Cover

Meine Welt

Die Menschheit steht vor dem Abgrund. Umweltverschmutzung, Profitdenken, alles irrelevant. Der Mensch stirbt aus. Eine Kette von Ereignissen führte dazu. Der Tag des Feuers war der erste Dominostein. Zeitgleich und unvorhergesehen spuckten über 85 Prozent aller bekannten Vulkane Feuer. Zu Land, zu Wasser, tot geglaubte und historische Giganten. Der Vesuv, Ätna, der Mount Erebus, die Welt war in Staub und Feuer gehüllt. Überlebt haben nur die Wenigsten, die Stärksten. Alle Netze brachen zusammen. Stillstand.  Wir brauchten Jahre um uns wieder zu sammeln, Eine neue Stadt entstand. Die einzige Stadt, die noch von  Menschen bewohnt war. Spero. Doch auch die Menschen, die überlebten, waren gesundheitlich eingeschränkt. Und die Angst blieb. In der alten Welt wirkte es befremdlich, wenn man mit Mundschutz unterwegs war. In Spero gehört dies zur Norm. 

Die Menschen lebten, nur stellte  sich die Frage wie lange. Denn Angst führt zu Misstrauen.  Die Kommunikation war stark eingeschränkt. Englisch wurde zur Sprache der Stadt, aber es gibt bis heute so viele, die sich nur auf ihrer ehemaligen Landessprache verständigen können. 3 Jahre später folgte das „erste stadtliche Gesetz zur Regeneration der menschlichen Spezies“  in 16 Artikeln wurde die einstige Freiheit zerstört.  Es gab nun für jede classis aetas einen festen Tag der Woche an dem alle Bürger derselben classis zu einer Versammlung mussten. Mit 16 Jahren kam man in die Prima, so lange bis man 26 wurde, dann stieg man auf in die Secunda und so weiter. Ziel dieses Systems war natürlich das Kennenlernen von Gleichaltrigen und die Verkündung wichtiger Beschlüsse. Wenn man einen möglichen Partner gefunden hat, musste man nur schnell seine ID-Tattoos scannen und schon konnte man zusammen ziehen. Ich habe gelesen, dass früher ungewollte Schwangerschaften etwas Schlimmes waren, heute gehören sie zum Alltag und jede Schwangere erhält unzählige Vergünstigungen.  Jedes Jahr wird außerdem der Produktivste jeder classis aetas gekürt. Das heißt, der Mann mit den meisten Vaterschaften erhält für ein Jahr den Status eines Ministers. Er ist dabei, wenn es darum geht weitere Beschlüsse zum Erhalt der Spezies zu fällen.  Das alles ist primitiv. Natürlich ist es das, aber es ist Primitivität auf höchstem Niveau. Und diese Methode ist erfolgreich, wir sind kurz davor eine zweite Stadt bauen zu können, die ersten Pläne sind schon veröffentlicht worden.  Der Name ist schon bekannt gegeben: Muoio.

Meine Familie

 

In dieser Welt bin ich geboren worden.  Mein Name ist Vesi. Die ersten Gesetze traten zur Zeit meiner Großmutter in Kraft. Wer in die Secunda wechselt ohne eine Partnerschaft eingetragen zu haben, muss nach heutiger Lage mit dem biologisch am besten passenden Partner für ein Jahr zusammen wohnen, auf Probe versteht sich. Bald werde ich 26 und ich habe Angst. Es ist nicht selten, dass es zu sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigungen kommt, dieser Begriff existiert heute natürlich nicht mehr, aber so hat man es wohl in der alten Welt genannt. Bisher lebe ich noch mit Mom und Dad zusammen. Sie haben das, was heutzutage eine Seltenheit geworden ist. In der alten Welt nannte man das wohl Liebe.

