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Prolog

Traurig sah Emina Collins aus dem Fenster des kleinen VWs. Langsam kullerte eine Träne über ihre Wange. „Warum nur…“ Das war einer der vielen Gedanken in ihrem Kopf. Diese Gedanken drehten sich im Kreis, so dass Emina sich einbildete, ihr werde ganz schwindelig. Seufzend ließ sie ihren Kopf an die Rücklehne fallen. In diesem Moment drangen die Worte ihrer Eltern zu ihr: „Wo ist es denn nur? Es war doch diese alte Landstraße, die wir bis zur Gabelung fahren müssen, nicht wahr, Selen?“ Emina und ihre Eltern waren von Berlin nach Bayern umgezogen, nachdemDavid, ihr Vater, überraschend im Lotto gewonnen hatte. Also wartete im Süden Deutschlands eine große Villa, die sie aber erst nach langer Suche gefunden hatten.  Also zogen sie jetzt weg. Weg von allen Freunden. Weg von allen Partys. Und vor allem: Raus aus der Großstadt. Emina war zwar schon immer ein großer Naturfreund gewesen, aber das hieß nicht, dass sie gleich mitten in der Pampa leben mussten. Wenn sie schon umziehen sollten, dann nach Australien. Dorthin, wo ihre nächsten Verwandten waren: Tante Maddy, Onkel Ferdinand und ihr Bruder Benny. Natürlich ging das nicht, auch wenn Emina schon gefragt hatte. So musste die dreizehnjährige sich schweren Herzens von Ihrer Heimat und somit von ihrer besten Freundin Lucy verabschieden.

Sie waren wie ein Herz und eine Seele, doch jetzt konnten sie sich höchstens zweimal im Jahr besuchen kommen und Telefonanrufe über eine solche Distanz waren Schweineteuer.

„Sagt mal, in welchem Kaff sind wir eigentlich gerade?“ fragte Emina. Ihre Mutter drehte sich zu ihr um. „Ganz in der Nähe von unserem neuen Zuhause. Ihre Tochter verdrehte heimlich die Augen. Zumindest hatte sie vor, dass dies keiner bemerkt. „Ach schau doch nicht so!“ versuchte es ihr Vater.

„Woher willst du denn wissen, wie ich schaue?“

„Durch den Rückspiegel.“

„Aha.“

Das waren die einzigen Worte, die Emina auf der ganzen Fahrt aus dem Mund bekommen hatte. Und von Berlin bis nach Bayern war es nicht gerade ein Katzensprung. 

Man glaubt es nicht, aber irgendwann ging auch diese Fahrt zu Ende und der Wagen hielt an.

Die Türen gingen nacheinender auf und die Familie stieg aus dem Auto. „Hier, Em, du kannst schon mal die Haustür aufsperren.“ bat ihr Vater sie und drückte ihr die Schlüssel in die Hand.

Langsam hellte sich ihr Gesicht etwas auf.

Wenn wir schon mal umziehen müssen, wird es sicherlich spannend sein, die Villa zu erkunden. dachte sie sich. Vielleicht wird es gar nicht sooo schlimm…

        

Die Elfe

 

 

 

Mit großen Augen sah sich Emina um. Von innen sah es noch prachtvoller

 

aus als von außen. Durch die Eingangstür sah man direkt in eine große Eingangshalle. Von dort führten Wendeltreppen in verschiedenen Richtungen in die nächste Etage. Als die auf einmal so faszinierte Emina nach oben sah, bemerkte sie, dass an der Holzvertäfelten Decke kleine Bildchen eingraviert waren. Mehr als ein gemurmeltes „Wow“ brachte sie nicht heraus.

 

Sie war ein großer Fantasy-Fan. So groß, dass die Jungs der Klasse sie teilweise schon für verrückt hielten. Das hat mit der Realität eben wenig zu tun. Immerhin versuchte Emina nicht, Dobby, Harry Potters Hauself aus den Seiten herauszulesen.

 

Aber grundsätzlich wäre so ein süßer Hauself nicht schlecht, wenn sie mal wieder das Zimmer aufräumen musste. Denn das war sehr häufig der Fall.

 

Eminas Zimmer war nur selten ordentlich aufgeräumt, und selbst das nur für ein, zwei Tage. 

 

Sie betrachtete staunend die Wandteppiche in der riesigen Halle. Elfen, die in ihrer lebendigen Ausstrahlung glitzerten, Drachen und Feuer speiende Phönixe ließen Emina für gefühlte Stunde vor dem Teppich stehen, versteinern.Ihre Eltern bemerkten, wie sich Emina nicht von Fleck bewegte, und steuerten sie an.

 

„Na, dir gefällt es ja doch noch. Puh! Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht.“

 

Scherzend knuffte Emina ihrem Vater in die Seite.

 

„Na klar gefällt es mir! Darf ich mir alles mal ansehen?“

 

Nachdem ihre Eltern einverstanden waren, rannte sie die Nord-Treppe nach oben. Dort war ein langer Flur. Melanie nahm auf Gut Glück die erste Tür. Als sie sie geöffnet hatte, blies ihr ein warmer Sommerwind die zerzausten, braunen Locken aus dem Gesicht. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer Brücke. Rechts und Links von ihr war ein schwarzes Geländer, über ihr flogen die Spatzen und Stare. Schließlich traute sich Emina doch, über das Geländer in den riesigen Garten zu sehen.  Krass!!! Hey, da ist ein Turm auf der anderen Seite der Brücke…

 

Allerdings sieht die nicht mehr so stabil aus… Ach was, die bricht wegen meinem Gewicht schon nicht zusammen!

 

Nach einigem Zögern ging sie auf zitternden Beinen über die Steinbrücke.

 

Plötzlich schrieen ein paar Krähen nach ihr, doch Emina ging tapfer weiter.  Sie atmete aus, als sie die Brücke überquert hatte und nun auf einem kleinem Vorsprung stand. Nachdem sie endlich die Tür des Turmes öffnete, sah es zunächst dunkel und düster aus. Doch bevor sie dazu kam, das Licht anzuknipsen, rief ihre Mutter nach ihr. Einen Moment später stand sie auch schon hinter ihr.  „Ah, ich dachte mir schon, als wir das Haus angesehen haben, dass du als erstes hierher  kommen würdest!“, lachte sie. „Und du errätst sicher nie, was da drin ist!“ Emina hielt es vor Neugier nicht mehr aus. Sie trat gespannt einen Schritt nach vorne und drückte auf den Lichtschalter.

 

Sie machte den Mund auf, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

 

„Hey! Mach lieber den Mund wieder zu, hier gibt’s bestimmt Spinnen…“ Doch Emina  hörte die Wörter ihrer Mutter nicht mehr, denn sie ging bereits durch meterhohe Regale in denen sich Bücher stapelten, mit den man ein Schlachtfeuer entzünden könnte.

 

„Wow, was hier alles Bücher sind…Twilight, Herr der Ringe, Eragon und alles, was ich je gelesen habe! Das ist ja das reinste Paradies!“ 

 

„Der frühere Besitzer dieses Hauses hat das zurückgelassen. Wir haben uns auch schon gewundert, aber wenn er meint… Ich geh mal zu deinem Vater, wir fangen schon an, auszupacken.“

 

Während ihre Mutter wieder zurückging, setzte Emina sich in einen großen roten

 

Ohrensessel. Sie schlug ein großes Buch mit giftgrünem Umschlag auf und versank in der Welt der Fantasie.

 

Nach einer Stunde rief ihr Vater von außen:

 

„Em! Schau  dir doch mal dein Kinderzimmer an!“

 

Mit einem genervten Stöhnen schlug sie das Buch zu,nahm Schwung um aus dem Sessel zu springen und verließ aus das Bücherparadies. „Ich bin schon lange kein Kind mehr!“, protestierte sie. „Mit dreizehn Jahren ist man schon unter den Teenies!“

 

                                

 

 

 

Dann trottete sie doch noch hinter ihm her. Nachdem die Brücke hinter ihnen war, eilten sie einen Korridor entlang, der mit Bildern von Fantasiewesen  geschmückt war. An der dritten Tür rechts hielten sie an. Sie  war mit kunstvollen Schnitzereien verziert und hatte einen geschwungenen, hölzernen Griff. Nachdem Melanies Vater   öffnete, traten beide ein. Innen stand ein Himmelbett, dessen blauer Samt mit goldenen Sternen, Monden und Sonnen im Licht glänzte. Die Bettdecke und das Kopfkissen bestanden ebenfalls aus solchem Stoff. Neben dem Bett war ein großes Fenster, durch das die Sonne ihren hellen Strahl fielen ließ. An der Wand daneben stand ein Bücherregal aus Holz mit genügend Platz für Eminas  Bücher.  An einer anderen Wand hingen eine Pendeluhr und darunter eine Holzkommode, die neben einem Schreibtisch stand. Nicht schlecht! Ich glaube so langsam könnte ich mich hier einleben…

 

 „Und gefällt es dir?“ fragte ihr  Vater.  

