeralda über den Doch, „danach wurde das Glas geschliffen.“

Lara betrachtete den Dolch. Er war leicht, das Glas war leicht bläulich und der einfache silberne Griff war mit einem kleinen Aquamarin verziert. Die kleine Verzierung gefiel Lara gut.

„Ich glaube ich nehme diesen Dolch“, sagte Lara gedankenversunken, „wenn es in Ordnung ist.“

„Es ist in Ordnung“, antwortete Esmeralda.

„Schön“, sagte Lily, „du hast ein Waffe. Aber das alleine reicht nicht. Bevor wir beginnen mit Waffen zu kämpfen, werden wir erst einmal deine körperlichen Leistungen erhöhen müssen. Dann können wir mit Waffen beginnen. Und zwar mit unterschiedlichen Waffen.“

Isabell klatschte in die Hände und die unterschiedlichen Trainingsgeräte bewegten sich. Ein Schwebebalken schwebte in die Mitte des Raums.

Er war überdimensional groß. Etwa dreimal so lang, wie ein normaler Schwebebalken. Lara dachte nicht, dass ein Schwebebalken für sie ein Problem sein sollte. Sie war schließlich das Element Luft und litt nicht unter Höhenangst.

„Wenn du dieses Training abgeschlossen hast“, begann Lily, „wirst du über diesen Balken sprinten, zur Decke hochspringen können. Dann wirst du auf den Querstreben an der Decke rennen können, mit einem Salto wieder runterspringen können und einen von uns im Zweikampf ohne Waffen besiegen können.“

Schön, sie sagt immer wieder können, dann muss ich das ja nicht wirklich können, dachte Lara, außerdem werden die Sprünge nicht so schwer sein. Schließlich gehöre ich zur Luft.

Lily schien ihre Gedanken lesen zu können. „Du wirst keine elementaren Fähigkeiten verwenden dürfen. Und ich habe dir gerade deine Abschlussprüfung gesagt. Ohne das zu können, werden wir dich nicht an die Waffen lassen.“

Lara seufzte genervt auf. „Na schön, warum warten wir dann noch?“, fragte sie.

Sie lief zielstrebig auf den Balken zu. Der Sprung würde doch ganz schön hoch werden, bemerkte sie, ungefähr fünf Meter. Das werde ich niemals springen können.

Außerdem hatte sie noch immer diesen merkwürdigen und unpraktischen Rock an. Momentmal, als sie gerade daran dachte, bemerkte sie, dass sie keinen Rock mehr trug.

Auch die anderen trugen nicht mehr ihre Kleider. Stattdessen trugen sie einen gummiartigen Trainingsanzug mit schweren schwarzen Stiefeln und einem breiten Waffengurt. Auch sie trug einen Gummianzug. Ich fühle mich wie in einem Ganzkörperkondom, dachte sie.

„Man kann unmöglich so hoch springen“, sagte sie, „nicht ohne elementare Fähigkeiten.“

„Du hast leider recht. Dein ganzer Körper ist der eines Elements. Du kannst höher springen als ein Mensch, schneller laufen und so weiter. Trotzdem musst auch du für solche Leistungen trainieren“, stimmte Lily ihr zu.

„Es geht trotzdem nicht“, widersprach Lara trotzig.

Hanna, sie hatte wohl am wenigsten das Verlangen in der Luft zu sein, seufzte. Sie nahm Anlauf, dann sprang sie auf den Schwebebalken, sprintete über ihn, sprang in Richtung Decke.

Dann griff sie nach einer Querstange und schwang sich auf die Querstrebe. Ohne Luft zu holen, rannte sie weiter, sprang mit einem Salto sechs Meter in die Tiefe. Dort begann sie einen Zweikampf mit Esmeralda. Den sie leider verlor.

Lara hatte sie mit wachsender Begeisterung angestarrt. Sie hatte das stillste Element so gut wie nie besonders beachtete.

Sie probierte es immer wieder, aber sie sprintete nicht schnell genug, sie sprang nicht hoch genug oder es haperte an etwas anderem. Auf jeden Fall schaffte sie es nie.

 

Von Montag bis Donnerstag zog sie diesen Trainingsplan knallhart durch.

Am Freitag kam der reinmusikalische Tag. Lara hatte sich schon lange darauf gefreut. Inzwischen hatte sich ihre Leistung schon deutlich gesteigert.

Sie hatte drei weitere Tonleitern gelernt. Aber in der Musiktheorie hatte sie noch nichts begonnen. Der Freitag enttäuschte sie leider. Sie durfte so gut wie nie an das Klavier, stattdessen lernte sie langweilige Fakten über Musiktheorie. Am Abend brummte ihr Kopf vor den ganzen langweiligen Dingen wie Harmonielehre und Akkordaufbau.

Isabell versprach ihr allerdings, dass dies sehr wichtig werden könnte für den Unterricht.

Am Samstag kam Jack mit dem intelligenten Vorschlag Lara im Sand sprinten zu lassen. Da das Haus relativ nah am Strand stand, war das kein großes Problem. Aber im Sand zu sprinten war anstrengender und würde ihre Leistung deutlich steigern. Lara war anfangs nicht begeistert, sie wollte zwar schnell lernen wie man kämpfte, aber es war sehr anstrengend wie sie fand. Trotzdem ließ sich Jack nicht wieder von ihrem Hundeblick über den Tisch ziehen.

Stattdessen bestand er wirklich darauf, dass sie den ganzen Tag im Sand sprinten und springen übte. Was sie dank ihrem Elementkörper auch wirklich durchhielt.

Der Sonntag brachte dann die entscheidende Abwechslung. Lara wachte am frühen Morgen auf, nicht wie gewohnt durch das Aufgehen der Sonne, sondern dadurch, dass ihre Mutter an der Tür klopfte.

„Mama, lass mich in Ruhe“, motzte sie und probierte wieder ihre Augen zu schließen und weiterzuschlafen.

„Lara, heute ist Tanzabend. Du musst zwar nicht aufstehen, aber wir könnten endlich wieder Zeit als Familie verbringen.“

Lara sah ihre Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen an, als sie die Tür öffnete. „Wo willst du hingehen“, fragte sie ihre Mutter genervt, „es gibt hier keine Erlebnisparks. Geschweige denn Abenteuerländer.“

„Du würdest wirklich noch in ein Abenteuerland gehen?“, fragte sie belustigt.

Lara nickte. „Ich habe mich sogar mit Kevin in einem Abenteuerland verabredet.“

Isabell sah sie böse an.

„Du hast was?“, fragte Isabell böse.

„Naja“, druckste Lara, „er mag Abenteuerländer.“

„Ich meinte etwas anderes“, sagte Isabell böse, „du hast wieder von ihm geredet.“

Lara verdrehte die Augen. Sie hatte bisher keinen Gedanken an Kevin verschwenden können, sie war zu beschäftigt gewesen. Jetzt spürte sie das Stechen in ihrem Herzen.

„Lara, du musst den Typen endlich vergessen“, sagte Isabell liebevoll, „ein Typ der in Jogginghosen und geblümten Boxershorts vor unserem Haus rumrennt, ist es nicht wert.“

„Woher weißt du wie seine Unterhosen aussehen? Und was ist er nicht wert?“

„Der Typ hat sich die Boxershorts bis zum Bauchnabel hochgezogen und sein T-Shirt in die Boxershorts gesteckt, hast du das nie gesehen? Er ist es nicht wert das du dir schon wieder den Kopf über ihn zerbrichst!“

Lara seufzte. „Also wo willst du hin?“, fragte sie.

„Wir könnten auf den Pferden einen Ritt machen. Es gibt viele Stellen in Pangäa, die du noch nicht kennst“, sagte Isabell nur mit einem verführerischen Unterton.

Lara erinnerte sich an den Wald und an die Seen, die sie bereits gesehen hatte. „Ich dachte es gibt in Pangäa nur Wald, Wiesen und Seen“, überlegte Lara laut.

Isabell brach in herzhaftes Gelächter aus. „Es wäre ja schön, wenn Pangäa nur daraus bestehen würde, aber es gibt auch Städte und Strände.“

„Ich brauche noch ein Kleid für heute Abend“, fiel es Lara auf einmal ein.

„Ich habe schon an sowas gedacht“, antwortete Isabell, „ich dachte dieses würde dir eventuell gefallen.“

Sie holte ein königsblaues Kleid hinter ihrem Rücken hervor. Es hatte keine Träger, war unter der Brust mit einem silbrig glitzernden Band gerafft und ging etwa bis zur Mitte des Unterschenkels.

Lara sprang vor Begeisterung aus dem Bett.

„Das ist wunderschön, Mama“, rief sie und warf sich ihrer Mutter um den Hals.

„Ich dachte mir, dass es dir gefallen wird. Probiere es doch an“, forderte Isabell sie auf.

Wenige Minuten später hatte Lara das Kleid an. Es passte wie angegossen. Ihre gebräunte Haut und ihre langen goldblonden Haare passten farblich perfekt zu dem Kleid.

„Ich bräuchte nur noch die passenden Schuhe dazu“, überlegte Lara laut.

Isabell zog hinter ihrem Rücken ein Paar silberne Riemchensandalen mit niedrigem Absatz hervor. Auch diese passten Lara perfekt.

„Wie gehst du heute Abend zum Ball?“, fragte Lara ihre Mutter.

„Ich weiß noch gar nicht, ob ich mitgehen werde. Ich werde vermutlich sowieso nicht mit deinem Vater tanzen können“, antwortete Isabell gedankenverloren.

„Na das wird schon. Dieses fiese Doppelgesicht wird ja schließlich nicht den ganzen Abend mit ihm tanzen wollen, oder? Und ansonsten gibt es ja noch einen ganzen Haufen anderer Kerle, die du fragen könntest.“

Isabell nickte. Kurz darauf kam sie in einem silbernen Kleid mit zarten Trägern zurück. Das Kleid war rückenfrei, ansonsten recht unbetont und reichte bis zum Knies.

„Du siehst hinreißend aus“, sagte Jack auf einmal. Er war plötzlich in der Tür aufgetaucht.

„Du natürlich auch Lara, aber dieses Kompliment war an deine Mutter gerichtet.“

Er küsste seine Frau.

Lara verzog das Gesicht. „Bäh, ich will meinen Eltern doch nicht beim rummachen zuschauen.“

Isabell und Jack grinsten beide. Lara und Isabell zogen sich wieder um, dann gingen sie runter in den großen Speisesaal und ließen sich ein herrliches Frühstück servieren.

„Zum Glück gibt es dieses herrliche Frühstück nur Sonntags“, schmatzte Lara, „sonst würde ich ja noch unglaublich fett werden. Trotz des Trainings.“

Auch Jack und Isabell waren Laras Meinung. Sie beredeten derweil den Plan für den heutigen Abend. Jack würde solang mit diesem Doppelgesicht tanzen müssen, sie hinhalten müssen, bis Lily beschloss sie könnte die Meermenschen einweihen. Dies könnte eventuell noch ewig dauern.

„Mama, müssen wir heute was machen?“, fragte Lara Isabell.

Isabell sah sie überrascht an. „Nein, wir müssen nichts machen, ich dachte, es würde dir mal gefallen.“

„Naja, also eigentlich würde es mir schon gefallen. Aber ich würde auch gerne einfach mal einen Tag zuhause bleiben. Ich meine, wir waren jetzt seit unserer Ankunft hier nur am Üben und heute habe ich wenigstens den halben Tag Zeit um irgendwas zu machen. Irgendwas zuhause. Vielleicht auch einfach nur in meinem Zimmer sitzen und Musik hören. Oder vielleicht nochmal in die Waffenkammer zu gehen und zu üben, mal ganz für mich. Ich weiß noch nicht, was ich machen möchte, aber ich habe von dem was ich Zimmer nenne noch nicht so viel genutzt“, erklärte Lara zögernd.

Isabell blickte ihre Tochter erstaunt an. Sie hatte dieses Haus das erste Mal als ihr Heim bezeichnet.

„Natürlich, du kannst deinen Tag verbringen wie du willst. Bis 15:00Uhr, dann müssen wir uns fertig machen. Wir rechnen durchschnittlich mit einer Stunde Ritt bis nach Laurum.“

„Laurum?“, fragte Lara verwirrt.

„Die Stadt in der die Tanzveranstaltungen stattfinden. Sie ist die nächste größere Stadt im Umkreis von 200 Kilometern.“

„Wie viele Einwohner hat sie?“, fragte Lara unsicher.

„Jack, wie viele Einwohner hat Laurum?“, fragte Isabell ihren Mann.

„Ungefähr einhundert, wenn ich mich nicht irre“, nuschelte dieser. „Aber es kommen Leute aus allen Orten zum Tanzen nach Laurum.“

„Das nennst du groß, Mami?“

„Ein durchschnittlicher Ort besteht hier aus fünfzig Leuten, maximal. Die meisten leben einfach auf einem Hof oder einem Landhaus, so ähnlich wie wir.“

Lara fand Landhäuser toll, als kleines Kind hatte sie sich immer gewünscht ihre Eltern hätten ein Landhaus.

„Warum nur so ähnlich?“ Sie konnte die Neugierde in ihrer Stimme kaum verbergen.

„Unser Haus ist ein luxuriöses Einfamilienhaus. Kein klassisches Landhaus. Ein sehr großer Unterschied ist allerdings die Tatsache, dass in unseren unteren Stockwerken Platz für ganze Versammlungen und festlichere Anlässe ist.“

Lara nickte und verstand. Nach dem Frühstück ging sie auf die Gartenterrasse. Sie starrte auf die schwebenden Plattformen mit Gärten. Das Verlangen einen längeren Spaziergang durch diese Gärten zu machen packte sie. Bisher hatte sie die Gärten ja nur von oben aus der Vogelperspektive gesehen.

Sie sagte Isabell kurz Bescheid, dann machte sie sich auf den Weg.

Die Gärten waren auch aus der Zentralperspektive sehr schön anzusehen.

Die Plattformen waren komplett unterschiedlich gestaltet, jede Plattform an sich hatte zwar nur immer ungefähr fünf Quadratmeter, aber sie waren mit den unterschiedlichsten Dingen bepflanzt. Auf der einen Plattform waren noch Wiesenblumen gewesen, auf der nächsten dann eine hohe Fichte oder eine hohe Tanne mit Waldboden.

Lara lief ein ganzes Stück durch die Gärten. Als sie am Strand angekommen war, war sie fix und fertig.

Die armen Menschen die diesen ganzen Weg wieder hochlaufen müssen, dachte sie sich.

Sie hatte zwar den langen Weg genommen um möglichst viel von der Anlage zu sehen, aber es hatte sich gelohnt.

