Cover

Prolog

Kriegsgeschrei. Mütter, die nach ihren Kindern riefen. Klirrende Waffen. Wenn ihr dies lest, denkt ihr sicherlich, ein kleines Baby von einem halben Jahr könnte solche Geräusche gar nicht interpretieren, oder zumindest nicht mehr daran erinnern, wenn es älter wurde. Doch da irrt ihr: Ich selbst habe dies erlebt und kann mich heute noch daran erinnern- solche Erlebnisse prägen das weitere Leben und stempeln sich für immer in das Gedächtnis. Auch wenn man sie am liebsten einfach vergessen würde lassen sie dich nachts schweißgebadet aus dem Bett fahren. Und wieder ein Geräusch Doch kein schrecklicher Schrei oder bitteres Weinen, nur das Knarzen der Tür, aus der meine Mutter mit wehendem Haar auf mich zugelaufen kam. Kurz vor meiner kleinen Holzwiege blieb sie keuchend stehen und strich sich eine kastanienbraune Locke hinters Ohr. Ihr sorgenvoller Blick beunruhigte mich. "Du musst weg aus dem Dorf, Ewayne. Hier ist es nicht mehr sicher.", sagte sie eher zu sich als zu mir. Sie streichelte meine wange und im selben Moment kullerte ir eine Träne aus dem Auge, die auf meine Lippen fiel. Meine eisklaren, blauen Augen sahen ihre an. Aufmerksam, still. Dann schlossen sie sich langsam und ich sah nur noch schwarz. Kuz bevor ich einschlafen konnte, hob sie mich auf ihrem Arm. In eine Schwarze Decke gehüllt,den Kopf geduckt, trug sie mich hinaus. Im Schutz der Schatten hinter den Häusern lief sie in Richtung Wald. Als sie kurz in das blasse Mondlicht hinaustrat, wurden wir entdeckt. Er war dunkel gekleidet, sein Gesicht verdeckt. Mit gezogenem Schwert ging er auf uns los. Zu unserem Glück war auch meine Mutter nicht unbewaffnet: Mit einer schnellen Bewegung legte sie mich unter einen Busch an einer Hauswand, gleichzeitig zog sie ihren Dolch. Als der Soldat nur noch drei Meter von uns entfernt war, schleuderte sie den Dolch nach ihm, der sich funklnd rot in der Brust des mannes versenkte. Dieser keuchte noch ein letztes Mal, dann fiel er rücklings zu Boden. Meine Mutter hob mich wieder hoch und zog den Dolch aus dem Soldaten. Mit der gezückten Waffe rannte sie weiter, immer weiter weg bis in den Wald. Dort legte sie mich behutsam auf die Erde. Hier war das Geschrei kaum noch zu hören. Meine Mutter legte eine mit Wachs versiegelte Papierrolle neben mich und zeichnete mit dem Finger einen Wolfskopf in die Erde. Dann ging sie weg. Für immer.

Kapitel 1

Ich war umzingelt von Wölfen, die mich knurrend und zähnefletschend anstarrten. Um mich herum nur Felsige Wände. Ich saß in der Falle. Plötzlich sprang einer von ihnen vor, zerrte an meinem Arm und knurrte so laut, dass mir die Ohren davon dröhnten.


Keuchend fuhr ich hoch, die Wölfe waren verschwunden aber das Rütteln an meinem Arm blieb. Das Knurren hatte sich in Celvins Rufen verwandelt. Celvin hatte mit mir zusammen Unterricht im Schwertkampf. Eigentlich war er ganz okay, aber manchmal konnte er ziemlich nervig sein- zum Beispiel wenn der Sohn unseres Anführers versuchte, mich aus den Federn zu bekommen... "Jetzt steh endlich auf, Ewayne! Soll ich dich etwa zum Unterricht prügeln?" Seufzend setzte ich mich auf. "Nein, aber wir haben doch heute kar keine Stunde bei Daylor. Heute ist Sonntag!" Empört stützte ich mich auf meine Hände. Gerade als Celvin zu einer Antwort ansetzen wollte, klopfte jemand vor der Klappe des Zeltes mit einem Stock auf den Boden. Erschrocken sahen wir uns an. Daylor! "Äh... ja?" fragte ich ängstlich, in der Hoffnung, es könnte irgendwer anders aus dem Lager sein. "Wenn ihr nicht sofort rauskommt, könnt ihr was erleben!" antwortete eine barsche Stimme. Langsam kroch ich hinter Celvin her und trat nach draußen, wo mich schon ein strafender Blick unseres Lehrmeisters erwartete. "Du hast Recht, heute ist Sonntag der 20. Mai. Ich hoffe, du weißt, was das bedeutet?", sagte er- "Ja...", druckste ich herum. "Ich weiß, in elf Tagen ist die Prüfung der erhobenen Schwerter und ich sollte üben." Schuldbewusst senkte ich den Kopf. Es war nicht das erste Mal, dass ich verschlafen hatte. Zudem brauchte ich Übung im Schwertkampf. Denn am letzten Mai fand eine der wichtigsten Prüfungen im Leben eines Schülers des Wolfsstammes statt. Dort wurde man auf die Schwertkampfkenntnisse geprüft. Wenn man bestand, war man auf dem Rang des Kriegers. Dieser hatte die einmalige Chance, sich zur Mondlichtung zu begeben- das geschah um Mitternacht zwischen dem letzten Mai- und erstem Junitag. Wenn man Glück, Mut und Verstand besaß, wartete dort ein Wolf-sein Wolf. Dann hatte man endgültig den Titel des Wolfskriegers und bekam sein eigenes Schwert. Dorthin steuerten viele Schüler, doch nur wenige erreichten dieses Ziel. Ich werde das schaffen, auch wenn ich nicht im Stamm geboren bin! Das dachte ich immer wieder- und es spornte zumindest meine Motivation an. Mit dieser Gewissheit trainierte ich teilweise von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Pausen nahm ich mir nur zum Essen. Kein Wunder, dass ich manchmal verschlief. Ich versuchte, möglichst wach zu erscheinen und trottete hinter Daylor und Celvin her. In diesem Moment lugte die Sonne hinter den Baumwipfeln des Waldes hervor und tauchte das ganze Lager in ein orange schimmerndes Licht. Überall ging es so zu wie gewohnt: Frauen kochten an offenen Feuerstellen, Kinder rauften sich um einen Ball und Männer prüften die Sehnen ihrer Bögen für die Jagd. Doch irgendetwas fehlte. "Daylor, wo sind die Wölfe?" Mit tadelndem Blick drehte sich mein Lehrmeister zu mir um und brummte: "Das kannst du dir doch denken: Sie sind auf der Jagd!" Ich runzelte die Stirn. "Alle? Üblicherweise sind doch immer Wölfe im Lager und gehen nicht alle auf einmal zum Jagen..." Celvin zuckte darauf nur die Schultern. "In letzter Zeit finden sie wenig Fleisch und können ihre Junge nicht mehr so gut versorgen. Wäre es bei uns Menschen nicht genauso, hätten wir ihnen geholfen, aber so..."  "Okay..." sagte ich. "Ich gehe dann mal kurz frühstücken, ihr könnt dann ja schon mal zum Kampfplatz gehen." Nickend verschwanden beide nach Westen, während ich eine Weile am Fluss Tabor entlang, über die Brücke und zum großen Platz ging. Ich setzte mich an einen leeren Tisch am Rand des Platzes. Eilig aß ich mein Brot und spähte zu dem Punkt, wo die Sonne gerade über einem Feld erschien. Ich kniff die  augen Zusammen und sah zu einer schwarz erscheinenden Person direkt davor. Sein Haar schimmerte braun und sein Blick war auf den Mann vor ihm gerichtet. Celvin! Ich vergaß, zu essen und starrte ihn an, bis er im Schatten der Bäume verschwand. Hastig schluckte ich den Rest des Essens hinunter und rannte in den Wald. Nach kurzer Zeit lichtete sich der Wald und ich stand auf festgetrampelter Erde, die sich etwa fünfzig Meter weit in jede Richtung erstreckte und an den Rändern vom Wald begrenzt wurde. Neben mir war ein hohes Zelt, das Waffenzelt, und daneben stand eine Bank, auf der Daylor und Celvin bereits in voller Rüstung warteten. Ich ging zu ihnen. "Du kannst schon deine Rüstung und Schwert holen.", wies mich Daylor an. Ich eilte also zum Waffenzelt und trat ins innere. Dort lagen sortiert Einzelteile von Rüstungen, an den Zeltwänden waren schlaufen angebacht, an denen Schwerter und Dolche hingen. Darunter waren Regale mit Helmen. Ich entschied mich für ein dünnes Kettenhemd, Kettenhandschuhe, Helm und ein schwert mit weißer Klinge - das benutzte ich immer für die Übungskämpfe. Schnell stülpte ich mir den Helm über den Kopf und rannte mit übergestreiftem Kettenhemd zu Daylor. Während Celvin sich auf die Bank setzte, hob Daylor sein Schwert und ich tat es ihm nach. "Zuerst ein einfacher Übungskampf", sagte er. "Zeige mir, was du gelernt hast und streng dich an!" Mit diesen Worten griff er mich an und zielte auf meine Hüfte. Mit einer Drehung mienes Handgelenks wehrte ich den Schlag ab, schob meine rechte hand blitzschnell vor und versetzte Daylor einen Stoß auf sein Kettenhemd. Da ich ihn nicht besonders stark getroffen hatte, stolperte er nur zwei Schritte zurück. Doch bevor ich diesen Moment ausnutzen konnte, fand er sein Gleichgewicht wieder und schlug mir mein Schwert aus der Hand. Zwar hatten meine Handschuhe den Schlag größtenteils abgewehrt, aber dennoch tat es verdammt weh. Ich holte mein schwert, das einige Meter zu Daylor geschlittert war. Mit gesenktem Kopf hob ihc es auf und tat so, als ob ich Celvins Bemerkung nicht gehört hätte: "Bin gespannt, welcher Wolf dich aussuchen wird. Einer auf drei Beinen? Aber du schaffst die Prüfungen der erhobenen Schwerter sowieso nicht..." Nach einigen strafenden Blicken von Daylor und ziemlich vielen, schmerzhaften Kämpfen später legte ich Rüstung und Schwert ab und lief betrübt in den Wald. Celvin und Daylor hinderten mich nicht daran. Ich drehte mich auch nicht mehr um, so sah ich Celvins genervte Blicke nicht, die er mir hinterherwarf. Ich rannte einfach weiter, während hinter mir die Waffen der beiden klirrten. Etwas feuchtes lief über meine Wange und lief mir das Kinn hinunter. Verärgert über mich selbst wischte ich die Träne weg. Dann blieb ich stehen undsah zum Himmel, der sich langsam verdunkelte. Am Rande der Lichtung auf der ich stand, lag ein entwurzelter Baum.  Ich schleppte mich hin und setzte mich auf die zerfurchte Rinde, den Kopf in die Hände getützt. Warum schaff ich das nicht? Egal, wie oft ich übe! Wahrscheinlich haben alle Recht: Nur im Stamm geborene können die Schwertkunst der Wolfskrieger erlernen und schließlich die Chance auf die mächtigste Verbindung der Welt bekommen: Die zwischen einem Wolf und dem Menschen. Wäre es besser gewesen, meine Mutter hätte mich zurückgelassen, anstatt meiner täglichen Demütigung? Doch ich fand keine Antwort. Das letzt Sonnenlicht schwand. Schritte näherten sich und Tamara, meine einzige Freundin, tauchte aus den Zweigen vor mir auf. "Ewayne, was machst du hier, um Himmels willen!" Sie trug ein nachtblaues Kleid mit einem Ledergürtel, an dem einige kleine Beutel hingen. Ihr blondes Haar hatte sie nach hnten zusammengebunden und sie trug einen Korb voller Pilze. "Ich... musste nachdenken." Ich hob den Kopf. "Beim Training habe ich schon wieder versagt und Celvin hat sich auch noch über mich lustig gemacht..." "Ach was, so schlecht warst du sicher nicht!", unterbrach mich Tamara. "Komm, du musst etwas essen, gehen wir? " Ich willigte ein und stand auf. Gemeinsam gingen wir ins Lager, wo mich schon einige Wölfe angekommen waren. Sie waren also wieder da von der Jagd. Die meisten liefen gleich zum großen Felsen, dort war das eigene Lager der Wölfe. Die Felsenmauer bildete einen leichten Bogen und einige Bäume und Gestrüpp vollendeten den Kreis. In der Mauer waren kleine Höhlen, die von den Meeresströmungen geschaffen wurden, als das riesige Tal noch mit Wasser gefüllt war. Die Wölfe nutzten die Grotten als Schlafhölen. Ich war noch nie dort gewesen, hatte nur erzählt bekommen, wie es aussah. Als ich zum Lagerfeuer ging, das noch dunkel und kalt war, legte ich mich auf einer der Bänke auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den Himmel, der nun vollends verdunkelt war. Hunger hatte ich keinen. Erste Sterne leuchteten auf, der Polarstern am hellsten. Immer mehr tauchten auf und ich begann, Sternenbilder zu suchen. Doch- was sah ich da? Ich runzelte die Stirn. Die Sterne tanzten! Sie formierten sich neu, bis sie Runen bildeten. Ich riss die Augen auf. In der Vergangenheit waren bereits ein paar Wahrsagen ausgesprochen worden und jeder kannte ihre Geschichte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie unsere Heilerin (die auch als Seherin fungierte) auf den Felsbrocken sprang, wo sonst der Anführer mit uns sprach. Ich hörte lautes Jaulen und die Wölfe preschten zum Feuerplatz. So weise waren die Worte der Heilerin, die, den Kopf den Sternen zugewandt, verkündete: "Hört die Prophezeiung, die ich euch aus dem Himmelsgestirnen lese:" ihre Stimme veränderte sich, wurde mächtiger, als sie die Prophezeiung vortrug:

"In der Vollmondnacht wird sie ihm gegenüberstehen, von ihm lernen.

Und wenn sich ihre Wege trennen,

ist es geschafft und das Feuer gelegt.

Das Feuer, das uns rettet und sie weitertreibt, allein.

Sie wird bei den Wölfen leben und ihre Klugheit und Schnelligkeit im Kampfe einsetzen.

Erst dann können wir erlöst werden."

Die Heilerin sackte in sich zusammen und Mindos, unser Führer, eilte zu ihr. Alle anderen waren still und standen, die Augen weit aufgerissen, da. Doch die Wölfe knurrten und einer der Stammesmitglieder rief: "Feuer kann nie gut sein, Mindos! Es hat uns schon einmal fast vernichtet. Die Geister wollen uns täuschen!" Nun redeten alle durcheinander. "Es ist von einer Frau die Rede gewesen", übertönte Mindos` Stimme alle anderen. "Und von der Vollmondnacht- der Nacht, in der die Krieger ihre Wölfe sehen. Wir werden abwarten, doch alle weiblichen Krieger bekommen ab sofort extra Trainingseinheiten!" Ich stöhnte auf. Na toll. Ich war so schon fertig genug. Außerdem wusste ich sowieso, dass ich nicht die Außserwählte war. So gesehen konnte mir das alles sonstwo vorbeigehen. Ich nahm mir eine Kaninchenkeule mit und lief aus dem Lager und übers Moor, auf einem kleinen Pfad aus festem Land, das zu einer >Insel< führte, wo auf trockenem Boden kniehohes Gras und einige Wildblumen wuchsen. Ich ging vor dem Fuß einer kleinen Trauerweide in die Hocke, die ihre langen Äste ins Wasser des Flusses, der direkt vorbeifloss, tauchte. Ich bog einen Teil des Wurzelgeflechtes beiseite und zog einen kleinen, roten Gegenstand hervor: Den Dolch meiner Mutter. Ich setzte mich auf eine große Wurzel und zog die Klinge aus der Lederhülle. Der onyxschwarze Dolch glänzte im fahlen Mondlicht und ich erinnerte mich , wie immer wenn ich das Messer sah. Ich sah dann die Gassen des Dorfes, eingehüllte Banditen und hörte Schreie, Flehen und andeinanderschlagende Schwerter. Es war keine schöne Erinnerung, aber sie erinnerte mich immer wieder daran, dass ich keine Waise war. Meine Mutter war nur weg. Sie hatte sich verteidigt, war eine starke Frau. Bestimmt hatte sie es geschafft zu fliehen. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah in die Baumkrone. So schlief ich ein und sank in einen Traumlosen Schlaf.