Noch bevor der Wecker klingelt stehe ich auf und greife nach dem erstbesten Pullovers meines chaotischen Kleiderschrankes. Ein dunkelgrüner  Kapuzenpulli. Mein Lieblingskleidungsstück. Dazu noch in einen Slip, Socken und eine bequeme Jogginghose. Im Bad wasche ich mein Gesicht mit kaltem Wasser und strubbel mir schnell durch die kurzen braunen Haare. Zufrieden lächle ich mein waches Spiegelbild an und putze zuletzt die Zähne. Den Geschmack von Zahncreme liebe ich, weil er den bitteren Geschmack der Nacht verschwinden lässt und jedem Tag die Chance eines Neuanfangs verspricht. Aus meinem Portemonnaie krame ich noch fix ein paar Münzen und schon bin ich aus der Wohnung raus. Die Luft ist heute erstaunlich rein, da es in der letzten Nacht geregnet hat. Summend absolviere ich meine morgendliche Sporteinheit, irgendwann habe ich damit angefangen und bis heute nicht mehr aufgehört. Auf dem Rückweg hole ich noch ein paar Brötchen und Moms neues Medikament. Die Schlange der Apotheke war länger als die beim Bäcker, aber das ist nichts ungewöhnliches, weil heute alle auf Drogen sind. Durch den Tag des Feuers ist auch ein Großteil der Natur zerstört worden und viele Tiere und Pflanzen sind ausgestorben. Das Klima hat sich stark verändert und die Viehzucht ist dadurch um einiges schwieriger geworden. Deshalb forschen die schlauen Köpfe neben besserer Reproduktion nach besseren Lebensmitteln. Aber das macht uns krank. Die Generation meiner Eltern wartet nur auf das neue Wunderprodukt und meine Generation konnte schon mit der Muttermilch Alzheimer bekämpfen. Die Luft ist staubig und ich hoffe, dass die Medizin Mutter hilft. Das Frühstück verläuft so wie immer, obwohl es kein normaler Tag war. Mutter hustete furchtbar und Dad warf ihr permanent besorgte Blicke zu. Arida spielte mit dem Essen, während Tardus verträumt in das Nichts starrte. Arida war meine 15 jährige Schwester, die kurz vor der Prima stand. Tardus war mein 18 Jähriger Bruder, der kein Interesse an anderen hatte, sondern die Welt der Bücher in sein Herz schloss, insbesondere die der Mathematik und Physik. Und so saßen wir zu fünft an unserem kleinen Tisch und ich begann ihn jetzt schon zu vermissen, obwohl mir noch ein bisschen Zeit blieb. Kurz bevor ich aufstehen wollte um in mein Zimmer zu gehen, Tardus hatte heute Tischdienst, blickte mein Vater mich an, sodass ich stehn blieb. Als ob ihm erst jetzt das heutige Datum aufgefallen wäre, fragte er besorgt, ob ich für diesen Abend etwas zum anziehen hätte. Verdammt, fast wäre ich drum herum gekommen! Unsicher ob er sich mit der Antwort zufrieden geben würde meinte ich: „Na ich hab doch den Pulli, der wird schon reichen.“ Mutter schien nun auch brennendes Interesse an meiner Kleidung zu haben und meinte kurz entschlossen, aber unnachgiebig: „So kommst du mir aber nicht raus, wir gehen heute shoppen“ und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre blassen Lippen. Genervt gingen meine Mundwinkel nach unten und antwortete, dass ich eigentlich was mit Amanzi machen wollte. „Die kann ja einfach mit, da schnuppert Amanzi auch mal Sekunda-Luft“ kicherte meine Erzeugerin. Manchmal war sie aber auch echt stur! Schnell verfasste ich eine kleine Nachricht und schickte sie per Rohr an meine beste Freundin. Eine Stunde später waren wir auch schon am großen Marktplatz, hier gab es einfach alles, als kleines Kind haben Amanzi und ich mal einen Nachmittag in einem kleinen Geschäft verbracht, wo wir mit einem alten Spielzeughersteller eine Band gründeten, Amanzi war natürlich die Sängerin, der Spielzeughersteller ein Trompeter und ich konnte grauenhafte Klänge einer Flöte entlocken. Der alte Mann erzählte uns von seiner Familie, die sich seit dem Tod seiner Frau von ihm abwandte und nur noch zu Weihnachten eine Karte schickte. Als wir nach Hause mussten gab er uns beiden eine Schneekugel mit. Meine kleine Freundin erhielt eine mit ganz vielen Blumen, weil sie die am hübschesten fand. Mir gab der Mann eine Kugel, die im normalen Zustand leer wirkte, aber sobald man sie schüttelte flogen viele weiße Tauben in dieser kleinen Welt in eine Richtung. Aber ohne Ziel. Damals gefiel mir die Kugel nicht, weil ich Blumen viel schöner fand. Amanzi wartete bereits als wir ankamen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.05.2016

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /