© L. Skorski
Fertig gestellt am: 13.05.2015
Alles ist Eigentum von L. Skorski und darf nur mit Ihrer Erlaubnis verwendet werden.
Die Geschichte ist reine Fantasy und jede Ähnlichkeit mit einer lebenden Person ist reiner Zufall und sagt nichts über diese Person aus. Ebenso jede Ähnlichkeit eines Ortes.
Die flackernden Kerzen warfen tanzende Schatten an die hohen Wände der Halle. Inmitten dieser war ein großes Wasserbecken errichtet worden. Rundherum standen zwei Männer und drei Frauen, gekleidet in blütenweiße Kleider die sich nur durch verschieden farbige Gürtel unterschieden. Sie alle hatten langes, weißes Haar und in ihren Augen war zu sehen, dass sie schon lange lebten.
Selbst in den gleichmäßigen Gesichtern sah man das Alter, obwohl sie eigentlich alterslos aussahen. Gebannt blickten sie auf das ruhige Wasser auf welchem sich ein Bild formte.
Es zeigte eine junge Frau in einem Bett liegend. Sie trug Hose und ein ärmelloses Hemd zum Schlafen, hatte die Decke bis zum Bauch hinauf gezogen und das Haar zu einem dicken Zopf geflochten.
» Was meint ihr? «, fragte einer der zwei Männer mit ruhiger Stimme in der kein einziges Gefühl zu hören war. Er blickte die anderen Vier zweifelnd an, Unsicherheit im Blick und wartete auf ihre Meinungen.
Als erstes sprach eine der Frauen. » Ich spüre, sie trägt Heiliges Blut in sich, auch wenn es nur sehr wenig ist! «
Sie erntete entsetzte Blicke der anderen Anwesenden und doch schien sie an ihrer Meinung nicht zu zweifeln. Der Mann welcher als erstes die Stille durchbrochen hatte fragte nun vorsichtig nach: » Seit Ihr euch ganz sicher Nalani? Wir dürfen auf keinen Fall einen Fehler machen! «
Er bekam von der Frau einen kalten Blick und mit zischenden Worten vertrieb sie seine Zweifel. » Sieh sie dir an. Siehst du nicht, dass sie dieser Verräterin Zara ähnelt. Es ist garantiert ihre Tochter und damit die Richtige! «
Erneut herrschte Stille, sie alle blickten auf die schlafende, junge Frau. Minuten vergingen in denen sie alle ihren Gedanken nachhingen.
Embres, der Mann welcher als erstes gesprochen hatte, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und ging nervös im Kreis. Sein Blick haftete auf dem Boden und noch immer sprach keiner ein Wort. » Es ist zu riskant. Sollte sie nicht Zaras Tochter sein, müssen wir sie töten denn sie darf auf keinen Fall zurück in ihre Welt wenn sie erst einmal hier ist! «
Eine der zwei anderen Frauen hatte diese Worte ausgesprochen und sie waren mit einer Härte gesagt, dass sie keinen Widerspruch zu akzeptieren schien.
Embres und Nalani drehten sich zu ihr und sagten gleichzeitig: » So sei es! «
Während beide das Ritual vorbereiteten, sagte die zweite Frau erneut: » Aber wir müssen uns beeilen. Sollten die Roten Krieger sie vor uns aufsammeln, haben wir keine Chance mehr, sie jemals wieder zu bekommen! «
Einstimmiges Gemurmel erklang und nacheinander verließen sie die Halle um alle Vorbereitungen zu treffen.
So sah keiner von ihnen, wie sich aus dem Schatten einer der Säulen eine Gestalt löste. Sie war komplett in Rot gekleidet und trug eine weite Kapuze, die alles unter sich versteckte. Mit lautlosen Schritten ging sie zu dem Wasserbecken und erhaschte einen Blick auf das Bild der Frau.
Im nächsten Moment erklang ein leises Geräusch, nicht laut genug um vernommen zu werden, und schon wurde aus der Gestalt ein Rabe.
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich in die Lüfte und verließ die große Halle mit dem Wissen, was die fünf Götter vorhatten und der Aufgabe, es an die Roten Ritter weiterzugeben um der jungen Frau das Leben zu retten. Wie sie es einst Göttin Zara retteten, als sie des Verrates beschuldigt wurde.
Eile war geboten denn jede Sekunde zählte von nun an. Wer das Mädchen zuerst aufsammelte, entschied über ihr Schicksal und das war das Einzige was zählte.
Müde kletterte Mila aus ihrem Bett und streckte sich erst einmal ausgiebig. Es kam ihr vor als hätte sie viel zu kurz geschlafen, obwohl sie relativ früh ins Bett gegangen war. Zumindest für ihre Verhältnisse war es früh gewesen.
In ihrem Zimmer stand noch immer die Staffelei mit der unfertigen Zeichnung. Doch Mila würdigte dieser keinen einzigen Blick, denn sie wollte sich nicht schon wieder mit ihr auseinander setzen. Das laute Knurren ihres Magens veranlasste sie dazu, die Küche aufzusuchen um sich ein Brot zu schmieren.
Draußen war es noch dunkel, was an den schwarzen Gewitterwolken lag, welche sich gebildet hatten. Die Regentropfen trommelten an die Fensterscheiben und Mila schauderte es bei dem Gedanken daran, heute hinaus zu gehen.
Leider musste sie hinaus, der Wocheneinkauf stand auf dem Programm und sie wollte ihren Vater ihm Pflegeheim besuchen. Er war noch nicht sehr alt, doch nach einem schlimmen Unfall war er nie genesen, deshalb brauchte er rund um die Uhr Pflege. Pflege die Mila ihm bei sich nicht zukommen lassen konnte. Er wäre tagsüber allein in ihrer Wohnung, da war selbst jedes Pflegeheim besser. Die Besuche im Pflegeheim war keine schöne Zeit, dennoch ging Mila jede Woche für ein paar Stunden dort hin.
Nach dem Tod ihrer Mutter, vor knapp sechzehn Jahren, war ihr Vater nie mehr der Selbe gewesen. Es war nur eine Frage der Zeit bis er unaufmerksam Auto fuhr und einen Unfall baute. Zum Glück war niemand außer ihm selbst verletzt worden.
Dafür hatte es ihn sehr schwer getroffen und Mila war froh, damals nicht auch in diesem Auto gesessen zu sein. Denn laut Polizei, hätte der Beifahrer diesen Zusammenprall mit dem Baum nicht überlebt.
Um sich von diesen trüben Gedanken abzulenken stiefelte Mila ins Badezimmer um sich frisch zu machen. Der Dusche würdigte sie ebenfalls keinen Blick. Erst gestern Abend war sie duschen gewesen und unnötig Wasser verbrauchen wollte sie auch nicht.