Kapitel 2

Ich wurde von einem Rütteln geweckt. Sofort war ich hellwach. Hatte ich verschlafen? Ich blinzelte in ein vertrautes Gesicht. „Tamara…“

„Du hattest Glück, dass ich gerade in der Nähe war, um Mondkräuter zu sammeln.“
Ich stützte mich auf und hielt mir den Rücken, der nach der Nacht auf der Wurzel höllisch wehtat. Na super. „Mondkräuter? Sind die nicht-“ „Für tiefe Wunden, ja.“ Tamara half mir auf und trieb mich in Richtung Lager. Es dämmerte bereits und ich hatte nicht mehr viel Zeit. „Udor war auf der Jagd und wurde von Soldaten des Königs angegriffen. Er sollte gefangen genommen werden aber er kämpfte sich mit seinem Wolf frei. Auf seinem Rücken konnte er fliehen. Auf Umwegen sind die beiden zum Lager gelaufen - mit schweren Verletzungen." Ich blieb stehen und sah sie erschrocken an. Tamara seufzte. "Ich krieg das wieder hin, keine Sorge. Du frühstückst jetzt und danach hast du Training." mit diesen Worten lief sie zu ihrem Zelt. Ich stöhnte auf. Ach ja, das Zusatztraining. Lustlos lief ich zum Essenszelt und holte mir mein Brot. Während ich aß, fiel mir auf, dass überall Tuschelnde Männer und Jungen herumstanden. Sie alle beäugten die anderen Mädchen, die aßen mit abschätzenden Blicken. Ich ahnte, worum es ging. Sie wetteten, wer wohl die Auserwählte sei. Dann wanderten ihre Blicke die Tische entlang, bis sie an mir hängenblieb. Sie musterten mich, dann sagte einer von ihnen, der als einziger nicht zu mir gesehen hatte leise, sodass ich es gerade verstehen konnte: "Warum seht ihr die überhaupt an? Es war die Rede eines Mädchens im Stamm. Die da kann froh sein, dass sie aufgenommen wurde. Die würde alleine in der Wildnis nach drei Tagen verrecken." Schallendes Gelächter folgte. Ich mahlte, um Beherrschung ringend, mit den Zähnen. "Nicht mal.", verbesserte er sich. "Sie würde wahrscheinlich vor einem Kaninchen erschrecken und dann in die nächstbeste Schlucht stolpern, so wie die sich anstellt!" Der Sprecher machte meine Gangart, die seit meiner Geburt etwas schief war, mich aber sonst nicht störte, übertrieben nach. Jetzt reichte es. Ich sprang auf und rannte zu ihm hinüber. Er war vielleicht etwas größer als ich, aber er wich trotzdem erschrocken einen Schritt zurück. Ich holte aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Ich legte so viel Wut, Trotz und Kraft in den Schlag, dass er nach hinten umfiel und sich, auf dem Rücken liegend und stöhnend, die gebrochende Nase hielt. "Keinen Tag überleben, was?" Die Männer um ihn herum, grinsten erst, dann brachen sie in lautes Gelächer aus. Sie lachten nicht über mich. Sie lachten über den Jungen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte den Hügel hinauf zum Trainingsplatz, das zufriedene Grinsen blieb. Der würde mich nicht mehr so schnell beleidigen.

Ich vollführte einen letzten Hieb und Daylors Schwert flog davon. Erstaunt sahen er und Celvin mich an. Ich hatte Daylor entwaffnet. "Ewayne! Gut gemacht!" Daylor holte zufrieden sein Schwert. "Du gehst jetzt mit Luca jagen. Viel Spaß, ihr beiden." Er zwinkerte uns zu, dann ging er, während Celvin im Waffenzelt verschwand. Ich genoss das Gefühl des Triumphes. Als Celvin mit zwei Bögen und Köchern zurückkam, grinste ich ihn an. "Was sagtest du neulich noch mal über meine Kampfkünste?" Celvin grinste zurück und gab mir einen der Bögen und Köcher. "Ich nehme alles zurück. Also, wollen wir dem Wild mal zeigen, wo der Hammer hängt!" er lief in den Wald. Ich lächelte selig, dann rannte ich hinterher.

Kapitel 3

Ich legte den Pfeil an und zielte auf einen hakenschlagenden Fellball. Ich atmete langsam aus und ließ dann die Sehne los. Der Pfeil sirrte durch die Luft und schlug in das Kaninchen ein. Celvin zog anerkennend die Augenbrauen hoch und holte das Tier. Er gab mir den Pfeil. „Respekt.“ Ich lächelte ihn an und sah in seine Ozeanblauen Augen. Luca erwiderte den Blick und setzte einen schuldbewussten Blick auf. „Entschuldige wegen neulich. Ich bin mir sicher, dass ein Wolf dich erwählen wird.“ Ich schüttelte nur den Kopf. „Da warst du nicht der einzige. „ ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht, als Luca mich fragend ansah. Ich erklärte ihm die Situation von heute morgen. „Du hast…“ Celvin lachte leise. Ich hielt ihm eine Hand vor dem Mund. „Du verscheuchst noch das ganze Wild.“ Er nickte, immer noch breit grinsend. „Gut. Weiter geht’s.“ ich hing mir das Kaninchen an den Gürtel und wir folgten der Spur eines Rehes.

Ich lugte hinter dem Baum hervor. Celvin spannte seine Bogensehne. Da schreckte das Reh hoch und lauschte kurz, dann floh es von der Lichtung. Auch wir sahen nun Richtung Westen. Ich hörte bereits synchrone und schwere Schritte, begleitet von Waffenklirren. Ich riss die Augen auf. Soldaten! Sie würden gleich hier sein! Ich blieb stehen und presste mich gegen den Baum, starr vor Angst. Die Schritte kamen näher, in meinem Kopf hämmerten uralte Erinnerungen auf mich ein: Meine Mutter, die mich an sich drückte, die ihren Dolch in einem Soldaten versenkte, brennende Häuser. Ich keuchte unter der Flut an schrecklichen Bildern in meinem Kopf. Kurz darauf rief einer der Männer: „Dahinten!“ Ein paar rasend schnelle Herzschläge später war die Lichtung voller Soldaten. Ich war immer noch hinter dem Baum versteckt und mein Verstand setzte aus, ich hatte nur noch erstickende Angst. Da schrieen plötzlich mehrere Soldaten auf und andere stampften von mir weg. Dann hörte ich eine vertraute Stimme. Ich schreckte herum und sah, wie Celvin mit Messer und Bogen die Soldaten um ihn herum niedermetzelte. Ich konnte mich nicht bewegen und musste mit ansehen, wie ein Soldat ihm einen Schlag auf den Kopf verpasste und Luca zu Boden sank. Er wurde davongetragen und Sekunden später war die Lichtung verlassen. Ich stand immer noch da und konnte nicht realisieren was da passiert war. Erst jetzt verstand ich: Celvin war entführt worden. Und ich hatte tatenlos zugesehen. Mir war klar, ich sollte jetzt zum Lager zurück rennen und die Nachricht verbreiten, damit die Soldaten verfolgt und überwältigt werden konnten. Aber wenn Mindos mich bestrafen, töten oder sonst was würde?
Ich schluckte, dann rannte ich in Richtung Osten los. Das war das einzige was ich für Celvin tun konnte: Hilfe holen.


“Lass mich rein, verflucht!“, schrie ich den Wächter an, der vor Mindos Zelt stand und sich weigerte, mich eintreten zu lassen. In diesem Moment schwang die Zelttür auf und Mindos stand vor mir. „Gibt es ein Problem?“

Ich nickte. „Ein gewaltiges Problem.“ Er ließ mich hinein und ich erklärte ihm hastig die Situation. Lange Stille folgte. Dann hob er die Hand. Ich biss Zähne zusammen. Seine Hand holte aus und versetzte mir eine schallende Ohrfeige, die mich fast von den Füßen hob. Ich stolperte zurück, blieb aber still. Meine gesamte linke Gesichtshälfte brannte aber es geschah mir recht. Mindos ging hin und her. „Wohin sind sie gegangen?“ fragte er barsch. „Westen.“, antwortete ich mit zittriger Stimme. Mindos wandte sich wieder mir zu, ging auf mich zu und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Wir können keinen Krieger entbehren. Du suchst ihn. Und versuchst, ihn zu retten. Du wirst nicht ohne ihn wiederkommen.“

Ich wich zurück, meine Augen weit aufgerissen. Ich würde das nicht schaffen. Keiner würde das. Und Mindos wusste es. Er schickte mich mit einem Lächeln in den Tod.

