Cover

Kapitel 1 - das dritte Auge

"Mammi?", fragte ich meine Mutter mit einer hohen, kindlichen Stimme.

"Was denn, mein Schatz?", gab sie zurück, während sie die Suppe auf dem Herd umrührte.

Ihr rotblondes Haar hatte sie zu einem lockeren Knoten gebunden, sodass nur einzelne Strähnen auf ihre karierte Bluse fielen.

"Wieso steht Onkel Dilan im Wohnzimmer?"

Meine Mutter begann zu röcheln, dann räusperte sie sich und sah mich fragend an.

"Schätzchen? Onkel Dilan ist auf einer langen Reise, wo er für unsere Sicherheit kämpft.", antwortete sie mir nun, doch ihre Stirn war in Falten gelegt.

"Nein. Er steht im Wohnzimmer und er ist verletzt.. Aber er will nicht mit mir reden."

Meine Mutter ließ vor Schreck den Kochlöffel fallen und lief ins Wohnzimmer.

Ich sah ganz genau das ihre Augen den Raum absuchten, bevor sie einen traurigen Ton annahmen.

"April! Hör auf solche Lügengeschichten zu erzählen!", schimpfte sie mit mir.

"Aber Mammi! Er steht immer noch dort am Fenster.", ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht verstehen wie so etwas möglich war.

"HÖR AUF!", schrie sie und drückte ihre Fäuste auf die Ohren.

Gerade als ich etwas erwidern wollte, klingelte unser Telefon.

Ich wartete darauf das meine Mutter abheben würde, doch sie tat es nicht, so ging ich dran.

"Hallooo?", rief ich in den Höhrer.

"Hallo, April Schatz. Hier ist Oma, kann ich mal mit Mama sprechen?", fragte sie und ihre Stimme klang rau.

Ich reichte den Höhrer an meine Mutter weiter und wartete gespannt was meine Oma zu sagen hatte.

Plötzlich begann meine Mutter zu schluchzen und zu weinen. Ich dachte ich hätte etwas falsch gemacht, denn sie sah mich merkwürdig an, doch dann legte sie auf.

Eine lange Weile schwieg sie und um Fassung.

Dann sagte sie: "Dein Onkel Dilan ist heute Nacht gestorben."

Ich sah zu meinem Onkel am Fenster, wie er mich ansah und seinen dreckigen, blutverschmierten Finger an die Lippen drückte..

 

Mein ganzes Leben lang hatte ich Dinge gesehen, die die Meisten für unmöglich hielten.

Ich sah Geister.

Doch sah ich sie nicht nur, ich hörte und spürte sie. Sie waren immer an meiner Seite.

Ich war nicht die einzige aus meiner Familie, die diese "Gabe" besaß, denn meine Großmutter konnte ebenfalls mit Geistern kommunizieren..

Sie war die einzige mit der ich über sowas sprechen konnte, ohne das sie mich für völlig verrückt hielt, doch meine Mutter verbot mir den Kontakt zu ihr, da sie einen "schlechten Einfluss" auf meine Psyche hatte.

In meiner Schule galt ich als Außenseiterin, obwohl sie nicht einmal von dem wussten, was ich sah.

Ich hatte mich von der Außenwelt abgekapselt. Ich wollte niemanden, mit dem ich mich eventuell anfreunden könnte, in solch eine Geschichte mit reinziehen.

Doch wer weiß? Vielleicht ist genau dieser Punkt unvermeidbar?

Vielleicht brauchte ich nur einen richtigen Freund, um zu vergessen?

Mein Name ist April, ich bin 16 Jahre alt und eine Okkultistin.

 

Kapitel 2 - das erste Opfer

 

Ich kramte aus meinem Spinnt mein Buch für die nächste Stunde, einen Block und etwas zu schreiben heraus.

Englische Literatur war eines meiner Lieblingsfächer, bei einem meiner Lieblings-Lehrer Mr. Nightingale.

Er erzählte oft über sein Heimatland, Groß Brittanien, und dabei leuchteten seine Augen wie zwei dunkle Sterne und man merkte ihm so richtig die Freude an.

Fast immer wenn er sprach, hing ich an seinen Lippen, wie Butter auf Brot.

Für einen Lehrer sah er gar nicht schlecht aus.

Dunkle Haare, dunkle Augen und auch sein Kleidungsstil war nicht der schlechteste.

Vor allem aber gab er mir ausgezeichnete Noten, was sich wahrscheinlich ziemlich gut auf meine spätere College-Bewerbung ausübte.

Mit gesenktem Blick lief ich die Gänge entlang, zum Raum 83.

Es war ein schönes, großes Klassenzimmer, in dem ich die meisten meiner Unterrichtsstunden hatte.

Hier fanden nämlich neben Englischer Literatur auch noch Philosophie und der Grammatik-Leistungskurs statt.

Überall an den Wänden hingen Plakate von großen Werken, Schriftstellern, Philosophen und Dichtern, aber auch von schönen Landschaften und Gebäuden.

An der Decke hingen große, matt-gelb-leuchtende Lampen, die den Landschaftsportraits einen verträumten und doch lebendigen Eindruck hinterließen.

Dieser Raum war der einzige in dem ich noch nie einen Geist gesehen oder gehört hatte.

Der einzige Raum in dem ich wirklich abschalten konnte.

Ich setzte mich wie üblich auf den Platz in der ersten Reihe und wartete auf die Ankunft meines Lehrers.

Währenddessen trudelten so langsam die anderen Schüler ein, die dieses Kurs nur gewählt hatten, um einfach gute Noten zu bekommen.

Elena McMillan zum Beispiel war Strohdoof, aber ziemlich beliebt, da sie ein Cheerleader war.

Sarah Binns hatte wahrscheinlich auch nur den IQ eines Toastbrots und hatte genau, wie Elena und Summer Snow (was ein nun wirklich ironischer Name war) diesen Kurs belegt.

Die drei waren aus genau drei Gründen hier:

  1. Gute Noten für wenig Arbeit zu bekommen
  2. Mr. Nightingale und Julian Parkinson anzuhimmeln.
  3. um mich jedes Mal aufs neue zu demütigen.

Jede Stunde aufs Neue durfte ich mir irgendeinen dummen Spruch anhören, die manchmal einfach ihrem IQ entsprachen.

Ich ließ sie einfach links liegen, denn ich konnte sie ja nicht alle umbringen...

Nur ein Spaß, ich würde natürlich niemanden umbringen.. sonst müsste ich sie wahrscheinlich jeden Tag zu Gesicht bekommen.

Allein der Gedanke brachte mich zum Grinsen.

Und kurz nachdem Derreck Fishman, Summer Snows Flamme und Quarterback, hinein kam, betrat auch Mr. Nightingale den Raum.

Wie immer umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen und er räumte seine Tasche aus.

Als er damit fertig war, setzte er sich vorne auf den Lehrerpult und starrte fragend in die Menge.

"Ich möchte erst gar nicht fragen wer die Hausaufgaben nicht hat und deswegen habe ich mir gedacht, dass wir heute einfach mal einen Test über euer Wunschbuch: 'Die Blutlinie' schreiben."

Manchmal fragte ich mich wo die Zeiten geblieben sind, als man noch Hamlet, Sturmhöhe, Stolz und Vorurteil oder auch einfach Dracula gelesen hatte.

Nein, ins diesem Kurs hatten sich die Schüler bei Mr. Nightingale beschwert, sie wollten nicht die alte Literatur durchnehmen..

Darüber hatte er sich nur dahingehend geäußert, das sie sich ein Buch wünschen sollten und wir es durchnehmen.

Dabei konnte ja nichts gutes bei rauskommen und letztendlich hatte er doch selber eins herausgesucht, was sowohl die Dummerchen, als auch solche wie mich ansprach. .

Das genervte Stöhnen hinter mir, wurde zu einem Kratzen von vielen Stiften.

Ich musste nur kurz über das Blatt hinüberschauen und wusste jede Antwort.

Die Fragen waren wirklich einfach und selbst wenn man das Buch nur überflogen hätte, hätte man diese Wissen müssen.

Ich war eine der ersten die Abgab, aber auch nur weil ich nicht wie ein Streber wirken wollte.

Mr. Nightingale zwinkerte mir zu und beugte sich wieder über seine Arbeiten.

Die nächsten Stunden verliefen wie im Flug.

Die letzten beiden Stunden hatte ich Sport.. Mein Hassfach, nicht weil ich unsportlich war - was schon stimmte - sondern weil die ganzen Tussen einen anglotzten, wie einen außerirdischen.

Mr. Jacobson verkündete, dass wir bei diesem Wetter draußen Sport hatten.

Noch schlimmer..

Auf dem äußeren Schulgelände lungerten immer wieder die Geister von verstorbenen Schülern rum.

Manche von ihnen waren so durchgeknallt, dass sie an unserem Unterricht teilnahmen und sich darüber ausließen.. Natürlich hörte sie niemand, außer ich.

Ich hatte das Gefühl, dass sie nicht wussten das sie Tod sind.. oder es einfach nicht wahrhaben wollten.

 

Schon in der Umkleidekabine fühlte ich mich neben den dürren Zicken wie eine Kartoffel.

Ich meine ich hatte kein Übergewicht, aber andere würden das wohl als "gesunde Kurven" bezeichnen.

Ich nannte es einfach nur Bauchspeck.

 

Wieder und wieder lief ich die Runden auf dem Sportplatz.

Ein leichtes frösteln lief über meine Haut und ich sah nahezu an jeder Ecke einen Geist..

Doch irgendwas war komisch an ihnen.

Sie standen alle in eine Richtung gebeugt und starrten in die Sonne..

Es wunderte mich leicht, denn normalerweise trieben sie ihr Unwesen und waren nun ja.. so lebendig wie möglich.

Ich hielt an einem Ende inne und starrte Jodie an. Sie war letztes Jahr mit ihrer Familie bei einem Feuer ums Leben gekommen..

Der einzige der überlebt hatte war Logan, ihr Zwillingsbruder.

Seit dem saß er in irgendeiner Klinik fest, mehr wurde uns nicht gesagt, doch ich konnte ihn verstehen.

Jemanden zu verlieren war kein gutes Gefühl.

Ich sah mich einmal kurz um, dann trat ich einen Schritt auf das Mädchen zu.

"Jodie?", fragte ich, doch meine Stimme klang unsicher.

Langsam drehte sie ihrem Kopf zu mir. Dunkles Haar fiel über ihre Schulter, doch es war vor Hitze schon ganz kraus.

"Alles wird sich ändern. Die Dunkelheit wird kommen. Alles wird sich ändern."

Ich stolperte rücklings und landete auf einem Stück rasen.

Nie zu vor hatte ich einen solch Schrecklichen Anblick gesehen.

Ihre Haut war fleischig und verbrannt und ihre Pupillen waren zurückgedreht.

Ihre Stimme klang nicht normal, sondern eher.. dämonisch.

Keuchend rappelte ich mich auf und rannte fort von ihr.

Die kleinen Härchen auf meinen Armen hatten sich aufgestellt und immer wieder lief ein kalter Schauer über meinen Rücken..

Nein diesen Anblick würde ich so schnell nicht mehr vergessen..

Ich wusste, dass Geister kurz nach ihrem Tod noch aussahen wie in den letzten Lebenden Minuten, doch nach ein paar Tagen veränderte sich ihr Erscheinungsbild und die Spuren des Todes verblassten.

Ich hatte Jodie schon öfters gesehen, doch so sah sie nie aus..

Ich blickte zurück auf die anderen Gestalten und mir stockte der Atem.

Sie alle waren ihrem Todestag so nahe, als würden nur Sekunden vergangen sein.

Keine Sekunde länger hielt ich es auf diesem Sportplatz aus.

Ich entschuldigte mich mit einer Ausrede bei meinem Lehrer und verließ die Schule.

 

Mit zitternden Händen umklammerte ich das Lenkrad.

Was sich vor meinen Augen offenbarte, war schier unmöglich.

Alle Geister dieser Stadt waren.. zu ihrem Todeszeitpunkt zurückgesetzt und starrten in die Sonne.

Ein leichtes raunen ging durch die Menge, doch es waren immer wieder die selben Worte: "Alles wird sich ändern. Die Dunkelheit wird kommen. Alles wird sich ändern."

Auf keinen Fall konnte ich nun nach Hause fahren, also tat ich etwas verbotenes.

Ich fuhr zu meiner Großmutter..