 

„Natürlich! Könntest du schon mal meine Umzugskartons holen?“

 

Nachdem er gegangen war, setzte sie sich vorsichtig auf das Bett.

 

Hoffentlich kracht dieses Teil nicht gleich in sich zusammen, das sieht ziemlich alt aus…

 

Da es hielt, wippte sie ein bisschen darauf herum.

 

Man kann nicht vorsichtig genug sein.

 

Nichts. Also zog sie sich ihre Schuhe aus und stieg ganz auf das Bett.

 

Dann sprang sie einmal auf und ab. Da das Holz nicht einmal knirschte, ließ sie sich rückwärts hinabsausen und landete auf der weichen Decke. Schon mehrmals hatte sie sich darum Sorgen gemacht, ob sie nicht mitten in der Nacht aufwachen würde, da das Bett eingestürzt war.

 

Mittlerweile kam ihr Vater wieder. Er war so voll gepackt mit Kartons, dass er kaum noch sehen konnte, wo er hintrat. So torkelte er ich das Zimmer. Keuchend stellte er den Stapel ab und wischte sich über die schwitzende Stirn.

 

„Tja, meine Bücher sind schwer!“ lachte Emina ohne einen Fetzen Mitleid.

 

Auch ihr Vater lachte und ging aus der Tür. Über die Schulter rief er ihr noch zu:

 

„Um sieben gibt es Kaffee!“ Und in aller Ruhe packte sie ihre Bücher und Spiele aus. Nach etwa einer halben Stunde warf sie einen Blick auf die Pendeluhr, deren Zeiger sieben Uhr zeigten. Den Rest würde sie später machen.

 

 

 

Missmutig sah Emina den Teller in ihrer Hand an. Die gute Laune hatte nicht lange angehalten. Schließlich nahm sie einen Lappen und polierte eine noch dreckige Stelle. Erst jetzt fiel ihr auf, was die Abbildung auf dem Teller darstellte. Es war eine hübsche Elfe, deren Walnussbraunes, lockiges Haar das Gesicht verdeckte. Nur ein kleines Stück ihrer Augen war zu sehen. Emina schauderte von dem eisigen, giftgrünen Farbton.

 

Der vorige Besitzer ist wirklich Fantasy Fan gewesen, da besteht kein Zweifel!

 

Vielleicht, ist es ja ein Portrait, kein einfaches Bild… überlegte sie, doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Es gab keine Elfen! Oder etwa doch? … NEIN!!!

 

Ich bin doch verrückt!!!

 

 „Es gibt sie nicht, es gibt sie nicht,  es gibt sie… äh, es gibt sie NICHT!!!“

 

Murmelte sie vor sich hin, während sie den Teller in das Regal stellte.

 

„Wen gibt es nicht?“ Ihre Mutter!

 

Blitzschnell drehte sie sich um und stotterte:

 

„ Öhm… nichts, nichts! Ich dachte nur an äh…Riesenwerwölfe, die in meinem Traum vorkamen…“ Sie machte eine klauenartige Geste mit den Armen.

 

Auf keinen Fall wollte sie zugeben, dass sie wirklich an Elfen glaubte.

 

NEIN! Ich glaub NICHT dran!

 

Im Geist warf sie diesem blöden Teller alle möglichen Schimpfwörter zu. Nur wegen dieser Abbildung kam sie auf den fürchterlichen Gedanken, Elfen könnten existieren.

 

Emina war schließlich schon dreizehn Jahre alt! Da glaubte man nicht mehr an Elfen oder sonstige Fantasiewesen.

 

Lachend ging Ihre Mutter an den Küchentisch und richtete alles für ein anständiges Kaffeetrinken her.

 

„Magst du auch einen Chappochino, Em?“

 

„Klar…“ Mit einem Blick auf die Küchenuhr beschloss sie, bis zwanzig Uhr mit ihren Büchern fertig zu sein, also in einer halben Stunde.

 

„Kann ich noch kurz hoch in  mein Zimmer? Ich möchte gern noch bis Acht meine Bücher ins Regal gestellt haben.“

 

„Klar, mach das“, murmelte ihre Mutter abwesend. Sie war gerade dabei, auf eine dringende SMS von einer Freundin zu antworten. Wahrscheinlich vermissen hier alle ihre alten Freunde. Dachte Emina mit einem traurigen Seufzen und einem Gedanken an Lucy.

 

 

 

So, in diesem Abteil des Regals kommen meine Pferdebücher…

 

Okay, dann sind da meine Bücher über Drachen und sonstige Fabelwesen. Genug Platz hab ich jetzt ja. Gut, dann kommen dort in der Mitte meine Elfenbücher hin –

 

Sie stutzte. Da stand ja schon ein Buch! Neugierig und mit wilden Fantasien, was wohl in diesem wunderschön verzierten Buch stehen könne, zog sie es heraus und drehte es um, so dass sie den Namen des Autoren lesen konnte.

 

Sie stand mit offenem Mund da und starrte auf diesen Namen.

 

Lucy Darok.  

 

Ihre beste Freundin hatte dieses Buch geschrieben!!!  

 

Sie lächelte. Das war ganz die gute, alte Lucy! Schon immer wollte sie Autorin werden. Nun hatte sie es geschafft! Ihr erstes Buch war fertig!

 

Doch sofort überkamen Emina Zweifel.

 

Der frühere Besitzer dieses Hauses muss dieses Buch vor mindestens zwei Wochen gekauft haben… aber es war doch damals noch nicht im Handel, sonst hätte es mir Lucy gesagt! Oder… etwa doch nicht? Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie den Namen richtig gelesen hatte, also las sie ihn einige weitere Male, bis sie es begriff:

 

Sie… hat es vor mir geheim gehalten!

 

Das war ein großer Schock, denn sie hatten geschworen, sich alles zu erzählen. Das war damals gewesen, als Lucy erst neu zu ihrer Klasse gekommen war.

 

Alle hatten sie verachtet, weil sie… anders war. Ihr Schritt glich dem einer Katze, die nachts um die Häuser schleicht, darauf bedacht, dass keiner sie sah. 

 

Dieses Geheimnisvolle machte ihnen Angst. Es war eine instinktive Angst, sie könnte gefährlich sein.

 

Ja, dieses Gefühl hätte man wirklich haben können, wenn man sie ansah. Nur Emina nicht. Doch vor allem diese giftgrünen, eisigen Augen waren es, die sie anders aussehen ließen. Das ist es! Die Elfe ist mir bekannt vorgekommen, weil sie Lucy ziemlich ähnlich ist!

 

Sie ging diesem Gedanken weiter nach,  sah sich das Bild noch einmal an und verglich es dann mit dem Freundschaftsbild von ihnen beiden, auf dem dick und fett

 

Allerbeste Freunde Forever stand. Es bestand tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit, aber sie war nicht leicht zu erkennen. Dennoch wiesen einige Merkmale darauf hin, dass es Lucy war, die dort auf dem Buch abgebildet war: Die geschwungenen Augenbrauen und die zierliche Nase. Lucy aber war doch ein gewöhnlicher Mensch!

 

Dann fiel ihr etwas ein: Was, wenn Lucy jemanden beauftragt hatte, sie als Elfe dazustellen? Mit diesem Ergebnis zufrieden, legte sie das Buch auf das Bett. Heute Abend würde sie es lesen. Beziehungsweise in der Nacht.

 

Sie war eine der wenigen, die am liebsten in der Nacht lasen. Tagsüber  wird man doch nur von den Eltern genervt.

 

In diesem Moment kam ihre Mutter ins Zimmer. Ihr Blick fiel auf das Bett. Sie lächelte und ging zu ihrer Tochter. Natürlich wusste sie sofort, was los war.

 

Dann nahm sie Emina in den Arm und sagte liebevoll:“ Aber nicht zu lange- nicht wieder bis fünf.“ Mahnend sah sie sie an. „Naja… bis vier geht ja auch.“

 

Sie kannte sie eben.

 

 

 

Die elektrische Zahnbürste surrte und summte während Emina sie ungeduldig von oben nach unten hin und her schob und dabei von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Als sie endlich fertig war mit Zähneputzen, flitzte sie nur so ins Zimmer. Sie war freudig gespannt auf das Buch. In der alten Wohnung in Berlin hatte sie im Erdgeschoss ihr Zimmer gehabt. Dort konnte sie nur schwer hören, wenn jemand zu ihr ging. Durch die geschlossene Tür kann  man schließlich nur sehr schwer sehen. Und wenn sie dann auch noch in das Zimmer kamen und Emina noch immer munter weiter las, da sie nichts gehört hatte- ja dann bekam sie mächtig Ärger. 