Kapitel 4

Ich schob die Zelttür beiseite und trat ein. „Ihr habt mich rufen lassen.“ Sagte ich zu Siggi, unserem Waffenmeister. „Das ist richtig.“ Er sah von seinem Buch auf. „Du sollst nicht unbewaffnet losziehen.“ Er stand auf und ging zu einem kleinen, tuchumwickeltem Paket und überreichte es mir. Neugierig legte ich es auf den kleinen Tisch in der Mitte des Zeltes und rollte es aus. Mit großen Augen sah ich auf die Waffen: Je ein Bogen, Köcher und ein Schwert in einer roten Lederscheide, außerdem ein Jagdmesser kamen zum Vorschein. „Das alles… ist für mich?“ ich sah fassungslos zu Siggi, der nur lächelnd nickte. Ich nahm zuerst den Bogen und sah ihn mir genauer an. Er war aus rötlichem Kirschholz und war am Griff mit schwarzem Leder umwickelt. Insgesamt war er sehr kostbar, genau wie das Schwert, das ich durch den Bogen austauschte. Ich zog es aus der Scheide und eine Onyxschwarzem, leicht gebogene Klinge kam zum Vorschein. Ich strich über das rote Heft und die Klinge entlang. Direkt unter dem Griff waren Rubine eingearbeitet. Wie konnte er sich das leisten? Ich griff nach dem schwarzen Köcher und zog einen Pfeil heraus: Schwarz mit rot gefärbten Federn. Das Jagdmesser war etwas einfacher: Ein gebogenes, etwa eine Handspanne langes Messer. „Ich kann das nicht annehmen, die Waffen waren bestimmt sehr teuer-“

Doch ich wurde von ihm unterbrochen. „Sie haben meinem Vater gehört. Auf seinem Sterbebett überreichte er sie mir mit den Worten >Du wirst ihre Bestimmung finden. <

Verstehst du? Er hat gewusst, dass ich sie irgendwann jemandem geben werde, der sie dringend brauchen wird. Nimm sie.“ Ich sah ihn einen Moment an, dann nickte ich. „Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.“ Er schüttelte nur den Kopf. "Brauchst du nicht." Dann entließ er mich. Ich nahm das Bündel Waffen und ging nach außen, wo ich nach zwei Schritten gegen einen Jungen rannte. Ich stolperte erschrocken zurück. Das war der, den ich geschlagen hatte! „Wir werden ja sehen, ob du zurückkommst.“ Sagte er gehässig. Ich schluckte, dann rannte ich zu meinem Zelt. Innen atmete ich tief durch, dann packte ich meine Sachen in eine große Reisetasche. Mit jedem meiner wenigen Habseligkeiten packte ich ein Stück Heimat ein: Ein Trinkhorn und einen Lederbeutel, beides von Tamara, ein Schneckenfossil, das ich im Fluss gefunden hatte, und die wenigen Kleidungsstücke. Mehr würde ich nicht brauchen. Ich untersuchte noch einmal das ganze Zelt. Dann stieß ich auf einen kleinen Beutel. Ich leerte ihn aus und fand meine erste Kleidung: Das gestrickte Kleid und den ebenso winzigen Kapuzenumhang. Darin hatten mich die Wolfskrieger gefunden. Ich strich über die kleinen, dornförmigen Halbedelsteine, die als Knöpfe des Umhangs fungierten. Kurzerhand schnitt ich sie ab und steckte sie in die Tasche. Mehr fand ich nicht, dass ich mitnehmen konnte. Ich ließ die Tasche da und ging zurück ins Lager. Es war bereits früher Abend und es wurde bereits kalt. Ich ging von Zelt zu Zelt, zuerst kam das Küchenzelt dran, wo ich mir getrocknetes Fleisch, Brot und eine gefüllte Wasserflasche mitnahm. Dann ging ich zu Tamara. In ihrem Zelt umarmte sie mich lange und erklärte mir, ich würde das schaffen und so weiter. Naja, ich glaubte das ja nicht. Sie überreichte mir noch verschiedene Reise- und Heilkräuter, Salben und Verbandstücher. „Ich hab noch was für dich.“ Tamara hielt mir ein Schwarzes Bündel hin. Ich entrollte es und ein langer Kapuzenumhang kam zum Vorschein. „Danke“ wisperte ich. Tamara strich mir wortlos über den Arm. „Du weißt, welche Beeren, Pilze und Pflanzen giftig sind. Du weißt, wie man jagt. Du weißt im Grunde auch, wie man tötet. Also wirst du das schaffen.“ Sie lächelte leicht. Da war nur ein Problem: Ich war zu schwach, um zu töten.

 

Ich rollte mich unruhig herum. Ich konnte nicht mehr schlafen. Den Schlaftrunk von gestern hatte ich schon aufgebraucht, sonst hätte ich nie zur Ruhe gefunden. Also stand ich auf und zog mir meine Reisekleidung an: Eine einfache Hose und Hemdl, weiche Lederstiefel mit fester Sohle und den Umhang von Tamara natürlich. Ich knöpfte die Brosche zu und legte mir Arm- und Beinschienen und Gürtel an, an den ich die Schlaufe meiner Schwertscheide und den Dolch meiner Mutter band. Zu guter letzt band ich mir noch das Jagdmesser ans Bein. Ich kämmte mir die Haare und flocht sie zu einem einfachen Zopf. Bogen und Köcher ließ ich noch im Zelt, dann ging ich nach draußen. Es war noch dunkel und nur ein leichter Schimmer am Horizont ließ vermuten wann die Sonne aufgehen würde. Noch stand der Mond hell und klar am Himmel. Ich schluckte. In etwa vier Nächten würde er voll sein und wenn ich nicht den selbstmörderischen Versuch unternehmen würde, Luca zu suchen, würde ich bald auf der Lichtung stehen, an der Wolf und Mensch sich vereinen. Ich seufzte wehmütig, dann ging ich ins Lager zum Küchenzelt. Noch war keiner zu sehen, nur die leuchtenden Augen einiger Wölfe sagten mir, dass ich nicht allein war. Ich ging ins Küchenzelt und machte mir ein Brot. Als ich bereits beim dritten war, beschloss ich, nicht noch mehr in mich reinzustopfen, als ich eigentlich nötig hatte. Mir war kalt, trotz des Umhangs und so schürte ich das Lagerfeuer wieder an. Als ich mir die Hände am lodernden Feuer wärmte, trat ein riesiger, weißer Wolf neben mich und setzte sich. Der Wolf von Mindos sah mich an und seine Stimme dröhnte mir in meinem Geist. Die Wölfe konnten nur gedanklich mit uns kommunizieren. "Was sollte dich davon abhalten, die Suche nach dem Prinzen zu lassen? Warum läufst du nicht einfach davon und machst dir ein schönes Leben?" mit dieser Frage las er meine Gedanken. Seufzend murmelte ich: "Ich weiß es nicht. Ich glaube... Ich glaube ich will einfach nur  Celvin retten. Auch wenn das Selbstmord ist." Er sah ins Feuer. "Wer sagt, dass du dabei sterben wirst? Wenn man es wirklich will, dann kann man alles schaffen." Er stand auf und verschwand wieder in den Schatten. Ich seufzte wieder und legte den Kopf auf die Knie. Er hatte ja Recht.

Ich holte die Tasche mitsamt Bogen und Köcher. Es war soweit. Draußen wartete fast der gesamte Stamm. Ich schulterte die Tasche und ging hinaus. Alles war still. Ich trat zu Mindos und seinem Wolf und verneigte mich. "Ich werde euren Sohn finden." sagte ich, an Mindos gewandt. "Und ich werde nicht wiederkehren, ehe ich ihn befreit habe." diese Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Mindos nickte. "Geh." seine Worte waren kalt wie Eis. Auf dem Absatz drehte ich mich um und ging Richtung Westen. Wenn ich mich noch von irgendjemandem verabschiedete, würden die Tränen im Kampf gegen meinen Stolz siegen. So ging ich nun, die aufgehende Sonne im Rücken, und wanderte meinem Tod endgegen. Vielleicht aber auch meinem Sieg.

