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Kapitel 1

 

Wie beschreibt man am besten ein ganz gewöhnliches Mädchen? Was nirgends auffällt und niemand kennt? Ich bin ein Mädchen, das niemanden interessiert. Ich komme aus Kanada und bin hier her, nach Baxley in Georgia, gezogen. Vor ungefähr fünfzehn Wochen starben meine Eltern. Mein kleiner Bruder und sie wollten mit dem Flugzeug in ein anderes Land fliegen. Das Flugzeug ist abgestürzt. Meine Eltern konnten nicht mehr gerettet werden, aber Eric, mein kleiner Bruder . Ich habe es nicht mehr ausgehalten weiter in Kanada zu leben, deswegen zog ich zu meiner älteren Schwester Caroline. Ich wollte ein neues Leben beginnen, in einem anderen Land, auf einer anderen Schule. Auch wenn ich meine Freunde nicht mehr sehen kann. Also fange ich ganz neu an, heute nach den Sommerferien.

„Nina, aufstehen! Du musst in die Schule!“ ertönte eine Stimme in mein Zimmer hinein.

Ich rieb mir den Schlafsand aus meinen blauen Augen und begab mich in das Badezimmer.

Ich sah in den großen Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Ich sah ein zierliches Mädchen, dass lächelt und sich auf den Tag freut. Ich kämmte meine Mähne, meine dunkelbraunen, langen Haare.

Nachdem ich mir meine Lieblingssachen; ein lila Top, eine lange braune Hose und meine grauen Pumps, angezogen hatte, ging ich zu Caroline in das Esszimmer. Ihre Wohnung war sehr klein. Trotz dass sie den ganzen Tag arbeitete, hatte sie immer noch nicht genug Geld.

„Danke, dass du Frühstück gemacht hast!“ sagte ich und setzte mich neben sie. Ich schmierte mir ein Marmeladenbrot und biss hinein. Mit 22 Jahren zog Caroline von Zuhause weg, ich war sehr traurig. Aber ich bin sehr froh, dass ich jetzt bei ihr wohne, wir verstehen uns nämlich sehr gut. Als ich gefrühstückt hatte fuhr sie mich, mit ihrem alten roten Wagen, in meine neue Schule. „Ich wünsche dir sehr viel Spaß, du schaffst das!“ sie lächelte mich an und gab mir meine Tasche. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und schloss die Tür des Wagens.

Ich staunte, die Schule war viel größer als die, in der kleinen Stadt in Kanada. Überall waren Mädchen und Jungen, die sich unterhielten. Ich war alleine und fühlte mich etwas unwohl, bei dem Gedanken das niemand mit mir reden wollte. Aber warum sollten sie denn, sie kennen mich doch gar nicht. Ich steuerte den Weg zu meinem Klassenraum an. Doch wie immer verlief ich mich und stand mitten in einem langem Gang, alleine.

„Hallo, kann ich dir helfen?“ fragte mich plötzlich ein Junge. Er erschrak mich so sehr, dass ich meine Tasche fielen ließ und alle meine Bücher und Blöcke fielen heraus. Sofort bückte er sich und räumte alles ordentlich in meine Tasche, bevor ich nur ein Wort sagen konnte.

„Danke. Ich suche Raum 122, könntest du mir sagen wie ich dort hin komme?“ Ich war schon immer sehr schüchtern, das hatte ich von meine Mutter. Es dauerte sehr lange bis sie sich traute meinen Vater anzusprechen. „Klar, dort muss ich sowieso hin. Dann haben wir wohl Mathe zusammen, ich bin übrigens Natt.“ sagte er und strahlte mich an. Er hatte leuchtend grüne Augen. Ich schaute ihn lange an, denn seine Augen erinnerten mich an die meines kleinen Bruders, der bei meinem Onkel wohnt. „Alles okay?“ fragte er mich und schaute mich verwirrt an. „Endschuldige, ich bin Nina!“ Ich lief leicht rot an. Wie oft war mir das schon passiert. Ich lief in jeder Situation, in der ich mich unwohl fühlte, rot an.

Er klopfte an eine Tür, darauf stand die Nummer 122. Wir waren spät, deswegen stand schon Herr Peters vor der Tafel und unterrichtete. „Natt sogar nach den Sommerferien gleich zu spät. Setzt dich hin.“ sagte er zu Natt und zeigte auf einen Stuhl. Er schaute mich an: „Und du musst Nina Grande sein, habe ich Recht?“ fragte er mich. Alle schauten mich an, ich merkte wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ich strich meine Haare mit meinen Fingern, worauf ein roter Nagellack zu sehen war, zu Seite. Ich beantwortete die Frage einfach mit: „Ja.“ und suchte einen freien Platz. In der letzten Reihe, war ein Stuhl frei, neben einem Mädchen mit roten Haaren. Ich setzte mich neben sie und begrüßte sie. Ich schaute sie prüfend an. Sie hatte knall roten Lippenstift auf ihren Lippen. Sie blätterte in einem kleinen Buch. Auf der Vorderseite waren viele Herzchen gemalt.

Nach einer Zeit, schrieb sie mir einen Zettel, darauf stand:

Hey, ich bin Sophie. Ich hasse Mathe, du auch? Was hast du mit Natt zu tun?

 

Sie kaute ein Kaugummi, so als würde es ihr egal sein, wenn sie es gleich in die Hand von Herr Peters spucken müsste. Sie hatte ein knappes, gelbes Kleid an und hatte sich stark geschminkt. Ihre Ohren standen von ihrem Gesicht ab und ihre Nase war etwas nach oben gekrümmt. Auch wenn sie mir komisch vor kam schrieb ich ihr zurück:

Hey, ich bin Nina. Ja, ich mag Mathe auch nicht besonders! Ich habe nichts mit Natt zu tun, ich hatte den Raum nicht gefunden und er hatte mir geholfen!

Ich schob ihr den Zettel heimlich zu. Eigentlich mochte ich Mathe sogar sehr gerne, ich schrieb immer gute Noten, aber ich wollte nicht als Streber da stehen, also log ich. Bevor sie mir zurück schreiben konnte, klingelte es und ich hatte Musik.

„Weißt du wie du zu dem Musikraum kommst?“ fragte mich Natt. „Also, um ehrlich zu sein. Nein!“ sagte ich und kicherte. „Dann komm mit!“ bot er mir an. Zum Glück war der Musikraum am anderen Ende der Schule, so hatten wir genug Zeit uns kennen zu lernen. „Hast du Geschwister?“ fragte er mich. „Ja. Ich wohne bei meiner großen Schwester. Mein kleiner Bruder wohnt bei unserem Onkel und du?“ fragte ich ihn. „Ja, auch eine große Schwester, aber wir haben nicht viel Kontakt. Eigentlich haben wir gar keinen. Sie wohnt nicht hier!“ sagte er. Es fühlte sich so an, als wüsste er alles über mich, jedes Detail.

In Chemie konnte ich meine Augen nicht von ihm lassen. Genauso wie ein Mädchen, das eine Reihe vor mir saß. Sie schaute in ununterbrochen an. Natt hatte doch keine Freundin, oder?

 

In der Pause ging ich in die Cafeteria um mein Brot, was mir Caroline gemacht hatte zu essen. Doch diese war voll, ich wusste nicht wo ich mich hinsetzten solle. Doch dann winkte mir Sophie und ich setzte mich an ihren Tisch. An dem Tisch saßen außer ihr noch fünf Mädchen, die sich genauso anzogen und auch sehr eitel aussahen.

„Na, wie gefällt dir diese Schule und die Jungs auf dieser Schule, wie zum Beispiel Natt?“ fragte mich ein Mädchen, mit der ich zusammen Chemie hatte. Sie hatte Natt die ganze Zeit angeschaut gehabt. „Gut, sie ist viel größer als die in meiner alten Stadt. Außer Natt kenne ich doch gar keinen und er scheint nett zu sein.“ antwortete ich und holte mein Brot heraus. „Warum bist du eigentlich hier her gezogen?“ fragte mich sie wieder. Ihr Name fiel mir dann wieder ein; Anna. „Hatte es etwas mit Liebeskummer zu tun?“ fügte sie hinzu.

„Nein, wegen Liebeskummer zieht man doch nicht um?“ „Also ich schon!“ sagte eine Andere an dem Tisch, sie schaute mich verwirrt an. „Sag schon, warum kamst du hier her?“ Anna war sehr aufdringlich. Sie war etwas dicker und guckte mich prüfend an. Warum wollte sie es denn wissen, dass interessiert sie sowieso nicht. Ich wollte nur einfach nicht darüber reden, mit niemanden, es einfach vergessen und neu anfangen.

„Ich möchte nicht darüber reden.“ sagte ich. „Nun sag schon! Es ist ja nicht so das deine Eltern gestorben sind!“ Sophie musste lachen. Auch wenn sie es ironisch meinte, fühlte ich den Schmerz. Meine Augen wurden feucht und Tränen kullerten meine Wange hinunter. Ich schnappte nach Luft, doch mir kam es so vor, als wäre diese verbraucht. Als würde der Schmerz den kompletten Sauerstoff brauchen und für mein Leben wär nichts mehr übrig.

„Lasst sie doch in Ruhe, sie möchte nicht darüber reden, könnt ihr das nicht sehen!“ Natt stand hinter mir und brüllte die anderen an. Alle schauten mich an, wie vorhin in der Klasse. Es war mir so peinlich, dass ich aufstand und in die Toilette rannte. Nun saß ich hier und dachte darüber nach, was es für einen Sinn macht zu leben. Mit Taschentüchern versuchte ich die verschmierte Schminke sauber zu bekommen. Es klopfte an die Tür der Toilette. „Nina, komm mal bitte raus!“ Es war Anna. Auch wenn ich jetzt nicht gut zu sprechen war, öffnete ich ihr die Tür. „Ich habe Make-up Entferner dabei! Wenn du möchtest kannst du ihn benutzen!“ Ich nahm das Angebot an und versuchte die verschmierte Schminke aus meinem Gesicht zu bekommen. „ Es tut mir leid, dass wollte ich nicht. Ich hoffe du kannst mir verzeihen!“ sagte sie. Ich war noch nie lange auf einen Menschen sauer. Sie wollte ja auch nichts Böses. Also verzieh ich ihr und nahm sie in den Arm. Jetzt sah ich wieder aus wie vorher, na ja fast. Nur meine roten Augen waren noch zu sehen. Diese konnte ich nicht wegschminken. Nach dem Dong begab ich mich in den Unterricht, diesmal bot mir Anna an, mich hinzu führen. Sie war beeindruckt, dass Natt mich so verteidigt hatte.

 

Nach der Schule ging ich noch kurz in die Schulbücherei, um mir dort ein Buch auszuleihen.

Ich schaute durch die Reihen und ganz hinten war ein altes Buch. Es war schon sehr kaputt, verstaubt und die vergilbten Seiten mit Flecken bedeckt. Auf der Vorderseite stand: Mystical Beings.

Ich leite mir das Buch aus und ging nach Hause. Auch wenn Caroline mich hinfuhr, musste ich zurück laufen, weil sie noch arbeitete. Sie arbeitete als Beamtin. Ich wollte in den Herbstferien anfangen, mit einem Teilzeitjob, um ein bisschen Geld in die Kasse zu bringen.

„Warte!“ rief jemand mir nach. Es war Natt, der auf mich zu gerannt kam. Ich blieb stehen.

„Wo wohnst du?“ fragte ich ihn. „Lanes Bridge Road, du?“ fragte er und atmete tief auf.

„Ich wohne in der Nähe, Old Surrency Road.“ meinte ich. „Dann können wir, ab jetzt, immer zusammen nach Hause gehen!“ sagte Natt und lächelte freundlich. „Du bist echt nett!“ Ich schaute, verschämt auf meine Füße. „Ich wollte mich bedanken bei dir. In der Cafeteria, das fand ich echt mutig von dir!“ „Kein Ding. Sophie und ihre Freundinnen, wissen nicht was sie sagen. Ignoriere sie einfach!“ Ich nickte. Der Weg nach Hause war sehr lang. Wir unterhielten uns viel. Immer wieder schaute ich in seine Augen und verschwand für einen kurzen Augenblick in einem Traum. Immer als ich den Namen Natt in den Mund nahm, fühlte ich ein warmes, vertrautes Gefühl in meinem Bauch, aber auch einen eiskalten Wind in meinen Augen.

 

Als ich nach Hause kam, krempelte ich das Buch, was ich mir ausgeliehen hatte, aus meiner Tasche und schmiss sie danach in eine Ecke, genauso wie meine Schuhe. Ich ging in mein Zimmer. Ich fand „Mystische Wesen“ schon immer interessant. Außer Einhörnern und so einem Kitsch. Ich schaute mir das Buch erst von außen, dann von Innen an. Auf jeder Seite war ein anderes Fabelwesen zu sehen. Dazu war dann ein kurzer Text geschrieben. Ich blätterte durch die ersten Seiten durch, doch fand nichts interessantes. Als ich klein war wollte ich immer ein Vampir sein, aber natürlich nur tierisches Blut trinken. Caroline platzte hinein und sagte: „Hi, ich bin wieder da. Ich gehe jetzt einkaufen.!“ Sie nahm ihre Tasche und ihren Schlüssel und verließ die Wohnung.

Ich schaute noch Minuten lang durch das Buch. Es waren aber nur Wesen zu sehen, die ich entweder schon kannte, oder die so dumm waren, dass ich sie gar nicht kennen wollte. Doch dann klingelte es an der Tür. Als ich noch in Kanada lebte, durfte ich nie die Tür öffnen, wenn ich alleine gewesen war. Aber jetzt bin ich ja fast sechzehn und Caroline hatte einen Spion an der Tür. Damit konnte ich schauen, ob ich die Person kannte, wahrscheinlich war es auch mal wieder Caroline, die ihr Portemonnaie vergessen hatte. Ich schaute durch den Spion, aber es war Natt. Natürlich öffnete ich ihm die Tür. „Hallo, ich wollte dich mal besuchen kommen!“ meinte dieser. „Schön, komm doch bitte hinein.“ Ich hatte noch nie einen Jungen in mein Haus gelassen. Na ja es hatte auch noch keiner bei mir geklingelt.

Ich führte ihn in das Wohnzimmer und setzte mich auf die dunkelrote, lange Coach. „Wie lange bist du schon auf dieser Schule?“ fragte ich ihn. Er setzte sich neben mich. „Seit dem letzten Halbjahr, aber lass uns jetzt nicht über die Schule reden.“ „Und über was dann?“ Über was hätte ich mich wohl mit ihm unterhalten können? Familie? Nein! Beziehungen? Auf gar keinen Fall!

„Ich habe dir etwas mit gebracht. Ich hoffe sie gefällt dir!“ Er hielt eine Kette hoch, daran hing ein Amulett, sie sah wunderschön aus. „Wow, die ist ja wundervoll, wo hast du die her?“ Ich war fasziniert, er schenkt mir eine Kette und er kennt mich erst seit einem Tag.

„Ist ein Erbstück, aber ich möchte das sie dir gehört!“ Er gab sie mir in meine Hände. Ich öffnete das Amulett, darin stand ein Spruch: Believe or die! Die or love!

Ich schloss es wieder und hielt es an mein Herz. „Danke, das ist das schönste was ich je bekommen habe!“ Ich sah ihn musternd an; seinen braunen Haare, standen ihm sehr gut und betonten seinen grünen Augen. Er hatte viele Muskeln und sah echt gut aus. Aber ich hatte Angst vor Schmerzen. Noch mal würde ich sie nicht ertragen.

„Es tut mir leid. Ich habe leider nichts für dich. Das kam so überraschend.“ sagte ich. „Warum entschuldigst du dich so oft. Das musst du nicht. Ich möchte sowieso nichts geschenkt bekommen, lieber will ich schenken!“ Er war so sympathisch. Ich schaute ihm in die Augen.

„Heute in einer Woche ist mein sechzehnter Geburtstag, ich feiere eine Party, kommst du?“ fragte ich ihn und hoffte auf ein „Ja“.

„Natürlich, ich möchte sogar unbedingt kommen.“ sagte er. Ich lächelte ihn an. Ich war schon lange nicht mehr so glücklich wie heute. Ich zog die Kette um meinen Hals. „Sie steht dir wunderbar.“ Es fühlte sich an, als würde dieses Kompliment, die Tür zu meinem Herzen öffnen. „Dein Haus ist echt schön! Wie heißen deine große Schwester und dein kleiner Bruder?“ fragte er mich. Er konnte sich merken das ich eine große Schwester und einen kleinen Bruder hatte. Na gut es war ja auch nicht so schwer. „ Caroline und Eric.“ antwortete ich. Er berührte meine Hand und lehnte sich zu mir herüber. Ich hatte noch nie einen Jungen geküsst, geschweige denn wollte einer mich küssen. Es fühlte sich an, als hätte er das kleine Feuerwerk in meinem Herzen gezündet, was eigentlich schon lange erloschen war. Sein nach Minze riechender Atem streichelte meine Seele. Ich wollte nicht über den Moment nach denken. Dies war der einzige Moment, seit langer Zeit, bei dem ich einfach nur leben wollte! Er streichelte zärtlich meine Handfläche. Die Zeit bis zu dem Kuss kam mir so unendlich lange vor. Mein Kopf sagte mir zwar, dass es zu überstürzte wäre für einen Kuss. Doch mein Herz klopfte wie verrückt und wollte endlich die lange, zarte, liebevolle Lippenberührung spüren. Seine Lippen kamen immer näher. Ich kniff schnell meine Augen zusammen. Ich hielt meinen Kopf leicht schräg. Ich konnte sein Ein- und Ausatmen, an meiner zarten Wange fühlen. Er berührte leicht meine rosa Lippen. Doch bevor ich meine, auf seinen Mund pressen konnte, stürmte Caroline in die Wohnung. „Hallo ich bin wieder da!“ Ich liebte sie so sehr, aber in solchen Situationen wünschte ich mir einfach sie würde, bei ihrer eigenen Wohnung anklopfen, bevor sie einfach herein platzt. Sie stellte ihre Einkaufstasche in eine Ecke. Sie schaute Natt verblüfft an. Ihm war es sichtlich peinlich. Doch Caroline freute sich einfach, dass ihr Schwesterherz männlichen Besuch hatte. „Hallo ich bin Caroline, Ninas große Schwester!“ begrüßte sie ihn und streckte ihm im ihre Hand unter die Nase. Sie hatte „große Schwester“ so betont, dass es überheblich klang. „Hallo, ich bin Natt!“ Gut erzogen stand er auf und schüttelte ihre ausgestreckte Hand. Doch an das Fortführen des Kusses hatte ich nun wirklich nicht mehr gedacht. Deshalb war ich sehr erleichtert als Natt sagte: „Ich denke ich sollte jetzt lieber gehen!“ Hätte er diesen Entschluss nicht bekannt gegeben, säßen wir hier auf der roten Coach, bestimmt noch bis um zehn Uhr. Und Caroline hätte uns vollgelabert, von wegen, wie es bei ihrer ersten großen Liebe zugegangen ist und hätte Natt und mir Tipps gegeben, für unsere gemeinsame Zukunft. Hatten Natt und ich überhaupt eine Zukunft? Klar! Aber eine Zukunft zusammen? Unsere Zukunft? Werden wir zusammen alt und vielleicht bekommen wir Kinder! Kinder? Nein, lieber nicht! Ich will nicht, dass es meinen Kindern dann so geht, wie Caroline, Eric und mir! Würde ich dann auch im Stich lassen, alleine auf dieser Welt, einfach und plötzlich? Zu viele Fragen. Ich musste lernen mich nicht ständig kaputt zu fragen. Die Antwort wusste ich sowieso nicht! Manchmal wünschte ich mir einfach ich wäre eine Suchmaschine, die für jede Frage eine Antwort suchen könnte. Natt winkte mir noch einmal zu und machte sich dann auf den Heimweg. „Ich mache Abendessen möchtest du mit essen?“ fragte Caroline mich. „Nein, lass mal. Hab irgendwie keinen Hunger.“ sagte ich lächelnd. Auch wenn sie mir den ersten Kuss versaut hatte, nahm ich ihr es nicht übel.

Ich ging in mein Zimmer, zog mir meinen Pyjama an und legte mich in mein großes Bett, mit den vielen bunten Kissen. Ich hatte ein Himmelbett. Einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, wie wohl seine Lippen schmecken würden. Er war bestimmt ein guter Küsser, denn er hatte wahrscheinlich schon viele Lippen geküsst.

Ich holte unter meinen Kissen ein Buch hervor. Nicht das aus der Schule, sondern mein Tagebuch. Ich hatte öfters Bilder hinein geklebt. Ich blätterte hindurch und musste bei dem Bild, wodrauf mein Bruder und ich uns Kuchen ins Gesicht klatschen, lachen. Daraufhin hatten wir echt viel Ärger bekommen und mussten alles sauber machen. Ich schlug eine freie Seite auf und schrieb mit meinem Füller, einen Eintrag hinein:

 

12. August

Liebes Tagebuch,

heute war mein erster Schultag in Baxley. Er war nicht so toll wie ich ihn mir erhofft hatte. Ein Mädchen namens Sophie und Anna haben mich genervt. Sie wollten wissen, warum ich hier her zog, aber ich wollte es nicht sagen. Doch sie nervten weiter und dann half mir Natt. Jetzt habe ich mich aber wieder mit Sophie und Anna vertragen. Natt ist so süß, ich bin froh das ich ihn kennen lernen durfte. Heute Abend kam er vorbei und schenkte mir eine Kette mit einem Amulett daran, ich weiß gar nicht für was ich das verdient habe. Ich glaube ich habe mich in ihn verliebt, aber wenn er nicht dieselben Gefühle hat, werde ich wieder verletzt, das möchte ich nicht. Ich warte auf ein Zeichen. Nächste Woche meine Geburtstagsparty, vielleicht funkt es da ja, also hoffe ich.

 

Am nächsten Tag in der Schule fühlte ich mich beobachtet. Vielleicht lag es daran weil ich ein knall grünes Top anhatte. Nein! Es lag daran, dass Natt mich gestern verteidigt hatte. Natt war nicht ein unbeachteter High-School-Junge, sondern einer der beliebtesten. Er machte sehr viel mit mir. Er führte mich in jeden Raum wo wir zusammen Unterricht hatten und ich durfte mich zu ihm in die Cafeteria setzten. An dem Tisch saßen vieler seiner Freunde, mit denen er zusammen Football spielte. Darunter auch Phil und ein Mädchen namens Lilly. Phil und sie waren sehr gut befreundet. Lilly war die Anführerin der Cheerleader. Sie war sehr hübsch und auch sehr beliebt. „Nina, wenn du willst kannst bei uns mitmachen?“ fragte sie mich. Sie hießen die „Hot Bites“, ich war mir aber nicht sicher, ob ich dort mit halten konnte. „Ich werde drüber nach denken!“ sagte ich. Aber eigentlich wusste ich die Antwort schon. Nein! Dafür bin ich nicht gemacht! Niemand an ihrem Tisch aß, deshalb nahm ich mir kein Brot mehr mit. „Phil, Natt und ich gehen heute in die Stadt, willst du mitkommen?“ fragte sie mich. „Klar.“ Ich fand es toll, dass Lilly und ich uns so gut verstanden. Sie war echt total nett und erinnerte mich an Clara aus Kanada. Wir hatten auch immer sehr viel Zeit miteinander verbracht.

Am Nachmittag trafen wir uns in einem Café. „Schön dass du gekommen bist. Natt kommt immer zu spät, das weißt du ja bestimmt schon.“ sagte Lilly mit seinem zarten Kichern, als ich mich neben sie setzte. Phil lächelte mich an. Warum war ich so beliebt? Vielleicht habe ich mich verändert. Das Café war klein, aber ziemlich gemütlich. Die braun-weißen Wänden ließen einen glatt hungrig werden. „Wo kommst du her?“ fragte Phil mich, als ich gerade ein Bild, einer komischen Gestalt, an der Wand anschaute. „Kanada.“ antwortete ich knapp. „Cool. Kanada ist bestimmt auch schön.“ Phil strahlte mich mit seinen blau, grünen Augen an. Ich hörte ein Klingeln. Nicht das eines Telefons, sondern das, wenn sich die Tür öffnete und irgendjemand hinein kam. Aber diesmal war es nicht irgendjemand, sondern Natt. Ich richtete schnell meine Haare und spielte an meinem Ring herum. Mit einem einfach „Hey“ setzte er sich. Ich versuchte ihn nicht ständig angucken zu müssen. Aber mein Blick löste sich nicht von ihm. Ich sah wie eine zierliche, junge Frau, sich durch die Tische quetsche und dabei ihren Stift, den sie davor noch fest in ihren Händen hielt, fallen ließ. „Wissen sie was sie möchten?“ fragte sie und drückte ständig auf den Kuli. „Ich hätte gerne einen Bananen Smoothie!“ sagte Phil, holte sein Handy heraus und guckte nach der Uhrzeit. „Ich hätte gerne einen Erdbeer Smoothie!“ meinte Lilly. „Und zwei Mango Smoothies!“ fügte Natt hinzu. Ich konnte es nicht fassen, er wusste meinen Lieblings Smoothie. Das war so süß. Leicht rötlich guckte ich ihn an und zog meine Mundwinkel hoch. Ich trank meinen Smoothie ohne mich voll zu kleckern, und war deshalb ziemlich stolz auf mich. Die Wärme des Amulettes streichelte mein Herz und ich fühlte mich wohl. Wohler als je zu vor. Ich musste meine Haare immer wieder aus meinem Gesicht streichen, denn sie fielen, wie ein Vorgang vor meine Augen. Lillys Haare würden sich noch nicht einmal im schlimmsten Wind bewegen. Ihre blonden Locken waren so wunderschön und ihre braunen Augen erinnerten mich immer an Schokolade. Sie war echt eine Schönheit. Sie sagte immer ich wäre so schön, fand dies Natt auch? Einmal sagte er zu mir, dass immer wenn er in meine blauen Augen gucke, er denke er wäre im Himmel. An was denke ich wohl, wenn ich in seine Augen gucke, an eine grüne Wiese. Freiheit und wunderschöne Blumen. Liebe. Einfach das man sich wohlfühlt.

 

Die Woche ging schnell herum. Ich wurde immer beliebter, und Phil, Lilly und ich wurden richtig gute Freunde. Natt und ich kamen uns immer näher. Ich vertraute ihm immer mehr. Er erzählte mir mehr und mehr seines Lebens. Nun war ich mir sicher dass er der Richtige ist. Er war so ehrlich zu mir. Jede Kleinigkeit vertraute er mir an. Und ich ihm. Aber mehr als Umarmungen und Berührungen, passierten nicht. Ich hoffte er anfand dasselbe wie ich. Aber sollte ich es ihm sagen, ich wusste es nicht? Wenn er nicht so empfand, dann würde ich leiden. Schrecklich leiden. So wie ich ihn schrecklich liebte.

 

 

Kapitel 2

 

                                                                                                                     18. August

Liebes Tagebuch,                                                                                  

morgen ist mein Geburtstag. Ich freue mich so sehr. Ich habe viele Freunde gefunden. Lilly ist echt super, sie sagte das jedes Mädchen sich um Natt reiße, aber das man sieht, dass er nur mich will. Phil ist auch echt nett, er hat mir gesagt; er hätte eine riesen Überraschung für mich, ein super Geschenk. Ich hätte nie geglaubt das man so schnell Freunde finden kann.  Anna und Sophie lade ich auch ein. Aber besonders freue ich mich auf Natt. Wow… ich habe gerade aus meinem Fenster geschaut und eine Sternschnuppe gesehen. Ich habe mir gewünscht, dass morgen ein wundervoller Tag wird. Aber das muss ich mir eigentlich gar nicht wünschen, ich weiß das er es wird. <3

 

Ich setzte mich auf mein Bett und schaute aus meinem Zimmer. Der Himmel war schwarz, aber der Mond leuchtete hell in mein Zimmer. Ich nahm eins meiner Kissen auf den Schoss und überlegte. Was würde ich morgen bekommen? Würden alle kommen die ich eingeladen hatte? Caroline kam in mein Zimmer herein: „Hey. Freust du dich schon auf morgen?“ Ich schaute sie an, sie setzte sich neben mich und legte ihren Arm um meine Schulter. Ihr roter Nagellack glänzte. Im Mondschein strahlten ihre hellbraunen, schulterlangen Haare. „Und wie! Ich glaube es wird wundervoll werden! Besonders freue ich mich auf dein Geschenk!“ sagte ich. „Und auf Natt, oder?“ fragte sie mich, mit einem schiefen Blick. Ich lächelte so, dass man meine Grübchen sehen konnte. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass mein Schwesterherz schon sechszehn wird!“ Sie strich mir über die Wange. „Tja!“ antwortete ich einfach. „Jetzt solltest du aber lieber schlafen! Morgen wird ein langer Tag werden!“ sagte sie. Sie gab mir einen Kuss auf meinen Kopf. Ich deckte mich zu. Mir schossen so viele Fragen durch den Kopf. Warum hörte ich eigentlich auf Caroline? Aber sie hatte schon recht! War ich wirklich so ein Glückspilz? Hatte ich Lilly, Phil, Natt und all die anderen verdient? Ich war doch erst seit kurzer Zeit auf dieser Schule, konnte man wirklich so schnell beliebt werden? Klar, hat man ja gesehen! Ich kuschelte mich in meine Decke hinein. Nicht mehr nach denken, nur noch träumen, dachte ich mir.

 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schien die Sonne in mein Gesicht und blendete mich. Ich hatte gestern Abend vergessen die Vorhänge zu zumachen. So konnte die Sonne ungestört in mein Gesicht strahlen. Ich war dies mal sehr früh aufgewacht, so hatte ich genug Zeit um mich fertig zu machen. Heute schminkte ich mich besonders schön. Zwar tat ich es dezent, aber auffallend und besonders. Ich zog meine kurze blaue Hose an, heute sollte es sehr warm werden. Ich zog meine dunkellila Farbenden Chucks an und ein weißes Top, mit Knöpfen daran. Damit wirkte man immer etwas schmaler. Dazu passte die türkise Kette von Natt ziemlich gut. Ich zog sie mir um den Hals. Die Sonne schien auf  sie herauf und ließ sie strahlen. Meine sonst glatten Haare, lockte ich mit einem Lockenstab. Sie glänzten und wirkten heller, mit einem leichten Rotschimmer.  Ich zog verschieden farbige Armbänder an und fühlte mich ziemlich gut. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln. Ich ging zu Caroline in die Küche, wie gewöhnlich aß diese schon.

„Alles, alles Gute! Du siehst echt toll aus! Deine Überraschung bekommst du heute Abend!“ sagte Carolin, nahm mich in den Arm und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Danke, ich freue mich schon sehr darauf!“ sagte ich. Ich setzte mich neben sie und aß etwas, um ihr Gesellschaft zu leisten. Ich hatte mir leichten Lipgloss auf die Lippen getan, deshalb passte ich auf, beim Essen eines Marmeladenbrotes. Ich hatte das komische Gefühl von Freude, Ungewissen. Was wird wohl passieren wenn ich die Schule betrete? Werde mich alle anspringen wie verrückte Hunde, oder haben sie es eh schon lange vergessen? Bevor ich die Wohnung verließ, schnappte ich mir schnell meine dunkelbraune Tasche und überprüfte mich noch mal in einem Spiegel, und ging mit meiner Hand, mit den lila lackierten Nägeln, durch meine Haare.

 

Als ich in der Schule ankam,  ging ich durch den langen Gang. Heute war ich ziemlich pünktlich. Alle starrten mich an, doch ich wurde nicht rot. Ich war es gewohnt. Das ich Tag täglich angestarrt wurde. Trotzdem wollte ich noch nie beachtet werden. Aber entweder beliebt, oder ohne Freunde in einer Ecke sitzen und Hausaufgaben machen. Ich fühlte mich gar nicht arrogant, ich hoffte auch,  dass dies nicht so herüber kam. Von allen Seiten kamen Stimmen, fremde und bekannte. „Alles Gute Nina!“ Ich konnte es gar nicht glauben wie oft ich dies hörte. Von so vielen verschiedenen, doch nicht von einer. Lilly kam auf mich zu gerannt: „Oh, alles, alles Gute. Ich freue mich ja so auf heute Abend. Ich hoffe mal, dass du sturmfrei hast!“ Sie umarmte mich und strahlte. Ich hatte meine Tasche fest in der Hand, so konnte diese mir nicht herunterfallen. „Klar, ich denke mal schon sturmfrei!“ Phil kam auf mich zu. „Na, Nina-Ballerina, alles Gute wünsch ich dir auch.“ So nannte Phil mich immer, wenn er mich ärgern wollte. Ich boxte ihn gegen seinen Oberarm, aber so ,dass es ihm nicht wehtat, hoffte ich zu mindestens. Doch noch immer sah ich nichts von Natt. Ich ging mit den Zweien in Richtung Klassenraum.

Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir. „Nina.“ Die Stimme kam mir sehr bekannt vor. Ich erschrak mich und mir fiel wieder die Tasche herunter, so wie schon am ersten Tag. Musste mir das immer passieren? Alle meine Bücher fielen auf den Boden. Darunter auch mein Tagebuch, eine Seite war offen. Darauf sah man den Namen Natt stehen und viele Herzchen waren darum gemalt. Schnell schloss ich das Buch und stopfte es in meine Tasche, doch zu spät Natt hatte es schon gesehen. Jetzt konnte ich die rote Farbe in meinem Gesicht nicht unterdrücken. Schnell räumten ich meine Bücher wieder hinein. „Endschu…“ „Du brauchst dich nicht zu endschuldigen. Ich möchte dir gratulieren, alles Gute!“ unterbrach mich Natt. Ich musste kichern, er war so süß und so nett. Ab diesem Moment hatte ich mir geschworen, dass ich nie wieder ein Tagebuch mit in die Schule nehmen werde. Doch mir kam es so vor, dass er es gar nicht wahr genommen hatte. Er machte noch nicht mal eine Andeutung, oder so etwas ähnliches. Wir gingen zusammen mit Lilly und Phil zu unserem Klassenraum, wir hatten Mathe. Doch auf Zahlen und Formeln hatte ich nun keine Lust, ich dachte die ganze Zeit über die Planung meiner Feier nach.

 

Als ich von der Schule wieder kam, schmiss ich sofort die Tasche in die Ecke und ging unter die Dusche. Ich wusch mich lange damit ich glänzte. Als ich mit Handtuch auf meinem Bett saß und meine Nägel lackierte, kam Carolin hinein. „Hallo, kleine Schwester. Ich habe mir heute etwas früher frei genommen. Keine Angst, ich bin heute Abend nicht hier. Auf meiner Arbeit habe ich eine netten Mann kennengelernt, er heißt Jacob und er hat mich zum Essen eingeladen, du hast also sturmfreie Bude! Damit du heute Abend wie ein Stern am Himmel strahlst, habe ich ein Geschenk für dich!“ Sie hielt mir ein verpacktes Geschenk unter die Nase. Ich packte es aus und heraus kam ein Kleid, es war leicht gelb, mit wunderschönen Nähten verziert und sah wunderschön aus. Es hatte dünnen Träger, war Knie lang und ich konnte es kaum erwarten es anzuziehen. „Wow, danke, es ist wunderschön, das werde ich auf jeden Fall heute Abend anziehen.“ freute ich mich. Carolin strich mir durch die Haare. Sie sah mich mit ihren braunen Augen an. Sie war echt hübsch und ich wünschte mir das es mit Jacob klappt. Sie hatte schon lange keinen Freund mehr. „Ich werde mich jetzt auch fertig machen!“ sagte sie.

Nach dem ich meine Haare geföhnt ,das neue Kleid angezogen und meine Nägel lackiert hatte, schminkte ich mich und zog mir meine dunkelbraunen Pumps an, sie passten wundervoll dazu. Auch die Kette vergaß ich nicht. Meine Gefühle waren gemischt, zwischen Vorfreude und Unsicherheit. Ich schaute mal wieder in den Spiegel, in meinem Bad. Ich wollte nicht arrogant wirken, sondern natürlich und einfach normal. Mein Bauch tat weh. Nicht weil ich nichts gegessen hatte. Ich spürte einen Druck, der sich bis in meine Augen hoch zog. Meine Hände zitterten. Warum? Ich schloss die Augen und wollte einfach nicht dieses komische Kribbeln los werden. Ich öffnete meinen Mund und fing an zu singen. Erst leise und dann immer lauter. Ich merkte wie der Gesang, den Druck immer mehr eindrängte. Die wunderschöne Melodie ließ mich auftauen. Ich lächelte. Ich atmete tief durch meine Nase und wollte nicht mehr denken. Langsam begriff ich aber, dass ich nicht normal bin, es niemals war und auch niemals seien werde. Ich hätte jetzt Natt gebraucht um ihn zu umarmen. Seine Wärme spüren, seine weichen braunen Haare. Seine grünen, Freiheit ausstrahlenden Augen. Einfach alles. Seine großen, zarten Hände und seine Stimme. Einfach nur den Spruch: „ Ich find dich toll, so wie du bist!“ Den hätte ich jetzt gebraucht. Doch ich wusste das jeder Mensch etwas Besonderes ist. Egal ob groß oder klein. Dick oder dünn. Schlau oder nicht. Ich dachte an die Kette, an das was darin stand. Glaube oder sterbe. Sterbe oder liebe. Ich wusste damit gemeint war. Ich wusste es genau. Für jeden bedeutet es zwar etwas anderes. Aber ich musste es einfach laut heraus schreien. Ich öffnete das Fenster meines Zimmers und schaute hinaus. Die Sonne ging schon unter. Du der Himmel war gemalt in wundervollen Farben. Rot, blau, orange. Ich schrie es einfach heraus: „Belive or Die. Die or Love!“ Ich hoffte zwar das es niemand hören könnte, aber eigentlich war es mir ziemlich egal. Ich liebte ihn nur mal so unbeschreiblich. Am liebsten hätte ich es heraus geschrien. Genau! „Ich liebe dich Natt! So sehr und so viel, wie es Sterne am Himmel gibt!“ Habe ich es wirklich geschrien. Ja, ja das habe ich! Und es war toll. Nein, nicht nur toll! Sondern unbeschreiblich wundervoll. Ab diesem Zeitpunkt konnte ich endlich mal richtig leben. Wie ich es schon so lange nicht mehr tat. Ich war bereit. Bereit für alles was kommen mag. Endlich!

 

Dann war es soweit, es war acht Uhr abends. Caroline war schon gegangen. In ihrem wunderschönen weinrotem Kleid und dem tollen Dutt. Ich stellte noch schnell die Getränke heraus. Prüfte alles in der Wohnung und richtete die Kissen auf der roten Coach. Ich durfte und wollte keinen Alkohol kaufen. Ich hatte noch nie welchen getrunken und hatte es auch nun wirklich nicht vor. Schnell schrieb ich noch einen Eintrag mit einem schwarzen Buntstift in mein Tagebuch.

                                                                                                                       19. August       

Liebes Tagebuch,

gleich sollten alle kommen. Ich bin ja so aufgeregt. Aber ich denke es wird alles gut gehen. Was sollte denn passieren, außer das etwas in der Wohnung kaputt geht! Ich weiß, dass ich fast in jedem Eintrag über Natt schreibe, aber meine Hand hat einfach das Verlangen danach. Ich liebe ihn einfach und ich kann es nicht unterdrücken und nichts und niemand wird meine Liebe zerstören. Denn um sie ist eine Schutzhülle. Niemand kommt heran, außer mir und ihm. Und heute wird er es erfahren! Ich könnte weinen, aber dann würde meine Schminke verlaufen und das will  ich ja nicht! Caroline hat mir ein wunderschönes Kleid geschenkt. Okay jetzt geht es los! Als sechzehn jährige werde ich das wohl schaffen müssen!

 

Es klingelte an der Tür. Ich sprang von meinem Bett auf, so dass sich die ordentlich geleckte Decke verzehrte. Fast wäre ich gestolpert, denn ich hatte vergessen das ich meine hohen Pumps trug, aber ich konnte mich noch fangen, sonst wäre ich auf dem harten Holzboden aufgeknallt. Ich kämmte mir noch einmal schnell die Haare, richtete  mein Kleid und guckte mir in die Augen. Sie waren hellblau mit einem dunkelblau farbigen Rand. Sehen sie wirklich aus wie der Himmel, oder hat man das Gefühl das man sich genau dort befindet, wenn man in sie hinein sieht? Langsam sollte ich die Tür öffnen, dachte ich mir, sonst würden sie noch Minuten lang draußen herum stehen. Ich ging aus meinem Zimmer heraus, die Treppe herunter und zu der, etwas klein geratenen, braunen Tür. Ich betätigte die Türklinke und sofort viel mir Lilly um den Hals. Sie trug ihre Haare offen, wobei sie sie sonst immer zu einem Zopf zusammen gebunden hatte. Aber natürlich einen knappen Rock und ein hautenges Top, trotzdem sah sie nicht nuttig aus. Ihre braunen Augen funkelten mich an. „ Das ist eine schöne Wohnung. Ich wette das wird eine der besten Partys die du je haben wirst!“ Sie löste sich aus meinen Armen und stellte sich von der Tür weg. Denn sie hatten allen den Weg versperrt. Ich nahm jeden einzelnen mit offenen Armen entgegen. Und stellte die wunderschön verpackten Geschenke auf einen Tisch. Ich wollte sie erst morgen öffnen, als in der ganzen Menge. Auch Phil kam mit vielleicht fünf Minuten Verspätung an. Bei Natt war ich es sowieso gewöhnt, dass er immer zu spät kam. Aber wenigstens an meinem Geburtstag hätte er sich etwas Mühe geben können, wenigstens etwas! „Hast du auch etwas zu trinken hier?“ fragte mich Josh. Er saß immer mit Natt, Phil und Lilly an einem Tisch. Klar, wusste ich wie es gemeint war. „Nein, Josh!“ sagte ich und musste bei den Worten lachen. Als ob ich so einem großen, muskulösen Typen Alkohol geben würde! Er würde die ganze Wohnung in Grund und Asche legen. Ich hoffte mal er, oder seine Freunde haben keinen eigenen mitgebracht, denn Caroline hatte es mir ausdrücklich verboten. Denn sie hatte nun mal nicht besonders viel Geld. Ich wollte alles unter Kontrolle halten, ob ich es auch schaffe? Bestimmt, hoffte ich zu mindestens. Ich guckte hektisch auf die Uhr die über dem Küchentisch hing. Erst war schon viertel nach drei. Langsam musste Natt doch wirklich kommen. Bin ich ihm denn nichts wert? Ich goss mir etwas Punsch ein und trank ihn hastig herunter. Es gab mir das Gefühl, als würde er meinen Hals einschnüren und verstopfen. So konnte ich nicht mehr atmen. Ich schnappte schnell nach Luft und musst laut husten. In diesem Augenblick klingelte die Tür. Ich fand mich wieder und rannte auf sie zu. Ich drückte die Türklinke herunter. Wenn es Natt wäre würde laut aufschreien. Die Tür knackste etwas beim Bewegen. Und wirklich Natt stand vor mir. Aber bevor ich schrie, überlegte ich mir noch einmal ob das wirklich schlau wäre. Sein Trommelfeld würde sonst nur platzen, von den schiefen Tönen meines Geschreies. Also grinste ich ihn nur breit an. Sein Geschenk, was er mir in dem selben Moment in meine Hände drückte, war nicht so groß wie die der anderen, sondern klein und bescheiden. Ich ging in mein Zimmer und legte es auf mein Bett. Natürlich achtete ich darauf, dass niemand mir folgte. Zwar mein Zimmer ordentlich gehalten, aber sie sollten nicht sehen wie ich nur das Geschenk von Natt auf einen besonderen Platze legte! Als ich die Tür zum Flur öffnete stand Natt vor ihr und hatte mich wie immer total erschreckt. „Tut mir leid ich wollte nur wissen wo du bist!“ rechtfertigte er sich. „Kein Problem! Wollen wir runter gehen!“ Er nickte und ich machte eine Handbewegung.

 

 In diesem Moment blitzten mir Bilder auf, die ich eigentlich schon lange vergessen hatte. Ich und meine beste Freundin, die in Kanada wohnt, saßen vor unserem Klassenraum. Vor der blauen Tür mit einem Zettel, wodrauf: „Klasse 9bG“ stand. Wir saßen dort immer und aßen unser Brot. Bei jedem Schritt auf dem alten Holzboden aus Eiche, gab es ein lauter Knacksen, was uns immer einen Schrecken einjagte, wenn wir nicht gerade in ein Gespräch verwickelt waren. Ein Junge namens Henri kam auf einmal auf uns zu. „Hey Nina, willst du mit mir…“ Sein Satz wurde unterbrochen. Sein Freund zerrte ihm am Arm: „Kommst du endlich Natasha wartet!“ Er guckte mich an und quetschte die Worte aus sich: „Sorry, John braucht mich jetzt!“ Er drehte sich um und fing laut an zu lachen, als John ihm etwas erzählte, was ich aber nicht mehr verstehen konnte.

Eigentlich wusste ich genau was er mich fragen wollte und ich hätte sofort „Ja“ gesagt. Bald stand nämlich der Schulball an. Am nächsten Tag kam er auf mich zu und spuckte gehetzt und außer Atem, Worte heraus: „Möchtest du mit mir auf…“ „Ja!“ antwortete ich nachdem ich ihn unterbrochen hatte. „Sogar sehr gerne!“ Er zog, mit seinen strahlweißen Zähnen, ein breites Grinsen. Der Abschlussball war wundervoll. Besonders mein Kleid, was immer noch in meinem Schrank hing. Er fand wegen Organisationproblemen in den Sommerferien statt. Um 22.30 Uhr wendete sich aber die Stimmung. „Nina! Du musst unbedingt nach Hause kommen, es ist etwas schreckliches passiert!“ schrie mir eine Stimme in mein Ohr, als ich an mein klingendes Handy ging. „Was ist denn passiert, Johan?“ Ich musste so laut rufen, weil die Musik sehr laut war, so dass es alle anderen mitbekommen hatten. Doch Johan, der kleine Bruder meiner Mutter, antwortete nicht, er hatte aufgelegt.

„Nina? Was ist passiert?“ fragte mich Henri, der gerade einen Punsch für mich geholt hatte. „Ich weiß es nicht! Ich muss leider sofort nach Hause!“ versuchte ich ihm zu erklären. „Ich fahre dich natürlich!“ bot er  mir an.

 

„Nina, bist du da?“ fragte mich Natt und winkte mir direkt vor den Augen. „Ja, ähm, ich hab nur gerade nach gedacht!“ Henri hatte ich so lange nicht gesehen, ich hoffte es geht ihm gut! Er nahm meine Hand und zerrte mich die Treppen herunter. Ich war immer noch etwas durcheinander. Warum hatte ich mich gerade eben, in diesem Moment daran erinnert? Hatte es etwas zu bedeuten?

„Nina, ich habe ja noch eine Überraschung für dich! Wenn du vielleicht mal mitkommen würdest!“ riss mich Phil aus meinen Gedanken. Ich nahm zerstreut seine Hand dich mich nach Draußen führte. Ich war völlig durcheinander. Ich konnte meinen Augen kaum glauben als ich in unserem sehr großen Garten stand. Das Gras hätte zwar schon lange gemäht werden müssen, aber so schaffte es eine tropische Atmosphäre. Die Apfelbäume die am Rand des Zaunes standen, trugen große rote Äpfel, die man aber nur schlecht in der dämmernden Abendstunde erkennen konnte. Eine Picknickdecke war aufgeschlagen und mit Kerzen und Wein gedeckt. „Phil? Ist das für mich?“ fragte ich vorsichtig, obwohl die Antwort offensichtlich war. „Na klar! Für wen den sonst?“ lachte Phil. Er machte eine Bewegung, die so viel heißen sollte wie: „Ladys first!“ Ich setzte mich auf die gelb, orangene Decke. Obwohl man die Farbe nicht besonders erkennen konnte. Er setzte sich neben mich, enger als ich überhaupt wollte. „Möchtest du etwas trinken?“ fragte er mich, während er schon eins der dünnen Gläser in der Hand hielt. „Ne du lass mal! Ich hatte eben so viel Punsch!“ Eigentlich hatte ich gerade mal ein Glas, aber ich wollte jetzt nun wirklich nicht trinken! Er rückte immer näher. Langsam wurde es mir unangenehm. Aber ich wollte ihm seine Überraschung auch nicht zerstören. Er berührte leicht meine Hand. Wobei es eher ein Drücken als eine Berührung war. Immer näher und näher. Warum tat mein Brauch so weh? Das Gefühl des Betruges, da war es schon wieder. Immer näher und näher. Ich schloss meine Augen, aber nicht aus Leidenschaft sondern aus Angst. Ich konnte Phil keine Sekunde länger ansehen. Er kniff seine Augen auch hastig zusammen. Warum sagte ich nichts. Ein einfaches „Nein!“ hätte diese unangenehmen Situation auch gestoppt. Aber ich konnte dieses Wort einfach nicht von meinen Stimmbändern ablassen. Er drehte seinen Kopf schief. Es sah etwas erprobt und unwillkürlich aus, so dass ich mir das Gekicher verkneifen musste. Es packte mich, das Gefühl der Angst, auf einmal und urplötzlich. Warum konnte nicht genau jetzt ein Bombenanschlag auf mein Haus stattfinden. Nun hielt ich auch meinen Kopf leicht schräg. Unsere Lippen berührten sich schon leicht, da riss ich die Augen auf.

Es war schon dunkel, dunkler als ich es in Erinnerung hatte. Eine Gestalt. Dort ,vielleicht vier Meter von unserem Platz entfernt guckte mich an. Ich konnte nur ganz leichte Umrisse erkennen. Blutrote Augen blitzten mich an und versetzten mich in einen höllischen Schmerz. Weiße, strahlend weiße Fangzähne, wie die eines Raubtieres. Wurden von dem Restlicht beleuchtet. Das konnte kein Tier sein, niemals so groß und mit dieser Augenfarbe. Ich schreckte zurück und drückte schnell meine Augen zu. Als ich sie wieder auf machte und genau an die Stelle sah, wo das gruselige Wesen saß. War es leer, totenstille, keine Seele ruhte dort mehr! Ein schreckliches Stechen streckte in meinem Bauch hervor. War es so spät, dass ich es mir nur eingebildet hatte? Zwar hatte ich eine große Fantasie, aber so groß auch wieder nicht! Phil guckte mich verblüfft an. „Alles okay?“ fragte er mich, zog große Augen und einen Gesichtsausdruck, den er noch nie getan hatte. Aus Verzweiflung und Trauer war sein Ausdruck geprägt. „Endschuldige mich, ich kann das einfach nicht!“ Ich sprang auf und rannte hinein ins Haus. Was hatte ich getan; einmal hatte ich mich betrogen, meine Gefühle, ich hatte mich in die größte Angst meines Lebens versetzt und zu allem Übel, hätte ich fast Phil geküsst, widerwillig. Ich konnte mir noch gerade so die Tränen verkneifen. Mir ging alles zu schnell, ich war gerade so kurz an der Schule, hatte aber schon viele Freunde und hätte Natt schon am ersten Tag geküsst. Alles war zu viel! Aber was hätte ich tun sollen? Meine Gefühle unterdrücken und einfach als Einzelgängerin herumstolzieren? Nein! Das war in Kanada immer so und ich wollte neu anfangen, also tue ich das auch!

Ich hatte mich wieder etwas beruhigt und betrat das Wohnzimmer, wo alle sich amüsierten, nur ich nicht! Doch plötzlich rannte Sophie aufgeregt auf mich zu. Sie war so außer Atem und schnappte nach Luft, dass ich ihr auf die Schulter klopfte und sagte: „Beruhigt dich erst mal! Was ist denn los?“ Sie guckte mich aufgelöst an und atmete tief ein: „Lilly! Hast du Lilly gesehen? Ich habe überall nach ihr gesucht, sie aber nicht gefunden?“ „Ach, die ist bestimmt nur auf der Toilette oder so!“ redete ich ihr ein, obwohl ich genau wusste, dass das nicht stimmte. „Nein! Ich habe überall gesucht, sie ist weg!“ Sophie klang genervt. Ihre sonst so fröhliche, aber auch eingebildete Art, war wie weggeblasen. „Dann suchen wir sie halt, sie kann nicht weg sein!“ Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich mich sehr geirrte hatte! Ich ging hinaus. Dort saß immer noch Phil, verzweifelt. „Phil komm bitte mit und hilf mir Lilly suchen!“ Er sprang erweckt auf und folgte mir. Ich dachte nicht mehr über das was geschehen war nach, ich wollte es nicht mehr! Sophie suchte wirklich jeden kleinsten Teil des Hauses ab. Eigentlich mochte sie Lilly nicht besonders, so konnte ich auch nicht verstehen warum sie, sie unbedingt finden wollte! Da Sophie und Anna, die ihr half, mit dem Inneren Teil beschäftigt waren, suchten Phil und ich draußen nach ihr. Da sich direkt hinter meinem Haus ein Wald befand, hatte ich etwas Angst. Besonders deshalb, weil ich meinen Gedanken nicht mehr trauen konnte. Ich hatte nicht daran gedacht Natt um Hilfe zu fragen, ich hatte ihn sowieso nicht gesehen! Ich klemmte mich fest in den Arm von Phil, obwohl ich genau wusste das er Gefühle empfand. „Lilly? Lilly? Bist du hier?“ rief ich in die schwärze der Nacht hinein. Wir suchten den ganzen Garten ab, doch kein Lebenszeichen von ihr. Aber Lilly wäre nicht einfach gegangen, ohne sich abzumelden! Nun gingen wir Richtung Wald. In der Hoffnung sie würde nur rauchen, was sie aber eigentlich nur selten tat, hinter dem Haus. Plötzlich stolperte ich und fiel hin. Ich ließ einen großen Schrei von mir, nicht wegen Schmerzen, sondern wegen dem über das ich gestolpert war!

Kapitel 3

Henri fuhr mich mit seinem teuer aussehenden Auto nach Hause. „Soll ich mitkommen?“ fragte er mich, als ich schon halb aus dem Auto ausgestiegen war. „Ich weiß nicht! Warte im Auto, bitte! Ich komme gleich wieder!“ sagte ich ihm. Ich war mir nicht sicher, was Onkel Johan von mir wollte. Wahrscheinlich wollte er alleine mit mir reden. Ich rannte zu unserer Haustür, dabei hielt ich mein langes Kleid hoch, damit ich nicht drauf trat. Stürmisch klingelte ich. Was war nur passiert? Ich wusste es nicht! Niemand machte mir auf. Ich sah ein Polizeiauto anfahren. Zwei Polizisten stiegen hektisch heraus. „Wohnst du hier?“ fragte mich einer der zwei Männer. Mir kam ein mulmiges Gefühl hoch. Doch versuchte ich es zu unterdrücken. Ich konnte mir so viel vorstellen was passiert war, doch ich tat es nicht! „Ja…“ sagte ich ängstlich und schüchtern. „Es tut uns schrecklich Leid für dich. Aber wir müssen es dir mitteilen... Das Flugzeug wo drin Frau und Herr Grande gesessen hatten ist abgestürzt!“ Herr Miller, der Polizist guckte nach unten, auf den Boden. „Leider kamen sie nicht mit dem Leben davon!“ Langsam fing ich an zu zittern. Die Tränen spritzten wie ein Wasserfall aus meinen Augen: „Und mein Bruder Eric?“ fragte ich mit letzter Hoffnung. „Er hat überlebt, zwar verletzt, aber er liegt jetzt in Spanien im Krankenhaus!“ Die Polizisten nahmen mich in den Arm und ließen mich, auf meine Anforderung alleine. Ich setzte mich auf die Treppe die sich vor meiner Haustür ausbreitete. Henri stürmte auf mich zu. „Nina? Was ist los?“ fragte er. Ich schluchzte. Mein Hand zitterte so stark, dass ich Angst bekam. Ich guckte auf meinen Schoß und schloss die Augen. So stark hatte ich noch nie geweint. Er setzte sich vorsichtig auf die schon sehr kaputte Treppe, legte seinen Arm um mich und wärmte mich mit seiner Liebe. Ich liebte ihn, doch der Schmerz des Todes meiner Eltern, ließ sie nicht zu. „Bitte lass mich allein!“ fauchte ich ihn an. Er nahm schnell seinen Arm von meiner Schulter.  Man hörte seine Gedanken zwar nicht, wusste aber genau was er dachte.  Mir tat es zwar leid, dass ich ihn so angefaucht hatte, aber ich wollte alleine sein, sofort. Er schaute mich noch mal kurz an und ging mit gesenktem Kopf davon. Er fuhr mit seinem Auto weg. Ich hasste diese Situation, aber ich konnte dagegen nichts unternehmen. Ich hatte für den Ball sehr teure Absatzschuhe bekommen, diese zog ich aus und warf sie gegen die Hauswand. Mein Kleid schleifte auf dem dreckigen Untergrund. Es fing an zu regnen. Ich konnte nicht ins Haus hinein, also blieb ich einfach sitzen.

 

Ich schrie. Das, über was ich gerade gestolpert war, war ein Mensch. Phil leuchtete die Gestalt mit seiner Taschenlampe an. Er ließ die Taschenlampe fallen und trat hektisch zurück. „Es ist Lilly! Nina, schnell hilf mir sie zum Haus zu tragen!“ Ich raffte mich auf und strich über meine mit Dreck bedeckten Knie. Er nahm sie an den Armen und ich an den Beinen. Mir kam eine Schauer über den Rücken. Ich konnte Lilly nicht angucken. Wir trugen sie ins Haus und legten sie schnell auf die Couch im Wohnzimmer, wobei die Anderen die gerade feierten, einen Schock bekamen. Lillys Hose und T-Shirt war mit Blut beschmiert. Ich drehte mich schnell weg und  rief einen Krankenwagen. Unter so einer Spannung stand ich noch nie. Es ging um Lillys Leben. Meine Hände zitterten ständig und es war schwer die Tasten meines Handys zu drücken. In jeder Situation in der ich fand, ich hätte meine Verantwortung vernachlässigt, fing mein Körper an zu zittern. Ich fror, obwohl es noch nicht einmal kalt in der Wohnung war. „Möchtest du meine Jacke?“ fragte mich Phil und hatte schon seinen halben Arm heraus gezogen. „Danke, das ist echt nett!“ antwortete ich und zog sie mir voller Aufregung an. Die Anspannung stieg in mir, mit jeder Sekunde. Ich schmeckte eine salzige Träne, die gerade meine Wange runter lief. Die anderen starrten mich an. Was sollte sie wohl denken? Was sollte ich bloß denken? Ich hielt diesen Druck nicht mehr aus und rannte hinauf in mein Zimmer.

 

Endlich war der Krankenwagen angekommen und nahm Lilly mit auf die Intensivstation. Phil und ihre Freundin Cathy fuhren mit ins Krankenhaus, doch ich blieb zuhause und bat die anderen nach Hause zu gehen. Sie hatten zum Glück viel Verständnis. Doch Natt, ich hatte ihn den ganzen Abend nicht mehr gesehen. Ich setzte mich auf die Treppe die in die nächste Etage führte und weinte. Musste das unbedingt mir passieren? An meinem Geburtstag! Ich hätte niemals hier her ziehen sollen! Ich war sehr froh, dass niemand bei mir war und mir zustimmen konnte. Unter meinen geschminkten Augen, befand sie nur ein schwarzer Schatten. Ich ging in das Badezimmer. In dem großen Spiegel genau über dem Waschbecken, konnte ich genau die verlaufene Schminke und meine roten Augen erkennen und versuchte sie abzukriegen. Ich rieb mir mit einem angefeuchteten Taschentuch die schwarze Wimpertusche von meinen Augen. Doch plötzlich sah ich einen Vogel, einen kleinen Vogel. Mit Fangzähnen und roten Augen an mir vorbei fliegen. So schnell dass ich aber fast nichts erkennen konnte. Er erinnerte mich an die dunkle Gestalt, die ich auch vorhin im Garten gesehen hatte. Mal wieder bekam ich Angst. Ich ließ das Taschentuch fallen. Doch da fiel mir ein, dass ich es mir sicherlich nur vorgestellt hatte. Ich war müde, überfordert und einfach mit meinen Nerven am Ende. Ich ging aus dem Badezimmer heraus, ich wollte das helle Licht im Flur sehen. Ich öffnete prompt die Tür. Meine Augen waren leicht rötlich von dem Reiben und dem Make-up Entferner geworden, so dass ich meine Augen zusammen kniff. Natt stand genau hinter Tür und mir kam es vor als stände er dort schon eine Ewigkeit und ich wollte es einfach nicht wahr haben! Ich erschreckte mich, so sehr dass ich ihn mit einem Mörder verwechselt gekonnt hätte. Doch bevor ich überhaupt daran dachte fiel ich, auf die kalten Fliesen des Baderaumes. Es fühlte sich so an, als wäre ein kleines Tier in meinen Körper geschlichen und würde mich nun von Innen auffressen und immer größer werden. Es würde meine Angst steuern und mich immer mehr in ein schwarzes Loch führen. Ich war anders, als zu der Zeit wo ich noch in Kanada lebte. Ich hätte Natt nach dem ersten Tag unserer Bekanntschaft schon geküsst. Wie übertrieben! Ich hätte ihm alles anvertraut, wie einseitig! Es war anders das Gefühl zwischen mir und ihm. Nicht so wie bei Henri! Es war als hätte sich mein Körper mit Absicht auf den Boden gelegt, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch so war es ganz und gar nicht. Zwar wirkte es manchmal als würde ich sie brauchen, doch ich stand viel lieber im Schatten. Mein Gesicht es war eingefroren, aus Hass, Angst und Misstrauen. Es war mit den Naben meiner Vergangenheit geprägt!

Als ich aufwachte, lag ich bequem auf der Couch. Mein Kopf lag auf einem Kissen und mein Bauch und meine Beine waren mit einer Decke bedeckt. Natt hatte einen Stuhl daneben geschoben und schaute mir beim Reiben meiner Augen zu. „Was ist passiert?“ fragte ich und guckte ihn erwartungsvoll an. Ich wusste es genau und wollte es nur aus seiner Sicht erfahren. „Ich stand vor der Tür des Badezimmers und wollte dort auf dich warten. Du kamst heraus und hast dich anscheinend so erschreckt, dass du hin fielst!“ Er verkniff sich ein kleines Kichern. Ich warf ihm einen schiefen Blick zu. „Warum erschrecke ich immer bei dir?“ fragte ich und setzte mich hin. „Ich…Ich weiß es nicht!“ Ich merkte wie er still wurde. Ich lächelte in an. Für einen kurzen Moment hatte ich vergessen, was heute passiert war. Doch er holte mich aus meinem Traum heraus. „Was ist eigentlich passiert, warum sind alle schon weg?“ Ich guckte weg. Obwohl ich wusste dass er es schon irgendwie erfahren hatte. „Lilly, sie wurde von irgendeinem Tier angegriffen und ist jetzt im Krankenhaus!“ Natt schluckte und nahm mich in den Arm. „Das tut mir leid!“ „Wie spät ist es?“ Ich wollte vom Thema ablenken und hatte den kompletten Überblick verloren. „Halb vier! Ich glaube, ich sollte jetzt auch gehen!“ „Ja, wäre wahrscheinlich besser…“ Er gab mir einen Kuss auf den Kopf und schloss die Tür hinter sich.

Meine Hand war voller Blut, aber schmerzen tat mein Kopf nicht. Ich fühlte nur einen leichten Druck. Eine dünne, braune Decke hatte ich über mich gespannt und meinen Kopf vorsichtig auf ein sanftes Kissen gelegt. Ich schloss die Augen und versuchte meinen Kopf auszuschalten. Doch kochte meinen Gefühle in mir hoch. Lilly wird vielleicht sterben! Wegen mir! Warum ist mein Leben so schrecklich? Doch bevor ich nur einen kleinen Hinweis auf die Antwort bekam, schlief ich fest ein.

 

Ich hatte einen Traum; Ein riesen Vogel stürzte vom Himmel auf mich herab und streckte seine Krallen nach mir aus. Ich konnte nicht fliehen, denn mein Bein war gebrochen und ich war unwiderruflich dem Tief geliefert.

 

Am nächsten Morgen, war ich sehr froh, dass ich immer Träume vergas. Ich konnte mich nur noch an Bruchstücke erinnern! Ich zog eine dünne, helle Strickjacke über und ging in die Küche. Dort saß Caroline und trauerte über die Vase, die gestern Abend kaputt ging. Ich wusste nicht genau wann sie gestern nach Hause kam, aber musste wohl schon ziemlich spät gewesen sein. So sah sie auch aus, ziemlich fertig! „ Du hattest doch versprochen, dass du aufpasst!“ sagte sie empört. „Tut mir leid wenn ich jetzt nicht darauf antworten kann, aber du weißt nicht was alles gestern passiert ist.“ sagte ich und setzte mich neben sie auf einen Holzstuhl. „Genau! Das wollte ich dich fragen! Frau Blum von nebenan hat angerufen und wollte wissen was gestern Nacht passiert ist, was war da los, ich habe nämlich keine Ahnung.“ teilte sie mir mit und kochte sich einen Kaffee, schwarz, so wie ihn unsere Mutter auch immer trank. „Es gab einen Unfall mit Lilly. Ich weiß nicht was geschehen ist, aber das werde ich erfahren, wenn ich sie heute im Krankenhaus besuche!“ Ich versuchte es so knapp wie möglich auszudrücken, keine Details! Caroline nickte. Ich ging hoch in mein Zimmer, um mich dort anzuziehen. Eigentlich wollte ich die Geschenke heute auspacken, aber das musste warten. Es war schon drei Uhr mittags. Als ich meinen Schrank durchwühlte, um etwas passendes zu finden, fand ich das Kleid was ich am Abschlussball an hatte. Erinnerungen schossen in mir hoch. Doch ich versuchte sie, so gut wie es ging, zu unterdrücken. Endlich fand ich ein passendes Oberteil, zog es über und bat Caroline mich zu dem Krankenhaus zu fahren!

Das Krankenhaus war ziemlich überfüllt. Überall versuchten Menschen sich an mir vorbei zu quetschen. Es waren Reporter die mit ihren Kameras und Mikrofonen, die Ärzte und Krankenschwestern durchlöcherten. Doch diese hatten Schweigepflicht und winkten sie immer wieder ab. Ich versuchte durch den Auflauf zu gelangen und sprach einen Arzt an. „Ähm, endschuldigen sie, könnten sie mir….“ Er unterbrach mich: „Nein. Ich kann ihnen jetzt nichts über die Situation sagen. Können sie bitte dafür sorgen, dass sie und ihre lästigen Freunde das Krankenhaus verlassen!“ Er wirkte genervt, dass lag bestimmt daran, dass er ständig von allen Leuten angesprochen wurde. „Ich gehöre nicht zu ihnen! Ich wollte wissen wo Lilly Becker liegt!“ Ich wurde so stark von der Seite angerempelt, dass ich das Gleichgewicht verlor, aber mich noch fangen konnte. Schon wieder kamen Reporter angerannt, der Arzt ergriff die Flucht und rief mir noch zu: „“222!“ Eigentlich wollte ich mit dem Fahrstuhl fahren, aber er war zu gebaut von der Masse. Also nahm ich die Treppe. Was ist wohl passiert, dass es so einen Trubel gibt? Eine alte Frau kam die Treppe herunter. Ich kannte sie, sie war meine Nachbarin. „Ach. Guten Tag Frau Steffens. Wie geht es ihnen?“ sprach ich sie an. „Oh Nina! Schön dass du  fragst, eigentlich ganz gut. Die Ärzte meinten, ich können bald entlassen werden! Diese Reporter! Schon den ganzen Tag wollen sie herausfinden was mit Martin Schreiner passiert ist, aber das Personal bleibt hart!“ stöhnte Frau Steffens. „Ich wollte nur meine Freundin besuchen, die hier im Krankenhaus liegt und da hab ich den Auflauf gesehen! Was ist denn mit Martin Schreiner passiert?“ fragte ich. „Man munkelt ja, er sei von einem Werwolf, oder gar einem Vampir angegriffen worden, aber das halte ich für den größten Blödsinn! Mehr weiß ich auch nicht.“ erzählte sie mir. „Das klingt ja komisch! Aber jetzt muss ich wirklich los, ihnen noch einen schönen Tag!“ wünschte ich ihr. „Ja, ja. Wenn ich etwas neues erfahre, erzähle ich es dir! Ja dir auch!“ Sie lächelte mich an und ging langsam die steilen Treppen hinunter. Nach weiteren Treppenstufen, gelang ich zu einer Tür, darauf stand, dass dies der erste Stock wäre und sich darin die Zimmer eins bis fünfzig befänden. Ich ging hinauf zum fünften Stock. Ich ging durch den leeren Gang. Es war leer. Wahrscheinlich waren die Kranken in ihren Zimmern, oder in einem Gemeinschaftsraum, wenn auch nicht gerade in einer Operation. Endlich fand ich die gesuchte Tür, auf der mit gelber Schrift 222 geschrieben war. Ich klopfte vorsichtig an und öffnete die Tür. Es war mir jemand zuvor gekommen bemerkte ich, als ich den Blumenstrauß auf ihren Tisch sah. „Na, wie geht es dir?“ fragte ich vorsichtig. Ich sah wie sehr sie in Verbände eingepackt war und an Schläuche gebunden. Ich war ziemlich froh, dass es schon dunkel gewesen war und ich ihre offenen Wunden nicht gesehen hatte. Ihre Haut war sehr blass und ihre Augen leicht Blut unterlaufen. Ich sah wie immer wieder ihre Hände anfingen zu zittern und ihr Auge leicht zuckte. „Naja, es tut alles noch sehr weh.“ erklärte sie mir und guckte verzweifelt auf ihren Bauch. Es war gestern sehr gefährlich für sie gewesen, sie hatte Unmengen an Blut verloren. Aber ihr Zustand war stabil, erzählte sie mir. „Phil war vorhin hier. Er hat mir die Blumen geschenkt.“ sagte sie, als ich den Strauß betrachtete. Plötzlich klopfe es laut an der Tür und eine ältere Krankenschwester kam aufgeregt hinein. „Schnell, ihr müsst hier raus!“ brüllte sie und strich ihre braun-grauen Locken nach Hinten. „Was ist denn passiert?“ fragte Lilly und wurde bleich. Sie war ans Bett festgekettet mit Schläuchen, sie konnte hier nicht einfach weg. „Die Reporter, sie…sie haben durch einen Unfall ein Feuer ausbrechen lassen. Der ganze dritte Stock brennt!“ Die Krankenschwester sah wie andere Mitarbeiter die Flucht ergriffen und rannte ebenfalls davon. Egal wie sehr ich auch an den Schläuchen zog, ich bekam Lilly nicht aus dem Bett. Ich hatte solche Angst. Ich wusste genau was passieren würde. Wenn das Feuer in den fünften Stock gelange, würde ich mit allem versuchen es auf zu halten. Aber es würde mir nicht gelingen und Lilly und ich würden unter Qualen sterben. Das Fenster stand offen, ich roch den Rauch und sah die graue Wolke, die sich ausbreitete. Immer wieder schrie nach Hilfe, doch es war niemand mehr da. Lilly weinte. So erbärmlich, wie ich es noch nie gesehen hatte. Trotzdem sah ich die Dankbarkeit in ihren Augen. Ich opferte gerade mein Leben für sie, wobei ich einfach wegrennen könnte. Ich schloss schnell das Fenster, denn immer mehr Rauch gelang in das Zimmer. Die Tür des Raumes sprang auf und Natt platze hinein. „Nina, geh! Ich kümmere mich um Lilly!“ brüllte er. „Aber, ich kann jetzt doch nicht einfach weg gehen!“ sagte ich schockiert, aber auch erleichtert. „Lauf! Geh in dem Gang nach links und beeile dich, das Feuer ist schnell!“ Widerwillig rannte ich heraus, aber ich vertraute ihm. Trotz alle dem fragte ich mich, woher er wissen konnte, dass wir Hilfe brauchten. Rechts breiteten sich große Flammen aus, die alles mit schwarzem Rusch bedeckten. Links sah man einen Balkon, mit einer abgesperrten Wendeltreppe. Ich kletterte über die Absperrung. Es war Ende September und es war heiß. Ungewöhnlich heiß. Ich sah wie Feuerwehrmänner ununterbrochen Wasser in das Gebäude spritzen, und dieses regelrecht verdampfte. Ich rannte auf die rot gekleideten Männer zu und machte sie darauf aufmerksam, dass sich noch Menschen im Krankenhaus befanden. „Das kann gar nicht sein, die Ärzte sagten, dass alle Kranken, in Krankenwagen, in ein anderes Krankenhaus gefahren werden!“ Ich warf ihm einen schockierten Blick zu. Sie nahmen mich nicht ernst. Den Ärzten ging es doch nur um ihr eigenes Leben, und ob dort oben Menschen sterben könnten, ist ihnen egal. „Bitte verlassen sie jetzt das Gelände!“ forderte mich ein Mann auf. Ich sah eine Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite und steuerte darauf zu. Ich setzte mich auf die äußerst saubere Bank und guckte ungeduldig auf die Wendeltreppe. Zum Glück sah ich wie Natt Lilly auf Armen, vorsichtig die Treppe runter trug. Unten angekommen, führte er sie in einen dort stehenden Krankenwagen. Er guckte suchend herum und sah mich dann auf der anderen Straßenseiten. Er winkte mir zu und stieg mit Lilly in den Krankenwagen.

Ich saß dort auf der Bank, aus Holz und strich entweder meine Haare aus dem Gesicht, die der Wind hinein blies, wackelte ungeduldig mit meinen Füßen, oder guckte hektisch auf meine Armbanduhr. Es war sehr warm und Schweißperlen kullerten über meine Stirn. Es war schon später und die Sonne strahlte rot-orange über dem Horizont. Endlich sah ich den Bus in der Ferne anfahren. Ich stand auf, schwang meine Tasche über die Schulter und hielt mir mit der Hand einen Schirm über die Augen, um den Bus zu erkennen. Der dunkelrote Bus fuhr ungewöhnlich schnell auf die Haltestelle zu. Als ich schon bereit war, das laute Quietschen, der bremsenden Räder zu hören. Kam es mir vor als würde der Bus nie zum Halten kommen. Doch mit einer Vollbremsung blieb er endlich stehen und ich stieg verwirrt hinein. Ich legte dem Busfahrer, mit der Halbklatze und der altmodischen Brille, Geld hin und er schnappte es gierig mit seinen ungepflegten Händen. Ich setzte mich nach ganz hinten, und schaute aus dem Fenster. Von hier aus, konnte ich das Spektakel nur zu gut erkennen. Wie interessierte Reporter und Einwohner immer wieder von den Feuerwehrmänner, von dem Grundstück verwiesen wurden. Ich schloss die Augen und ließ alle Gedanken von mir….

 

Am nächsten Morgen, hatte ich zwar in der Nacht kein Auge zu machen können, weil mir immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf schossen, fühlte mich aber trotzdem ausgeschlafen. Ich saß gemütlich mit Caroline in der Küche und trank einen Kaffee. Wenn man so etwas überhaupt Kaffee nennen konnte, wohl eher Milch mit etwas Kaffeepulver. Da mir zum Essen nicht zu Mute war, guckte ich verschämt auf meinen leeren Teller. Caroline hatte die Sonntagszeitung über dem ganzen Tisch ausgebreitet. „Hast du den Bericht über den Vorfall gestern im Krankenhaus schon gelesen?“ fragte sie mich plötzlich. „ Nein, gib mal her!“ sagte ich etwas grob und zerrte ihr das Blatt aus den Händen. Aufmerksam fing ich an durch die Zeilen zu huschen. Ich holte tief Luft: „ Caroline ich bin an allem schuld!“ Mir blieben die Worte im Halse stecken. Wie oft hatte ich sie jetzt schon verwendet. Mir kam jeder Atemzug so unendlich lange vor und jedes Blinzeln wie eine Ewigkeit.

„Was warum denn?“ Ich zerdrückte die Zeitung in meinen leicht nassen Händen. Caroline stellte ihre Kaffeetasse so auf den Tisch, dass etwas der schwarz-braunen Brühe auf das Holz geriet. „Hier steht, dass man erst davon ausgegangen war, die Reporter hätten das Feuer ausbrechen lassen. Aber Frau Martens hat die Kerze, in ihrem Zimmer, vergessen auszumachen!“ Ich ließ den Kopf fallen und wäre fast mit meinen Haaren in die Marmelade geraten. „Aber das hat doch überhaupt nichts mit dir zu tun!“ Sie guckte mich zweifelnd an und biss in ihr Brot. „Ich habe mich mit Frau Martens unterhalten und wahrscheinlich davon abgelenkt die Kerze in ihrem Zimmer aus zu machen!“ „Mach dir nicht so viele Gedanken. Es ist nun wirklich nicht deine Schuld. Wohl eher Frau Martens‘, sie hat nun mal verbotener Weise eine Kerze in ihrem Zimmer brennen lassen!“ Sie schickte mir ein kleines Lächeln und wischte anschließend ihren Mund mit einer Serviette ab. Ich trank den letzten Rest aus meiner Tasse und ging hinauf in mein Zimmer. Ich hatte schon lange nicht mehr in mein Tagebuch geschrieben, deshalb hob ich das Kissen hoch, setzte mich auf mein Bett und wollte gerade anfangen zu schreiben. Doch dann ließ ich einfach meinen Kopf senken und guckte an mir hinunter. Ich wollte mich nicht in ein paar Jahren, an diese schlimme Zeit erinnern müssen!

 

Wie ich schon erwartet hatte, stürmten bestimmt zwanzig Leute, am nächsten Tag in der Schule, auf mich zu. Alle hatten dieses eine erwartungsvolle Gesicht. Sie alle wollten wissen, wie es Lilly geht, doch ich musste sie enttäuschen, denn ich hatte keine Ahnung. Immer wieder schüttelte ich den Kopf, zuckte mit den Schulter und deutete auf Phil. Ganz alleine ging ich zum Mathesaal, um mir das langweilige Gelaber von Herrn Peters anzuhören. Ich wollte mich gerade, in die zweite Reihe neben Lilly setzten, bis ich realisierte dass sie ja gar nicht da war. Also setzte ich mich neben den Jungen, der mir heftig zuwinkte. Phil! „Weißt du wie es Lilly geht?“ fragte er hektisch. „Nein, tut mir leid ich habe keine Ahnung! Frag lieber mal Natt!“ „Wo ist der eigentlich?“ Herr Peters bat lautstark um Ruhe, deshalb zuckte ich nur mit den Schultern. Nach dem Unterricht merkte ich erst, dass Natt die ganze Zeit eine Reihe hinter mir gesessen hatte. Ich lächelte ihn kurz an, währenddessen Phil laut anfangen musste zu lachen. Mein Füller war ausgelaufen und hatte meine ganze Hand blau gefärbt. Nachdem ich mich an der Nase gekratzt hatte, war auch diese bunt. Schnell zog ich einen Tintenkiller aus meiner Tasche und beseitigte das Kunstwerk.