Lara musste sich um Dinge wie Zurücklaufen relativ wenig Gedanken machen. Schließlich konnte sie einfach wieder zurückfliegen.

Sie nahm sich vor Lily mal nach einem Tauchgang in dem Meer vor der Küste zu fragen. Das Meer war wirklich traumhaft schön und türkisfarben. Auch der Strand war sauber und nicht mit den Stränden zu vergleichen, die Lara bisher gesehen hatte. Statt dem Müll und dem an Land gespülten Seetang gab es nur hellen weißen Strand. Außerdem war der Strand echt und nicht künstlich angelegt.  

Zu ihrer Überraschung konnte sie kein Ende des Strands ausmachen. Ein kleines Stück folgte sie dem Strand aber dann wurde es ihr zu blöd und flog über die Gärten zurück nach Hause.

Ihre Mutter erwartete sie nicht zuhause. Sie war wohl mit Jack und den anderen zusammen. Lara fühlte sich immer noch nicht wie ein Teil der Elemente. Mehr wie ein kleines Anhängsel, ein unbeliebtes Anhängsel das alle nur aufhielt.

In trübe Gedanken versunken, stieg sie die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie vergrub die Zehen in dem tiefen Flauschteppich, dann legte sie sich auf die Ledercouch.

Ihr Blick wandte sich ihrem Handy zu, eine SMS war angekommen. Von Kevin.

 

Kevin: Entsperre mich wieder! Lass dir nichts von deiner Mutter sagen! Oder ich mach dich fertig!

 

Lara las sich die SMS mehrmals durch, ihre Mutter hatte also doch recht gehabt. Was sollte sie zurück schreiben, fragte sie sich. Dann entschied sie sich endgültig mit ihm abzuschließen.

 

Lara: Meine Mutter hat recht. Du willst nur das Eine. Sorry, aber ich habe keinen Bock mehr auf dich, zieh eh bald um. Lass mich in Ruhe und melde dich nicht mehr!

 

Ihr Handy klingelte noch eine Weile, doch dann gab es Ruhe. Lara ließ ihren Blick zu der Wii wandern, die neben dem großen Fernseher stand.

Bisher hatte sie weder den Fernseher noch die Wii genutzt, eigentlich eine Verschwendung.

Schnell stand sie auf und sah sich die Spiele an. Als sie ‚Super Mario Bross‘ sah, war es um sie geschehen. Sie liebte dieses Spiel einfach nur. Sie legte es ein und begann zu spielen.

Isabell musste lauthals loslachen als sie ihre sechzehnjährige Tochter mit diesem Spiel sah.

„Liebling, ich dachte du wärst mittlerweile älter geworden.“

Lara musste grinsen. „Nö.“

„Wir müssen uns fertig machen. Und ich bekomm dein Handy.“

„Warum bekommst du mein Handy?“, fragte Lara verwirrt während sie ihr Kleid holte.

„Ich sag nur: Kevin.“

„Du nimmst mir mein Handy weg, weil ich ihm gesagt hab, er soll mich in Ruhe lassen?“, fragte Lara nun völlig verwirrt. Sie händigte ihrer Mutter aber willenlos das Handy aus.

Isabell checkte die SMS alle durch. „Du hast ihm das ja wirklich gesagt“, bemerkte sie verblüfft.

„Ach ne!“, gab Lara beleidigt zurück.

„Heute Abend wirst du viele nette Leute kennen lernen. Auch einige Jungen, wenn du willst.“

Lara schüttelte sich gespielt. Eigentlich wollte sie gerade nichts vom männlichen Geschlecht wissen. Aber sie musste mit auf diesen Ball.

„Zieh dich schnell an, wir müssen los“, wies Isabell sie an, dann verschwand sie nach unten.

Als Lara zwanzig Minuten später angezogen runterkam, standen schon drei gesattelte Pferde vor der Eingangstür. Isabell und Jack saßen bereits auf einem, deshalb nahm Lara das dritte. Sofort ritt Isabell los und preschte durch den Wald. Jack und Lara folgten.

Der Ritt dauerte eine gefühlte Ewigkeit, dann erreichten sie eine massive Mauer aus Steinen. Hinter dieser Mauer sahen sie höhere Häuser und einige einsame Lichter.

„Warum sind da so wenige Lichter?“, fragte Lara Isabell.

„Alle sind unterwegs zu der Tanzhalle“, erklärte Isabell ihrer Tochter.

„Wie heißt die Stadt nochmal?“, fragte Lara.

„Laurum.“

Isabell klopfte gegen die massive Holztür.

„Wer ist da?“, hörte Lara eine kratzige Stimme.

„Isabell, Jack und Lara.“

Die Tür wurde ruckartig aufgerissen und die drei wurden von einem unterwürfigen Türwächter eingelassen.

Er warf sich beinahe vor den drei auf den Boden um ihnen zu zeigen, dass er sich nicht gegen sie stellen würde. Isabells und Jacks Zorn schien wohl gefürchtet zu sein.

Isabell und Jack beachteten das aber gar nicht weiter und durchquerten einfach nur das Tor.

Lara hatte sich Mittelalterstädte immer sehr einfach vorgestellt. Dreckige Gassen in denen sich die Hunde mit den ständig betrunken Menschen zwischen den vergammelten Holzhäusern wälzten. Die Frauen saßen ständig in den gammligen Hütten vor dem Ofen und kochten für ihre ständig betrunkenen Männer oder waren Prostituierte. Auf dem Marktplatz war ein Scheiterhaufen um Hexen zu verbrennen und unethischen Ritualen nachzugehen.

So hatte sie sich auch Laurum und alle anderen Städte in Pangäa vorgestellt.

Stattdessen sah sie saubere Steingassen, saubere und durchaus stabile Holzhäuser, überall Laternen und einen großen Brunnen in der Mitte des Marktplatzes.

Gegenüber des Brunnens stand ein Gebäude. Es konnte zwar nicht mit der Eleganz des Landhauses aufnehmen, in dem Lara gerade lebte, aber es war ebenfalls aus schwarzem Stein gefertigt und hatte eine große Glaskuppel oben aufsitzen.

Allerdings war das Gebäude einstöckig und hatte mehrere große Türen, durch die sich im Augenblick tausende von Leuten zu drängen schienen.

Lara wollte sich schon hintenanstellen, als alle vor ihr auf die Knie fielen. Sie hörte Geflüster hinter ihrem Rücken als sie die große Tür durchschritt. Es war ihr furchtbar unangenehm und auch Isabell schien sich nicht wohl zu fühlen.

Jack hatte sich wohl mittlerweile daran gewöhnt, er war ja auch öfter hier gewesen. In der Halle standen schon einige Pärchen in der Gegend rum und tanzten zu der leisen Musik. Einige Kellner liefen ebenfalls durch die Gegend, auf ihren Tabletts trugen sie Champagner herum.

Laras Blick glitt zu den großen Wasserbecken die in der Gegend standen. Es waren nur fünf, dafür waren sie riesig. Isabell folgte Laras Blick.

„Der im ganz rechten Becken ist Corail, er ist der Prinz von Milia“, erzählte Isabell, „den Rest kenne ich nicht.“

Lara sah sich den Prinz von Milia an, er war sportlich, groß und hübsch. In der Halle standen viele Männer auf die diese Beschreibung ebenso zugetroffen hätte, aber sie hatten nicht Corails Besonderheit oder sie waren zu alt.

Reiß dich zusammen, Lara. Er ist ein Prinz, dachte sich Lara nur.

„Geh doch zu ihm rüber, in Pangäa zählst du als sowas wie eine Göttin“, ermunterte sie Isabell.

Corail war im Augenblick der einzige junge Mann in diesem Raum, der ungefähr Laras Alter hatte.

Lara näherte sich Corails Wasserbecken mit großer Vorsicht, sie vermisste ihre alte Jeans in der sie sich so wohl gefühlt hatte.

„Hey, ich bin Lara. Wer bist du?“, fragte Lara scheinheilig.

„Hey, ich bin Corail. Prinz von Milia, Sohn von Avenir“, stellte sich Corail vor.

„Tochter von Isabell“, grinste Lara.

Corail deutete sofort einen Knicks an. „Hättet Ihr das sofort gesagt…“

„Können wir beim ‚Du‘ bleiben?“, fragte Lara ihn sofort. Sie hasst es gesiezt zu werden.

„Klar“, grinste Corail frech.

Im Nachbarbecken stöhnten ein paar Meermenschfrauen enttäuscht auf. Sie schienen wohl alle Interesse an Corail zu haben.

„Lust auf einen Tanz“, riss Corail sie aus ihren Gedanken.

Lara nickte. Sie wollte sich zu ihm ins Wasser lassen. „Warte noch einen Moment“, lachte Corail. Er flüsterte etwas unverständliches, dann zog er sie zu sich ins Wasser. Lara hatte gedacht sie würde nicht nass werden, so wie bei Lily.

Sie keuchte erschrocken auf als sie die eisige Kälte des Wassers spürte.

Corail lachte auf. „Ich habe nicht dieselbe Macht wie meine Göttin, Lily. Ich kann dir nur diesen Ring anbieten“, lachte er.

Er hielt ihr einen Ring entgegen. Es war ein schlichter Goldring.

„Meine Mutter hat auch so einen“, flüsterte Lara ehrfurchtsvoll, „aber ihrer hat einen Stein. Ich dachte neun von den zehn wären an Poseidons Hand.“

Corail sah sie grinsend an. „Das ist keiner der zehn Ringe des Poseidons, er ist nicht so machtvoll. Er muss sich immer wieder bei mir aufladen, sonst kann nicht wirken.“

Lara streifte sich den Ring über und bemerkte sofort die unverkennbare Wirkung. Die Wirkung war dieselbe wie Lilys Zauber. Ihre Kleidung trocknete, sie spürte die Kühle kaum noch, nur noch die Erinnerung daran. Der einzige Unterschied war, dass sie eine Flosse hatte und ein perlmuttfarbenes Bikinioberteil.

„Ach, gib doch nicht so an, Corail“, hörte Lara ein anderes Meermenschmädchen sagen.

„Warum hast du dann gerade geflüstert?“, fragte Lara neugierig.

„Um wichtiger rüberzukommen.“ Corail setzte ein amüsiertes Grinsen auf.

Corail legte einen Arm um ihre Hüfte, den anderen legte er auf ihren Arm. Lara wollte es ihm nachtun aber Corail schüttelte den Kopf.

„Tu einfach mal nichts“, grinste er, „du wirst irgendwann wissen was du tun musst.“

Lara fühlte sich anfangs sehr komisch, es war ein unbeschreibliches Gefühl, als sie durchs Wasser gewirbelt wurde und sie nichts tat. Und dazu noch das Gefühl eine Delfinflosse zu haben. Mit der Zeit kam aber wirklich das Gefühl für den Tanz. Sie nahm die Arme mit, wirbelte geschmeidig mit Corail durchs Wasser und ignorierte das Geflüster der anderen Meermenschmädchen um sie herum, die sie neidisch beobachteten.

 

Isabell sah ihrer Tochter bewundernd zu. Lily hatte sie einmal zum Unterwassertanz aufgefordert – mit dem Erfolg das sie beide lachend im Wasser trieben und nach Luft schnappen mussten. Aber Lara stellte sich wirklich gut an, sie verkraftete auch die Flosse sehr gut.

Hanna, Esmeralda und Lily waren immer noch nicht da. Jack griff nach Isabells Arm und drehte sie zu sich um.

„Ich möchte dieses Kleid nicht verschwenden“, murmelte er ihr ins Ohr und zog sie zum Tanzen auf die Tanzfläche.

Sie hatten leider gerade zwei Tänze miteinander, da kam auch schon eine schwarzhaarige Frau mit violetten Augen an.

Charlotte.

Einen Moment spielte Isabell mit dem Gedanken einfach den Plan über den Haufen zu werfen und Jack nicht herzugeben, aber das wäre unfair gewesen und dann wären sie alle erledigt gewesen.

„Jack, Liebling. Du hast dich ja schon ohne mich amüsiert“, sagte Charlotte und zog Jack mitten im Tanz von Isabell weg.

Jack warf Isabell noch einen entschuldigenden Blick zu, dann tanzte er mit Charlotte weiter. Einige Männer sprachen Isabell an und fragten nach einem Tanz. Isabell tanzte mit allen, solange bis ihre beste Freundin die Tanzfläche betrat. Isabell ging nach dem Tanz sofort auf sie zu.

„Wo ist denn Jack“, bekam Isabell zusammen mit einer halbherzigen Umarmung als Begrüßung.

„Der tanzt mit seiner Charlotte“, gab Isabell angewidert zurück.

„Isabell, bitte nimm dir das wirklich nicht so zu Herzen“, sagte Lily, „der Plan muss aufgehen.“

Isabell nickte. „Lust auf einen Tanz?“, fragte sie ihre beste Freundin.

Lily zog sie ohne zu warten auf die Tanzfläche. Sie tanzten eine Weile amüsiert zusammen.

„Wo ist Lara“, fragte Lily irgendwann.

„Die ist schon eine Weile bei Corail“, sagte Isabell nur mit hochgezogener Augenbraue.

Lily erwiderte den Blick ebenfalls mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Kommen Hanna und Esmeralda eigentlich auch nochmal?“, fragte Isabell.

„Ich glaube, die sollten noch kommen.“

Genau in diesem Moment ging die Tür auf und Esmeralda kam mit Hanna rein.

„Wir haben euch vermisst“, begrüßte Isabell die beiden und gab beiden eine stürmische Umarmung.

„Wo ist Jack“, fragten Hanna und Esmeralda sofort aus einem Mund.

Isabell zeigte auf den tanzenden Jack.

Hanna schnappte sich Esmeralda und zerrte sie auf die Tanzfläche. Isabell und Lily folgten wieder. Sie tanzten noch einige Tänze, auch mit Männern, doch dann wurde es Isabell zu blöd.

Nach einiger Zeit war es den vier Damen zu blöd und sie holten Lara aus Corails Becken. Lara verabschiedete sich von Corail, gab ihm den Ring zurück, dann verließ sie mit nassen Klamotten Das Becken.

 

Jack tanzte noch Stunden lang mit seiner Charlotte. Doch als diese zum Kuss ansetzten wollte, verabschiedete er sich überstürzt und stürzte aus der Halle.

Ehe Charlotte noch beschließen konnte ihm zu folgen, schwang er sich auf seinen Hengst und ritt in den tiefen Wald davon.

Er hatte gar nicht bemerkt, dass seine Frau und seine Tochter die Veranstaltung schon längst verlassen hatten. Jack war froh endlich gehen zu können.

Charlotte war ihm unsympathisch geworden – wenn sie ihm jemals sympathisch gewesen war. Sie war so unnatürlich, dass er sich schütteln musste.      