 

Tja, dieses Problem werde ich in Zukunft nicht mehr haben. Durch die Holztreppe und die langen Flure hört man so gut wie alles. Dachte sie sich grinsend. Mittlerweile hatte sie schon einige Vorteile des neuen Zuhauses entdeckt.

 

Nachdem sie sich in das Bett gelegt hatte, fühlte sie sich wie im siebten Himmel. Der Sternensamt über ihr sah –im wahrsten Sinne des Wortes- himmlisch aus. Fasziniert blickte sie hinauf. Es schien so, als würde man in einer lauen Sommernacht in das  Weltall sehen. Nur war es äußerst unwahrscheinlich, dass Emina einmal Sonne und Mond nebeneinander sehen könnte. Ihr Blick wanderte auf die Bettpfosten, die den „Himmel“ hielten. Sie waren kunstvoll mit Schnörkeln verziert und hatten kleine eingeschnitzte Zeichnungen, auf denen  Planeten abgebildet waren. Gefühlte zwei Stunden saß sie im Schneidersitz auf der Matratze und bestaunte diese meisterhafte Kunst. Okay, es waren zwanzig Minuten, aber wen interessierte das schon, es waren schließlich Sommerferien.

 

Der Ruf einer Eule ließ sie aufschrecken. Langsam ging sie zum offenen Fenster.

 

Bei Nachtwanderungen war sie zum Glück schon immer die Mutigste gewesen. Als sie vor dem Fenster stand, sah sie hinaus. Der leuchtende Vollmond war gerade dabei, hinter den dunklen Nadelwäldern aufzusteigen und sein blasses Licht erhellte einige Maisfelder und die vielen Bäume. Es war ein fantastischer Anblick! Nun sah sie auch die Eule, die ihre Erstarrung gelöst hatte. Es war eine wunderschöne Schleiereule, die sich gerade mit einer Kralle am Hals kratzte. Dann wandte sie ihr herzförmiges Gesicht Emina zu. Ihre eisblauen Augen starrten sie an und Emina starrte zurück. So etwas wie ein unsichtbares Band entstand zwischen ihnen. Ohne auch nur einen Moment lang nachzudenken, knöpfte sie den Leder- „Ärmel“ von einer Schmuckhand, die sie mal geschenkt bekommen hatte, und ging wieder zurück zum Fenster. Das Leder knöpfte sie um ihren Arm wieder zu, den sie aus dem Fenster streckte. Einen Moment lang passierte nichts, doch Emina war unbeirrbar. Ihr Blick war wissend, als wüsste sie genau, was passieren würde – und das tat sie. Denn nun streckte die Eule die Flügel aus, hob ab und flog auf Emina zu. Sie bremste im Flug ab und landete vorsichtig auf ihrem Arm. Dank des Leders taten die spitzen Krallen nicht weh. Und selbst wenn das Mädchen nicht and daran gedacht hätte, es wäre ihr erst am nächsten Morgen aufgefallen, wenn sie die Blauen Flecken bemerkt hätte.

 

Die Eule verhielt sich ruhig. Immer wieder sah sie in Eminas Zimmer. Nachdem ebendiese  einmal tief durchgeatmet hatte, ging sie einen Schritt zurück und stand nun mit dem anmutigen Tier im Zimmer. Sie überlegte. Plötzlich hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Es war wie ein flüstern, das alle anderen Gedanken verdrängte:

 

Zu dir spricht Eclypse, Wächterin der Unterwelt.

 

Folge mir und meinem Begleiter und du wirst das Ziel deines Lebens finden.

 

Vertraue auf dein Herz. Glaube nicht daran, was die dein Verstand sagt,

 

manchmal ist genau das die Wahrheit, von der man es am wenigsten erwartet…

 

Vertraue darauf...

 

 

 

Die letzten Worte hallten wie ein Echo in den Bergen in ihrem Kopf wieder.

 

Noch ganz benommen von dieser Prophezeiung sah sie auf die Eule, dessen Name sie jetzt wusste: Eclypse. Emina ging wieder –noch ganz verwirrt –zum Fenster.

 

Wieder streckte sie den Arm aus. Eclypse breitete die Flügel aus und flog dem Vollmond entgegen. Sie sah der Eule nach, bis sie nur noch ein kleiner weißer Fleck am Horizont war.

 

 

 

 

Der Feuerbrunnen

Ein heller Lichtstrahl weckte Emina. Die strahlende Sonne schien warm in ihr Gesicht. Gähnend reckte sich und zufrieden über die Welt lehnte sie sich noch ein letztes Mal in das Samtene Kissen.  Wieder gähnte sie herzhaft. Dann setzte sie sich auf und ging zum Fenster. Sie streckte den Kopf heraus. Erst jetzt murmelte sie schläfrig: „Oh, ich hab das… Gäääähn… Fenster offen gelassen...“ doch dann stieß ein kräftiger Windstoß die Scheibe hart an Eminas Kopf. „Verdammte…“ fluchte sie. Dann stellte sie (mit einer Hand an ihrem Kopf) das Fenster so, dass es sperrangelweit offen blieb. Denn die Luft war voll von Vogelgezwitscher und Wärme.

Trotz der Beule strahlte sie mit der Sommersonne um die Wette. Es war einfach ein wunderschöner Tag. Doch dann fiel ihr wieder ein, was sie vor ein paar Jahren mit Lucy immer bei diesem Wetter gemacht hatte:

Sie sind in den Wald gelaufen, der direkt an Berlin an grenzte. Dort hatten sie so getan, als wären sie Elfen auf der Flucht vor Menschen.

Wahnsinn wie verrückt wir damals waren… Elfen… MOMENT MAL!!! ELFEN???

Schon wieder war Emina beim Thema, wer dieses Mädchen auf dem Buchumschlag war. Hmmm… Lucy hat die Rolle als Elfe schon immer gut gespielt und dann finde ich sie als Elfe auf einem Buch! Könnte es sein…

Dann wurde sie in ihren Überlegungen strikt unterbrochen, weil ihre Mutter ins Zimmer kam.  Vor ihr blieb sie stehen. Mit fragendem Blick sah sie ihre Tochter an.

„Oh, hast du dich angestoßen?“ Wahnsinn, wie hatte sie denn dass schon wieder gemerkt! „Ach nee. Natürlich hab ich mich angestoßen! Dieses Fenster steht eindeutig mit mir auf Kriegsfuß.“, brummte Emina und brachte ein gequältes Lächeln zustande. Darauf lachte Selen nur und sagte: „Es gibt Frühstück, du kannst runterkommen.

Emina nickte. Als ihre Mutter gegangen war,  zog sie sich schnell um und lief hinunter.

 

Nach dem Essen wollte sie unbedingt den Garten besichtigen. „Papa, ich geh kurz raus. In den Garten mein ich.“ „Ok, ein bisschen frische Luft wird dir gut tun...“, murmelte er bevor er wieder im Computerzimmer verschwand, weil er anscheinend den PC- Internetanschluss installieren wollte. Ein Schrei ertönte und etwas Schweres fiel auf den Boden. Neugierig sah Emina aus der halb geöffneten Küchentür hinaus in das Computerzimmer. Sie sah nur ein waagerecht auf dem Boden liegendes Bein und hörte ein schmerzerfülltes Stöhnen. Der zu dem Bein gehörende Papa lag anscheinend ebenso in der Waagerechte auf dem Boden im Zimmer. Kichernd sah Emina zu, wie ihre Mutter bei David verschwand.

Er war so ein Schussel! Bestimmt ist er mal wieder über irgendein Kabel gestolpert… Ich brauch mich nicht zu fragen, woher ich meine Tollpatschigkeit habe…

Dann schob sie sich noch eine Nuss in den Mund, zwei in die Hosentasche und verschwand eilig nach draußen um den riesigen Garten zu betrachten. 

Hastig schlüpfte Emina in dreckige Sneakers, die nur dafür gedacht waren, noch dreckiger zu werden.

Als sie die Tür hinter sich schloss, wehte ihr ein starker Nadelbaumgeruch entgegen.

Er erinnerte sie an den Wald bei Berlin. Tief sog Emina ihn ein und ging los.

Nachdem sie nach rechts abbog und an der Hauswand entlang schlenderte, kam sie an einer kleinen Fichtengruppe vorbei, die diesen frischen Geruch verströmte. In diesem Moment sprang ein hellbraunes Eichhörnchen von einem der Bäume und sah sie neugierig an. Emina nahm eines der Nüsse und warf es als Futter zum Eichhörnchen. Ups- verfehlt! Die Nuss hatte das kleine Wesen direkt auf den Kopf getroffen. Wütend rannte es den Baum wieder hoch.