 

Kapitel 3 - die Gabe

 

Während ich fuhr normalisierte sich die Lage schon wieder. Die Geister verschwanden und ich überlegte nicht doch einfach nach Hause zu fahren.

Jedoch sagte mir etwas, dass ich wohl doch zu meiner Oma fahren sollte.

 

Ich bog die Straße hinein und der Knoten in meiner Magengegend wurde zu einem Fels.

Die Tür des alten Hauses stand offen und der Vorgarten war das reinste Chaos.

Scherben, kaputte Gartenzwerge, Stühle und Tische lagen auf dem Rasen verstreut und auch die Blumen waren aus der Erde gerissen.

Ohne groß nachzudenken hielt ich den Wagen an, sprang aus dem Auto und rannte ins Haus.

 

Der Atem blieb mir im Hals stecken, als ich die Küche betrat.

Schranktüren waren weit aufgerissen, Gläser waren durch den Raum katapultiert worden, das Waschbecken lief über und der Gasherd war auf volle Flamme eingestellt.

Ich begann zu keuchen, denn ich wusste nicht das ich angefangen hatte zu rennen.

Ich rannte durch das Haus, suchte nach meiner Grams und hielt im Wohnzimmer an.

Der Tisch war umgeworfen wurden und in dem alten Sofa waren lange Risse.

Auf dem Boden lagen weitere Glassplitter und ein altes Ouija-Brett.

Ich versuchte mich zu beruhigen, auch wenn ich wusste, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte.

Jedes Mal wenn mein Grammy ihr Quija Brett hervorkramte, dann stimmte etwas nicht. Sie wollte dann nicht mit normalen Geistern sprechen, sondern mit den mächtigen.

 

Ich sah auf und plötzlich stand mein Großvater vor mir.

Er deutete mir, dass ich ihm folgen sollte und das tat ich auch.

Mit wackeligen Beinen wies er mich in den Keller.

Trotz meiner Phobie für Keller, zwang ich mich die Treppe hinunter zu gehen und öffnete schwungvoll die Tür.

Erst sah ich gar nichts und dachte, er wäre verrückt, doch dann fiel mein Blick auf das weiße Pentagramm auf dem Boden.

Daneben lag reglos meiner Grams.

Sofort begannen Tränen in meinen Augen zu brennen und ich fiel neben ihr auf die Knie.

Ich schüttelte sie, doch sie zeigte weiterhin keine Regung.

Tränen der Verzweiflung und der Angst ließen mich nicht mehr klar sehen.

Schnell wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Handy, doch dann packte meine Großmutter mich und zog mich nah zu sich.

"Du hast die Gabe, April. Rette uns. Lass uns nicht im Stich.", ertönte eine rasselnde Stimme, die nicht meiner Grams gehörte. Ein kalter Schauer lief durch meinen Körper.

Ich wehrte mich gegen den Griff und fiel nach hinten.

Für einen kurzen Augenblick erhaschte ich noch einen Blick auf ihren verkrümmten Körper und die verdrehten Augen, bevor sie wieder in die reglose Starre fiel.

Ich japste nach Luft, doch wählte mich steifen Fingern den Notruf, der kurz danach auch meine Grams abholte.

Einer der Sanitäter versuchte mich zu beruhigen, während sie meine Gramma zum Transport fertig machten.

Er redete mir gut zu, doch es brachte nichts und das schlimmste war, dass ich nicht einmal mit ins Krankenhaus durfte.

Er meinte ich solle mich erst Mal beruhigen, etwas Ordnung schaffen und dann nach kommen.

Als würde ich mich darauf konzentrieren können.

Ich drehte schnell den Wasserhahn zu, stellte das Gas ab, öffnete ein Fenster und verschwand dann zur Tür hinaus.

Verschiedene Gefühle rollten auf mich ein und ich musste einen erneuten Ausbruch aus Tränen unterdrücken.

Ich setzte mich ins Auto und versuchte ruhig und gedämmt zu fahren, denn es würde nichts bringen, wenn ich jetzt auch noch einen Unfall hätte.

 

Das Krankenhaus war voll, der Wartebereich platzte beinahe und viele sprachen von den mysteriösen Vorkommnissen. Ich erschauderte.