Als er endlich zuhause angekommen war, schmiss er sich erst mal aufs Bett und blieb dort eine Weile liegen. Isabell lag natürlich schon lange im Bett und war von ihm geweckt worden.

Erst ließ sie sich nichts anmerken, sie war einfach erschöpft und müde. Dazu kam ihr Ärger. Und ihre Eifersucht.

Sie wollte seine Liebe nicht verlieren. Sie durfte es nicht zulassen, alleine wegen Lara. Weil Lara ihren Vater sosehr liebte. Aber auch sie liebte ihren Mann über alles. Es würde ihr Leben zerstören. Gefesselt in diesen Gedankenmonolog bemerkte sie nicht, dass Jack sie in Gedanken versunken beobachtete.

Ich darf Jack nicht verlieren. Sollte ich ihn verlieren würde ich sterben, mit dieser Überzeugung drehte Isabell sich um.

Sie schaute in seine braunen Augen und küsste ihn vorsichtig.

„Wie war dein Abend?“, fragte sie neugierig.

Verflixt, auffälliger hätte ich meine Eifersucht nicht beweisen können, herrschte sie sich an.

Jack grinste nur und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Allerdings antwortete er nicht.

„Warum antwortest du mir nicht?“, fragte Isabell allarmiert und richtete sich auf.

„Er war grauenhaft und er sitzt mir noch in den Gliedern“, antwortete Jack.

„Ist sie so schlimm?“, fragte Isabell neckend.

„Vielleicht hätte ich es mit ihr aushalten können…“, antwortete er nachdenklich.

„Aber?“, fragte Isabell weiter.

„Du hast mir gefehlt. Du sahst so umwerfend aus, aber ich musste mich verstellen. Ich konnte diesen Abend, den Abend der dir gehören sollte, nicht mit dir verbringen. Und das lässt mich nicht los.“

Isabell sah ihn verwirrt an. Warum sollte dieser Abend ihr gehören? Was war denn bitte so besonderes passiert? Als sie ihm die Frage stellte sah er sie verwundert an.

„Vor sechzehn Jahren – kurz nach der Geburt von Lara – haben wir uns auf der Erde geschworen, dass wir für immer treu sein würden. Es war nicht immer leicht aber wir haben es geschafft. Bis Charlotte aufgetaucht ist, da begann diese scheiß Eifersucht…“

„Ich wusste gar nicht“, warf Isabell bestürzt ein, „wie offensichtlich meine Eifersucht war, ich wollte sie immer unterdrücken.“

Ungerührt ihres Einwandes fuhr Jack fort: … jeden Tag, wenn ich nach dem Tanzen mit Charlotte zurückkam, hast du mich so angesehen, so merkwürdig, als ob du etwas wissen würdest. Zumindest ahnen würdest. Aber nachdem du es wusstest, wurde es nicht besser. Ich wollte dir diesen Tag schenken, denn er bedeutet mir mehr als unser Hochzeitstag. Aber ich konnte es nicht, wegen Charlotte. Ich weiß nicht wie lange ich das noch durchhalte. Ich kann dich nicht wirklich betrügen. ICH KANN ES EINFACH NICHT!“

Ermattet sank Jack aufs Bett zurück. Dieser plötzliche Wutausbruch, das unerwartete Gespräch mit Isabell, alles raubte ihm Nerven. Und die waren gerade Mangelware bei ihm.

Isabell sah ihn nachdenklich an. Alles was er gesagt hatte entsprach der Wahrheit. Sie hatte immer etwas geahnt, sie hatte dieses tiefe Stechen in ihrer Brust gespürt. Bisher hatte sie auch immer geglaubt er könnte etwas mit Charlotte angefangen haben. Sie hatte es trotz all seiner Zärtlichkeiten immer befürchtet. Nun war diese Furcht zerstreut. Er hatte alles vor ihr fallen lassen, seine Ängste, seine Wünsche und die Furcht vor seiner Aufgabe. Sie zu betrügen. Zumindest eine Weile.

„Ich kann verstehen, wie schwer diese Aufgabe ist. Und glaub mir, ich würde nichts lieber tun, als dieses Biest eigenhändig umzubringen, wenn sie dich berührt. Aber du musst durchstehen. Warum fällt es dir so schwer?“, fragte sie ihn.

„Weil ich dich betrügen muss. Weil ich möglicherweise Wunden graben muss, die ich nie wieder reparieren kann. Wunden in unserer Beziehung. In der alles heil ist. Verstehst du das nicht?“

Bei seinen letzten Worten sah er Isabell mit einem verzweifelten, fast flehendem Blick an.

Verstehe ich ihn, fragte sie sich auf einmal.

„Was du dieser Frau gibst, was du ihr geben musst, ist rein körperlicher Natur. Ich verstehe, dass du mich nicht betrügen willst. Ich würde dich auch nicht betrügen wollen. Alleine diese Vorstellung…“

Sie musste sich bei dieser Vorstellung unwillkürlich schütteln. „Aber was zählt, was wirklich wichtig ist, ist nicht das Körperliche, was du ihr schenken kannst. Das Wichtige sind deine Gefühle. Solang du ihr nicht deine Gefühle schenkst, nicht das, was dich ausmacht, betrügst du mich nicht. Stell dir einfach vor, du würdest mit mir tanzen. Stell dir vor, du würdest nicht sie küssen, sondern mich. Deine Liebe zählt für mich, nicht deine körperlichen Aktionen. Verstehst du mich?“

Jack überlegte nicht lange. Es war zwar etwas verwirrend und widersprüchlich aber er verstand sie. Er fühlte was sie meinte. Statt zu antworten, legte er eine Hand an ihre Wange und nickte. Doch Isabell ließ nicht locker.

„Antworte doch bitte“, flehte sie. Sie sehnte sich unglaublich nach seiner Nähe, vor allem nach diesem Gespräch. Nachdem sie sich wirklich sicher war, dass er sie liebte. Aber sie musste seine Antwort hören.

Jacks Lippen wanderten zu ihrem Ohr.

„Ich verstehe dich“, hauchte er liebevoll.

„Beweis es mir“, flüsterte Isabell und zog ihn näher an sich.

Willenlos legte Jack seine Wange an ihre. „Wie?“, fragte er leise.

„Küss mich.“

 

Für Lara verflog die Zeit wie im Flug. Sie hatte ja nicht viel davon. Sie trainierte sieben Tage die Woche und das Training war nicht unbedingt das, was man als einfach bezeichnen würde. Aber der Erfolg war sichtbar. Nach einem Monat voll Training konnte sie Gegenstände bewegen ohne dabei auch nur mit der Hand darauf zu deuten.

Die Bewegung von Gegenständen durch den reinen Geisteswillen war sehr schwer. Normalerweise zeigte man auf den Gegenstand um seine Kräfte komplett darauf bündeln zu können. Das Lara diesen Schritt nicht mehr brauchte, zeigte von enormer geistiger Stärke.

Ihre Flugkünste hatten sich erheblich gebessert. Sie konnte mit bis zu hundert Stundenkilometern schnell fliegen und ihr längster Flug bei dieser Geschwindigkeit dauerte fast eine halbe Stunde, was eine beachtliche Leistung war. Schon anhand der Kürze ihres Trainings. Die spezielleren Eigenschaften der Luft konnte sie allerdings noch nicht so gut beherrschen. Es gelang ihr zum Beispiel nicht jemanden mit Luft einzuwickeln. Dafür konnte sie Leute durch die Luft schleudern, was im Falle eines Kampfes fast genauso gut war.

Ihre Kampfkünste hatten sich auch verbessert. Sie schaffte mittlerweile die ihr gestellte Übung fast problemlos. Bis auf den Zweikampf am Ende. Den vermasselte sie fast immer. Die anderen waren ihr an Stärke weit überlegen. Ihr Gleichgewichtssinn hatte sich trotzdem sehr verbessert, ihre Sprints waren kraftvoller und schneller geworden. Außerdem konnte sie ihre Höchstgeschwindigkeit fast fünf Minuten am Stück aushalten. Könnte sie jetzt noch die Sauerstoffversorgung besser regulieren, könnte sie fast das Doppelte an Zeit rausholen, aber dafür müsste sie ihre Elementarkräfte stärken. Ihre ganze Figur und Ausstrahlung hatte sich dem Kampftraining angepasst. Man konnte die Muskelstränge sehen und sie strahlte mehr Entschlossenheit aus als sonst.

Lily hatte angekündigt, dass Lara bald beginnen dürfte mit Waffen zu kämpfen. Einer von Laras größten Wünschen.

Die bessere Körperbeherrschung half Lara auch bei ihren Tänzen mit Corail. Lara tanzte zwar nicht nur mit ihm Unterwasser, aber sie tat dies besonders gerne. Die Tänze mit ihm waren immer länger, ausdauernder und schneller geworden. Zudem kamen besondere und schwere Tanzschritte im Wasser hinzu. Doch nicht nur ihre Tanzkünste hatten sich extrem verbessert, sondern auch die Beziehung zu den beiden.

Corail und sie trafen sich öfters heimlich am Strand und unternahmen dann heimliche Ausflüge ins offene Meer. So entwickelte Lara nicht nur zu Corail sondern auch zum Meer eine ausgesprochen gute und liebevolle Bindung.

In der Musikkunde hatte Isabell leider ziemlich schwer zu schaffen mit ihrer Tochter, denn das Auswendiglernen von Stücken oder von theoretischen Dingen lag Lara überhaupt nicht. Dafür war ihr Spiel vom Blatt umso besser geworden. Isabell könnte stundenlang zuhören, wenn Lara spielte. Vor allem lernte Lara aber Lieder, die Hexen abschrecken sollten. Denn schließlich sollte der Musikunterricht auch für etwas gut sein.

In den Geschöpfen der Welt wie in der Allgemeinbildung über unsere Welt zeigte Lara sich stets bemüht. Allerdings gelang es ihr nicht ihren sonst vorhandenen Elan auch auf diese Fächer zu übertragen.

Von diesen Ergebnissen war Lara sehr erfreut. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen wirklich als Element Luft eingesetzt zu werden. Es war ihr alles zu fremd. Sie kannte diese Welt nicht und sie konnte nicht wirklich mit ihr umgehen.

Alles war so wertvoll, so besonders. Auf der Erde war alles so anders.

Auch der Lebensraum Luft schien Lara nicht wirklich zuzusagen. Lara liebte das Meer, die Fische, sie liebte diese komplett andere Welt. Corail hatte ihr die Tiefen der Meere, die schönsten Korallenriffe und die seltsamsten Fischarten gezeigt und daraus hatte sich eine große Liebe zu diesem Lebensraum entwickelt. Und nicht nur zu diesem Lebensraum, auch zu seinen außergewöhnlichen Bewohnern. Vor allem zu einem dieser außergewöhnlichen und faszinierenden Bewohner …

8. Eine Lösung

 

 

„Meine Mutter sagt, Sie könnten jetzt hereinkommen.“ Nacre, die Prinzessin des Königreichs Miranda, schwamm aus der königlichen Holztür des Thronsaals.

Aha, so läuft das hier also. Die Prinzessin verkündet, wann die Königin ihren Besuch empfangen will, dachte sich der achtzehnjährige Corail und schwamm in den hell erleuchteten Thronsaal.

Auf dem hohen Korallenthron saß die Königin von  Miranda. Miranda war eines der fünf Unterwasserreiche von Pangäa.

In den adeligen Familien wurden die Kinder nach Meerestieren oder besonders schönen Dingen unter Wasser benannt. Perle, die Königin von Miranda, hatte dafür gesorgt, dass die Namen auf Französisch vergeben wurden. Ihre Tochter, Nacre, fand diesen Brauch lächerlich. Sie fand Perlmutt auf Deutsch würde schöner klingen.

Die Sprache, die von allen fünf Königreichen gesprochen wurde, war Deutsch. Dies lag vermutlich daran, dass Perles Familie deutsch sprach und Miranda das größte der fünf Königreiche war. Nacre war gerade erst zwölf geworden. Für zwölf war sie zwar ausgesprochen hübsch und sie strahlte auch königliche Autorität aus, aber Corail fand sie einfach nur unattraktiv. Sie besaß nicht die weiblichen Merkmale, auf die er bei einer Frau achtete.

„Nun Corail“, begrüßte Perle ihn, „ich nehme an, dass du gerade Nacre gesehen hast. Wie findest du sie?“

„Sie ist zwölf Ma’am“, antwortete Corail schwammig.

„Beantwortet das meine Frage?“

„Nacre ist hübsch, sie strahlt königliche Autorität aus und sie ist genau wie wir eine Mischung aus Nereide und Mensch.“

Das stimmte. Die Meermenschen, sie selber fanden diesen Begriff zwar nicht zutreffend, waren eine Mischung aus Menschen und Nereiden. Sie besaßen einen Delfinschwanz und hatten den Oberkörper von Menschen.

Aber es gab sie auch in männlich und sie waren dazu fähig sich fortzupflanzen. Die Nereiden waren ihre Götter.

„Wie du vielleicht weißt“, fuhr Perle fort, wobei sie über die Perlenverkleidung ihres Thrones fuhr, „ist Nacre dir schon als Baby zur Frau versprochen worden.“

Corail öffnete seinen Mund fassungslos. Nacre war zwar hübsch, aber er hätte als achtzehnjähriger gerne etwas Fraulicheres als Nacre.

„Kann dieses Versprechen auch wieder zurückgenommen worden?“, stammelte er schließlich.

Perle legte die helle Stirn in Falten. Die stechenden grünen Augen, die weiße Haut, die schwarzen Haare und der vor Wut peitschende Schwanz verliehen ihr ein gruseliges Aussehen.

„Wie meinst du das?“, fragte sie wütend.

„Naja, ihre Tochter ist jetzt zwölf. In vier Jahren wird sie erwachsen sein. Aber ich bin schon seit zwei Jahren erwachsen und ich würde gerne demnächst eine Frau nehmen, als Prinz von Milia eingesetzt werden und Kinder bekommen“, antwortete Corail ehrlich.

„Aber das ist ja der Sinn der Ehe mit Nacre. Wir suchten dich damals als ihren Ehemann aus, damit Milia und Miranda sich zusammentuen und ein großes Reich bilden. Zusammen wäre die Macht über das Meer unser. Ihr würdet Kinder bekommen und in der nächsten Generation könnten wir das Meer vereinigen.“

Corail schüttelte seinen Kopf. Er hatte die typischen äußeren Merkmale der Bewohner von Milia. Blonde Haare, ein feingeschnittenes Gesicht, einen muskulösen Körper, grüne Augen und helle Haut.

„Das kommt nicht in Frage. Ich bin kein Mittel zum Zweck“, antwortete er erbost, „wenn Sie unbedingt das Meer einigen wollen, dann können Sie das probieren – ohne mich.“

Perle sah ihn ruhig an.

