Cover

Prolog

Laut zu der Musik im Radio singend, fahren meine Eltern und ich nach Hause. Gerade haben wir noch meine Oma besucht. Das Lied klingt aus und ein Jubel geht durch das Auto, als wir den nächsten Song hören, den wir alle nur zu gut kennen. Fröhlich und unbeschwert singen wir drei mit. Ich schaue nebenbei gedankenverloren aus dem Fenster des Autos, in die Dunkelheit der Nacht. Ich kann mir momentan nichts schöneres vorstellen als hier zu sein. Obwohl nagut, eine Sache vielleicht doch. Zu Hause bei meinem Teddy.

 

„Na Emily freust du dich schon auf morgen?“ fragt mich meine Mom. Ich antworte darauf mit einem überschwänglichem Grinsen, morgen werde ich acht Jahre alt, das ist so cool. Ich widme mich wieder den vorbeirauschenden Bäumen, als plötzlich lautes Hupen ertönt und Scheinwerfer von vorne das gesamte Auto erleuchten. Schreie tönen durch das Auto. Die meiner Mom, die meines Vaters und meine. Wieder und wieder überschlägt sich das Auto und dann... wird alles schwarz.

 

Hastig schlage ich meine Augen auf und versuche Luft in meine Lungen zu bekommen. Mit meinen Armen und Beinen versuche ich mir Platz zu verschaffen, vergebens. Ich weine und dann entdecke ich einen Reißverschluss an der Plastikfolie die mich umschließt. Schnell öffne ich ihn und fülle meine Lungen mit Luft. Der Raum in dem ich mich befinde ist Dunkel und es ist kalt. Ich stehe auf und suche eine Wand an der ich dann einen Lichtschalter finden kann. Aha! Vorsichtig mache ich das Licht an und werde geblendet von dem Licht der Neonröhren. Ich schaue mich um. Ich weiß nicht wo ich bin. So laut ich kann rufe ich nach meinen Eltern, aber es kommt keine Antwort. Da sind so viele Silberne Fächer an den Wänden und drei Metallliegen stehen im Raum. Ich erkenne die eine als meine an, von der ich gerade aufgestanden bin. Auf den anderen beiden liegen auch große Plastiksäcke. Ich öffne auch deren Reißverschlüsse. Heee! Das sind doch meine Eltern. Vielleicht schlafen sie ja auch nur, so wie ich. Ich fange an sie zu rütteln und ihre Namen zu rufen aber sie bewegen sich nicht. Ich weine bin aber noch nicht bereit aufzugeben, sie müssen doch aufwachen. Es ist so kalt hier drinnen. Aufeinmal geht die Tür auf und ein Mann mit ergrauten Haaren sieht mich verdutzt an. Weinend laufe ich auf ihn zu.

„Meine Eltern wachen nicht auf! Warum wachen sie denn nicht auf?“ Schluchzend umarme ich ihn. Ich ahne warum sie nicht aufwachen aber ich will es nicht wahr haben, das kann doch nicht sein. Der Mann spricht mit beruhigender Stimme auf mich ein, hebt mich hoch und trägt mich aus dem Raum heraus. Das ist das letzte mal gewesen, das ich meine Eltern gesehen habe. Und das erste mal, das ich erkannt habe, das ich mehr als Glück gehabt haben muss. Viele Fragen habe ich an diesem Abend beantworten müssen, viele Untersuchungen über mich ergehen lassen. Keiner konnte sich erklären warum ich dort aufgewacht bin, obwohl ich von sämtlichen Ärzten trotz meherer Wiederbelebungsmaßnahmen für tot erklärt worden war. Die meisten hatten Angst vor mir. Andere sahen mich als Gottes Tochter an, die geschickt worden war. Aber ich war doch nur ich. Ich bin nur ich. Und ich bin gestorben.

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Das Leben als Student ist scheiße, lass dir das gesagt sein. Hausarbeiten an denen man bis mitten in die Nacht schreiben muss und zwischendurch muss man natürlich auch noch das Alkohol Klischee eines Studenten erfüllen, ist schon irgendwie stressig.

Donnerstag. Einer meiner Lieblingstage. Jeden Donnerstag schaue ich mit meiner Oma unsere Lieblingsfilme. Ich genieße diese Tage sehr. Ich weiß das das nicht gerade typisch für eine 21 jährige ist, aber ich weiß wie schnell man Menschen verlieren kann. Ich kann mir an einem Donnerstag nichts schöneres vorstellen. Aber bevor unser -Heiße Tasse Kakao mit Marschmellows Filmeabend- beginnen kann, kommt das unumgängliche... Unterricht und Lesungen.

Mein Wecker springt an. Ich setze mich in meinem Bett auf und schalte meinen Wecker, der gerade meinen Lieblingssong von Ruelle spielt, genervt aus. Na super. Ich schnappe mir mein Handy und lese meine Nachrichten. Zumindest versuche ich das. So früh am morgen bin ich noch nicht für eine solch Gehirnvordernde Sache bereit. Entnervt lege ich mein Handy wieder weg und drücke mir meine Hände auf die Augen, um zu ignorieren das ich eigentlich schon längst hätte aufstehen müssen. Was solls, irgendwann muss ich ja mal aufstehen. Ich steige aus dem warmen Bett und schlüpfe in meine Kuschel Häschen Puschen. Ich schlurfe vorbei an meiner Mitbewohnerin, die in ihrem Arbeitszimmer sitzt, ins Bad. Ich werde nie verstehen wie sie zu Hause arbeiten und dabei so früh aufzustehen kann. Ich mache mich fertig, schnappe mir meine Tasche und gehe in die Küche um mir ein schnell mein Croissant mit Marmelade zu bestreichen. Mit Croissant in der Hand rufe ich ein „Bye“ durch die Wohnung und mache mich auf den Weg zur Uni. Und wie ich da so stehe mit Marmelade verschmiert, kommt ein Typ aus der Uni vorbei und sagt hey. Natürlich versuch ich dann blöderweise zu lächeln. Dumme Idee. Das halbe Croissant fällt mir aus dem Mund. Boah, erzähl bloß keinem das du 21 bist, das glaubt dir keiner. Ich werde knallrot und während ich mich wegdrehe, kann ich noch sehen wie er grinst. Super. Ich warte noch auf Valentina und Askar. Ich weiß das Askar´s Name komisch klingt, aber seine Eltern sind in allem sehr speziell, und das hat definitiv auf ihn abgefärbt. Man kann so viel mit ihm lachen. Das tolle ist, ich kann mit ihm mehr über Kerle reden als mit Val, nicht nur weil er schwul ist, sondern auch weil wir einen ähnlichen Geschmack haben. Wir sind jetzt glaube ich seit sieben Jahren befreundet und in dieser ganzen Zeit hab ich echt alles mit ihm erlebt. Seine Eltern sind wahre Schätze, oft haben sie mir über die Erinnerungen an den Unfall hinweggeholfen.

Askar studiert mathematische Biologie und macht gerade seinen Master. Val und ich studieren chemische Medizin und sind gerade in der grausigen Klausurphase. Wir setzen uns ganz hinten in den Hörsaal und lauschen dem Lehrer der mehere Folien öffnet und uns auf die nächste Klausur versucht vorzubereiten, ich glaube auch er verzweifelt so langsam an seinen Schülern. Bei manchen hier kann man sich aber auch wirklich fragen wie die bitte auf die Idee kommen zu studieren, aber das interessiert ja die Uni nicht, Hauptsache die Zahlungen kommen rechtzeitig.

„Hast du schon gehört das morgen eine Organisation vorbeikommen soll, die sich anguckt wie weit die neuen Studenten sind und Einführungen gibt in welchen Job man sich einweisen lassen könnte?“ flüstert Val mir zu.

