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Nocturnal Insomnia

 

»Bist du dir sicher, dass du das willst?«

»Bin ich.«

 

Entspannt lehne ich mich in den Sitz meines Wagens. Die endlosen Berge ziehen an mir vorüber; Bäume werden zu Wäldern, Bäche zu Seen und Flüssen.

Die Stadt liegt längst hinter mir. Alles liegt längst hinter mir.

 

»Du bist nicht daran schuld, das weißt du doch, oder? Wäre es nicht besser, wenn du mit jemandem darüber sprichst?«

»Nein, eine Auszeit wird reichen.«

»Aber allein? … Also gut. Vielleicht wird dir ein bisschen Ruhe wirklich guttun. Die Berge sollen zu dieser Zeit des Jahres sehr schön sein, habe ich gehört.«

 

Vielleicht waren es Sarahs Worte, die diesen Ort auserkoren haben.

Mein Griff um das Lenkrad wird fester; die Knöchel treten für einen Augenblick hervor, ehe ich es realisiere und wieder locker lasse. Die Nägel an der anderen Hand sind angeknabbert.

Ich brauche diese Auszeit wirklich.

Die schöne Natur wird kaum unterbrochen, als ich das Ziel vor Augen habe. Häuser gebaut aus nichts als Holz inmitten der Bäume. Vögel fliegen unbehelligt in Schwärmen darüber hinweg.

Ein Wunder, dass ich diese eine Hütte noch so kurzfristig anmieten konnte. Ich parke den Wagen und öffne die Tür, um hinauszutreten. Die Information im Haupthaus, in dem ich auch die Schlüssel und eine Begrüßung erhalten soll, ist mit einem kleinen, leicht zu übersehenden Schild ausgewiesen.

»Oh, hallo«, höre ich eine helle Stimme und sehe zur Seite.

Hinter der Frau, einige Meter entfernt, fällt gerade noch ihre Haustür ins Schloss. Doch sie winkt bloß fröhlich und kommt bereits auf mich zu.

»Sie müssen der neue Mieter sein, nicht wahr?«

Für einen Moment zögere ich zu antworten. »Ja … muss wohl so sein. Und Sie sind …?«

Die etwa mittelalte, braunhaarige Dame schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, was in mir den Reflex auslöst, die Augenbrauen irritiert zusammen zu ziehen.

»Ach Gott, ich Dummerchen«, sagt sie; klingt dabei ein wenig merkwürdig, »mein Name ist Dana. Ich und mein Mann, Harrison – Sie können ihn gerne Harry nennen – leben hier meist das halbe Jahr über. Wir sind am längsten hier und die einzigen bisher, die ein Haus in den Pines gekauft haben, nicht bloß gemietet. Ich nehme an, Sie müssen Mr. Stevens sein, der neue Mieter von Hütte 9, der sich schon vor vier Monaten beworben hatte; der Wettstreit ist immer so ein Ärgernis. So schade, dass wir hier leider nicht jeden aufnehmen können. Umso erfreulicher, dass Sie es geschafft haben, nicht wahr? Wo ist denn Ihre Familie, wenn ich fragen darf? Waren Sie nicht zu viert?«, schwafelt sie ohne Punkt und Komma.

Ihr Lächeln wirkt dabei so affektiert; man könnte fast schon wieder denken, sie meint es ehrlich.

»Mein Name ist Ian Davidson. Ich bin der Mieter für Hütte 13.«

Mit einem Mal, als hätte es gedonnert, fällt das Lächeln auf ihrem Gesicht zu Boden. Sie starrt mich an, bis ihr klar zu werden scheint, dass es langsam auffällt. Dann versucht sie einfach erneut, ein falsches Lächeln aufzusetzen.

Scheinbar klappt es nicht so recht. »Aber natürlich … für Hütte 13. Der Mieter, der sich ganz kurzfristig vor zwei Tagen gemeldet hat, nicht wahr? Das freut mich für Sie. Ich hoffe, Sie haben eine schöne Zeit.«

Sie nickt mir noch zu und klopft mir mit einer Hand auf die Schulter, ehe sie sich auch bereits abwendet. Ich bin noch immer an dem Punkt, an dem ich ihre Hand an mir verfolge, wie sie eine Geste vollzieht, als wäre ich der Schüler, der mit dem dümmsten Kind der Klasse zu einer Gruppenarbeit verdammt wurde.

Nett.

Ich seufze und gehe in Richtung Information, wie es das unscheinbare Schild mir befiehlt. Die Tür ist offen und kaum betätige ich sie, höre ich ein Klingeln.

Dieses Klingeln wiederum, scheint eine weitere Person in den Raum zu locken. Eine leicht untersetzte Rothaarige kommt beschwingt in den Raum getänzelt, wie eine übergewichtige Zauberfee.

»Oh, guten Morgen. Sie wollen sicher Ihren Schlüssel abholen, nicht wahr?« Ihre Fröhlichkeit, die ebenso unecht ist wie es ihre Fingernägel sind, ruft in mir eine rasant wachsende Abscheu hervor.

Vielleicht war dieser Ort doch keine gute Idee. Dabei sind die Berge sehr schön und von den Häusern in den Broschüren habe ich mir viel erhofft.

Leider waren diese jedoch bereits fast alle ausgebucht. Nur noch eines ist frei gewesen. Und es war billig.

Ich meine, wirklich billig.

Blinzelnd sehe ich sie an. Erst nach einer Minute realisiere ich, dass sie offensichtlich etwas von mir erwartet und es dauert noch einmal zwei weitere Minuten, bis ich kapiere, was genau das sein soll.

»Uhm … klar, ich hätte gerne die Schlüssel für Hütte 13, wenn Sie so freundlich wären.«

Genau so, wie ich es heute bereits einmal erlebt habe, hat diese Abfolge von Worten erneut einen derben Effekt auf mein Gegenüber.

So langsam wird mir bei dem Gedanken daran, wie schnell ich diese Hütte bekommen habe und für wie wenig Geld, besonders im Vergleich zu den anderen, angeblich genau gleich aufgebauten Hütten, ein wenig mulmig zumute. Ein klein wenig bloß. Kaum merklich. Aber vorhanden.

So addieren sich all die einzelnen kleinen Makel, die es haben könnte, augenblicklich in meinem Kopf zu einer großen Katastrophe zusammen. Wer weiß schon, was mit dieser Hütte nicht stimmt.

Beinahe widerwillig, greift sie hinter sich an ein großes Board, an dem etliche Schlüssel baumeln. Von den meisten nur noch einer, doch dann ist da diese Nummer – Nummer 13 – an der noch immer Zwei baumeln.

Einer davon ist der, den die rundliche Frau nun abhängt und mir in die Hände legt.

Etwas verkniffen sieht sie mich an. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt, Mr. Davidson.«

Noch jemand, der ohne Frage meinen Namen kennt. Doch vielleicht ist das hier auch völlig normal. Besonders, wenn man hier in der Hütte eingetragen ist, die offensichtlich keiner haben möchte.

Wundervoll.

Meine Hand umschließt den kleinen, kühlen Metallgegenstand, ehe ich mich mit einem »Danke« abwende und der Dame noch einmal abschließend zunicke.

Das Gras vor dem Haus ist von einem kleinen Weg unterbrochen, folgt man diesem Pfad jedoch weiter, in Richtung der Behausung die für die kommenden Tage mein sein sollte, wirkt er beinahe überwuchert. Es scheint, als sei hier schon eine Weile niemand mehr regelmäßig entlang gegangen, oder hätte sich anderweitig großartig gekümmert, obwohl er ein wenig gemäht wurde.

