Ich kann nicht Atmen, jede meiner Bewegungen schmerzt. Eine Übergroße Macht drückt mich auf den Boden, so schwer das ich nicht vermag einzuatmen. Meine Lunge schreit nach einem Atemzug, mein Herz möchte schlagen aber dieses Gewicht bietet ihm keinen Platz. Ich kann nicht schreien, panisch versuche ich mich umzusehen aber durch die Tränen ist mein Blickfeld getrübt. Meine Knochen müssten bersten unter dieser Last und trotzdem halten sie stand, aber ich kann nicht atmen. Glassplitter scheinen meine Adern zu zerreißen, aber dennoch blute ich nicht.
Eine Stimme, so klar wie Quelwasser, so leise wie das Fallen einer Feder und zugleich durchdringend wie ein Blitz bei Gewitter, durchbricht das quälend hohe Fiepen in meinem Ohr.
„Nimm meine Hand“
Das endlos grelle weiß um mich herum wird klarer. Eine ausgestreckte Hand bietet mir Hilfe an. Ich will nach ihr greifen, aber ich kann nicht atmen, die Panik lässt meinen Kopf pulsieren, ich will meinen Arm heben aber er ist zu schwer, es fühlt sich an wie Rasierklingen die einem den ganzen Körper von innen heraus zerschneiden. Meine Fingerspitzen sind der Hand so Nahe und doch meine ich Ewigkeiten damit zu verbringen, das Unerreichbare zu erreichen. Ich will Schreien. Meine Angst, meinen Schmerz, meine Frustration, einfach alles hinausschreien, aber ich habe keine Luft um zu schreien. Mit dröhnendem Schädel wird mir immer wieder schwarz vor Augen. Mir ist so übel das ich meine mich übergeben zu müssen, jedoch bewege ich mich nicht. Mit eisernem Willen und dem Geschmack von Kupfer in meinem Mund, stemme ich meine Hand in Richtung der einzigen Hoffnungsquelle. Als meine Haut die Hand berührt fühlt sie sich weich an, so zart wie die eines Kindes und zugleich doch hart und rau wie die Hände eines Kriegers. So fest wie Marmor und weich wie Daunen.
„Ich vergebe dir“
Die Finger schließen sich um meine Hand und alles fällt von mir ab. Luft strömt in meine Lunge und mein Herz erinnert sich wieder seiner Aufgabe und schlägt. Ein Schrei entweicht meiner Kehle. Ob vor Entsetzen oder Erleichterung ich kann es nicht genau sagen. Ich möchte demjenigen Danken der mir die Hand gereicht hat aber ich sehe nur ein grelles Licht vor mir. Schwindel überkommt mich und das letzte was ich spüre ist die Hand, die die meine wieder loslässt.
Als ich meine Augen öffne fühle ich keinen Schmerz. Eine Glaskuppel befindet sich hoch über mir, sie scheint so weit oben das man fast fliegen müsste, um sie zu erreichen. Klares Licht fällt durch die Fenster und streicht mir über die Arme. Ich drehe meinen Kopf und entdecke ein Meer aus Pflanzen, Blumen und Bäumen. Es scheint einem fast schon paradisisch. Soweit das Auge reicht ist die Kuppel gefüllt mit den exotischten Blumen. Von weit her lässt sich das Plätschern eines Wasserspieles vernehmen. Ich setze mich langsam auf, ich scheine hier vollkommen alleine zu sein, in meinem Kopf herrscht absolute Leere. Ich weiß nicht wie ich hergekommen bin und leider weiß ich auch nicht wo ich bin. Als meine Füße den Steinboden berühren, fehlt mir irgendwie das Gewicht auf den Schultern, ich meine mich entfernt erinnern zu können, das es schwer war aufzustehen, aber hier fühlt sich einfach alles leicht an und vorallem fühlt es sich so an, als wäre alles möglich. Das sollte wohl alles beängstigend wirken, jedoch bin ich so unglaublich ruhig, das ich fast daran zweifeln möchte, ich zu sein. Die verschiedenen Flachen großen Steine bilden einen Weg durch die Glaskuppel und ich finde den Weg zu dem Wasserspiel, das ich gehört hatte. Reines Klares Quellwasser wie mir scheint, das aus unerfindlichem Grunde so aussieht, als würde es tanzen. Die Stille die diesen gläsernen Palast erfüllt ist so angenehm, das man die Zeit vergessen könnte. Das leuchtende Grün der Pflanzen und die strahlenden Farben der unzähligen Blumen scheint unmöglich. Die tanzenden Wassertropfen folgen ihrem eigenen Wesen zurück ins Wasser und wieder hoch in die Luft.