„Klar hat Askar schon erzählt, aber er hat gehört das wir wohl allerlei persönliche Informationen angeben müssen. Ich finde das irgendwie komisch...“

„Ach komm, wären die nicht seriös genug würde unsere Uni das ja wohl kaum zulassen.“

Wo sie Recht hat, hat sie recht es ist immer hin alles schon lange geplant und organisiert, da wird alles ganz professionell ablaufen. Nach endlosem Unterricht und dem ewigen hin und herrutschen auf den harten Holzstühlen, erkenne ich das dies meine letzte Lesung heute ist. Ich schreibe meiner Oma flink eine Nachricht, das ich gleich Schluss habe und sie schonmal Kakao machen kann, damit wir sofort mit dem Filmeabend starten können. Ja meine Oma hat ein Handy, überraschenderweise kommt heute die Antwort schneller als sonst.

>Klar steht alles bereit<

Ungewöhnlich viel Text für eine Dame die sonst sämtliche Technik boykottiert.

>Alles gut bei dir? Selten so viel Text von dir bekommen.<

>Alles prima, hab nur gerade herausgefunden das es ein Mikro hier im Handy gibt und er den ganzen Text schreibt den ich dem Handy erzähle.<

Ich schmunzle. Verrückte alte Dame.

„Ich hoffe wir stören nicht bei ihrer Handykonversation Miss Falgari?“ kommt es vorne vom Lehrer. „Ich schätze sie sollten vielleicht lieber aufpassen wenn sie die nächste Klausur nicht auch noch verhauen möchten.“

Beschämt lege ich das Handy weg und versuche zu ignorieren das ich schon wieder knallrot bin. Immerhin haben mich gerade alle angeschaut. Nachdem sich die Situation wieder normalisiert hat, stupst mich Val an.

„He guck mal Beck sieht schon die ganze Zeit zu dir herüber.“

Ach verlucht nein was macht er denn bitte hier in unserem Kurs. Hoffentlich unbemerkt versuch ich ihn ausfindig zu machen und stoße mit meinem Ellbogen unachtsam den Kaffee von Val um.

Unter leisem Fluchen von ihr versuche ich ihre Notizen von Kaffee zu befreien. Das bietet mir die Möglichkeit nocheinmal nach Beck zu suchen und da hinten sitzt er... komisch er ist doch eigentlich im Kurs von Askar.. Als ich dann auch noch Askar entdecke wie er zu mir rübergrinst wird mir alles klar. Sein Grinsen sagt so viel wie > Guck mal wen ich dir mitgebracht habe, ich weiß doch das du ihn magst.< Ach ich könnte ihn umbringen. Unterrichtsschluss. Ich versuche möglichst wenig ungeschickt zu sein, als ich hoch zu den beiden Jungs gehe.

„Hey na ihr.“

„Askar hat mir erzählt wie traurig du warst als er meinte er könnte nicht zu deinem Tunier kommen. Er hat gefragt ob ich sonst Zeit hätte, würde es dich stören wenn ich versuchen würde gut zu machen was Askar hier verpasst.“

NEIN! WÜRDE ES NICHT.

„Naja Valentina meinte sie könnte sonst mitkommen.“ antworte ich Beck.

„Ähm Evelyn, mir ist etwas dazwischengekommen. Ich fahre an deinem Tuniertag nach Oslo zu einem Studienausflug.“ ruft Val von unten zu uns hoch.

Ach man das ist doch alles geplant. Ich komme nicht umhin die beiden böse anzugucken, worauf sie mit einem verschmitzten Grinsen antworten. Ich wende mich wieder Beck zu.

„Wie du sicherlich gehört hast ist wieder ein Platz frei. Also sehr gerne.“ Als wir den Raum verlassen ramme ich Askar noch meinen Ellbogen in die Seite. Wie kann er nur. Wie soll ich mich denn so konzentriern.... ich erzähle ihm besser nicht das er noch neben meiner Oma sitzen wird sonst sagt er nachher noch wieder ab.. Ich verabschiede mich von den dreien und gehe zu meiner Oma um unseren tollen Abend zu starten.

>Eve, meine Ärztin kommt heute um mir zu helfen wegen der Hüfte. Wir müssen unsere Filme verschieben.< ach herrje. Die Sache mit ihrer Hüfte wird immer schlimmer.

>In Ordnung dann gehe ich zum Stall.<

Eigentlich kommt mir das Recht gelegen, auch wenn ich mich schon gefreut hatte. So kann ich mich nocheinmal um Crescentlord kümmern. Mein Pferd das mich schon durch so viele Tuniere getragen hat. Immerhin ist das Tunier am Samstag und jetzt ist auch noch Beck da. Ein bisschen mehr Training schadet da nicht. Kein Wunder das meine Noten so schlecht sind.....

-2-

„Hallo mein Schöner“ flüstere ich dem großen Braunen zu und streiche einmal über seine Nase. Eine große weiße Blesse ziert seinen Kopf weswegen er dann auch seinen Namen erhalten hat. Halbmond, Crescent. Er ist etwas ganz Besonderes. Er ist der Sohn von Moms Pferd. Meine Oma und ich mussten fast alle Pferde nach dem Unfall verkaufen. Er ist alles was mir von ihr geblieben ist. Der Reithof auf dem wir ihn haben unterstellen lassen, kümmert sich wundervoll um die Pferde. Nachdem ich dem Fell Glanz verschaffen habe, flechte ich Schweif und Mähne ein. Gesattelt betreten wir den Reitplatz. Ein paar Schaulustige bleiben an der Einzäunung stehen und beobachten voller Erwartung das kommende Spektakel. Gekonnt schwinge ich mich in den Sattel und lasse ihn am langen Zügel ein paar Runden entspannt laufen. Als er anfängt anzuziehen, nehme ich die Zügel auf und lasse ihn angallopieren. Mit einem schönen Buckler machen wir einen Satz nach vorne. Ich könnte fluchen, dieser hinterlistige Kerl. Als nach ein paar Runden Routine eingekehrt ist, reite ich auf die rechte Seite der Rennbahn und lasse die Zügel los.

Das ist fliegen.

Bis spät in den Abend trainieren wir und schließen den Tag mit einem Ausritt in die Wälder ab. Müde und geschafft füttere ich ihn und pflege noch Zaumzeug und Sattel. Der Abschied fällt mir jedes mal schwer. Aber sonst verschlafe ich ja morgen. Als ich nach Hause komme steht die Tür offen. Vorsichtig trete ich ein und blicke auf ein schreckliches Chaos. Als ich das Licht anschalte liegen überall Klamotten verteilt und Sachen wurden vom Tisch geschupst, die dann auf dem Boden zerspilttert sind. Als ich dann Geräusche aus dem Schlafzimmer meiner Mitbewohnerin höre, rolle ich mit den Augen. Sie könnte mit ihrer Liebschaft auch mal zu ihm gehen. Das wäre dann das siebte mal das wir gemeinsam eine neue Lampe kaufen gehen müssen. Wenigstens ist es mir heute Abend möglich zu duschen.

Während sich der Unterricht am Freitag quälend in die Länge zieht werde ich immer nervöser wegen Samstag, also morgen, also in 18 Stunden. Ach herrje die Zeit will und will aber auch nicht vorrübergehen. Nachdem ich auch die letzte Lesung hinter mich gebracht habe, sorge ich dafür das es meinem Pferd blendend geht. Stall, Anhänger, Fell, Hufe. Einfach alles muss makellos sein. Nachdem ich mich dann selbst fertig gemacht habe, mein Outfit komplett vor mir liegt, ist es Zeit einzuschlafen. Und wie vor jedem Tunier kann man sich nichts schwierigeres vorstellen, als einzuschlafen wenn doch gerade die Nervosität alles übertönt.