Andererseits ist diese Beobachtung vermutlich auch kaum verwunderlich, wenn man sich die übereinstimmenden Reaktionen betrachtet, die die Hütte 13 mit nur einer Erwähnung hervorruft.

Kaum fällt sie in mein näheres Blickfeld, klappere ich unterbewusst all die Punkte ab, die mir in den Sinn kommen. Lärmbelästigungen von Außerhalb, Nähe zu gefährlichen Gebieten, Bienen- oder Wespennester an der Veranda, irgendwelche anderen, auffälligen Hausbesetzer, die hier nicht hergehören und dergleichen.

Als ich außen nichts in dieser Hinsicht erkennen kann, bin ich für eine Sekunde erleichtert, doch dann umso nervöser, beim Betrachten des Schlüssels zwischen meinen Fingern.

Die Tasche, die ich unbedacht die ganze Zeit in der anderen Hand halte, etwas fester umgreifend, erwarte ich bereits das Schlimmste, als ich das Schloss langsam öffne und das alte Holz zum Gruße knarzt.

Unsicher spähe ich hinein. Es riecht zwar etwas staubig, doch der erste Blick verrät bereits, dass es vor meiner Ankunft bereinigt wurde – vermutlich von Spinnenweben und überschüssigem Staub.

Kein Schimmel und keine anderen, sichtbaren Schädlinge. Ich bringe immer mehr Mut auf, mich wirklich in jeder Ecke umzusehen. Und erst einmal bin ich erleichtert, sowie zuvor, doch dann setzt erneute Skepsis ein.

Mit dieser Hütte ist absolut alles in Ordnung, oder nicht? Sie ist sauber, keine ungebetenen Gäste, die Schlüssel passen, alle Türen funktionieren prächtig und die Umgebung ist nicht anders als bei den anderen Hütten auch.

Wo genau liegt hier bloß das große Problem?

 

Ein Löffel Zucker in die Tasse – Klick. Ein weiterer Löffel – Klack. Ich seufze wohlig, während das starke Aroma des heißen Tees meine Lungen füllt. Es entspannt mich beinahe so sehr wie ein Bad.

Die bequeme Couch und der herbe Duft der Hütte, nachdem der restliche Staub nun ausgelüftet ist, tun dazu ihr Übriges. Mein dunkelblondes Haar fällt mir in die Stirn und liegt ein wenig in meiner Sicht, als ich den Kopf zur Seite drehe, um aus dem Fenster zu schielen.

Kein Netz hier. Keine Möglichkeit, mich einfach so zu erreichen, wenn ich sie nicht vom Telefon der Hütte aus anrufe – ein Satellitentelefon, das netterweise zur Ausstattung gehört.

Keine Arbeit und keine Familie, die mich nun stören könnte.

Die kurze Hose, die meine Beine freigibt, endet zur Mitte meiner Schenkel. Wie lange habe ich schon keinen Urlaub mehr gemacht und meine Beine so gesehen? Etwas so Banales.

Die Anzüge, die ich in der Kanzlei oder der Firma trage, sehen an mir aus wie an einem Schulkind, das Erwachsener spielen will. Das ich respektiert werde, liegt bloß an meinen Leistungen vor Gericht, doch seit ich für diese Firma arbeite, ist selbst das Geschichte. Ich bin wie ein domestizierter Wolf im Schafspelz.

Zu was macht mich das? Ein Wolf im Schafspelz, der zu dem geworden ist, das er anderen vorgespielt hat, zu sein? Ein Schaf, mehr nicht.

Ich seufze und stelle die Tasse ab, um mich der Länge nach auf der Sitzgelegenheit auszubreiten und zu strecken.

Nein, dieses Outfit passt besser zu mir. Meine blassen Beine in einer kurzen Hose, wie auf dem Schulhof als Kind. Damals wurde ich für ein Mädchen gehalten, aber ich war, was ich war – und es war mir nicht peinlich. Ein wenig schmächtig, aber ich musste niemandem etwas beweisen.

Wieso muss ich es heute? Weil ich erwachsen bin und Erwachsene nun einmal ein Image zu wahren haben, um durch ihr Leben zu kommen?

Wenn mir das früher jemand gesagt hätte, hätte ich ihn dafür ausgelacht. Dass ich irgendwann einmal versuchen würde, männlicher zu wirken als ich eigentlich erscheine, um Leuten zu vermitteln, dass sie mich respektieren sollen, weil meine Leistungen es nicht mehr können. Weil ich keine Leistungen vorzuweisen habe, solange ich für diesen alten Sack arbeite.

Auf der anderen Seite ist der Job sicher und sichert zudem auch meine Zukunft ab.

Aber als wäre das in einer Kanzlei nicht der Fall …

Nein, wenn ich zurück bin, sollte ich kündigen und noch einmal von vorn anfangen. Vielleicht habe ich diesen Ausflug gemacht, um mir darüber endlich klar zu werden.

Und zu Hause ist mir ohnehin die Decke auf den Kopf gefallen, nach dieser Sache …

Ich reibe mir die Augen. Hatte gar nicht gemerkt, dass ich so müde bin.

Gähnend strecke ich mich, während ich mich noch aufsetze. Vielleicht sollte ich den Tee im Moment sein lassen und erstmal ein bisschen auf dem Bett im Schlafzimmer probeliegen, das wäre zumindest keine schlechte Idee.

Die unangenehmeren Gedanken vertreibend, hieve ich mich nach oben und stelle meine noch fast volle Tasse auf dem Weg in die Spüle der Küche.
Das besagte Bett ist groß, es ist für zwei Menschen, doch ich darf allein darin schlafen. Als bekennender Fan von viel überschüssigem Platz beim Schlafen, werfe ich mich, so gar nicht erwachsen, auf die ordentlich gemachte Decke, die über die gesamte Fläche unter dem Kissen ausgebreitet ist.

Kaum liege ich auf der weichen Matratze, ergreift mich auch bereits die zuvor erstmals bemerkte Müdigkeit. Es ist, als würde sie mich überfallen und in die Tiefe reißen.

Beinahe überrascht, schließen sich meine Lider; schwer wie Blei. Die Schwärze umschließt mich wie der Vorhang eine Bühne.

Was ist das bloß für ein erschlagendes Gefühl …

 

Erschrocken zucke ich zusammen und erhebe mich hastig. Ich sehe mich um, doch mein gewohnter Griff zur Seite, um meine Lampe einzuschalten, geht ins Nichts.

Panik ergreift Besitz von mir und lässt nicht los.

Blind fischen meine Hände in der Dunkelheit, nach einem Schalter, einem Schrank, einer Lampe – irgendwas.

Ich berühre einen Gegenstand; er fällt scheppernd zu Boden. Scheiße. Und ich höre etwas. Etwas bewegt sich. Schritte? Nein, zu leise.

Mein Herz schlägt wie wild, ehe ich endlich etwas zu fassen kriege, das sich wie ein Lichtschalter anfühlt. Als dieser betätigt ist, fühle ich mich für einen Moment beruhigt.

Dann plötzlich wie der größte Vollidiot.

Ich sehe einen in die Jahre gekommenen Wecker, der unordentlich auf dem Boden liegt. Er ist heruntergefallen.

›Die Holzhütte‹, kommt es mir in den Sinn, als ich mich desorientiert umsehe. Dann fällt mein Blick auf ein Fenster.

Das Gebüsch raschelt. Unsicher bewege ich mich auf dem Bett unter mir, um langsam darauf zuzugehen.

Das Fenster ist geschlossen. Nichts kann eindringen. Dann sehe ich es.