Im Spiegel sah sie sich selbst und hasste diesen Anblick sofort. Immer wenn sie sich sah erinnerte sie sich an ihre Mutter. Denn sie war ein Ebenbild ihrer Mutter.
Wahrscheinlich hatte dieser Grund auch zu dem Absturz ihres Vaters geführt. Er musste jeden Tag lang, viele Jahre, ihren Anblick ertragen mit dem Wissen, seine Frau war gestorben.
Schnell putzte Mila sich die Zähne und kämmte ihre Haare durch um sie erneut zu einem Zopf zu flechten. Ließe sie sie offen würden sie in alle Richtungen abstehen und sich wie verrückt locken. Und das wollte sie auf gar keinen Fall.
Die Badezimmertür schmiss sie hinter sich zu und war erleichtert, ihrem Spiegelbild entkommen zu sein. Nur in diesem Raum hing ein Spiegel, ansonsten hatte Mila alle abmontiert. Alleine die paar Minuten im Badezimmer brachten sie dazu, fast zu weinen.
An ihre Mutter hat sie kaum noch Erinnerungen. Mit vier Jahren war sie auch verdammt jung gewesen als ihre Mutter gestorben war. Und an die Zeit vor dem Unfall erinnerte Mila sich nur schwer.
Nur Fotos blieben ihr, Fotos und die Erzählungen ihres Vaters und ihrer Großeltern die mittlerweile ebenfalls tot waren.
Die Wohnung kam Mila plötzlich sehr leer und kalt vor weshalb sie sich schnell wärmere Sachen anzog um nach draußen zu gehen.
Sie beschloss, erst einmal zu ihrem Vater zu gehen und danach den Wocheneinkauf zu erledigen. Denn das würde eindeutig schneller gehen und sie nicht dazu zwingen, zwischendurch noch einmal nach Hause zu gehen. Deshalb war die Entscheidung schnell gefallen und Mila beeilte sich, ihren Regenmantel anzuziehen. Einen Regenschirm würde sie nicht mitnehmen, die Kapuze reichte ihr bestimmt.
Außerdem gab es genügend Vordächer unter denen sie gehen konnte. Denn ihre Wohnung lag nicht weit von der Stadtmitte entfernt und das Pflegeheim war auch nicht weit. Tatsächlich war es draußen bitterkalt und der Regen wurde vom Wind in ihr Gesicht gepeitscht.
Mila zog die Schultern an und lief mit gebücktem Kopf den Gehweg entlang. Sie begegnete kaum jemanden und wenn waren es Leute mit Einkaufstaschen. Warum sollte man bei solch einem Wetter auch freiwillig einen Fuß vor die Türe setzen? Wenn es nach Mila ging, würde sie auch nicht hier draußen herumlaufen, aber ihr blieb keine Wahl.
Schlecht gelaunt stapfte sie durch die Straßen, den Blick gesenkt und unaufmerksam. Die wenigen Stunden Schlaf zerrten noch immer an ihren Kräften und sie war morgens generell muffiger wie am Nachmittag. Eine ihrer Eigenarten, mit denen alle Bekannten zurechtkamen, denn wenn sie dies nicht taten, hielt die Freundschaft mit Mila auch nicht lange.
Der Regen war so stark geworden, dass Mila kaum noch etwas sah. Den Weg zum Pflegeheim kannte sie fast auswendig weshalb sie ihre Augen eigentlich auch nicht benötigte. Aber wenn man halb blind durch die Stadt lief, war dies nicht gerade ungefährlich.
Nur noch fünf Häuserblöcke von ihrem Ziel entfernt passierte es dann.
Mila war am Straßenrand stehen geblieben und hatte mehrmals geschaut ob ein Auto kommt oder nicht und erst als sie sich sicher war, dass keines kam, war sie losgegangen.
Ein lautes Hupen veranlasste Mila dazu, ihren Kopf zu heben und geradewegs einen LKW zu erblicken. Die Scheinwerfer waren grell und im Regenschleier brannte das Licht in ihren Augen. Wie versteinert stand sie mitten auf der Straße, nicht fähig sich zu bewegen.
Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr ganzer Körper angespannt, übersäht mit einer Gänsehaut vor lauter Angst.
Doch es war zu spät. Mila sah wie der Fahrer hektische Handzeichen machte, sie bestimmt dazu bewegen wollte zur Seite zu springen, aber sie konnte nichts unternehmen.
Kurz bevor sie die Stoßstange des LKWs tatsächlich berührte schloss sie die Augen. Der Schmerz welcher nun folgte, war schlimmer als alles was sie jemals gefühlt hatte.
Tausend Lichter explodierten vor ihren Augen und es gab keine Stelle an ihrem Körper die nicht schmerzte.
Eine erlösende Ohnmacht blieb aus und Mila war dazu verdonnert, weiterhin alles zu spüren.
Plötzlich war die Dunkelheit fort und sie sah ein verstörendes Bild.
Unter ihr lag eine junge Frau auf der Straße, umzingelt von Polizisten, Feuerwehrmännern und Sanitätern. Einer dieser Sanitäter versuchte die junge Frau zu reanimieren, doch scheinbar schien es nicht zu funktionieren.
Mila brauchte einen Moment bis sie realisierte, dass sie diese junge Frau dort unten war. Der LKW, welcher so plötzlich gekommen war, parkte seitlich, während der Fahrer von einem anderen Sanitäter betreut wurde. Der ältere Mann war ganz weiß im Gesicht und zitterte am ganzen Körper. Am liebsten wäre Mila zu ihm gegangen und hätte sich für ihre Unachtsamkeit entschuldigt. Sicherlich musste es schlimm für diesen Mann sein, zu wissen, dass man jemanden überfahren hatte. Ihr grauste es vor diesem Gedanken und doch war sie schuld daran.
Mila musste mit ansehen, wie der Sanitäter, der sie belebte, immer weiter machte, ohne großen Erfolg. Eine scheinbare Ewigkeit dauerte es bis ein Hubschrauber landete und ein Team mit Notarzt zu der Unfallstelle kam. Mila konnte mitansehen wie man ihr verschiedene Spritzen gab und sie mit Geräten verband die sie am Leben erhalten sollten.
» Sie liegt im Koma, aber ihr Zustand ist sehr kritisch! «, hörte sie den Notarzt sagen und dann wurde ihr lebloser Körper zum Hubschrauber gebracht der dann nur zwei Minuten später erhob und davon flog.
Das Bild des Unfallortes verschwamm vor Milas Augen und plötzlich fand sie sich in einem großen Raum wieder der nur von ein paar Kerzenständern erhellt wurde.
Ein alter Schaukelstuhl und eine Kommode waren das Einzige was sich darin befand. Neugierig und ohne die leiseste Angst zu verspüren ging Mila zu dieser Kommode.