Es war eine grauenvolle Nacht. Ich habe mich immer wieder auf die andere Seite gedreht, mehrfach versucht einfach komplett still zu liegen, aber nungut, ich habe es doch noch irgendwie geschafft das die Zeit vorbeigegangen ist und jetzt bin ich hier. Und ich könnte nicht entspannter sein. Ich bin auf dem Rücken meines größten Engels und er könnte sich nicht besser benehmen. Meine Oma habe ich schon entdeckt, sie sitzt auf ihrem Platz aber der Stuhl neben ihr ist leer. Ich halte schon die ganze Zeit nach ihm Ausschau. Übersehen könnte ich ihn nicht, denn obwohl hier wahrscheinlich mehr als 5000 Zuschauer sind, würde er mir auffallen. Seine blonden Haare und die braunen Augen, aber der Stuhl bleibt weiterhin leer. Die Vorrunde startet. Ich reite derweil Crescentlord auf einem Platz warm, als ich ihn entdecke. Die blonden Haare und die braunen Augen........ unter einem Helm..... einem Reithelm... Beck, auf einem Palomino und er dreht sich um und winkt mir zu. Mein Herz vollführt einen kleinen Hüpfer. Okay, also das hatte ich nicht erwartet. Ich steige ab und gehe zum Zaun. Oh mein Gott, er reitet Rennen. So wie ich. Als alle Pferde in den Boxen sind ertönt das Signal und sie fliegen los. Ich habe nur Augen für die beiden und ich fiebere mit ihnen mit, als sie sich versuchen nach vorne zu kämpfen. Egal wie weit entfernt er von mir ist, ich weiß das er gerade exakt dasselbe fühlt wie ich. Er spürt die Kraft, den Wind, seine Beine und hört das Schnauben seines Pferdes. Nach Beenden des Rennens kommt er zu mir. Er hat den vierten Platz belegt.

„Oh mein Gott! Ich wusste nicht mal das du reitest!“ leicht betrübt schlage ich ihm auf den Arm, das er mir sowas nicht erzählt hat.

„He! Ich hätte es dir ja erzählt, aber du sprichst so selten mit mir. Außer du hast überall Marmelade, dann grinst du mich natürlich an.“

Wir sehen uns beide an und lachen los. Nachdem ich ihn zu seinem guten Rennen beglückwünscht und der alten Palomino Stute über den Hals gestrichen habe, schwinge ich mich wieder in den Sattel und lasse mich von Beck zur Rennbahn führen.

„Viel Glück“ höre ich ihn flüstern. Seine braunen Augen verlieren sich in den meinen und ich finde erst zu mir zurück, als Crescent einen Satz nach vorne macht und ich ihn lachend wieder einfangen muss. Die Leute jubeln als alle Pferde die Bahn betreten haben und nun endlich in ihren Boxen stehen. Und dann ist es aufeinmal ganz leise. Ich kann nur das Atmen meines Pferdes hören und mein Herz das Blut durch den Körper pumpt. Ich höre den Herzschlag in meinen Ohren und er passt sich dem Herzschlag meines Pferdes an. Wir sind eine Einheit. Ein letzter Blick zu den Zuschauern wo Beck und meine Oma sich gerade die Hände schütteln. Lächelnd grabe ich die Hände tief in seine Mähne, lehne mich vor und warte auf das Signal. Er hebt seinen Kopf als ich ein letztes mal Ausatme.

Laut ertönt es und mit kraftvollen Bewegungen setzen wir uns auf den vierten Platz. Der Wind beißt auf meiner Haut und mein Herzschlag beschleunigt sich. Adrenalin schießt in meine Adern. Crescentlord schnaubt aber noch bremse ich ihn, er will schneller, aber dafür fehlt ihm die Ausdauer. Wir fallen zurück auf den fünften Platz und sind damit Vorletzter. Das gefällt ihm gar nicht und er zieht an, aber wenn ich ihn zu früh laufen lasse verlieren wir. Wir sind im letzten Drittel und ich lasse los. Ich lasse ihn nach vorne fliegen und ich fühle mich, als ob ich auf seinem Rücken schweben würde. Bis auf den beißenden Wind sind wir so schnell, das keinerlei hüpfende Bewegung zu sprüren ist.

Wir ziehen am Vierten vorbei. er legt die Ohren zurück und ich kann sein Adrenalin sprüren, es verleiht ihm neue Kraft. Ich lasse ein Schnalzen erklingen und spüre wie wir noch schneller werden. Und den Dritten überholt. Mein Bauch kribbelt und mein Schädel pocht. Den Zweiten überholt. Meine Lungen brennen als ich mich noch ein bisschen flacher mache, um noch mehr Tempo erzeugen. Ich spüre das Brennen in meinen Beinen und wir fliegen dem Ziel entgegen. Gerade als wir neben dem ersten Reiter sind, stolpert sein Pferd und fällt uns in den Weg. Wir werden darüber hinweg geschleudert und krachen auf dem Boden auf. Mehere hundert Meter schlittern wir noch weiter. Es fühlt sich so an als sei meine komplette Haut abgeschürft worden. Ein Brennen und prickeln läuft mir über die Arme. Ich kann nicht Eintmen. Mit einem mal, kommt der ganze Schmerz in mein Bewusstsein. Mein Blut scheint voller Eiskristalle die jeden noch so kleinen Centimeter meines Körpers von innen aufschneiden. Ich bekomme immernoch keine Luft und die Qual der fehlenden Luft, ist wie ein glühendes Brenneisen in meinem Rachen. Mein Körper scheint zu klein. Alles will aus mir herausbrechen und dann verliere ich das Bewusstsein. Das Letzte an das ich mich erinnere, ist der Aufschrei meines Pferdes und eben jener sitzt mir tief in den Knochen

-3-

Ich weiß wo ich bin. Ich war schon ein paar mal hier. Ich weiß auch wer noch hier ist. Ohne in Panik zu verfallen stupse ich dreimal gegen die Plastikfolie und der Reißverschluss wird geöffnet. Meine Oma steht da und hilft mir aus dem Sack heraus.

„Du weißt das wir jetzt wieder umziehen müssen.“ sagt sie betrübt.

Ich weiß es und ich werde alle vermissen. Valentina, Beck und ganz besonders Askar..... Ich werde wieder einen neuen Namen bekommen.

„Crescentlord?“ bekomme ich mit trockener Kehle hervor.

Meine Oma sieht zu Boden und schüttelt den Kopf. Alles in mir bricht zusammen. Jetzt ist auch das letzte was mir von meiner Mom geblieben ist fort. Allen in meiner Umgebung tue ich nicht gut, alles zerstöre ich. Er ist fort und auf so schlimme Weise habe ich ihn umgebracht. Ich habe ihn getötet, ich habe meine Mutter getötet, ich habe meinen Vater getötet... nur mich, mich kann ich nicht töten.

„Zeig es mir.“sage ich zu ihr.

Während sie ihr Handy hervorkramt kontrolliere ich wie viele Narben diesmal geblieben sind. Ein paar kleine aber tatsächlich nichts großes. Oma schüttelt den Kopf.

„Innere Verletzungen. Du bist noch auf dem Platz gestorben.“

Ich sehe mir das Video an, die Aufnahmen vom Rennen. Meinen Sturz. Der Aufschrei meines Pferdes ist mit auf dem Video, dieser Schrei klagt mich an. >Mörder< und noch während ich das Bewusstsein verliere entscheidet der Arzt das es nur noch Quälerei für das Tier ist. Die Haut seiner linken Flanke und die Muskeln sind bis auf den Knochen abgeschürft. Weiß geschwitzt versucht er sich verzweifeln aufzustellen aber seine hintere Hüfte ist zerschmettert. Ich kann mir das nicht weiter ansehen. Ich habe das Vertrauen eines solch schönen selbstlosen Tieres misbraucht nur um mich frei zu fühlen, egal ob ich die Augen schließe oder nicht. Ich kann die weit aufgerissenen Augen nicht vergessen. Das panische Aufstehen und wieder Hinfallen. Auch der Andere Reiter der vor mir gefallen ist wird von Sanitätern umringt. Die Vorderläufe seines Pferdes sind unnatürlich verdreht und das Pferd versucht verzweifelt aufzustehen. Ein Gnadenschuss... Aber ..? Beck!! Er springt gerade aus den Zuschauer Rängen und kommt auf mich zugelaufen und noch während er mich in seinen Armen hochhebt wird die Aufnahme beendet.