Es ist ein … Fuchs. Bloß ein Fuchs.

Ein Stein fällt mir vom Herzen. Doch das ändert sich schnell, als mir klar wird, wie sehr ich mich gerade zum Affen mache. Was genau ist da eben geschehen?

Ich habe vergessen, wo ich bin. Habe ich geschlafen? Ja, sicher. Einige Stunden.

Es ist stockfinster draußen. Die Augen des Fuchses haben gerade so im Licht meiner Zimmerlampe geleuchtet, als sie den Schein reflektiert haben.

Ich schüttle den Kopf, um das dumpfe Pochen abzuwimmeln, das in meinem Hinterkopf rumort.

So tapse ich vorsichtig, unsicher und barfuß in die Küche. Eine Tablette sollte das alles ein wenig klären.

In der Spüle steht noch immer die Tasse mit Tee. Kurzerhand kippe ich den Inhalt in den Ausguss und drehe den Wasserhahn darüber auf, um sie erst einmal kurz auszuspülen und dann zu füllen.

Meine Augen schmerzen. Es fühlt sich an, als hätte ich gar nicht geschlafen.

Als hätte ich etwas geträumt, doch ich erinnere mich an gar nichts. Bloß Schwärze.

»Gott, ich fühl mich wie ausgekotzt …«

Die kühle Tasse halte ich gegen meine Stirn.

Aus der Tasche in meine Nähe schnappe ich mir eine kleine Dose. Aspirin. Es wird schon helfen.

Der nächste Weg führt mich ins Bad. Mit meinen müden Augen betrachte ich die große Badewanne, doch so groß die Versuchung auch sein mag; ich schüttle den Kopf und streife mir das flauschige, große Hemd von den Schultern, sowie meine Shorts und Unterwäsche, um mich auf eine einfache Dusche vorzubereiten.

Ich kann noch immer nicht klar denken. Ein Bad wäre da sicher nicht gut.

Der kühle Strahl dagegen, weckt nach und nach meinen Verstand. Was ist nur mit mir los?

Es ist nicht meine Art, plötzlich aufzuwachen und in Panik zu verfallen. Ich bin auch nicht vergesslich oder besonders oft verwirrt.

Genau genommen, ist das hier atypisch für mich. Doch vielleicht liege ich da ja falsch.

Als das Wasser in Strömen über meine Schultern fließt, wirkt es irgendwie anziehend. Der dunkle Schatten darin macht mich neugierig. Ich sehe näher hin.

»Was ist das …?«

Konzentriert starre ich zur Seite, auf die Haut meiner linken Schulter und den kleinen Strahl Wasser darauf. Zumindest, bis eine plötzliche Bewegung in diesem Schatten mich mit einem Mal aufschreckt.

Ich schreie erschüttert auf und zucke so stark zusammen, dass ich ein aufspringe. Einer meiner Füße rutscht dabei ab, ehe ich mich halten kann. Es fühlt sich an, als würde ich ewig fallen, während ich absolut gar nichts dagegen tun kann, dabei geht vermutlich alles ziemlich schnell.

Ich spüre den Aufprall und den Schmerz, dann für eine Weile nichts mehr. Die Dunkelheit streckt ihre kalten Hände nach mir aus. Doch ich kann hier nicht liegen bleiben – das sagt mir mein Verstand, sofern er noch arbeitet.

Mit letzter Kraft, schleife ich mich selbst aus der niedrigen Wanne, der alleinstehenden Dusche. Ich schluchze, völlig verwirrt; mein Körper ist so taub und ich sehe rot auf den Fliesen unter mir.

Meine Finger krallen sich in ein Handtuch, das ich vor mich halte, bei dem Versuch in die Küche zu kommen, wo das Telefon steht. Irgendwie muss ich Hilfe rufen.

Jedoch schaffe ich es gerade über die Schwelle hinweg, da verliert sich meine Energie im Nichts.

Meine Augen fallen einfach zu.

 

Mit einem steifen Gefühl in meinen Gliedern, versuche ich mich zu rühren, ohne nachzudenken. Ohne zu wissen, wo ich bin, was ich tue oder warum ich eigentlich hier bin.

Ich will mich bewegen, doch plötzlicher Schmerz setzt ein und zwingt mich dazu, die Augen aufzuschlagen.

Ächzend und zischend, halte ich mir den Hinterkopf, während ich mich gequält erhebe. Ich liege in einem Bett. Das Zimmer … muss das Schlafzimmer der Hütte 13 sein.

Irritiert sehe ich mich um. In dem Moment ertönt ein lautes Geräusch von draußen.

Doch nicht von draußen, im Sinne von draußen, sondern lediglich draußen in der Küche. Etwas ist in der Hütte!

Gespannt sehe ich mich nach etwas um, das als Waffe dienen könnte. Im selben Augenblick rüge ich mich selbst für diesen Gedanken.

Irgendwer muss mich ins Bett gebracht haben. Ich war es nicht. Offensichtlich hat jemand mich hierhergebracht … und angezogen. Danke.

Die Tür geht auf und ein junger Mann steht dort.

Starke Arme um die sich kurze Ärmel spannen, trocknen gerade einen Becher. »Guten Morgen.«

Sein strahlendes Lächeln bläst meine Sorgen geradezu aus dem Fenster.

»Guten Morgen …?« Meine verwirrte Aussage unterbricht mich immerhin daran, ihn mit offenem Mund anzustarren.

Bei diesen Worten scheint er plötzlich eine Art Schlag zu kriegen, den ich nicht sehen kann, denn auf einmal ändert sich sein Gesichtsausdruck völlig.

»Oh mein Gott, tut mir leid«, sagt er sofort, »Sie kennen mich ja gar nicht und ich stehe hier einfach in Ihrer Hütte, das sieht sicher nicht besonders gut aus.«

»Tja … naja.« Besser hätte ich es vermutlich auch nicht formulieren können.

»Mein Name ist Joseph Singer, aber Sie können mich einfach Joe nennen. Ich bin einer der Ranger in diesem Gebiet und miete nebenbei eine der Hütten mit einem Kollegen an.« Mit drei Schritten steht er fast neben mir am Bett und bietet mir dann seine Hand an. Sie ist noch leicht feucht.

»Okay. Mein Name ist Ian … Ian Davidson. Sehr erfreut, denke ich.« Noch immer verwirrt, schüttle ich die Hand, doch erwidere unwillkürlich sein gewinnendes Lächeln.

»So wie Harley?«, meint er und oh, wie ich diesen Witz hasse, doch aus seinem Mund klingt er irgendwie heiß, »Tut mir leid, das hören Sie wahrscheinlich ziemlich oft. Blöd von mir. Ich hab hier meine Runden gedreht und heute in den frühen Morgenstunden das Licht gesehen. Da hab ich mich gewundert und mal geklopft, doch niemand hat reagiert. Die Tür war offen, also bin ich nur einen Schritt hinein und hab Sie dort auf dem Küchenboden liegen sehen, nur mit einem Handtuch und voller Blut.«

Nun ergibt das alles schon weit mehr Sinn. Ich würde am liebsten vor Scham unter die Erde kriechen.

»Oh«, kann ich jedoch bloß erwidern, »dann … danke ich natürlich. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wären Sie nicht gekommen, also kann ich nicht wirklich-«

»Reden Sie keinen Unsinn. Dafür müssen Sie mir wirklich nicht danken. Ich bin froh, dass ich Sie gerettet habe. Ein so hübsches Gesicht kann man doch nicht blutend auf dem Boden liegen lassen.«

Sein kleiner Witz lässt mein Herz ein wenig höher schlagen. Hey, es ist mein Urlaub.

Ein bisschen Spaß braucht jeder hin und wieder mal. Und ich kann gar nicht sagen, wie lange es bei mir bereits her ist.

»Sie haben mich vermutlich auch wieder zusammengeflickt.«

»Ja, es war zum Glück nichts Ernstes. Aber ich bin auch kein Arzt. Sollte es Ihnen schwindelig werden, dann wäre es besser, Sie würden Einen zu Rate ziehen.« Er sieht sich um, vermutlich um einen Abstellplatz für die Tasse zu finden, die er noch immer sinnlos in Händen hält. Nachdem er das erledigt, sieht er mich erneut an. »Die Wunde war wirklich klein, nur da sie am Kopf war, hat es stark geblutet und das Wasser hat alles noch verstärkt, was die äußerliche Wirkung betrifft. Aber darf ich fragen, wie das überhaupt passiert ist?«

Wenn ich das so höre, fühle ich mich wie ein Vollidiot, dass ich deswegen gleich K.O. gegangen bin. Gott, ist das peinlich …

»Nein, ich … hab nichts dagegen. Ich war wohl irgendwie übermüdet, hab geduscht, um ein bisschen wacher zu werden. Dabei hab ich mir-« Irritiert runzle ich die Stirn, bei der Erinnerung für den Grund dieses buchstäblichen Ausrutschers in der Duschschale. »Ich weiß nicht. Da war wohl irgendwas – oder auch nicht, keine Ahnung. Vermutlich hab ich es mir bloß eingebildet. Jedenfalls hat es mich kurz erschreckt, ich bin aufgesprungen und schon ist es passiert. Ich war so fertig, dass ich nicht weit kam, um Hilfe zu rufen.«

Er wirkt besorgt, doch nickt. Mit den Fingern in einer seiner Hosentaschen, fischt er nach etwas, das aussieht wie eine Visitenkarte, als er es mir endlich vor die Nase hält.

»Hier, bitte. Wenn irgendetwas ist, können Sie mich gerne jederzeit rufen, ich werde immer Zeit für Sie haben, versprochen.«

Kurz lache ich auf, während ich die Informationen betrachte und die Karte dankend entgegennehme. »Versprechen Sie nichts, das Sie nicht halten können.«

»Keine Sorge, hier passiert so gut wie nie was, also hab ich sicher Zeit«, entgegnet er locker, »und es ist doch die Aufgabe des Ritters, in Not geratene Maiden zu retten, nicht wahr?«

Er zwinkert mir zu und ich glaube, noch offensichtlicher kann er gar nicht werden.

Vielleicht ist es mein Aussehen. Vielleicht auch mein Auftreten. Aber die meisten Leute halten mich wohl schon fast aus Prinzip für schwul.

Entweder das, oder viele haben einfach einen erstaunlich gut laufenden Radar. Egal, ehrlich gesagt kommt mir das bloß gelegen.

»Ich hab nichts dagegen, von einem edlen Ritter gerettet zu werden.« Ich setze dabei mein süßestes Lächeln auf, das sich in einigen Punkten von seinem unterscheidet.

Offiziell nutze ich es nie. Doch in Fällen wie diesen, sorgt es für gewöhnlich dafür, den natürlichen Beschützerinstinkt zu wecken, der bei Männern wie diesen so gut funktioniert.

Er ist genau die Art Mann, die ich bevorzuge.

 

Ich wuschle ein wenig in meinen Haaren, während ich eine akrobatische Verrenkung mit einem zweiten Spiegel vollziehe, um die von Ranger Joe erwähnte Wunde zu betrachten.

Tatsächlich wirkt es mehr wie ein Kratzer – ein Kratzer, der ganz schön wehtut. Und der mich ordentlich ausgeknocked hat.

Zugegeben, ich denke, es lag eher an meinem Gesamtzustand, dass es mich dermaßen umgehauen hat.

Kein wirklicher Schwindel vorhanden. Übel ist mir natürlich auch nicht.

Ich bin immer noch etwas müde, aber das ist ja nicht der Rede wert und hat kaum etwas mit der Verletzung zu tun. Es sollte theoretisch keine Probleme bereiten.

Ein Arzt wird demnach also erstmal nicht nötig sein.

Als ich so in den Spiegel sehe, wandert mein Blick weiter zur Dusche. Bedächtig gehe ich ein paar Schritt in die Richtung und stelle mich dann mit verschränkten Armen vor sie, als würde sie schon auspacken, wenn ich sie nur lange genug so schweigend und verurteilend ansehe.

Doch es passiert nichts. War auch nicht anders zu erwarten.

Die Bilder von gestern wollen mir einfach nicht aus dem Kopf. Ich ignoriere es zwar, doch jedes Mal kehrt mein Geist zurück in die Dusche. Ich sehe es immer wieder vor meinen Augen.

Dieser Moment, als ich gefallen bin. Da war etwas. Es war kurz vorher da und es war im Wasser. Aber was war es? Eine Verschmutzung aus den Rohren? Eigentlich sollte die Brause viel zu fein dafür sein. Es müsste stecken bleiben und könnte höchstens die Düse verstopfen.

Mir fällt einfach nichts ein, an das mich das, was ich gesehen habe, erinnern würde. Abgesehen von einem Horrorfilm vielleicht.

Seufzend schließe ich die Augen und massiere mir die Schläfen. Nun bekomme ich also doch noch richtige Kopfschmerzen.

Es hilft nichts. Das hier passiert doch bloß, weil ich immer noch Fragen habe, die nicht beantwortet wurden. Weil es Dinge gibt, die ich mir nicht erklären kann, bilde ich mir Sachen ein, die nicht echt sein können. Einfach, weil ich nach Antworten suche.

Irgendwann passt man Theorien eben nicht mehr den Fakten an, sondern die Fakten den Theorien. Ich will etwas finden, das diesen Ort abstoßend macht, also bilde ich mir etwas ein.

Das kann sich ganz schnell klären, wenn ich diese Antworten von jemandem bekomme, der sie kennen muss.

Kurzentschlossen nehme ich den Weg durch die Küche nach draußen und lasse die Haustür hinter mir ins Schloss fallen, ehe ich mich grob umsehe. Die Sonne wirkt furchtbar hell hier draußen, doch die Luft ist rein und frisch.

Für einen Moment nehme ich mir die Zeit, tief durchzuatmen, dann gehe ich zielstrebig den verwilderteren Weg entlang, zu einem der frischer aussehenden, der mich direkt zu einer der anderen Hütten führt.

Hier war es, nicht wahr? Wir werden sehen.

Meine Hand schlägt dreimal sachte gegen das massive Holz vor mir. Von drinnen sind Schritte zu hören, die näher kommen. Ich mache mich bereits auf eine weitere Version von Pleasantville gefasst, während ich noch darauf warte, dass die Klinke gedrückt wird.

Die Person, die die Tür dann jedoch für mich öffnet, ist nicht die, die ich erwartet hatte.

Es dauert kurz, ehe mir einleuchtet, wer der mittelalte Mann mit dem langsam etwas angegrauten Haar sein könnte, der da vor mir steht.

»Oh, Sie müssen … Harry sein, nicht wahr?«, mutmaße ich und hoffe zugleich, dass ich mich richtig an den Namen ihres Mannes erinnere.

»Ja. Und Sie sind?«

»Ian. Der neue Mieter aus Hütte 13«, antworte ich zuckersüß und ebenso affektiert wie seine Frau von zuvor. Damit muss er sich hier ja heimisch fühlen.

