Friedrich Schiller
Wilhelm Tell
Kommentierte Ausgabe
mit Wort- und Sacherklärungen
Herstellung: Karl A. Fiedler
aionas
Unsere Ausgabe folgt der Werkausgabe Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch, Bd. 1–5, 3. Auflage, München: Hanser, 1962. Das Werk wurde 1804 abgeschlossen und im gleichen Jahr erstmals bei Cotta in Tübingen veröffentlicht.
Der Text wurde den Regeln der neuen deutschen Rechtschreibung angepasst. Interpunktion, Lautstand und grammatikalische Eigenschaften wurden hierbei gewahrt.
aionas Verlag, Marstallstr. 1, Weimar
1. Auflage, 2015
ISBN (Print): 978-1508466819
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Wilhelm Tell ist Schillers Idealbild von einem freien Menschen. 1804 in Weimar erstmals aufgeführt, ist das Schauspiel seit dieser Zeit ein fester Bestandteil des Bühnenprogramms deutschsprachiger Schauspielhäuser. In seinem Drama, das letzte von ihm vollendete Bühnenwerk, verwebt der große Freiheitsdichter den Entstehungsmythos der Schweiz um den Rütlischwur, die Befreiungskämpfe der Eidgenossen aus der Gewaltherrschaft Österreichs im 12./13. Jahrhundert und die Sage um Wilhelm Tell, die im Mittelpunkt der Dichtung steht.
Tell ist ein freier Waldmensch, der – als sein Leben, seine Freiheit und seine Familie bedroht werden – zur Armbrust greift und den tyrannischen Vogt Gessler in einem Akt von Selbstverteidigung niederstreckt. Schiller als Anhänger Rousseaus hatte die Auffassung eines Naturrechts, sich gegen Unterjochung aufzulehnen, wenn die eigene, von der Natur gegebene Freiheit durch fremde Gewalt bedroht ist. Mit ihrer Auflehnung gegen die österreichische Gewaltherrschaft verteidigten die Schweizer ihre Menschenwürde, ihre natürliche Lebensweise und ihre Freiheit. Das machte sie zu einem Vorbild für aufgeklärte Bürger in ganz Europa.
Zur Schillerzeit war die Schweiz ein beliebtes Reiseziel von Künstlern, Schriftstellern, Gelehrten und Intellektuellen. Auch Goethe war mehrfach hier, der 1797 selbst die Bearbeitung des Tell-Stoffes in Erwägung zog und sich mit Schiller hierüber austauschte. Schiller war es selbst nie vergönnt, die Schweiz kennenzulernen. Mit großer Be- und Verwunderung hat man daher seine detailgetreue Wiedergabe der örtlichen Gegebenheiten der Gegend der Urschweiz rund um den Vierwaldstättersee aufgenommen. Mit großer Sorgfalt hat der Dichter verschiedene Quellen seiner Zeit studiert, die ihm als Grundlage für seine dramatische Dichtung dienten. Auch sprachlich dienten sie ihm als Fundgrube. Seine Figuren reden volkstümlich und ihre Sprache ist besetzt von mundartlichen Redewendungen, lokalen Bezügen, Weisheiten und Naturbeobachtungen.
Dies ist einer der gewichtigen Gründe für die große Verehrung dieser Schillerschen Dichtung in der Schweiz. Für den orts- und dialektunkundigen Leser stellen diese vielen lokalen und sprachlichen Bezüge jedoch eine Erschwernis bei der Lektüre dar. In der vorliegenden kommentierten Ausgabe sind wir daher den Quellen Schillers und anderen Quellen nachgegangen und geben knappe Erläuterungen zu Orten, Landschaften, Mundart, historischen Personen und Ereignissen und heute ungebräuchlichen Reden, die zum Verständnis der Lektüre beitragen sollen.
K. A. F.
Herausgeber
Übersichtskarte der Schauplätze im Tell-Drama
Friedrich Schiller
Wilhelm Tell
Schauspiel
Personen.1
Hermann Gessler2, Reichsvogt in Schwyz und Uri.
Werner, Freiherr von Attinghausen3, Bannerherr4.
Ulrich von Rudenz5, sein Neffe.
Werner Stauffacher6,
Konrad Hunn7,
Itel Reding,8
Hans auf der Mauer,
Jörg im Hofe,
Ulrich der Schmied,
Jost von Weiler, Landleute aus Schwyz.
Walter Fürst9,
Wilhelm Tell10,
Rösselmann, der Pfarrer,
Petermann, der Sigrist,
Kuoni, der Hirte,
Werni, der Jäger,
Ruodi, der Fischer, aus Uri.
Arnold vom Melchthal11,
Konrad Baumgarten12,
Meier13 von Sarnen,
Struth von Winkelried,
Klaus von der Flüe,
Burkhardt am Bühel,
Arnold von Sewa, aus Unterwalden.
Pfeiffer von Luzern.
Kunz von Gersau.
Jenni, Fischerknabe.
Seppi, Hirtenknabe.
Gertrud14, Stauffachers Gattin.