„Er hat dich wirklich gern gehabt.“

Eine Träne rollt mir über die Wange. Ach hmm warum ich nicht tot bin? Ich muss ehrlich sein. Ich weiß es nicht. Ein paar Jahre nach dem Unfall meiner Eltern bin ich in Depressionen verfallen und hatte mir die Pulsadern aufgeschnitten. Alles was ich davon hatte waren zwei große Narben am nächsten Tag. Und ich war wieder in der Leichenhalle. Ich habe es meiner Oma erzählt und sie hatte mir geholfen. Eine neue Identität. Ein neues leben. Aufrgund eines Arztgeheimnisses meinten sie alle, sie würden nichts erzählen. Wahrscheinlich hat meine Oma sie mit dem ganzen Geld, das wir durch den Pferde Verkauf eingenommen hatten, bezahlt. Wieder ein paar Jahre später wurde ich bei einem Terroranschlag erschossen. Ein grauenvoller Tod aber nicht ganz so schlimm wie in einem abstürzenden Flugzeug zu ertrinken. Und damit darf ich mich vorstellen. Ich bin momentan Evelyn Falgari, ich bin 21 Jahre alt und ich kann nicht sterben

 

Ich sitze in Omas blauem Golf vor der Haustür eines guten bekannten, nagut so kann man das nicht unbedingt sagen. Ich warte hier das ich meine neuen gefälschten Papiere bekomme. Als meine Oma aus der Tür heraus tritt und sich in Auto setzt sieht sie besorgt aus.

„Die Regierung ist auf dich aufmerksam geworden und lassen überall nach dir suchen. Sie sehen in dir die Zukunft des perfekten Soldaten.“ ich krampfe die Hände ums Lenkrad, soetwas hatte ich schon früher erwartet aber so richtig darauf vorbereitet bin ich dann doch nicht.

„Was jetzt?“ frage ich sie. Sie muss eine Antwort wissen.

„Zum Frisör, dann nach Hause Sachen packen und dann in die Drogerie.“

Ich starte den Motor und fahre wie vorgeschlagen zum Frisör. Mein Kopf ist vollkommen leer und trotzdem so voll, gleichzeitig fühle ich mich total hibbelig und andererseits absolut schlapp. Kennt das irgendjemand? Beim Frisör angekommen lasse ich mir meine blonden Haare schwarz färben. Es ist definitiv ein Schock aber so sehe ich nunmal auf meinem neuen Passbild aus. Meine blauen Augen müssen auch noch weg. Kontaktlinsen sorgen dafür, das sie kräftig braun aussehen. Als ich mich zu Hause im Spiegel betrachte erkenne ich mich nicht mehr wieder. Es ist als hätte ich mich selbst verloren, mal wieder. Also bin ich auf gewisse Weise dann ja doch gestorben, ein sehr schwacher Trost wie ich finde. Mein altes Ich ist während des Unfalls gestorben und an dem Tag ist dann auch Marry Holsteen geboren worden. Ich werde eine Weile brauchen. Draußen höre ich aufeinmal meine Oma schimpfen. Ich gehe zum Fenster hinüber und schaue nach draußen. Als ich die Männer in ihren schwarzen Anzügen entdecke, bleibe ich wie erstarrt stehen. Das müssen sie sein. Oh mein Gott sie haben mich gefunden. Sie werden mich wer weiß wohin schleppen. Ich schnappe mir meine Klamotten und packe sie in einen Rucksack. Dads Schweizer Taschenmesser und eine Flasche Wasser stecke ich auch noch ein. Per Handy schreibe ich meiner Oma eine letzte Nachricht.

>Ich will nicht das du noch mehr Schwierigkeiten meinetwegen bekommst. Ich bin jetzt bereit auf eigenen Beinen zu stehen und mit meiner Situation klar zu kommen. Ich liebe dich. Leb wohl.<

Mit Tränen in den Augen schmeiße ich das Handy auf mein Bett,schnappe mir meine Papiere und flüchte unbemerkt aus dem Hinterausgang. Ich kann das Handy nicht mitnehmen, sie würden die Nummer orten, aber ich hoffe meine Oma wird es verstehen. Ich weiß noch nicht genau wohin ich gehen soll aber am besten fernab der Straßen und der Zivilisation. Ich nehme mir vor erstmal zum Wald zu gehen durch den ich mit Crescent geritten bin. Der Wald ist riesig und bietet bestimmt irgendwo erstmal ein Plätzchen zum verstecken. Ich bin kaum zehn Meter weit gegangen als ein Schuss ertönt. Erschrocken drehe ich mich um. Kälte schießt mir in den Kopf. Meine Kehle scheint wie zu geschnürt, nur ein entsetztes Keuchen bringe ich zu stande. Versteckt hinter einer Hausecke starre ich auf den leblosen Körper der Frau die mich all die Jahre beschützt hat. Ihr Blut sickert auf den von ihr so gepflegten Rasen. Tränen schießen mir in die Augen, ich kann es nicht verhindern, aber sie fließen in strömen an meinen Wangen herab und tropfen auf den Boden. Ich sinke auf die Knie und beobachte die Männer wie sie sie in den schwarzen Van packen und wegfahren. Ich kann mich nicht rühren, dazu fehlt mir gerade die Kraft. Kaum ist der eine Van weggefahren taucht ein neuer Van auf aus dem vier Männer aussteigen. Nach einem Poltern und Klirren aus unserem Haus schießen Flammen aus den Fenstern. Jetzt haben sie es geschafft. Für die Öffentlichkeit wird es heißen das sich eine alte Dame selbst erschossen hat weil ihre einzige Enkelin bei einem Reitunfall ums Leben gekommen ist. Keine Zeugen. Wie praktisch. Mühsam stemme ich mich wieder hoch und setze meinen Weg fort. Fernab von allen Wegen und Straßen, stapfe ich über Stock und Stein und durch Kniehohes Gras. Mein Weg führt mich vorbei am städtischen Friedhof wo gerade eine Beerdigung stattfindet... aber das ist doch... Askar!!! Und Beck und Val. Sogar einige meiner Professoren und Reitkollegen sind da. Das dort ist meine Beerdigung!!! Sie alle so traurig zu sehen bricht mir das Herz. Ich weiß nicht was ich tun soll. Soll ich sie trauern lassen? Ich ziehe mir die Kapuze tief ins Gesicht und trete näher heran. Es ist ja nicht so als könnte mich jemand erkennen aber es gibt mir auf eine unerklärliche Weise mehr Sicherheit. Noch sieht es so aus als würde ich einfach einen Verstorbenen besuchen. Askar ist gerade nach vorne getreten und steht jetzt vor dem Sarg. Er faltet einen Zettel auf und wischt sich die Tränen fort. Meine Grabrede. Ich trete näher heran um hören zu können was er sagt.

„Ich weiß nicht ganz wo ich anfangen soll. Eve, das du uns jetzt schon verlässt hat keiner geahnt und ich hätte mir gewünscht du wärst noch länger geblieben. Ich weiß Grabreden sind für die Lebenden, wie es in diesem einen Film heißt, da du sie nicht hören kannst... aber du bist zu früh gegangen. Ich muss zu dir sprechen, ich werde nie wieder die Chance dazu haben und ich hatte nie genug Zeit dir alles zu erzählen. Eve du fehlst mir. Du warst der wundervollste Mensch dem ich begegnen durfte. Ich hatte gehofft das wir einander nachher die Kerle vorstellen und unser gegenseitiges Einverständnis geben können. Natürlich hätte ich versucht dir deinen Mann schlecht zu machen, denn ganz ehrlich? Keiner hätte dich in meinen Augen je verdient. Ich hatte gehofft ich könnte meinen Liebeskummer an deiner Seite ausweinen während wir Eis essen und die schnulzigsten Romanzen gucken. Wem kann ich denn jetzt alles anvertrauen? Wem erzähle ich an wen ich mein Herz wieder verloren habe? Das klingt fast schon selbstsüchtig aber ich will nicht das du fort bist. Komm zurück. Meinetwegen und um jene wegen die du zurücklässt. Du hast so viele von uns nur so kurz gekannt und doch einen so bleibenden Eindruck hinterlassen. Denn so bist...../warst du nunmal. Ich kann nicht umhin dir zu sagen wie oft Beck mir in den Lesungen von dir vorgeschwärmt hat. Und so saßt ihr beide an meiner Seite und habt vom jeweils anderen erzählt. Und das ihr beide die Pferde liebt konnte nur Schicksal sein. Es war dein Schicksal mich zu treffen und so ist es jetzt mein Schicksal dich auf so unfaire Art und Weise zu verlieren.“ Er kniete sich nieder und holte aus seiner Tasche eine Urne.