Staunend fiel ihr auf, dass eine dünne Eisschicht dieses Möbelstück überzog. Fasziniert von dieser glatten, schimmernden Fläche wollte sie diese mit den Fingerspitzen berühren als eine klare, bekannte Stimme sie davon abhielt: » Das würde ich lieber unterlassen! «
Erschrocken, denn Mila hatte niemanden kommen hören, drehte sie sich um. Nur wenige Augenblicke benötigten ihre Augen um die vor ihr stehende Frau zu erkennen.
» Mum? «, fragte Mila gleichzeitig entsetzt und verwirrt. Am liebsten hätte Mila sich selbst gezwickt, nur um sicher zu gehen, dass sie nicht träumte. Das alles hier war so unlogisch und unglaubwürdig, auch wenn es doch geschah.
» Hab keine Angst mein kleiner Schatz. Du bist nicht tot. Jedenfalls noch nicht ganz, auch wenn du sehr nahe dran bist zu sterben! «, lächelte ihre Mutter und ging langsam, als hätte sie große Schmerzen, zu dem Schaukelstuhl und setzte sich darauf nieder.
» Komm zu mir mein Schatz! «, bat Milas Mutter welcher der jungen Frau in diesem Augenblick so zerbrechlich und alt vorkam. Dennoch tat sie, was Zara, ihre Mutter, sie gebeten hatte und setzte sich vor ihr im Schneidersitz auf den kalten Boden.
Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen begann Zara leicht vor und zurück zu wippen. Nur das leise Ächzen des Stuhles war zu hören, ansonsten war es totenstill.
Mila traute sich erst nach unendlich langen Minuten zu sprechen: » Wo bin ich hier und wieso bist du hier? «
Ihre Stimme war leise und verwirrt, wie sie sich nun mal fühlte. Zara schenkte ihrer Tochter einen mitfühlenden Blick und legte dann die Fingerspitzen aneinander während sie auf einen undefinierbaren Punkt im Raum schaute. » Du bist hier in einem Himmelsraum. Einst wurden diese Räume geschaffen um jene Liebenden zu vereinen von denen einer gestorben war. Doch nun habe ich diesen Raum genutzt um dich zu mir zu holen. Du warst damals noch so klein und unschuldig, ich brachte es einfach nicht übers Herz, dir die Wahrheit zu erzählen weshalb ich gehen musste! «
Mila schnaubte leise und murrte: » Das kommt ein bisschen spät. Sechzehn verdammte Jahre musste ich ohne Mutter aufwachsen und dann erzählst du mir so einen Schwachsinn? Wahrscheinlich bin ich schon längst tot und das hier ist ein Traum! «
Zara lachte bitter und plötzlich klang ihre Stimme viel lauter und kälter: » Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich für dich und deinen Vater alles aufgegeben habe. Doch ich musste dich hier her holen denn ich muss dich dringend warnen Mila. Man versucht dich dafür verantwortlich zu machen was ich einst tat. Versprich mir, egal was passiert, vertrau niemanden außer den Roten Kriegern! «
Die junge Frau war zusammen gezuckt als ihre Mutter erneut das Wort erhoben hatte. Mit den gesprochenen Worten wusste sie nichts anzufangen, dass alles verwirrte sie nur noch mehr.
» Ich verspreche es, auch wenn ich nicht weiß wovon du redest! «, flüsterte Mila dann mit fester Stimme, auch wenn sie innerlich total unsicher war. Zara lächelte liebevoll und flüsterte ebenso leise: » Wenn du auf einen Rote Krieger triffst, bitte ihn, dich zu Aynur zu bringen! «
Mila nickte leicht und wischte sich schnell über die Augen damit ihre Mutter die Tränen nicht sah. Sie wollte sich diese Blöße nicht geben, aber nun wo sie alles langsam realisierte, konnte sie nicht anders. Sechzehn Jahre hatte sie so oft gehofft, ihre Mutter eines Tages wieder zu sehen, und nun war es soweit.
Zara erhob sich aus ihren Stuhl und gleichzeitig stand auch Mila auf. Es war, als würde Mila ein Spiegelbild ihrer selbst sehen, nur viele Jahre älter und mit anderer Augenfarbe.
In wenigen Augenblicken standen sie dicht voreinander und schlossen sich in die Arme. Mila konnte ein leises Schluchzen nicht mehr unterdrücken und Tränen liefen ihr über die Wangen. Doch es war ihr weder peinlich noch bekam sie es wirklich mit.
Es zählte viel mehr das große Glücksgefühl welches sie verspürte. Zara ging es ebenfalls so, sie hatte Tränen in den Augen und presste den Körper ihrer Tochter an sich als wollte sie eins mit ihr werden.
» Ich liebe dich mein Schatz, das darfst du niemals vergessen! «, hörte Mila noch das liebevolle Flüstern an ihrem Ohr und dann war ihre Mutter verschwunden.
Langsam löste sich der Raum vor ihr auf und doch interessierte es sie gar nicht mehr. Die plötzliche Leere und Kälte welche sie umfingen ließen Mila frösteln und noch trauriger werden.
Sie würde jetzt alles dafür geben, ihren Vater zu umarmen oder wenigstens bei ihm zu sein. Auch wenn sie ihre Mutter sehr vermisst hatte, ihr Vater hatte ihr alles gegeben was sie gebraucht hatte. Er hatte seine Wünsche und Bedürfnisse an sie angepasst und nun war er es, der alleine war und nicht Mila.
Wieder liefen Tränen über ihre Wangen. Doch dieses Mal aus Wut auf sich selbst. Sie sank zu Boden und rollte sich dort zusammen um so klein wie möglich zu werden. Schluchzer kamen über ihre Lippen und Müdigkeit erfasste sie urplötzlich und ohne dass sie es wirklich bestimmen oder verhindern konnte schlief sie ein.
Langsam kam Mila zu sich. Sie spürte noch immer starke Schmerzen in ihrem ganzen Körper, auch wenn sie nun wesentlich dumpfer waren wie zuvor. Außerdem spürte sie, dass sie auf etwas relativ weichen lag und auch ein paar Stimmen konnte sie hören.
Aber die Kraft, die Augen zu öffnen, brachte sie noch nicht auf. Zuerst einmal erinnerte sie sich an ihren verrückten Traum letzte Nacht.
Etwas anderes konnte es gar nicht sein, denn ihre Mutter war tot und so etwas wie das was passiert war, war nicht real.
Mila versuchte ihre Hand zu bewegen um sich eine kitzelnde Haarsträhne aus der Stirn zu wischen, aber sie schaffte es einfach nicht einen einzigen Körperteil zu rühren. Angst kroch in ihr auf und verzweifelt startete sie einen erneuten Versuch sich zu bewegen. Noch immer passierte nichts, außer dass sich das Gefühl der Panik verschlimmerte.
» Sie scheint zu erwachen! «, hörte Mila eine kratzig, raue Stimme sprechen. Aus welcher Richtung sie kam, konnte Mila nicht einordnen. Wieder versuchte sie ihre Augenlider zu heben und dieses Mal gelang es ihr sogar ein Stück.
Nur kurz, denn das grelle Licht direkt über ihr zwang sie, die Augen schleunigst wieder zu schließen. Aber es hatte gereicht um zu erkennen, dass ein Blätterdach über ihr ausgebreitet war. Entweder sie träumte noch oder es gab ein Krankenhauszimmer dessen Decke so angemalt war.
» Sieht so aus! «, erklang nun noch eine zweite Stimme die jetzt eindeutig von rechts kam. Mila hätte gerne etwas gefragt aber kein Ton kam über ihre Lippen. Ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an und selbst das Schlucken bereitete ihr leichte Schmerzen.
» Hohl etwas Wasser, sie scheint eine trockene Kehle zu haben! «, sprach nun wieder die zweite Stimme und augenblicklich entfernten sich hastige Schritte die gleich darauf wiederkamen.
Etwas klapperte und dann fühlte Mila wie jemand eine Hand an ihren Nacken legte und ihren Kopf ein wenig anhob. Dann setzte etwas aus Holz an ihren Lippen an und kühles Wasser floss ihre Kehle hinunter.
Gierig trank Mila Schluck um Schluck, so lange bis man ihr die Schale wegnahm. » Nicht so hastig, dir schmerzt nachher nur der Magen! «, sagte man zu ihr und Mila gab der Person die gesprochen hatte widerwillig Recht.
Jetzt wo ihre Kehle nicht mehr so trocken war flüsterte sie rau und wahrscheinlich viel zu leise: » Wo bin ich? «
Es wurde still um sie herum und verzweifelt versuchte sie ihre Augen ein zweites Mal zu öffnen. Auch dieses Mal gelang es ihr und da das Licht nicht mehr so grell war, verschärfte sich ihre Sicht langsam.
Zwei Gestalten schoben sich in ihr Sichtfeld. Die rechte sah aus wie ein alter Mann dessen Gesicht faltig war und dessen Haut einen seltsamen Grauton besaß. Das linke Wesen konnte Mila nicht zuordnen.
Es hatte lila Haut und viel zu lange Ohren, fast wie ein Esel, an deren Spitzen ein Buschel weiße Haare wuchs. Auch die Augen waren unnatürlich groß und fast ganz weiß, was aussah, als wäre das Wesen blind.
So konzentrierte sich Mila viel lieber auf den Mann der schon viel menschlicher aussah und ihr daher weniger Angst machte.
» Im Wald von Perisu! «, antwortete er ihr und am liebsten hätte Mila laut aufgestöhnte. Diese Information brachte ihr nicht sonderlich viel. Ihre Mimik zeigte diesen Gedanken denn der Mann sprach schnell weiter: » Er liegt südlich von der Heiligen Stadt die nur zwei Tagesritte von hier entfernt ist! «
Mila blinzelte und versucht sich aufzusetzen was ihr mit Hilfe des alten Mannes auch gelang. Sie lag auf einem Haufen Moos und tatsächlich in einem Wald. » Ich meinte, mit Wo bin ich, wo dieser Wald und diese Stadt sind. Ich kenne diese Namen nicht, sind wir hier irgendwo in der Nähe vom Äquator? «
Jetzt war es an dem Mann und dem seltsamen Wesen sie entgeistert anzublicken. Scheinbar wussten die beiden ebenso wenig wo der Äquator war wie Mila, wo dieser Wald lag.
Das seltsame Wesen räusperte sich und meinte dann: » Du bist ihr in Jacaran. So nennt man diese Welt hier, in der wir leben! « Mila konnte nicht anders wie sich kräftig in den Unterarm zu zwicken. Aber der gewünschte Effekt des Aufwachens blieb aus, dafür kam nur neuer Schmerz hinzu.
Wieder erntete sie seltsame Blicke des Mannes und des Wesens, aber um die kümmerte sie sich nicht. » Das geht aber nicht. Ich war gerade noch auf der Erde, meiner Welt, und kann unmöglich hier her gekommen sein! «, man konnte ihr anhören, wie verzweifelt sie war.
Während das lila Wesen sie verwirrt anblickte, blitze in den Augen des alten Mannes eine Art Erkenntnis auf.
» Du kommst ganz sicher von der Erde? «, fragte er nach und schien selbst noch nicht ganz überzeugt zu sein. Mila verdrehte daraufhin die Augen und murmelte sarkastisch: » Nein, vom Mars! «
Stille legte sich über die Drei und alle hingen sie ihren Gedanken nach. Bis der Mann wieder das Wort erhob: » Nun gut. Wir fanden dich vor gut drei Tagen und hatten schon fest geglaubt, du würdest sterben. Aber jetzt, wo du aufgewacht bist, sollten wir dich vielleicht in die Heilige Stadt bringen, der Rat der Alten weiß bestimmt was zu tun ist! «
In diesem Moment fiel Mila ein, was ihre Mutter gesagt hatte. Hastig fragte sie: » Seit ihr die Roten Krieger? «
Das lila Wesen schaute sie an als hätte Mila gerade eben gefragt, ob die Sonne blau war. Der Mann jedoch antwortete ihr ruhig, wie schon die ganze Zeit: » Nein. Wir sind nicht die Richtigen um als Rote Krieger zu agieren. Aber willst du zu ihnen? Dann können wir dich dorthin bringen wo du sie finden wirst! «
Was blieb Mila auch anderes übrig wie diesem Mann zu glauben? Sie kannte hier niemanden und auch auskennen tat sie sich nicht. Und wenn die beiden die Roten Krieger wirklich kannten, waren sie ja auch Vertrauenspersonen, zumindest sah Mila das so.
» Ich heiße Mila! «, stellte sie sich nun vor und reichte dem Mann die Hand. Dieser blickte zuerst auf die ihm dargebotenen Hand und dann schien er zu begreifen und ergriff sie. » Herzlich Willkommen hier bei uns Mila. Ich heiße Dirkan und das ist Sonil! «, lächelte er und deutete schließlich auf das lilafarbene Wesen.
Dieses verbeugte sich leicht bei der Nennung seines Namens und Mila zauberte dieser ungewohnte Anblick ein Lächeln ins Gesicht.
Vorsichtig versuchte Mila aufzustehen und sie war selbst erstaunt, als es beim ersten Mal gleich funktionierte. Dirkan schien jederzeit bereit zu sein sie aufzufangen sollten ihre Beine ihren Dienst versagen.
Sonil war kleiner als Mila zuerst gedacht hatte, ging er ihr, nun wo sie stand, gerade einmal kurz über die Hüfte. Dennoch schien Sonil kein Problem mit seiner Größe zu haben und er sah auch nicht so aus als wäre er noch ein Kind und würde großartig wachsen.
» Und zu welcher Rasse gehörst du, wenn ich fragen darf? «, richtete sie ihr Wort an Sonil der breit zu grinsen anfing. » Ich denke, so jemanden wie mich hast du vorher auch noch nie gesehen in deiner Welt?! «
Mila nickte einfach nur weshalb Sonil fortfuhr: » Ich bin einer der wenigen Kuurk die es noch in Jacaran gibt. Früher gab es von unserem Volk eine große Anzahl, aber seit man Jagd auf uns macht, haben sich viele in den Bergen verkrochen oder sind geflohen. Nur noch ein paar, so wie ich, trauen sich unter die anderen Völker! «
Mit einem nachsichtigen Lächeln hatte Mila den Worten Sonils gelauscht und Mitleid kam in ihr auf. Es musste grausam sein, wenn Jagd auf das eigene Volk gemacht wurde. Und sie hoffte, sich den Namen des Volkes, zu welchem Sonil gehörte, zu merken.
Sicherlich würde sie noch einiges neues erfahren, da war sie sich sicher. Dirkan folgte den beiden und Mila staunte nicht schlecht als sie die zwei riesigen Nashörner sah welche scheinbar als Reittiere genutzt wurden.
» Was ist das? «, fragte sie erschrocken als sie registrierte, dass diese Tiere sechs anstatt vier Beine hatten. Sonil lächelte sie an und erklärte mit einer Tonlage, als sei es das Selbstverständlichste überhaupt: » Das sind Wyorse, man bändigte sie einst weil man auf ihnen schnell und bequem vorwärts kommt! «
Mila nickte überfordert und ohne das sie es wirklich mitbekam fragte sie: » Und wieso reitet ihr nicht einfach auf Pferden? «
Jetzt war es an Dirkan laut aufzulachen was Milas Verwirrtheit nur noch verschlimmert. Zu dem Gefühl der Hilflosigkeit gesellte sich noch Kopfschmerz, was Mila sehr ungelegen kam. Sie blickte Dirkan fragend an und er brachte unter ungläubigen Gelächter heraus: » Pferde sind nur etwas für Könige oder die ImmortaI! «
Mila nickte erneut überfordert und versuchte gar nicht erst zu verstehen, wer mit den Königen oder den Immortal gemeint war. Sonil kletterte flink auf eines der Wyorse und hielt Mila die Hand hin als könnte er sie hinaufziehen.
» Ich soll wirklich auf so ein Ding klettern? «, fragte sie skeptisch und ging automatisch einen Schritt zurück. Doch Dirkan, der hinter ihr stand, verhinderte ihre Flucht und antwortete amüsiert: » Sonst brauchen wir zu lange nach Erarg, der Stadt der Roten Krieger! « Erneut nickte Mila einfach und versuchte dann umständlich hinter Sonil hinauf zu klettern. Mit einigen Startschwierigkeiten kam sie schließlich auf dem riesigen Tier zum Sitzen. Erstaunt bemerkte Mila, wie weich und warm die Haut des Wyorses war, gar nicht wie sie es sich vorgestellt hatte.
» Festhalten! «, rief Sonil noch bevor er dem Tier ein Zeichen gab welches daraufhin loslief. Mila konnte gerade noch nach dem kleinen Körper vor sich greifen sonst wäre sie hinunter gefallen. Das Tier bewegte sich erstaunlich flink und kein bisschen so laut und schwerfällig wie sie zuerst gedacht hatte.
Dirkan ließ sein Wyorse neben dem von Sonil und Mila laufen und da viel der jungen Frau auf, dass das Tier sich tatsächlich bewegte als würde es fliegen.
Der warme Sommerwind umspielte sie und begleitete ihren Weg durch den Wald. Die rotgelben Blätter wisperten im Wind und es kam Mila vor, als würden sie beobachtete. Als sie Dirkan darauf ansprach gab er ihr keine Antwort doch Mila kam es so vor, als wüsste er ganz genau, wer sie da beobachtete.
Nachzufragen traute sie sich dann doch nicht weshalb auch sie schwieg, was sie für das Schlauste hielt. Stunden vergingen in denen sie nichts taten als durch diesen Wald zu reiten der so verdammt groß wirkte, das Mila längst die Orientierung verloren hatte.
» Sind wir auch auf dem richtigen Weg? «, fragte sie als es ihr langsam so vorkam als ritten sie im Kreis. Dirkan und Sonil schwiegen, schienen sie gar nicht zu hören, sondern trieben die Wyorse nur vorwärts.
Mila blickte sich neugierig um und konnte immer öfter Blicke auf sich spüren, jedoch ohne jemanden zu entdecken.
Irgendwann, der Tag neigte sich dem Ende entgegen, sprach endlich Dirkan zu ihr: » Wir sind nicht mehr weit von Erarg entfernt! «
Mit dieser Information wusste Mila nicht sehr viel anzufangen aber sie bezog es einfach darauf, dass das die Erklärung war, wieso sie beobachtet wurden.
Das Rauschen eines Flusses wurde langsam lauter und verwundert erkannte Mila, dass sich zu ihrer rechten ein reißender Fluss seinen Weg durch den Wald bahnte. Das Wasser schimmerte silbern und sie konnte Fische entdecken die mit der Strömung schwammen. Die Wyorse wurden langsamer und blieben schließlich ganz stehen.
Dirkan hatte sich aufgerichtet und betrachtete die Umgebung ganz genau, bis er ganz plötzlich rief: » Schnell, zieh dir das hier über! «
Im selben Moment schmiss er einen langen Umhang zu Mila welche ihn fast nicht fangen konnte. Gerade noch so ergriffen ihre Finger den Stoff und sie streifte sich den dunklen Umhang über. Auch die Kapuze setzte sie sich auf, selbst wenn sie den Sinn nicht ganz verstand. Sonil hatte sich auch aufgesetzt und schien angespannt zu sein.
Ängstlich blickte Mila sich um und konnte dann plötzlich Gestalten in den Baumkronen erkennen. Sie trugen Blutrote Umhänge die sich fast nicht von der Farbe der Rinde abhoben – Mila merkte erst jetzt, dass die Rinde der Bäume ungewohnt rot war - an welche sie gelehnt standen.
» Was wollt ihr hier? «, rief eine laute, dröhnende Stimme dessen Ursprung Mila nicht bestimmen konnte. Denn plötzlich waren sie umzingelt von den Gestalten. Und da viel es Mila wie Schuppen von den Augen.
Das waren die Roten Krieger.
Sie war dort, wo ihre Mutter sie hingeschickt hatte. Auch wenn sie es nicht verstand, war sie froh, endlich hier zu sein. Denn scheinbar sollte sie hier bei diesen Leuten in Sicherheit sein. Solange diese sie nicht töteten.
» Sie wollte hier her gebracht werden! «, antwortet Dirkan dem anzuhören war, dass auch er Angst hatte. Sonil schwieg, zitterte jedoch am ganzen Körper.
Eine der Gestalten sprang aus einem der Bäume und landete nur wenige Schritte vor den Wyorse und deren Reitern.
Sie trat vor jenes mit Mila und schlug die Kapuze zurück. Ein Mann, deren Gesicht mit Narben übersäht war, stand vor ihr. Mila schluckte schwer als sie in die hasserfüllten Augen blickte welche unter einem silbernen Helm hervorblitzen.
» Zeigt euer Gesicht! «, befahl der Mann harsch und Mila konnte sich diesem Befehlston nicht widersetzen. Ohne ihr eigenes Zutun glitt die Kapuze von ihrem Kopf und offenbarte ihren Anblick.
Im selben Moment konnte sie sehen wie sich das Gesicht des Mannes vor Staunen und Unglauben verzog, die Augen sich weiteten und er flüsterte: » Das ist unmöglich! «
Milas Hände begannen zu zittern und sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte weshalb sie beschloss, den Mund zu halten. Jetzt sprangen nämlich auch noch die anderen Männer von den Bäumen. Keiner von ihnen war so übel zugerichtet wie jener mit den vielen Narben und doch schienen sie alle schlimmes durchgemacht zu haben.
Nacheinander starrten sie Mila an, welche immer kleiner wurde und nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte.
» Kommt mit Herrin! «, bat sie der vernarbte Mann und deutete zwischen die Bäume wo Mila mit großer Konzentration einen Höhleneingang entdecken konnte.
Wieso man sie plötzlich mit Herrin anredete, hatte sie noch nicht verstanden aber es gab so vieles was sie dermaßen verwirrte, dass sie daran keinen weiteren Gedanken verschwendete.
Fast gleichzeitig mit ihr stiegen auch Sonil und Dirkan ab, welchen jedoch sofort von zwei Männern der Weg versperrt wurde. » Ihr habt kein Recht Erarg zu betreten! «, herrschte der vernarbte Mann die beiden an.
Mila zuckte bei dieser Kälte in der Stimme zusammen und trat neben ihre zwei Lebensretter. » Sie retteten mein Leben und kommen mit, sonst gehe ich nicht mit! «
Ihre Stimme war selbstsicherer wie Mila sich in Wahrheit fühlte aber sie würde niemals zugeben, wie schwer es ihr viel, sich gegen den Mann zu behaupten.
Dieser verzog unwillig das Gesicht und ein animalisches Knurren kam über seine Lippen. Dennoch vollführte er eine Handbewegung worauf die anderen beiden zurücktraten. Sonil eilte sofort zu Mila und griff nach ihrer Hand. Ein zweites Mal erinnerte der Kleine sie an ein Kind das Schutz suchte.
Dirkan wischte sich Schweiß von der Stirn und trat an ihre andere Seite. » Danke! «, flüsterte er heißer und schien es ehrlich zu meinen. Mila schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und folgte dem vernarbten Mann schließlich in Richtung des Höhleneinganges.
» Wie heißt ihr? «, fragte sie und blickte neugierig zu dem Mann. Dieser drehte sich um und meinte offen und doch gefühlsleer: » Vor langer Zeit trug ich den Namen Tolin, doch nun nennt man mich Narbengesicht! «
Mila murmelte leise: » Komischer Name! « Sie stellte es sich grausam vor, Narbengesicht genannt zu werden, egal wie man aussah. Das grenzte stark an Mobbing, denn das war unmenschlich und sollte verboten werden.
So folgten sie Narbengesicht bis zur Höhle, die von herabhängendem Efeu halbwegs verdeckt war. Bevor sie jedoch in die Dunkelheit traten nahm Narbengesicht eine Fackel von einem der Männer entgegen und entfachte sie.
Sofort erhellte der Feuerschein die Dunkelheit und vor ihnen öffnete sich ein breiter Gang der unendlich weit zu gehen schien.
Mila bekam eine Gänsehaut und festigte automatisch den Griff um Sonils Hand der ihn sofort erwiderte. Auch er schien Angst zu haben, was sie irgendwie beruhigte, denn immerhin war sie nicht die Einzige der es nicht ganz geheuer war.
Dirkan griff nun ebenfalls nach ihrer Hand, doch er schien sich wesentlich wohler zu fühlen wie Mila und Sonil. Irgendwie übertrug sich seine Ruhe auf Mila und dadurch auch auf Sonil.
So fiel es allen leichter, Narbengesicht ins Ungewisse zu folgen.
Lange Zeit gingen sie diesen Gang entlang ohne ein Ende zu erblicken und ohne zu wissen, wie weit sie schon gegangen waren.
Keiner sprach etwas und so hörte man nur das Echo ihrer Schritte von den Steinwänden wiederhallen. Als die Fackel fast heruntergebrannt war entdeckte Mila einen Lichtschimmer vor ihnen.
Je näher sie diesem kamen desto mehr konnte man erkennen. Der Höhlenausgang war groß und offenbarte den Blick auf eine Stadt.
Sie schien in den Berg gebaut worden zu sein, denn viele der Häuser verschwanden einfach im Felsen. Die Wege waren schmal und überfüllt von Menschen.
Sogar ein paar von Sonils Volk konnte Mila entdecken, auch wenn sie zwischen den ganzen Menschen gar nicht so auffielen. Auch vereinzelt konnte man Kinder entdecken die munter durch die Stadt liefen, auf der Suche nach neuen Abenteuern.
Mila konnte nicht verhindern, dass sie diese Stadt voller Faszination betrachtete. Es musste Jahre dauern um so etwas aufzubauen und dafür zu sorgen, dass man hier leben konnte. Den Menschen ging es scheinbar gut, denn sie sahen nicht danach aus, als hätten sie große Sorgen.
Narbengesicht ging zielstrebig auf ein Haus zu das mit das Einzige aus Holz war und nicht in die Felswand gebaut worden war.
» Ich bringe euch jetzt zu unseren Anführer, er weiß sicher was zu tun ist! «, erklärte er und öffnete die Tür mit einem kräftigen Stoß. Dann deutete er Mila, Sonil und Dirkan mit einer Handbewegung einzutreten.
Hier war es düsterer und nur wenig Tageslicht drang durch den dicken Stoff der die Fenster verdeckte. In mitten des Raumes, auf einem kleinen Podest, stand ein Holzstuhl mit so einer Feinheit erstellt, wie es Mila noch nie gesehen hatte.
Auf ihm saß ein Mann der lange Kleider trug und dessen Gesicht man nicht erkennen konnte. » Es ist also wahr! «, waren seine ersten Worte als die drei Reisenden vor ihm standen und zu ihm aufblickten.
Mila versuchte etwas zu erkennen aber ihr gelang es einfach nicht, zu sehen wo sich die Augen des Mannes befanden. Seine Stimme war leise und melodisch, fast als singe er und nicht als würde er sprechen.
» Mach dir keine Mühe Mila, du wirst nichts finden! «, lachte er plötzlich und ertappt senkte Mila ihren Blick. Wieso der Mann ihren Namen kannte wusste sie nicht, aber er schien ebenso wenig Böse zu sein wie Sonil, Dirkan oder Narbengesicht. Zumindest nicht Böse ihr gegenüber.
Gerade als Mila den Mut aufbrachte, eine Frage zu stellen, sprach auch schon der Unbekannte weiter: » Du bist weit gereist Mila, um hier zu sein und ich bin sicher, deine Mutter hat dich schon getroffen?! «
Mit Verwunderung im Gesicht nickte Mila überfordert und wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Woher wusste dieser Mann so viel, woher kannte er ihre Mutter und wieso war sie hier? Diese Fragen brannten auf ihrer Seele und sie wollte endlich eine Antwort, endlich Gewissheit.
» Komm mit mir, Kind des Lichtes! «, bat sie der Unbekannte und wie von einem unsichtbaren Band angezogen folgte sie ihm tatsächlich. Er führte sie um den Stuhl herum, geradewegs auf eine offene Flügeltür zu welche Mila erst jetzt entdeckte.
War sie vorher auch schon da gewesen? Eigentlich hatte Mila nichts außer den Stuhl im Raum sehen können.
Der Mann war größer wie sie und keinesfalls so stämmig wie Narbengesicht oder Dirkan sondern viel schmaler. Seine Kleidung war so lang, dass sie hinter ihm auf den Boden nachschliff. Mila konnte nur ihre eigenen Schritte hören und das Rascheln seiner Kleidung, seine Schritte jedoch waren zu leise für ihre Ohren.
Der Raum, in welchen sie gingen, war nicht sehr groß und doch von einer Schönheit wie Mila es noch nie gesehen hatte.
Überall standen Stauten aus Gold und Silber die Lebewesen darstellten, die Mila noch nie gesehen hatte. Große Schalen, mit Feuer gefüllt, erhellten den Raum und brachten die Statuen zum Leuchten.
Der Boden war mit einem roten Teppich bedeckt, auf welchem es sich anfühlte als schwebe man, wenn man hinüber ging. Der Unbekannte führte sie durch eine Reihe der Statuen, geradewegs auf die Größte von ihnen zu.
Mila folgte ihm einfach, konnte ihren Blick jedoch nicht lange davon abhalten, die Statuen zu ihrer Rechten und Linken zu mustern. Wer auch immer sie geschaffen hatte, hatte großes Talent und viel Fingerspitzengefühl.
» Hier, das ist die Statue deiner Mutter! «, verkündete der Mann und deutete mit einer ausschweifenden Handgeste auf die weiße Statue vor Mila. Tatsächlich konnte sie ihre Mutter und sich selbst in dieser Statue erkennen.
Alles wirkte so echt, als stünde Zara direkt vor ihr und würde sie anlächeln. » Wie kann das sein? «, fragte Mila und ging langsam auf die Staute ihrer Mutter zu um sie zu berühren. Es kam ihr vor, als erklinge die Stimme des Unbekannten von weiter Ferne zu ihr: » Zara ist die Göttin des Lebens und des Lichtes. Vor vielen Jahren verließ sie Jacaran wegen einem einfachen Menschen der zufällig hier gelandet war. Keiner konnte voraussehen, dass sie sich in diesen Mann verliebten würde. Um bei ihm bleiben, und das ungeborene Kind austragen zu können musste sie die mächtigste Waffe der Götter stehlen. Den Seelenstein. Nur mit diesem gelang es ihr, Jacaran für alle Ewigkeit den Rücken zu kehren! «
Wie in Trance lauschte Mila der Erzählung, nicht bereit, dass alles zu glauben. Nichts machte mehr Sinn, das alles verwirrte sie sehr und sie wollte nur mehr zurück, zurück in ihre eigene, heile Welt.
» Meine Mutter sagte mir, ich solle die Roten Krieger nach Aynur fragen. «, murmelte Mila und blickte fragend zu dem Unbekannten. Schon wieder fiel das Licht so, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, was sicherlich kein Zufall war. Was verbarg der Fremde, dass man ihn nicht sehen durfte?
Plötzlich stand der Gesichtslose dicht hinter ihr und seine Stimme erklang leise neben ihrem Ohr: » Nach Aynur? Seid ihr euch sicher? «
Verwirrt wollte Mila sich umdrehen um den Mann ins Gesicht zu schauen, doch sie konnte noch immer nichts erkennen außer Dunkelheit. » Ja bin ich mir! «, ihre Stimme zitterte leicht, vor Erschöpfung und vor allem wegen dem, was bisher geschehen war.
» Es ist, glaube ich, besser wenn du dich eine Weile hinlegst und ausruhst. Ich bin mir sicher, mit Beginn eines neuen Tages fühlst du dich besser und kannst mehr verstehen wie jetzt! «
Gegen ihren Willen musste Mila dem Unbekannten zustimmen. Sie fühlte sich tatsächlich überfordert und übermüdet. Es wäre sicherlich das Beste und Klügste, sich eine Weile schlafen zu legen.
Vielleicht war tatsächlich alles nur ein Traum und sie wachte nachher in ihrem eigenen Bett auf.
Der Unbekannte führte sie wieder zurück in den Raum mit dem Stuhl welcher jetzt leer war. Gerade als Mila nachfragen wollte, wo Sonil und Dirkan waren, betrat eine ältere Frau den Raum und verbeugte sich vor ihr: » Mir wurde befohlen, Euch auf Euer Zimmer zu bringen Herrin! «
Mila wollte sich zu dem Unbekannten umdrehen um sich zu verabschieden aber er war wie vom Erdboden verschluckt.
Noch verwirrter nickte sie der Frau zu und folgte ihr in die Stadt. Man warf Mila Blicke der Verwunderung und des Misstrauens zu, doch keiner stellte sich ihr in den Weg oder sprach sie an.
Immer wenn sie einem Blick begegnete, wandte dieser seinen eigenen ab und schaute betreten zu Boden.
Mila wurde in eines der Häuser geführt und war erstaunt, wie warm und hell es im Inneren war. Von außen hatte sie angenommen, ohne Kerzenlicht wäre es hier Stockdunkel sodass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte.
Die Frau brachte sie in ein riesiges Schlafzimmer in dem ein Bett stand, von dem Mila nur träumen konnte. Den Namen Himmelbett verdiente das Monstrum gar nicht und sobald die Tür hinter ihr geschlossen war, konnte sie nicht anders wie sich auf das Bett zu werfen.
Es war weich und roch nach Rosen. Nur mit Müh und Not schaffte es Mila ihre Schuhe und ihre Jacke auszuziehen.