„Man könnte ihm stundenlang zusehen oder?“
Schwarze Locken umschmeicheln ihr Gesicht und fallen bis zur Taille. Ihre schwarzen Augen werden durch rosarote Lippen in ihrem Gesicht, ihrer Härte beraubt und das weiße Kleid umschmeichelt ihre Figur. Hinter ihr thronen, im gleichen Weiß wie ihr Kleid, zwei Engelsflügel. Sie sind zeitweilig von einem Diamantartigen Schimmer durchzogen. Sie ist wirklich unglaublich schön.
„Du wirkst weniger überrascht als ich zu deiner Zeit“ sie lächelt und stellt sich neben mich.
„Was glaubst du wo du bist?“
„Im Himmel“ meine Stimme klingt weniger nach mir selbst, als ich es erwartet hatte.
„Naja fast, komm mit.“
Es ist mittlerweile so unglaublich viel Zeit vergangen.... glaube ich. Es gibt hier weniger ein Tag oder Nacht, eine Minute oder eine Stunde.... es regelt sich alles über ein Jetzt, Nachher oder Bald und es funktioniert.
Im Allgemeinen teilt sich alles hier oben in drei Gruppen ein.
Erzengel
Schutzengel
und Kriegsengel
Den Erzengeln gehört der gewaltige Palast im Norden, zumindestens meine ich zu glauben gelesen zu haben das es der Norden war. Den Kriegsengeln ist der Palast im Osten zugeteilt und den Schutzengeln eben jener im Westen. Im Süden steht das überwältigende Glaskuppelhaus voller Pflanzen, Blumen und dem Wasserspiel. Alle Gebäude sind verbunden durch einen Wolkenboden der sich so weich anfühlt wie die Daunenfedern eines Vogels und gleichzeitig so hart und unnachgiebig scheint wie der Teer auf den Straßen der Menschen. Das alles hier, ist das Reich der Engel. So weitläufig, das kein Ende zu sehen ist. In der Ferne küsst der Horizont den Wolkenboden und scheint mit ihm zu verschmelzen, aber egal wie weit man in diese Richtung geht, man gelangt an kein Ende.
Die Aufgabe der Schutzengel scheint wohl klar. Sie achten auf die Menschen und widmen ihr gesamtes Dasein ihrer Sicherheit. Die Kriegsengel werden ausgebildet und auf den Krieg zwischen Licht und Schatten vorbereitet. Ein Krieg der geführt wird weil Lucifer, Gott verraten hat und zu Mephisto in das Reich der Schatten verbannt wurde mit allen Engeln die ihm gefolgt waren.
Dann sind da noch die Erzengel. Im Gegensatz zu den anderen beiden Gruppen, denen sich unendlich viele Engel anschließen können, gibt es bei den Erzengeln nur genau sieben. In ihnen allen ruht eines der Erzelemente das es ihnen möglich macht auf die Erde und ins Reich der Schatten zu reisen.
Feuer
Wasser
Erde
Wind
Seele
Licht
Schatten
Ich habe mich nun letztlich dazu entschieden mich zum Schutzengel ausbilden zu lassen. Ich bin glaube ich nicht so die Person für den Krieg und dank dem, was ich so nach meiner Entscheidung über die Ausbildung zum Erzengel erfahren habe, bin ich ganz froh über meine Entscheidung. Blutige Kämpfe und ein unweigerliches Risiko, nein danke, da helfe ich lieber. Da wir nur den Palast betreten dürfen, der uns zugeteilt ist, verbinge ich die meiste Zeit draußen auf dem Wolkenboden liegend und in den Himmel starrend. Ich beobachte gerne die anderen Engel wenn sie fliegen. Das muss ein atemberaubendes Gefühl sein. Wir bekommen unsere Flügel erst wenn die Ausbildung abgeschlossen ist. Bei uns heißt das, das wir jemanden auf der Erde im Beisein einer Lehrerin, vor einem Unheil bewahren müssen. Bei Erz und Kriegs Engeln schließt die Ausbildung soweit ich weiß mit einem Kampf.