„Ich habe mir erlaubt deine Schönheit einäschern zu lassen. Wenn er hier wäre würde er mich wie üblich sanft in den Arm zwicken. Ich darf ihn mit zu dir legen. Damit er bei dir bleiben kann. Damit ihr beide gemeinsam, fort von allen Schmerzen, ins Jenseits reiten könnt. Eve ich vermisse dich. Eve... ich liebe dich. Leb wohl und warte auf mich damit wir als Geister die heißen Kerle bespannern können.“

Ohne zu warten bis die Beerdigung zu Ende ist, stürmt er in Richtung Ausgang vom Friedhof. Ich sehe auch seine Eltern bei meiner Beerdigung. Sie halten sich gegenseitig im Arm.

Ich folge Askar. Ihn so zu sehen zerreißt mein Inneres auf brutalste Art und Weise. Das ist schlimmer als immer wieder zu sterben, bei weitem schlimmer. Er hatte sich an einen Baum gelehnt und weint, den Kopf auf den Knien ruhend. Ich trete zu ihm herüber.

„Askar.......“ ich habe es nur geflüstert aber sein Kopf schießt in die Höhe und er sieht mich aus verletzten und leeren Augen an.

-4-

Ich kniee mich vor ihn hin und ich nehme vorsichtig die braunen Kontaktlinsen aus meinen Augen. Als ich meinen Blick hebe und ihn ansehe, hört er aprubt auf zu atmen. Sämtliche Farbe verlässt sein Gesicht. Die verletzten und leeren Augen sind jetzt voller Entsetzen. Ich greife in meinen Rucksack und gebe ihm eine Flasche Wasser damit er mir jetzt nicht umkippt. Urplötzlich löst er sich aus seiner Starre und fällt mir um den Hals. Schluchzend und zitternd drückt er mich mit all seiner Kraft an sich.

„Du warst tot. Ich habe dich auf der Leichenbaare gesehen.....wie?“

„Ich kann dir darauf keine Antwort geben, denn ich weiß es nicht. Ich weiß nur das es vollkommen egal ist ob mein Herz aufhört zu schlagen und meine Organe zerfetzt sind. Ich trage am nächsten Tag nur noch die Narben.“

Ich weiß nicht ob es klug ist ihm davon zu erzählen, meine Güte, ich zweifle sogar jetzt schon an meiner Entscheidung, auf ihn zugegangen zu sein.

„Wir müssen es den anderen sagen..“ Hastig springt er auf und strebt zurück zum Friedhof.

„Halt! Warte!“ rufe ich um ihn aufzuhalten. Askar! Wehe du machst jetzt etwas dummes! ...

„Aber sie müssen es wissen, das wäre nur fair.“

„Die Regierung sucht nach mir. Damit würdest du sie in Gefahr bringen.“

„Und was ist mit mir? Bin ich nicht in Gefahr?“

„Ich habe deine Rede gehört und dich da sitzen sehen.... Ich.. es war ein Fehler.“

„Was jetzt?“ fragt er mich leise.

„Ich werde weggehen. Für dich bin ich einfach weiterhin.... tot.“ Okay, jetzt fühlt er sich aufjedenfall verarscht. Sein Blick bringt mich augenblicklich leicht zum Schmunzeln. Es ist ein definitiver Diva Blick von wegen > So Maus, du wirst mich jetzt nicht mehr los<

„Ich komme mit.“

Ach verflucht das war so klar.

„Du hast deine Eltern deine Freunde, dein Studium. Du kannst nicht so einfach gehen. Man würde dich vermissen und nach dir suchen wenn du so einfach verschwindest.“

„Ich habe eine zeitlang eine Freistellung vom Studium um mit allem fertig zu werden.“ er geht schnur stracks auf sein Auto zu.

„Ich werde einfach sagen das ich eine Auszeit brauche und raus aus dieser Stadt muss.“ Damit war die Sache für ihn entschieden.

„Übrigens werde ich dich lautstark suchen wenn du nicht einsteigst und mit meiner Entscheidung einverstanden bist. Du weißt ja die Regierung sucht dich und ansonsten bin ich in Gefahr.“

Ich hasse ihn..... Widerwillig steige ich in den Wagen ein. Bei ihm zu Hause packen wir seine Sachen und hinterlassen seinen Eltern eine Nachricht. Er hat die ganze Sache doch etwas gefasster aufgenommen als ich erwartet hatte. Schweigend setzen wir beide den Weg fort den ich angefangen hatte. Bewusst umgingen wir den Friedhof um nicht doch noch jemanden auf uns aufmerksam zu machen. Ich hatte jetzt schon zu viele Leute in meine Situation eingeweiht. Am Ende nehmen wir noch Val oder Beck mit. Dann schoss es mir ins Gedächtnis.

„Man wird dich erkennen.“ stutzte ich.

„Du hast Recht. Auf zum Frisör ich wollte schon immer weiße Haare.“ zielstrebig macht er kehrt um in die Stadt zum Frisör zu gehen. Es bringt mich zum schmunzeln was er auf sich nimmt. Nur für mich. Ich folge ihm und hake mich bei ihm ein. Als wir den Frisör verlassen hat er anstatt seiner braunen Löckchen, schneeweiße Haare die Glatt nach Hinten gekämmt sind. Er sieht so furchtbar anders aus.... nicht unbedingt schlecht aber auch nicht mehr so wie er selbst. Die Knochen seines hageren Gesichtes kommen jetzt noch viel stärker zur Geltung. Wir haben beide, unser altes Ich, in dieser kleinen Stadt zurückgelassen.

„Ich bin neugierig... wenn ich dich jetzt dafür umbringe, das du mir einen solch gewaltigen Stich ins Herz versetzt hast, dann stehst du morgen auch garantiert wieder auf?“

„Als hätt ich das mit Absicht gemacht du Spinner.“ schmunzelnd schwenke ich aus und schubse ihn leicht zur Seite.

„He du solltest vorsichtig sein was du mit mir machst. Ich bin immerhin nur ein verletzliches Menschlein. Ich könnte mir das Genick brechen wenn ich zufällig stolpern sollte.“ dabei lacht er los und deutet ein sehr tollpatschigess stolpern an.

„Ich habe trotzdem jedes mal Angst.“ meine ich leise zu ihm. Ich bin tatsächlich froh mal mit jemand anderem darüber zu reden. Meine Oma..... sie war alles was ich je hatte.... und trotzdem ist es etwas anderes wenn Askar und ich uns jetzt unterhalten, irgendwie, einfacher.

„Wieso du weißt doch das es am nächsten Tag wieder vorbei ist?“

„Ja, ich weiß. Was ja aber nicht bedeutet das der Tod an sich nicht weh tut...“ ich muss an meine Eltern denken. Ob sie bei dem Unfall den gleichen Schmerz gespürt haben wie ich, oder fühle ich den Tod anders?....

„Wie ist es so? ….. zu sterben?“

Ich bleibe stehen und schaue ihn an. Ich hatte nicht gerechnet das mir mal jemand eine solche Frage stellen würde.

