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Leseprobe

Karl A. Fiedler

Die Bürgschaft
von Friedrich Schiller.
Interpretation

Schullektüre einfach verstehen

aionas

aionas Verlag, Marstallstr. 1, Weimar

1. Auflage, 2014

ISBN (Print): 978-1503299122

Inhaltsverzeichnis

Der Text

Die Bürgschaft

Zu Dionys1, dem Tyrannen2, schlich

Möros, den Dolch im Gewande;

Ihn schlugen die Häscher3 in Bande.

»Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!«

Entgegnet ihm finster der Wüterich. 5

»Die Stadt vom Tyrannen befreien!«

»Das sollst du am Kreuze bereuen.«

 

»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit

Und bitte nicht um mein Leben,

Doch willst du Gnade mir geben, 10

Ich flehe dich um drei Tage Zeit,

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit4,

Ich lasse den Freund dir als Bürgen,

Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen5.«

 

Da lächelt der König mit arger List 15

Und spricht nach kurzem Bedenken:

»Drei Tage will ich dir schenken.

Doch wisse! Wenn sie verstrichen, die Frist,

Eh du zurück mir gegeben bist,

So muß er statt deiner erblassen, 20

Doch dir ist die Strafe erlassen.«

 

Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut6,

Daß ich am Kreuz mit dem Leben

Bezahle das frevelnde Streben,

Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, 25

Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit,

So bleib du dem König zum Pfande,

Bis ich komme, zu lösen die Bande.«

 

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund

Und liefert sich aus dem Tyrannen, 30

Der andere ziehet von dannen.

Und ehe das dritte Morgenrot scheint,

Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,

Eilt heim mit sorgender Seele,

Damit er die Frist nicht verfehle. 35

 

Da gießt unendlicher Regen herab,

Von den Bergen stürzen die Quellen,

Und die Bäche, die Ströme schwellen.

Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,

Da reißet die Brücke der Strudel hinab, 40

Und donnernd sprengen die Wogen

Des Gewölbes krachenden Bogen.

 

Und trostlos irrt er an Ufers Rand,

Wie weit er auch spähet und blicket

Und die Stimme, die rufende, schicket, 45

Da stößet kein Nachen7 vom sichern Strand,

Der ihn setze an das gewünschte Land,

Kein Schiffer lenket die Fähre,

Und der wilde Strom wird zum Meere.

 

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, 50

Die Hände zum Zeus8 erhoben:

»O hemme des Stromes Toben!

Es eilen die Stunden, im Mittag steht

Die Sonne, und wenn sie niedergeht

Und ich kann die Stadt nicht erreichen, 55

So muß der Freund mir erbleichen.«

 

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,

Und Welle auf Welle zerrinnet,

Und Stunde an Stunde entrinnet.

Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut 60

Und wirft sich hinein in die brausende Flut

Und teilt mit gewaltigen Armen

Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

 

Und gewinnt das Ufer und eilet fort

Und danket dem rettenden Gotte, 65

Da stürzet die raubende Rotte9

Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,

Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord

Und hemmet des Wanderers Eile

Mit drohend geschwungener Keule. 70

 

»Was wollt ihr?« ruft er, für Schrecken bleich,

»Ich habe nichts als mein Leben,

Das muß ich dem Könige geben!«

Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:

»Um des Freundes willen erbarmet euch!« 75

Und drei mit gewaltigen Streichen10

Erlegt er, die andern entweichen.

 

Und die Sonne versendet glühenden Brand,

Und von der unendlichen Mühe

Ermattet sinken die Kniee. 80

»O hast du mich gnädig aus Räubershand,

Aus dem Strom mich gerettet ans heilige11 Land,

Und soll hier verschmachtend verderben,

Und der Freund mir, der liebende, sterben!«

 

Und horch! da sprudelt es silberhell, 85

Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,

Und stille hält er, zu lauschen,

Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,

Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,

Und freudig bückt er sich nieder 90

Und erfrischet die brennenden Glieder.

 

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün

Und malt auf den glänzenden Matten

Der Bäume gigantische Schatten;

Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, 95

Will eilenden Laufes vorüberfliehn,

Da hört er die Worte sie sagen:

»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.«

 

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,

Ihn jagen der Sorge Qualen, 100

Da schimmern in Abendrots Strahlen

Von ferne die Zinnen12 von Syrakus,

Und entgegen kommt ihm Philostratus13,

Des Hauses redlicher Hüter,

Der erkennet entsetzt den Gebieter: 105

 

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 21.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5760-5

Alle Rechte vorbehalten

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