Hedwig15, Tells Gattin, Fürsts Tochter.
Berta von Bruneck, eine reiche Erbin.
Armgard,
Mechthild,
Elsbet,
Hildegard, Bäuerinnen.
Walter,
Wilhelm, Tells Knaben.
Friesshardt16,
Leuthold17, Söldner.
Rudolf der Harras18, Geßlers Stallmeister.
Johannes Parricida19, Herzog von Schwaben.
Stüssi, der Flurschütz.
Der Stier von Uri20.
Ein Reichsbote.
Fronvogt21.
Meister Steinmetz, Gesellen und Handlanger.
Öffentliche Ausrufer.
Barmherzige Brüder22.
Gesslerische und Landenbergische Reiter.
Viele Landleute, Männer und Weiber aus den Waldstätten.
Erster Aufzug
Erste Szene
Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees23, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten24, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt.
FISCHERKNABE singt im Kahn.
Melodie des Kuhreihens25.
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel 5
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein! 10
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.
HIRTE auf dem Berge.
Variation des Kuhreihens.
Ihr Matten lebt wohl!
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne26 muß scheiden, 15
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg27, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai. 20
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden
Der Sommer ist hin.
ALPENJÄGER erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen.
Zweite Variation.
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg, 25
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem28 Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis; 30
Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riß nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern 35
Das grünende Feld.
Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.
Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte. Werni der Jäger steigt vom Felsen. Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf 29auf der Schulter. Seppi, seine Handbube30, folgt ihm.
RUODI. Mach hurtig, Jenni. Zieh die Naue31 ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn32,
Der Mythenstein zieht seine Haube an33,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch34, 40
Der Sturm, ich mein, wird da sein, eh wirs denken.
KUONI. 's kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen35
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI. Die Fische springen, und das Wasserhuhn36
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. 45
KUONI zum Buben. Lug37, Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI. Die braune Lisel kenn ich am Geläut38.
KUONI. So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten39.
RUODI. Ihr habt ein schön Geläute40, Meister Hirt.
WERNI. Und schmuckes Vieh – Ists Euer eignes, Landsmann? 50
KUONI. Bin nit so reich41 – 's ist meines gnädgen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
RUODI. Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht.
KUONI. Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,42
Und nähm ich ihrs, sie hörte auf zu fressen. 55
RUODI. Ihr seid nicht klug! Ein unvernünftges Vieh –
WERNI. Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen43 jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
'ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet 60
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI zum Hirten. Treibt Ihr jetzt heim?
KUONI. Die Alp44 ist abgeweidet.
WERNI. Glückselge Heimkehr, Senn!
KUONI. Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sichs nicht immer wieder.
RUODI. Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen. 65
WERNI. Ich kenn ihn, 's ist der Baumgart von Alzellen45.
Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.
BAUMGARTEN. Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!
RUODI. Nun, nun, was gibts so eilig?
BAUMGARTEN. Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!
KUONI. Landsmann, was habt Ihr?
WERNI. Wer verfolgt Euch denn? 70
BAUMGARTEN zum Fischer.
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI. Warum verfolgen Euch die Reisigen46?
BAUMGARTEN. Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede. 75
WERNI. Ihr seid mit Blut befleckt, was hats gegeben?
BAUMGARTEN. Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg47 saß –
KUONI. Der Wolfenschießen48? Läßt Euch der verfolgen?
BAUMGARTEN. Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.
ALLE fahren zurück. Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan? 80
BAUMGARTEN. Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht49 hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.
KUONI. Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?
BAUMGARTEN. Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht, 85
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI. Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI. O, laß uns alles hören, Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.
BAUMGARTEN. Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt 90
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg in meinem Haus, er hab
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.« 95
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm 's Bad gesegnet.
WERNI. Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.
KUONI. Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hats lang verdient ums Volk von Unterwalden. 100
BAUMGARTEN. Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
Es fängt an zu donnern.
KUONI. Frisch, Fährmann – schaff den Biedermann50 hinüber.
RUODI. Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müßt warten.
BAUMGARTEN. Heilger Gott! 105
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –
KUONI zum Fischer.
Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
Brausen und Donnern.
RUODI. Der Föhn51 ist los, Ihr seht, wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen. 110
BAUMGARTEN umfaßt seine Knie.
So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –
WERNI. Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.
KUONI. 's ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
Wiederholte Donnerschläge.
RUODI. Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin, 115
Wies brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, Ihr seht selbst.
BAUMGARTEN noch auf den Knien.
So muß ich fallen in des Feindes Hand, 120
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegts! Ich kanns erreichen mit den Augen,
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen! 125
KUONI. Seht, wer da kommt!
WERNI. Es ist der Tell aus Bürglen.
Tell mit der Armbrust.
TELL. Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?
KUONI. 's ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr
Verteidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß – 130
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Überfahrt,
Der fürcht‘t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
RUODI. Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen. 135
TELL. Wos Not tut, Fährmann, läßt sich alles wagen.
Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.
RUODI. Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.
TELL. Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten. 140
RUODI. Vom sichern Port läßt sichs gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!