„Ich kann es nicht wirklich mit Worten beschreiben.... ich glaube um nichts falsches zu sagen muss ich ein bisschen darüber nachdenken..... aber es ist fühlt sich kalt an. Wie Eis das langsam durch deine Adern fließt.“ ein bisschen betrübt sieht er mich an.

„Warum hast du es mir nicht schon vorher erzählt, ich meine ganz so verrückt ist das jetzt nun auch wieder nicht.“ murmelt er

„Nicht ganz so verückt?!?“ ich kann nicht anders, ich muss mich wahnsinnig anstrengen nicht in schallendes Gelächter zu verfallen. Wir fliehen gerade vor der Regierung, der Typ hier hat gerade gesehen wie seine beste Freundin angeblich von den Toten zurückgekehrt ist, wir haben unsere Sachen gepackt und marschieren in einer wildfremden Gegend um irgendwo hinzugelangen und alles was ihn gerade stört ist, das ich ein kleines Gehmeinis vor ihm hatte. Dieser Typ macht mich fertig. Kopfschüttelnd gehe ich an ihm vorbei.

„Ich finde wir haben jetzt aber definitiv genug von mir geredet. Du bist dran.“ rufe ich zu ihm zurück da er doch noch nicht ganz aufgeholt hat

„Du warst doch letztens mit Josh aus. Wie war das?“

„Du bist doch aber gerade so viel spannender als meine Geschichte mit Josh.“

Als er letztlich wieder zu mir aufgeschlossen hat, kann ich eine leichte Röte auf seinen Wangen erkennen.

„Oh mein Gott du Flittchen!!!“ ich schlage ihm freundschaftlich auf den Arm und wir beide lachen los.

„Das war echt nicht meine Schuld.. der Abend war so romantisch.“

„Du musst mir alles erzählen.“ Neckisch schaue ich zu ihm rüber.

Ich kann kaum auf die Worte hören die er mir erzählt, es ist vielmehr der Ausdruck auf seinem Gesicht der mich tiefst berührt. Seine Augen leuchten als er mir von seinem date erzählt... er hat alles für mich zurückgelassen.. Für ihn scheint es einfach alles so, wie es vorher auch war. Ich habe Angst, ich muss es mir selbst eingestehen aber ich habe unendliche Angst, ich stelle gerade nicht nur mein Leben komplett auf den Kopf, sondern auch das seine.So gehen wir hier am Straßenrand entlang,erkennen uns selbst kaum wieder und unterhalten uns über Teenager Kram. Aber er ist alles was mir von meiner Familie übrig bleibt. Er muss die Melancholie auf meinem Gesicht bemerkt haben.

„He,..... was ist denn los?“ kommt es besorgt von ihm.

Ich sehe ihm in die Augen und kann nicht anders als ihm um den Hals zu fallen. Mit einem sehr unmädchenhaften Schluchzer weine ich mich an ihn gedrückt aus.

„Sie haben sie erschossen, meine Oma..... einfach so.“

Behutsam streicht er mir übers Haar. Ich glaube er versteht mich nicht richtig. Natürlich zerreißt ihr Tod mein Herz, aber was bin ich für ein Mensch meine letzte Familie in solche Gefahr zu bringen?!?! Der Mensch der dem was man Familie nennt noch am nächsten kommt....... und ich …. was mache ich?!? Was fällt mir ein so egoistisch zu sein. Ich muss ihn zurückschicken ich kann das nicht von ihm verlangen.

Entschlossen versuche ich mich von ihm zu lösen aber er lässt mich nicht. Mit ernster Stimme meint er nur zu mir

„Wenn du jetzt auch nur annähernd auf die beschissene Idee kommen solltest mich in irgendeiner Weise wegzuschicken, weil ich ja angeblich in Gefahr bin, werde ich dich erdolchen und in einen kleinen Wagen packen und hinter mir herziehen. Eve ich bin Erwachsen und außerdem gehen zwei Freunde ganz einfach spazieren. Du bist nicht du und ich bin nich ich..... wir sind halt einfach wandern.“

Endlich kann ich ihm in die Augen gucken.

„Du bist doch doof...“ murmle ich

„Ja ich bin doof und du siehst beschissen aus, wo ist dein make Up du Panda?“

lachend hakt er sich bei mir ein und wir setzen unseren Weg fort. Herrje ich würd ihn ja am liebsten zusammenschlagen, knebeln und hierlassen dafür das er sich so leichtsinnig verhält, aber andererseits ist es echt schön das er mitkommt.

-5-

„Eeeeveeeeeee????? wann sind wir endlich da?? Ich bin müde? Können wir uns hinsetzen.... ich bin hungrig.... herrje jetzt renn doch nicht so!!! Meine armen Schuhe. Oh nein, ach man Matsch. EVE! Was hast du nur für einen Weg ausgesucht?!? Das geht ja mal gar nicht.....“

murrend und maulend trottet mir Askar hinterher. Es ist mittlerweile stockfinster und wir sind immernoch nicht dort, wo ich hin wollte. Wir haben es noch nichtmal bis zum Reitstall geschafft. Mit dem Auto kam mir der Weg immer sehr viel kürzer vor.

Von hinten höre ich ein plötzliches Plump

Erschrocken drehe ich mich um und sehe wie Askar sich hat ins Gras fallen lassen.

„Du Eve, ich hab dich ja echt lieb und mir ist klar, dass unser Weg gerade erst angefangen hat, aber ich brauche doch meinen Schlaf......“

„Du Diva“ rufe ich ihm scherzhaft zu. Sein weißer Haarschopf hebt sich aus dem dunklen Gras und er funkelt mich mit seinen Augen böse an.

„Fein. Wie weit ist es denn noch?“ erschöpft sackt sein Kopf zurück in die schützende Dichte des Grases.

„So weit ist es nicht mehr....“

Ich muss zugeben mittlerweile bin ich auch wahnsinnig erschöpft. Mein Magen knurrt und meine Füße schmerzen.

„Nur noch ein paar Kilometer. Im Stall sollte jetzt niemand mehr sein und dann können wir uns da ins Heu zum schlafen legen, da ist es trocken und warm....“

Ich gehe zu ihm hin und strecke meinen Arm aus, um ihm hochzuhelfen.

Tapfer schleppen wir uns weiter. Der Wind lässt die Bäume am Wegrand leise rascheln. Der Sand vom Seitenstreifen knirscht unter unseren Schuhen und gelegentlich hört man aus dem Wald eine Eule. Bis wir in einiger Entfernung die Lichter des Gutshauses sehen.

„Boah da is es.“ frohen Schrittes schlendert Askar auf die Lichter drauf zu.

„Bist du verrückt. Dieser Stall ist sehr vorsichtig mit seinen Pferden. Da ist eine Alarmanlage. Weißt du was für wertvolle Pferde in diesem Stall stehen?!“ hastig greife ich nach seinem Arm und halte ihn zurück, jedes dieser Pferde ist ein Hochleistungssportler. Ein Teurer noch dazu.

Enttäuscht lässt er sich zu Boden sinken.

„Aber ich kenne die Kombination um sie auszuschalten.“

„Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist. Wie die sagtest, das sind alles wertvolle Pferde und morgen früh werden ihre wohlhabenden Besitzer kommen, um mit ihnen zu arbeiten, da weder du noch ich ein Handy für einen Wecker haben, ist es zu riskant. Wir würden vielleicht entdeckt werden und sie würden sich die Frage stellen, wie wir da rein gekommen sind. Also, was nun?“ fragt er mich betrübt.

Er hat recht verdammt damit hatte ich nicht gerechnet. Ich bin eine von fünf Personen die den Code kennen, wir könnten natürlich auch.......