In der Pause wollte ich mich, wie gewohnt, zu Natt und Phil an den Tisch setzten. Doch dann stieß Natts eingefrorener Blick in mein Herz. Ich wusste zwar nicht was er zu bedeuten hatte. Aber wahrscheinlich so viel wie; Was machst du denn hier? Was ist passiert. Warum schaute er mich so eiskalt an? Trotz dem Druck den er mir mit diesem einen Augenblick verschafft hatte, setzte ich mich an den Tisch. Guckte aber die ganze Zeit auf die hellglänzende Tischblatte. Hatte ich etwas getan? Sah ich unmöglich aus? Was hatte er? Warum tut es so weh?!  „Nina, alles okay?“ fragte Phil mich. Ohne ihn anzusehen, antwortete ich ihm: „Ja, ja, es ist alles okay!“ Ich tat einfach so als wäre ich total müde. Anscheinend störte es Natt nicht, wie es mir ging, wie es Lilly ging und wie er mich mit seine Ignoranz verletzte. Ich war kein Mensch, der so etwas lange aushalten konnte.

 

Als ich abends auf meinem Bett saß, machte ich mir, wie so oft schon, Vorwürfe. Vielleicht hatte ich etwas getan. Vielleicht hatte ich etwas falsches gesagt. Aber warum sagte er es mir nicht einfach, dann hätte ich mich endschuldigt und alles wäre wieder gut! Gut, dieses kleine Wort, was so viele Leben anderer Menschen beschreibt. Nur meines nicht. Warum konnte mein Leben nicht „gut“ sein! Auch jetzt schrieb ich nicht in mein Tagebuch, ich sah es nicht für nötig. In diesem Augenblick sah ich gar nichts für nötig. Es ging alles so schnell, wie lange war ich jetzt schon auf der Schule, zwei Woche! Ich hatte haufenweise Freunde, hätte fast jemanden geküsst, hatte einen Menschen ,kurz vor dem Verbluten, gesehen und ein Krankenhaus hat wegen mir gebrannt! Mein Leben war nicht „gut“ und es wird es auch nie sein! Ich hasste ab sofort, dieses Wort. Ich hasste es abgrundtief!  

 

 

Kapitel 4

Obwohl ich es eigentlich immer liebte, von der leichten Morgensonne geweckt zu werden. Stand ich stürmisch auf und riss die Vorhänge, meiner Fenster zu. Schnell schlüpfte ich in meine Klamotten und ging mit einem Kamm durch meine Haare. Ich schnappte mir meine Tasche und schritt mit einem „Guten Morgen“, an Caroline vorbei. Da Caroline heute später zu der Arbeit fahren wollte, musste ich laufen. Mein Weg war zwar nicht so lang, deswegen hielt bei meinem Haus auch kein Bus, aber mit vielen Bergen versehen. Als ich einen raschen Blick in den Briefkasten warf, sah ich einen weißen Umschlag der jeden Monat kam. Onkel Johan schickte uns immer fünfhundert Dollar, damit Caroline und ich besser über die Runden kamen. Ich packte ihn schnell in meine Tasche und machte mich auf den Weg. Ich freute mich gar nicht auf die Schule. Auf den Unterricht. Auf die Gesichter der Leute. Und so überhaupt gar nicht auf Natt. Ob er seine Ignoranz weiterhin durchzieht? Ich wollte nicht daran denken. Aber ich konnte es auch nicht verhindern. Als ich zwanzig Minuten später den leeren Gang der Schule betrat, fühlte ich mich alleine. Wie früher. Lilly war nicht da. Anna und Sophie mochte ich nicht besonders und Phil. Na gut,  Phil war immer für mich da.

 

Als ich die Klasse betrat, war ich schon zehn Minuten zu spät. Alle schauten mich an, doch ich wurde nicht rot. Es war mir egal. Genauso wie alles andere was ich gerade durchmachte. Genauso, wie Natt es egal war, wie ich mich fühlte. „Gibt es einen Grund für deine Verspätung?“ Ein bisschen genervt guckte Herrn Peters mich an und tippte auf seine Armbanduhr. „Tut mir leid ich habe verschlafen!“ Ich setzte mich, wie schon am Tag davor, neben Phil. Es wäre viel einfacher für mich gewesen, wäre Natt nicht in derselben Klasse wie ich. „Seite 62.“ flüsterte Phil mir zu, als ich mein Mathebuch herauszog. „Alles okay?“ fragte er mich. „Ja, ja. Lass uns später darüber reden.“ Die ganze Stunde spielte ich an meinem Füller herum. Nach dem Dong, zog Phil mich in die leere Turnhalle. Es war leicht düster und ich kniff meine Augen leicht zu. „Setz dich.“ sagte er und deutete auf eine Matte. In diesem Augenblick war es mir egal, dass wir einfach den Unterricht verlassen hatten. Aber es war sowieso noch kein Lehrer da gewesen. „Ich sehe wenn es meiner Nina schlecht geht!“ lächelte er mich an. „Mir geht es wirklich richtig scheiße!“ Ich spielte an meinen Fingernägeln herum. „Natt oder?“ Man hörte die Verzweiflung in Phils Worten. „Ja irgendwie schon. Er ignoriert mich! Er sagt mir nicht hallo, er guckt mich ja noch nicht einmal an!“ „Er ist eigentlich mein bester Freund. Aber er hat kein Wort darüber verloren! Es tut mir leid, ich kann dir nicht helfen!“ Langsam ließ er den Kopf sinken und ich streichelte ihm über die Wange. „Danke!“ „Für was?“ Erschreckt guckte er zu mir hoch. „Für alles“, sagte ich und lächelte, „Ich meine, du könntest dir jetzt Frau Langfields Jammern, dass es nur schlechte Musiker in unserer Klasse gibt, anhören! Und müsstest dir nicht mein Geheule anhören, dass Natt mich ignoriert!“ Er lachte kurz und strich ebenfalls mir über die Wange. „Du bist mir viel wichtiger!“ Ich griff schnell nach seiner Hand und drückte sie fest in meine. Mit der anderen Hand strich ich meine Haare auf eine Seite und legte meinen Kopf auf seine Schulter. „Man hier seit ihr! Frau Langfield ist da, ihr sollt sofort kommen!“ Anna unterbrach, außer Atem, den schönen Augenblick.

Nach der Schule hielt ich zwar Ausschau nach ihm. Aber Natt war wahrscheinlich schon gegangen. Ohne mich! Wütend und aufgewühlt ging ich, die vielen Berge, nach Hause. Auf der Hälfte des Weges, hielt plötzlich ein Auto neben mir an. Wahrscheinlich war es Caroline, die doch früher mit der Arbeit aufgehört hatte. „Willst du mitfahren?“ fragte mich der blonde Junge in dem Fahrzeug. Phil. „Ja.“ sagte ich und strahlte. „Weißt du, wie es Lilly geht?“ fragte ich ihn. „Ihr geht es ziemlich gut. Sie wird morgen entlassen. Ich war gestern bei ihr.“ „Ich bin echt eine schlechte Freundin. Ich habe mich noch nicht einmal informiert, wo sie jetzt liegt!“

Er guckte mich an: „Bist du nicht. Dir geht es momentan nicht gut, und Lilly wird Verständnis dafür haben. Ich besuche sie heute, willst du mitkommen?“ „Ja, danke.“ Ich zeigte auf ein Haus, an dem wir gerade vorbei fuhren. Mein Haus. Beim Aussteigen zog Phil mich schnell, an meinem Arm, zu sich. Er küsste mich auf meine Wange. „Tschüss!“ sagte ich, als ich die Autotür zuschlug.

Ich freute mich schon darauf, Phil Nachmittags wieder zu sehen.

Im Krankenhaus wimmelte es diesmal nicht von Reportern. „In welchem Zimmer liegt sie?“ fragte ich, während ich Phils Hand hielt. „222.“ „Lustig. Genau dieselbe Nummer hatte  auch ihr Zimmer, im letzten Krankenhaus.“ Er lachte. Seine blauen Augen strahlten. Seine weißen Zähne funkelten mich an. Zimmer 222. Er öffnete langsam die Tür. „Nina!“ Lilly war nicht mehr an das Bett gekettet. Sie sprang auf mich zu und umarmte mich. „Es tut mir so leid, dass ich dich nicht besucht habe!“ „Kein Problem!“ sie zwinkerte mir zu. „Und habe ich viel verpasst?“ fragte sie Phil und mich. „Ähm..“ Phil wollte gerade anfangen zu reden. „Nein gar nichts!“ Ich unterbrach ihn. Ich wollte Lilly nicht auch noch in meine Probleme hinein ziehen. Bis abends verbrachten wir noch die Zeit mit Lilly im Krankenhaus.

Nachdem Phil mich wieder nach Hause gebracht hatte,  zog ich meine Schuhe aus und legte mich auf die Coach. Ich schnappte mir eine dünne Decke und schaltete den Fernseher an. Eigentlich hasste ich es fernzusehen! Doch ich guckte mir jetzt lieber eine dieser Talkshows an, als ein Buch zu lesen. Ich sollte mir keine Sorgen machen! Vielleicht hatte Natt nur keine Zeit für mich gehabt, es ist ja erst zwei Tage so. Trotzdem kam es mir äußerst komisch vor, und es machte mich kaputt. Alles was ich mir aufgebaut hatte, zerstörte der Schmerz Tag für Tag.

 

Ein Mann. Ein rundlicher Mann. Er ging in einem abgelegenen Waldstück spazieren. Auf einmal stürzte ein gewaltiger Vogel auf ihn hinunter und aß den Mann auf. Eine Frauenstimme rief: „Martin! Nein!“

Als ich morgens aufwachte konnte ich mich nur noch an diese Bruchteile meines Traumes erinnern. Ich rieb mir die Augen, nachdem ich mich hingesetzt hatte, und bemerkte dass sie feucht waren. Hatte ich etwa im Schlaf geweint? Ich hatte die ganze Nacht den Fernseher angelassen und war auf der Coach eingeschlafen. Glücklicherweise war ich früh genug aufgewacht, um nicht noch einmal zu spät in die Schule zu kommen. Ich sprang schnell unter die Dusche, packte meine Sachen, zog mich an und verschwand aus der Tür. „Nina. Jetzt komm endlich! Ich muss auch los!“ forderte Caroline mich hektisch. Ich hüpfte schnell ins Auto und ließ mich in die Schule fahren. Die Schule lief ganz normal ab. „Wollen wir nach der Schule zusammen Mathe lernen?“ fragte mich Phil. „Ja liebend gerne!“ Ich freute mich darauf, dass Phil nach der Schule zu mir kommen wollte.

Mal wieder nahm er mich mit seinem Auto mit. An meinem Haus angekommen, schloss ich schnell die Tür auf. Caroline war noch nicht da. Wir gingen hinauf in mein Zimmer und kramten die Mathehefte aus unseren Taschen. Ich bemerkte wie ich die ganze Zeit schon Natts Kette trug. Ich fasste sie an. „Die Kette ist von ihm, oder?“ Er sah mein verzweifeltes Gesicht. Ich nickte. Als ich sie gerade öffnen wollte, bekam ich einen Stromschlag. „Auu!“ Ich schrie laut. „Die Kette hat mir einen Stromschlag verpasst!“ „Zieh sie lieber aus!“ Ich zog die Kette aus, bevor sie mir noch mehr wehtun konnte. „Das ist voll komisch!“ meinte Phil und ich stimmte ihm zu. Es bildete sich eine rote Stelle, dort wo ich das Amulett angefasst hatte. Phil griff nach meiner Hand. „Nina, du solltest ihn vergessen. Er tut dir so weh! Ich kann dich nicht länger so leiden sehen!“ Schnell zog ich seinen Kopf an meinen und küsste ihn. Als sich sein Kopf wieder von meinem löste, riss ich erschrocken die Augen auf. „Tut mir leid, ich…“ Ich seufzte. Ich wusste gar nicht, ob er es überhaupt wollte. Oder ob ich es wollte. Er guckte mich lächelnd an. „Du musst dich nicht endschuldigen, es ist ja nicht so, als ob ich es nicht wollte“, sagte er, „trotzdem werde ich jetzt gehen. Ich glaube du musst jetzt erst einmal deine Gefühle in den Griff bekommen!“ „Und was ist mit dem Mathe lernen?“ fragte ich, innerlich lachend. „Das kann warten. Du bist wichtiger!“ Ich begleitete ihn noch bis zur Tür und legte mich anschließend auf mein Himmelbett. War es nur Trost? Trost dafür, dass Natt sich nicht mehr für mich interessierte. Oder war es wahre Liebe? Phil war echt total nett und ich mochte ihn über alles. Aber mehr als einen Freund? Ich hatte ihn gerade geküsst. Einfach so. Ohne mich im Klaren zu sein, ob ich ihn wirklich liebte. Als ich ihn das letzte Mal fast geküsst hätte, war da diese komische Gestalt. Und diesmal war gar nichts passiert. Doch. Ich hatte einen Stromschlag von der Kette von Natt bekommen. Sollte sie mich davor warnen? Was bildete ich mir ein. Ich war mir noch nicht einmal sicher, ob ich Natt nicht mehr liebte. Es war erst vor kurzem, da hätte ich Natt fast geküsst. Aber Phil hatte Recht, ich sollte ihn vergessen. Er tut mir sonst nur noch mehr weh. Ich guckte auf die Uhr. Fünf. Warum ging es mir so schlecht? Als ich meine Lampe anmachen wollte, sah ich einen Zettel. Der daran klebte. Ich nahm ihn ab und las. Darauf standen drei kurze Worte. „Ich liebe dich“! Phil war so süß. Er sah auch total gut aus. Aber momentan konnte ich mich nicht genauso äußern.

„Ich bin wieder da!“ unterbrach Caroline meine Gedanken. In diesem Augenblick bemerkte ich, dass die Geschenke noch auf meinem Tisch lagen. Ich bin nie dazu gekommen sie auszupacken. Es waren so viele. Ich fing an mit dem Geschenk von Lilly. Sie hatte es in rotes Papier eingepackt und mit einer goldenen Schleife zu gebunden. Darin befand sich ein wunderschönes, trägerloses Oberteil. Es war weiß mit kleinen Blumen darauf. Passend dazu lag dabei noch eine Kette mit einem „N“ daran. Ich schnappte mir als nächstes ein weißes Päckchen. Es war von Sophie. Darin befand sich, wie ich es mir nicht besser denken konnte, Make-up. In allen Farben und Größen. Von rosa bis schwarz. Von Wimperntusche bis Lippenstift. Ein süß in grün eingepacktes Geschenk, war von Anna. Darin lagen verschiedene Armbänder, Ketten, Ohrringe und Ringe. Also jeden denkbaren Schmuck. In den anderen Geschenken, war entweder Geld, Make-up, Anziehsachen oder Filme. Als ich mich schon wunderte wo Natts Geschenk lag. Fiel mir ein, dass ich es unter mein Kopfkissen gelegt hatte. Ich hob das Kissen hoch und sah das kleine, in lila farbiges Papier eingepackte Packet. Ich zog an der weißen Schleife und öffnete es langsam. Darin befand sich eine Kette. An der eine Feder hing. Sie war braun-rot. Sonst hingen an der Kette noch ein paar Perlen. Hatte er sie selbst gemacht? Unter der Kette, war ein Zettel. Darauf stand: „Es tut mir leid!“ Es tut ihm leid? Warum schrieb er das? An diesem Zeitpunkt hatte er doch noch gar nichts gemacht! Oder war es eine Entschuldigung für jetzt? Hatte er es geplant gehabt, mir so weh zu tun? Muss er es tun? Hat es einen Sinn? Ich wusste keine Antwort!

Abends half ich Caroline bei dem Zubereiten des Abendessens. „Willst du jetzt wirklich Vegetarierin werden?“ fragte ich sie, als ich die Wurst aus dem Kühlschrank nahm.  

Ich hatte schon lange nicht mehr mit ihr zusammen gegessen. Deshalb half ich ihr beim Tischdecken und Schneiden des Gemüses. „Ja ich denke schon. Du kennst doch Jacob, mit dem ich vor kurzem ein Date hatte. Er ist auch Vegetarier, und gegen ein bisschen Einschleimen spricht ja nichts!“ kicherte sie. Ich verdrehte lachend die Augen und dachte, typisch Caroline. Als alles auf dem Tisch stand, schenkte sie sich Orangensaft ein und fragte: „Dieser junge Mann, der mal bei dir war. Wie ist er nochmal?“ Ich schluckte und ließ den Namen wie einen kleinen Luftzug aus mir heraus: „Natt.“ „Ach genau, er war schon länger nicht mehr hier!“ sagte sie und legte sich eine Käsescheibe auf ihr Brot. Ich ließ den Kopf sinken. „Mhm…Es ist sehr schwer!“ Caroline zuckte mit den Schultern: „Ja Männer! Irgendwann wirst du den Richtigen finden!“ Sie lächelte und ich nickte, ohne mir bewusst zu sein, ob es wahr war. Nach dem Essen ging ich hinauf und fing an zu schreiben.

 

 

Liebes Tagebuch,

ich habe jetzt schon mehrere Tage nichts geschrieben, so wie in den Wochen, nach dem Tod meiner Eltern. Ich kann meine Gefühle nicht in Worte fassen. Ich möchte einfach nicht in ein paar Jahren an diese Zeit erinnert werden. Also schreibe ich nicht über die Schlimmen Sachen die mir wiederfahren!

Phil und ich haben uns geküsst. Aber ich bin mir nicht sicher. Tief in mir spüre ich immer noch die Verbundenheit mit Natt. Obwohl uns im Moment nichts verbindet. Ich werde warten und sehen müssen!

 

Eigentlich wollte ich nicht warten. Ich wollte die Antwort sofort wissen. Aber ich wusste sie nicht. Ich wusste gar nichts! Mein Leben war ein einziger Scherbenhaufen gewesen, der nach und nach wieder zusammen geklebt wurde. Aber nun, wieder in seine Einzelteile zerfiel!

 

Nachdem ich Phil versprochen hatte, ihm beim Football zu zugucken. Machte ich mich auf den Weg zum großen Feld, was sich vor unserer Schule ausbreitete. Ich setzte mich auf eine der dreckigen Bänke und ging mit meinen Augen, suchend durch die Menge Footballspieler. Sie trugen alle dunkelblaue Trikots. Dabei entdeckte ich auch die Cheerleader, darunter Lilly. Wie sie sich alle dehnten, in ihren knappen, roten Röcken, um später ihre Mannschaft anzufeuern. Ich erkannte Phil an seinem winkendem Arm. Ich schüttelte auch sanft meine Hand, da sah ich ihn. Natt. Wie er mit seinem Helm unter dem Arm, auf den Platz trat. „Hey, bist du auch wegen Natt hier?“ fragte mich Julia. Ich hatte mit ihr zusammen Geschichte, doch war sie mir eigentlich nie wirklich aufgefallen. „Er ist richtig gut!“ fügte sie hinzu und strahlte, doch ich guckte sie nur verwundert an. „Nein, eigentlich bin ich wegen Phil hier!“ sagte ich und guckte ihn an. „Ach ja, die Neue und der Footballspieler!“ Sie zwinkerte mir zu und ich konnte die Farbe in meinem Gesicht nicht aufhalten. Normalerweise waren die beliebten Cheerleader und die hübschen Mädchen, die reiche Eltern hatten, mit den Footballspielern zusammen, doch Phil interessierte sich wirklich an mir! Julia hatte blonde, glatte Haare und blaue Augen. Sie hatte eine spitze Nase und ihr Gesicht erinnerte mich an das eines  Rehs. Die großen Augen und der schmale Mund. Nach ungefähr zehn Minuten Spielzeit, konnte ich Julia zustimmen. Natt wirklich gut. Sehr gut sogar. Mein Blick löste sich nicht von ihm. Phil guckte mich oft an und ich lächelte ihm auch immer wieder zurück. Doch wandten sich meine Augen nicht von Natt ab. Nach dem Spiel, das Phil und Natts Mannschaft gewann, sah ich wie Julia aufstand und auf das Feld stolzierte. Es waren und zweiunddreißig Krad und die Spieler trieften in der heißen Sonne. Ich hatte mich auch nur leicht angezogen, sonst würde ich auch in der Hitze eingehen. Obwohl ich Regen nicht besonders mochte, vermisste ich ihn! Als ich gerade aufstehen wollte, hörte ich ein Geräusch. Ein Vogelgezwitscher. Es war ungewöhnlich schrill, aber trotzdem tief. Es war ziemlich laut, also so dass man es eigentlich nicht überhören konnte. Ich drehte mich erschreckt um und guckte die hinter mir, sitzenden Leute an. Doch sie machten kein Anzeichen. Aber wahrscheinlich hatten sie es einfach nicht gehört. War ich die einzige? Ich sah wie Natt suchend in den Himmel sah und mich hektisch anschaute. Doch genauso schnell wie er zu mir sah, guckte er auch wieder weg. Als Julia auf ihn zu kam, band er sie fest in seinen Armen ein. Ich kniff meine Augen zusammen. Eifersucht? Ich wollte sie nicht in mein Leben lassen, konnte es aber auch nicht verhindern!

Plötzlich spürte ich wie es für einen kleinen Augenblick in meiner Hosentasche heiß wurde. Ich griff schnell hinein und bemerkte, dass die Kette mit dem Amulett, die Natt mir vor ein paar Wochen geschenkt hatte, darin steckte. Als ich mit Phil Mathe lernen wollte, habe ich sie ausgezogen, da sie mir beim Berühren einen Stromschlag gegeben hatte. Doch nun befand sie sich wieder bei mir! Jemand tippte mir auf die Schulter und ich erschrak, ich war mit meinen Gedanken gerade wo ganz anders gewesen! „Tut mir leid, ich habe mich nur erschreckt.“ Ich rutschte etwas auf der Bank nach rechts, damit sich Phil neben mich setzten konnte. „Okay. Und wie fandest du das Spiel?“ fragte er und hielt meine Hand. Ich zitterte. Ich hatte Angst. Es war zu viel für mich. Erst das laute Vogelgeräusch, was niemand außer mir wahrgenommen hatte, dann Natt und Julias innige Umarmung und schließlich die Verbrennung der Kette, an meinem Bein. „Alles okay? Du zitterst so?“ fragte er, als er es, bei der Berührung mit meiner Hand, bemerkte. „Komm heute Abend zu mir, dann erkläre ich es dir!“ flüsterte ich ihm in sein Ohr, nahm meine Tasche und ging die Stufen der Bühne hinunter. „Willst du wirklich nicht bei den Cheerleadern mitmachen?“ fragte mich Lilly, als ich über das Feld ging. „Nein lass mal. Gerade fühle ich mich dazu am wenigsten im Stande!“ sagte ich bedrückt. „Nina was ist los? Schon seitdem ich wieder in der Schule bin, benimmst du dich komisch!“ Ich sah in ihr fürsorgliches Gesicht. „Lilly! Bitte lass mich dich nicht auch noch in meine Probleme hineinziehen!“ Ich versuchte an ihr vorbei zu gehen, doch sie hielt mich an meiner Schulter fest. „Und wenn ich mich in deine Probleme hineinziehen lassen möchte!“ Sie wusste wie sie mich weich kriegt. „Na gut, aber nur weil du es willst! Phil kommt heute Abend, komm doch auch!“ Lilly war seit meinem Geburtstag nicht mehr bei mir gewesen, was auch verständlich gewesen war. Niemand außer Phil war bei mir gewesen. Lilly nickte und ließ mich endlich gehen. Auf dem Heimweg traf ich Louisa. Sie war in meiner Parallelklasse und spielte im Orchester mit. Louisa hatte  kurze schwarze Haare und sah etwas herunter gekommen aus. „Hey, ich bin in deiner Parallelklasse!“ sagte sie, als würde ich mich gar nicht auskennen. „Das weiß ich doch!“ sagte ich, mit einem leicht lachendem Unterton. „Du bist doch die neue Freundin von Phil oder?“ fragte sie. „Nein wir sind nur Kumpel, keine Angst!“ Warum hielten uns alle bloß für ein Paar! Louisa lachte. „Nein, ich bin seine Ex-Freundin. Er ist echt toll!“ Das war er wirklich. Echt toll! Ich konnte ihm alles anvertrauen. Und ich wusste dass er mir alles glauben würde. Egal wie abwegig es wäre. Die Neue und der Footballspieler! Das hörte sich gar nicht so schlecht an.

Kapitel 5

Um acht Uhr abends, nachdem Lilly schon da war und sich gemütlich auf mein Bett gesetzt hatte, klingelte es an der Tür. Ich guckte wie gewohnt durch den Spion und sah ein bekanntes Gesicht. Ich öffnete die, etwas quietschende Tür und begrüßte Phil.

 „Bevor du mir jetzt erzählst was passiert ist, möchte ich dir etwas geben!“

Er stand noch mitten in der Tür, während er etwas aus seiner Jackentasche zog.

 „Okay. Aber wenn du es nicht hören willst, kannst du es ruhig sagen!“ meinte ich unsicher, bat ihn hinein und schloss die Tür hinter ihm.

 „Doch, natürlich! Sonst wäre ich doch gar nicht hier!“ lachte er und ich zog meine Mundwinkel hoch.

 „Hier.“

Phil drückte mir einen kleinen Gegenstand in meine Hand. Es war ein Ring.

 „Er soll dich beschützen! Es passieren dir im Moment viele Dinge, die dich fertig machen. Zwar glaube ich an so etwas nicht, aber ein Versuch wäre es wert!“

Der  Ring sah ziemlich alt aus. Er hatte einen roten, großen Stein und eine silberne Fassung. Ich bezweifelte zwar, dass ich ihn anziehen würde, aber Phil hatte es ja nur gut gemeint.

 „Wo hast du den her?“ fragte ich.

 „Es ist ein Familienerbstück, aber du brauchst ihn gerade am meisten! Ach und wenn er ziemlich heiß werden sollte, ruf mich bitte sofort an!“ erklärte er mir. Ich wunderte mich warum mir schon zwei „wertvolle“ Familienerbstücke vermacht wurden. In diesem Augenblick erinnerte ich mich, an die Kette. Wegen ihr hatte ich nun eine rote, schmerzende Verbrennung an meinem Bein. Ich gab ihm als Dankeschön einen Kuss auf die Wange.

 „Wo bleibt ihr denn?“ fragte Lilly, als sie von der Treppe aus, auf uns hinunter sah.