„Nacre“, rief sie schließlich laut durch den Raum. Die Tür öffnete sich und Nacre schwamm in den Raum. Sie hatte wie ihre Mutter schwarze Haare, helle Haut, grüne Augen und einen schwarzen Delfinschwanz. Der Delfinschwanz von Corail war perlmuttfarben.

Schwarz war die Kennfarbe für Miranda, Perlmutt für Milia, Saphirblau für Malya, Rubinrot für Malan und Saphirgrün war die Kennfarbe von Mylana.

Nacre kniete vor dem Thron von Perle nieder.

„Führe Corail bitte auf sein Zimmer“, befahl Perle ihrer Tochter.

Nacre nickte. Sie wollte sich gerade erheben, als die Tür aufgerissen wurde.

„Wer wagt es Perle von Miranda zu stören“, fragte Perle und sah auf die zwei Gestalten.

Isabell und Lily waren beide in Gestalt von Nereiden in das Thronzimmer der Königin vorgedrungen. Isabell verbeugte sich vor Perle.

„Ich bin Lily, Herrin des Meeres und neben mir steht Isabell, Herrin der Luft“, stellte Lily sich vor.

Zu Isabells großer Überraschung vielen Perle, Corail und Nacre vor ihnen auf den Boden.

„Herrin des Meeres“, fand Perle ihre Sprache wieder, „welch außergewöhnlicher Zufall. Was können wir Ihnen Gutes tun?“

Lily ließ ihre Hand kurz durchs Wasser wedeln. Dann ließ sie sich auf ihrem selber geschaffenen Stuhl nieder.

„Wir haben ein Problem mit einem Doppelgesicht. Wir müssen es zerstören. Doch dabei würden wir uns gegen unseren Obersten richten. Ein vor langer Zeit gesprochenes Gesetz besagt, dass wir uns nicht gegen unseren Obersten wenden dürfen, ohne dass dabei der hohe Rat zerbricht, wir unser Leben verlieren und die Erde von der wir hierher kamen zerspringt. Dies könnte auch den Untergang Pangäas mit sich führen“, erklärte Lily knapp.

Perle nickte. „Wie können wir Euch helfen?“, fragte sie. Sie probierte ihre Gereiztheit nicht zu zeigen. Aber niemand außer ihr hatte in diesem Raum seine Macht zu beweisen.

„Ihr könntet das Doppelgesicht töten.“

„Wie sollen wir das machen?“

„Wir locken sie ins Wasser, Ihr tötet sie.“

Perle nickte kurz. „Abgemacht, wir töten das Doppelgesicht. Gegen einen fairen Preis.“

„Was wäre Euer Preis?“, fragte Lily offen.

„Die Einigung des Meeres.“

Lily nickte kurz. Sie fand diesen Preis nur fair, schließlich hatten die Völker des Meeres lange um Einigung gekämpft.

„Wir treffen uns dann demnächst wieder bei Euch. Das Doppelgesicht wird dann bald darauf kommen“, antwortete Lily und erhob sich, „entschuldigen Sie bitte meine nächste Tat. Bitte entschuldigen sie auch, dass ich es mir erlaubte einen Stuhl zu erschaffen.“

Sie griff nach Isabells Hand und verschwand. 

 

Als sie sich im Haus von Jack und Isabell wieder materialisierte, trommelten sie so schnell wie mögliche ihre Freunde zusammen. Es wurde ein großer Kriegsrat abgehalten, in dem sie auch von ihrem Gespräch erzählten.

„Darf ich mit euch tagen?“, fragte Lara. Sie war es gewohnt nicht mit einbezogen zu werden.

„Liebes, könntest du uns bitte alleine lassen?“, fragte ihre Mutter gereizt.

Nichts gegen ihre Tochter aber um Kriegstaktiken auszufeilen, war sie lange nicht alt genug. Außerdem wollte Isabell nicht zulassen, dass ihre Tochter so brutal wurde.

„Aber ihr habt versprochen, dass ich mitmachen darf. Und das ihr mich nicht ausschließt. Weil ich nämlich sonst die Ausbildung abbreche!“, widersetzte sich Lara.

Isabell seufzte nur, verdrehte die Augen in Richtung Decke und deute Lara sich zu setzen. Diese nahm mit gespieltem Desinteresse Platz. Für sie war der Plan einfach, sehr einfach.

„Warum reden wir eigentlich noch groß rum?“, fragte sie, „wir hatten den Plan doch schon mal durchgesprochen, oder nicht?“

Isabell seufzte wieder genervt. Ja, sie hatten den Plan schon grob durchgesprochen, aber sie hatten Feinheiten vergessen.

„Wir haben den Plan grob durchgesprochen. Dabei haben wir aber noch nicht genau die menschlichen Eigenschaften einer Person durchdacht“, erklärte sie, „wir können nicht davon ausgehen, dass Charlotte genauso reagiert, wie wir es uns vorgestellt haben. Vielleicht ist sie einfach nur tief enttäuscht, aber ihre Fassade bricht nicht. Wir müssen zu hundert Prozent sicher sein, dass Charlottes Maske bricht.“

Lara nickte verständnisvoll. Jeder tat so, als wäre sie ein kleines, dummes Kind. Aber das war sie nicht! Sie verstand durchaus den Ernst der Lage. „Also was schlagt ihr dann vor?“, fragte sie langsam.

„Wir wissen nicht, wie sie reagiert“, warf Esmeralda ein, „ohne ihre Reaktion im Voraus zu kennen, werden wir nicht planen können.“

„Ich denke wir können durchaus planen“, antwortete Hanna bedächtig, „wir sind vier unterschiedliche Persönlichkeiten. Aber wir vertreten die häufigsten Charaktereigenschaften und Persönlichkeiten. Wenn Jack uns erzählen könnte, wem Charlotte von uns am nächsten kommt, könnten wir damit durchaus planen, oder?“

Allen schien Hannas Idee einzuleuchten. Nur Lara war beleidigt, weil sie nicht miteingeschlossen worden war.

„Wie soll Jack uns denn bitte sagen, wem sie am nächsten kommt?“, fragte sie pampig.

Jack schloss wie aufs Kommando die Augen und ließ seine Erinnerungen mit Charlotte durch jeden von ihnen gleiten. Dabei wurde nur zu deutlich merkba,r wie seine Gedanken immer wieder zu Isabell abdrifteten und wie er Charlotte verabscheute. Aber auch Charlottes Zuneigung zu ihm wurde sehr deutlich.

 

„Ich würde dich gerne zu einem erneuten Tanz auffordern“, fragte ihn Charlotte schüchtern.

Jack grinste nur, legte einen Arm um sie und führte sie auf die Tanzfläche. Er spürte, wie ihr Atem stockte, als er sie so plötzlich berührte.

Jack dämmerte, dass Charlotte seine Berührungen mehr als genoss. Eine Welle der Übelkeit überrollte ihn. Charlotte schien das nicht bemerkt zu haben, sie wartete ruhig bis das nächste Stück angestimmt wurde, dann schmiegte sie sich in seine Arme und ließ sich von ihm führen.

Jacks Blick durchsuchte rasch die Menschen um sie herum. Wo waren seine Freundinnen? Wo waren Lily, Hanna und Esmeralda?

Als er sie erblickte, durchströmte ihn erneut eine Welle der Übelkeit. Er verkrampfte sich für einen Moment.

Diesmal bemerkte Charlotte es sehr deutlich. „Ist etwas?“, fragte sie ihn mit großen Augen.

Sie gab sich wirklich Mühe so unschuldig wie möglich zu wirken. Isabell hätte so eine Show nie abgezogen. Isabell gehörte eigentlich in seine Arme. Sie gehörte in den Kreis aus Elementen. Nicht dieses Mädchen, das sich wie eine scheue Jungfrau aufführte.

Sie wusste sehr genau in welchen Kreis er gehörte und das er verheiratet war, da war er sich sehr sicher. Sehr, sehr sicher. Aber sie würde trotzdem nicht daran zögern ihn aus dieser Ehe herauszureißen. Da war er sich auch sehr sicher.

Isabell hätte so etwas auch nie gemacht. Er konnte den Widerwillen und seinen inneren Kampf nur allzu deutlich spüren. Allerdings gab er sich größte Mühe davon nichts zu Charlotte durchdringen zu lassen. Diese unfreiwillige Bindung war zwangsläufig notwendig. Das sagte ihm auch die Blicke von Hanna, Esmeralda und Lily. Sie blickten ihn so flehend an.

Jack hatte an diesem Abend schon einen Tanz mit Charlotte getanzt, einen recht lockeren und unbedeutsamen Tanz hatte er gedacht.

Trotz des Champagners, den sie ihm angeboten hatte. Schon wieder einer dieser Tricks, die Isabell nicht mal ausprobieren würde. Sie bevorzugte die direkte Art und nicht dieses kindische Spielchen. Als die Musik endlich endete, hätte Jack Charlotte am liebsten von sich weggestoßen, doch sie schien gar nichts davon zu halten sich einen neuen Tanzpartner zu suchen. Also tanzte er widerwillig mit ihr den nächsten und übernächsten Tanz.

Bestimmt würde Isabell später dieses aufdringliche und völlig fremde Parfum riechen. Sie würde dann doch nicht denken, dass er fremdging, oder?

Krampfhaft probierte er sich auf die schönen Aspekte an diesem Tanz zu konzentrieren. Positiv war zum Beispiel, dass Charlotte tanzen konnte. Aber nicht annähernd so gut wie Isabell. Dafür hatte Isabell einfach zu viele Jahrhunderte an Erfahrung gesammelt. Nachdem Jack auch den dritten Tanz nacheinander mit ihr tanzen musste, fragte er sie: „Diese Tanzabende sind doch dafür da neue Freundschaften zu schließen. Möchtest du nicht noch mit anderen Tanzpartnern tanzen? Es wird doch bestimmt langweilig für dich, oder?“

Er betete, dass sie diese Aufforderung richtig verstehen würde. Allerdings schien sie es nicht zu verstehen.

„Nein, mit dir zu tanzen wird nie langweilig. Dafür bereitet es mir zu viel Freude“, hauchte sie ihm unschuldig ins Ohr. Als ob er die Anmache darunter nicht verstehen würde. Hilfesuchend sah er zu seinen lachenden Freundinnen. Hanna bedeutete ihm eine Antwort zurückzugeben. Eine die sie bestätigen würde.

„Mir bereitet es auch sehr viel Freude“, hauchte er mit gespielter Begeisterung zurück. In seinem Inneren wurde ihm von diesem Kitsch schlecht.

Endlich neigte sich der Abend dem Ende entgegen. Die besten Tänzer und Tänzerinnen waren mittlerweile schon gegangen, doch Charlotte wollte immer noch weitertanzen. Jack löste sich langsam aus ihrer klammernden Umarmung und schob sie ein Stück von sich weg. Charlotte senkte unschuldig den Kopf. Jack hob ihren Kopf ganz leicht an und murmelte: „Ich muss zu meiner Abendbegleitung zurück, ich wünsche dir eine gute Nacht und einen sicheren Heimweg.“

Charlotte sah ihn lange und nachdenklich an. „Willst du mich nicht nach Hause begleiten?“, fragte sie anzüglich.

Jack wurde unwillkürlich schlecht. Nein, er wollte sie ganz sicher nicht nach Hause bringen. „Es tut mir sehr leid und ich hoffe ich werde dich bald wiedersehen, aber ich kann dich nicht nach Hause bringen.“

Als Charlotte eingeschnappt und erhobenen Hauptes die Tanzhalle verlassen hatte, ging Jack auf Lily zu.

Eine neue Erinnerung erschien.

Charlotte griff unschuldig nach Jacks Hand und verhakte ihre Finger mit seinen. Reflexartig zog Jack seine Hand zurück. Niemals hätte Isabell eine solche Dreistigkeit gewagt. Sein Plan Charlotte immer mal wieder abzuschütteln, gelang ihm leider überhaupt nicht.

Sie hängte sich immer wieder an seine Fersen, lauerte ihm nach jedem fremden Tanz auf und während den Tänzen achtete sie auf so viel Körperkontakt wie möglich. Nach wenigen Tänzen befand Jack sich schon dauerhaft bei ihr.

Er musste immer häufiger mit Übelkeit kämpfen, wenn sie sich so dicht an ihn herandrängte oder wenn sie sich absichtlich so positionierte, dass er gar nicht anders konnte als mit ihr tanzen. Aber er konnte nichts gegen sie unternehmen, solange er den Plan nicht gefährden wollte. Immer öfter stürzte sich Charlotte sofort am Beginn eines Tanzabends auf Jack und ließ bis zum Ende nicht von ihm ab.

Irgendwann ließ Jack das Händchenhalten auf Lilys Wunsch zu. Er sollte sie so gut es ging in Sicherheit wiegen. Allerdings konnte Jack die Enden der Tanzabende nie abwarten. Er konnte es gar nicht erwarten Lily die Neuigkeiten mitzuteilen, die ihm Charlotte anvertraut hatte. Nach einiger Zeit ließ er sich sogar dazu überreden Charlotte eine kleine Strecke mitzunehmen, natürlich nur, damit sie nicht überfallen wurde auf dem Heimweg.

„Du musst ihr endlich mehr Hoffnung machen. Händchenhalten ist schön und gut, aber du musst endlich die Initiative ergreifen. Du musst dafür sorgen, dass sie sich sicher fühlt“, hörte er Lilys Stimme.

„Aber ich kann Isabell doch nicht mit so einer Schlampe betrügen!“, brüllte Jack.

„Isabell würde es verstehen. Wann wirst du es ihr erzählen?“

„Wann werde ich was erzählen?“, fragte Jack wütend.

„Na von den Tanzabenden.“

„Gar nicht. Es ist doch gar nicht notwendig.“

In der nächsten Szene sah man, wie Jack den Kopf senkte und Charlotte in die violetten Augen sah. Dann senkte er den Kopf und drückte ganz langsam seine Lippen auf ihre.

Die Galle kam ihm hoch, aber er durfte die Lippen nicht von ihren nehmen. Nicht so lang sie den Kuss so hingebungsvoll erwiderte.

Als sie sich endlich von ihm löste, wäre Jack am liebsten aufs Klo gestürzt. Aber das durfte er nicht machen, sonst wäre alles vorbei.

 

„So, jetzt habt ihr die gravierendsten Erlebnisse mit Charlotte gesehen. Könnt ihr ihren Charakter einer der hier anwesenden Personen zuteilen?“, fragte er unhöflich.

Lily und Esmeralda prusteten vor Lachen, Hanna grinste stumm in ihrer Ecke und Isabell saß gespielt beleidigt auf ihrem Stuhl.