Er wirkt zwar etwas verwirrt, nickt dann jedoch. »Natürlich, freut mich, Sie kennen zu lernen. Meine Frau hat Sie bereits erwähnt, tut mir leid. Ich hab sie hier nicht erwartet, waren Sie mit ihr verabredet?«

»Keine Sorge, woher sollten Sie das auch wissen?«, rede ich drauf los, »Und nein, ich komme einfach so vorbei, weil ich eine kleine Frage an Ihre Frau habe.«

»Sicher, Sie ist kurz raus gegangen, aber sie kommt bestimmt gleich zurück«, entgegnet er und sieht dann zu einem Punkt hinter mir, knapp über meiner linken Schulter, »ah, wenn man vom Teufel spricht. Da ist sie ja auch schon.«

Mit diesen Worten winkt er jemandem zu, von dem ich vermute, es wird die eben erwähnte Dana sein.

Im selben Augenblick drehe ich mich um und lächle ihr zu. Sie lächelt nur für eine Sekunde und als sie mich sieht, beginnt es bereits zu bröckeln.

Vor ihrem Mann lässt sie sich das jedoch kaum anmerken. Stattdessen bleibt sie ruhig und kommt zu mir.

»Mr. Davidson, was für eine schöne Überraschung«, zwitschert sie gespielt freudig. Wer’s glaubt.

Aber ich spiele mit. »Nennen Sie mich einfach Ian.«

»Gerne. Wie geht es Ihnen denn heute? Ich habe von Ihrem kleinen Unfall gehört. Ist wirklich alles in Ordnung?«

»Klar, wie man sieht, habe ich es gut überlebt. Ehrlich gesagt bin ich hier, weil ich gerne etwas mit Ihnen besprechen würde, Dana.«

Ihr Blick verrät, dass sie bereits weiß, um was es geht. Sie nickt ein wenig bedrückt und weist mir den Weg in ihr Heim. »Gut, kommen Sie doch herein, dann reden wir in Ruhe.« Damit wendet sie sich an ihren Mann. »Schatz, würde es dir etwas ausmachen, uns für ein paar Minuten allein zu lassen?«

Zwar scheint er nicht recht zu wissen, was das alles soll, lässt seiner Frau jedoch die Freiheit und entschuldigt sich, während wir nach drin verschwinden und Dana sogleich die Küchenzeile ansteuert. Sie setzt Tee auf, wie es aussieht.

»Sie wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen will, oder?«, frage ich unverblümt und ernst, nachdem wir offensichtlich allein im Haus sind.

Sie seufzt und nimmt dann den Behälter mit frisch aufgekochtem Wasser aus der Station, um einiges davon in zwei bereitstehende Tassen zu füllen.

»Es geht um Ihre Hütte, nicht wahr?«, stellt sie ihre Gegenfrage und ich sehe, wie sie zwei Teebeutel in die mit Wasser befüllten Gefäße hängt, »Die Hütte 13.«

»Ja.«

Ich beobachte, wie sie mit den beiden Tassen in Händen an den Tisch kommt, neben dem ich stehe und denn auf das Sofa weist. »Setzen Sie sich, ich werde Ihnen alles erzählen, was ich darüber weiß. Wenn Sie hier sind, um zu fragen, heißt das, Sie haben bereits etwas gemerkt, nicht wahr?«

Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll. Bemerkt in Bezug auf was?

Bezogen darauf, dass die Hütte sich von den anderen unterscheidet? Nun ja, hier in einer anderen stehend, muss ich sagen, nur die Einrichtung ist anders und da die beiden hier keine Mieter sondern richtige Besitzer sind, ist klar, dass sie es sich selbst einrichten durften. Ansonsten gibt es keinen Unterschied an sich.

Wenn man nun aber von dem Verhalten der anderen spricht, dann ja, es war offensichtlich, dass es einen Unterschied gibt.

Oder meint sie vielleicht in Bezug auf … etwas vollkommen anderes?

Scheinbar kann man mir meine innere Krise bereits an der Nasenspitze ablesen, denn sie lacht nur kurz trocken auf. »Also ja. Ich nehme an, der Unfall könnte etwas damit zu tun gehabt haben?«

Wieder taucht das Bild von diesem schwarzen Etwas im Wasser vor meinem geistigen Auge auf.

Ich sage nichts, doch sie nickt erneut. Verstehend … irgendwie.

Was versteht sie? Worum geht es hier?

Diese Geschichte wird jetzt schon immer merkwürdiger.

»Das alles hat erst vor fast zwei Jahren begonnen«, fängt sie endlich an mit der Sprache herauszurücken, »Besucher waren wandern, in dem Waldstück, das direkt hinter ihrer Hütte gelegen hat – die Hütte mit der Nummer 13. Dort haben Sie sich verirrt, bis hin zu einem versteckten Wasserfall, von dem nicht einmal wir etwas wussten. Es hat fast zwei Tage gedauert, die beiden wiederzufinden.«

»Und was geschah dann?«

»Ein Suchtrupp, der aus den Rangern der Gegend und uns Siedlern der Pines bestanden hat, konnte sie schlussendlich finden, doch sie waren irgendwie nicht mehr dieselben. Erst dachten wir, es läge bloß am Schock, doch da war mehr. Sie sagten, etwas sei dort in den Wäldern gewesen. Es sei ihnen bis in die Hütte gefolgt und hätte sie dort nicht in Ruhe gelassen. Wir wussten nicht, was sie meinten und wie sie es meinten. Doch sie sind am Ende geflüchtet, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her gewesen.«

»Verstehen sie mich nicht falsch, aber das haben Sie diesen Leuten geglaubt? Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass sie tatsächlich bloß traumatisiert waren? Sie waren dort zwei Tage. Der Hunger hat es vielleicht verursacht. Durst. Stadtmenschen sind in solchen Situationen oft nicht so robust.«

»Sie waren Wanderaffin und haben das schon oft gemacht, glauben Sie mir, das waren nicht ihre üblichen Stadtmenschen. So labil waren Sie nicht. Oder wirkten … Naja, uns blieb jedenfalls gar nichts anderes übrig; alle Mieter, die nach diesem Pärchen in die Hütte mit der Nummer 13 gezogen sind, haben wieder und wieder dieselbe Geschichte erzählt. Bloß war es diesmal nichts in den Wäldern. Es war schon da; mit ihnen in der Hütte 13. Und alle hatten sie Todesangst, als sie abgereist sind.«

Sie wirkt dabei sehr bedrückt, irgendwie von Angst erfüllt, jedoch nicht panisch. Eher besorgt.

Wie jemand, der eine Geistergeschichte hört und nicht daran glauben will, es aber am Ende doch tut – weil er so verzweifelt ist, dass er keine andere Erklärung mehr sieht. Diesmal ist nichts davon gekünstelt; es sind echte Gefühle, die sich auf den Zügen ihres Gesichts widerspiegeln. Als Anwalt kann ich so etwas erkennen, zumindest bei so leicht durchschaubaren Menschen.

Nichts gegen Dana, aber sie gehört zu der Art Mensch, die man leicht versteht. Sie ist nicht kompliziert, was nicht negativ sein muss. Es heißt auch, dass sie mies im Lügen ist und das ist immer gut. Es heißt, dass sie darin nicht viel Erfahrung hat und wenn sie es tut, keiner darauf hereinfällt.