Langsam ging sie weiter und kam an einigen Laubbäumen vorbei. Nach ein paar Metern bemerkte sie einen schlichten und morschen Holzzaun, der jeden Moment zusammenzubrechen drohte. Doch das war keineswegs schon die Grenze des Gartens. Denn auf der anderen Seite, immer am Haus entlang war noch ein breiter Streifen Gras. Sofort hinter dem Garten begann Unkraut zu wuchern und der Boden war mit alten braunen Nadeln bedeckt. Alles in allem schien der große Garten gepflegt und sauber.  Aber Emina wusste, dass das nicht so bleiben würde- ihren Eltern war es egal, ob auf dem Rasen nun Nadeln lagen oder nicht. Sie liebten es, wenn man sah, dass alles noch wild und Natur war. Aber die Büsche und Bäume pflegten sie trotzdem, denn eine gewisse Ordnung musste ja sein. Selen und David Dawson hatten da ihre eigene Meinung.

Plötzlich sah Emina etwas zwischen einer weiteren Baumgruppe hervorblitzen.

Irgendetwas hatte dort die Sonne reflektiert. Emina runzelte die Stirn und trat einen Schritt vor. Jetzt hörte sie Wasser plätschern, das sie vorher noch nicht gehört hatte.

Seltsam! Was ist da hinten? Sie ging wieder einen Schritt vor und lauschte- nur das Wasser. Als sie den Letzten Tannenzweig beiseite bog, war sie absolut überrascht.

Zwischen fünf Tannen stand ein Steinbrunnen, der überall mit kunstvollem Mosaik verziert war. Er war nicht besonders groß, etwa einen Meter. Langsam strich  Emina über die kleinen Steinchen und besah sich das Kunstwerk: Es sah aus wie eine Schale, die auf einer kleinen Säule ruhte. Die Säule wiederum stand auf einer Marmorfliese. In der Schale saß ein Drache, der die Flügel Majestätisch ausgebreitet hatte. Der Kopf war hoch erhoben, wie ein Wolf, der den Mond anheult. Doch falls ihr denkt, aus dem Maul sprudelte das Wasser, täuscht ihr euch. Das wäre ja auch komisch, Wasser aus dem Mund eines Drachen. Aber aus ihm züngelte eine kleine Flamme. Unter der kleinen Plattform spritzte Wasser wie in kleinen Fäden bis an den Rand des Brunnens, wo es nach unten floss und unter der Plattform versickerte. Wow, das sieht wunderschön aus; aber der Drache…

Emina kam einfach nicht darauf, welche Farbe der Drache hatte. Immer wenn sie glaubte, er sei blau, wechselte er zu rot. Wenn golden, dann grün. Er wechselte alle zwei Sekunden seine Farben, bis Emina der Kopf sirrte. Sie konnte ihren Blick nicht mehr losreißen. Irgendwann dachte sie, wenn sie noch eine Minute zusah, würde sie wahnsinnig. Also rief sie laut und beherrschend: „Desine!“

Wie, als würde der Brunnen auf sie hören, entschied sich der Drache für Grün, und dabei blieb er auch. Verwirrt lehnte sie sich an einen Baum.

Desine? Das ist doch Latein und bedeutet: Hör auf!  Doch warum war Emina ausgerechnet der Lateinische Begriff für das Deutsche  eingefallen? Und warum hatte sie es dann auch noch gesagt? Das  begriff sie nicht. Normalerweise war sie doch eine absolute Niete in Latein.

Aber das lag wahrscheinlich nur am Lehrer. Der war nämlich der grausamste der ganzen Schule: Herr Schwanden. Er nannte uns laufend >Idiotenhaufen< oder sonst irgendwie unschmeichelhaft, nur wenn einer das Buch vergessen hatte. Es konnte sein, dass er das gar nicht durfte aber der kannte keine Regeln. Kein Lehrer gab schriftliche Hausaufgaben auf, wenn wir Nachmittagsunterricht hatten- er schon, aber extra viel. Kein Wunder, dass haufenweise fünfer und sechser in den Schulaufgaben rauskamen. Zum Glück hatte Emina ihn ab jetzt los. Doch bei dem Gedanken an den Umzug dachte sie automatisch wieder an Lucy und deren Hund Bluemoon. Der Schäferhund war einfach traumhaft.

Als Emina mit Lucy, Bluemoon und ihren Eltern einen Spaziergang gemacht hatten, wollten Die beiden Mädchen etwas im Rand des Waldes laufen.  Doch irgendwann sahen sie die Erwachsenen nicht mehr. Aber verzweifelt waren sie noch lange nicht: Lucy rief einfach ein paar Mal laut Bluemoons Namen und der Treue Rüde kam angerannt. Als Emina ihm dann anwies: „ Lauf!“, rannte er zu den Eltern.

Emina würde ihn und Lucy schrecklich vermissen. Bei dem Gedanken wurde ihr schwer ums Herz und eine Träne rann über ihre Wange in das Wasser des Brunnens. Als der Tropfen in das Wasser fiel, färbte es sich golden und vermischte sich, bis das ganze Becken golden war. Mit gerunzelter Stirn tauchte sie einen Finger in die Flüssigkeit. Doch sofort zog sie ihn wieder heraus: denn das Wasser war kochend heiß. Fluchend besah Emina ihren Finger, der rot und angeschwollen war, als hätte sie sich verbrannt. Die Schmerzen waren unerträglich. Sie hatte das Gefühl, als ob der ganze Finger in Flammen stehen würde. Toll, was soll ich jetzt machen? Ich muss das kühlen, aber das fällt auf. Mama und Papa kaufen mir das mit der goldenen Träne nie ab… Moment, als ich auf Lateinisch >Hör auf< gerufen habe, gehorchte der Drache mir, dann müsste ich doch eigentlich das Wort für >Kühl ab< rufen… Aber ob das noch mal klappt?  Emina atmete tief durch und schloss die Augen für einen Moment. Dann sah sie auf ihren verbrannten Finger und rief, wieder in lautem und beherrschendem Ton: „refrigeret off!“ 

Und wieder geschah genau das, was Emina wollte: Der Finger wurde kälter und die Schwellungen gingen zurück. Zwar hatte sie jetzt noch  Schmerzen, aber nur in ihrem Kopf. Mann, so viel Kopfschmerzen hatte ich schon lange nicht mehr!

Aber dann begriff sie, was sie da eben gemacht hatte:

„Ich… ich kann Magie mit Hilfe von Latein anwenden…“       

 

 

 

 

„Emina! Emina, komm mal rein!“ 

Emina schreckte vom Blick auf ihre Finger auf. „Ja Mama, ich komme schon!“, rief sie zurück. Sie bahnte sich den Weg durch das Gebüsch, das kein Ende nehmen wollte. Verdammtes Gebüsch! Ich kann nicht mal mehr den Zaun sehen… Moment mal… Gebüsch??? Da war doch vorhin noch keines! Oh Mist!!!

Emina schlug sich an die Stirn, ließ es aber sofort wieder, denn das machte die Kopfschmerzen nicht gerade besser.  Und genervt von sich selbst ging sie wieder zurück.

 

„Na endlich, Em! Wo warst du denn? Ich hab doch schon vor 15 Minuten gerufen.“

Ihre Mutter strich Emina über den Kopf.

„Was sagst du? Vor… einer Viertelstunde schon? Aber das war doch erst fünf Minuten her…“

„Nein, alte Schwindlerin!“, lachte Selen. „Aber sag schon, wo warst du?“

„Ich… hab mich irgendwie in einem Übergroßen Gebüsch verlaufen.“

Verwirrt stieg Emina die Wendeltreppe hinauf und eilte den Korridor entlang.

Erschöpft ließ sie sich auf ihr Bett fallen und grübelte über das Geschehene nach.

Doch ihr Kopf pochte vor Schmerz und das Nachdenken fiel ihr schwer.

Schließlich gab sie es auf, legte sich auf den Rücken und betrachtete die Sterne und Planeten auf dem Samt ihres Himmelbettes.

Pluto, Saturn, Mars, Sonne…

Alles schien so Lebensecht, als würde man einfach durch ein Teleskop in das Weltall sehen. Nicht so wie auf manchen Bettdecken für Astro-fans, wo die Zeichnungen so unecht wirkten.

Jedenfalls schien es so, als würde es bei Emina gegen Kopfschmerzen helfen, nur still dazuliegen und an nichts zu denken- mal abgesehen davon, ob es sich lohnen würde, aufzustehen und etwas zu Essen zu holen. Emina hatte mal wieder Hunger. Anscheinend kam das mit der Pubertät- da soll man ja häufig plötzliche Fressattacken haben. Also ging –oder schlurfte sie die Treppe hinunter zur Küche. Warum war sie plötzlich nur so müde? In der Speisekammer hellte sich Eminas Gesicht allerdings schnell auf: Süßes, soweit das Auge reichte. Naja, wir wollen mal nicht übertreiben, aber so eine kleine Schublade voll kam schon hin.