„Ich wusste ja nicht, dass die so tickt“, lachte Hanna.

„Aber ich kann Isabell einfach nicht betrügen“, murmelte Jack leise.

„Jack, darüber haben wir doch gesprochen“, sagte Isabell leise und strich ihm beruhigend über den Arm, „ich kann damit umgehen.“

Die Liebe die aus ihren Augen sprach überzeugte schließlich auch Jack.

„Na gut. Aber könnten wir vielleicht möglichst schnell ein Ende mit diesem Abendteuer machen?“, fragte er schließlich. Er bekam einstimmiges Nicken von allen als Antwort.

„Eigentlich schade“, bemerke Hanna, „ich hätte dich gerne noch ein bisschen mit ihr hängen lassen.“

„Kennt einer von euch vielleicht einen Felsen oder eine Insel, wo ich meine Affäre hinführen könnte?“, fragte Jack mit ungeahntem Ernst.

Isabell fand es immer wieder beeindruckend wie er in so kurzer Zeit zwischen Spaß und Ernst variieren konnte.

Auf seine Frage bekam er nur ein Kopfschütteln zur Antwort. Ein einstimmiges Kopfschütteln.

„Na gut“, sagte er, „jeder macht sich ein paar Gedanken darüber, dann erzählt er sie den anderen, okay?“

Jeder nickte als Antwort.

 

Einige Stunden später, als die Sonne im Wasser versank, ging Lara runter an den Strand. Statt sich nach einem geeigneten Platz für den Tod von Charlotte zu suchen, traf sie sich mit Corail im Wasser.

Der Sonnenuntergang war wunderschön, viel schöner als jeder Sonnenuntergang auf der Erde.

Wenige Minuten nachdem das letzte bisschen Licht im Wasser versunken war, hörte Lara ein leises Plätschern. Sie sprang von der Steinmauer, auf der sie gestanden hatte, auf den Sandboden. Dann rannte sie zum Meer.

Wenige Meter vor dem Strand erkannte sie die schlanke Gestalt eines Meermenschen. Genaugenommen eines Meermenschenmannes.

Corail schwamm vorm Strand um sich mit Lara zu treffen. Ihren Eltern hatte Lara erzählt, sie würde nach einem geeigneten Stück Fels für Jack und Charlotte Ausschau halten. Vielleicht ließ sich auch etwas Nützliches aus diesem Ausflug mit Corail schließen.

Sie watete ins flache Wasser. Am Ende stand sie bis zur Hüfte im Wasser. Aber Corail war immer noch zehn Meter von ihr entfernt.

„Hör auf“, lachte Lara.

Sofort beendete Corail sein kleines Spiel und schwamm näher an Lara ran. Er umkreiste sie einige Male. Lara merkte, wie ihr Puls in die Höhe raste. Das passierte immer, wenn er sie im Wasser umkreiste und sie seine Bewegungen spüren konnte.

Corail griff nach ihrer Hand und streifte ihr einen Ring auf. Sofort tauchte sie ins Wasser. Ihr Körper zog sich in die Länge, ihre Beine wuchsen zusammen und ihre Füße stellten sich in einem unnatürlichen Winkel ab. Dann wurden sie abgeflacht und in eine ungewöhnliche Form gezogen.

Als Lara ihre Augen wieder öffnete, besaß sie eine wunderschöne perlmuttfarbene Delfinflosse. Ebenso trug sie ein perlmuttfarbenes Bikinioberteil.

Corails Augen leuchteten auf, als er sie so sah.

Lara war in Corails Augen wunderschön. Lara fand ihrerseits, dass Corail eine Schönheit war. Sie konnte die Augen kaum von ihm lassen.

Corail fiel das natürlich auf, aber er sagte nichts dagegen. Schließlich konnte er auch nur mit Mühe die Augen von ihr lassen.

Er griff nach ihrem Arm und zog sie tiefer ins Wasser. Dann machten sie ein kleines Wettschwimmen. Der Gewinner dieses Wettschwimmens war immer, wirklich immer, Corail.

Wenige Sekunden nach ihm schwamm sie ins Ziel ein.

Lara war schon oft an diesem Korallenriff gewesen, es war schließlich Corails Lieblingsplatz. Als sie neben Corail ins Ziel schwamm, musste sie sich erst mal erholen. Sie war kurz vorm Zusammenbruch.

„Hey, ist alles in Ordnung?“, fragte Corail sie.

Lara nickte. Trotzdem zog Corail sie besorgt auf seinen Schoß, als sie sich halbwegs beruhigt hatte.

„Du hast mir gerade einen Schrecken eingejagt“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Lara musste lachen. Dann wurde ihr bewusst, wie nah Corail ihr in diesem Augenblick war.

Allerdings war sie ihr nicht unangenehm. Seit ihrem ersten Treffen hatte Corail eine beruhigende Auswirkung auf sie gehabt und seine natürliche Art hatte sie sofort verzaubert. Sie konnte nicht leugnen, dass sie diesen Jungen sehr mochte. Erschöpft ließ sie ihren Kopf gegen seine Brust sinken.

„Habe ich mich wenigstens gebessert?“, fragte sie ihn.

„Natürlich“, antwortete Corail. Nach außen wirkte er völlig gefasst, aber in seinem Inneren flippte er fast aus. Sie genoss die Nähe zu ihm, er hatte es sich so gewünscht. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Lara lacht leise und drehte sich zu Corail um. Er wich ihrem direkten Blick nicht aus. Als sie ihm so direkt in seine Augen sah, konnte sie gemischte Gefühle sehen. Zum einen Liebe und Bewunderung, aber auch Schmerz, unendlichen Schmerz.

Sie legte eine Hand auf seine Wange und genoss seine Wärme. Corail schloss kurz die Augen. Kurz darauf spürte er Laras Lippen auf seinen.

Er musste grinsen, erwiderte aber den Kuss. Plötzlich stieß er sie von sich. Lara flog zwei Meter durchs Wasser wo sie dann stehen blieb.

„Warum?“, fragte sie ihn nur, dann schwamm sie los. Sie schwamm schneller als sonst. Aber Corail holte sie trotzdem ziemlich schnell ein.

Er umschlang sie von hinten. Lara probierte sich gegen ihn zu wehren, aber trotz ihrem Kampfunterricht war er zu stark für sie.

„Lass es mich bitte erklären“, bat er sie. Sie ließ ihre verzweifelten Versuche sich zu wehren und drehte sich erwartungsvoll um. Corail legte eine Hand auf ihre Wange, dann schloss er die Augen. „Ich liebe dich, bitte glaub mir das. Glaubst du mir?“, fragte er sie.

Lara nickte. Natürlich glaubte sie ihm. Was sollte sie sonst tun?

„Ich habe mich unglaublich gefreut, als du mich geküsst hast“, erklärte er, während er den Moment nochmal im Kopf durchlebte, „aber ich darf nicht mit dir zusammen sein. Meine Eltern haben mich zur Zwangshochzeit mit Nacre, der Prinzessin von Miranda, verdonnert. Sie ist ein zwölfjähriges Biest. Naja, eigentlich würde ich lieber dich heiraten als sie, aber ich muss sie leider zur Frau nehmen. Damit das Meer geeinigt wird. Verstehst du das?“

Er sah hoffnungsvoll in ihre braunen Augen.

Lara verstand ihn sehr wohl. Sie wusste aber auch, dass das Meer sowieso geeinigt werden würde. Wegen dem Abkommen von Lily und Perle. Aber sie wusste nicht, ob sie Corail sowas anvertrauen durfte.

„Corail?“, fragte sie vorsichtig. „Es gibt da ein geheimes Abkommen. Zwischen Lily und Perle“, sie holte tief Luft um ihre Skrupel zu überwinden, „also, das Abkommen besagt, dass das Meer geeinigt wird, wenn die Meermenschen ein Doppelgesicht umbringen. Wenn das Meer sowieso geeinigt wird, dann könnten wir doch zusammenbleiben, oder?“

Corail nickte. Laras Schlussfolgerungen hatten durchaus etwas Wahres an sich. Er fragte sich bloß, ob diese Informationen zu ihm durchsickern sollten.

„Aber erzähl bitte niemandem von diesem Abkommen, ich könnte sonst in Schwierigkeiten kommen“, bat Lara ihn sofort nach seinem Nicken.

Corail verstand sie, aber er verstand nicht warum ein Abkommen mit den Meermenschen gemacht worden war.

„Ihr seid doch sehr mächtig, oder?“, fragte er ganz vorsichtig.

Lara nickte nur kurz.

„Also warum erledigt ihr euer Doppelgesicht nicht einfach selber?“, fragte er unschuldig.

Lara entglitt der Gesichtsausdruck. Mit offenem Mund starrte sie Corail an und probierte sich zu fassen.

Corail vermutete erst, er hätte sie auf einen genialen Gedanken gebracht, doch der aufgerissene Mund zeigte ihm, dass er falsch lag.

„Wir können das Doppelgesicht nicht vernichten, weil der Oberste es selber in Auftrag gegeben hat. Würden wir es selbstständig vernichten, würden wir uns gegen den Obersten richten, daraufhin würde der hohe Rat zerbrechen und am Ende würden wir daran krepieren, da es keinen hohen Rat mehr gibt.“

Dieses Gesetz machte sie rasend. Der hohe Rat sollte zwar dazu dienen andere Menschen vor der Macht der Elemente zu schützen, aber Lara fühlte sich dadurch nur eingeengt. Und sie war nicht die einzige, die so dachte, dass wusste sie sehr sicher.

Wenn die Elemente emotionale Schwankungen hatten, passierte es öfters mal, dass sie mit ihrem Element mitgingen. So hatte sich zumindest Hanna ausgedrückt.

Genau wie eine der Gottheiten konnten die Elemente Erdbeben, Vulkanausbrüche, heftige Wirbelstürme und Überschwemmungen verursachen. Glücklicherweise bekamen sie dafür keine Strafen auferlegt, aber der hohe Rat war trotzdem nicht begeistert davon.

„Man könnte fast meinen der hohe Rat vertraut euch nicht. Also auf Pangäa ist alles immer total friedlich, wir haben noch nie vom hohen Rat gehört.“

Jetzt ließ Lara ihre Beherrschung fallen. Sie schmetterte Corail ins Gesicht: „Hier gehören wir ja auch hin. Hier können wir unsere Fähigkeiten ausleben, wir müssen uns nicht verstecken. Deshalb lösen wir hier auch keine Naturkatstrophen aus. Dieses Gesetz engt uns so ein, dass wir uns gar nicht anders wehren können. Wir lassen eine Naturkatastrophe nach der nächsten aus uns raus damit wir uns abreagieren können. Damit endlich mal alles rauskommt, was wir immer verbergen müssen. Hier müssen wir gar nichts verbergen, es ist so wunderschön hier zu sein!“

Dann brach sie weinend zusammen.

Corail hielt sie fest, damit sie nicht in die Tiefen des Meeres sinken konnte. Es verletzte ihn sehr sie so sehen zu müssen.

„Kann ich etwas für dich tun?“, fragte er sie zärtlich.

„Kannst du mir sagen, ob es eine Insel oder einen Felsen gibt, auf dem Jack sich mit seiner Charlotte treffen kann?“, fragte Lara ihn zögerlich.

„Charlotte?“, fragte Corail verwirrt.

„Entschuldige, Charlotte ist das Doppelgesicht, wegen dem wir alle so leiden“, erklärte Lara ihm leise.

Corail dachte einen Moment nach.

„Der Ort müsste in Küstennähe sein, oder?“, fragte er schließlich.

Lara nickte. Corails Gesicht verfinsterte sich etwas. „Und es müsste ein Ort sein, den die Meermenschen sicher bewachen können, oder?“, fragte er weiter. Lara nickte wieder.

Eine kurze Zeit später antwortete er. „Es gibt eine kleine Insel. Eigentlich ist es keine richtige Insel, sondern ein Fels der weit aus dem Wasser ragt. Bei Ebbe ist er fest mit dem Festland verbunden aber bei Flut versinkt die Steinverbindung im Wasser. Das Wasser steigt gerade so hoch, dass wir im Wasser schwimmen können. Mirandas Volk könnte sich dann darum versammeln.

Wenn dein Vater sein Doppelgesicht bei Ebbe auf den Felsen führt und ihr dann verspricht die ganze Nacht dort mit ihr zu verbringen, könnte es gelingen. Es muss halt nur gesichert sein, dass sie wirklich bei Flut den Felsen verlassen, sonst können die Meermenschen wirklich nichts dagegen machen.“

Lara war beeindruckt von seinem Wissen über die Gewässer, aber etwas Winziges fehlte ihr noch.

„Ähm, das ist wirklich alles sehr schön zu wissen, aber könntest du mir eventuell noch verraten, wo sich diese Insel befindet? Oder wie sie heißt?“

Corail sah sie verwirrt an, dann begann er zu lachen.

„Entschuldige“, brachte er schließlich mühsam und von Lachkrämpfen geschüttelt heraus, „sie heißt Koralleninsel. Wenn du ungefähr zweitausend Schritte nach Westen läufst, von dem Ort, wo du ins Wasser gehst, wirst du sie am Horizont erblicken können. Am besten ich zeige sie dir mal.“

Damit packte er Lara an der Hand und zog sie mit sich. Im Augenblick hatten sie Flut und so war das Vorrankommen auch in Küstennähe sehr einfach. Lara ließ sich ein Stückchen von Corail mitziehen, dann riss sie sich los und schwamm selber neben ihm her.

„Ich kann auch selber schwimmen“, gab sie ihm als frostigen Kommentar.

Corail grinste nur und schwamm ein Stück schneller. Mit über hundertfünfzig Kilometern pro Stunde rasten sie durchs Wasser. Begeistert von ihrer Geschwindigkeit schrie Lara laut. Es machte wirklich Spaß mit dieser Geschwindigkeit durchs Wasser zu schwimmen.

Kurz nach ihrem Begeisterungsschrei fiel ein weiterer Schrei, diesmal vor Bewunderung. Die Koralleninsel trug ihren Namen nicht umsonst. Um einen großen Felsblock herum wanden sich Korallen und Algen. Das wunderschöne Bild wurde durch die kleinen Fischchen ergänzt, die sich fröhlich zwischen den Korallen tummelten. Corail drosselte seine Geschwindigkeit, dann umkreiste er zusammen mit Lara den Felsen.

„Es ist hier wunderschön“, hauchte Lara begeistert. Sie streckte ihre Hand nach einem Fisch aus, er schwamm sofort in ihre Handfläche.