„Also, wen beobachten wir denn?“
Der braungoldene Haarschopf, den ich aus dem Augenwinkel erkennen kann, gehört zu Andrew, auch er lässt sich neben unzählbar vielen anderen gerade zum Schutzengel ausbilden.
„Bist du aufgeregt?“
Er lacht laut los.
„Beantworte meine Frage ruhig mit einer Gegenfrage, aber ganz ehrlich Liz, so funktioniert ein Gespräch nicht.“
Ich möchte meinen dass das seine Art ist mir zu sagen das er vor Aufregung gerade gar nicht klar denken kann. Heute ist seine Abschlusszeremonie. Er wird von Lorraine mit auf die Erde genommen und wenn er bestanden hat, geht er in den Garten zum Wasserspiel und bekommt seine Flügel. Ich weiß das er aufgeregt ist, das muss er mir nicht sagen, dämlich also von mir überhaupt zu fragen.
„Weißt du was? Dafür das du mich mit deiner Gegenfrage so geärgert hast werde ich dich auch ärgern. Wenn ich meine Flügel habe werde ich nur noch da oben fliegen und dich hier unten alleine spazieren lassen.“
Seine sarkastisch herausfordernden Augenbrauen und die darunter liegenden tiefblauen Augen grinsen mich verschmitzt an.
Ich kann mein Lachen nicht länger zurückhalten. Wie wir da also beide lachend auf dem Boden liegen und in Richtung Himmel starren, könnte man ja fast denken wir wären gar nicht tot. Als ich diesen Satz zum ersten mal gehört hatte, habe ich darauf gewartet das ich binnen ein paar Minuten ausgelacht werden würde, ich habe nach meinem Herzschlag gesucht aber keinen gefunden. Obwohl ich mich erinnern konnte das mein Herz schlug als ich die Hand ergriff, so ließ sich doch jetzt, kein Schlagen vernehmen.
„Seid ihr fertig?“
Die raue Stimme des großen weißhaarigen Mannes holt uns aus unserem Gelächter. Andrew der schnell aufgestanden ist dreht sich zu mir.
„Ich muss jetzt los, Lorraine wollte mich nachher sehen.“
Schnellen Schrittes ist er in Richtung unseres Palastes verschwunden. Jep, er hasst ihn.
„Du hast ihm Angst gemacht.“
„Er ist ein Schutzengel, er hat vor allem Angst.“ ich starre den Erzengel vor mir böse an. Seine weißen Haare die an den Seiten kurz geschnitten und oben länger sind, scheinen locker nach hinten gegelt. Verlegen fährt er sich durch die Haare und erinnert ein paar widerspenstige vereinzelte Strähnen daran, wo sie hingehören.
Er hält mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Auf ein Sorry würde ich ewig warten können und da ich seine Gesellschaft genieße, kann ich jetzt schlecht eingeschnappt sein. Mühelos hilft er mir auf die Beine und wir schlendern ziellos durch die Gegend. Seitdem ich ihn versehens mit meinem Buch beschmissen habe, erzählt er mir viele Dinge über die Erzengelausbildung. Dinge die man als Schutzengel nicht erfahren würde, da es nicht zu unserer Ausbildung dazu gehört.
„Erzählst du mir etwas von Lucifer?“
„Was war das eigentlich für ein Buch das du nach mir geworfen hattest?“ ich schubse ihn leicht mit meinem Ellenbogen und darf sofort in die unschuldig entsetzten braunen Augen starren, er macht das mit Absicht.
„Es war Flügelkunde. Du weißt schon. Farben und ihre Bedeutung.“
Da Raziel nicht der gesprächigste ist und ich mittlerweile gelernt habe das es sinnlos ist nachzufragen, muss ich wohl darauf hoffen das mir mal ein andere Erzengel etwas über Lucifer erzählen wird.