„Hmm…“, überlegte sie. „Schokolade, Chips, Studentenfutter, Gummibärchen, eine Tüte Popcorn, Salzstangen… und jede Menge Obst.“ Gerade wollte Emina begierig nach der Schokolade greifen, als sie an sich hinunterblickte. Seufzend zog sie ihre Hand zurück. Klar, dick war sie nicht, eher schlank. Aber die große Problemzone waren die Oberschenkel. Indem sie sich immer wieder klarmachte, sie sei nicht dick, aber hätte wie jedes Teenagermädchen ihre Polster, schaffte es Emina, dass sie nicht an ihrer Figur herumnörgelte und ein Diät-Freak wurde. Ich glaube, ich nehme trotzdem nur einen Apfel…

Aber es war keiner mehr da. Nur irgendeine Ihr unbekannte Frucht –allerdings in Massen- lag in der Schale. Neugierig nahm Emina sie und ging auf die Terrasse.

Sie war wunderschön: Orangene Fliesen, an den Rändern der Terrasse Holzbalken, die sich am Kreuzpunkt zu anderen Balken, die das Glasdach hielten, abrundeten.

Links gingen die Fliesen neben einer groben Steinmauer, wo die Steine ohne Putz, nur mit Mörtel gehalten wurden, in Steinstufen über, die direkt in den Garten führten. Hinter dieser Mauer lugten Weinreben hervor.

 Die Äste des Weinstocks hingen am linken Balken und weiter über dem Glasdach. Also bildeten die Weintrauben in gewisser Weise ein wunderschönes Tor. Auf der Terrasse selbst standen ein Holztisch, mehrere Stühle, eine Bank und eine Liege. Alles aus goldbraunem Holz.

Insgesamt war es traumhaft und Emina konnte es sich nicht schöner vorstellen. Sie setzte sich in einen Stuhl und genoss die Sonne. Genüsslich biss sie in die Frucht und sofort verschwanden die Kopfschmerzen.

Seltsam… Wahrscheinlich hatte ich nur Hunger.

Nachdem sie fertig gegessen hatte, lief sie noch etwas im Garten herum und besah sich insgesamt vier Steinbrunnen, eine schöne glatte Marmorplatte mit einer Windrose darauf und einen kleinen, wunderbaren Weiher, der in der Länge und Breite etwa 10 Meter betrug. Als Emina einen Blick in das Kristallklare Wasser warf, blickten jede Menge Fische in unterschiedlichen Farben, Formen und Größen zurück. Auch Seerosen schwammen auf der Wasseroberfläche und verbreiteten eine ´rosige` Atmosphäre.

Diesen wunderbaren Garten konnte Emina sich nicht besser vorstellen, es war wie in ihren Kinderträumen: Alles Idyllisch und geheimnisvoll, soweit das Auge reichte.

 

Seufzend wanderte sie weiter und vergaß Raum und Zeit. Die Minuten kamen und gingen und irgendwann ging die Sonne unter. Das leuchtende Gemisch aus Pink und Orange erfüllte den ganzen Himmel und ließ die Wolken strahlen, als wären viele kleine Sonnen in ihnen. Während der rote Feuerball hinter den Wäldern verschwand, hörte Emina die Schritte kaum, die auf sie zukamen. Selen setzte sich neben sie in das weiche Gras und legte den Arm um ihre Tochter. „Komm, gehen wir ins Haus, es wird langsam kalt und ich glaube nicht, dass du diese Nacht im Freien schlafen willst.“

Emina nickte und ging in Richtung Haus. Sie hatte einen alten Kamin im Wohnzimmer gesehen und freute sich schon auf gemütliche, warme Abende vor dem Fernseher.

 

 

„Nein, das ist doch kein Scherz! Kannst du dich denn nicht an mich erinnern? NEIN, das meine ich ernst! Ich frage jetzt noch ein einziges Mal! Kann ich bitte… Was soll denn das schon wieder heißen, Lucy war noch nie in dieser Familie! Halt, warte, leg nicht auf…“ Emina hörte nur noch das Aufgelegt- Piepsen des Telefons.

Verzweifelt hatte sie versucht, Ihre beste Freundin anzurufen, doch die Frau am Telefon, Lucys Mutter, hatte immer darauf beharrt, im Hause Darok hätte es nie ein Mädchen namens Lucy gegeben.  Irgendwann hatte die Frau aufgelegt und Emina

ließ traurig den Hörer sinken. Das klang ja so, als ob die Daroks mich nicht mehr kennen… oder überhaupt kennen wollen. Sie ließ sich auf ihr Bett sinken und starrte den Samt über ihr an. Warum passieren in letzter Zeit immer solche Merkwürdigen Dinge? Warum ist Lucy so plötzlich vom Erdboden verschwunden? Warum ist Latein plötzlich mehr als nur eine Tote Sprache? Emina schwirrten viele Fragezeichen im Kopf herum und irgendwann hielt sie es nicht mehr aus, einfach so herumzuliegen und über unverständliche Sachen zu grübeln. Stattdessen zog sie sich ihren Schlafanzug an und ging die Treppe hinunter in das Wohnzimmer. Ihre Vermutung hatte sich bewahrheitet: Loderndes und Knisterndes Feuer brannte in dem alten Steinkamin und wärmte das gesamte Zimmer. Ihre Eltern saßen auf der Couch und sahen einen Film. Barfuß tapste Emina zu ihnen und drängte sich zwischen die beiden. Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihr aus, als wäre sie schon längst zu Hause. Während alle drei den Film sahen, überlegte sich Emina immer wieder, wie schön und paradiesisch es doch hier war mit dem Garten und dem Haus.

Doch irgendwann wurde sie schläfrig und ging nach oben. Dort holte sie ihr Tagebuch heraus:

Liebes Tagebuch,

ich weiß nicht, was mit mir los ist. Bin ich verrückt? Okay, eins nach dem anderen:

Ich bin jetzt im neuen Haus in Bayern. Ist eigentlich cool aber es sind total merkwürdige Dinge passiert: Ich war im Garten (der riesig ist) und da war ein Brunnen: Ein Drache auf einer Plattform, und der Drache hat irgendwie Feuer gespieen und unter ihm ist Wasser über die Plattform geflossen. Der Drache… der hat immer die Farbe gewechselt, mir wurde ganz schwindelig! Und dann hab ich das Wort >Desine< gerufen und es hat aufgehört! So ging es dann auch mit einem verbrannten Finger. Aber danach hatte ich total Kopfschmerzen und ich hab so eine komische Frucht gegessen, dann hat das aufgehört… einfach nur Hunger?

Was mir aber mehr Sorgen macht, ist dass Lucy anscheinend wie vom Erdboden verschluckt  ist. Ihre Mutter hat mich nicht mal erkannt! Und ich hab ein Buch gefunden, wo sie als Elfe dargestellt wurde! Okay, ich weiß, falls das hier irgend ein verdammter Mistkerl lesen sollte, bin ich im Arsch und werde für eine Verrückte gehalten… Vielleicht bin ich das ja? O mein Gott, ich dreh allmählich durch!

 Emina atmete einmal tief durch, dann klappte sie das Tagebuch zu und holte >Rubinrot< hervor. Gott, wie froh sie war, nichts mehr grübeln zu müssen, als darüber, warum das Zeitreiseteil Chronograf genannt wurde. Soweit sie wusste, war das so etwas wie eine Uhr…

 

Der Wald

Das schöne Wetter hielt an und wieder einmal wurde Emina von der Sonne geweckt.

Gähnend stand sie auf, öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und atmete die klare, warme Luft ein. Vögel flogen am Fenster vorbei und Emina entdeckte in der Ferne auch einen Schwan. Hier ist es so friedlich… AUA! Von wegen Frieden! Das Fenster war (mal wieder) gegen Emina gekracht. Verdammt! Sich den Rücken reibend, stolperte sie in die Küche hinunter. Unten saugte Selen und David las Zeitung. Wie auf Kommando wünschten sie Emina einen Guten Morgen, die, ihr Müsli kauend, erklärte: „Ich geh heute mal ein bisschen in den Wald, mal die Gegend ansehen.“ Als ihre Eltern einen besorgten Blick wechselten, stöhnte sie auf. „Ach kommt schon, ich bleib ja nur am Waldrand, regt euch ab. Hab ich mich jemals verlaufen?“ ich hatte einen sehr guten Orientierungssinn, das wussten sie. „Aber du nimmst ein Handy mit. Und eine Uhr.“ „Mein Handy IST meine Uhr, Papa.“ So erklärten sie sich einverstanden.