Lara wollte ihre Hand gerade an eine Anemone legen, als Corail sie zurückhielt. „Das sind die Anemonen in denen Clownfische leben. Sie sind hochgiftig.“

Lara riss ihre Hand sofort zurück. Gelähmt zu werden, war jetzt nicht wirklich das, was man sich wünscht. Als Lara und Corail den Felsen zum Viertel umkreist hatten, sah Lara die Steinverbindung zum Festland.

Enttäuscht sah sie sich um, denn hier war wirklich nichts, abgesehen von der Steinverbindung. Die Korallen und Anemonen in dem Riff schienen nicht auf dieser Seite des Felsens zu leben.

„Die Anemonen und Korallen können hier nicht leben, denn bei Ebbe würden sie komplett freiliegen und das gefällt ihnen nicht“, erklärte Corail.

„Du guckst wie ein Fisch“, lachte er. Lara musste auch grinsen.

Lara stieß ihm zur Antwort den Ellenbogen in die Seite. Mit gespielter Empörung jagte Corail sie durchs Wasser.

„Ich muss wieder nach Hause, treffen wir uns morgen Abend wieder hier?“, fragte sie ihn. Corail nickte.

 

„Mama, Papa“, rief Lara als sie ins Haus kam, dass sie triefend nass war interessierte sie nicht, „ich muss euch was erzählen.“

Sie stand im Schlafzimmer ihrer Eltern und riss die beiden aus dem Schlaf. Als Isabell ihre Tochter ansah, schickte sie sie sofort in die Dusche. Wie konnte ihre Tochter es wagen einfach so mit triefenden Klamotten in ihr Schlafzimmer zu kommen?

Als Lara endlich aus der Dusche kam, saßen ihre Eltern schon am Frühstückstisch.

„Wir müssen sofort die anderen informieren!“, wies Lara sie an.

Isabell sah sie mit scharfen Augen an.

„Nein meine Liebe“, antwortete sei ruhig, „ich glaube, du musst uns noch etwas erklären.“ Dabei sah sie ihre Tochter mit wütendem Blick an.

„Was soll ich euch denn bitte erklären?“, fragte Lara verwirrt.

„Vielleicht warum du mitten in der Nacht im Meer bist“, antwortete Jack, ohne von seiner Zeitung aufzusehen.

Lara seufzte genervt. „Ich habe mich mit jemandem getroffen“, antwortete sie, „jemand der weiß, wo eine Insel ist.“

Isabell und Jack starrten sie beide mit offenen Mündern an. „Und wie heißt dieser jemand?“, fragte Isabell schließlich ohne jegliche Emotionen.

„Corail.“

„Du meinst jetzt nicht wirklich den Corail, oder? Den königlichen Corail?“, fragte Isabell erschrocken.

„Genau den meine ich“, erwiderte Lara mit fester Stimme. Diese Reaktion ihrer Mutter hatte sie erwartet.

„Oh Gott, Lara. Der Mann ist zwei Jahre älter als du, er wird der neue König von Milia und er wird Nacre von Miranda heiraten. Bitte mach dich nicht unglücklich“, meinte Isabell nur.

Lara musste sich zum Fenster umdrehen, damit ihre Mutter nicht die ungebändigte Wut in ihren Augen sehen konnte.

„Wir treffen uns jetzt seit drei Wochen jeden Tag, er hat mich geküsst, er sagt er liebt mich und er meint er würde alles dafür tun, dass er Nacre nicht heiraten muss.“

Isabell seufzte. „Also, wir beraten uns jetzt mit den anderen. Tu was du für richtig hältst mit diesem Jungen. Aber bitte achte auf dich.“

 

 

9. Der Plan

 

Wenige Momente später saßen sie zu sechst in Jacks Haus.

Lara fand es immer faszinierend, wenn Esmeralda sich materialisierte. Es lösten sich solange kleine Feuerbällchen aus der Flamme, bis Esmeralda vor ihnen stand.

„Es gibt also eine Insel?“, fragte Esmeralda sobald sie vor ihnen stand.

Lara, die sie immer noch entgeistert anstarrte bemerkte, dass die Frage an sie gerichtet worden war.

„Ach so, ja“, stammelte sie, während sie errötete, „ähm, ja. Wir haben eine Insel gefunden.“

Esmeralda und die anderen sahen sie neugierig an. „Und wo wäre die?“, fragte Hanna weiter.

Lara fand sich langsam wieder. „Also, die Insel heißt Koralleninsel. Eigentlich ist es eher ein Fels, der bei Ebbe durch eine Steinverbindung mit dem Festland verbunden ist. Bei Flut wird die Steinverbindung überflutet und die Meermenschen könnten sich auf der anderen Seite aufstellen. So könnten wir das Doppelgesicht gut auffangen“, erzählte Lara stolz, „die Insel befindet sich übrigens von unserer Terrasse ausgesehen zweitausend Schritte nach Westen, dann erscheint sie am Horizont.“

Lara wirkte stolz. Die anderen sahen sie fragend an.

Dann räusperte sich Lily und fügte auch noch ihren Senf dazu: „Ich habe die Koralleninsel beinahe vergessen. Sie ist zwar nicht perfekt, weil man von der Insel fliehen kann. Aber sie dient allemal dazu unser schwer zu fangendes Doppelgesicht zu fangen. Also gehen wir jetzt den Plan noch einmal durch?“

Alle nickten zustimmend.

Lily begann: „Also, ich werde noch heute zu Perle runterschwimmen in den Ozean. Dann werde ich ihr unseren Plan unterbreiten und dann werden wir uns absprechen, wie sich die Meermenschen positionieren werden…“

Jack machte weiter: „… Am Sonntag werde ich dann wieder mit Isabell zu dem Tanzabend reiten. Lara wird zusammen mit Isabell reingehen, ich werde einen Moment später reinkommen. An diesem Abend werde ich nur mit Charlotte tanzen. Ich werde sie dazu bringen, dass sie mir bedingungslos folgt. Wie ich das mache ist meine Sache…“

Isabell fuhr fort: „… Ich werde Charlotte von Jack wegreißen und ihn zur Rede stellen. Jack wird so tun, als würde er mich nicht kennen. Dann wird er mit Charlotte wegreiten…“

„… Dann werden wir Jack und Charlotte folgen. Jack wird sie geradezu auf die Insel führen. Es muss noch vor Flutbeginn sein, wir werden uns auf die Lauer legen und überprüfen ob Charlotte auf der Insel bleibt bis die Steinverbindung komplett unter Wasser ist. Sobald die Steinverbindung unter Wasser ist, werden Hanna und ich mit Lara ins Wasser gehen. Isabell und Lily werden an Land bleiben um Charlotte ins Wasser zu stoßen, wenn sie fliehen sollte…“, fügte Esmeralda hinzu.

„… Wenn Charlotte sich am sichersten ist, wird Jack sie sitzen lassen. Er wird ihr erzählen, dass er zu seiner Frau müsste. Dann wird er ins Wasser springen und Charlotte alleine auf der Insel sitzen lassen. Sie wird so verzweifelt sein, dass ihr Gesicht fällt. Wenn er wieder Tiran ist, wird er Jack hinterherspringen. Wenn er ins Wasser springt, werden die Meermenschen ihn töten“, endete Hanna.

Alle sahen sich an, ihr Plan war so gut wie sicher. Nur diese eine Stelle, die die Flucht ermöglichte war besorgniserregend.

„Darf ich mitkämpfen?“, fragte Lara und unterbrach damit alle Gedanken.

Alle sahen sie verwundert an. „Du darfst ins Wasser“, antwortete Isabell etwas schwammig.

„Ich wollte wissen, ob ich kämpfen darf“, wiederholte Lara trotzig.

„Nein, darfst du nicht!“, antwortete Isabell genervt. „Du kannst sie schließlich auch nicht töten.“

Lara musste ihr leider zustimmen.

 

Am frühen Nachmittag brach Lily auf in die Tiefen des Meeres. Diesmal nahm sie Isabell nicht mit. Die Herrscherin von Miranda ließ sich ungerne etwas sagen, vor allem nicht von jemanden, der gar nichts mit dem Meer zu tun hat.

Miranda war nicht nur das größte, sondern auch das tiefste der fünf Unterwasserkönigreiche. Lily durchschwamm die Korallenriffe und drang immer tiefer in den Ozean vor.

Dann kam endlich was sie gesucht hatte: ein großer, golden schimmernder Schutzschild. Den Schutzschild von Miranda.

Der Schutzschild war so gebaut, dass er von der Innenseite alles nach draußen ließ. Miranda musste von unten nicht geschützt werden, denn es war auf einem riesigen Korallenriff gebaut worden. Von außen kam man aber nur hinein indem man entweder das Passwort kannte, die Königin von Miranda war oder Lily hieß.

Lily legte einfach ihre Hand auf den magischen Schutzschild – der ungewollte Meeresbewohner oder unerwünschte Besucher fernhalten sollte – und schmolz ein großes Loch in den Wasservorhang.

Kaum befand sie sich in Miranda, schloss sie den Vorhang sofort wieder indem sie ihre Hand auf das Loch legte.

Der Außenring von Miranda, der Ort direkt hinter dem kreisförmigen Schutzschild, diente auch als übergroße Plantage. Die Bauern bauten auf dem Ring Meeresfrüchte – richtige Früchte die unter Wasser wachsen und nicht die Meeresinsekten aus dem Restaurant – an.

Wenn man den großen Außenring überquert hatte, kam man in eine kleine Siedlung. Hier wohnten wenige Menschen. Es waren meistens nur Bauern, die hier in der kargen Landschaft wohnten und sich um die Felder kümmerten.

Lily begegnete in dem Bauernring, so wurde der Ring umgangssprachlich genannt, keiner Meermenschseele. Die Häuser sahen verlassen aus.

Lily durchschwamm den Bauernring schnell, die Leere dort war ihr unangenehm. Im dritten Ring, der umgangssprachlich auch Siedlungsring hieß, begegnete sie dann einigen Meermenschen. In diesem Ring begann sich die Bevölkerung langsam zu zeigen. Einfamilienhäuser, die aus hübschen Korallen zusammengebaut waren zierten die Gegend.

Es lebten auch hier nur wenige Meermenschen. Die Meermenschen, die Lily hier traf, sahen glücklich und gesund aus. Sie begegnete auch einem Taxi.

Die Taxis waren im Siedlungsring eher selten gesehen, denn die Leute hatten hier ihre eigenen Verkehrsmittel. Seepferdchen.

 Die Taxis waren Riesenseepferdchen, die man vor eine große Kutsche in Form von einer Schnecke gespannt hatte.

Lily fand diese Fortbewegungsmittel unglaublich niedlich und hübsch. Die Seepferdchen wurden natürlich gut gepflegt, denn Perle, die Königin von Miranda hielt absolut nichts von Tierquälerei.

Je näher Lily der Grenze zwischen dem dritten und vierten Ring kam, desto größer und schöner wurden die Häuser. Die meisten Häuser hier waren aus roten, violetten oder blauen Korallen gebaut.

Als Lily schließlich in den Hauptring, den vierten Ring, schwamm, überkam sie das Staunen. Statt den Korallenhäusern die man noch am Anfang des Ringes sehen konnte, wurden die Häuser hier aus Perlmutt, Schneckenpanzern oder Fischschuppen gebaut. Natürlich dauerte der Bau eines Gebäudes entsprechend lang, aber die Mühe schien sich zu lohnen. Ein Haus schöner als das andere und immer schön im Design des Baumittels gehalten, also ein Perlmutthaus sah aus wie eine Perle.

Die Seepferdchen Häuser aber waren die schönsten. Die Knochenplatten der toten Riesenseepferdchen waren wiederaufgebaut worden und die Seepferdchen waren so angeordnet, dass man das Haus trotz seines außergewöhnlichen Aussehens bewohnen konnte.

Dann trat Lily an den Zaun, der den vierten vom fünften Ring, der auch königlicher Ring genannt wurde, trennte.

Im königlichen Ring lebte nur Perles Familie. Ihre Kinder, Geschwister, Neffen und Nichten.

Ohne zu zögern probierte Lily den Zaun zu öffnen. Nach einigen erfolglosen Versuchen löste sie sich einfach in Wasser auf und materialisierte sich in Perles Empfangshalle wieder.

 

„Meine Herrin“, meldete sich der Empfangschef und riss Perle aus ihren Arbeiten, „vor Ihren Gemächern wartet eine junge Dame. Sie hat keinen offiziellen Termin. Soll ich sie hinauswerfen lassen?“

Perle wollte gerade mit der Hand winken um ihm die Erlaubnis zu erteilen, als die Tür von außen aufgestoßen wurde.

„Man hat mich warten lassen“, beschwerte sich Lily in Seelenruhe, „dann habe ich mir eben selber Eintritt verschafft.“

Perle sprang sofort auf und verbeugte sich hektisch vor Lily.

„Miss Lily“, stammelte sie, „ich konnte ja nicht ahnen … es ist mir so peinlich … kann ich … möchten Sie etwas zu trinken haben.“

Der Empfangschef ahmte die unterwürfige Verbeugung sofort nach.

Lily winkte ab. Mit dem Finger zeichnete sie sich einen schlichten Stuhl und ließ sich darauf nieder.

„Wir hatten gesagt, dass wir uns wiedertreffen, wenn wir unseren Plan ausgearbeitet haben und wir einen Termin für den Plan haben“, erklärte Lily nochmal.

Perle ließ sich nun hinter ihrem Schreibtisch nieder und fixierte Lily. „Und?“, fragte sie schließlich.

„Was und?“, fragte Lily zurück.

„Wann ist euer Termin? Und wie sieht der Plan aus?“, fragte Perle genervt.

„Der Termin ist am Sonntag. Sobald die Flut einsetzt, versammelt ihr euch um die Koralleninsel und ihr werdet die zweite Person die ins Wasser springt töten.“

„Und dafür einigt Ihr das Meer?“, hakte Perle nach.

„Wenn das Euer Preis ist.“

Perle nickte verstehend. Sie wollte ein geeinigtes Meer, unter allen Umständen.

„Dann wird ja auch die Zwangshochzeit zwischen Corail und Nacre nicht mehr nötig sein“, meinte Lily.

Perles Mund öffnete sich zu einem stummen Widerspruch und die Augen fielen ihr fast aus dem Kopf. „Wie meint Ihr das? Keine Zwangshochzeit?“, fragte sie entsetzt.

Lily sah sie überrascht an. „Ich dachte Ihr würdet wissen, dass Corail eigentlich kein Interesse daran hat Nacre zu heiraten“, antwortete sie.

„Ja, aber die Verheiratung hätte noch etwas Symbolisches für die Einigung des Meeres.“

„Corail liebt aber eine andere Frau“, meinte Lily.

„Na und? Er wird meine Tochter heiraten.“

„Er wird die Tochter meiner besten Freundin heiraten“, beendete Lily das Gespräch. „Vielen Dank für Eure Zeit.“

Dann löste sie sich auf und verschwand aus Perles Arbeitszimmer.