 

Mehrmals ging ich an die Rezeption, um zu fragen wie lange es denn noch dauerte, aber die äußerst gestresste und unfreundliche Tussi sagte immer nur das selbe, in genau dem selben unhöflichen Ton: "Es dauert eben seine Zeit. Wir geben Ihnen schon bescheid."

Blöde Ziege!

 

Ich setzte mich auf einen freien Platz und starrte die kahle Wand an.

Ich hoffte.. nein, ich betete, dass es nicht zu spät war, dass sie einfach aufwachen würde, denn ich brauchte sie. Mehr als ich jeden anderen braucht. Sie war die einzige die mich verstand.

 

Stunden vergingen und der Wartebereich leerte und füllte sich wieder.

Um Zeit totzuschlagen hatte ich begonnen die Menschen zu mustern, doch bei einigen war ich mir nicht Sicher, ob sie überhaupt noch lebendig waren.

Ein Junge zum Beispiel, er war in meinem Alter etwa, war mir besonders aufgefallen.

Er war vermutlich mal schön gewesen, ein Mädchenschwarm der mich wahrscheinlich nicht Mal beachtet hätte, wenn ich nackt rumgelaufen wäre, aber die Spuren seiner Krankheit waren verheerend.

Sein Gesicht war dünn, zusammengefallen und blass, sein nussbraunes Haar hatte jeglichen Glanz verloren und ich vermutete, dass ihm auch bald die Haare ausfallen würden, denn er hing an einem Tropf, den ich von Krebskranken kannte.

Wäre der Tropf nicht gewesen, hätte ich ihn für einen Geist gehalten.

Mitleid baute sich in mir auf und am liebsten hätte ich den Jungen in meinen Arm genommen, obwohl ich körperliche Nähe zu Mitmenschen verachtete.

Es war nicht so, dass ich Angst davor hatte, doch ich wollte einfach nicht von fremden Berührt werden.

 

Ich hatte ganz vergessen, dass ich den Jungen anstarrte, bis er zu mir herüber sah. Seine braun-grünen Augen waren leicht gerötet, so als hätte er geweint, aber vielleicht lag es auch an etwas anderem.

Sein Blick war bohrend und es fehlte nur noch dass er mir den Finger zeigte.

Ich wand meinen Blick schnell ab und starrte an die Wand.

Ich fragte mich ob wohl jeder Typ auf dieser Welt mich hasste.

Nie hatte ich auch nur eine Einladung zu einem Date bekommen, sodass ich weder meinen ersten Kuss, noch sonst irgendwelche Erfahrungen hatte, was an sich aber auch nicht schlimm war.

Ich wollte niemanden in diese kranke Sache mit den Geistern einbeziehen und vor allem wollte ich vor meinem Partner keine Geheimnisse haben. Und DAS wäre unmöglich. Ich meine niemand würde Luftsprünge machen, wenn ich zu ihm gehen würde und sage: "Ach, weißt du schon? Ich kann Geister nicht nur sehen, ich kann sie auch hören und spüren. Super, was?"

 

Doch der Typ beobachtete mich weiter und ich malte mir die wildesten Fantasien aus.

Teilweise lag es wohl auch daran, dass ich endlich Mal erfahren wollte, was es heißt richtig geliebt zu werden.

Von meiner Mutter hatte ich nie richtige Liebe erfahren. Sie hasst was ich bin und glaubt mir und meiner Grams nicht, sodass wir aufgehört haben sie in Dinge einzuweihen.

Mein Vater war fort. Im Krieg verschwunden, doch ich betete, dass er noch am Leben war, denn er war nie als Geist erschienen. Vielleicht hätte er mir geglaubt und mich nicht verleugnet, wie es meine Mutter schon immer getan hatte.

Klar liebte mich meine Großmutter, aber sie hatte meinen Großvater gehabt, bis ihn der Krebs nahm.

Er wusste von ihrer Gabe und hatte sich damit abgefunden, er hatte es sogar locker genommen.

Aber mir würde nie das Glück zuteil werden, so jemanden kennen zu lernen.

Ich wurde allein geboren und würde allein sterben. So war das Leben eben.

 

Ich wartete noch eine halbe Stunde und versuchte meinen Stalker zu ignorieren, als ich dann endlich aufgerufen wurde.

"Miss... Young.", sagte Dr. Cho. Ein kleiner, asiatischer Arzt, der jedoch ziemlich schlau wirkte.

"Ja.", meine Stimme zitterte und ich bekam kaum ein Wort heraus.

"Setzen sie sich, bitte.", meinte er und wies auf einen der weichen Stühle in seinem kleinen Büro, wo nur ein paar Bücher, der Schreibtisch und die Sessel standen.

"Wir vermuten, dass ihre Großmutter.. einen erheblichen Schlaganfall hatte, doch wir müssen noch einige Test durchführen. Ein Epileptischeranfall ist auch nicht auszuschließen. Wissen Sie irgendwelche Allergien oder Vorerkrankungen?", er klang sachlich und kühl und irgendwie bereitete es mir unbehagen.

"Nein, davon wüsste ich nichts.", meinte ich leise, aber zermaterte mir das Hirn.

Ein leises Mhm war zu hören und er kritzelte irgendwas auf einen Zettel.

"Also, ihre Großmutter liegt noch in einer Art Koma, was wir nicht definieren können. Wir hoffen, dass sie bald wieder aufwacht. Ansonsten ist sie stabil und braucht keine lebenserhaltenden Geräte."

Ich nickte nur und fragte dann, ob ich zu ihr könnte. Er überlegte kurz, erlaubte dann aber einen kurzen Besuch.

Ich musste noch etwas förmliches Unterschreiben und dann durfte ich zu ihr.

 

Die Intensivstation sah aus wie ein Grab persönlich.

Überall standen Geräte, die an ihrem zierlichen Händen angeschlossen waren. Schläuche hingen über Maschinen und ich betete erneut, dass sie diese nie benutzen müsse.

Der Anblick ihres schlaffen Körpers war zerstörend.

Ich beugte mich zu ihr hinüber und flüsterte: "Bitte, Gramy. Ich brauche dich. Du kannst nicht gehen."

Tränen liefen über meine Wange und ich unterdrückte es zu einem lebendigen Wasserfall zu werden.

 

Für die restlichen Minuten hatte ich ihre Hand gehalten, dann war eine Krankenschwester gekommen und hatte mich gebeten zu gehen. Sie versicherte mir, falls irgendetwas sein sollte, würden sie anrufen und dann wurde ich beinahe rausgeworfen.

 

Ich hielt meinen Blick gesenkt, als ich den Gang hinunter lief, denn ich wollte nicht das Menschen mich weinen sehen.

Doch das war ein Fehler, denn ich prallte mit dem Kopf gegen jemanden.

Fluchend sah ich auf und sofort schoss mir Blut in den Kopf.

Ich musste natürlich ausgerechnet gegen meinen Stalker rennen, der mich erst verwirrt ansah, dann aber lächelte.

Es sah merkwürdig aus, denn seine Aura strahlte etwas trauriges aus, aber das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte echt.

 

Schnell entschuldigte ich mich und schlängelte mich an den restlichen Menschen vorbei...

Kapitel 4 - Albträume

 

Jeder Mensch ist einzigartig und Perfekt. Auf seine ganz eigene verschrobene Weise. 
Jeder Mensch hat Gefühle, doch können die einen es besser verbergen als die anderen. 
Einige sind vielleicht aufbrausender, doch weiß man, was sie so wütend macht?
Andere sind immer schlecht gelaunt und traurig, doch weiß man, wer ihren Weg passiert hat und ihnen womöglich das Herz brach?
Manche Menschen sind immer glücklich, wer weiß was sie durchlebt haben, um nun zu strahlen, als gebe es kein Morgen.
Jeder Mensch ist in etwas gut. 
Einige sind Handwerklich begabt, manche können gut zeichnen, viele können  vielleicht so einfache Dinge wie anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Vielleicht war die Sache, die ich am besten konnte mit Geistern sprechen und Menschen um mich herum vergraulen? 
Ja, zu etwas anderem war ich kaum fähig.
Ich konnte weder zeichnen, noch Leute zum Lächeln bringen. 
Meine Mutter hasste mich und der einzige Mensch, der mich liebte, lag im Koma. 
Wozu das ganze noch? Wer würde mich in dieser Welt denn noch vermissen? Mein Vater? - Der war seit Jahren verschwunden. Ich hatte niemanden mehr. 
Zu den schleichenden Depressionen kamen noch diese fürchterlichen Albträume. 
Ich träumte von Seelen-fressenden Dämonen (die mich etwas an Dementoren  aus Harry Potter erinnerten, nur das sie mit ihrer knochigen Hand direkt in meinen Brustkorb griffen und mir jegliche Lebenskraft raubten, wodurch ich jedes schreckliche Erlebnis noch einmal durchlebte) und manchmal auch von im Schatten gehüllten Erscheinungen, die aus der Ferne aussahen wie Menschen. 