 „Ach Lilly ist auch hier.“ erkannte Phil und man sah ihm sichtlich an, dass er sich auf einen Abend mit mir allein gefreut hatte.

 „Oh tut mir leid, ich habe ganz vergessen es dir zu sagen. Aber ich hoffe es macht dir nichts aus.“ sagte ich und drückte den Ring fest in meiner Hand.

 „Nein ist kein Problem.“ meinte er und wir gingen die Stufen hinauf in mein Zimmer.

 Lilly setzte sich auf den Boden, Phil und ich auf mein Bett. Ich legte den Ring auf meinen Spint und fragte Lilly:

 „Ich kam noch gar nicht dazu dich zu fragen, aber was hat dich eigentlich an meinem Geburtstag angegriffen?“

Ich bemerkte wie die Anspannung in mir stieg.

 „Ja genau, das wollte ich auch mal wissen!“ fügte Phil hinzu.

 „Ich…ich weiß es nicht! Ich glaube es war ein Tier!“ sagte sie und zuckte mit den Schultern.        „Aber glaubst du wirklich ein Tier würde einen Menschen angreifen und dann noch solche Wunden hinterlassen?“

Ich zweifelte an der Wahrhaftigkeit, Lillys Aussage.

 „Ich weiß es wirklich nicht, und es war schon ziemlich dunkel gewesen!“

Ich sah die Narben an ihrem Arm. Es konnte kein Tier gewesen sein. Aber was es sonst gewesen sein können, wusste ich auch nicht!

 „Naja, ist auch egal. Mir geht es jetzt ja auch wieder gut!“

Man erkannte, dass Lilly die Frage kaputt machte, aber sie wollte sich nicht kaputt machen lassen!

 „Also Nina, was ist passiert?“ fügte sie hinzu.

 „ Das ist so schwierig!“ meinte ich.

 „Egal versuch es!“ sagte Phil.

 „Also. Natt war ja am ersten Tag bei mir gewesen und hat mir eine Kette geschenkt. Wir

 haben uns echt gut verstanden. Er hat uns ja auch aus dem Krankenhaus gerettet. Aber dann  

 hat er mich auf einmal ignoriert und ich kann mir nicht erklären warum!“

Ich atmete tief ein und fuhr dann fort:

 „Als ich mal mit Phil Mathe lernen wollte, hat mir die Kette einen Stromschlag gegeben und      daraufhin habe ich sie ausgezogen. Doch heute nach dem Footballspiel, da war sie auf einmal wieder in meiner Hosentasche, wurde richtig heiß und hat mir meine Haut verbrannt!“

Ich fing wieder an zu zittern.

 „Nina, du brauchst keine Angst zu haben, es gibt bestimmt eine Erklärung dafür!“ versuchte Phil mich zu beruhigen.

 „Das ist noch nicht alles. Ich habe ein richtig lautes, unüberhörbares Vogelgezwitscher gehört. Es war tief, trotzdem schrill und hat mir richtig in meinen Ohren wehgetan. Doch es hat anscheinend niemand außer mir gehört, oder habt ihr es auch gehört?“

Ich hoffte darauf, dass sie nicken würden.

 „Nein tut mir leid, ich habe gar nichts mitbekommen!“

 „Ich auch nicht.“

Mein Zittern wurde immer schlimmer. Hatte ich etwa schon Halluzinationen?

 „Man das macht mir voll Angst…!“

Phil nahm meine Hand .

 „Es gibt für alles eine Erklärung, glaub mir! Zum Beispiel, dass mit der Kette. Caroline hat   

 sie bestimmt beim Aufräumen in deine Hosentasche gesteckt!“ meinte Lilly.

Caroline räumte aber selten in meinem Zimmer auf und dann würde sie die Kette nicht in eine Hose räumen. Und wenn, warum sollte sie so heiß werden?

 „Mhm…“, ich bemerkte wie ich unruhig an meinen Fingern rumspielte, „ich habe solche Angst!“

 „Nina, ich möchte dir so gerne helfen, aber ich kann nicht. Ich weiß es klingt so dumm, aber trage den Ring, vertrau mir!“

Ich nickte und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Es war mir egal, ob Lilly dabei war und was sie darüber dachte. Ich stand dazu, in Phil verliebt zu sein.

 „Wo ist die Kette jetzt?“ fragte sie.

 „Ich hab sie in meine Tasche gelegt.“

 Ich nahm meine Tasche auf den Schoß und fing an nach der Kette zu kramen. Da fühlte ich sie. Das Amulett war so wunderschön. Ganz tief in mir, vermisste ich die Gegenwart von Natt. Es quälte mich. Die Frage, warum jetzt alles anders war! Warum die Kette mir wehtat. Warum nur ich das Gezwitscher gehört hatte und warum Natt sich auf einem Zettel, in meinem Geschenk, bei mir endschuldigt hatte!

 „Hier!“

Ich gab ihr schnell den kalten Gegenstand, ich wollte ihn nicht länger in meinen Händen halten. Lilly betrachtete das silber-goldene Gerüst und öffnete das Amulett. Darin stand „Believe or Die“. Ich wusste was es bedeutet. Zwar nicht genau. Aber ich spürte die Antwort in mir.

 „Was heißt; Believe or Die?“ fragte Lilly und verzog ihre Augenbrauen komisch, beim Aussprechen des Satzes.

 „Vielleicht, wenn sie nicht glaubt an das was gerade passiert, muss sie sterben!“

Obwohl man Phil die Ironie sichtlich ansah, überkam mich eine Schauer. Sterben. Ich brachte dieses Wort immer mit meinen Eltern in Verbindung. Mir kullerten eine Träne nach der anderen über die Wange.

 „Nina warum weinst du?“

Ich wollte nicht in Phils besorgtes Gesicht sehen. Ich wollte gar nichts mehr sehen. Einfach die Augen schließen, einschlafen und nie wieder aufwachen.

 „Ich hab solche Angst!“

Ohne auf die Antwort der anderen zu warten, stand ich stürmisch auf, riss die Kette aus Lillys Händen und öffnete das Fenster.

 „Was hast du vor?“ fragte Lilly, aber ich antwortete ihr nicht.

Ich drückte die Kette fest in meiner Hand und warf sie mit aller Kraft, aus dem fünften Stockwerk, des Gebäudes. Sie knallte auf dem harten Steinboden auf und zersprang in ihre Einzelteile.

 „Nina! Was hast du getan?“

Lilly war total schockiert. Aber was hätte ich anderes tun können?

 „Wenn ich Natt vergessen soll, dann muss ich auch die Kette vergessen!“

Ich war mir so sicher jetzt die „Schlechtezeit“ überwunden zu haben.

 „Es ist besser so!“ meinte Phil und ich bemerkte wie er seine Hand auf meine Schulter legte.

 

Nachdem Lilly schon gegangen war und Phil nur noch für ein paar Minuten bleiben wollte, fasste ich allen Mut zusammen.

 „Phil! Ich denke ich bin jetzt bereit!“ sagte ich, obwohl ich immer noch unsicher war, mit zitternder Stimme. Es war so viel passiert. So viel, dass ich nicht mehr klar denken konnte.

 Aber wollte er es überhaupt noch?

 „Für was?“

Wusste er es nicht? Oder wollte er es nicht wissen? Ich rutschte auf meinem Bett, näher an ihn heran, legte meine Hand auf seine Wange und küsste ihn.

 „Für das.“

Er nickte und schlang mich fest in seinen Armen ein.

 „Schön.“ sagte ich und löste mich langsam wieder aus seinem Händen.

 „Du musst jetzt aber auch langsam gehen. Caroline wird bald hier sein und ich glaube sie 

 findet es nicht so gut, wenn ein Junge noch so spät bei mir ist!“

Er nickte gab mir einen sanften Kuss und verließ still die Wohnung. Als ich auf die Uhr guckte war es schon halb zwölf. In mir schlummerten so viele Gedanken. Konnte ich jetzt endlich wieder glücklich sein? Würde jetzt mein Leben wieder besser werden? Ja. Ja, jetzt würde alles wieder gut werden!

Am nächsten Tag betrat ich das Gebäude, der alten, gelb-weißen Schule. Die jüngeren Schüler sprangen herum und die älteren beschäftigten sich mit ihren Handys. Ich holte mein Mathebuch und Heft aus meinem Spint. Einem grau-blauen, verbeulten, Metallkasten. Von dem allmälig der Lack abblätterte. Auf dem Weg zum Klassenraum, bemerkte ich wie jemand, von hinten, seine warmen Arme um mich legte und mir einen Kuss auf den Kopf gab. Es war ein Freund. Nicht nur „ein“ Freund. Sondern mein Freund! Ich drehte mich um, drückte meine Handflächen auf seine Hüfte und sagte:

 „Hey.“

 „Hey, wie geht es dir?“ fragte Phil.

 „Gut. Sehr gut sogar!“

Ich lächelte. Ich hatte es gesagt. Und diesmal dabei nicht gelogen. Denn es stimmte. Ich war wirklich glücklich!

In der Klasse, fragte Herr Peters scherzend:

 „Und wenn schwänzt heute mal wieder die Schule?“

Auf einmal sagte ich:

 „Natt!“

Es ging einfach wie ein Atem aus meinem Mund heraus. Warum muss ich es unbedingt sagen? Phil guckte mich erschrocken an. Ich hatte ihm versprochen Natt zu vergessen, doch bis jetzt sah es noch nicht danach aus!

Die Schule verlief ziemlich normal. Genauso wie die darauffolgenden Tage. Phil wurde mir Tag für Tag immer sympathischer. Lilly wurde immer hübscher. Obwohl das ziemlich unmöglich war, so schön wie sie schon aussah! „Natt hat die Grippe!“ Diese Worte kursierten durch die Schule. Sogar Herrn Peters erwähnte es in seinem Unterricht. Doch ich konnte es nicht glauben. Es stimmte nicht. Das wusste ich!

An einem Donnerstag, als ich mit Lilly gerade in der Pause durch das Gebäude ging. Sah ich wie ein Mädchen, mit kurzen blonden Haaren, von anderen geärgert wurde.

 „Sarah! Du bist so naiv. Als ob es so etwas gibt. Laber mal keinen Scheiß!“ brüllte eins der anderen Mädchen.

 „Doch es gibt sie. Glaubt mir doch. Ich hab sie gesehen. Wirklich!“ verteidigte sich Sarah.    „Du bist dumm! Du willst doch nur Aufmerksamkeit!“

Ein Junge ging auf das Mädchen zu. Ich konnte nicht einfach darum stehen und nichts tun. Ich ging auf die Gruppe zu.

 „Hey! Jetzt lasst sie doch einfach in Ruhe!“

 „Was willst du denn?“

Der Junge schupste mich zurück.

 „Alter! Fass sie nicht noch einmal an!“ brüllte Phil, als er plötzlich hinter mir stand.

Phil war älter und stärker. Die anderen hatten Respekt vor ihm.

 „Okay. Okay, ist ja gut!“

Die Gruppe ergriff die Flucht. Sarah lächelte mich kurz an und ging hektisch auf die Mädchentoilette zu.

 „Nina, alles okay?“ fragte Lilly.

 „Ja es ist alles gut. Die sind ja so gemein, haben das Mädchen einfach voll fertig gemacht!“ sagte ich.

 „Ja die sind ziemlich dumm. Ignorier sie einfach!“ erklärte mir Phil.

 „Danke übrigens!“ bedankte  ich mich.

 „Warum haben die sie geärgert?“ fragte ich.

 „Das ist Sarah. Sie glaubt an irgendwelche Fabelwesen und soll sie auch gesehen haben. 

 Natürlich ist das Blödsinn, aber man muss sie ja deshalb nicht gleich fertig machen!“ sagte er

und ich hörte den Gong, der immer kam wenn die Pause vorbei war.

Die Tage vergingen. Meine Haare wuchsen. Jeden Tag bekam ich ein größeres Lächeln ins Gesicht. Endlich war ich glücklich. Obwohl ich es eigentlich gar nicht so richtig glauben konnte. Ich war nie zuvor länger als einen Tag froh gewesen, zu leben. Doch jetzt war alles anders. Ich war wirklich glücklich! Mein Leben war gut!

An einem Montagmorgen, nachdem Caroline mich geweckt hatte. Stand ich auf und ging zum Fenster. Es wurde kalt. Die rot-braunen Blätter fielen von den Bäumen und wurden von dem Wind weggeblasen. Ich ging in Richtung Badezimmer, um einen raschen Blick in den großen Spiegel zu werfen. Doch plötzlich zuckte ich zusammen und ließ einen lauten Schrei von mir. Ich wollte mir nicht an den Hals fassen, tat es aber trotzdem. Ich spürte die gold-silberne, eiskalte Fassung eines Amuletts!

Meine Hände fingen an zu zittern und mein Auge zu zucken. Ruckartig entfernte ich meine, leicht nasse, Hand von dem Gegenstand. Ich öffnete schon den Mund, um laut los zu schreien. Ließ es dann aber doch. Was sollte es bringen? Niemand kann mir helfen! Ich war mir sicher, dass es nichts nützen würde, die Kette auszuziehen. Ich band meine Haare, mit einem Haargummi, zusammen und legte mir einen Schal um den Hals. Ich versuchte das komische Gefühl, das sich in mir aufbaute, zu unterdrücken und ging hinunter in die Küche.

 „Nina, möchtest du auch was essen?“ fragte Caroline, während sie verschiedene Marmeladengläser auf den Tisch stellte.

Ich schüttelte den Kopf und fing an meine unterschiedlichen Hefte zusammen zu suchen. Als ich später mit Caroline im Auto saß, guckte ich aus dem Fenster und verschwand immer wieder, für einen kleinen Augenblick, in dem schönen Grün, des Waldes, an dem wir vorbeifuhren. Ich sah wie sie ihre Hand nach dem Autoradio ausstreckte und auf einen großen Knopf drückte. Eine stille Melodie verbreitete sich in dem kleinen Auto.

 „Würdest du die Musik bitte lauter stellen?“ fragte ich.

Ich hoffte, wenn die Musik lauter wäre, ich nicht mehr meine eigenen Gedanken hören müsste!

In der Schule angekommen, ging ich zielsicher auf die Toilette zu. Ich wollte noch einmal in einen Spiegel schauen. Langsam zog ich einen Teil des Tuches, was ich um meinen Hals gewickelt hatte, herunter, um ich zu vergewissern, dass ich sie wirklich wieder trug. Und ja, ich trug die Kette wirklich! Ich kratzte mich an meiner Nase, denn auf einmal fing meine ganze Haut an zu jucken und zu brennen. Ich fühlte mich nicht mehr wohl!

 „Hey Nina.“ hörte ich, als ich schon wieder auf dem Gang stand.

Es war Phil. Der mich anstrahlte und wahrscheinlich hoffte dass ich ihm auch ein Lächeln schenken würde. Doch egal wie ich mich auch anstrengte, in dieser Situation konnte ich nicht einfach so tun, als würde es mir gut gehen!

 „Alles okay?“

Ich hasste diese Frage. Ich nickte einfach. So wie ich es früher auch immer tat. Ich unterdrückte die Tränen. Versuchte die Mundwinkel hoch zu ziehen und die Augen weit zu öffnen. Er legte seine Arme um meinen Rücken und drückte mich fest an sich heran. Erst guckte er mir tief in die Augen und gab mir dann einen Kuss auf die Stirn.

 „Gut!“

Er wollte nur das Beste für mich. Aber er konnte mir auch nicht helfen.

 „Zieh doch den Schal aus, es ist so heiß!“

So schnell, wie er mir ihn schon ausgezogen hatte, konnte ich gar nichts sagen. Ich verzog meine Augenbrauen und wartete eigentlich nur noch auf seine erschreckte Reaktion. So blass wie er war, hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen!

 „Nina, wie…wie ist das passiert? Du hast sie doch kaputt gemacht!“ schockiert fing er an ungleichmäßig zu atmen.

 „Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts!“

Ich war genauso ahnungslos, wie er.

 „Aber, aber, das geht doch gar nicht!“

Jetzt war ich mir aber wenigstens sicher, egal was ich auch versuchen würde, dass die Kette immer wieder zu mir zurück kommen würde!

Phil nahm seine Hand von seinem Mund, holte noch einmal tief Luft und guckte dann  total verwirrt auf den Boden. Jemand hielt von hinten meine Augen zu und sprang schreiend zurück.

  „Spinnst du?“ brüllte Lilly.

Ich wusste nicht was ich getan hatte und guckte sie ahnungslos an.

 „Ey, du hast mir einen Stromschlag gegeben!“

 „Nein! Wie soll ich das bitte gemacht haben?“

Doch ohne darauf zu reagieren, starrte Lilly auf meinen Hals.

  „ Aber…aber…“

Sie fing an zu stottern und wusste nicht was sie sagen sollte. Ihr Blick sagte schon alles.

 „Gib mir bitte deine Hand!“

Erst zögerte sie, dann streckte sie mir doch die Hand aus. Ich berührte sie nur leicht.

 „Man schon wieder!“

Lillys Gefühle waren eine Mischung aus, Hass und Verwirrung. Ich wusste woran es gelegen hatte. Langsam öffnete ich den Verschluss meiner Kette, legte sie in meine Tasche und griff so schnell nach Lillys Hand, dass sie gar nichts dagegen sagen konnte. Es passierte nichts.

 „Was? Hä? Aber…aber…ich verstehe das alles nicht mehr! Nina! Bitte erkläre es mir. Bitte!“ Sie flehte mich an, doch ich konnte es nicht.

 „Tut mir leid. Ich kann es nicht! Ich verstehe selbst nichts mehr!“

Der Rest des Schultages verlief normal. Bis auf, dass ich immer zusammenfuhr und erschrocken nach Phils Hand griff, dieser sie fest einschloss und mir somit ein Gefühl von Sicherheit gab, wenn der Dong erklang. Ich wollte nicht alleine nach Hause laufen, zu groß war die Angst was passieren würde, wenn niemand da wäre und mich beschützen könnte. Deshalb fragte Phil mich ob ich mit seinem Auto nach fahren wolle. Doch die Vorstellung in solch einem klaustrophobischen Fahrzeug zu sitzen – sein Auto war nicht gerade von Größe – klang mir sehr abwegig.

 „Soll ich langsam neben dir her fahren, bis du zu Hause bist?“ kicherte er.

Phil konnte seine Angst gut genug überspielen, so dass kein Außenstehender sehen würde, wie verwirrt er gerade war. Aber ihn verfolgte auch keine Kette, die versucht ihm durch alle Mittel wehzutun. Mein Gesichtsausdruck war leer und meine Stimme hohl.

 „Nicht nötig.“ sagte ich trocken.

Er tat es aber trotzdem.

 „Kann ich nach der Schule mit zu dir kommen?“ fragte er.

 „Wenn du möchtest.“

Ich versuchte so wenig Blickkontakt zu halten und noch weniger zu sagen.

Nachdem Phil zu mir gekommen ist, bat ich ihn in mein Zimmer zu gehen und hole zwei Gläser und eine Wasserflasche aus der Küche.

 „Möchtest du etwas trinken?“ fragte ich so leise, dass ich sogar ich selbst meine Worte nicht verstehen konnte.

Jedoch nickte Phil und ich schenkte etwas klares Wasser in ein kleines, mit Schriftzügen verziertes Glas. Er bedankte sich, nachdem ich es ihm in die Hand gedrückt hatte.

 „Wo ist sie jetzt?“

Obwohl ich genau wusste was er meinte, tat ich so als wäre ich ahnungslos.

 „Was meinst du?“

Er guckte mich etwas schief an. Sein Blick erinnerte mich an den Abend meines Geburtstages. Als er mich erst mit großen, strahlenden Augen anstarrte und dann seinen Kopf schief legte um mich zu küssen.

 „Die Kette.“

Er war so locker, so still, als hätte er nicht erst vorhin seine gesamte Gesichtsfarbe verloren und einen riesen Schock bekommen. Ich deutete auf meine Ledertasche. 

 „Darf ich sie angucken?“ fragte er vorsichtig.

Ich erinnerte mich an die schöne Zeit als ich 14 war. Mein bester Freund und ich gingen jeden Tag auf einen rustikalen Spielplatz, auf den keine Eltern ihr Kind mehr spielen ließen. Er war heruntergekommen und die Farben der Geräte waren blass und mit Dreck bedeckt. Wir machten dort unsere Hausaufgaben zusammen, kletterten auf Bäume, die rings herum wuchsen, oder badeten in einem sonnenaufgewärmten See, der ganz in der Nähe lag.

 „Nina?“

Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und antwortete:

 „Na klar.“

Er hatte mich zwar aus einer Erinnerung gerissen, die für mich mehr als schön war. Denn ich wohnte noch in Kanada und mein Leben war noch normal. Aber trotzdem empfand ich es für richtig. Ich sollte nicht mehr in der Vergangenheit schwelgen, sondern mich auf die Gegenwart konzentrieren. Das war einfacher gesagt als getan. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich das Gesicht von Liam, der für mich wie ein großer Bruder war. Doch irgendwann musste er die Stadt verlassen und unsere täglichen Ausflüge konnten wir nur noch samstags machen. Ich hatte schon längere Zeit nicht mehr an ihn gedacht. Aber jetzt dachte ich jede Sekunde an ihn. Sein Aussehen erinnerte mich unwillkürlich an Natts. Die nussbraunen Haare und die olivgrünen Augen. Seine Größe und sein bezauberndes Lächeln. Ob Liam wohl auch noch an mich denken würde? Schließlich haben wir unsere ganze Kindheit miteinander verbracht. In mir kam ein drückender Schmerz von Sehnsucht hoch. Ich vermisste ihn. Ich brauchte ihn jetzt!

Ich kramte sie aus meiner Tasche heraus und gab sie ihm.

Phil drehte die Kette mehrmals in seiner Handfläche. Öffnete das Amulett und schloss es wieder. Dachte mit kühlem Blick über die Innschrift nach und ließ es dann unwissend wieder. Er runzelte die Stirn, ging mit seinem Zeigefinger über die Fassung und  das glatte Metall. 

 „Hm…Ich kann’s mir einfach nicht erklären.“

Er stöhnte laut auf und ließ die Kette langsam auf mein Bett gleiten. Ich nickte.

 „Kannst du mir noch mal die ganzen Sachen mit Natt erzählen. Denn ich glaube, dass er 

 mehr weiß als wir denken.“

Ich erzählte ihm alles, von dem ersten Besuch, bei dem er mir die Kette schenkte, meinem Geburtstag – was ich gesehen hatte und meinem Geschenk von ihm – und dem Ignorieren. Auch den „beinahe“ Kuss verschwieg ich ihm nicht.

 „Was hat er dir denn zum Geburtstag geschenkt?“ fragte Phil.

 „Auch eine Kette. Diesmal mit einer Feder daran und darunter war ein Zettel wo, Es tut mir leid, darauf stand,“ sagte ich, „achso und außerdem glaube ich, dass er das Vogelgezwitscher auch gehört hat!“ fügte ich hinzu.

 „Ich glaub der hat mit alldem hier etwas zu tun! Was, weiß ich zwar nicht, aber das werden wir noch herausfinden. Der kommt jetzt ja auch schon seit Wochen nicht mehr in die Schule!“   „Ja ich weiß. Vielleicht ist er ja wirklich krank.“

Ungläubig guckte ich ihn an.

 „Glaubst du das wirklich?“

Verwirrt schaute Phil in mein Gesicht und ich schüttelte den Kopf.

 „Ich muss jetzt gehen, hab noch Training.“

Nachdem ich ihn verabschiedet hatte, legte ich sofort los und suchte mein altes Freundebuch. Ich suchte in der zweiten Schublade meines Schreibtisches und fand es auch schon. Es war hellgrün, mit weißen Blumen und braunen Pferden und einer großen rosa Schrift. Gleich auf der ersten Seite, entdeckte ich auch schon wen ich suchte. Mit dem Finger ging ich über die Zeilen und suchte die Telefonnummer. Zum Glück lag ein Telefon gerade griffbereit und ich tippte auf die dicken Tastenfelder.

 „Hallo?“ ertönte eine Stimme in meinem Ohr.

 „Hallo hier ist Nina, ist Liam da?“

 „Ach Nina, schön von dir zu hören. Tut mir leid der ist erst vor zehn Minuten weggegangen, aber ich werde ihm Bescheid sagen dass er dich zurück rufen soll. Liam wird bestimmt keine Sekunde zögern, er redet immer so viel über dich.“

Die Stimme klang so warum und vertraut. Liam’s Mutter brachte mich dazu verschämt zu kichern. Ich bedankte mich und legte das Telefon auf mein Bett. Es war schön zu hören, dass Liam viel über mich redete, trotzdem auch so unerwartet, dass ich immer noch verschämt lächelte. Ich konnte es kaum noch erwarten endlich seine klare, tiefe Stimme zu hören. Hat Phil etwas dagegen wenn ich mit ihm telefoniere? Ich hatte nicht darüber nachgedacht und wollte es auch nicht länger. Ich setzte mich auf mein Bett, schmieg meine Beine nah an meinen Körper und strich meine Haare auf eine Seite. Ich flocht mir einen Zopf, der über meine Schulter lief und auf meiner Brust endete. Immer noch lag Natts Geschenk auf meinem Spint. Ich hatte es seit dem einen Tag an dem ich es ausgepackt hatte, nicht mehr angesehen. Ich holte die Kette und den darunter liegenden Zettel heraus. Mit Daumen und Mittelfinger ging ich über die zwei braun-roten Federn und die dunkelblauen gläsernen Perlen, die an dem Band befestigt waren. Hm…sollte die Kette mich beschützen? Beschützen. Der Ring von Phil. Wo hatte ich ihn hingelegt? Genau, in die Schachtel die auf einem kleinen Tische lag, der mitten in meinem Zimmer auf einem hellblauen Teppich stand. Aber warum sollte Natt mir erst eine Kette schenken die mir wehtut und dann eine die mich davor beschützen sollte? Oder er wusste gar nichts von den Schmerzen die das Amulett mir zu fügte. Ein Hass pochte in mir hervor. Das ist doch alles nur so ein doofer Streich. Ich sollte mich nicht ärgern lassen. Doch dafür war es zu echt! Ich  berührte meine schmalen Lippen. Er hätte sie fast geküsst und Phil hatte sie schon so oft geküsst. Doch irgendwie war es nicht mit dem „beinahe“ Kuss von Natt zu vergleichen! Phil hatte gar keine Bemerkung darauf gegeben, als ich ihm davon erzählt hatte. Vielleicht wollte er nicht darüber nachdenken, weil es sonst zu schmerzhaft wäre. Sollte ich die Kette von Natt anziehen? Das Amulett hatte ich ja schon wieder angezogen, aber die Feder auch? Nein! Diesen Gefallen durfte ich ihm nicht auch noch tun, das war doch alles Teil seines Plans! Ich muss ihn einfach zur Rede stellen! So kann das nicht weiter gehen! Aber ist wenn er gar nicht mit mir reden will? Wenn er sich gerade über mich lustig macht, wie leichtgläubig ich bin! Vielleicht machen sie das bei jedem der neu in die Schule kommt und alle sind mit eingeschlossen. Phil, Lilly, Anna, Sophie. Aber wie sollten sie ein Krankenhaus in Flammen setzen. Das würde nie funktionieren. Alles kam mir so abwegig vor. Jede Frage warf tausende von weiteren Fragen hervor und keine konnte ich auch nur ansatzweise beantworten. Ich bekam einen gewaltigen Schrecken, als ein schrilles Geräusch, das durch den Raum klang, mich aus meinen Gedanken riss. Das Telefon klingelte. Wo war es? Es war unter das Kissen gerutscht, während ich mich herum gewälzt hatte, weil die stechenden Fragen mich quälten. Ich hob es hoch und drückte den klingelnden Gegenstand an mein Gesicht. Es dauerte eine Sekunde bis ich mich wieder in der Realität befand und nun das laute Dröhnen in meinem Ohr hörte. Ich berührte den grün aufleuchtenden Knopf und die Nervosität schoss in mir hoch.

 „Hallo?“ sagte ich zögernd.

 „Hi. Ich bin’s Liam.“

Liam. Seine sanfte, tiefe Stimme hatte ich vermisst. Es kam mir vor als würde er direkt neben mir stehen und ich könnte seinen Atem spüren. Doch eigentlich waren wir tausende Kilometer voneinander getrennt.

 „Hey.“ sagte ich erleichtert.

Warum war ich erleichtert? Vielleicht weil der Klang seiner Stimme mich beruhigte? So genau wusste ich es nicht, aber es kam mir so vor.

 „Wie geht es dir?“ fragte er vorsichtig.

 „Sehr gut und dir?“ log ich.

 „Mir auch.“ Es war so als würden wir zum ersten Mal miteinander reden, obwohl wir es schon so oft gemacht hatten.

 „Ist Amerika schön?“

 „Ja sehr sogar. Aber ich vermisse Kanada!“ erklärte ich.

 „Ja…Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen…“ stöhnte er.

 „Ja das ist echt schade.“ erwiderte ich.

 „Sind die Leute wenigstens nett zu dir?“ lachte er.

Ich sah Liam vor mir. Wie er dort stand und seine Augen beim Lachen zu kniff, wie er es so oft getan hatte.

 „Sie sind alle sehr nett.“

 „Gab es etwas Besonderes warum du mich angerufen hast?“

 „Nein. Ich wollte nur mit dir reden. Störe ich dich gerade?“ fragte ich.

 „Nein. Nie!“ sagte er freundlich und ich fühlte ein warmes, vertrautes Gefühl in meinem Bauch.

 „Ich hab in zwei Wochen Herbstferien du auch?“ fügte er hinzu.

 „Ja.“ sagte ich knapp und wartete schon geduldig auf eine Antwort.

 „Also wenn du Lust hast, kannst du mich ja besuchen kommen. Meine Mutter hatte das 

 sowieso mal vorgeschlagen und du kannst bei uns übernachten.“

 „Oh ja, das wäre so toll. Ich würde das gerne machen. Ich denke auch nicht das Caroline was dagegen hat, sie ist momentan sowieso sehr viel bei ihrem Freund und dann passt es bestimmt wenn ihre kleine Schwester mal zwei Wochen nicht da ist!“ kicherte ich.

 „Du musst mir dann alles erzählen, was du so erlebt hast.“

 „Du mir aber auch. Ich wette in Kanada hat sich nichts verändert oder?“

 „Ne, alles so langweilig wie früher auch.“

Langsam löste sich die Anspannung. Wir lachten, unterhielten uns über seinen langweiligen Alltag und machten uns über Liams Nachbarin lustig, die schon wieder irgendwelche Flirtversuche bei ihm versucht hat.

 „Sie hat’s also immer noch nicht aufgegeben?!“

 „Nein. Sie will es einfach nicht verstehen. Na ja egal, wenn’s ihr denn Spaß macht,“ sagte er,  

 „und wie ist dein Alltag so?“

 „Ähm…ganz normal denke ich.“ sagte ich und versuchte es so glaubwürdig wie möglich rüber zu bringen.

Doch ich konnte nicht lügen. Noch nie!

 „Nina? Du weißt dass du mir alles erzählen kannst.“ bot er mir an.

 „Hm…aber das ist alles so schwierig. Ich erzähle es dir wenn ich bei dir bin. Ich kann es kaum noch erwarten!“ erklärte ich und er stimmt mir zu.

Mit jedem Wort wurde er mir immer sympathischer. Die Sekunden, Minuten und Stunden vergingen und ich konnte den langsamen Farbunterschied des Himmels betrachten. Wie er hellblau, orange-rötlich und schließlich tief schwarz wurde.

  „Ich muss jetzt schlafen.“ sagte ich bedrückt.

 Zum Glück war morgen Samstag und ich musste mich nicht früh morgens aus dem Bett quälen.

 „Schlaf gut. Ich habe dich vermisst.“ sagte er weich.

„Ich dich auch.“ sagte ich.

 Ich schlief mit einem breiten Lächeln auf den Lippen ein.

Kapitel 6

Ich träumte von dem alten Spielplatz in Kanada. Liam und ich spielten auf einem der rostenden Geräte. Plötzlich fiel er herunter und knallte mit seinem Hinterkopf auf die harte Erde. Liam ließ einen lauten Schrei von sich und schloss dann die Augen. Komischerweise interessierte ich mich nicht dafür, sondern spielte einfach weiter. Nach einiger Zeit verließ ich, das sich schnell drehende Gerät, und ließ mich ebenfalls langsam auf den Boden gleiten. Ich wischte ihm das Blut von seinem Kopf,  legte meinen Arm um seinen Körper herum und flüsterte etwas in sein Ohr, an das ich mich aber nicht mehr erinnern konnte. Nachdem ich aufgewacht war, hob ich meine Bettdecke auf, die auf den Boden gefallen war.

 „Bist du wach?“ fragte Caroline mich, als sie durch den Türspalt spähte.

Ihre Frage beantwortete sich schon, als sie mich auf dem Bett sitzen sah.

 „Ich gehe jetzt mit Lene in die Stadt und komme wahrscheinlich erst gegen acht nach Hause.“ erklärte sie mir.

 „Ja ist okay.“

Sie schloss die Tür und ich guckte auf mein Handy, in der Hoffnung eine neue Naricht bekommen zu haben. Aber nein, hatte ich nicht. Ich dachte weder an die Kette, dich trug. An den Traum, den ich nicht verstand. An Phil, was er zu dem Telefonat sagen würde. Oder was heute für quälende, oder unvorhersehbare Dinge geschehen würden. Ich verließ mein gemütliches Himmelbett und ging hinunter in die Küche. Ich holte aus dem Kühlschrank eine Wasserflasche und trank einen großen Schluck heraus. Caroline hatte einen Croissant für mich dagelassen. Da ich keinen besonders großen Hunger hatte, brach ich nur ein Stück ab und steckte es mir in den Mund. Er zerging wie ein Stück Butter auf meiner Zunge. Ich hatte keine Ahnung was ich heute tun sollte. Sollte ich Liam nochmal anrufen? Mich mit Lilly, oder Phil treffen? Ich wollte nichts von beidem tun. Ich wollte mich einfach ausruhen. Ich legte mich auf die Coach und schaltete den Fernseher an. Obwohl ich fernsehgucken hasste, kam es mir heute am verlockesten vor. Ich zappte durch die Kanäle und kam schließlich bei einem Narichtensender an, der gerade das Wetter der nächsten Wochen vorsagen wollte.

 „Die nächsten Wochen werden wieder sehr heiß werden. Zwischen 25 und 30 Grad!“ erklärte ein rundlicher Mann, der vor einer Landkarte von Georgia stand.

Ich ließ ein lautes Stöhnen von mir. Bitte nicht wieder diese Hitze! Wo bleibt der Herbst? Wir hatten schließlich schon Ende Oktober. Ich drückte auf einen großen Knopf auf der Fernbedienung und das grelle Bild verstummte in einen schwarzen Bildschirm. Nach dieser Naricht hatte ich keine Lust weiter in diesen grauen Kasten zu starren. Ich stapfte wieder die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Mein Zimmer müsste mal wieder aufgeräumt werden. Die Klamotten die vorher auf einem Stuhl ordentlich zusammen gelegt waren, waren nun auf dem Boden verteilt. Die Bücher waren unordentlich auf meinem Schreibtisch gestapelt. Meine Bettwäsche hing über der Bettkante herüber und der Teppich hatte sich verzogen. Schnell hatte ich alles zusammen geräumt und war mit einem Staubsauger über den Boden gegangen. Ich versuchte eine überflüssige Lampe unter das Bett zu stopfen, als ich eine Kiste fand, die ich wahrscheinlich vergessen hatte nach dem Umzug  auszupacken. Ich öffnete sie langsam und fand mein altes Keyboard. Eine Staubschicht hatte sich über die Tasten gezogen und die Farbe war fast komplett verbleicht. Ich zögerte keine Sekunde schloss das Kabel, mit der einen Seite in das Keyboard, mit der anderen in eine Steckdose. Dann drückte ich einen großen roten Knopf und legte meine Finger auf die Tasten. Langsam drückte ich sie hinunter und  sie glitten fast schwerelos hinüber. Eine bekannte Melodie kroch mir ins Ohr, ich öffnete vorsichtig meinen Mund und ließ ein leises Summen hinaus. Ich warf einen Blick auf die Tür, um mich zu vergewissern dass sie auch wirklich geschlossen war. Ich mochte es nicht vor anderen zu singen. Und ich hatte Angst, dass Caroline schon da war und jeden Ton hören konnte. Das Summen ging nun in einen lauten Gesang über. Es war mein Lieblingslied von früher. Ich habe es jeden Tag gesungen und es machte mich immer noch fröhlich. Ich vergas die Welt. Ich vergas wo ich gerade saß. Einfach nur singen. Ich hörte die Türklinke hinunter gehen. Erschrocken verstummte ich. Caroline spähte durch die Türspalte.

 „Ihr habe diese bekannte Musik gehört und musste unbedingt gucken ob du wirklich wieder spielst.“ lächelte sie mich an.

 „Ja das Keyboard war noch in einer unausgepackten Kiste.“ erklärte ich.

 „Schön, ich hab schon die ganze Zeit darauf gewartet, dass du endlich wieder anfängst!“ sagte sie.

Mir war es sichtlich peinlich, dass sie sich so darüber freute.

 „Ich hatte nach dem Shoppen noch etwas Zeit um einzukaufen und habe mir gedacht, wie wär’s wenn wir heute Abend mal etwas zusammen kochen?“ fragte sie erwartungsvoll.

 „Ja klar.“

Als ich herunter in die Küche kam standen schon verschiedene Zutaten auf dem Tisch, wie zum Beispiel Nudel, Tomaten und Gewürze.

 „Ich mache meine weltberühmte Soße und die kümmerst dich um die Nudeln.“ sagte sie und zwinkerte mir zu.

Ich holte einen großen Topf aus einem Schrank heraus, hielt ihn unter einen Wasserhahn und füllte Wasser hinein. Dann stellte ich ihn auf den Herd und wartete solange bis er anfing zu kochen. Ich öffnete eine Packung mit Spaghetti darin und legte die langen Streifen in den Kochtopf. Nachdem Caroline auch mit der Soße fertig war, servierte sie es auf großen weißen Tellern.

 „Guten Appetit!“

 „Guten Appetit!“

Nach ein paar Bissen, brach ich ein ganz bestimmtes Thema an.

 „Gestern Abend haben Liam und ich mit einander telefoniert.“

 „Was ehrlich? Oh das  ist so cool! Und über was habt ihr so geredet?“

 „Über alles Mögliche. Aber ich wollte dich etwas fragen.“ fing ich an.

 „Schieß los!“

Voller Aufregung saß sie dort und starrte mich an.

 „Er hat mich gefragt ob ich sie, in den zwei Wochen wo ich Herbstferien habe, besuchen will!“ erklärte ich.

 „Das finde ich richtig toll. Aber du weißt dass ich nicht genug Geld für einen Flug habe und mit dem Auto kann ich dich auch nicht fahren!“

 „Ja ich weiß. Ich denke ich finde noch irgendeinen Weg!“ sagte ich hoffnungsvoll.

 „Ja, ich gucke mal. Vielleicht kann ich dir dafür auch das Geld von Onkel Johan geben.“

Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber wahrscheinlich würde das auch nicht reichen!

 

Die folgende Woche verging wie im Flug. Nichts Interessantes geschah. Natt tauchte nicht auf. Ab und zu bekam ich einen kleinen Stromschlag von der Kette, doch es störte mich nicht mehr. Als ich an einem Nachmittag bei Lilly zu Besuch war, erzählte sie mir von dem „Alljährlichen-Baxley-High-School-Marathonlauf“.

 „Und um was geht es da?“ fragte ich.

 „Jedes Jahr vor den Herbstferien laufen viele Schüler von Baxley  mehrere Kilometer. Sie haben alle einen Sponsor der,  je mehr du gelaufen bist, desto mehr spendet für ein armes Land.“

  „Muss man daran teilnehmen?“

 „Nein, nur wenn du willst. Außerdem brauchst du halt einen Sponsor. Das kann zum Beispiel deine Schwester, oder irgendein Geschäft aus der Stadt sein.“

 „Nimmst du daran teil?“ fragte ich.

 „Ja, ich habe bis jetzt jedes Jahr teilgenommen und habe auch schon einen Sponsor. Willst du mitmachen?“

 „Wollen schon, aber ich habe halt noch keinen Sponsor!“ erklärte ich.

Ich hatte auch gar keine Ahnung wen ich fragen sollte.

 „Du meldest dich morgen in der Schule an und gehst dann nachmittags einfach mal in die Innenstadt und klapperst jeden Laden ab, bis du einen findest der spenden möchte.“

 „Okay mach ich!“

 

Wie Lilly meinte, ging ich auch am nächsten Nachmittag durch jedes Geschäft. Doch die meisten hatten schon jemanden den sie spendeten, oder gar keinen Interesse. Ich sah Josh aus einem kleinen, kümmerlichen Laden herausspazieren.

 „Nina, geh da nicht rein, der ist total unfreundlich, der würde noch nicht einmal spenden wenn er dazu gezwungen worden würde!“ erklärte er und ging in einen anderen Laden.

Trotz der Warnung von ihm, zog mich der Laden förmlich an. Ich ging hinein. Innendrin sah es genauso heruntergekommen aus, wie von außen. Er führte Antiquitäten. Von alten Stühlen, bis zu verzierten Tellern, die man in jeder Farbe finden konnte.

 „Nicht schon wieder so ein Läufer, der von mir verlangt für ihn zu spenden!“ sagte er genervt und verdrehte die Augen.

Ich sah mich um. Etwas hielt mich in dem Laden fest. Ich wusste aber nicht was es war.

 „Sie müssen ja nicht, wenn sie nicht wollen!“

Als ich gerade herausgehen wollte, hielt mich eine knochige Hand an meiner Schulter fest.  „Kann ich dich etwas fragen?“

Ich nickte vorsichtig.

 „Wo hast du dieses Amulett her?“ fragte er und guckte mich musternd an.

Er war mir ziemlich unheimlich. Mit seinen zerzausten Haaren und seinen dreckigen Händen, seiner faltigen Kleidung und seinen schwarzen Zähnen. Wie im Traum starrte ich ihn angewidert an.

 „Nun sag schon!“

 „Ich habe sie geschenkt bekommen!“ sagte ich, nun auch etwas grober als zuvor.

 „Dürfte ich wissen, woher derjenige sie hat?!“

Aus Angst, was er machen würde, wenn ich ihm nicht antworten würde, erzählte ich es ihm.  „Es ist ein Erbstück, von seiner Familie!“

 „Also er lebt hier!“

Er fing hämisch an sich zu freuen.

 „Was wollen sie von mir?“ fragte ich ängstlich und wich einen großen Stritt zurück.

 „Nichts. Von dir will ich nichts. Danke!“

Erschrocken lief ich heraus. Was hatte ich getan? Hatte ich Natt verraten? Der Typ wollte ihn bestimmt nicht nur besuchen und mit ihm Tee trinken. Nicht so wie er aussah! Aufgewühlt ging ich nach Hause. Ich wusste nicht was er vor hatte? Und woher wusste er von dem Amulett? Gehörte es eigentlich ihm und Natt hatte es geklaut? Sollte ich Natt Bescheid sagen? Oder würde es alles noch viel schlimmer machen? Es war halb sieben und mein Handy begann zu klingeln.

 „Hey, ich bin’s Lilly. Und konntest du einen Sponsor finden?“ fragte sie mich.

Einen kurzen Augenblick fing ich an darüber nachzudenken, ob es gut wäre ihr von dem Mann und dem Amulett zu erzählen. Entschied mich aber dann dafür, es erst einmal Phil zu sagen und dann weiter zu schauen.

  „Ähm…nein. Entweder hatten sie schon einen Spender, oder kein Interesse.“ erklärte ich.  „Okay schade, ich glaube dass dieses Jahr mehrere nicht mitlaufen, also wirst du in der Klasse nicht alleine sein!“ teilte sie mir mit.

 „Okay. Vielleicht nächstes Jahr, dann werde ich mich auch früher darum kümmern!“

Als ich später in meinem Bett lag und mich schon auf Kanada freute, bekam ich eine Naricht von Liam. Er freute sich gerade genauso sehr wie ich es tat.  Zum Glück hatte mir Caroline das Geld von Onkel Johan für den Flug gegeben und es reichte auch. Der Flug war schon gebucht und ich konnte es kaum noch erwarten.

Am Freitag, der letzte Schultag, musste ich mit ungefähr fünfzehn anderen Klassenkameraden in der Schule bleiben, darunter auch Phil. Doch er beschäftigte sich eher mit Josh, so unterhielt ich mich viel mit Anna. Über die Schule. Was sie in den Ferien machen würde. Doch plötzlich schnitt sie ein Thema an über das ich gar nicht reden wollte.

 „Weißt du es gab mal ein Mädchen hier an dieser Schule. Sie war mehrere Klassen über uns. Sie hat sich viel für die Schule eingesetzt und sie war diejenige die den Spendenlauf organisiert hat. Doch dann, vor gut zwei Jahren, ist sie gestorben! Und bis heute weiß man noch nicht weshalb, aber man vermutet sie habe sich umgebracht!“

Ich schluckte.

 „Das ist ja schrecklich!“

 „Ja, das ist es wirklich. Viele sagen auch, sie sei irgendwie verrück geworden.“ erklärte mir Anna.

 „Wie meinst du verrückt?“ hakte ich nach.

 „Naja, sie soll Sachen gesehen haben und so ein Zeug. Wie Sarah, du kennst doch Sarah oder?“

 „Ja ich kenne sie. Aber vielleicht stimmt es ja, vielleicht haben sie wirklich etwas gesehen!“ Ich hatte auch schon mal „Etwas“ gesehen, deshalb glaubte ich Sarah. Zwar nicht hundertprozentig, aber ein wenig.

 „Und außerdem, hatte das Mädchen, was gestorben ist, auch…“

Anna stoppte. 

 „Was auch?“

 „Ach, nichts. Ist schon okay.“

Ich guckte sie verwirrt an. Anna meldete sich plötzlich und bat Herrn Peters darum, sie auf die Toilette zu lassen. Er nickte und sie stand hektisch auf. Ich blieb noch sitzen und starrte auf die leere Wand. Was hatte das Mädchen auch? Hatte sie etwas, was ich auch hatte? Mir lief eine Schauer über den Rücken. Ich verstand es nicht mehr. Warum musste sie es mir nur erzählen? Ich hatte auch schon so genug Angst gehabt. Das Amulett gruselte mich, genauso wie der alte Mann und die Gestalt in meinem Garten, die ich an meinem Geburtstag gesehen hatte. Sogar Natt gruselte mich etwas. Auch Lilly, dass sie einen Stromschlag von mir bekommen hatte. Es gab schon genug was mir Angst machte!

 „Nina? Willst du dich morgen mit mir am See treffen?“ fragte Phil später.

  „Wo ist der See?“

 „Frag deine Schwester, sie wird es wissen. Wir treffen uns um zwei, okay?“

Mir kam es vor als würde er unter Zeitdruck stehen.

 „Ja okay.“

Etwas verwirrt starrte ich ihn an. Er warf mir noch einen letzten Blick zu und drehte sich dann zu Josh um. Anna kam vor dem Schuldong nicht noch einmal wieder. Verängstig, verwirrt und müde ging ich nach Hause und freute mich auf ein warmes Essen.

Was wird Phil wohl von mir wollen? Es klang nicht, wie eine Einladung zu einem Date. Er wollte etwas Ernstes mit mir besprechen. Ich wollte unbedingt wissen, was er mir sagen wollte. Ich fühlte mich irgendwie alleine, verlassen und wusste nicht warum.

Am Samstag wartete ich an der Bushaltestelle auf einen Bus, mit dem ich zu dem See fahren konnte. Nach einer zehnminütigen Fahrt stieg ich aus. Ich schaute mich um und sah einen großen Park. Die Sonne schien und das Grün der Wiese und der Blätter leuchtete. Das blaue Wasser des Sees glitzerte. Ich sah Phil auf einer Picknickdecke sitzen und es erinnerte mich an meinen Geburtstag. Damals hatte er mir seine Liebe gestanden und heute wollte er vielleicht genau das Gegenteil tun. Der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zu. Ich fasste an meinen Hals und fühlte die Kette. Es erinnerte mich an das Gespräch mit dem alten Mann. Ich musste unbedingt mit Phil darüber reden! Ich ging auf ihn zu. Er schaute hinaus auf das Wasser. Seine Miene war wie eingefroren und sein Blick wie gefesselt. Er wirkte angespannt und steif.

 „Hey.“ sagte er und guckte weiterhin auf den See.

 „Darf ich mich setzen?“ fragte ich.

Er rückte ein wenig an die Seite, so dass ich Platz hatte mich neben ihn zu setzen. Er würdigte mich keines Blickes. Spätestens jetzt wusste ich, dass er mir nichts Gutes sagen wollte. Ich ging mit meiner Zunge über die Lippen. Ich fühlte mich leer. Gedankenlos, blieb ich für einen Augenblick sitzen und starrte auf die Blumen die vor uns auf der Wiese wuchsen. Sie waren hellgelb, hatte wunderschön geformte Blütenblätter und mir kam es vor als würden sie mich angucken. Sie wurden angestrahlt von der Sonnen und glänzten somit noch viel mehr.

 „Phil, ich war vorgestern in einem kleinen Laden und…“ fing ich an, doch Phil unterbrach mich:

  „Ich bin nur dein Ersatz!“ sagte er und schaute auf den Boden.

 „Was, wie kommst du darauf?“

 „Ich habe lange nachgedacht. Als du Natt noch hattest, war ich uninteressant. Doch als er      

 weg war, da war ich plötzlich gut genug! Es stimmt doch!“

Mir fiel auf einmal ein Tuch von den Augen. Phil hatte recht. Ich konnte nicht sagen, dass es nicht stimmte. Denn es war richtig. Was hatte ich getan? Ich tat es zwar unbewusst, trotzdem ist es passiert und ich hatte ihn verletzt! Ich wusste zwar, wie es ist verletzt zu werden und es tat weh, sogar sehr! Aber wie es ist jemanden zu verletzen und dann noch mit einem solchen Ausmaß, hatte ich vergessen und mir wurde bewusst was ich ihm angetan hatte.

 „Hast du denn gar nichts dazu zu sagen?“ sagte er und guckte mir in die Augen.

In seinen Augen konnte ich den Schmerz lesen. Ich schüttelte den Kopf und ließ ihn langsam sinken.

 „Na gut, dann halt nicht!“

Er stürmte auf. Er war sauer und dass mit allem Recht. Doch ich konnte nicht antworten. Was sollte ich auch sagen? Ich packte ihm am Arm.

 „Phil, bitte. Es tut mir leid!“ sagte ich flehend.

Er blieb stehen und guckte mich genervt an.

 „Das macht es doch auch nicht besser. Und übrigens habe ich mit Natt geredet. Er meinte, du wärst ihm egal. Es würde ihn nicht interessieren, wie es dir geht!“

Er riss seinen Arm aus meiner Hand und ging. Ich blieb sitzen. Warum war ich so gemein? Wie blöd war ich, den Menschen zu vertreiben, den ich liebte. Der immer für mich da war, wenn ich ihn brauchte. Hätte ich doch nur etwas gesagt, hätten wir darüber geredet und es wäre vielleicht nicht so geendet wie jetzt! Ich zog meine Beine ganz nah an meinen Körper heran und legte meinen Kopf auf meine Knie. Genau in diesem Moment bekam ich einen Stromschlag von dem Amulett. In mir kam so viel Wut hoch, dass ich sie mir von dem Hals riss, dabei zwar meine Hand verbrannte, es mir aber egal war. Ich rannte die Straße lang und Tränen ringen mir über meine Wange. Ich rannte und rannte. Bis ich an einem bekannten Haus ankam. Ich klopfte laut an die Tür, ohne einen Gedanken. Er kam heraus. Doch seine Reaktion war anders als ich dachte. Ich dachte er würde mich anbrüllen, ich solle verschwinden. Aber er lächelte etwas und nahm mich in den Arm. Sein Kopf war nun genau neben meinem und er flüsterte mir etwas ins Ohr:

 „Ich habe dich vermisst!“

Geschockt löste ich mich schnell aus seinen Arm und ging ich einen Schritt nach hinten. Unbewusst schüttelte ich den Kopf. Ich konnte es nicht glauben, was gerade passiert war. In meinem Bauch fühlte ich ein gewohntes Kribbeln. Verwirrt schmiss ich die Kette vor seine Füße. Ich ging rückwärts. Er guckte mich immer noch an. Ich war zu durcheinander um zu realisieren was ich gerade machte. Sein Blick entfesselte sich nicht von meinem. Langsam drehte ich mich um und rannte hinfort. Noch einmal schaute ich ihn an und sah wie er den Kopf sinken ließ und in sein Haus ging. Er ließ das Amulett liegen. Er hatte mich vermisst. Wenn ich ehrlich war, hatte ich es auch. Aber darüber konnte und durfte ich jetzt nicht nachdenken. Ich wollte jetzt nicht über ihn nachdenken. Natt. Ich rannte weiter. Ich blieb kurz stehen und überlegte darüber nach, umzukehren. Er quälte mich wochenlang, und nicht nur durch die Kette, sondern durch seine Abwesenheit und nahm mich dann in den Arm. Warum tat er das? Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Ich wollte es endlich wissen. Ich wollte mit ihm sprechen. Doch noch nicht jetzt. Ich musste lernen Geduld zu haben. Noch mehr, als ich ohnehin schon aushielt.