10. Beziehungen

 

Die Zeit bis zum Sonntagabend wurde von den Elementen unterschiedlich genutzt. Jack und Isabell verbrachten die Zeit wieder mehr zusammen. Lily verbrachte viel Zeit mit Lara und übte mit ihr für den Kampf mit Waffen. Laras normales Training war aufgehoben worden. Die restliche Zeit verbrachte Lara mit Corail im Meer.

Nach Lilys Verhandlungen waren sie sich ziemlich sicher, dass sie zusammen bleiben dürften.

Bei Jack und Isabell lief nicht alles so rund ab. Am letzten Samstag vor dem Tanzabend eskalierte die Lage der beiden.

Jack und Isabell nahmen zusammen ihr Mahl in dem großen Speisezimmer ein. Lara war nicht da. Sie wollte zusammen mit Corail die schönsten Korallenriffe der Umgebung erkunden.

„Wenn wir das Doppelgesicht…“, begann Isabell, doch Jack unterbrach sie mit einem gespielt entrüsteten Blick. „Entschuldige, ich meinte natürliche unsere liebe Charlotte“, korrigierte sie sich mit gespieltem Bedauern. „Aber wenn wir sie besiegt haben, dann können wir hier drinnen mal eine richtige Party schmeißen. So wie an unserer Hochzeit.“

Jack sah sie verdutzt an. „Du bist dir so sicher über unseren Sieg?“, fragte er sie verwundert.

„Natürlich, wenn wir nicht zuversichtlich sind, können wir doch gar nicht gewinnen“, antwortete Isabell ehrlich.

Jack sah sich um, das Dienstpersonal sah schon gespannt zu ihnen herüber. Sie schienen einen Streit zu erwarten.

„Komm mal bitte mit“, zischte er Isabell ins Ohr. Er packte die verdutzte Isabell an der Hand und zog sie die Treppe und den Gang lang ins Wohnzimmer.

„Jetzt hör mal zu“, wehrte sich Isabell und riss sich los, „was fällt dir eigentlich ein? Du kannst mich nicht einfach so mit dir mitreißen. Ich bin nicht irgendeine Puppe. Und du behandelst mich auch nicht so. Ich bin deine Frau! Und deshalb wirst du mir jetzt auch sagen was das gerade sollte!“

Sie sah ihren Mann wütend und empört an. Wie konnte er es wagen sie so zu behandeln?

„Du kapierst es einfach nicht, oder?“, fragte Jack sie.

„Was kapiere ich bitte nicht? Willst du Schluss machen?“, fragte Isabell ihn fordernd.

„Bitte was? Hast du Schluss machen gesagt?“, fragte Jack sie entgeistert. „Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Wie kommst du denn jetzt bitte darauf?“

Isabell taumelte zurück. „Wie du willst dich gleich scheiden lassen?“, fragte sie entsetzt.

„Izzy, du bist mein Leben. Ich kann nicht ohne dich“, antwortete Jack wahrheitsgemäß, „wann wirst du das denn endlich verstehen?“

„Aber was kapiere ich dann nicht?“, fragte Isabell erst recht verwirrt.

Jack schüttelte stöhnend den Kopf. „Unsere Tochter kämpft mit scharfen Waffen, sie hat einen verlobten Freund, sie wird bald in einem Kampf kämpfen in dem sie auch sterben könnte und du fragst was los ist?“

Isabell verstand auf einmal seine komplette Besorgnis und Anspannung in den letzten Tagen. Er hatte sich einfach nur Sorgen um Lara gemacht.

„Aber ich habe nicht nur Angst um Lara. Weißt du, bei den meisten Paaren wird die Liebe irgendwann zu einer maximal freundschaftlichen Beziehung. Aber mit jedem Tag, den ich dich sehe, wächst meine Liebe zu dir und mit jeder Stunde, die ich dich nicht sehen kann, wächst meine Sehnsucht nach dir. Sie verzerrt mich von innen. Jedes Mal, wenn ich das Haus verlassen habe, hatte ich Angst. Angst davor, dass ich dich möglicherweise das letzte Mal sehen könnte. Und jedes Mal, wenn wir in den Kampf gezogen sind, hatte ich Angst. Angst davor, dass ich dich verliere. Und ich habe dich schon einmal verloren, ich kann dich nicht wieder verlieren. Jedes Mal, wenn ich das Haus verlassen habe um mit Charlotte tanzen zu gehen, hatte ich Angst. Angst davor, dass du unsere Beziehung beenden könntest. Und jetzt ziehen wir wieder in den Kampf. Und ich habe wieder solche Angst davor dich zu verlieren. Ich kann dich nicht verlieren. Weil ich dich liebe. Mit jedem Tag mehr. Also bitte lassen wir doch dieses Gezanke. Zumindest heute. Ich weiß nicht, ob das unsere letzte gemeinsame Nacht ist, aber ich will sie mit dir verbringen.“

Er schloss sie in seine Arme und hielt sie fest. „Ich wollte dir das schon so lange sagen. Weißt du, im Kerzenlicht an irgendeinem romantischen Fleck und nicht im Streit im Wohnzimmer“, flüsterte er ihr lächelnd ins Ohr.

„Du bist so kitschig“, lachte Isabell leise. Aber sie war innerlich beruhigt. Er liebte nicht nur Lara, sondern immer noch sie.

„Weißt du“, flüsterte sie, „ich liebe dich auch. Mir geht es genau wie dir. Aber wir müssen uns vertrauen. Sonst verlieren wir uns nur.“

Jack hielt sie noch Stunden lang so. Er war unglaublich glücklich. Sie liebte ihn immer noch. Trotz ihrer ewigen Beziehung.

 

Am nächsten Morgen war Lara immer noch nicht zurück. Isabell dachte, dass sie eventuell noch einen längeren Ausflug mit Corail gemacht hatte.

Aber entgegen Isabells Erwartungen hatte Corail Lara in seine privaten Gemächer mitgenommen. Er wohnte im riesigen Palast von Milia. Der Palast gehörte ihm und würde der zukünftige Regierungssitz sein.

„Stell dir vor, wie wir hier sitzen und regieren“, lachte Corail und öffnete die Tür in einen praktisch eingerichteten Raum.

In dem Raum standen zwei Schreibtische, zwei Schreibtischstühle und sonst nichts.

„Ich dachte bei euch regiert immer nur die Frau“, erwiderte Lara neckend. Sie warf sich in einen der riesigen Schreibtischstühle und lehnte sich genüsslich zurück.

„Du kannst dir nicht vorstellen wie bequem die sind“, rief sie.

Mit einem Mal war Corails Kopf über ihr. Er küsste sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Doch, ich kann mir sehr gut vorstellen, wie bequem diese Stühle sind. Außerdem herrscht bei uns Gleichberechtigung.“

Lara grinste und stand wieder auf. So gut das eben mit einer Flosse statt Beinen geht.

„Aber du wirst mir nicht erzählen wollen, dass du in diesem Raum die meiste Zeit verbringst, oder?“, fragte sie ihn.

„Nein, natürlich nicht. Komm mit.“ Er griff nach ihrer Hand und zog sie durch einen langen ungeschmückten Gang.

„Ich habe mir Paläste immer anders vorgestellt. Mit so dicken roten Teppichen und teuren Bildern an den Wänden“, erzählte Lara.

„Du willst dicke rote Teppiche in einem Palast unter Wasser haben?“, fragte Corail mit hochgezogener Augenbraue.

„Vielleicht nicht so klug“, gab Lara zu.

Corail öffnete lächelnd eine Tür und führte Lara in seine eigenen Gemächer.

Lara staunte nicht schlecht, als sie das riesige Himmelbett, die großen Fenster die das Treiben in Milia zeigten und die atemberaubende Fischanzahl, die sich in dem ganzen Zimmer tummelte.

Corail sagte ein paar Worte zu den Fischen, sie verschwanden sofort aus dem Zimmer.

Lara warf sich sofort auf sein Bett. „Wer finanziert eigentlich den ganzen Luxus den du dir hier so leistest?“, fragte sie ihn interessiert.

„Was heißt finanzieren?“, fragte Corail neugierig.

„Wer bezahlt das hier alles? Von wem kommt das ganze Geld?“, erklärte Lara.

„Was ist Geld?“, fragte Corail verwirrt.

„Etwas, das du jemandem gibst und dafür eine Wahre von ihm bekommst“, erklärte Lara umständlich.

„So etwas gibt es bei uns nicht. Wenn ich etwas von jemandem haben möchte, dann gebe ich ihm etwas von mir das ihn interessiert. Die Leute haben mir einen Palast gebaut, weil sie von mir etwas wollen. Nämlich eine gute Regierung.“

„Das Prinzip leuchtet mir ein“, meinte Lara. Sie schmiegte sich an ihn. „Wie ist eigentlich deine Verlobte?“

Corail dachte einen Moment nach. „Sie ist noch ein Kind. Für ihn Alter bestimmt nicht hässlich. Aber sie ist total unreif und eingebildet. Ich kann gar nichts mit ihr anfangen.“

Er küsste Lara sanft und zog sie noch enger an sich.

„Ich glaube ich sollte nach Hause gehen“, bemerkte Lara auf einmal völlig unpassend.

Corail sah hinauf zur Meeresoberfläche. „Stimmt. Oben ist es jetzt bestimmt schon lange hell.“

Lara sah ihn schockiert an. „Was meinst du mit lange?“, fragte sie ihn.

„Naja, ungefähr acht Uhr morgens.“

„Ich muss sofort nach Hause“, rief sie. Sie sprang hektisch auf. „Meine Eltern sorgen sich bestimmt schon.“

„Ich bringe dich noch hoch“, rief Corail. Er schwamm ihr hektisch nach.

„Ich werde übrigens heute Abend nicht auf dem Tanzabend dabei sein“, verkündete Corail beiläufig.

„Warum?“, fragte Lara zurück.

„Meine Eltern und ich werden als Abgesandte unseres Königreichs eine ehrenhafte Position übernehmen und einfach dastehen. So sieht zumindest der Plan aus.“

Lara sah ihn geschockt an. „Bring dich bitte nicht in Gefahr“, flüsterte sie. „Das könnte ich nicht ertragen.“

Corail strich ihr tröstend die Haare aus dem Gesicht. „Ich werde schon auf mich achtgeben. Ich möchte schließlich noch mehr Zeit mit dir verbringen.“

Lara grinste ihn an und erwiderte: „Ich hoffe doch. Schließlich kennen wir uns noch nicht lange.“

Dabei ging sie neckend auf die Kürze der Beziehung ein.

Corail ignorierte ihre Andeutung und küsste sie innig. „Ich wünsche uns heute Nacht viel Glück“, verabschiedete er sich grinsend.

Lara legte die letzten Meter zur Meeresoberfläche selbst zurück. Dann legte sie einem Fisch den Ring in den Mund und wies ihn an, ihn Corail zu bringen.

Als sie das Wasser verließ machte sie sich bereit auf ein Donnerwetter.

11. Die Ausführung eines legendären Plans

 

Das Donnerwetter blieb aus. Isabell war nur erleichtert, ihre Tochter wieder im Arm halten zu können. Kurz darauf wurde Lara in ein enges, silbern glitzerndes Kleid gequetscht. Isabell bedachte ihr Werk mit einem kritischen Blick und steckte Lara danach in glitzernde silberne Sandaletten.

„Heute wirst du hauptsächlich an Land tanzen“, ermahnte sie Lara während sie ihr eine hübsche Hochsteckfrisur machte.

„Corail ist sowieso nicht da“, erwiderte Lara bedrückt.

„Warum ist er nicht da?“, fragte Isabell neugierig.

„Er muss mit dem Volk von Miranda mitschwimmen und probieren das Doppelgesicht zu töten.“

Isabell guckte nicht besonders mitfühlend oder bedrückt über die Abwesenheit von Laras Freund.

Wenig später begannen Jack, Isabell und Lara loszureiten.

Isabell und Lara liefen als erstes in die Tanzhalle, etwa fünfzehn Minuten später folgte Jack. Lily und Hanna warteten bereits auf Isabell und Lara. Esmeralda war es wohl zu lange geworden. Sie tanzte noch ein bisschen mit jemandem durch die Gegend. Auf einmal lösten sich die beiden voneinander.

Eine umwerfende Frau hatte den Raum betreten und steuerte auf Jack zu. Sie trug ein langes, mit Spitzen besetztes, schwarzes Kleid.

Die Frau hieß Charlotte. Isabell verletzte es sehr sie so auf Jack zukommen zu sehen. Die beiden erinnerten ein bisschen an das Verhältnis zwischen einem Hund und dem Herren. Charlotte wirkte so überlegen, Jack dagegen wirkte total unterlegen und abhängig von ihr.

Isabell wusste zwar, dass es nur eine sehr gute Maske war aber es schmerzte sie doch trotzdem.

 

„Hey, Jack. Ich hoffe, die Frau mit der du gerade getanzt hast, war nicht deine neue Freundin“, begrüßte Charlotte Jack. Dabei ließ sie ihre Haare theatralisch vor ihr Gesicht fallen.

Jack schluckte seinen Ekel vor ihr runter und nahm sie in die Arme. „Nein“, beruhigte er sie gespielt, „ich wollte mich nur für dich warmtanzen. Ich könnte dich doch nicht betrügen.“

Er wiegte sie in Sicherheit, so wie es abgesprochen gewesen war. Er beruhigte sich damit, dass er es zu Isabells Wohl tat.

„Du bist so süß“, lachte Charlotte auf. Sie warf sich ihm an die Brust. Eine Weile hielt Jack sie einfach so fest. Dann begann er sich langsam in dem Takt eines Liedes zu wiegen. Charlotte verstand sofort. Sie löste sich von seiner Brust und begann mit ihm zu tanzen.

Sie liebte ihn. Sonst hätte sie bestimmt seine Ablehnung ihr gegenüber gespürt. Stattdessen schmiegte sie sich sehr eng an ihn und zwang ihn mit dem Tanzen aufzuhören.

„Wir sollten wenigstens an den Rand gehen, wenn wir schon nicht tanzen“, meinte er schließlich.

Die beiden verließen die Tanzfläche möglichst unauffällig und stellten sich an den Rand.

„Geht es dir heute nicht so gut?“, fragte Jack sie ohne jeden Vorwurf.

„Ach, ich habe nur Angst, dass du mich verlassen könntest“, antwortete sie ehrlich.

Jack nutzte diese Gelegenheit und fiel vor ihr auf die Knie. „Lass mich deine Angst nehmen“, sagte er in extrem gestelzten Deutsch, „willst du meine Frau sein?“

Charlotte schrie auf vor Freude. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Dann begann er ihren ganzen Arm zu küssen, ihren Hals und schließlich ihre Lippen.