Kapitel 5

Ich biss im Gehen in das Pökelfleisch während mir in den Kopf kam, dass es bisher eigentlich gut gelaufen war: Die verschiedenen Horrorszenarien, Bärenangriffe, Soldaten, Schluchten und so weiter und so fort, waren keine Wirklichkeit geworden, wenigstens für den ersten Tag. Ich sah zur Sonne, die mir verriet, dass es ungefähr Mittag war. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich die drei vermummten Gestalten erst wahrnahm als sie wenige Schritte vor mir standen. Ich wich instinktv zurück, während sie näherkamen. Ihre Gesichter waren von einer dunklen Kapuze verdeckt und der mittlere sagte mit tiefer, klarer Stimme: "Sei gegrüßt, junge Wanderin. Willst du uns armen, alten Männern nichts von deinem Fleisch abgeben?" Ich stieß mit dem Rücken an einen Baum. "Hey, nicht so schüchtern.", brachte ein anderer die Männer zum Lachen. "Lasst mich in Ruhe!", rief ich kleinlaut, aber sie lachten nur lauter und kamen schnell näher. Da ergriff ich die Flucht, drehte mich um den Baum herum und lief los. Die Männer rannten mir nach und ich wagte einen Blick zurück: Durch das Rennen waren die Kapuzen zurückgeweht worden. Sie waren keineswegs alt: Alle drei hatten junge Gesichter und waren sehr Muskulös. Dann passierte es: Ich stolperte und stieß mit dem Kopf hart gegen einen kleinen Felsen.  Ich sah kurz schwarz und als ich wieder scharf sehen konnte, waren die Räuber schon über mich hergefallen. Sie nahmen meinen Mantel, meinen Wasserkrug und sämtliche Nahrung, während einer von ihnen mich am Boden festnagelte. Das letzte was ich sah, war eine Faust, die sich auf mein Gesicht niedersenkte.

 

 

Ich blinzelte und richtete mich unter Schmerzen auf. Stöhnend fasste ich mir an den Kopf und sah Blut an meiner Hand. Langsam kam die Erinnerung wieder. Ich besaß keine Nahrungsmittel mehr, keine Lebensgrundlage. Verdammt. Ich stand auf und taumelte. Erst nach ein paar Minuten konnte ich wieder klar sehen und die Karte aus dem Rucksack holen. Ich hatte zum Glück meine bisherige Route eingezeichnet und wusste, wo ich mich befand. Ein Dorf oder eine Stadt war meine letzte Hoffnung und das nächste war Tanis. Ich schulterte Rucksack und ging leicht hinkend los, während ich den Moment verfluchte, als ich zugestimmt hatte, mit Celvin auf die Jagd zu gehen.

 

 

Kapitel 6

Ich schnitt die kleinen Pilze aus dem Boden, erleichtert über die magere Beute. Wenigstens etwas zwischen den Zähnen. Gierig biss ich hinein- und spuckte sie sofort wieder aus, als ich die Maden im Hut sah. Angewidert spuckte ich aus. Hatten mir doch tatsächlich dumme Maden das einzig Einzig Essbare (mal abgesehen von kleinen Kräutern, von denen zu dieser Zeit erst wenige wuchsen) verdorben, das ich seit dem Überfall gesehen hatte. Wütend ging ich den Hang hinab. Zwei Tage waren seitdem vergangen und ich war mir sicher, dass Tarya nicht mehr weit sein konnte. Also humpelte ich weiter. Mein Gesundheitszustand war nicht gerade der Beste: Mein Bein war immer noch nicht besser geworden und die Prellungen am ganzen Körper schmerzten bei jeder Bewegung. Beides Zusammen machte die Jagd zu einem Ding des Unmöglichen, da ich den Bogen nicht mal ruhig halten könnte, selbst wenn das Wild meine vom Humpeln laute Schritte nicht gehört hatte. Leise vor mich hin fluchend hielt ich auf Norden zu während ich mich selbst zur Hölle schickte. Wäre dies nicht, wäre das nicht, hätte das nicht passieren können, woraus folgen würde, dass ich jetzt verdammt nochmal nicht in dieser Situation wäre! Zähneknirschend suchte ich den Horizont nach irgendwelchen Zeichen von Leben ab. Als ich nach einer weiteren Stunde Marsch den nächsten Hang hinunterging, war ich im ersten Moment erleichtert, aber dann runzelte ich die Stirn. Was war denn da passiert? Die Häuser waren alle verlassen und manche eingefallen und verkohlt. Von oben sah ich nichts näheres, also schlich ich vorsichtig hinunter und durch die Gassen. Ich sah die Häuser hinauf, von denen manche mit bunten Glasscherben, die in die Fenster eingearbeitet waren, geschmückt waren. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor, obwohl davon allerdings nicht mehr allzu viel zu sehen war, da schon das meiste Glas auf dem Boden lag. Ich keuchte und schrak zurück. Unter dem Gesprungenen Fenster lag etwas weiß-gräulich geblichenes. Ein Skelett. Ich rante die Gasse weiter und atmete erleichtert aus, als ich rückwärts vor der engen Straße zurückwich. Doch als ich mich zum großen Platz in der Mitte des Dorfes umdrehte, stockte mein Herz bei dem Anblick der sich mir bot: Ein Fahnenmast ragte in den Himmel, an dem eine Wettergegerbte, alte Flagge des Königs hing. Darunter lag ein riesiger Knochenhaufen. Ich sah mich hecktisch um, obwohl ich wusste, dass hier schon eine lange Zeit vergangen war, seitdem diese Leute gestorben waren. Ich hatte mittlerweile eine Mordswut auf unseren tollen König. Er hatte all diese  all diese Leute vor geschätzten fünfzehn Jahren umbringen lassen- warum? Wie es aussah, hatte er keinen verschont. Nicht einmal Babys. Ich schluckte, kniff die Augen zusammen um die Leichen auszublenden und überlegte. Hier war nichts mehr zu besorgen. Die ganze Gegend war verlassen, das nächste Dorf war wahrscheinlich meilenweit weg. Da kam mir ein schrecklicher Gedanke: Da ich nicht jagen konnte, bis mein Bein besser geworden war, konnte ich nichts zu essen besorgen, bis es heilte. Selbst wenn ich rechtzeitig wieder in der Lage wäre zu jagen, ich wäre schon so schwach vor Hunger, dass ich den Bogen nicht mal gerade halten konnte. Und der Nahrungsmittel würde mich soweit schwächen, dass ich es nicht zum nächsten Dorf schaffen würde. Verzweifelt fuhr ich mir durch die zerzausten Haare. Verdammt. "Verdammt!" Schrie ich in den Himmel hinauf. Dann hielt ich inne. Hatte ich gerade nicht ein Geräusch gehört? Doch, leise Schritte... ich wirbelte herum und zog gleichzeitig mein Schwert. Ein paar Schritte weiter stand ein Mann, sehr einfach gekleidet, der ein leicht gebogenes Kurzschwert in der Hand hielt. Der Wind wehte den Vorhang aus Schulterlangem, schwarzem Haar zur Seite und gab ein Junges Gesicht frei. "Was willst du hier?", knurrte er. "Was geht dich das an?", antwortete ich bissig. "Sehr viel. Bist du im Auftrag des Königs hier?" Ich überlegte kurz. Wenn er ein Feind des Herrschers war, hätte ich vielleicht einen Verbündeten. Er war auf keinen Fall ein Soldat, die trugen alle eine Uniform. "Und du?", gab ich zurück. Mein Gegenüber senkte das Schwert. "Nein." Ich lächelte erleichtert. Meine Überlebens-chancen waren soeben von 0 auf 50% gestiegen. "Ich auch nicht." ich steckte das Schwert noch nicht zurück. "Aber auf dem Weg zu ihm." Der Mann lachte. "Allein? Du kannst nicht einmal dein Bein stark belasten." Er hatte Recht, mein gesamtes Gewicht lagerte auf dem rechten Bein. Ich steckte das Schwert wieder ein. "Ich weiß", fauchte ich. Musste er denn unbedingt noch darauf herum treten? Aber dann seufzte ich. Ich wollte ihn als Verbündeten, also sollte ich freundlich sein. "Weshalb bist Du hier?" Der Mann sah sich um und zeigte dann auf eines der Häuser, das noch intakt war. Ich folgte ihm hinkend hinein und setzte mich neben ihn auf den kalten Holzboden des Hauses, in dem ich vorsichtshalber nicht genau in die Ecken sah. "Ich bin Gace." Er reichte mir lächelnd die Hand, die ich drückte. "Ewayne. Wir können uns bei Schwur darauf verlassen, dass das hier geheim bleibt?" Gace grinste. "Immer doch. Fang du an, du siehst nicht gerade aus, als wäre dir die letzten Tage langweilig gewesen.“ Ich seufzte. Allerdings nicht. Also fing ich an, ihm meine Geschichte zu erzählen, angefangen bei dem Jagdnachmittag mit Celvin. Als ich fertig war mit Erzählen brummte er: „Nicht schlecht für eine… Sechzehnjährige?“ „Siebzehn.“, verbesserte ich ihn und gab zurück: „Du siehst aber auch nicht aus wie der Älteste.“ Gace erwiderte lächelnd: „Achtzehn. Also, willst du dir wirklich meine Lebensgeschichte antun?“ Ich nickte gespannt. Irgendwie hatte dieser Typ innerhalb von wenigen Minuten mein Vertrauen gewonnen. Er war in Ordnung.