TELL. Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es, Fährmann!
HIRTEN UND JÄGER. Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!
RUODI. Und wärs mein Bruder und mein leiblich Kind, 145
Es kann nicht sein, 's ist heut Simons und Judä52,
Da rast der See und will sein Opfer haben.
TELL. Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?
RUODI. Nein, nicht ich! 150
TELL. In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.
KUONI. Ha, wackrer Tell!
WERNI. Das gleicht dem Weidgesellen!
BAUMGARTEN. Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!
TELL. Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch, 155
Aus Sturmes Nöten muß ein andrer helfen.
Doch besser ists, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen!
Zu dem Hirten.
Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte. 160
Er springt in den Kahn.
KUONI zum Fischer.
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?
RUODI. Wohl beßre Männer tuns dem Tell nicht nach,
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.
WERNI ist auf den Fels gestiegen.
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer! 165
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!
KUONI am Ufer.
Die Flut geht drüber weg – Ich sehs nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
SEPPI. Des Landvogts Reiter kommen angesprengt. 170
KUONI. Weiß Gott, sie sinds! Das war Hülf in der Not.
Ein Trupp Landenbergischer Reiter.
ERSTER REITER. Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.
ZWEITER. Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.
KUONI UND RUODI. Wen meint ihr, Reiter?
ERSTER REITER entdeckt den Nachen. Ha, was seh ich! Teufel!
WERNI oben.
Ists der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu, 175
Wenn ihr frisch beilegt53, holt ihr ihn noch ein.
ZWEITER. Verwünscht! Er ist entwischt.
ERSTER zum Hirten und Fischer. Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!
Eilen fort.
SEPPI stürzt nach. O meine Lämmer!
KUONI folgt. Weh mir! Meine Herde! 180
WERNI. Die Wütriche!
RUODI ringt die Hände. Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
Folgt ihnen.
Zweite Szene
Zu Steinen in Schwyz54. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.
Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern kommen im Gespräch.
PFEIFFER. Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.
Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihrs könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher, 185
Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!
Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.
STAUFFACHER. Bleibt doch, bis meine Wirtin55 kommt – Ihr seid
Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.
PFEIFFER. Viel Dank! Muß heute Gersau56 noch erreichen.
– Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben 190
Von eurer Vögte Geiz und Übermut,
Tragts in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.
Seid ihr erst Österreichs, seid ihrs auf immer.
Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.
GERTRUD. So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr. 195
Schon viele Tage seh ichs schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten57,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fodr ich deines Grams. 200
Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.
Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht 205
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz58,
Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt,
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell, 210
Mit bunten Wappenschildern ists bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
STAUFFACHER. Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten. 215
GERTRUD. Mein Werner, sage, wie verstehst du das?
STAUFFACHER. Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küßnacht59, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten. 220
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub60 mich schnell, und unterwürfig,
Wie sichs gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. Wessen ist dies Haus? 225
Fragt‘ er bösmeinend, denn er wußt es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn ihm so:
Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen – da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt 230
Und will nicht, daß der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, Euch das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich61 von dannen, 235
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
GERTRUD. Mein lieber Herr und Ehewirt62! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edeln Ibergs63 Tochter rühm ich mich, 240
Des vielerfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente64 lasen
Der alten Kaiser, und des Landes Wohl 245
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,
Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.
So höre denn und acht auf meine Rede, 250
Denn was dich preßte, sieh, das wußt ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, daß sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest 250
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern65 es gehalten und getan. –
Ists nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge!
STAUFFACHER. So ists, das ist des Geßlers Groll auf mich.
GERTRUD. Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst, 260
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb,
– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn 265
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses66,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen giftger Mißgunst an, 270
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an dir gebüßt?
Der kluge Mann baut vor.
STAUFFACHER. Was ist zu tun!
GERTRUD tritt näher.
So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier 275
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs – 280
Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech
Der Landenberger67 drüben überm See –
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt
Beginnen von den Vögten uns verkündet. 285
Drum tät es gut, daß eurer etliche,
Die‘s redlich meinen, still zu Rate gingen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen,
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen
Und der gerechten Sache gnädig sein – 290
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
STAUFFACHER. Der wackern Männer kenn ich viele dort
Und angesehen große Herrenleute68,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut. 295
Er steht auf.
Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich69 aus. 300
– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal –
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt? 305
Der gute Schein nur ists, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten
Und unterm Schein gerechter Züchtigung 310
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
GERTRUD. Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!
STAUFFACHER. O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten70. 315
GERTRUD. Ertragen muß man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
STAUFFACHER. Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
GERTRUD. Wüßt ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt, 320
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
STAUFFACHER.
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
GERTRUD. Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich! 325
STAUFFACHER. Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure sein?
GERTRUD. Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
STAUFFACHER stürzt in ihre Arme.
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt, 330
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten,
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr71 ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walter Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich. 335
Auch find ich dort den edeln Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt – 340
Leb wohl – und
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Tag der Veröffentlichung: 13.02.2015
ISBN: 978-3-7368-7786-3
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