Mitten in diesem für Jack sehr widerlichen Kuss kam Isabell an.

„Jack!“, schrie sie ohne jegliche Schauspielerei. „Was machst du da?“

Sie stieß Charlotte zu Boden. Einen kurzen Moment traf sich Jacks dankbarer Blick mit dem von Isabell. Dann brüllte er sie an.

„Was bildest du dir eigentlich ein? Warum rennst du mir immer noch hinterher? Ich hab Schluss gemacht! Und rühr meine Verlobte nie wieder an! Außer du bist an einer Schlägerei interessiert!“

In der ganzen Halle war es stumm. Isabell wich einige Schritte zurück. Es wirkte alles so real.

Jack zog die verwirrte Charlotte vom Boden und nahm sie in den Arm. „Es tut mir leid, Liebes. Das ist meine vollkommen verrückte Ex. Gehen wir doch raus.“

Er zog Charlotte aus der Tanzhalle und führte sie zu seinem Pferd. Dort half er ihr aufzusteigen und wies sein Pferd an loszureiten. Sie ritten auf die untergehende Sonne zu. In der Ferne konnte Jack schon die Koralleninsel erahnen.

An der Koralleninsel angekommen, führte er Charlotte auf den Felsen. „Ich dachte diese Insel würde dir gefallen“, sagte er und ließ sich auf den Felsen fallen.

Charlotte ließ sich neben ihm nieder und sah auf die Korallen zu ihren Füßen.

„Hier können wir die ganze Nacht ungestört verbringen, oder?“, fragte sie ihn.

Jack nickte und beobachtete die einsetzende Flut. Dann begann er sie zu küssen. Im Gegensatz zu Isabell hatte sie nichts dagegen als er ihr Kleid hochschob und es schlussendlich auszog. Nebenbei achtete er allerdings genau auf die Geräusche aus dem Wasser.

 

Als Jack sie von sich weggestoßen hatte, war ein Teil in Isabell gestorben. Sie hatte einige Zeit gebraucht um sich zu fassen. Sie hatte gerade so bemerkt wie Lily, Hanna und Esmeralda sie zwangen auf ihr Pferd zu steigen und Jack hinterherzureiten. Auf dem Ritt kam sie langsam wieder zu sich und verstand was vor sich ging.

Sie folgte Jack und Charlotte auf ihrem Pferd. Jack hielt Charlotte immer noch eng umschlungen und schien auch nicht die Absicht zu haben seine Hände endlich von ihr zu nehmen.

Außerdem fiel ihr auf, dass Jack die ganze Zeit auf die Koralleninsel zuhielt. Er schien sich wohl doch an den Plan zu halten und keine Emotionen für Charlotte entwickelt zu haben.

Als die beiden die Koralleninsel erreicht hatten, blieben die vier Freunde noch im Wald stehen. Sie baten ihre Pferde dazubleiben und krochen an den Strand.

Lara war ihnen in sicherem Abstand gefolgt. Kaum setzte die Flut ein, begann Jack ausgesprochen rücksichtslos mit Charlotte rumzuknutschen. Isabell ließ sich gegen einen Baum sinken. Sie konnte das nicht weiter ansehen.

Lara ging währenddessen ins Wasser, sie würde dort nach Corail Ausschau halten.

 

Währenddessen rief Perle ihr Volk zusammen. Sie hatte lange nachgedacht ob sie sich überhaupt an diesem Plan beteiligen wollte.

Die Ehe mit Corail wäre auch für ihre Tochter sehr wichtig gewesen. Schlussendlich hatte sie beschlossen, dass sie ihrer Schöpferin diese Bitte nicht ausschlagen konnte.

Ihr Volk schwamm langsam auf die Koralleninsel zu. Dort würden sie sich bewaffnet positionieren.

 

Corail und seine Eltern trafen kurz vor der Koralleninsel auf das Volk von Miranda. Die beiden Herrscherinnen begrüßten sich formell und überkreuzten ihre Waffen miteinander.

Dies galt als guter Brauch. Hinter Corails Mutter tauchte ein kleines Heer von bewaffneten Meermenschen auf. „Ich dachte ich unterstütze Euren Trupp mit einhundert meiner besten Kämpfer“, sagte Corails Mutter sehr formell.

Corail wusste, dass diese ganzen Heergeschichten eine reine Vorsichtsmaßnahme waren. Denn keiner wusste, was auf sie zukommen würde, wenn sie das Doppelgesicht getötet hätten.

„Ich geh dann mal Lara suchen“, meldete Corail und begann mit der Suche nach seiner Freundin.

Natürlich spürte er Perles missbilligenden Blick im Nacken.

Er fand Lara in Menschengestalt bei den schönsten Korallen. Als er anschwamm drehte sie sich um. Sie strahlte ihn an und küsste ihn zur Begrüßung.

„Ich hoffe meine Menschengestalt macht dir nichts aus“, sagte sie und sah an sich hinab.

Corail schüttelte zwar den Kopf aber reichte ihr trotzdem den Ring mit dem sie sich in eine Meerjungfrau verwandeln konnte.

„Dann kann es ja losgehen“, meinte Corail und sah erwartungsvoll an der Koralleninsel hinauf.  

 

Jack fummelte gerade an Charlottes Unterwäsche herum, als er ein Platschen im Wasser hörte. Charlotte hörte es offensichtlich nicht denn sie war damit beschäftigt ihren Büstenhalter abzulegen. Jack ließ die Meerjungmenschen noch etwa eine halbe Stunde zappeln. Dann hatte er sie soweit, dass sie seinen Abgang nicht verkraften würde.

„Charlotte“, sagte er zu ihr in abweisendem Ton, „ich muss zu meiner Frau gehen.“

„Aber Jack…“, ihre Stimme begann zu zittern als sie splitternackt vor ihm saß, „ich dachte wir … ich dachte du meintest es ernst.“

„Tut mir leid. Ich habe nur deinen Körper gewollt.“

Charlottes Gesicht verzerrte sich. Dann ging sie in einem grellen Blitz unter. Jack sprang schnell ins Wasser.

Er verpasste, wie Charlotte sich pulverisierte und aus ihren Staubkörnern ein anderer Mann auferstand.

Tiran konnte gerade noch Jacks Wasserfontäne sehen, dann sprang er ihm hinterher.

Kaum war er ins Wasser gesprungen, erkannte er seinen Fehler.

Ein Dreizack nach dem anderen durchbohrte seinen Körper.

 

Auch der Oberste bekam das Sterben von seinem Freund mit. Er fragte sich einen Moment, ob er fliehen sollte. Doch ein Blick nach draußen zeigte ihm, dass dies nicht mehr möglich sein könnte. Schon wurde sein Palast von Nereiden bewacht.

12. Verhadlungen

 

Wenige Minuten nach dem Untergang seines Freundes wurden die Türen seines Arbeitszimmers geöffnet. Vier Elemente streckten ihre Hände wütend gegen ihn aus. Er ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. Er konnte sich sowieso nicht wehren.

Ergeben lief er mit erhobenen Händen die Treppe herunter. Lily band ihm sofort die Hände auf den Rücken. Natürlich ohne einen Finger zu krümmen.

„Ich ergebe mich ja schon“, erwiderte der Oberste gereizt.

Lily ließ ihre Fesseln trotzdem an der Stelle.

„Wegen Euch wären wir fast gestorben“, erhob Isabell wütend das Wort, „wir fordern die sofortige Verhandlung gegen Euch.“

Der Oberste nickte nur ergeben. Die hohen Acht betraten den Raum, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

„Also“, setzte Nadine an, „wir beginnen die Verhandlung gegen den Obersten, Jonathan. Wollt Ihr etwas zu Euer Verteidigung sagen.“

„Er war nur mein Freund“, setzte der Oberste weinerlich an, „er hatte alles geplant. Ich kann nichts dafür…“

„Ich meinte etwas Essentielles und kein Gewimmer“, unterbrach Nadine ihn sofort.

Der Oberste schwieg eine Weile. „Ich habe nichts Essentielles hervorzubringen“, antwortete er schließlich.

„Dann werdet Ihr von jetzt an nicht mehr der Oberste sein“, sprach Nadine das Urteil aus.

Sein Todesurteil war besiegelt. Kaum hatte sie die letzten Worte gesprochen begann der Oberste zu altern. Unglaublich schnell.

Wenige Minuten später hatten sich auch seine Knochen zu einem winzigen Kalkhäufchen pulverisiert.

„Dann könnten wir ja jetzt mit den Verhandlungen weitermachen“, sagte Nadine, „hat jemand ein spezielles Thema vorzutragen?“

Zu aller Verwunderung trat Lara nach vorne. „Ich lehne meine Gabe als eines der vier Elemente ab. Ich möchte meinen Freund Corail heiraten und unter Wasser leben. Trotzdem würde ich meine Eltern gerne sehen. Wäre das möglich.“

Der hohe Rat beriet sich kurz. Dann antwortete Nadine: „Es wäre rein prinzipiell machbar. Wenn du an Land gehst wirst du wieder zum Menschen und im Wasser automatisch zur Meerjungfrau.“

„Ich würde gerne die fünf Unterwasserkönigreiche einigen“, bat Lily.

„Auf Pangäa haben wir nur begrenzten Zugriff. Die Königreiche werden einzeln bestehen bleiben, aber interne Kriege unter Wasser werden unnötig sein. Auch die Nahrungsreserven werden geteilt. Durch Laras Wunsch sollten Jack und Isabell allerdings einwilligen ihr altes Amt wieder zu übernehmen.“

Jack und Isabell nickten nur überstürzt. Nichts täten sie lieber als ihr altes Amt annehmen.

„Gut, dann hätten wir diese Themen ja geklärt. Lara, deine Bitte hat einen Preis. So wie jede Bitte. Auch die von Jack und Isabell wird einen Preis haben“, erklärte Nadine.

Lara sah sie erwartungsvoll an.

„Du wirst als neue Oberste fungieren müssen und im Falle des Todes deiner Mutter, müsstest du als neues Element Luft einspringen. Jack und Isabell, ihr müsst die Perle des ewigen Lebens finden. Ansonsten werdet ihr euer Amt nur für kurze Dauer besetzen können. Nehmt ihr die Bedingungen an?“

Jack und Isabell nickten entschlossen.

Lara sah Nadine etwas skeptisch an. „Und welche Aufgaben übernehme ich als Oberste?“, fragte sie.

„Bei wichtigen Themen wirst du gerufen und ansonsten probierst du nicht zu sterben oder dich in unnötige Gefahr zu bringen.“

„Könnte ich fast schaffen. Wenn ich mir Mühe gebe.“

Damit verließen alle die Versammlung.

 

Lara reiste zu Corails Palast wo dieser sie erwartete. „Ich habe mir Sorgen gemacht als du einfach so verschwunden bist“, begrüßte er sie.

„Mir ist nichts passiert. Außer vielen schönen Dingen“,

„Was wären diese Dinge?“, fragte Corail sie neugierig.

„Ich darf bei dir unter Wasser sein und kann trotzdem meine Eltern als Mensch besuchen gehen. Außerdem bin ich die neue Oberste.“

Corail küsste sie liebevoll. „Damit sind doch fast alle deine Wünsche unter einen Hut gebracht.“

„Warum nur fast?“

„Du wolltest doch regieren. Aber dafür müssen erst mal meine Eltern abdanken.“

„Wir können uns ja noch etwas Zeit lassen“, antwortete Lara.

„Wo ihr gerade sowieso bei diesem Thema seid, mischen wir uns mal ein“, sagte Corails Mutter während sie die Tür öffnete, „ich denke ihr seid beide alt genug dafür. Wir wollen unsere restliche Zeit noch etwas genießen. Dein Vater und ich werden euch demnächst einlernen. Dann werden wir abdanken.“

Corail konnte es kaum fassen. „Was redest du da?“, fragte er seine Mutter sichtlich schockiert. „Ihr könnt doch nicht einfach abdanken und so tun als würdet ihr dann nicht mehr existieren.“

Corails Mutter nahm Lara und ihn einfach nur in den Arm.

 

Zur selben Zeit legten sich Jack und Isabell in Jacks Landhaus ins Bett. „Denkst du es geht Lara gut?“, fragte Isabell. Damit sprach sie die Frage aus die Jack und sie bewegte.

„Natürlich geht es ihr gut. Und wenn nicht mach ich diesen ganzen Königshaufen dafür verantwortlich. Das kannst du mir glauben“, antwortete Jack wütend.

Jacks Zuversicht beruhigte auch Isabell.

„Was machen wir denn jetzt, wenn Lara sich entschließt bei diesem Prinzen zu bleiben?“

„Wie wäre es damit die Perle des ewigen Lebens zu finden?“, fragte Jack sie lächelnd.

Sie küsste ihn aber gab keine Antwort.

Dann sank sie in einen unruhigen Schlaf. Jack schlang einen Arm um sie und folgte ihr in den Schlaf.

 

Liebe Mama, lieber Papa,

ich weiß, ich hätte mich sofort melden sollen, aber es ging eben nicht. Das tut mir auch sehr leid.

Es geht mir hier bei Corail sehr gut. Seine Eltern werden demnächst abdanken, dann werden Corail und ich Herrscher. Aber dafür müssen wir heiraten. Ich heirate ihn natürlich nicht nur um Herrscherin von Milia zu werden.

Er möchte keine große Aufregung deswegen haben. Aber er würde euch trotzdem auch mal kennen lernen. Wie wäre es also, wenn ihr zu meiner Hochzeit kommen könntet? Danach macht ihr euch aber bitte sofort auf die Suche nach eurer ominösen Perle des ewigen Lebens. Schließlich möchte ich euch nicht bestatten müssen.

Die genaue Einladung wird noch folgen. Schickt mir doch einen Brief zurück.

In Liebe und mit Kuss,

Eure Lara

Danksagung

 

Ich weiß nicht, wie es anderen Autoren an dieser Stelle geht, aber für mich ist das der unangenehmste Teil jedes Buchs, denn ich weiß nie, wen ich an dieser Stelle erwähnen sollte, denn es gibt so viele wunderbare Leute, die ich gerne erwähnen würde.

 

Ich denke an erster Stelle sollte ich meine Freundin Sarah nennen, die sich freundlicherweise immer dazu bereit erklärt meine Bücher Probe zu lesen und mir zu sagen, was genau nicht passt.

Des Weiteren würde ich gerne meinem Physiklehrer Herrn Krug danken, der mich motiviert und ständig aufgebaut hat, wodurch es mir überhaupt erst möglich war dieses Buch fertigzustellen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.08.2018

Alle Rechte vorbehalten

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