Wenig später ging Emina schon aus der Einfahrt. „Du bist bis zum Essen um eins wieder da!“ Kam es vom Haus her. „Jaaaha!“, antwortete sie ihrer Mutter. Sie lief am Waldrand entlang, wobei sie immer wieder Hasenlöchern ausweichen musste. Schon nach 10 Minuten schwitzte sie, die Sonne prallte auf ihren Kopf. So ging sie in den Wald, im Schatten der großen Buchen und Tannen war es wesentlich angenehmer. Die Luft war frisch und kühl. Emina sah in die Tiefe des Waldes. Da schrie etwas über ihr. Sie erschrak und riss den Kopf nach oben. In den Zweigen saß etwas Weißes… Emina kniff die Augen zusammen und erkannte eine Schleiereule, die ihr seltsam bekannt war. Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Gestern Nacht war diese Eule in ihrem Zimmer gewesen! Das war… wie war ihr Name noch gleich?
Eclypse. Schallte die Antwort in ihrem Kopf.

Emina riss die Augen auf. Sie konnte sich nun wieder an alles erinnern.

Die Eule schwebte von ihrem Ast und flog tiefer in den Wald. Wie unsichtbare Fäden zog es Emina ihr hinterher und sie folgte ihr stolpernd. Moment, was mache ich hier eigentlich?! Die Fäden hörten auf zu ziehen und Emina blieb stehen. Eclypse flog zurück zu ihr, machte eine Wende, krallte sich an Eminas Shirt fest und flog weiter, wobei sie diese mitschleifte, was das nächste Detail war, das Emina in ihre >Ich-Werde-Verrückt-Liste< aufnehmen konnte. Doch daran verschwendete sie keinen Augenblick, denn selbst als die Eule sie losließ, rannte Emina ihr widerstandslos hinterher, immer tiefer in den Wald, bis sie schließlich stehen blieb. Eclypse saß auf einem großen Felsbrocken, der auf einer kleinen Lichtung stand. Tritt heran. Wies Eclypse sie an. Emina tat es intuitiv. (In diesem Moment rief ihr Verstand, er wollte gerne mal wieder benutzt werden) So stand sie nun vor dem Felsen und entdeckte eine Gravierung etwa auf derselben Höhe wie Eminas Kopf: Ein Auge mit einer schlitzförmigen, rot angemalten Pupille. Sie tippte auf das Auge, das etwas so lang war wie ihr Daumen. Wahrscheinlich leuchtet das jetzt oder so… aber nichts dergleichen passierte. Emina war so in Gedanken versunken, dass sie Eclypse nicht bemerkte, die sich herunterbeugte und augenblicklich riss sie ihren Finger zur Seite. „Aua!“ Die Eule hatte sie gezwickt und ein kleines Blutrinnsal rann nun über ihren Finger. „Was-“ Dann begriff sie. Emina drückte ihren blutigen Finger auf die rote Pupille. Der darauf folgende Windstoß warf Emina auf den Boden. Erde spuckend rappelte sie sich wieder auf. Der Fels… nun ja, er war nicht mehr da, an seiner Stelle war jetzt eine Falltür. Das ist ja wie eine dieser Schatztruhen, in der nur noch mehr Truhensind. Vielleicht sollte ich es ja aufgeben… Emina ballte die Faust. Nein!

 Das ist bestimmt die Antwort auf die ganzen seltsamen Sachen, die in letzter Zeit passiert sind. Sie beugte sich vor und besah sich die Falltür, auf der wieder ein Zeichen prangte: Ein Auge mit Blauer Pupille. Emina überlegte und sah fragend Eclypse an. „Du weißt doch sonst alles. Komm schon, hilf mir.“ Aber die Eule schwieg. Seufzend wandte Emina sich wieder dem Auge zu. Rot für Blut, Blau für… Wasser! Da ich keinen See oder Fluss gesehen habe, also entweder Spucke oder Tränen. Der Gedanke ließ Emina grinsen. „Eclypse, ich muss eine Träne auf das Auge fallen lassen, nicht wahr?“ Diese wippte zustimmend mit dem Kopf.

„Okay, aber ich kann nicht auf Kommando weinen. Es sei denn…“ Trotz alledem zögernd ließ rupfte sie einen Grashalm ab. Die Luft scharf einsaugend, legte sie die Spitze ins Auge. Sofort brannte es und Tränenflüssigkeit schoss ihr in das Auge. Langsam beugte Emina sich über das Auge auf der Falltür und ließ eine Träne darauf tropfen. Leise klickte es und Emina nahm das als Zeichen, dass die Falltür offen war. Sie schmiss den Grashalm weg und öffnete die Falltür. Tief durchatmend sah sie in das Schwarze Loch. Mit der Breite des Eingangs hätte sie schon mal kein Problem, der war riesig, aber Emina hatte keine Taschenlampe dabei… vielleicht war das auch so tief da unten, dass sie nie mehr wieder hochkönnte…

Aber Eclypse nahm ihr die Entscheidung ab und gab ihr einen Schlag auf den Rücken, alles um Emina  wurde dunkel und sie fiel und fiel und fiel…

In einer anderen Welt

„Sie wird langsam wach…“ „wir müssen sie schnell zu Zaron bringen...“ „Sie hat es gut überstanden…“ Emina bekam einige Gesprächsfetzen mit, bevor sie wieder wegdämmerte…

 

Emina blinzelte. Sie lag auf einem Bett aus… ja aus was eigentlich? Sah so aus wie eine Mischung aus Moos und Watte. Um sie herum waren Steinwände, wahrscheinlich eine Höhle. Links und rechts von ihr waren je eine Schale, in denen Steine lagen, die grünliches Licht ausstrahlten, an der Wand ihr gegenüber stand eine kunstvoll geschnitzte Kommode, daneben ein Ganzkörperspiegel. An der Wand daneben stand ein kleines Wasserbecken. „Wie geht es dir? Du hast den ganzen Tag geschlafen. Bald wird Castiel kommen und nach dir sehen.“ Emina setzte sich auf- niemand zu sehen. „Wo bist du?“, fragte sie mit schwacher stimme. „Rechts von dir!“ jetzt kicherte die Stimme. Jetzt erkannte sie, dass neben ihr auf dem Boden eine kleine Gestalt saß, die etwa so groß war wie Eminas Unterarm und… naja, aussah wie ein kleines Mädchen. „Du… bist eine Fee, oder?“, fragte Emina vorsichtig. Vielleicht träumte sie ja noch. „Du scheinst dich auszukennen! Und im Übrigen: Du träumst nicht! Falls du das nicht glaubst:“ „Aua!“, rief Emina und sah die Fee fassungslos an. Sie hatte ihr in den Arm gebissen! Im gleichen Moment wurde die Fee am Kragen des Kleidchens hochgehoben und in Richtung Höhleneingang geworfen, wo sie empört mit den kleinen Flügelchen schlug. Erstaunt begutachtete Emina den „Werfer“: Ein breitschultriger Junge-Geschätzte 18 Jahre alt, mit goldblonden Haaren, doch irgendetwas schien seltsam- die Ohren liefen spitz zu. Ein Elb?  „Nervige Viecher, diese Feen.“, sagte er mit einem verschmitzten Grinsen auf dem Gesicht. Emina sprang auf.

„Das… ist jetzt nicht wahr, oder?“ „Doch, doch, eine hat schon mal versucht, mein Frühstück zu klauen…“

„Das meine ich doch nicht!“, unterbrach Emina ihn. „Ich meine, mir ist gerade KEINE Fee über den Weg gelaufen, und du bist KEIN Elb?“ Ich glaub, ich sollte einen Termin beim Psychiater ausmachen…, dachte sie sich.

„Falsch, die Fee ist eine und wollte sich an dir rächen. Und: Ja, ich bin ein Elb.“ Emina atmete tief durch.