„Askar wie stehst du zum Reiten?“

„Nein! Bitte sag mir, das du nicht das denkst und gesagt hast, was ich denke das du gesagt und gemeint haben könntest.?!? Hast du nicht gerade gesagt das sind furchtbar teure Pferde?“

„Wir stehlen sie ja auch nicht. Wir leihen sie nur. Ich kenne jedes einzelne Pferd in diesem Stall...“

„Wir stehlen die Pferde nicht!“

„Es gibt auch noch einen Esel und zwei Ponys. Sie gehören zu den Besitzern des Hofes und büchsen gerne mal aus. Und wenn wir weit genug weg sind, schicken wir sie zurück....“

Entgeistert sieht er mich an.

„Womit hab ich das nur verdient?“

Nachdem wir die Rucksäcke am Waldrand abgestellt haben und ich den Zifferncode für den Stall eingegeben habe, sind wir an den Boxen der Tunierpferde vorbei, zu den Boxen der Ponys gegangen. Die hintere Tür des Stalles ist von innen leicht zu öffnen, damit die Tiere während eines Feuers, schnell hinaus rennen können. Da wir weder Sattel und Zaumzeug mitnehmen können, führen wir die zwei Ponys am Halfter mit Strick nach draußen. Nachdem das Ende des Strickes an der jeweils anderen Seite des Halfters befestigt ist, könnte man es fast Zügel nennen. Leise und bedächtig verlassen wir die Koppel als eines der Ponys anfängt zu Wiehern. Die Antworten der anderen Pferde lassen nicht auf sich warten. Das Licht im Gutshaus geht an. Schneller als ich hätte ahnen können, habe ich Askar auf den Rücken des Ponys geholfen und mich selbst auf den Rücken meines Ponys geschwungen.

„Halt den Strick dicht bei dir, drück die Beine ran und halt dich an der Mähne fest!!!!“

„Was?!?!“ noch bevor er anders reagieren kann, habe ich dem Pony einen ordentlichen Klapps auf den Hintern gegeben und sehe dabei zu, wie die beiden in den Wald davon galloppieren. Hinter mir höre ich die Gutstüren aufklappen und schnelle Schritte Richtung Stall, als mir einfällt das dort irgendwo auch noch unsere Rucksäcke stehen. Während ich den Kleinen zurückhalte, höre ich von hinten „Die Ponys!! Sie sind schon wieder weg!!“ ich bete zu Gott das sie uns in dieser Dunkelheit weder sehen, noch hören können. Mein Pony fängt an ordentlich zu schnaufen während ich es vorantreibe, um an die Stelle mit unseren Rucksäcken zu kommen. Ohne abzusteigen schnappe ich mir die Gurte und versuche mich mit dem neuen Gewicht und dem festen Griff in der Mähne, wieder ins Gleichgewicht zu ziehen. Mein Herz vollführt einen ungeahnten Hüpfer, als das Pony unter mir einen kleinen Buckler macht und ungebremst in den Wald rennt. Plötzlich sehe ich Askars Pony an einem Baum grasen. Ich steige ab und nehme die beiden an ihrem Strick hinter mich.

„Askar?“ rufe ich flüsternd

„Askar?“

„Eveee..... wenn du nochmal so eine tolle Idee hast, weihe mich bitte vorher ein. Das blöde Vieh hat mich abgeworfen. Einfach so.“ böse starrt er das unschuldig drein blickende Pony an.

Mit verzerrtem Gesicht reibt er sich den Hintern.

„Nein schon gut brauchst nicht fragen, ich werds schon überleben.“ Ich lache und helfe ihm wieder auf das mehrfach als teuflisch betitelte Pony.

Ich beobachte die Bäume und lausche dem Rascheln der Blätter, unter den Hufen der Ponys. Askar hat sich derweil auf den Rücken gelegt und ist vom Schaukeln eingeschlafen. Seine Arme hängen an beiden Seiten herunter und ich führe ihn, am Strick, hinter mir her. Ich erinnere mich an den Weg. Ich bin ihn sehr oft mit Crescentlord geritten. Ich spüre ein Brennen in den Augen und das ziehen meines Herzens. Ich vermisse meinen Braunen und ich habe ihn so schrecklich verloren. Das entspannte Schnauben des Kleinen hinter mir verhindert, dass das Video nocheinmal vor meinem Auge abläuft. Askar schnarcht laut vor sich hin, als wir an eine Kreuzung des Waldes kommen. Nach links gelangen wir an eine Jägerhütte. Rechts entlang führt uns der Weg zu einem alten Baumhaus. Bewusst lenke ich mein Pony nach rechts. Schon bald lässt sich das morsche alte Holzgerüst erkennen

Leichter Nieselregen regnet auf uns herunter und der tod müde Askar hebt den Kopf. Murmelnd und fluchend versucht er sich aufzurichten, ohne von dem trottenden Pony herunter zu fallen. Stehen geblieben vor dem alten Baumhaus bereue ich meine Wahl. Morsch und herunter gekommen schwebt das Haus hoch in den Bäumen. Knarzend und vom Wind wieder in den Baum gedrückt, scheint es als wolle es vom Baum herunter springen. Unsere Sachen draprieren wir unter dem Baumhaus damit sie nicht nass werden. Ich löse die Stricke vom Halfter und schicke sie wieder zurück in den dichten Wald, sie werden bald zurück beim Stall sein. Buckelnd und einander beißend rennen sie zurück und so stehen Askar und ich wieder alleine da. Immer häufiger treffen uns große Regentropfen und das Prasseln auf den Blättern des Waldes wird lauter und lauter.

„Na komm auf geht’s, versuchen wir mal das Monster von Luxushaus zu erklimmen.“ Während sich Askar schon darum bemüht, den morschen Baum hoch zu klettern stehe ich noch unter der doch recht seltsamen Holzkonstruktion und inspiziere das doch recht große Loch im Boden. Einzelne Holzpanelen sind herausgebrochen und liegen am Boden verteilt. Ehe ich mich versehen kann, lugt auch schon Askars Kopf in dem Loch hervor und begutachtet mich eingehend.

„Kommst du jetzt endlich, ich habe schließlich nicht ewig Zeit und ich bin müde.“

Ach herrje dieses Prinzesschen, er hat gewiss noch genügend Zeit.

-6-

Diese Nacht träume ich. Nebelschwaden über einem weiß kochenden See und Alte ächzende Bäume die sich selbst ohne scheinbaren Wind, knarrend bewegen. Crescentlord! Die hintere Hüfte komplett zertrümmert, jagt er auf den Nebelschwaden, bei jedem seiner Gallopp Sprünge hört man das Knirschen der gebrochenen Knochen aufeinander. Unruhig versuche ich mich von meinem Standort fortzubewegen, aber ich habe keine Kontrolle über das derzeitige Geschehen. Ich will nach ihm rufen aber meine Stimme gehört mir nicht, nur ein klägliches Ächzen klingt aus meiner Kehle. Sein Kopf schnellt in die Höhe, die Haut an seinem Kopf schält sich auf der einen Seite ab und legt den Knochen seines Gesichtes frei. Die leeren schwarzen Augen starren mich an. Eine Hand streicht ihm über den Hals, der Nebel verhüllt die Gestalt und ich kann nicht erkennen wer bei meinem Pferd ist. Tränen fließen mein Gesicht herunter und mir wird kalt, soo kalt. Der Nebel scheint durch die Kälte zu wachsen und hüllt meinen Braunen in seine schützende Stille. Ist es das? Das Leben nach dem Tod? Ist es wirklich das hier?!

Sei nicht blöd, es ist nur ein Traum, du kannst ganz einfach aufwachen.

„Genau Emily, wach einfach auf.“ Die kratzige Stimme die hinter mir zu stehen scheint, lässt mich aufhören zu atmen. Tränenüberströmt stehe ich dort und kann mich nicht zu der Stimme umdrehen, die mir immer noch so vertraut ist. Ich reiße an mir selbst, zwinge mich fort von diesem Ort, schreie mich innerlich selbst an, lege mein ganzes Gewicht gegen mich, nur um mich fortbewegen zu können, als eine alte Hand sich auf meine Schulter legt. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen das der kleine Finger fehlt. Schluchzend stehe ich da und werde von der Kälte überrollt, die Hand auf meiner Schulter schubst mich vorwärts und ich falle. Schreien kann ich nicht.

Der Schmerz der bei meinem Aufprall auf dem Boden durch meinen Kopf jagt, ebbt so schnell, wie er gekommen ist, wieder ab. Ich fühle gar nichts.

 

Ouh, verdammt.... das Dröhnen meines Schädels ist fast unerträglich. Ich wünschte ich hätte ein paar Schmerztabletten mit, aber wer denkt denn an eine solche Kleinigkeit. Langsam versuche ich die Augen zu öffnen. Ich kann Askar nirgendwo sehen und... scheinbar bin ich nicht mehr in dem morschen Baumhaus, sondern darunter. Die scheinbar kaum aufgegangene Sonne, taucht den Wald in ein mystisches grün, der Tau auf den Grashalmen glitzert und die klare frische Luft erinnert mich an die nasse Frühlingsluft nach dem Regen.

„Eve verdammte scheiße!!!“

Okay das ist weniger idyllisch. Ich sehe wie Askar, aus dem Wald kommend, auf mich zustürzt. Er sieht jetzt nun wahrlich gar nicht ausgeschlafen aus. Es ist mir zwar klar, dass das Baumhaus nicht gerade ein Federbett ist, aber er sieht so aus, als hätte er gar nicht geschlafen.

Vorsichtig reibe ich mir den Nacken und versuche ihn durch eine leichte Knetbewegung zu entspannen, als ich die neue Narbe erfühle. Verdutzt sehe ich Askar an.

„Mach die verdammte Kacke nie wieder!!“ flüchtig sehe ich noch die Tränen in seinen Augen bevor er mir um den Hals fällt und mich umarmt als wäre ich gest....... oh verdammt......

„War ich?...“

„Ja verdammt!... du hast immer wieder unverständliche Dinge gemurmelt und hast mich wach getreten. Dann hast du dich mit Schwung auf die andere Seite gedreht und bist durch das Loch im Baumhaus gefallen... Du musst ziemlich mies aufgekommen sein...... Dein Kopf hing schief neben deinem Körper und deine Wirbelsäule stand heraus....“

Wieder fahre ich über die große Narbe an meinem Hals. Wieder und Wieder. Darum hatte es sich in meinem Traum so angefühlt als würde ich fallen und als dann alles schwarz wurde...

„Es tut mir leid Askar.....“

Erschöpft hatte er sich ebenfalls an den Baum gelehnt und den Kopf auf meine Schulter gelegt.

„Ich habe mich zweimal übergeben müssen Eve.“

Er muss dann die ganze Nacht panisch neben meinem Körper gesessen haben. Mit jeder Faser seines Körpers wird er sich gewünscht haben das ich aufstehe, das alles was ich ihm erzählt habe wahr ist, das es verheilen würde und ich ihn wieder auslachen könnte. Wunsch erfüllt, würd ich sagen. Ich kann ein leises Schnarchen von meiner Schulter aus hören, jetzt wo er sich sicher sein kann, das ich wieder aufgestanden bin, ist die ganze Last von seinen Schultern gefallen und die Müdigkeit hat ihn eingeholt.

Die Kopfschmerzen und das Gefühl, das ich mir den Nacken verspannt habe, lässt etwas nach als ich die Augen schließe. Ich bin immernoch unglaublich müde. Was eine Überraschung, wo ich doch vergangene Nacht so gut geschlafen habe... Ich wollte ich könnte mit den Augen rollen, aber das Dröhnen in meinem Kopf hat gerade etwas nachgelassen.

Aber egal wie müde ich bin, ich kann nicht einschlafen. Die kratzige Stimme aus meinem Traum, die Hand mit dem markant abgetrennten Finger. Ich erinnere mich genau an die Geschichte.

Mein Vater hat sie mir sehr oft erzählt.

Als er und sein Bruder noch jung waren, neigten sie dazu Dummheiten anzustellen. Da beide auf dem Land groß geworden waren, war das zu Hause weit entfernt von der Bar in der sie gerade waren. Da sie aber mit dem Auto dort hingefahren waren, standen sie nun vor der Aufgabe wieder heim zu kommen. Da mein Vater sein Auto nicht zu Schrott fahren wollte, schwankten sie zum nächsten Bauern um den Traktor unwissentlich zu leihen, er bestand immer darauf es nicht stehlen zu nennen. Und wie sie nun beide mehr als Betrunken in die große Maschine stiegen, schnitt sich mein Vater an einer herausgebrochenen Fensterscheibe. Der Alkohol in seinem Blut ließ ihn den Schmerz schnell vergessen und da sie letztlich heim gefunden hatten, blieb auswaschen und desinfizieren lange Zeit kein Thema. Am nächsten Tag zu seiner Mutter zu gehen und um Hilfe zu bitten, wäre ja ein Geständnis, das er Blödsinn gebaut hätte. Das konnte sich der junge Mann keineswegs eingestehen. So fing die Wunde dann also an zu eitern. Letztendlich musste ein Stück vom Finger abgenommen werden damit sich die Entzündung nicht noch weiter ausbreitete. Ich hätte diese Narbe also unter vielen wieder erkannt.

Warum aber war mir mein Vater in meinem Traum so nah erschienen. Das Crescent da war erschien mir weniger zweifelhaft, musste ich doch gerade noch daran arbeiten ihn verloren zu haben, aber mein Vater? Ich weiß das es immer schwer für mich sein wird, aber es ist Ewigkeiten her, das ich das letzte mal von meinen Eltern geträumt habe. Ein bisschen stört es mich das in meinem Traum nicht meine Oma zu sehen war. Hätte sie nicht das Recht dort zu sein? Wenn ich schon von den Personen träume die ich verloren habe, hätte sie nicht bei Crescent sein müssen? Vielleicht war sie das ja, vielleicht war sie es die meinem Braunen über den Hals gestrichen hatte, aber wenn es so war, wo war dann meine Mutter?

Fragen über Fragen, Dinge die mich unruhig machen, die mich nicht schlafen lassen wollen,

als plötzlich Schüsse ertönen.

Eins, zwei, ….. fünf, sieben...... schneller als ich denken kann, habe ich mir Askars Arm geschnappt und die Rücksäcke, die unter meinem Kopf lagen, über meine Schulter geschmissen. Sprintend reiße ich ihn hinter mir her, ohne ein Wort zu sagen, ohne auf sein Gestolper zu achten, ohne mein Ziel aus den Augen zu verlieren. In die andere Richtung, einfach in die andere Richtung. Fort von den Schüssen.

Askar reißt mir seinen Arm weg.

„Eve, Stopp!“ panisch drehe ich mich zu ihm um, versuche wieder und wieder seinen Arm zu greifen. Die Angst hat so viel Adrenalin durch meinen Körper gepumpt, das ich nicht weiß wohin mit mir. Wimmernd und schluchzend versuche ich ihn weiter zu zerren. Ihm darf nichts passieren, niemals. Ihm wird nichts passieren, er muss nur mitkommen.

Zwei warme große Hände umschließen mein Gesicht.

„Atmen Eve, Atmen“ das dauernde hohe Fiepen im meinem Ohr wird leiser und meine Muskeln ergeben sich einem einzigen Zittern das mich zusammen sinken lässt. Bilder meiner Oma jagen mir durch den Kopf. Askar der mich jetzt in seinen Armen hält, wiegt mich vor und zurück, immer wieder.

„Wenn man auf uns geschossen hätte, dann hätten nicht sieben Patronen einfach nichts getroffen, egal auf wen geschossen wurde, egal wer geschossen hat, es galt nicht uns.“

„Was macht dich dessen so sicher?“

„Ich glaube es. Glauben ist doch momentan alles was uns noch atmen lässt. Wissen ist ein Luxus der uns gerade nicht vergönnt ist.“

Ich bin so wahnsinnig froh das er mitgekommen ist.

Und als ich die Augen schließe, ertönt ein weiterer Schuss.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.04.2019

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