»Bevor Sie denken, dass es sicherlich Leute waren, die sich gegenseitig kennen, muss ich Ihnen widersprechen«, wirft sie dann schnell ein, womit sie mich in unser Gesprächsthema zurückwirft, »wir hatten Angst, das Gerede würde im Netz enden und zu Rufmord ausarten, also haben wir einen Privatermittler engagiert. Unser Anwalt hat uns dazu geraten. Um zu ergründen, ob man gegen diese Menschen einen Prozess anstreben könnte, falls es zum Äußersten kommen sollte.«

Das ergibt Sinn. Als Rechtsbeistand hätte ich so etwas ebenfalls in Erwägung gezogen, um meinen Mandanten bestmöglich zu schützen. Als Präventivmaßnahme, für den Fall der Fälle.

Ihr Blick fällt zu Boden und wirkt leer, soweit ich ihn noch sehen kann. »Doch dem war nicht so. Die Leute haben sich offenbar nicht einmal getraut, ein Wort darüber zu verlieren; ja, nicht einmal auf der Seite ihres jeweiligen Reiseveranstalters. Als würden sie es totschweigen wollen. Und gekannt haben sich die Urlauber offenbar auch nicht. Sie kamen aus gänzlich verschiedenen Staaten und hatten keinerlei Gemeinsamkeiten. Danach haben wir die Sache fallen lassen.«

»Verstehe«, gebe ich zurück und nicke bedächtig. Sie haben gezielt alles geprüft, das in einem solchen Fall von Bedeutung wäre. Die Verbindung zwischen den ›Opfern‹ und ob es eine solche überhaupt gibt oder gegeben hat, genauso wie ihre Präsenz im Netz, gerade auf Seiten, die für ein Resort wie die Evergreen Pines am ehesten ins Gewicht fallen.

Ich nehme an, es handelt sich um eine Art kollektive Abzock-Methode, sowie vermutlich auch der Anwalt dieser Leute hier. Wir sind darauf abgerichtet, in solchen Fällen vom Schlimmsten im Menschen auszugehen. Die Story war vermutlich durchaus abgesprochen – so etwas kommt immer mal wieder vor, in verschiedensten Varianten.

Menschen treffen sich im Netz, kommen auf irgendwelche dummen Ideen und hecken diese dann gemeinsam aus – privat muss man sich hierzu nicht mehr teilen, als die Fähigkeit, einen Computer mit Internetanschluss bedienen zu können.

Zumeist sind es Schnapsideen, welche in irgendwelchen offenen oder geschlossenen Foren gepostet werden und von Leuten mit ähnlichen Gedanken verfolgt werden können.  Und manchmal sind diese nach der Umsetzung sogar noch von Erfolg gekrönt, was die Täter bestärkt.

Doch mir ist der Sinn hinter dieser speziellen Aktion nicht ganz klar. Ich meine, es ist eine Menge Aufwand, für eine einfache Hütte in den Bergen. Klar, nun ist sie ein wahres Schnäppchen, doch diese Leute scheinen ohnehin nicht mehr herzukommen und es würde auch ihre Geschichte ruinieren, wenn sie es täten.

Sie haben also absolut gar nichts davon. Jeder ist unglücklich, also wer profitiert von diesem Chaos? Es scheint einfach nicht logisch.

Irgendetwas an dieser Geschichte stinkt zum Himmel. Es ist, als würde ein Puzzleteilchen fehlen und ich sehe es einfach nicht, obwohl es direkt vor meiner Nase liegt.

Gibt es vielleicht einen dritten Mann? Jemanden, der die Hütte schon ewig erstehen wollte und nur darauf gewartet hat, dass sie billiger wird?

Nein, dann wäre sie längst verkauft worden. Der Zenit wurde schließlich bereits erreicht, nehme ich an.

Dennoch muss ich es wissen. »Gibt es einen Interessenten für diese Hütte? Jemanden, der besonders scharf darauf wäre, sie zu erstehen, es bisher aber nicht konnte?«

Sie wirkt verwirrt und überlegt, schüttelt dann jedoch den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste.« Dann überlegt sie noch einmal. »Nein, Moment, da gab es jemanden. Der wollte die Hütte jedoch nicht erstehen; er wollte sie auch nicht mieten oder sich ansehen. Er hat hier ein paar Mal angerufen und bloß danach gefragt, ob hier irgendetwas geschehen wäre. Er hat seltsame Fragen gestellt und sich sogar manchmal nach Leichen erkundigt, die in den Bergen gefunden wurden.«

Bei dem letzten Punkt werde ich hellhörig. »Nach Leichen? Was denn für Leichen?!«

»Sie wissen schon, verunglückte Wanderer und Bergsteiger, genauso wie Selbstmörder oder Leute, die irgendwelchen Tieren zum Opfer gefallen sind, weil sie nicht auf die Sperrzonen und Warnhinweise geachtet haben. Ihnen scheinen nur die interessiert zu haben, deren Körper deutlich … beschädigt waren.«

Ihr Gesicht verzieht sich bei den letzten Worten so stark mit Abneigung, dass es beinahe schmerzt.

Interessant. »Entschuldigen Sie meine Neugier, aber was denn für eine Art von ›Beschädigung‹?«

Offensichtlich ekelt sie bereits allein der Gedanke, weswegen sie die Tasse Tee, die sie nebenbei in der Hand hält, vorsorglich zurück auf die Tischplatte stellt. Sie antwortet mir aber, trotz ihrer offenkundigen Ablehnung des Themas.

»Nun, einige von ihnen waren … ausgeweidet. Bärenangriffe, schätze ich. Vielleicht auch Bergsteiger, die bei ihrem Sturz an scharfkantigen Felsvorsprüngen aufgeschlitzt wurden. Er hat auch besonders nach Paaren gefragt, die starben. Also, wenn es mehr als einen gab oder einer von zwei Leuten verunglückt ist. Größere Gruppen haben ihn offenbar weniger interessiert.«

Ich runzle die Stirn und denke nach. Was soll das?

»Kennen Sie den Namen dieses Anrufers? Den Wohnort? Irgendetwas?«

»Jesse. Jesse Trager«, kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen und mir vollkommener Sicherheit, »das hat er mir während unseres ersten Telefonats gesagt und der Name hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt. Doch leider konnte ich nichts gegen ihn unternehmen, denn die Polizei kann ebenfalls nichts daraus schließen. Die Toten sind verunfallt und ansonsten machen die Fragen wenig Sinn. Sollte er nach einer Leiche suchen, die er selbst verursacht hat, macht er es nicht gerade geschickt und sie hätten dann auch noch niemanden gefunden – das meinte zumindest ein Officer dazu, der sich das mal näher angesehen hat.«

»Verstehe.« Dennoch ist damit irgendetwas. Ich weiß, es ist wichtig. Nur nicht, weshalb.

Die Polizei hält es nicht für Bedeutend, ich schon. Mal sehen, wer Recht behält. Dazu müsste ich diesen Jesse jedoch erstmal finden. Und das wird das wahre Problem sein, wenn ich nicht einmal weiß, aus welchem Staat er kommt.

»Er hat hier von seinem Arbeitsplatz aus angerufen, falls das weiterhilft. Das hat die Polizei für mich in Erfahrung gebracht. Es ist eine Firma die Aufträge für Import und Export verschiedener Waren großer Unternehmen koordiniert. Sie heißt Secure Global Services und liegt am Federal Boulevard in San Diego.«

Ich halte inne und sehe sie einige Sekunden lang an, als hätte ich gerade gesehen, wie ihr Hörner wachsen. »Ist das ein Scherz?«

»Nein, wieso?«

Auf diese Antwort kann ich bloß lachen und den Kopf schütteln.

»Was ist denn so witzig daran?«

»Nichts. Ich dachte nur gerade, es könnte verdammt schwierig werden, einen Jesse Trager zu finden, ohne irgendwelche Anhaltspunkte. Nun wissen wir, wer sein Arbeitgeber ist und in welcher Stadt er vermutlich lebt. Besser geht es kaum – es sei denn, wir hätten noch seine genaue Privatadresse.«

»Ja, aber er wurde als unwichtig eingestuft, oder nicht?«

»Ich glaube nicht, dass er unwichtig ist. Was es mit ihm auf sich hat, weiß ich nicht, das gebe ich zu, aber da ist bestimmt irgendetwas. Man muss nur etwas tiefer graben.«

Mich interessiert vor allem, warum er sich für Leichen interessiert. In den Bergen passiert sowas durchaus hin und wieder, besonders aber in solchen, die an Nationalparks hängen und somit nicht nur mit mehr Fauna gesegnet sind, sondern auch mit umso mehr menschlichen Besuchern.

Dichte Wälder in Kombination mit hohen Klippen. Wunderschön anzusehen, frische Luft und Natur soweit das Auge reicht, aber hinter jeder Ecke können Gefahren lauern, wenn man sich weder auskennt, noch Vorschriften und Warnhinweise von jenen beachtet, die es tun.

Geschlagen reibe ich mir über das Gesicht und stütze dann die Arme auf die Knie. »Danke, Dana. Ich werde sehen, was ich mit diesen Informationen anfangen kann. Vielleicht kann ich ja dafür sorgen, dass die Hütte 13 ihren Schrecken verliert.«

Überrascht sieht sie zu mir auf, als ich vom Sofa aufstehe. »Meinen Sie, dass Sie das schaffen? Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte …«

»Ich werde mir etwas einfallen lassen, versprechen kann ich aber selbstverständlich nichts.«

»Sicher. Aber ich wünsche Ihnen viel Glück dabei.«

Es wirkt so, als ginge sie ernsthaft davon aus, dass da etwas in dieser Hütte ist. Zugegeben, die Aussage deckt sich ein wenig mit meiner Beobachtung, aber andererseits ist es mittlerweile ohnehin lächerlich. Was genau soll ich da gesehen haben? Ich war schlaftrunken und es war dunkel draußen. Das Deckenlicht hat mir einen Streich gespielt.

Je länger ich darüber nachdenke, desto lächerlicher komme ich mir dabei vor.

Kaum bin ich aus der Tür, nehme ich mir erneut Zeit, erst einmal tief durchzuatmen. Meine Glieder wiegen schwer.

Ich sollte noch eine Runde darüber schlafen und mich morgen schlau machen. Vielleicht rufe ich die Tage mal bei diesem Trager an. Wer weiß schon, was er mit all dem zu tun hat.

Doch bevor ich diesen Kerl anrufe, der offenbar eine kranke Beziehung zu Leichen zu haben scheint, könnte ich mich auch schöneren Dingen widmen und eine andere Nummer wählen.

Ich lächle in mich hinein, auf dem Weg zu meiner Behausung, wo ich erst einmal im Schlafzimmer nach einem kleinen Stück Papier wühle.

In erster Linie ist das hier schließlich mein Urlaub, nicht wahr?

 

»Und da war echt ein Kaninchen in seinem Koffer?«, frage ich ungläubig.

»So wahr ich hier sitze. Er hat es mit nach Hause schmuggeln wollen. Mir ist nicht ganz klar, wie man auf eine so hohle Idee kommen kann.«

»Gott, das arme Tier«, werfe ich ein und nehme mir einen Kartoffelchip aus der Schale vor uns auf dem Tisch.

Irgendwie ironisch, dass man solch ein zurückgezogenes Plätzchen wählt, um dort einen Erholungsort in der Natur zu errichten, dann jedoch auf keinerlei Zivilisation verzichten möchte. Sie leben hier völlig normal, mit all den Bequemlichkeiten, nur eben abgelegen.

Zugegeben, mich kümmert es eigentlich wenig. Ich bin nicht hergekommen, um zum Eremit zu werden, sondern um ein wenig von den Menschen wegzukommen, die ich um mich herum habe.

»Ja … lass uns das Thema wechseln«, wirft der leicht braungebrannte Ranger neben mir ein, »mich interessiert, wie es dich hierher verschlagen hat. So weit in die Wildnis, nur für einen Urlaub und dann auch noch ganz allein.«

Blinzelnd brauche ich eine Sekunde, um das Gesagte zu verarbeiten. Wir sitzen hier nun seit Stunden. Wir reden, essen, trinken, lachen … und dann kommt sowas.

Zugegeben, in seinen eigenen Ohren muss diese Frage vollkommen harmlos klingen. Doch leicht zu beantworten ist sie nicht.

Ich lege den Knabberkram aus der Hand und setze mich aus meiner bequemen Position aufrecht hin. Irgendwie fühle ich mich angespannt.

»Naja, ehrlich gesagt wollte ich einfach weg. Ist das so schwer zu glauben?«

»Nein, natürlich nicht«, lenkt er ein, »ich würde dich bloß gerne etwas besser verstehen. Ich mag dich wirklich sehr, auch wenn ich dich noch nicht lange kenne.«

Darauf kann ich lediglich müde lächeln. Ich mag ihn auch, doch nicht auf eine Weise, die eine intime Frage rechtfertigen würde.

Aber vielleicht bin ich auch einfach zu paranoid, um jemanden gleich beim ersten nur fast richtigen Date in alles einzuweihen, was in mir vorgeht.

»Ich habe … gesehen, wie sich ein Mann in der Firma die ich gearbeitet habe, aus dem Fenster gestürzt hat, um ein Zeichen zu setzen.«

Für einen Moment wirkt er schockiert, dann rückt er auf der Couch näher, um mir mit der Hand ein wenig über den oberen Rücken zu streichen. »Das tut mir leid; es muss schrecklich mitanzusehen gewesen sein.«

Erstmal sage ich nichts, doch dann schüttle ich den Kopf. »Ehrlich gesagt war das nicht einmal das wahre Problem«, gestehe ich ehrlich, »der Mann hat sich aus dem Fenster gestürzt, weil er einen Prozess gegen meinen Boss verloren hat. Gegen mich. Nur, weil sein Anwalt ein kompletter Stümper war – ich weiß, er hatte recht. Es ging um Mängel an einem Gebäude. Mein Mandant ist der Chef der Firma, die es gebaut hat.«

»Oh«, gibt er zurück, »ich verstehe. Das macht es natürlich noch schwerer.«

Und wie.

Doch das war’s für ihn offenbar noch nicht. »Du bist nicht schuld daran, das weißt du, oder?«

Die Worte hallen in meinen Ohren wider. Ich muss Luft schnappen. Immer wieder höre ich dieselben Worte, es ist nicht auszuhalten.

Mit einem Mal stehe ich auf und gehe in Richtung Tür.

»Danke, ich weiß … denke ich. Aber es ist schon spät und ich bin müde. Wir sollten morgen telefonieren, okay?«

Ich lächle ihn an, doch selbst das süßeste, gezwungene Lächeln, das ich im Moment zustande bringe, täuscht nicht über mein abruptes Handeln hinweg. Es ist beinahe, als würde ich ihn rauswerfen.

Es fühlt sich für mich so an und muss sich für ihn noch viel eher danach anfühlen. Dabei ist es gar nicht seine Schuld. Es ist meine Schuld.

Als er neben mir steht, wirkt er ein wenig, wie ein verlorener Welpe. Getreten und am Boden.

Meine Hände legen sich wie von selbst auf seine Brust. Ich sehe zu ihm herauf und stelle mich auf die Zehenspitzen, um meine Lippen federleicht auf seine zu legen.

Er zuckt ein wenig überrascht zusammen, erwidert meine Avancen jedoch schnell, indem er meine Taille packt und mich ein kleines Stückchen erhöht. Seine Hitze durchströmt mich; mir wird beinahe schwindelig, als er seine Zunge über meine Lippen streichen lässt.

Ich seufze in seinen Mund, als er mich immer wieder aufs Neue einfängt. Der Kuss wird immer hungriger und unkontrollierter. Überall wo seine Hände mich berühren, scheint meine Haut Feuer zu fangen. Sein süßer Geruch, zusammen mit dem salzigen Geschmack des Snacks von vorhin auf meiner Zunge, vernebelt mir die Sinne.

Für einen Moment höre ich mein eigenes, lautes Atmen und reiße die geschlossenen Augen auf.

Dann ist es vorbei. Die Hitzewallungen unterbindend, schiebe ich ihn ein wenig von mir. Seine Augen sehen mich unverwandt an.

Ich weiß, meine Wangen sind gerötet und meine Augen glasig. Mein Blick wandert unwillkürlich über seinen Körper, doch ich weiche weiter zurück.

Nicht heute. Nicht jetzt schon.

»Ein andermal«, wende ich ein, ehe ich die Kontrolle verlieren kann und schlucke, »wir sehen uns, Joe.«

Er nickt und lässt für den Bruchteil einer Sekunde ein spitzbübisches Lächeln in seinem Mundwinkel aufblitzen. »Ich warte bereits sehnlichst darauf.«

Und das glaube ich ihm sogar, wenn ich daran denke, wie er mich beinahe verschlungen hätte. Allein der Gedanke treibt Hitze in meine tiefergelegenen Zonen.

Ich wende mich ab, um auf direktem Wege ins Badezimmer zu rennen.

Ja, ich sollte dringend ein Band nehmen, um auf andere Gedanken zu kommen.

Und zwar ganz schnell.

 

Müde aber entspannt bis in jede Pore, lasse ich mich in das heiße Wasser sinken. Gott, wie konnte ich das eben bloß tun? Ich habe ihn geküsst. Bei einem ersten Date.

Und es war ja nicht mal offiziell ein Date, das heißt, es war eigentlich bloß sowas ähnliches wie ein Date und kein Date!

Ich seufze irritiert und sinke noch ein Stück in das wohlige Bad. Vielleicht lässt es mich ja vergessen, was da vorhin gelaufen ist. Wer weiß das schon …

Ich positioniere mich passend über dem Wasser und lege den Kopf auf den Wannenrand, um die Augen zu schließen. Nur für einen Moment.

Die Wärme um mich herum umgarnt mich und lädt mich praktisch dazu ein, mir keine Gedanken mehr zu machen. Mein Kopf wird immer schwerer.

Die Beine im Wasser anwinkelnd, versuche ich die Pose zu wechseln, doch kann die Kraft kaum aufbringen.

Ich spüre noch, wie mein Kopf zur Seite kullert.

Es ist dunkel. Schwarz und still. Die Ruhe empfängt mich und schließt mich ein. Seufzend lasse ich mich in ihr fallen.

Etwas kitzelt an meinem Bauchnabel. Eine leichte Berührung. Zwei Hände wandern meine bare Brust herab, bis zu meinen Hüften; zu meinen Schenkeln.

Ich atme schwerer, als er meine Beine auseinander zwingt und sich zwischen sie drängt. Ein stöhnen entkommt meinen Lippen.

Das Gefühl, wie er in mich eindringt, lässt mich erschaudern. Kein Gewicht auf mir.

Wer ist da?

Er berührt mich tief in meinem Inneren und zwingt mich zu einem Aufschrei.

Mit einem Mal öffne ich die Augen. Ich zwinge sie dazu, ins Licht zu sehen. Sie wollen kaum; ich bin so müde.

Mein Kopf schmerzt, doch ich achte kaum darauf. Stattdessen richte ich mich, laut mit dem Wasser platschend, in der Wanne auf. Schneller Atem hebt und senkt meine Brust hysterisch.

Die Erregung ist wie eine Erinnerung in weiter Ferne, doch mein Körper fühlt sich an, als wäre er überempfindlich.

Ich schüttle den Kopf und stehe auf; mache mir nicht einmal die Mühe, das Wasser abzulassen, ehe ich mich aus dem Bad in mein Zimmer verkrieche und die Tür schließe.

Ich lege mich in mein Bett, mit dem Blick zur Uhr. Es sind Stunden vergangen. Das Wasser war eiskalt. Doch mein Körper heiß, als hätte ich Fieber.

Zitternd, doch nicht aufgrund irgendeiner Art von Kältegefühl, denke ich nach. Mein Kopf ist leer. Meine Augen schmerzen.

Ich kann nicht nachdenken. Ich habe doch geschlafen. Einige Stunden, nicht wahr?

Wieder dieses Gefühl. Ich fühle mich so ausgelaugt und ich habe Hunger, obwohl ich doch erst gegessen habe. Sogar mehr als sonst, zusammen mit Joe. Ich müsste am Platzen sein.

Zwar schalte ich das Licht aus, doch es bringt nichts.

In dieser Nacht liege ich nur dort; nicht mehr in der Lage, ein weiteres Mal einzuschlafen. Meine Augen brennen mittlerweile.

Doch egal was ich tue, ich kann sie nicht für lange schließen. Es ist, als würde mir etwas ins Ohr flüstern. Als würde es mir sagen, dass ich wach bleiben soll; dass Gefahren in der Dunkelheit lauern, wenn ich einschlafe.

Das Gefühl der Unruhe tobt in mir, obwohl ich vollkommen entspannt sein sollte.

Alles kribbelt;  es ist merkwürdig.

Vielleicht, weil ich seit Stunden wach im Bett liege. Das muss es sein.

Verdammt, wieso kann ich nicht einschlafen?

Es geht so weiter. Für Stunden. Stunde um Stunde. Ich kann nicht einmal zählen, wie viel es waren. Ich bin so durcheinander. Dann fallen meine Augen zu. Nicht schlafend, doch ruhe versuche ich zu simulieren.
Vielleicht bringt es ja etwas, wer weiß? Erst Vogelgezwitscher schreckt mich wieder auf.

Ich erhebe mich träge; seufzend und gähnend. Eine schreckliche Nacht.

Ich habe Hunger – ich sollte etwas essen.

Kaum am Kühlschrank, sehe ich hinein. Eine Packung roher Speck lächelt mich an. Ich sollte mir Frühstück machen … nein, ich habe Hunger. Warum warten?

Ohne darüber nachzudenken, reiße ich die Packung auf und esse den Inhalt so, wie er da liegt.

Ich nehme mir noch etwas anderes mit und sehe mich dann um. Mein Körper fühlt sich seltsam an. Träge und schwer.

Aber auch irgendwie … kribbelig. Kitzelnd. Als müsste ich mich kratzen oder ihn irgendwie reizen.

Wie, als sollte mir das etwas sagen, fällt mein Blick auf einen kleinen Zettel. Ich lächle, obwohl mir eigentlich kaum danach ist; es ist der Gedanke an das, was kommen könnte, das mich fröhlicher stimmt, als ich es gerade normalerweise wäre.

Dann greife ich zum Telefon und wähle die Nummer. Schon kurz darauf, meldet sich eine angenehme, männliche Stimme zu Wort.

»Ah, hey Joe, ich bin’s. Ian, meine ich. Wollen wir uns vielleicht treffen?«

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Tag der Veröffentlichung: 21.11.2017

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