„Also gut, meine Mutter war Zofe auf Lacroits Hof -“ „Lacroit?“, unterbrach ich ihn. „Wer ist das?“

Gace starrte mich mit offenem Mund an. „Das sollte ein Scherz sein, nicht wahr?“ Ich runzelte die Stirn. "...Nein, warum? Sollte ich ihn kennen?" Er räusperte sich vernehmlich. "Ja. Lacroit. Ist unser König." "Oh. Okay, dann weiß ich bescheid." ich lachte kurz, ließ das aber schnell sein, weil dadurch meine blauen flecken zu sehr beansprucht wurden. Gace fuhr fort: "Jedenfalls, sie hat mich dort erstmal ohne Probleme aufgezogen. Doch als ich zwölf war, brauchte Lacroit Nachwuchssoldaten. Meine Mutter aber wollte mich nicht hergeben. Sie hat sich gegen seine Schwergen gewehrt, hat versucht, mich aus der Festung zu bringen. Sie brachte einen Wachsoldaten dazu, mich heraus zu schmuggeln. Ich bin entkommen, habe mich mithilfe von Betteln und Stehlen über Wasser gehalten. Schließlich lernte ich aus einem Buch, das ich mir erspart hatte, mich von den Pflanzen zu ernähren und brachte mir dann auch das Jagen bei. Jetzt bin ich alt genug, um endlcih etwas tun zu können." Er hob das kinn. 

Ich schwieg kurz. Seine Vergangenheit war viel schlimmer, als meine es war und plötzlich war ich sogar dankbar dafür, dass mich aus dem Stamm die meisten gepiesackt hatten. Immerhin hatte ich immer ein Zu Hause gehabt. "Vor sechs Jahren also hat er Soldaten gebraucht... zur selben zeit gab es wieder häufiger Suchaktionen der Armee auf unser Lager." Er sagte also eindeutig die Wahrheit. Noch ein Punkt mehr, warum ich ihm vertrauen konnte."Was ist mit deiner Mutter passiert?", fragte ich vorsichtig. Gace murmelte mit ausdruckslosem Gesicht, er wisse es nicht. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus, das jedoch bald von ihm gebrochen wurde: "Also, du kennst meine Vergangenheit. Ich bin neugierig auf die deine." Er sah mich mit ehrlichem Interesse an. "Gut... Als ich noch ein kleines Baby war, wurde mein Geburtsdorf vom Militär angegriffen und ausgeraubt. Meine Mutter wollte mich schützen und legte mich in den Wald, in der Hoffnung, die Wolfskrieger würden mich finden. Und das taten sie. Ich wuchs in ihrem Lager auf und wurde ausgebildet. Vor einigen Tagen ging ich mit dem Sohn unseres Anführers jagen. Die Soldaten waren auf der Suche nach dem Lager und Celvin wollte es verteidigen. Ich konnte nichts tun." ich schluckte, als erneut Schuldgefühle aufkamen. Gace sah mich aufmunternd an und ich sprach leise weiter: "Er wurde entführt. Mindos, der eben genannte Anführer, schickte mich los, um ihn zu finden und zu befreien." Gace sah mich forschend an. "Du bist also eine Wolfskriegerin?" ich schüttelte den Kopf. "Noch nicht. Und wie es aussieht, werde ich meine Mission nicht überleben also..." Gace zog eine Augenbraue hoch. "Alleine nicht. Wenn wir uns zusammmentun, dann wage ich, das zu bezweifeln." ich brauchte nicht lange zu überlgegen. Wenn ich nicht gemeinsame Sache mit ihm machte, würde ich verhungern. "War das ein Angebot?" Gace nickte grinsend. "Sieht ganz so aus."

Kapitel 7

Graue Schatten der Bäume fielen auf das vernarbte Gesicht des zähnefletschenden Wolfes. Er würde nicht gehen. Ein junger, schwarzer Wolf knurrte ihn warnend an. Seine muskulöse Statur ließ den alten, mit Narben übersäten Rüden gebrechlich wirken, doch er stellte nur das Nackenfell weiter auf. Das war genug. Hinter dem jungen, dem Leitwolf des Rudels sprangen weitere, sehnige Jungwölfe hervor und bissen nach seiner seite und seinen Beinen. Doch der alte hatte viel Erfahrung gesammelt und zuckte zurück. Wenn er sich gegen sie auflehnen würde, würden sie ihn nie ins Rudel aufnehmen. Doch sie versuchten weiter, ihn zu fassen und schließlich zog der alte die Rute ein und sprintete davon. Das triumphierende Geheul des Rudels verfolgte ihn noch viele Meilen, während er unter dem fast vollen Mond über die Moore hetzte. 