Ich frage mich gerade wie ich alles was ich über Erzengel weiß, von ihm gelernt haben kann, wenn wir uns doch eigentlich die ganze Zeit nur anschweigen, aber es ist ein sehr angenehmes Schweigen. Zwischendurch immer mal wieder ein ernstes Gespräch und dann wieder langes Schweigen. Ich habe trotzdem das Gefühl bei ihm sicher zu sein. Das kantige Gesicht, die ernste Miene, der schmale Mund und die im richtigen Licht rotschimmernden Augen, mögen manche Abschrecken, verunsichern oder gar verängstigen. Mir gibt dieser Mann ein gewisses Gefühl von zu Hause.
„Warum hast du das Buch gleich noch mal nach mir geworfen?“
Den Ellenbogen in die Seite hat er sich jetzt verdient. Indem Moment taucht Raphael hinter ihm auf.
„Na alter Mann, soll ich dich vor diesem Schutzengel retten.?“ und das entreißt dem autoritären Raziel ein Lächeln.
Auch Raphael ist Erzengel aber das komplette Gegenteil zu Raziel. Aufgeweckt und frohen Mutes hakt er meinen Arm bei sich ein und begleitet uns ein Weilchen. Der dunkelhäutige Mann mit den sehr kurzen schwarzen Haaren und die stets fröhlich leuchtenden braunen Augen erzählt uns beiden gerade von seiner letzten Trainingseinheit mit Valerie, dem Erzengel des Wassers. So wie er die Geschichten erzählt, könnte man meinen dabei gewesen zu sein.
„Worüber habt ihr eigentlich geredet bevor ich hier aufgetaucht bin?“ Raphael ist stehen geblieben und sieht uns nun erwartungsvoll an.
„Wir haben darüber gesprochen wie mich Liz mit ihrem Flügelkunde Buch mutwillig beschmissen hat.“
„Du weißt doch das es nicht mit Absicht war.... okay ja doch irgendwie. Es war doch nur eine kleine Wette“ lache ich ihm entgegen.
Er hat die Geschichte mindestens schon eine Million mal gehört und doch tut er jedes mal auf so unglaublich schockiert unwissend.
„Flügelkunde? Okay Testfrage!“
Provokant stellt sich Raphael vor mich und breitet die gewaltigen Flügel, die hinter seinem Rücken zusammen gefalten waren, aus.
„In deinem Buch, was steht da über mich?“
Verdutzt sehe ich Raziel an der gerade mit den Augen gerollt hat.
„Na los, tu ihm den Gefallen.“
Die überwältigend aufgefaltenen Flügel sind atemberaubend schön. Die Farben fließen ineinander über und das Rauschen wenn die Federn aneinander geraten ist so leise wie das Rascheln der Blätter. Kein Wunder beim Erzengel der Erde.
„Silber weiße Flügel die im letzten Drittel in ein dunkles warmes braun anbrechen aber sofort einem tiefen waldgrün weichen. Die Farbe des Silberwaldes. Unbeugsam“
Das breite weiße Grinsen auf seinem Gesicht, bringt mich zum Schmunzeln.
„Und die sehen nicht nur gut aus Kleines“
Nachdem er mir einmal zugezwinkert hat weht mir der Wind einmal über die Arme, den seine Flügelschläge verursacht haben. Ich sehe ihm nach bis er so hoch geflogen ist das ich ihn nicht mehr finden kann. Ich habe das Gefühl das der Wind immer noch meine Arme umspielt, aber das es warhscheinlich nur Einbildung ist streiche ich mir ein paar mal über die Arme um das Gefühl verschwinden zu lassen.
„Du hättest Hallo sagen können ohne ein Buch zu schmeißen.“ Mit diesen Worten dreht er sich um und geht. Weiße Flügel die ab der ersten Beuge in ein immer wieder flammendes rot übergehen. Farben die so harmonieren das es aussieht als würde er brennen wenn er geht. Passend zum Erzengel des Feuers.
In Flammen getränktes weiß. Die Farbe der Stärke
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2019
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