Als ich zuhause ankam, verschwitzt und verschmierter Schminke, knallte ich die Tür hinter mir zu und ging zielsicher auf Caroline zu. Ich umarmte sie und drückte meinen Kopf auf ihre Schulter. Sie strich sanft über meinen Rücken und sagte:

 „Was ist passiert?“

Ich schluchzte und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht.

 „Phil hat mit mir Schluss gemacht!“

Der Kloss in meinem Hals löste sich. Ich guckte ihr in die Augen.

 „Er hat dich nicht verdient!“ sagte sie und versuchte mich aufzumuntern.

 „Wohl eher andersherum…“ flüsterte ich, aber sie hörte es nicht.

Ich ging hinauf in mein Zimmer. Wie lange hatte ich jetzt schon nicht in mein Tagebuch geschrieben? Kurz zog ich es in Erwähnung einen neuen Eintrag zu schreiben, ließ es dann aber doch. Zur Ablenkung holte ich den Koffer unter meinem Bett heraus und fing an Klamotten hinein zu räumen. Morgen geht es los. Nach Kanada. Ich freute mich endlich von hier weg zu kommen und für eine kurze Zeit alles zu vergessen. Sechs Stunden dauerte der Flug. Und morgen um zwölf sollte es los gehen. Ich packte vier Hosen und verschiedene Oberteile ein. Drei paar Schuhe und mein Make-up und Schmuck. Nur die Sachen, die ich morgen noch brauchte, legte ich an die Seite. Mittlerweile war es schon etwas später und ich ging in die Küche um mir dort ein Brot zu schmieren. Caroline saß am Tisch und aß ebenfalls eins. Ich gesellte mich zu ihr und biss in meine Scheibe.

 „Und aufgeregt?“

 „Nein es geht, es ist ja nicht das erste Mal dass ich in Kanada sein werden.“ scherzte ich.

Ich tat gut mal über etwas anderes, als über all meine Probleme nachzudenken.

 „Ja das stimmt auch wieder.“

Sie strahlte.

 „Wie läuft es mit Jacob?“ fragte ich.

 „Wollen wir jetzt echt über Typen reden? Aber, ganz gut.“

Das freute mich. Wenigstens eine von uns hatte Glück in der Liebe.

 „Liams Mutter hat heute Morgen bei mir angerufen, sie freut sich schon total auf dich.“ teilte sie mir mit.

 „Das ist schön.“ lächelte ich.

Caroline wusste wie sie mich aufmuntern konnte. Nachdem ich mein Brot aufgegessen und meinen Orangensaft getrunken hatte, ging ich wieder in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Ich bastelte mir jeden einzelnen Tag im Kopf zusammen. Was passieren würde. Welche Orte wir besuchen würden. Wie das Wetter wäre. Ich glaubte dass jeder Tag perfekt werden würde.

Am nächsten Morgen, wachte ich mit einem breiten Lächeln, nicht an den Vortag denkend, auf und sprang unter die Dusche. Ich ließ eiskaltes Wasser auf meinen Rücken und laufen und kuschelte mich anschließend in ein warmes Handtuch. Dann föhnte ich mir die Haare und ging dezent mit Mascara über meine Wimpern. Ich schlüpfte in eine Hose, die ich mir extra rausgelegt hatte und in ein Top. Ich schaute auf die Uhr. Zehn Uhr. So spät schon? Wir mussten spätestens in einer halben Stunde los, damit ich noch einchecken konnte.

 „Kommst du?“

 „Ja, hilfst du mir nur mit dem Tragen?“ fragte ich, während ich den Koffer die Treppe herunter schleppte.

Caroline schnappte sich meine Tasche und verstaute sie im Kofferraum. Ich stieg vorne ein und kurbelte die Fensterscheibe runter, da es ziemlich heiß im Auto war. Caroline stieg ein und startete das Fahrzeug.

 „So, zwei Wochen ohne meine Schwester, wie soll ich das nur aushalten?“ lachte sie.

 „Du hast es mehrere Jahre ohne mich ausgehalten. Du schaffst das schon irgendwie. Außerdem werde ich dich ja auch mal anrufen.“ erklärte ich und klopfte ihr auf die Schulter.

 

Als ich zwei Stunden später mich von ihr verabschiedet hatte und nun im Flugzeug saß, hatte ich nur einen Gedanken: Wieso hatte er mich umarmt?                                                                    

 

Kapitel 7

Warum hatte er mich umarmt? Ich wiederholte die Frage mehrmals, bis ich sie verstand. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Erst lässt er mich wochenlang im Stich und dann tut er so als wäre nichts gewesen. Als hätte es nie das Amulett gegeben, welches mir andauernd weh tat und mich, obwohl ich ihn vergessen wollte, unfreiwillig immer wieder an ihn erinnerte. Doch in dem Moment in dem er mich in den Arm nahm, fühlte ich dieses Gefühl, das ich früher immer bei meinen Eltern gespürt hatte. Wärme, Vertrautheit und Nähe. Es stillte meine Sehnsucht für einen Augenblick. Ich war ziemlich froh ihm das Amulett wiedergegeben zu haben. Denn ich wollte es in Kanada nicht mehr tragen, noch daran denken und am wenigsten irgendeinen Schmerz zugefügt bekommen. Doch bekam ich den Gedanken nicht aus meinem Kopf, dass es nicht lange dauern wird, bis ich es wieder tragen werde.

 „Möchten sie etwas trinken?“ fragte mich eine Stewardess.

 „Nein danke.“

Ich hatte keinen Durst, obwohl meine Kehle trocken war und brannte. Ich schluckte. Eigentlich wollte ich nichts mehr mit Natt zu tun haben, trotzdem band mich irgendetwas an ihn. Etwas zog mich an. So wie bei dem Antiquitätenladen. Es hielt mich an ihm fest. So fest dass sogar Schmerz diese Verbindung nicht trennen konnte.

Nachdem ich aus dem Flugzeug ausgestiegen war und meinen Koffer abgeholt hatte, ging ich Richtung Ausgang. Da sah ich ihn. Gestützt auf sein Auto und mit einem umher guckenden Blick. Seine Haare wehten im Wind. Ich zerrte meinen Koffer am Henkel hinter mir her. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihm, doch war ich ziemlich langsam mit dem schweren Gepäck. Unsere Blicke trafen sich. Erst lächelte er mich an und kam dann auf mich zu. Sofort ließ ich meinen Koffer stehen und stürmte, mit offenen Armen direkt in seine Hände. Er schleuderte mich herum und drückte mich ganz fest an sich.

 „Liam“, rief ich und kuschelte mich an ihn, „Ich habe dich vermisst.“

 „Ich dich auch.“ antwortete er.

Ich musterte ihn.

 „Du hast dich verändert. Du siehst jetzt viel älter aus.“

 „Du auch. Du bist wunderschön geworden.“

Ich lächelte. Er war total süß. Ich konnte gar nicht aufhören zu strahlen. Er holte meinen Koffer und verstaute ihn in seinem Auto. Wir unterhielten uns über alles mögliche. Was ich in Amerika alles gemacht hatte und er in Kanada. Wie es Onkel Johan und seiner Frau Ava ginge. Und über die Schule.

 „Es ist so schön kalt hier.“ schwärmte ich.

 „Findest du? Ich wünschte es wäre mal etwas wärmer.“

„In Baxley ist es echt total heiß. Wir haben sogar jetzt noch jeden Tag über 25 Grad. Ich freue mich aber auch schon total auf den Winter, zu mindestens letztes Jahr hat es geschneit.“ erklärte ich.

 „Dann sollte ich dich mal öfter besuchen, ich muss nämlich mal braun werden.“

Ich guckte auf meine Haut. Ich lebte jetzt schon mehr als ein Jahr in Amerika und war noch genauso blass wie am Anfang. Na gut, bevor ich in die Schule ging, war ich so gut wie nie draußen.

Als wir bei ihm ankamen wunderte ich mich über die Größe ihres Hauses.

 „Seid ihr umgezogen?“ fragte ich.

„Ja vor einem Jahr. Mein Vater hat einen neuen Job gefunden und verdient nicht schlecht, und wir wollten nicht weiter in dieser Bruchbude wohnen.“

Ich staunte. Liam’s Vater muss ziemlich viel verdienen um sich so ein Haus zu leisten. Gegen die Wohnung in der sie zuvor wohnten, ist dies ein Palast. Es war weiß gestrichen und vor ihm breitete sich eine maigrüne Wiese aus. Darauf wuchsen rote, gelbe und weiße Rosen.   

 „Das Haus ist echt wunderschön.“

Er parkte sein Auto in einer Garage und half mir beim Tragen meines Gepäcks. Wir stellten die Taschen in einen großen Flur. Ich konnte sehen wie seine Mutter in der Küche stand und dabei war zu kochen.

Nachdem Liam rief: „Wir sind da.“

Ließ sie sofort alles stehen und liegen und kam auf mich zu.

 „Ach Nina, es ist so schön dich wieder zu sehen.“

Sie nahm mich fest in ihren Arm.

 „Es ist auch schön dich wieder zu sehen.“ erwiderte ich.

 „Ich hoffe es hat alles mit dem Flug geklappt.“

 „Ja, mein Gepäck habe ich.“

Herr Paine kam die Treppe herunter. Alles sah so sauber aus. Nichts lag herum und nirgends war ein Staubkorn zu sehen. Er begrüßte mich ebenfalls, umarmte mich und staunte wie groß ich geworden sei. Er war nicht der Typ für lange emotionale Reden, deshalb fasste er alles sehr knapp.

 „Es riecht hier ja schon so lecker.“ sagte ich zu Liam.

 „Meine Mutter hat dein Lieblingsessen gekocht.“ meinte er.

 „Was? Echt? Daran kann sie sich noch erinnern? Aber das hättet ihr echt nicht machen müssen!“ sagte ich verschämt.

Ich wollte nicht dass sie sich so viel Mühe für mich machen.

 „Klar. Carbonara, habe ich recht?“ Er guckte mich wissend an, dass ich ihm antworten würde, dass es richtig war. Ich nickte, denn es stimmte wirklich. Am liebsten aß ich sie selbstgemacht von Susan, seiner Mutter.

 „Kann ich dir beim Kochen helfen?“ fragte ich sie, als ich in die Küche kam.

 „Nein, brauchst du nicht. Ich bin sowieso gleich fertig.“ sagte sie.

Liam schnappte sich meine Sachen und schleppte sie hinauf in ein Zimmer, es war wahrscheinlich das Gästezimmer. Das Bett war doppel so groß wie meins zuhause und der Kleiderschrank war riesig. Ein kuschliger Teppich bedeckte den Boden und die Wand war geschmückt mit einer cremefarbenden Tapete und einem wandgroßen goldenen Spiegel. Ich riss die Augen auf.

 „Das Zimmer ist total schön. Ist das wirklich für mich?“

Liam kicherte.

 „Klar. Für die nächsten zwei Wochen ist dies ihr Schlafgemach Prinzessin.“

Ich gab ihm einen leichten Klaps gegen seine Schulter.

 „Jetzt wird mir klar, was mir monatelang gefehlt hat.“ sagte er mit sanfter Stimme.

Er nahm mich in den Arm und legte seinen Kopf auf meinen.

 „Du hast mir auch gefehlt.“

Ich klammerte mich mit meinen Händen um seinen Körper. Er war so warm.

 „Wie geht es dir?“

Ich wusste wie er es meinte. Er meinte nicht, wie es mir jetzt im Moment ginge. Sondern wie es mir mit dem Verkraften ginge. Ich kuschelte mich näher an ihn heran. Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, ließ es dann aber doch, denn ich wusste nicht was.

 „Tut mir leid, falsches Thema.“ endschuldigte er sich.

Für einen Moment noch blieben wir so stehen. In dem Zimmer, das Gepäck auf dem Boden liegend, Arm in Arm.

 „Essen ist fertig.“ rief Susan aus der Küche.

Wir lösten unsere Umarmung und gingen hinab ins Esszimmer. Ein länglicher Tisch, mit vielen Stühlen, fühlte den Raum aus. Die eine Wand bestand nur aus Fenstern, wodurch man einen perfekten Blick auf den Teich in ihrem Garten hatte. Ein paar exotische Pflanzen waren in dem hellen Raum verteilt. Susan stellte gerade noch ein paar Getränke auf den Tisch, während wir uns setzten. Überall roch es nach dem leckeren Essen. Auch John, sein Vater, gesellte sich zu uns.

  „Nina, möchtest du etwas trinken?“ fragte mich Susan.

  „Ja bitte.“

Nun hatte ich wirklich Durst. Ich trank einen Schluck und stellte mein Glas wieder auf den Tisch.

 „Liam möchtest du das Tischgebet sprechen?“ fragte John ihn.

Er nickte, faltete die Hände und schloss die Augen. Es wurde still. Liam begann zu beten. Erst dankte er, dass ich gut angekommen sei und dann für das Essen. Mit einem „Amen“ schlossen wir das Gebet ab.

 „Der Gast bekommt zuerst.“

Susan schnappte sich meinen Teller und legte eine ordentliche Portion darauf.

 „Danke.“ sagte ich.

Ich wartete bis jeder Teller gefüllt war und wünschte dann einen guten Appetit. Die Carbonara schmeckten wie immer, einfach nur fantastisch. Ich hatte das Gefühl, dass ich ziemlich schnell essen würde, aber es schmeckte so gut.

 „Susan, dass hast du echt gut gemacht, es schmeckt wirklich lecker.“ sagte ich und setzte ein Lächeln auf.

  „Danke, aber das mit dem Essen war nicht meine Idee. Liam wusste wie sehr du sie magst und hat es vorgeschlagen!“

Ich schaute ihn an. Verschämt fing an zu grinsen und ich musste darüber kichern, dass es ihm so peinlich war.

 „Wie geht es Caroline?“ fragte mich John.

 „Ihr geht es gut. Zwar ist das Geld etwas knapp, aber sie meinte dass sie gute Voraussichten, auf eine Beförderung habe.“ erklärte ich.

 „Das ist schön. Hat sie einen Mann gefunden?“

 „Ja. Auf der Arbeit hat sie jemanden kennen gelernt und sich sofort gut mit ihm verstanden. Sie sind jetzt seit zwei Monaten zusammen. Sie hat ihn mir noch nicht vorgestellt, aber von dem was sie erzählt scheint er sehr nett zu sein.“ sagte ich.

 „Ach das ist ja schön. Ich meine sie wird ja auch nicht mehr jünger. Sie ist im Mai 26 geworden, habe ich recht?“ fragte mich Susan.

 „Ja.“ antwortete ich.

Ich konnte mich nur noch genau an den Geburtstag erinnern. Die Stimmung war gedrückt und niemand traute sich zu feiern.

 „Du hattest doch auch erst vor gut einem Monat Geburtstag.“ stellte John fest.

  „Ach John, das hatten wir dir doch erzählt. Ist die Karte angekommen?“ fragte Susan.

 „Nein. Eine Karte habe ich nicht bekommen.“ sagte ich verwundert.

 „Wir hatten dir eine Geburtstagskarte geschickt, aber wahrscheinlich bekommt dieses Postsystem es nicht auf die Reihe eine Karte von Kanada nach Amerika zu leiten!“ schimpfte sie verärgert.

  „Das macht doch nichts.“ versuchte ich sie zu beruhigen.

  „Dann wünsche ich dir jetzt noch mal alles Gute.“

 Liam schloss sich an, nur John stocherte in seinem Essen herum. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Oder störte ihn meine Anwesenheit? Ich wusste es nicht.

Nach dem Essen, war es schon acht und ich half Susan dabei das Geschirr in die Küche zu bringen.

 „Kann ich dir beim Abwaschen helfen?“ bot ich hilfsbereit an.

 „Nein, danke Liebes. Kümmere dich erst einmal um deinen Koffer und bereite dir dein Zimmer vor.“

Sie hatte eine so nette Art und ich mochte sie sehr gerne. Ich ging hinauf in mein „Schlafgemach“, wie Liam meinte und fing damit an, meine Kleidungsstücke in den Schrank zu räumen. Als mein Koffer leer war, legte ich ihn unter das Bett. Ich zog mir meine Schlafsachen an und kuschelte mich unter die Decke. Ich war ziemlich müde. Es klopfte an der Tür.

 „Herein.“ rief ich.

Liam öffnete langsam die Tür.

 „Darf ich kurz zu dir reinkommen?“ fragte er.

 „Ja klar.“

Er setzte sich zu mir ans Bett.

 „Was wollen wir morgen machen?“ fragte ich.

 „Genau das wollte ich dir gerade erzählen. Wir werden morgen erst einmal hier bleiben, damit du ausschlafen kannst. Und dann gucken wir was wir übermorgen machen, vielleicht gehen wir in die Stadt oder so.“ erklärte er mir.

 „Ok.“ sagte ich.

 „Und übrigens, das Gästezimmer hat sein eigenes Bad, du kannst es so oft du willst benutzen. Also musst du nicht morgens warten bis wir anderen mit dem Duschen fertig sind.“

Er deutete auf eine zweite Tür die aus dem Zimmer heraus führte.

 „Danke. Zeigst du mir morgen dann auch mal dein persönliches Schlafgemach?“ lachte ich. Er nickte.

 „Gute Nacht, Prinzessin.“ sagte er und stand auf.

 „Gute Nacht.“

Liam verließ das Zimmer und ich schaltete das Licht aus. Wie lieb hier alle zu mir waren. So gastfreundlich und offen. Ich freute mich schon auf die kommenden Tage. Aber jetzt wollte ich erst einmal schlafen, denn von dem Flug war ich noch ziemlich müde.

Am nächsten Morgen weckte mich der grelle Schein der Sonne. Ich schaute auf mein Handy. Halb elf. Caroline hatte mir eine Sms geschickt, in der sie fragte ob ich gut angekommen sei. Ich antwortete ihr und ging dann in das Badezimmer. Schnell duschte ich mich und putzte meine Zähne. Mit einem Handtuch um meinen Körper und über meinen Haaren, stellte ich mich vor den Schrank und suchte ein paar passende Klamotten heraus. Ich entschied mich für eine lange Jeanshose, ein Fliederfarbendes Top und eine graue Strickjacke. Meine Haare band ich zu einem Dutt zusammen. Als ich hinunter in die Küche kam standen Brötchen, Eier, Marmeladen und verschiedene andere Aufstriche, schon auf dem Tisch.

 „Guten Morgen.“ begrüßte mich Susan, die gerade Tee kochte.

 „Morgen.“ sagte  ich.

 „Hast du gut geschlafen?“ fragte sie.

 „Ja, sehr gut. Das Bett ist echt gemütlich.“ erklärte ich.

 „Schön. Möchtest du einen Kaffee, oder einen Tee?“

 „Ich trinke Milch.“

Liam kam in das Esszimmer herein. Er wünschte allen einen guten Morgen und setzte sich neben mich an den Tisch. Er trug heute ein rot, weiß kariertes Hemd und seine nussbraunen Haare leuchteten.

 „Schöne Frisur.“ sagte er.

 „Deine sieht auch echt gut aus.“

Dadurch dass er sie nach oben gegelt hatte, wirkten sie kürzer. Nach dem Essen wollte ich mir unbedingt sein Zimmer ansehen. Es war relativ groß und sein Bett war ebenfalls so riesig wie meins. Ich schaute mir seine Bilder an er auf eine Komode gestellt hatte. Dabei waren sogar zwei Bilder, von uns. Von ihm und mir. Auf denen wir zusammen auf dem Spielplatz spielten. Wie lange war das jetzt her? Fünf Jahre. Es war eine so schöne, sorgenlose Zeit. Ohne Probleme.

 „Ich habe den Spielplatz geliebt.“ sagte ich.

 „Ich auch. Wenn du möchtest können wir mal zu ihm gehen.“

 „Aber er ist doch ziemlich weit weg, oder?“

 „Zwei Stunden. Dann können wir auch gleich Johan, Ava und Eric besuchen.“ erklärte er.

 „Ja das ist toll. Ich vermisse Eric so sehr.“

Das letzte Mal hatte ich ihn an Weihnachten gesehen, als er und Johan uns besucht hatten. Vor zwei Jahren ist Liam und seine Familie umgezogen und wir konnten uns nicht mehr sehen. Irgendwann haben wir dann komplett den Kontakt verloren, weil die Entfernung einfach zu groß war. Und dann bin ich nach Amerika gezogen.

 „Bei eurem letzten Umzug vor zwei Jahren, seid ihr da gleich hier her gezogen?“ fragte ich.              „Nein, erst wohnten wir in einer Wohnung hier in der nähe, weil das Haus erst einmal gebaut werden musste. Aber seit einem Jahr wohnen wir jetzt hier.“ erklärte er.

 „Das war voll dumm, dass wir damals nichts mehr miteinander machen konnten, weil wir einfach zu weit auseinander wohnten.“

 „Ja. Aber jetzt ist die Entfernung noch größer. Sieben Stunden mit dem Auto.“

 „Hm…das ist wirklich weit.“

Wir hatten uns auf sein Bett gesetzt und unterhielten uns über die alten Zeiten. Was für kuriose Dinge wir getan hatten und welche wir unbedingt noch machen wollten.

 „Wir wollten einen Zirkus gründen, weißt du noch?“

 „Oh ja.“ Ich lachte.

 „Du wolltest immer Feuerwehrmann werden. Möchtest du es immer noch?“

 „Nein. Aber jetzt möchte ich Arzt werden. Menschen helfen. Das ist mein Traum. Und was möchtest du werden?“

 „Ich weiß es nicht. Früher wollte ich berühmte Klavierspielerin werden. Aber ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht. Ich werde erst mal die Schule beenden und dann gucken, was ich mache.“

 „Komm mal mit.“ sagte er, nahm meine Hand und zog mich aus seinem Zimmer.

Er führte mich zwei Treppen herunter und blieb vor einer Tür stehen.

  „Mach die Augen zu.“

Ich schloss sie auf seine Anweisung und hörte wie er langsam die Tür öffnete. In dem Zimmer war es etwas kühler, aber es roch angenehm. Er führte mich und ich setzte mich schließlich auf einen niedrigen Hocker.

 „Mach sie auf.“

Ich staunte nicht schlecht. Ich saß gerade vor einem schwarzen Flügel. Er war, wie eigentlich auch alles andere in seinem Haus, riesig. Das Schwarz glänzte und das Weiß der Tasten blendete mich fast.

 „Spiel.“ sagte er und setzte sich neben mich.

 „Darf ich wirklich?“

Er nickte und guckte erwartungsvoll auf meine Hände. Zögerlich legte ich meine Finger auf die Tasten und drückte sie unsicher. Der Klang war anders als bei meinem Keyboard. Viel klarer, lauter und stärker. Es hörte sich einfach nur fantastisch in meinen Ohren an. Im laufe der Zeit wurde ich immer sicherer und Liam konnte gar nicht genug bekommen. Das Leuchten in seinen Augen wurde immer großer und ich genoss es an einem solch teurem Instrument zu spielen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, wie schnell ich spielte. Dass ich mir alles noch merken konnte, obwohl ich ein Jahr lang nicht gespielt hatte und auch mit dem Klavierunterricht aufgehört hatte. Ich beendete das Stück mit einem passenden Akkord.

 „Wow! Das war total schön! Wie heißt das Lied?“

 „Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich habe einfach das erst beste gespielt, was mir in den Sinn kam.“ lachte ich.

  „Kannst du auch Klavier spielen?“ fragte ich ihn.

 „Nein, meine Mutter. Sie kann aber noch lange nicht so gut spielen wie du!“

Ich fühlte mich zwar geschmeichelt, konnte es aber nicht so wirklich glauben.

 „Spielst du noch etwas bitte.“

 Weil er so lieb guckte, ließ ich mich überzeugen und fing an etwas zu klimpern. Aus Reflex öffnete ich den Mund und fing an zu singen. Bis ich erschrocken realisierte, was ich gerade tat und mit einem knallroten Kopf zurück zuckte.

 „Nein, bitte hör nicht auf!“ flehte er.

Ich biss mir auf die Lippe und dachte nach, denn eigentlich wollte ich nicht vor anderen singen, egal wer es war.

 „Ich weiß nicht…“

Schmollend schaute er an sich herunter. Ich konnte ihn so nicht sehen und entschloss mich dafür, ihm etwas zu singen. Leider konnte ich nur traurige Melodien, die mich fast zum Weinen brachten. Ich schloss die Augen und begann zu singen. Ich wollte nicht sehen, wie er guckte. Diesmal wusste ich auch nicht was ich sang, was ich spielte. Es war einfach da, in meinem Kopf. Nachdem meine Stimme verstummt und die Melodie verklangen war. Öffnete ich meine Augen und schaute ihn an. Völlig entgeistert saß er dort und zog die Augenbrauen hoch.

 „Das war echt…“

 „Ja ich weiß schon, echt schlecht!“

 „Nein, es war gut. Nicht nur gut. Es war fantastisch. Atemberaubend. Außergewöhnlich!“ sagte er, immer noch nicht ganz klar.

Ich glaubte ihm das nicht. Ich konnte und wollte es nicht glauben. Es war mir unangenehm.

 „Bist du dir sicher? Ich meine wenn es schlecht war, kannst du es ruhig sagen!“

 „Nina. Du kannst richtig gut singen, warum hast du das nicht schon früher gemacht?“ fragte er.

„Ich weiß es nicht. Ich kam nie dazu. Außerdem ist mir Klavierspielen schon peinlich und vom Singen nicht zu schweigen.“ erklärte ich.

 „Ach das muss dir echt nich peinlich sein, an deine Stelle würde ich es jedem zeigen wollen.“ Ich wollte nicht weiter darüber reden und versuchte vom Thema abzulenken.

 „Können wir hoch gehen?“ fragte ich.

Er nickte.

Die Tage vergingen. Das war immer so bei mir. Die schönen Tage vergingen schnell und die schlechten kamen mir vor wie Monate. Wir gingen in die Stadt, spazierten durch die Wohngegend und besuchten Freunde. In der zweiten Woche wollten wir Onkel Johan, Ava und Eric besuchen. Ich wollte sie am liebsten jeden Tag sehen, aber dann würde Eric sich daran gewöhnen und könnte es nicht ertragen wenn ich wieder zurück nach Amerika gehe.  Außerdem hatte Liam mich eingeladen mit ihm am Freitag ins Kino zu gehen.

Ein lautes Klingeln riss mich aus meinem Tiefschlaf. Der Wecker klingelte. Acht Uhr morgens. Ich war schon voller Vorfreude auf den Tag. Denn heute fuhren wir in meinen Heimatort. Ich hatte gestern Abend geduscht, deshalb brauchte ich nicht so lange um mich fertig zu machen.

 „Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“ fragte mich Liam.

 „Immer und du?“

 „Auch. Meine Eltern haben schon gefrühstückt. Wir müssen uns ein bisschen beeilen, weil wir um neun Uhr losfahren wollen.“ sagte er und bot mir an, mich zu setzen. Schnell aß ich ein Brötchen mit süßer Himbeermarmelade und trank ein Glas Orangensaft. Dann packte ich die wichtigsten Sachen in meine Handtasche und setzte mich mit Liam in die hintere Reihe ihres Autos.

 „Los geht’s“ sagte John und startete das Fahrzeug.

 „Nina, ich finde es toll dass du immer noch Klavier spielst.“ sagte Susan.

 „Ja das finde ich auch.“ bestätigte Liam mit ausdruckstarkem Blick.

Verschämt vermied ich den Augenkontakt.

 „Wirklich. Das ist eine Gabe!“ schwärmte Susan.

Eine Gabe. Ich konnte nicht glauben, dass dieses bisschen Klimpern eine Gabe seien sollte.

Nach einiger Zeit fragte Liam:

 „Ich habe mal nach einem Film geschaut. Magst du eher Schnulzen, Fantasy oder Action?“ Ich fand es lustig, dass er mich das fragte, denn eigentlich müsste er wissen, dass ich überhaupt gar keine Filme mochte. Ich mochte es nicht minutenlang auf ein Bild zu starren, denn ich fand das Leben viel interessanter, als so ein gespieltes Stück, das meist viel zu unrealistisch war. Trotzdem wollte ich ihm den Gefallen tun und mit ins Kino gehen.

 „Das ist mir egal. Such du dir einen Film aus.“ antwortete ich.

Schon wieder war er in seinem Handy versunken und suchte einen aus. Verträumt schaute ich aus dem Fenster, guckte die braungelben Blätter der Bäume und den blaugrauen Himmel an. Ich bemerkte wie es sich langsam zu zog, bis ein Schauer sich über uns ergoss. Zum Glück waren wir in dem Auto, denn auf Regen hatte ich keine Lust.

 „So wir sind fast da.“ sagte John, als wir in dem, mir bekannten, kleinen Vorort einer Großstadt ankamen.

Nun wusste ich genau wo es lang ging. Wie die Straßen hießen und die Namen aller Bewohner die in den Holzhäusern wohnten.

Nachdem wir ausgestiegen waren, es hatte schon wieder aufgehört zu regnen, atmete ich tief ein. Ich liebte den Geruch von Wald, Holz und dem süßen Duft von  Sirup der in der Luft lag. Wie üblich waren alle Vorhänge des Hauses zu gezogen, wie Ava es immer tat. Denn sie hasste es wenn Leute ihr privat Leben sehen konnten. Jedoch sah es offen und einladend aus. Noch bevor wir klingeln konnten, stürmte Eric schon aus der Tür heraus. Beim Laufen schwankte er etwas hin und her und quetschte sich schließlich zwischen meine Arme. Er legte seinen Kopf auf meinen Bauch und versuchte sich vor der Außenwelt zu verstecken. Ich merkte wie er mich leicht zitterte und ziemlich verunsichert ansah.

 „Ich habe dich so vermisst.“ sagte er.

 „Ich dich auch.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Onkel Johan und Ava kamen aus dem Haus heraus. Johan strich mir über die Wange und nahm mich dann in den Arm. Ich ließ Erics Hand nicht los.

 „Du bist so groß geworden.“ sagte er.

 „Naja groß bin ich nicht.“ lachte ich.

Ava schüttelte meine kalte Hand und sagte:

 „Ach Mäuschen du siehst wunderschön aus.“

Ihre Stimmte unterlegte eine leichte Ironie. Ich konnte sie nicht besonders gerne ausstehen. Nachdem Johan sich von seiner letzten Frau schieden ließ, heiratete er zwei Jahre danach Ava. Er hatte noch nie einen guten Geschmack was Frauen anging. Lucie, seine Exfrau war nur auf Geld und ihre Karriere fixiert. Ava war zickig, hochnäsig und konnte nicht mit Kindern umgehen. Deshalb hatte ich Angst, dass sie Eric nicht angemessen behandelte, er hatte es ja ohnehin schon ziemlich schwer. Liam tippte Eric, der sich wieder in meinen Armen vergraben hatte, auf die Schulter.

 „Hey ich bin’s.“ sagte er.

Zögernd drehte er sich um. Als er das vertraute Gesicht sah, ließ er sich von Liam umarmen und er schleuderte hin umher.

 „Da bist du ja.“ lächelte Eric.

 „Ja hier bin ich.“

 „Ja da bist du. Da bist du!“

Es war so schön mit anzusehen, wie gut sie sich verstanden. Wie wundervoll ihre Augen strahlten. Augen. Erics Augen. Sie sahen aus wie Natts. Grün. Musste ich jetzt an ihn denken? Warum ausgerechnet jetzt? Sehnsucht. Sehnsucht? Ja, ich vermisste ihn und das musste ich mir gestehen. Und anscheinend tat er es auch. Bei Natt fühlte sich meine Sehnsucht gestillt an und bei Liam fühlte ich mich sicher. Sicher vor allem was draußen passierte. Ich hatte keine Angst mehr. Bei Natt spürte ich Unsicherheit, Unkenntnis. Bei Liam, Vertrautheit und Wärme. Doch trotzdem hielt mich etwas an Natt fest. Ich wusste nicht was, trotzdem wollte ich es wissen. Aber konnte es nicht.

 „Möchtest du auch rein kommen?“ fragte Liam.

 „Ja ich komme.“

 

„Ich muss dir mein neues Spielzeug zeigen.“ sagte Eric und riss Liam am Arm mit.

Ein Lächeln stieg mir in das Gesicht. Es war toll zu beobachten, wie kinderfreundlich er war. Ich bereute es, monatelang keinen Kontakt mit ihm gehabt zu haben.

 

Ich musste ihnen alles über Amerika, die neue Schule und Caroline erzählen. Wie ich es fand, was ich gemacht hatte. Wie es Caroline ging und alles über ihre Beziehung. Ein wichtiges Detail ließ ich aus: Natt. Es hatte nur etwas mit mir zu tun. Nichts mit anderen. Nur mit mir selbst. Johan erklärte mir, dass sich Erics Zustand drastisch verschlechtert hätte, seitdem ich nicht mehr da war. Obwohl er schon sechs war, benahm er sich wie ein vierjähriger und das machte uns allen Sorgen. Es würde ihm nur helfen, wenn ich wieder zurück nach Kanada kommen würde. Doch mit diesem Gedanken konnte ich mich nicht anfreunden. Zurück in das Land in dem ich die größte Zeit meines Lebens verbracht hatte.

Kapitel 8

Mein Atem stockte und meine Augen wurden glasig. Mir war so übel dass ich mich in das Waschbecken übergab. Ich wischte meinen Mund mit einem Stück des Toilettenpapiers ab. Obwohl ich damit gerechnete hatte, war ich total verängstigt und schockiert. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie so etwas ging. Ich war an es gebunden, wie lange wusste nicht, aber ich wusste dass ich es jetzt war. Ich unterdrückte die Tränen, die gerade aus meinen Augen meine leichenblasse Wange herunter fließen wollten. Wenn ich jetzt weinen würde, könnte es jeder sehen, insbesondere Liam. Er würde mich fragen was passiert sei und ich müsste ihn anlügen, dass nichts wäre und er könnte gar nicht mehr damit aufhören sich Sorgen zu machen. Am liebsten hätte ich mich jetzt wieder in mein Bett verkrochen, aber das würde noch mehr auffallen als wenn ich einfach so weiter mache, wie zuvor. Mal wieder hatte Susan den Tisch gedeckt, man erkannt es an den Marmeladengläser in denen jeweils ein Löffel steckte, den Käse- und Wurstplatten  und den feinsäuberlich geschnittenen Brotscheiben, John und Liam hätten sich niemals so eine Mühe gegeben. "Guten Morgen." sagte John trocken. "Morgen." erwiderte ich genauso emotionslos. Ich spürte einen Hass, entweder gegen John, dass er immer so kalt mit mir umging, oder gegen das Amulett, bei dem ich nur darauf wartete bis es mir wieder wehtat. "Ich habe dir ein Brot geschmiert, wie du es jeden Morgen isst." sagte Liam und hielt es mir direkt unter die Nase. "Das ist echt total nett von dir, aber leider habe ich heute Morgen gar keinen Hunger." lehnte ich es ab. Es tat mir weh seine Geste abzuschlagen, aber ich konnte nicht anders, denn wenn ich nochmal etwas essen würde, müsste ich mich wieder übergeben. Sichtlich enttäuscht legte er es wieder auf den Teller und schenkte sich Kaffee ein. "Das ist ein wunderschönes Amulett, das du da trägst." sagte Susan. Ich versuchte mich irgendwie über das Kompliment zu freuen, aber es sah ziemlich unecht aus. Aber es stimmte, es war wirklich schön, zu schön um normal zu sein. Ich mochte diese Stille beim Essen nicht, ich fühlte mich nicht wohl, mir kam es vor als könnte jeder meine Gedanken hören. Als John endlich auch den letzten Krümel aufgegessen hatte, konnte ich mich endlich wieder in mein Bett legen. Ich empfand Schlafen als einzige Möglichkeit, meinen Gedanken die nur um die Kette kreisten zu entfliehen. Als ich schon dabei war, die Treppe hinauf zu meinem Zimmer zu stürmen, hielt mich Liam an meinem Arm fest. "Kommst du kurz mit mir." Lustlos folgte ich ihm, ich war müde, kalt und benebelt. Ich setzte mich auf sein Bett, er schloss die Tür und holte mein Handy aus seiner Hosentasche. "Dein Handy lag gestern auf dem Wohnzimmertisch und du hast eine Sms von einem Phil bekommen, ich weiß man soll die Narichten anderer Leute nicht lesen, aber ich konnte irgendwie nicht anders. Tut mir leid. Aber hier hast du es wieder." Er gab mir mein Handy wieder. Ich war zu verwirrt um ihm böse zu sein, deshalb sagte ich einfach: "Ist schon okay." "Oh gut, danke. Ich dachte schon dass du total sauer auf mich seien wirst." Emotionslos starrte ich ihn an. "Ist alles okay mit dir?" fragte er. Ohne eine Antwort richtete ich meinen Blick auf mein Handy. "Was stand drin?" Er fing an zu kichern. Ich warf ihm einen verachtenden Blick zu. Ohne genau zu wissen, was ich gerade tat, wartete ich auf seine Antwort. "Es war ein sehr langes und ausführliches Geständnis seiner Liebe." Unberührt stöhnte ich. Ich sollte froh sein dass er den ersten Schritt wieder auf mich zu gemacht hat, denn eigentlich bin ich diejenige die sich endschuldigen und um ihn kämpfen müsste. Auch nach alledem was ich ihm angetan hatte, wollte er mich immer noch. Aber ich konnte jetzt einfach an nichts denken. "Ist er dein Freund?" fragte mich Liam. "Nein, nicht mehr." Meine Augen wurden schwer und ich ließ mich nach hinten in das Bett fallen. Sofort verfiel ich in einen Tiefschlaf.

Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich sagte es andauernd. Ich wusste aber nicht zu wem. Jedoch spürte ich, dass es die Wahrheit ist.

"Bist ja auch mal wach." sagte Liam und lachte. Erschrocken hob ich die Decke von meinem aufgeheizten Körper. "Oh nein, wie viel Uhr haben wir?" Verwirrt schaute ich umher. "Halb zwölf, warum?" "Ich muss in die..." Ich unterbrach meine Aussage, als ich bemerkte wo ich war. Total durcheinander verzog ich meine Augenbrauen und kicherte. "Ich dachte ich müsste in die Schule." sagte ich. "Du kleines Dummerchen," meinte Liam und grinste, "möchtest du noch etwas frühstücken?" Ich überlegte kurz, sagte dann aber dass ich keinen Hunger hätte. "Entschuldigung, dass ich dir dein Bett geklaut habe." sagte ich. "Ach was. Für was gibt es denn Coachs?!" alberte er. Komischer Weise, obwohl ich ungefähr einen Tag lang geschlafen hatte, fühlte ich mich nicht ausgeschlafen. Ich streckte mich und verband meine Haare zu einem Dutt. "Es war schön dir beim Schlafen zu zusehen." meinte er. Ein unwohles Gefühl. Ich hatte irgendjemandem in meinem Traum mehrmals meine Liebe gestanden und anscheinend hatte er es auch erwidert, denn ich fühlte mich glücklich. Und jetzt von Liam zu hören, dass es schön war mich dabei zu beobachten, ließ mich nachdenken. Hatte ich es zufällig laut gesagt? Dachte er, dass es auf ihn bezogen war? Ich konnte es weder bestätigen, noch bestreiten. Es war wie ein Filmriss, ich wusste nicht wer gemeint war. "War ich laut?" fragte ich. Ich wollte nicht direkt fragen, aber mich versichern dass er nichts von meinem Traum mitbekommen hatte. "Nein. Manchmal hast du dich zwar ruckartig bewegt, aber du hast nicht geschnarcht, keine Angst." sagte er und zwinkerte. Erleichterung. Denn momentan wollte ich nichts außer Freundschaft, auch wenn ich manchmal an meinen Gefühlen gezweifelt habe, ob es nicht mehr wäre. Aber erst vor Kurzem meinte Phil, er wäre nur ein Ersatz für Natt und ich hatte Angst, dass es stimme, dass ich wirklich Jemanden suche der die Lücke füllen würde. Ich wollte nicht noch einmal jemandem wehtun, deshalb beschloss ich nicht weiter über meine Gefühle nachzudenken. 

"Möchtest du einen Tee?" fragte er. "Ja gerne." antwortete ich. Es klingelte. "Warte kurz." Liam stand von der Coach auf und lief aus dem Zimmer. Mit meiner Zunge ging ich über meine Zähne. Ich mochte es nicht, wenn ich vergesse hatte sie zu putzen, was aber so gut wie nie passierte, nur wenn ich totalen Stress hatte. Ich ging in mein Zimmer und zog mir erst einmal frische Sachen an. Meine Haare fühlten sich noch relativ sauber an, so dass ich es nicht für notwendig sah zu duschen. Ich ging ins Bad und entdeckte, dass meine Schminke noch genauso war, wie am Vortag. Ich zog meine Zahnbürste aus einem Becher und drückte einen Klecks Zahnpasta auf die Bürste. Ich hörte eine fremde Stimme. Nachdem ich meine Zähne gründlich geputzt hatte, folgte ich der Stimme. Umso näher ich kam, desto bekannter kam sie mir vor. Ich stapfte die Treppenstufen hinunter zum Wohnzimmer. "Ja ich habe mitbekommen, dass sie hier ist und ich wollte sie besuchen kommen." sagte die zarte Stimme. Ich kannte sie irgendwoher, konnte sie aber keiner Person zu ordnen. Ich hatte in letzter Zeit so viele Stimmen gehört, dass ich sie kaum noch unterscheiden konnte. Doch als ich mich leise an die Sofas heranschlich und versuchte, den Boden nicht unter meinen Füßen knacksen zu lassen. Erkannte ich ihren Dutt. Nein, nicht ihre präzise zusammen gesteckte Frisur, war das was mich zum Nachdenken brachte, sondern ihre Haarfarbe. Es war ein Rot. Kein natürliches, welches eher orange war und einen an einen schönen Herbsttag erinnerte. Sondern ein Dunkelrot. Es sah gefärbt aus, das fand ich schon immer, aber sie hatte es immer bestritten und meinte es wäre ihre Naturhaarfarbe. Ich hatte ihr eigentlich immer alles geglaubt, denn Lügen gehörte nicht gerade zu ihren Stärken, aber dies kam mir unglaubwürdig vor. Es stimmte anscheinend aber wirklich, denn nichts hatte sich an dem Ton verändert. Isabella Black. Meine beste Freundin aus Kanada. Wenn ich über Kanada redete, tat ich schon so als wäre es mir total fremd, obwohl ich mein ganzes Leben hier verbracht hatte. All meine alten Freunde waren mir wie unbekannt. Während der Sommerferien habe ich zwar noch versucht den Kontakt aufrecht zu erhalten. Doch als ich dann auf die neue Schule kam, war ich so beeindruckt von den Leuten dich dort kennengelernt habe, dass ich die anderen vergessen hatte.

"Da ist sie ja schon." sagte Liam mit einem erfreuten Unterton. Isabella sprang auf und drückte mich fest in ihre Arme. Doch bevor wir uns auch nur eine Sekunde lang festhalten konnten, zuckte sie erschrocken zurück. Mit schmerzverzogenem Gesicht starrte sie mich fassungslos an. Ich schluckte. Auch Liam und seine Eltern wussten nicht, was gerade vor sich ging. Sie versuchte etwas zu sagen und deutete wie gefesselt auf meinen Hals. Erschrocken griff ich an ihn und spürte die Kette, die bis hinunter zu dem Amulett führte. Isabellas Schlagader pulsierte stark. Egal was sie jetzt sagen würde, ich erkannte daran, dass sie Angst hatte. Schnell versuchte sie, sie mit ihren Haaren zu überdecken, aber ich hatte es schon längst gesehen. „Wo hast du sie her?“ Isabella versuchte sich zusammen zu reißen, aber ihre Unsicherheit stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. „Von einem Bekannten, wieso?“ Ich fragte mich, warum sie so reagierte. Aber eigentlich hätte ich es wissen müssen, denn es war die selbe Reaktion wie bei Lilly. In einem war ich mir jedoch sicher: Diesmal würde ich ihn nicht verraten, nicht wie bei dem Inhaber des kleinen Ladens in Baxley. Ich bemerkte wie sie überlegte, was sie antworten solle. „Tu mir den Gefallen und zieh sie aus.“ sagte sie ernst. Unwissend tat ich es und legte sie auf den Tisch neben mich. Sie nahm mich noch einmal in ihre Arme. Lange. „Ich muss jetzt gehen, tut mir leid. Es war schön dich wieder gesehen zu haben. Bitte zieh sie nicht mehr an, bis du es weißt.“ sagte sie und ging hektisch in Richtung Tür. „Warte, Isabella! Bis ich was weiß?!“ Ich rannte ihr hinterher und hielt sie am Arm fest. „Bis ich was weiß?“ fragte ich nochmals. Ohne eine Antwort starrte sie mir in die Augen. Ich spürte wie sich mein Körper entspannte und sich meine Hand, die sich vorerst krampfhaft an ihrem Arm festgehalten hatte, langsam lockerte, bis ich komplett los ließ. Isabella ging. Und zurück blieben verwirrte Gesichter. „Was war das denn?“ fragte Liam. „Kannte sie die Kette?“ „Anscheinend schon. Aber ich frage mich woher.“ Langsam ging ich in mein Zimmer. Ich wusste dass Liam mir folgte. „Von wem hast du die Kette?“

Ich setzte mich auf das Bett und starrte auf den Ring, den ich von Phil bekommen hatte. „Natt.“ flüsterte ich. Ich nahm den Ring in meine Hand. Er war lauwarm. So als hätte er sich vorhin erst aufgeheizt und würde jetzt langsam abkühlen. Wir schwirrten Phils Worte durch den Kopf. Falls er heiß werden sollte, sollte ich ihn sofort anrufen. „Wer ist das?“ fragte Liam. „Wenn ich das wüsste, würde ich es dir sagen, aber ich weiß es nicht.“ Ich befürchtete, dass alles was ich über ihn wusste, eine Lüge war. „Schmeiß das Amulett doch einfach weg.“ Ich brach in Tränen aus. „Das habe ich schon probiert. Es kommt immer wieder zu mir zurück. Es verfolgt mich. Und es tut mir weh. Manchmal wird es so glühend heiß, dass ich mich daran verbrenne. Oder gibt Anderen, die ich berühre einen Stromschlag. Ich habe es Natt vor die Füße geschmissen, kurz bevor ich nach Kanada geflogen bin und es ist wieder da.“ Voller Verzweiflung brüllte ich die Worte aus mir heraus. Liam starrte auf den Boden und sagte kein Wort mehr. Ich wollte es ihm eigentlich nicht erzählen, aber ich konnte nicht anders. Wütend stürmte er aus meinem Zimmer. Er machte sich Sorgen, das wusste ich. Ich nahm mein Handy und schrieb Phil eine Naricht. Ich sollte ihn eigentlich anrufen, aber ich hatte noch nicht einmal auf seine Sms geantwortet in der mir seine Liebe gestand. Nein ich hatte sie noch nicht einmal gelesen. „Er wurde heiß.“ schrieb ich und erhoffte mir eine Antwort, in der er erklärte, warum dies passierte. Ich war froh, dass ich noch drei Tage in Kanada hatte. Hier war ich etwas entfernt von den Problemen in Baxley, auch wenn mich diese langsam auch hier einholten. Ich ging wieder zurück ins Wohnzimmer. Susan schrieb etwas in ein kleines Buch und Johan las Zeitung. Liam hatte sich die Kette genommen und betrachtete sie jetzt genau. „Liam es bringt nichts, es unterscheidet sich nicht von anderen gewöhnlichen Amuletten.“ „Was soll die Inschrift bedeuten: Believe or Die?“ fragte er nachhakend. „Ich weiß es ebenfalls nicht. Ich weiß nicht mehr als du.“ John schaute auf einmal von seiner Zeitung auf. „Was hast du da gerade gesagt?“ „Believe or Die.“ wiederholte sich Liam. Er stand auf und suchte etwas in dem Buchregal, welches mir vorher noch nie aufgefallen war. Er nahm ein altes Buch heraus und gab es mir. „Die Inschrift ist der Titel dieses Buches.“ Tatsächlich es war der selbe. „Ich schenke es dir. Ich habe es damals mal von einem Freund bekommen, aber nie gelesen. „Vielleicht hilft es dir.“ erklärte er. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Es war eine nette Geste von ihm, mit der er mir helfen wollte. Ich bedankte mich. „Eric hat solange an Johan und Ava herum gebettelt, dich bevor du wieder zurück nach Amerika fliegst noch einmal zu sehen und wir haben ausgemacht, dass er morgen zu uns kommt. Dort passt es ihnen am besten, weil sie beide Nachtschicht haben und dann würde Eric hier übernachten. Doch John und ich fahren morgen ja in den Urlaub und dann wärt ihr drei alleine hier. Ist das okay für euch?“ „Ja klar das ist in Ordnung.“ sagte ich. „Ja ja, ist ok.“ antwortete Liam, immer noch vertieft in das Amulett. Ich riss ihm die Kette aus den Händen und legte sie in das Buch hinein. „Hey, warum nimmst du sie mir weg?“ fragte Liam aufgebracht. Ohne darauf zu antworten ging ich hinauf in mein Zimmer. Noch drei Nächte in Kanada. Noch drei Nächte bevor ich Caroline, Lilly und Phil wiedersehe. Drei Nächte in denen so viel passieren kann. Eigentlich hätte ich die Polizei rufen können, wegen Belästigung von Natt. Aber ich war mir sicher, dass es nichts bringen würde. Ich nahm mir vor, wenn ich zurück in Baxley sein werde, ihn zusammen zu scheißen und eine Antwort zu verlangen. Ich freute mich schon darauf, Eric nochmal zu sehen. Aber ob ich es schaffen würde, ihn eine Nacht unter Kontrolle zu halten, bezweifelte ich. Seit dem Unfall von meinen Eltern hatte er diese Störung. Kein Arzt konnte es erklären, oder etwas dagegen unternehmen. Zwar ging er jede Woche zu einer Therapie, aber es half nur bedingt. Ich dachte an Eric. An sein Gesicht. Seine smaragdgrünen Augen. Natt. Ich wollte nicht an ihn denken. Nicht jetzt.

 

„Er schläft in dem Gästezimmer nebenan. Wir haben schon alles vorbereitet. Ich glaube das müsste es sein, ich hoffe es klappt alles.“ erklärte Susan. „Gut. Viel Spaß im Urlaub.“ wünschte ich ihnen. Nachdem sie gegangen waren, zerrte mich Eric am Ärmel. „Zeig mir dein Zimmer.“ sagte er aufgedreht. Wir gingen hinauf. Ich hatte ein Familienbild auf dem Spint stehen. Damals war ich erst zwölf Jahre alt. Als er es sah stockte er kurz. Nahm es dann in seine Hände. „Wer sind die zwei Menschen auf dem Bild?“ Komischerweise hatte ich gar nicht darauf geachtet was er sagte, sondern nur wie er es gesagt hatte. Es klang so normal. Erwachsen. Wie für einen zwölfjährigen angemessen. Obwohl er normalerweise wegen seiner Krankheit wie ein achtjähriger sprach. Erst jetzt realisierte ich, was er gerade gesagt hatte. Erkannte er sie nicht mehr. Oder wollte er es nicht? Onkel Johan hatte auch Bilder von ihnen in seinem Haus hängen und deshalb dachte ich Eric könnte damit umgehen. Ich bemerkte wie Tränen aus meinen Augen kullerten. Wie lange hatte ich schon nicht mehr mit ihm über sie geredet. „Mum und Dad.“ Ich legte einen Arm um seine Schulter und drückte ihn an mich heran. „Mumi und Dadi?“ fragte er. „Ja Mumi und Dadi.“ „Schenkst du es mir. Ich möchte sie malen.“ „Klar, aber nur wenn du mir dein Kunstwerk dann zeigst.“ kicherte ich mit tränenden Augen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich Sophie. Du hast mir bei so viel geholfen und es liebend gerne gelesen

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