Kapitel 8

Angewidert ging ich um die Leiche herum und schluckte. Mir war schlecht. Schon das dritte Haus, das wir -vergeblich- nach Nützlichem durchsuchten. Gace drehte sich zu mir um. "Du siehst so aus wie einer von ihnen.", neckte er mich mit einem Seitenblick auf den Toten. "Haha. Ich lach mich gleich tot." Ich schob mich an ihm vorbei und ging den Gang entlang. Ein einst schöner, nun jedoch verblasster Teppich zierte den Holzboden und an der Wand stand eine Kommode, deren Schubladen herausgerissen waren. Am Ende des Ganges war nur eine Tür. Als ich sie vorsichtig öffnete, in Erwartung weiterer Toten , atmete ich auf. Eine Küche ohne Leichen. Ich ging hinein und sah in die Regale, während Gace die Schränke durchsuchte. "Hey, sieh mal..." Er hielt mir eine kleine Tube hin, auf der in geschwungener Schrift `Wundsalbe` stand. Meine Miene hellte sich auf und ich griff danach. Schnell schraubte ich sie auf und roch daran. Augenblicklich hielt ich sie so weit wie möglich von mir weg. "Poh." Ich rümpfte die Nase. "War das Absicht?" ich legte die ranzige Salbe schnell weg und sah ihn vorwurfsvoll an. "Nein." Gace erwiderte den Blick ernst. "Nein." und blickte wieder in den Schrank. Ich seufzte lautlos und durchsuchte wieder die Regale. Zerbrochenes Geschirr, eine Brotdose... und eine einfache Puppe. Langsam nahm ich sie und strich über das Handbemalte Gesicht. Die mit Heu ausgestopfte Puppe hatte ein rosanes Kleidchen an und angemalte Sandalen. Die aus Wolle bestehenden Haare waren zu kleinen Zöpfen gebunden und der abgewetzte Stoff deutete auf häufigen Gebrauch hin. Das Kind, das einst damit gespielt hatte war tot. Ich setzte die Puppe zurück und befeuchtete meine ausgetrockneten Lippen. "Ich denke nicht, dass wir hier noch was finden." Ich war nicht wirklich erpicht darauf, die Kinderleiche zu finden. Gace folgte meinen Blick zur Puppe und nickte. "Ja. Gehen wir runter." Er hielt die knarzende Holztür auf und ich ging hinaus. Als ich durch das Haus ging, konnte ich fast das Gelächter eines Kindes hören, das von der Mutter ermahnt wurde, der Geruch frischen Essens, das Geräusch eines brutzelnden Bratens. All das war einmal Wirklichkeit gewesen- bis Lacroit es zerstört hatte. Ich musste wieder an Celvin denken und seufzte leise. Wieder ermahnte ich mich, tapfer zu sein und straffte mich. Zielstrebig ging ich zu der Gasse, die Gace und ich gestern noch freigeräumt und ein kleines Lager errichtet hatten. Dort angekommen ließ ich mich erschöpft auf die Decken sinken. "Mein Bein hat für heute genug." ich streckte es vorsichtig aus. Gace warf ihr einen Blick zu. "Hm. Traust du dich, hier allein zu bleiben, während ich die Fallen überprüfe?" Ich sah ihn an und ich stellte scharf klar: "Natürlich. Geh. Das heißt, wenn du dich traust, allein auf die Felder hinauszugehen." Betont ruhig wanderte mein Blick über die Holzzscheite, die wir an der Wand gestapelt hatten. "Ist klar." Gace prüfte seine Waffen und richtete sich dann auf. "Es kann eine Weile dauern, bis ich zurückkomme. Ich habe die Fallen gestern noch sehr weit gelegt." Ich nickte nur und setzte mich zurecht, während Gace aus dem Dorf ging. Kaum war er weg, zückte ich das Schwert und legte es sicherheitshalber neben mich. Auf meinen Wunsch hin hatte Gace die Leichen aus dieser Gasse geräumt, wobei er so getan hatte, als würde ihm das nichts ausmachen. Doch ich war nicht blind, auch er hatte das Gefühl, die Blicke aus den leeren Augenhölen würden ihm folgen. Ich hatte in einigen seltenen Augenblicken die Angst in seinen Zügen gesehen. Ich atmete tief ein und aus. Wenn ich schon jetzt so geschafft war, wie sollte das weitergehen? Sicherlich würden wir in nächster Zeit noch an einigen ausgeraubten Dörfern vorbeikommen. Sofort stieg wieder Hass auf Lacroit in mir auf. Wenn er nicht wäre, würde ich jetzt sicher im Lager sitzen. Wenn er nicht wäre, würden all diese Menschen nicht den Tod gefunden haben. Wenn er nicht wäre, wäre Celvin nicht tot. Mittlerweile war ich mir fast sicher: Celvin hatte nicht überlebt. Eher wäre er gestorben, als Informationen über die Wolfskrieger zu verraten. Andererseits: Wahrscheinlicher wäre es, wenn Lacroit ihn als Geißel benutzte. Schließlich war Celvin eine Art Prinz. Und Lacroit versuchte schon lange, Mindos dazu zu bewegen, sich mitsamt dem Stamm dem Militär anzuschließen - und er hatte es schon längst aufgegeben, das friedlich zu tun. Es war auch klar, warum Lacroit so hartknäckig dieses Ziel anstrebte: Er wusste um die Macht des Paktes mit den Wölfen und verstand nicht, warum ihm diese Ehre nicht zuteil war. Diese Frage konnte ihm allerdings jeder Wolfskrieger ganz einfach beantworten: Weil nur diejenigen, die reinen Herzens waren und nicht nur auf Macht aus waren, das verdienten. Und nicht nur wir leideten unter seiner Schreckensherrschaft, sondern auch das gesamte niedere Volk. Denn die Truppen , die ständig unser Lager suchten, kosteten ihn einiges und deshalb wurden oft kleinere Dörfer ausgeraubt. Wie dieses. Ich ließ den Blick über die Häuserruinen schweifen und Schauder liefen mir über den Rücken. Ich schloss die Augen und eine leise Melodie erklang in meinem Ohr: Zarte Töne, die von Freude erzählten, die weit entfernt schienen und versteckte Hinweise auf die allgegenwärtige Trauer. Meine Mutter hatte mir dieses Lied oft vorgesungen... Ich runzelte die Stirn und riss Augen auf. Sang hier wirklich jemand? Und tatsächlich: Eine alte, raue Stimme summte leise die Melodie des Liedes. Ich rappelte mich eilig auf und ignorierte die Schmerzen, die von meinem Bein hinaufstachen. Ich griff nach meinem Schwert und humpelte, angespannt wie eine Bogensehne, der Stimme hinterher, die mich durch die Gassen lotste. Hier waren wir noch nicht gewesen. Ich blickte zu dem Haus hinauf, vor dem ich stand. Es hob sich nicht von den anderen ab, aber der Schein einer Kerze erfüllte das oberste Fenster. Ich nahm all meinen Mut zusammen und blickte noch einmal hinauf zum Himmel, der in der Dämmerung rotgolden schimmerte, und öffnete so leise wie möglich die Tür.

Kapitel 9

Vorsichtig trat ich in die Diele und zuerst fiel mir der Geruch nach frischem Brot auf, der meinen Bauch verräterisch knurren ließ. Seit gefühlten Ewigkeiten hatte ich nichts mehr gegessen, anderes war so viel wichtiger gewesen. Wahrscheinlich würde ich nicht einmal durch die Hand eines Soldaten sterben, sondern weil ich schlicht und einfach keine Zeit zum Essen gehabt hatte. Angespannt hielt ich inne und wagte nicht, zu atmen. Doch kein Geräusch durchdrang die gespenstische Stille. So leise mein verletztes Bein es zuließ ging ich den engen Gang entlang und stieg mit zusammengebissenen Zähnen über kleine Knochen, glücklicherweise anscheinend nicht von einem Menschen. Die Türen auf beiden Seiten standen einen Spaltbreit offen und die Zimmer dahinter waren stockdunkel. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und mein Herz hämmerte vor Angst laut gegen meine Brust, als ich die schmale Treppe hinauf trat, die zum zweiten Geschoss führte. Das Schwert in meiner Hand zitterte, als ich auf der Hälfte der Stufen den Kopf hob und mit angehaltenem Atem in den großen Raum spähte. Das Licht des Kerzenstummels erhellte nur einen kleinen Bereich um den Holztisch herum- auch die in einen langen schwarzen Mantel gehüllte Person, die mir, über etwas gebeugt, den Rücken zugewandt hatte. "Was wollen du und dein Freund?“, krächzte die Person - eindeutig eine Frau. Für einen Moment rutschte mir das Herz in die Hose, dann holte ich zittrig Luft und fragte zurück: "Was macht ihr hier? Das Militär..." "Ha! Ihr seid also eine von denen, die meine Tochter mitgenommen haben?" Reiner, tiefgründiger Hass sprach aus der Stimme und langsam richtete die Frau sich auf und drehte sich zu mir um. Ich blickte in ein vom Alter gezeichneten Gesicht, das von Pechschwarzem, grau meliertem Haar umrahmt war. "Nein, im Gegenteil", sagte ich rasch und fasste Hoffnung. "Das kann jeder sagen! Was wollt ihr!“, fauchte sie feindselig. "Wir sind auf der Durchreise"  Sie hob kühn das Kinn. "Achja? Und wozu die Waffen? Und warum haltet ihr euch in diesem Dorf auf und spioniert hier rum, wenn ihr nur auf der Durchreise seid?" Ich knabberte an meiner Unterlippe. Verflucht, ich würde sie nicht anlügen können. Als ich gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, zuckte ihr Blick zum Dolch meiner Mutter, der wie gewohnt an meinem Gürtel hing. Ihr Blick nahm einen seltsamen Ausdruck an und ich schloss meinen Mund wieder. "Du lügst! Du hast Madleine umgebracht!“, kreischte sie und ihre zittrige Hand deutete auf den Dolch. Ich riss die Augen auf. Die Alte kam einen Schritt auf mich zu und ich wich an die Wand zurück. "Ich habe niemanden umgebracht! Der Dolch gehört mir" Angst spiegelte sich in meinen Augen, das Schwert rutschte mir fast aus der schweißnassen Hand. "Tut er nicht!" Die Stimme der Frau überschlug sich fast und sie trat noch einen Schritt näher, war nur noch zwei Meter entfernt. "Ich habe ihn Madleine geschenkt, er ist einzigartig" Tränen traten in ihre Augen. Ich hob die unbewaffnete Hand abwehrend. "Meine Mutter hat ihn mir vermacht, ich habe diese Madleine nicht getötet!“ Mein Rücken berührte die Wand. Die dürre Frau stand so dicht vor mir, dass ich ihren fauligen Atem wahrnahm. Ich hielt die Luft an, während sie mich mit zusammengekniffenen Augen musterte. „Wer bist du?“, fragte sie langsam. Lügen hatten keinen Zweck. „Ich bin Ewayne und im Stamm der Wölfe aufgewachsen.“ „Wer waren deine Eltern“, fragte sie weiter. „Ich war ein Jahr alt, als meine Mutter mich im Wald abgelegt hat, ich kann mich an keine Namen- “ „Warum hat sie dich ausgesetzt“ Ihre Stimme wurde kaum wahrnehmbar weicher. „Unser Dorf wurde von Soldaten überfallen und sie sah keine andere Möglichkeit, nehme ich an“ meine Stimme war kalt. Oder ich war die Mühe nicht wert gewesen. Das war aber auch nicht anders geworden als ich im Stamm war. Ich war es nur wert, auf ein Himmelfahrtskommando geschickt zu werden.  Die Alte streckte eine faltige Hand aus und strich mir die braunen Haarfransen aus dem Gesicht. Sie starrte in meine Augen. Plötzlich trat sie einen Schritt zurück und hauchte: „Du bist es…“ Vollends verwirrt löste ich mich langsam von der Wand. „Wer bin ich?“ „Du. Bist Madleines Tochter. Du hast ihre Augen…“ Sie sah mich mit einem seltsamen Ausdruck an, in dem seltsamerweise ein Quäntchen Fürsorge steckte. Ich konnte mich nicht rühren, verarbeitete, dass diese Frau meine Mutter gekannt hatte. Vielleicht kannte sie sie immer noch! „WO ist sie?“, fragte ich hastig. Die Frau schwieg und ihr Blick wanderte aus dem Fenster. „Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit ich aus dem Dorf gezogen bin. Ich habe nur von dem Überfall gehört.“ Meine Schultern sanken und ich fragte zittrig: „Weißt du, ob sie-“ „Nein.“, fiel sie mir ins Wort. „Ich habe keine Ahnung, ob meine Tochter noch lebt.“ Ich riss die Augen auf und starrte die alte Frau an. „Du bist meine… Großmutter?“ Langsam kam ich mir vor wie in einem schlechten Buch. „Nenn mich Elizabeth, Enkelin.“