„Genauer gesagt ein Lichtelb.“

In Eminas Gesicht waren einige Fragezeichen mehr erschienen. „Lichtelb? Und was meinst du mit >rächen<?“ Der Elb schien belustigt zu sein. „Das wird eine etwas längere Geschichte, und du solltest sie nicht von mir hören. Aber was die Fee betrifft,

du irrst dich, wenn du glaubst, du hättest sie noch nie gesehen.“ Kann der Gedanken lesen?? „Erinnerst du dich noch an dieses Eichhörnchen, dem du aus Versehen eine Nuss an den Kopf geworfen hast? Das war sie; Morpher-feen können sich in alle möglichen Tiere verwandeln. Ich bin übrigens Castiel. Zaron hat mich geschickt. Du sollst so bald wie möglich zu ihm kommen.“ Jetzt noch irritierter rutschte Emina ein >Hä? < heraus, woraufhin dieser Castiel nur lachte. Darauf kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht nicht so gut klang, in Gegenwart eines Elben so eine Wortwahl zu verwenden. Allerdings spricht er auch nicht gerade so, als wäre er aus >Herr der Ringe< entsprungen… „Zaron ist so etwas wie unser König. Er herrscht über das gesamte Reich der Lichtelben. Das alles erzählt er dir gleich. Und was deine Kleidung betrifft…“ er musterte Emina von oben bis unten- Bundeswehr-Hose und ein schwarzes Top, dazu ein Paar alte Sneakers- „Kannst du das hier anziehen. Du hast zehn Minuten, um dich umzuziehen und zurechtzumachen“ Er griff in die oberste Schublade der Kommode und zog ein weißes, ordentlich zusammengefaltetes Kleid heraus, das er ihr nun entgegenhielt. „Danke…Ich gehe dann raus, wenn ich umgezogen bin…“ druckste Emina herum, als sie es an sich nahm. Sie konnte ihm ja schlecht sagen, dass sie, was Kleidung betraf, Kleider hasste, erst recht wenn sie weiß waren. Da sah man doch jeden Erdfleck! Castiel nickte und ging hinaus.

Emina atmete tief ein, entfaltete das  Kleid und zog sich um, wobei sie erst einmal das Loch für den Kopf mit dem >Armloch< verwechselte. Doch als sie vollständig bekleidet vor dem Spiegel stand, entdeckte sie viele schöne Dinge an dem Kleid: Die Ärmel hörten ab dem Ellebogen auf und waren so locker und weit geschnitten, dass sie fast so aussahen, wie kleine Flügelfortsätze. An der linken Seite der Talje war es gerafft, dort wo die kleinen Efeublätter, die sich von der rechten unteren Kleidspitze über die Seite rankten, aufhörten. Emina war überrascht, wie gut ihr der kleine, V-förmige Ausschnitt stand. Aber da die Sneakers nun wirklich nicht zu dem Outfit passten, kickte sie sie in die Ecke. Dabei streifte sie mit der Hand über das schmale, silberne Fußkettchen. Ihre Mutter hatte es ihr geschenkt, als sie sich einmal das Handgelenk gebrochen hatte. Seitdem hatte es ihr immer Glück gebracht, in wirklich jeder Situation. Emina behielt es an, immerhin passte es zum Kleid. Schließlich wusch sie sich noch kurz das Gesicht am Waschbecken, dann ging sie hinaus, wo schon Castiel einen zufriedenen Blick auf sie warf. „Schon  besser.“ Er drehte sich um und ging einen Steinpfad entlang, der sich um Bäume und Büsche wand. Emina folgte ihm und während sie noch die unterschiedlichsten  Tiere auf, unter und über den Bäumen bewunderte veränderte sich der Tropische Geruch in einen bestialischen Gestank. „Was ist das?“ fragte Emina angewidert und hielt sich die Hand vor die Nase. Castiel lachte nur. „Tja, das Moor ist für deine verwöhnte Nase noch eine Nummer zu hoch, denke ich. Pass nur auf, dass du nicht das Opfer einer Moorfee wirst. Bevor du fragst: Das sind Feen, ähnlich wie die Blumenfee, die du mit einer Nuss beworfen hast-„ stöhnend unterbrach sie ihn. „Erinnere mich bitte nicht daran.“ „Jedenfalls haben sie einen dunkleren Geist und nähren sich von glücklichen Erinnerungen der Elfen und Menschen. Da sie im Moor einen Vorteil haben, locken sie ihre Opfer mit Versprechungen wie ewiger Reichtum, Unsterblichkeit und Glück und dann ertrinken die bedauernswerten.“ Ohne ein weiteres Wort ging er zügig weiter. Emina atmete tief durch, dann folgte sie ihm.

Emina hatte das Gefühl, dass wir schon Stundenlang gelaufen waren, als Castiel ihr bereits das vierte Mal wieder auf die Beine half, nachdem sie über irgendwas gestolpert war. Sie  war total erschöpft und ihre Knie wurden weich. „Weißt du, ich lebte in einer Großstadt. Ich bin es nicht gewohnt, stundenlang durch irgendeinen Wald zu latschen! Wann sind wir endlich da?“ Emina sah zwar sein Gesicht nicht, aber sie konnte Castiels` Grinsen fast schon spüren. „In deiner oder unserer Zeit?“ fragte er zurück und setzte ihr Gehirn somit Schachmatt. „Hä?“ fragte Emina keuchend, während sie sich größte Mühe gab, nicht hinzufallen. Kurzerhand ließ sie sich mit dem Rücken an einem Baum herunterrutschen (Dann wurde das Kleid eben dreckig, Pech für ihn) und wischte mit der Hand über ihre Stirn. Seltsam, die Sonne hatte sie hier nie gesehen, aber hell war es seit Eminas Ankunft. Warm übrigens auch. Castiel blieb stehen und drehte sich zu ihr um, dann verschränkte er die Arme vor der Brust. Konzentriert starrte er ins Unterholz hinter ihr. Schon etwas Schwindelig beugte sie mich um den Baum herum und folgte seinem Blick. Äste, Bäume, Blätter, Farn, Erde. Nichts Neues mehr. „Was`n da?“ fragte sie verständnislos. Kurz darauf brach ein riesiges, mit ebenso großen Pranken bewaffnetes Tier aus dem Gebüsch, das aussah wie eine Kreuzung aus einem Löwen und einem Schneetiger: Am Rücken weiß getigert und am Bauch leicht orange, der gigantische Schädel war ebenfalls weiß-grau gestreift und von einer dichten Mähne umkränzt. Wurden schon die Fangzähne erwähnt? Emina schloss kurz die Augen, dann machte ich sie schwerfällig wieder auf. Das Ding war immer noch da und ging gemächlich auf Castiel zu, der ihm auf die Schulter klopfte. Er zeigte kurz auf Emina und schien auf irgendeine Weise mit dem Vieh zu kommunizieren. Das hielten ihre Nerven nicht aus und Sekunden später fiel sie in einen erschöpften Schlaf.

 