Tief seufzend betrat ich die Schule.
Erneut eine schreckliche Nacht, in der ich keine Ruhe gefunden hatte.
Dunkle Ringe unter meinen Augen verrieten, dass ich schon länger nicht mehr richtig geschlafen hatte. 
Aber auch ich spürte die Erschöpfung tief in meinen Knochen, ich wünschte nur meine Träume wären hilfreicher, würden mir Antworten geben, denn manchmal schickten mir Geister vorhersagen, doch dieses Mal schienen sie zu schweigen.

Langsam ließ ich den Kopf auf den Tisch sinken und schloss für einen winzigen Moment die Augen und zack! Ich war eingeschlafen. 
Der Traum war verwirrend, wie die anderen, doch schien er eine mächtigere Präsenz zu haben.

Ich saß auf dem Boden. Meine nackten Waden waren nur von einem roten Kleid aus leichtem Stoff bedeckt. Meine Finger gruben sich in die feuchte Erde ein.
Vor mir loderte ein Feuer und beleuchtete sanft die Umgebung. 
Leise sang ich kurze Reime (war die Sprache Latein?) und ich kam mir schon beinahe wie eine Hexe vor. 
Ich wand den Kopf und entdeckte auf einer Steinplatte in der Nähe des Feuers eine Gestalt. Sie lag flach auf dem Rücken und atmete nicht mehr, doch ich verspürte eine Welle der Trauer und der Hoffnung als ich zu ihm herüber sah. 
Als ich aufstand und zu ihm hinüber schwebte, bemerkte ich erst, dass mein geistiges Ich meinen physischen Körper verlassen hatte. 
Ich musterte den Körper genau, doch egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Es war einfach... unscharf. 
Plötzlich wurde es kalt um mich herum und vielleicht auch etwas dunkler.  Das Feuer züngelte wild in den Nachthimmel.
Aufeinmal sprühten aus dem Feuer Funken in alle Richtungen und einer Entzündete die Erde. 
Schockiert beobachtete ich das Schauspiel, bis das kleinere Feuer zu einer dicken Wand wurde, aus dem ein Mann hinaus stieg. Sein Gesicht war merkwürdig, doch irgendwie sah ich es auch nicht richtig.
Er trug einen schwarzen Anzug und seine Haut war sehr blass. 
Ich merkte wie er mein physisches Ich anstarrte, doch mir wurde sofort unwohl und ich hatte das Bedürfnis zu fliehen und zwar sofort!
Ich wollte gerade aufstehen und weg laufen, als Feuer aus dem Boden emporstieg und sich um meine Handgelenke wickelte. Ich spürte den Schmerz durch meinen Körper ziehen, ich schrie vor Schmerzen.. und dann wurde ich etwas unsanft aufgeweckt.
Alle starrten mich an, selbst mein Lehrer. 
Keuchend versuchte ich etwas zu sagen, doch rannte dann lieber aus dem Klassenzimmer, um mich wie fast immer zu verstecken.
Meine Handgelenke schmerzten und tatsächlich waren dicke, rote Verbrennungen zu sehen.
Tränen stiegen mir in die Augen und ich rannte durch die Gänge, bis ich unsanft auf dem Hintern landete.
Ich bemühte mich durch die Tränen jemanden zu erkennen und war ziemlich überrascht, als ich meinen "Stalker" aus dem Krankenhaus erkannte. Dieses Mal lächelte er und meinte: "Also beim dritten Mal gibst du mir einen aus!"
Doch ich konnte nicht anders. Tränen liefen mir über die Wange, ich rappelte mich auf und rannte davon.
Ich hatte nie verstanden was mich an gerade diesem Traum so mitgenommen hatte...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.01.2016

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /