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Leseprobe

Karl A. Fiedler

Schillers Lied von der Glocke.
Text und Interpretation

Schullektüre einfach verstehen

aionas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

aionas Verlag, Marstalltr. 1, Weimar

1. Auflage, 2014

ISBN (Print): 978-1503015166

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Schillers Lied von der Glocke ist ein Kulturzeugnis der Vergangenheit, das fest mit der Bildungsgeschichte der Deutschen verschmolzen ist. Das Gedicht ist eine Komposition, der der Dichter das ganze Leben eines Menschens einhauchte. Der Klang der Glocke begleitet dieses Leben in all seinen Phasen von der Geburt bis zum Tod und darüber hinaus. Doch nicht nur dem Einzelnen gilt ihr Klang. Ihr Läuten gilt allen, sowohl im Frieden als auch zu Zeiten des Elend bringenden Krieges, sowohl bei geselligen Freudenfesten als auch bei gesellschaftlichen Katastrophen und den Stürmen der Natur.

Die Zeiten seines Sturm und Drangs längst überwunden, beschreibt Schiller im Lied von der Glocke seine Idee von einem harmonischen, reiche Ernte tragenden Lebens im sittsamen, bürgerlichen Reigen. Zugleich ist es ein Friedenslied, das sich gegen die blutige Eskalation der französischen Revolution brüskiert, deren heere Ziele für Freiheit und Gleichheit der Dichter im Blutdurst der wutentbrannten Masse ertränkt und verraten sieht.

Schiller strebte als Philosoph und Dichter nach der Einheit und Harmonie des inneren Wesens als ein erhabenes Ziel und er wies dieses Ziel der Menschheit zu. Danach strebte er selbst. Seine Poesie wurde zu seinem mächtigen, persönlichen Mittel, dieses Wesen zu entfalten. Bei seiner lyrischen-didaktischen Produktion lässt sich Schiller dabei von Ideen leiten, die in seinen Gedichten als Kernbotschaft für die unterschiedlichsten Ausdrücke sittsamen Handelns behandelt sind.

Im Lied von der Glocke erlangt diese Ideen- oder Gedankenlyrik mehr als in anderen lyrischen Werken Schillers plastische Gestalt. Seine Bilder, als Reflexionen zum Glockenguss präsentiert, sind ganz selbstverständlich, die geschilderten Empfindungen sind natürlich und versetzen uns so in eine unmittelbare Wirklichkeit verganger Vorstellungswelt, mit der sich die nachfolgenden Generationen Schillers oft unkritisch identifizierten. Viele Formulierungen des Textes sind in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch übergegangen. Doch auch viele Vorstellungen Schillers wie sein Bild von den geschlechterspezifischen Rollen von Mann und Frau sind heute überholt (wenn auch noch nicht gänzlich überwunden).

Von Schillers Nachgenerationen in den Dienst der Allgemeinheit gestellt, begleitete das Gedicht das Unabhängigkeitsstreben der Bürgerlichen und wird – wie Schiller selbst als „Lehrer der Nation“ – in das politische Zentrum der nationalen Sache gestellt, aber auch missbraucht. Kritiken am Gedicht in dieser Zeit werden kaum vernommen. Erst nach den Weltkriegen setzt eine Revision der Klassiker und damit auch vom Lied von der Glocke ein. Nach der Zivilisationskatastrophe des zweiten Weltkrieges scheint das Gedicht gänzlich seinen Wert verloren zu haben. Doch ein Streit von Kritikern in den 1960er Jahren rückt das Gedicht zumindest wieder als Illustration der Bildungsgeschichte der Deutschen in die öffentliche Diskussion.

Diesem Weg des Gedichtes und seiner Wahrnehmung in verschiedenen Zeiten geht auch die vorliegende Interpretation nach. Sie richtet sich insbesondere an Schülerinnen und Schüler, um ihnen den Zugang zu diesem Werk zu erleichtern, aber auch an alle allgemein interessierten Leserinnen und Leser.

Ausgehend vom lyrischen Text und seinem Inhalt, geht wir ausführlich seiner Architektur nach und setzen uns mit seinen sprachlichen Mitteln auseinander, zeigen seine Entstehung auf und betrachten seine Rezeption im Verlauf von nunmehr über 200 Jahren. Im Interpretationsteil gehen wir den Absichten des Dichters nach, die jeweils vor den kulturgeschichtlichen Hintergründen betrachtet werden. Dies betrifft Schillers Gedankenlyrik, mit der Schiller seine Lyrik in den Dienst ästhetischer Bildung stellt, die Entwicklung der Familie und ihrer Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft, die Frage der geschlechtspezifischen Rollenverteilung, die zu einer Neuformulierung der patriarchalischen Gesellschaft führte, und Schillers Kritik an der französischen Revolution, die am Beginn seiner klassischen Schaffensperiode steht.

Um der Darstellung des Glockengusses von Schiller, die der Dichter aus der Perspektive des Meisters beschreibt, besser verstehen zu können, geht dem Interpretationsteil eine kurze Darstellung des Glockengussen voraus, in der die von Schiller verwendeten Fachbegriffe im Kontext des Herstellungsprozesses erläutert werden. Abgerundet wird diese Ausgabe durch eine Kurzbiographie, in der wichtigen Stationen in Schillers Leben und Denken nachgegangen wird, und eine Aufstellung wichtiger Werke des Dichter.

Der Text

Das Lied von der Glocke

Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.

Fest gemauert in der Erden

Steht die Form, aus Lehm gebrannt.

Heute muß die Glocke werden,

Frisch, Gesellen, seid zur Hand.

Von der Stirne heiß 5

Rinnen muß der Schweiß,

Soll das Werk den Meister loben,

Doch der Segen kommt von oben.

 

Zum Werke, das wir ernst bereiten,

Geziemt sich wohl ein ernstes Wort; 10

Wenn gute Reden sie begleiten,

Dann fließt die Arbeit munter fort.

So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,

Was durch die schwache Kraft entspringt,

Den schlechten Mann muß man verachten, 15

Der nie bedacht, was er vollbringt.

Das ists ja, was den Menschen zieret,

Und dazu ward ihm der Verstand,

Daß er im innern Herzen spüret,

Was er erschafft mit seiner Hand. 20

 

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,

Doch recht trocken laßt es sein,

Daß die eingepreßte Flamme

Schlage zu dem Schwalch hinein.

Kocht des Kupfers Brei, 25

Schnell das Zinn herbei,

Daß die zähe Glockenspeise

Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube

Die Hand mit Feuers Hülfe baut, 30

Hoch auf des Turmes Glockenstube

Da wird es von uns zeugen laut.

Noch dauern wirds in späten Tagen

Und rühren vieler Menschen Ohr

Und wird mit dem Betrübten klagen 35

Und stimmen zu der Andacht Chor.

Was unten tief dem Erdensohne

Das wechselnde Verhängnis bringt,

Das schlägt an die metallne Krone,

Die es erbaulich weiterklingt. 40

 

Weiße Blasen seh ich springen,

Wohl! die Massen sind im Fluß.

Laßts mit Aschensalz durchdringen,

Das befördert schnell den Guß.

Auch von Schaume rein 45

Muß die Mischung sein,

Daß vom reinlichen Metalle

Rein und voll die Stimme schalle.

 

Denn mit der Freude Feierklange

Begrüßt sie das geliebte Kind 50

Auf seines Lebens erstem Gange,

Den es in Schlafes Arm beginnt;

Ihm ruhen noch im Zeitenschoße

Die schwarzen und die heitern Lose,

Der Mutterliebe zarte Sorgen 55

Bewachen seinen goldnen Morgen. –

Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.

Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,

Er stürmt ins Leben wild hinaus,

Durchmißt die Welt am Wanderstabe. 60

Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,

Und herrlich, in der Jugend Prangen,

Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,

Mit züchtigen, verschämten Wangen

Sieht er die Jungfrau vor sich stehn. 65

Da faßt ein namenloses Sehnen

Des Jünglings Herz, er irrt allein,

Aus seinen Augen brechen Tränen,

Er flieht der Brüder wilden Reihn.

Errötend folgt er ihren Spuren 70

Und ist von ihrem Gruß beglückt,

Das Schönste sucht er auf den Fluren,

Womit er seine Liebe schmückt.

O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,

Der ersten Liebe goldne Zeit, 75

Das Auge sieht den Himmel offen,

Es schwelgt das Herz in Seligkeit.

O! daß sie ewig grünen bliebe,

Die schöne Zeit der jungen Liebe!

 

Wie sich schon die Pfeifen bräunen! 80

Dieses Stäbchen tauch ich ein,

Sehn wirs überglast erscheinen,

Wirds zum Gusse zeitig sein.

Jetzt, Gesellen, frisch!

Prüft mir das Gemisch, 85

Ob das Spröde mit dem Weichen

Sich vereint zum guten Zeichen.

 

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,

Wo Starkes sich und Mildes paarten,

Da gibt es einen guten Klang. 90

Drum prüfe, wer sich ewig bindet,

Ob sich das Herz zum Herzen findet!

Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

 

Lieblich in der Bräute Locken

Spielt der jungfräuliche Kranz, 95

Wenn die hellen Kirchenglocken

Laden zu des Festes Glanz.

Ach! des Lebens schönste Feier

Endigt auch den Lebensmai,

Mit dem Gürtel, mit dem Schleier 100

Reißt der schöne Wahn entzwei.

Die Leidenschaft flieht!

Die Liebe muß bleiben,

Die Blume verblüht,

Die Frucht muß treiben. 105

Der Mann muß hinaus

Ins feindliche Leben,

Muß wirken und streben

Und pflanzen und schaffen,

Erlisten, erraffen, 110

Muß wetten und wagen,

Das Glück zu erjagen.

Da strömet herbei die unendliche Gabe,

Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,

Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus. 115

 

Und drinnen waltet

Die züchtige Hausfrau,

Die Mutter der Kinder,

Und herrschet weise

Im häuslichen Kreise, 120

Und lehret die Mädchen, und wehret den Knaben,

Und reget ohn Ende

Die fleißigen Hände,

Und mehrt den Gewinn

Mit ordnendem Sinn. 125

Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,

Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,

Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein

Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,

Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer, 130

Und ruhet nimmer.

 

Und der Vater mit frohem Blick

Von des Hauses weitschauendem Giebel

Überzählet sein blühend Glück,

Siehet der Pfosten ragende Bäume 135

Und der Scheunen gefüllte Räume

Und die Speicher, vom Segen gebogen,

Und des Kornes bewegte Wogen,

Rühmt sich mit stolzem Mund:

Fest, wie der Erde Grund, 140

Gegen des Unglücks Macht

Steht mir des Hauses Pracht!

Doch mit

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 20.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5746-9

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