„Jaja, ich steh ja schon auf… sag mal, gibt es ein Erdbeben?“ murmelte Emina. In Gedanken war ich wieder zu Hause und war mal wieder dabei, den Bus zu verpassen. In einer Welt, wo Fabelwesen nur in Büchern und Sagen existierten. Tja. Leider war sie eben nicht dort, was sie erst begriff, als sie schwerfällig die Augen öffnete und weiches Fell an ihrer Wange fühlte. Ein Regelmäßiges Ruckeln beförderte Emina endgültig in die Realität und das Erdbeben war lediglich das Muskelspiel des Viehs, dessen Name sie immer noch nicht kannte. Moment! Sie lag da drauf?! Emina versuchte, sich irgendwie zu orientieren (aus ihrem Blickwinkel sah ich nur Fellbüschel und schnell vorbeiziehenden Wald). Dann wollte sie sich aufzusetzen, aber Emina war mit Lederstriemen an dem Tier festgebunden. Sie bekam Panik und versuchte, die Riemen abzustreifen, wobei sie sich nur noch mehr festzurrte. Kurz darauf blieben sie anscheinend stehen und die Gurte lockerten sich. Wütend rutschte Emina vom Rücken des Tieres, das sich daraufhin umdrehte und sie mit einem seltsam intelligenten Blick bedachte. „Entschuldige, aber hätte ich dich nicht angegurtet, wärest du hinuntergefallen. So konnten wir wenigstens schneller vorankommen und du hattest eine kleine Pause.“, erklärte Castiel, die Lederriemen zusammenrollen und in die Tasche steckend. „Das sagst du“, grummelte Emina und rieb sich den Nacken. „Ich fühl mich so, als hätte ich auf Marmor geschlafen… Kann ich es weiter reiten?“ sofort bereute sie ihre Worte, als das Tiger-Löwen-Dings spitze und riesige Zähne fletschte. Auch Castiel war etwas verärgert. „Auf einem Shartagh reiten zu dürfen, ist ein großes Privileg! Sie sind sehr stolz und leicht zu reizen. Du kannst froh sein, dass sie nicht nachtragend ist. Zu deinem Glück weiß sie außerdem, wie wertvoll du wahrscheinlich bist.“ Die Shartagh neigte nun den Kopf zum Zeichen der Vergebung. Erleichtert murmelte Emina ein >Entschuldigung< und sah zu Castiel hinüber, der nun auch wieder einen neutralen Gesichtsausdruck hatte. „Sie sagt, du kannst bis zu unserem Ziel von ihr getragen werden.“ „Ähm… danke.“ Sagte sie, stieg (mit einiger Mühe) wieder auf und setzte sich vorsichtig zurecht. Dann lief die Shartagh weiter, Castiel mühelos nebenher. Es war ein herrliches Gefühl. Wenn Emina die Augen schloss, war es, wie als würde sie fliegen. Doch unendlich viele Fragen wirbelten immer noch in ihrem Kopf herum. Irgendwann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. „Wer sind diese Shartaghs? Und wie heißt sie?“, begann Emina und zeigte auf die Shartagh unter sich. „Shartaghs sind Wesen der Nacht. Sie lebten frei, aber jetzt, in den Zeiten des bevorstehenden Krieges, haben sie sich uns angeschlossen. Sie sind die Begleiter der Elfenwächter; Vier Augen und Ohren sehen schließlich mehr als zwei. Und auf deine zweite Frage: In dieser Welt, musst du wissen, sind Namen nicht nur einfache Wörter. Gehe niemals leichtfertig damit um. Aber in deiner Sprache bedeutet ihr Name >Schattenauge<.“ Emina nickte. "Schattenauge..." der Name zerfloss auf der Zunge. "Castiel?" Er drehte sich zu uns um und zog fragend die Augenbrauen hoch. "Das alles hier" ich ließ meinen Blick über die Landschaft schweifen. "Wo sind wir?" Castiel grinste. "Auch das solltest du nicht von mir hören. Aber fürs erste stell es dir vor wie ein Paralleluniversum." "Okay... aber irgendwie habe ich mir... Elben anders vorgestellt..." Wieder sah Castiel mit seinen strahlend grünen Augen zu ihr. "Und wie, wenn man fragen darf?" Emina erwiederte zögernd: "Naja.. es gibt da so eine Filmreihe, die heißt >Herr der Ringe< und die Elben da-" sie wurde von Castiels Lachen unterbrochen. Allein dieser Ton ließ sie zusammenzucken. Der Klang war schwer zu beschreiben und wenn er in Worte gefasst werden konnte, etwa in diese: Helle Freude und das Gefühl der Sonne auf der Haut und den Wind im Haar, der Geruch von Sommer und irgendwie klang es, wie >Sonntagmorgen-gemütlich-am-See-frühstücken<. "Ich denke, das kann ich dir verraten: Die Menschen, was denkst du, woher sie die Ideen für die Bücher und Filme haben. Woher ihre Fantasie? Das alles haben wir ihnen gegeben. Die Figuren in den Geschichten existieren alle oder haben wenigstens Ähnlichkeiten mit den Lebewesen unserer Welt. Manchmal entdeckt man uns in der Welt. Magier zum Beispiel, sofern sie keine Hochstapler sind. Oder eine gewisse Eule..." Emina, die bisher an seinen Lippen gehangen hatte, schreckte  auf. "Eclypse?" "Ja, sie liebt die Englische Sprache. Das ist nur die Übersetzung ihres wahren Namens. Und ja, wir haben sie geschickt, nachdem ich dich eine Weile beobachtet habe." Emina fielen fast die Augen aus den Höhlen. "Was? Warum?" doch Castiel blieb still. Sie setzte sich gerade hin. So viele neue Informationen... so viel zu verarbeiten. "Wann sind wir da?" im selben Moment brachen sie aus dem Wald und Emina riss die Augen auf. Saftig grüne Wiesen breiteten sich über sanfte Hügel aus und die Landschaft war überzogen von einem netz aus kleinen Bächen und Flüssen, die sich in einem großen Fluss vereinten, der friedlich dahinfloss. Vor uns, am Horizont, funkelte etwas und reflektierte das Licht. Emina kniff die Augen zusammen. Schattenauge hielt an. "Ireldur." Auf seinem gesicht breitete sich ein stolzes Lächeln aus. "Zaron, unser König, wohnt dort mit den Ältesten und Bediensteten. Außenherum ist sozusagen die Hauptstadt des Lichtreiches." Emina sah ihn verwirrt an, während Schattenauge auf Ireldur zuhielt, das noch unendlich weit entfernt schien. Castiel seufzte. "Später." Emina nickte und sah Ireldur entgegen. Sie war auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Denn Zaron hatte sie bestimmt nicht umsonst bewachen und hierher bringen lassen. Und er würde sie bestimmt nicht so mir nichts, dir nichts gehen lassen. Wollte Emina überhaupt weg? War das hier nicht das, was sie immer ersehnt hatte? Eine Welt, in der nichts unmöglich schien?

Wie ein Traum...

Nervös sah Emina sich in dem orangeroten Licht des Sonnenuntergangs um, der den perlmuttfarbenen Palast zum Strahlen brachte. Unbehaglich kreiste sie die Schultern. Schon immer hatte sie es gehasst, angestarrt zu werden. Noch schlimmer: Sie wurde von Wesen angestarrt, die es gar nicht geben sollte - außer in Büchern. Schattenauge ging eilig neben Castiel durch die breiten Straßen , deren Pflaster seltsam sauber war und die Häuser am Straßenrand entsprachen nicht gerade der Architektur, die Emina kannte: Es wurde nicht viel Wert darauf gelegt, ob die Linien gerade waren. Viel eher waren die Häuser einfach mal Kuppelförmig, oder das Dach begann direkt am Boden. Es gab auch keine Gärten - wozu auch, sie waren von einem riesigen Garten umgeben- und trotzdem schien die Stadt nicht gestopft zu sein. Überall wuchsen Wildblumen, die Emina noch nie gesehen hatte und teilweise hatten die Blüten einen durchmesser von einem Meter. Ihr fiel besonders eine Blumenart auf: Kleine, Tropfenförmige Blütenkelche, die vereinzelt an großen Sträuchern wuchsen und in allen Regenbogenfarben leuchteten. Sie runzelte die Stirn. Hatte sich gerade eine bewegt? Nervös sah Emina sich in dem orangeroten Licht des Sonnenuntergangs um, der den perlmuttfarbenen Palast zum Strahlen brachte. Schon immer hatte sie es gehasst, angestarrt zu werden. Noch schlimmer: Sie wurde von Wesen angestarrt, die es gar nicht geben sollte - außer in Büchern. Schattenauge ging eilig neben Castiel durch die breiten Straßen , deren Pflaster seltsam sauber war und die Häuser am Straßenrand entsprachen nicht gerade der Architektur, die Emina kannte: Es wurde nicht viel Wert darauf gelegt, ob die Linien gerade waren. Viel eher waren die Häuser einfach mal Kuppelförmig, oder das Dach begann direkt am Boden. Es gab auch keine Gärten - wozu auch, sie waren von einem riesigen Garten umgeben- und trotzdem schien die Stadt nicht gestopft zu sein. Überall wuchsen Wildblumen, die Emina noch nie gesehen hatte und teilweise hatten die Blüten einen durchmesser von einem Meter. Ihr fiel besonders eine Blumenart auf: Kleine, Tropfenförmige Blütenkelche, die vereinzelt an großen Sträuchern wuchsen und in allen Regenbogenfarben leuchteten. Sie runzelte die Stirn. Hatte sich gerade eine bewegt? Und tatsächlich öffnete sich die Blume ein wenig und winzige hände reckten sich daraus hervor. Dann schlüpfte die Fee ganz hinaus und setzte sich, gefolgt von einem Lichtschimmer, auf eines der Blätter neben der Blume. Emina konnte ihren Blick nicht mehr davon abwenden, wie die Fee gähnend die durchsichtig schimmernden Flügel dehnte und das lange, blonde, mit kleinen Blüten gespickte haar hinter die Schultern warf. "Muss faszinierend für dich sein, nicht wahr?" Castiel grinste sie an und Emina blinzelte, wandte ihren Blick wieder zu ihm. "Die meisten Feen sind nachtaktiv. Ihre Flügel leuchten ein wenig, deshalb werden sie auch `Lichtbringer` genannt.", erklärte er. Schattenauge trug sie weiter neben Castiel her und sie stoppten schließlich vor einem großen Tür. Elben in weißen, eleganten Rüstungen wachten links und rechts daneben und musterten. "Ist sie das, Castiel?" Emina sah an dem Palast hinauf, an dessen Mauern sich das Licht brach und Regenbögen in alle Richtungen schickte. Der Anblick fesselte sie und nahm Castiels Nicken gar nicht wahr. Dann traten die Elben beiseite und Castiel bedeutete Emina, abzusteigen. Sie rutschte von Schattenauge, die mit einem kleinen Nicken zurücktrat und sich mit langen Sätzen entfernte. "Komm." Emina trat an Castiels Seite und ging neben ihm durch das Tor.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Abf, der ich alles sagen kann und die auch gewisse leute extra für mich im Auge behält :) Hdgggggdl

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