Ich rührte stumm in meinem Tee herum. Meine Großmutter und ich saßen am kleinen Tisch neben dem Fenster, nachdem sie mich zum Teetrinken eingeladen hatte. „Wie war sie so… meine Mutter? Wie sah sie aus?“ Ein ernster Gesichtsausdruck trat in Elisabeths Augen. „Sie hat dieselben blauen Augen wie wir beide und ihr Haar war etwas heller als deines. Jeder hatte Respekt vor ihr- obwohl sie eine Frau war. Ihr Herz war sehr stark und ihr Stolz und ihr Mut haben jedem gefallen. Auch deinem Vater , der-“ sie stockte. Ich folgte ihrem Blick hinaus auf die Straße. Eine Shiluiette zeichnete sich vor dem dunklen Nachthimmel ab. „Gace!“ Ich sprang auf und biss die Zähne vor dem steckenden Schmerz in meinem Bein zusammen.  „Er weiß nicht, dass ich hier bin“ Ein Ruf hallte durch die Nacht. „Er sucht mich schon.“ Ich sah Elizabeth unsicher an. „Bring ihn meinetwegen her. Hier ist es sicherer als draußen.“ Ich nickte schnell und lief die polternden Treppenstufen hinunter. Gace fuhr herum, als die Tür hinter mir zufiel. „Wo, verdammt noch mal, warst du?“ Er ging auf mich zu und Verärgerung, besetzt mit etwas Sorge, war in seiner Stimme zu hören. „Weißt du, was hätte passieren können! Was hast du da drin gemacht?!“ Sein Blick huschte hoch zum Fenster, wo nach wie vor nur der Kerzenschein zu sehen war. Ich hob abwehrend eine Hand. „Ich habe… jemanden kennengelernt. Komm mit.“ Er sah mich mit misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen an. Ich seufzte lautlos. „Wir können ihr vertrauen. Sie ist… meine Großmutter“ ich schluckte. Gace legte die Stirn ungläubig in Falten. „Ewayne… nenn mir einen Grund, warum ich ihr vertrauen sollte. Nur einen.“ Die Kälte in seiner Stimme ließ kalte Schauder über meinen Rücken laufen. „Du hast zumindest keinen Grund, es nicht zu tun.“, sagte ich leise. Gace sah mich an und eine seltsame Mischung aus Trauer und spöttischer Belustigung huschte über sein Gesicht. „Glaub mir, ich habe einen: Dutzende Leute wollen mich töten.“ Ich schnaubte. „Tut mir leid, aber diese Mitleidstour funktioniert bei mir nicht. Ich dachte, wir wären uns einig, gemeinsam nach Lacroit suchen! Und  hier draußen sind wir nicht sicher genug und um jetzt noch ein Zimmer frei zu räumen ist es zu spät.“ Er sah mich zweifelnd an. Schließlich nickte er. „Sag ihr, sie soll mich nicht auffressen.“ Ich merkte, dass seine Hand auf dem Schwertknauf ruhte, sagte aber nichts dazu und ging wieder zurück zum Haus. Gace folgte mir, ich bemühte mich, nicht vor Schmerzen zu keuchen. Oben erwartete uns Elizabeth wieder, die gedankenverloren auf ein Kruzifix an der Wand starrte. Gace´ unruhiger Blick huschte aufmerksam durch den Raum und blieb dann an meiner Großmutter hängen. „Nimm die Hand vom Schwert“, sagte sie, ohne sich zu uns umzudrehen. Gace runzelte leicht die Stirn, rührte sich jedoch nicht. Ein freudloses Lachen kam über Elizabeths Lippen. „Sehe ich so aus, als könnte ich es mit einem trainierten Mann aufnehmen?“ Sichtlich verwirrt ließ er das Schwert los und musterte Elizabeth, die sich zu uns wandte. „Setzt euch“ sie nickte barsch zu dem kleinen Tisch. Anscheinend immer noch misstrauisch folgte Gace ihrer Anweisung und ich folgte ihm humpelnd. „Also, weshalb seid ihr hier?“ Elizabeth bedeutete mir, das bein hochzulegen und zog vorsichtig den Stoff meiner Hose über das Knie. Ich sog scharf Luft ein und biss die Zähne fest zusammen, doch sie inspizierte ungerührt die Wunde. „Wir sind auf dem Weg zum Sitz des Königs.“, antwortete Gace kurz angebunden. Elizabeth reagierte nicht, wartete offensichtlich auf weitere Informationen, während ich um meine Selbstbeherrschung kämpfte, nicht ihre Hände von meinem Bein zu treten. Als noch immer Stille herrschte, bebten Elizabeths Schultern und ein seltsames Krächzen kam über ihre Lippen. Es dauerte einen Moment, bis ich merkte, dass sie lachte. „Nennt mir einen Grund, weshalb ich euch trauen sollte. Nur einen.“ Ich erstarrte und auch Gace´ Muskeln spannten sich bei der Wiederholung seiner Wortwahl an. Sie hatte gelauscht? Sie stand aber nicht einmal am Fenster… Unbeirrt fuhr sie fort: „Ich bin gut im Einschätzen von Menschen. Und ich weiß, dass ihr wirklich gegen diesen Bastard seid, nicht leugnet. Aber ich verlange auch eine Gegenleistung.“ Ihre Hände hielten mein Schienbein noch immer fest umschlossen und erneut tropfte im Kerzenlicht schwarzes Blut von der Schnittwunde auf den Boden. Ich merkte es jedoch kaum, mein Gehirn war sowieso schon total überlastet. „Für was?“, fragte ich langsam und runzelte die Stirn. „Ich denke nicht, dass wir ausgerechnet dich brauchen.“, spottete Gace, eine Augenbraue hochgezogen. Doch Elizabeth ging nicht auf seine Bemerkung ein und durchbohrte mich mit ihren eisblauen Augen, die meinen so ähnlich waren. „Ich habe entsprechendes Wissen für die Versorgung dieser Wunde. Wissen, von dem ihr anscheinend keinen blassen Schimmer habt. Außerdem garantiert euch niemand, dass ich meinen Mund halte, wenn die Soldaten mich aufgreifen. Diese zwei Dinge gewähre ich euch, im Gegenzug verlange ich nur eines: Ihr nehmt mich mit.“ Ihr Blick war zu Gace gewandert, der seine Kiefer fest zusammengepresst hatte. „Vergiss es.“, knurrte er feindselig. Ich knabberte angestrengt auf meiner Unterlippe herum und überlegte fieberhaft. Schließlich sah ich ihn an und sagte fest: „Wir müssen es tun. Mit meinem Bein kommen wir nicht weit, geschweige denn schnell voran.“ „Und mit ihr etwa schon?“, gab Gace mit verschränkten Armen zurück. „Unterschätz mich nicht.“, keifte sie und kniff die Augen minimal zusammen. „Zudem könntest du uns nicht verraten. Du bist ihre Großmutter und vielleicht sind wir deine letzte Hoffnung.“, warf er ein. Ein schiefes Lächeln vertiefte die Falten in Elizabeths Gesicht und in diesem Moment wusste ich: Und wie sie konnte. 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Besonders an meine Mama, die mir den Rücken bei diesem Buch stärkt :) Copyright: Liegt auf all meinen Ideen in diesem Buch :)

Nächste Seite
Seite 1 /