Jetzt erst bemerkte sie, dass sie noch immer ihre eigenen Klamotten trug. Wahrscheinlich hatte man sie auch deshalb so seltsam angeschaut.
Müde und zu schwach, um die Augen länger offen zu halten, sank Mila zurück in die Kissen und drehte sich zur Seite um sich zusammenzurollen.
Nur so konnte sie einschlafen, so war es immer gewesen und würde es wahrscheinlich immer sein.
Mila war seit einigen Stunden wach doch sie brachte nicht genügend Kraft dazu auf, sich endlich zu erheben. Außerdem wusste sie nicht einmal, wohin sie gehen sollte. Demnach hielt sie es für das Schlauste, einfach abzuwarten, bis jemand sie holen kam. Sollte das nicht der Fall sein, würde sie eben im Bett bleiben.
Von der Möglichkeit nicht abgeneigt war sie mehrmals kurz davor gewesen, erneut einzuschlafen. Das Bett war weich und gar nicht so, wie ihr eigenes Zuhause. Dorthin wünschte sie sich zurück, zurück in ihr altes Leben. Egal wie langweilig und schwierig es gewesen war, es war auf jeden Fall besser wie das alles hier.
» Seid Ihr wach Herrin? «, hörte sie eine Frauenstimme durch die Tür dringen und ihr blieb nichts anders übrig, wie zu bejahen.
Sofort trat ein junges Mädchen, etwa in ihrem Alter, ein und verbeugte sich eilig. » Verzeiht, aber man bat mich, Euch beim Anziehen zu helfen und Euch schließlich in den Speisesaal zu bringen! «, erklärte sie Mila mit einem freundlichen Lächeln.
Die junge Frau nickte nur und schwang die Beine aus dem Bett. Ihre Klamotten stanken bestimmt schon längst und passten eindeutig nicht zu dieser Zeit in der sie sich befand. Gemeinsam mit der Hilfe der anderen Frau schaffte Mila es, sich tatsächlich in eines der Kleider zu zwängen.
Dieses passte wie angegossen und Mila befürchtete, es war sogar etwas zu eng, aber größere Kleider hatte man hier nicht. Entweder alle Frauen waren verdammt dünn und klein, oder sie einfach zu groß und dick.
Das Kleid an sich gefiel Mila sehr, es war goldgelb und ging ihr nur bis zu den Knöcheln sodass sie nicht darüber stolpern konnte. Der Ausschnitt war nicht zu tief und offenbarte nicht zu viel. Außerdem fühlte sich der Stoff eigenartig, aber gut auf der Haut an.
Er war ungewöhnlich dünn und Mila hoffte, darin nicht zu frieren. Die Dienerin hatte Mila das Haar noch zurecht gemacht und mit dem Gesamtbild zufrieden, brachte sie Mila schließlich in den Speisesaal.
Dort war schon einiges los, jedoch beachtete man sie kaum was Mila beruhigte. Scheinbar hatten die Menschen vergessen, was gestern gewesen war, oder man erkannte sie einfach nicht mehr. Sonil und Dirkan saßen mit Narbengesicht an einem der kleineren Tische und als die Frau Mila zu ihnen führte, hellten sich Sonils und Dirkans Gesichter sofort auf.
» Guten Morgen Mila! «, begrüßte Dirkan sie und rutschte zur Seite sodass sie einen Platz auf der Bank fand.
Auf dem Tisch stand allerlei zu essen und scheinbar füllten sich die Schalen von selbst sobald sie leer waren. Die Lautstärke war enorm und das Gelächter übertönte alles andere. Auch Dirkan, Sonil und Mila hatten es lustig, zumindest solang bis Narbengesicht seine Stimme erhob und meinte: » Der Anführer will Euch nachher sprechen
Herrin! «
Und dann erhob er sich und verschwand durch eine Seitentür nach draußen. Mila blickte ihm verwundert hinterher und konnte seine Handlung nicht ganz verstehen.
Sonil zupfte so lange an ihrem Ärmel bis sie ihm die gewünschte Aufmerksamkeit zukommen ließ. » Weißt du wer ihm das angetan hat? «, fragte er und bezog sich da selbstverständlich auf Narbengesicht. Mila zuckte mit den Schultern und darauf flüsterte Sonil: » Aynur! «
Entsetzt schnappte Mila nach Luft und schaute Sonil mit großen Augen an. Wieso sollte sie zu Aynur gehen, wenn er anscheinend böse war?
Doch darauf bekam sie keine Antwort und um genau zu sein wollte sie auch keine bekommen. So ging sie nach dem Essen zu dem Holzhaus in welchem der Anführer, dessen Namen sie noch immer nicht kannte, zu finden war.
Gerade als sie eingetreten war, hörte sie auch schon seine Stimme:
» Hast du gut geschlafen Mila? « Sie zuckte vor Schreck zusammen, fing sich doch relativ schnell und antwortete dann freundlich: » Ja sehr gut. Danke für Eure Gastfreundschaft! «
Sie lächelte leicht und schritt näher an den Stuhl heran auf welchem der Gesichtslose saß und ihr entgegenschaute.
Einen Moment war es still bis der Anführer wieder sprach: » Dir lastet eine Frage auf der Seele. Willst du sie mir stellen? « Mila blickte überrascht auf und senkte dann den Blick schnell wieder. Sie wurde leicht rot und murmelte leise: » Ich weiß nicht, ob es in Ordnung ist, wenn ich sie stelle! «
Schließlich ging es in dieser Frage um jemand anderen, nicht nur um sie selbst.
Ein leichtes Lachen signalisierte ihr, dass es in Ordnung wäre und so fasst sie etwas Mut und fragte: » Wieso hat Aynur Narbengesicht so zugerichtet? «
Das Lachen brach abrupt ab und gespenstische Stille senkte sich über sie. Mila blickte wieder auf den Boden und schämte sich augenblicklich für diese Frage.
Es wäre besser gewesen, wenn sie die Klappe gehalten hätte, da war sie sich plötzlich sehr sicher.
Die Stimme des Mannes war nun leise und bedacht: » Weißt du, oftmals lassen wir uns zu Taten hinreißen, die wir mit klarem Kopf niemals tun würden. Narbengesicht tat einst etwas, was ihm zum Verhängnis wurde. Er griff an, was Aynur mit seinem Leben schützte, und so verletzte er Narbengesicht, um den Tod eines Unschuldigen zu verhindern! «
Mila nickte leicht und ballte ihre Hände zu Fäusten als sie eine neue Frage stellte: » Wieso wollte meine Mutter, dass ich zu Aynur komme? Was bringt mir das? «
Der Gesichtslose schwieg wieder und irgendwann kam es Mila vor, als würde sie niemals eine Antwort erhalten.
» Er kann dir als Einziger helfen, in deine Welt zurückzukehren, denn er half einst deiner Mutter! «
Überrascht blickte Mila in die Richtung aus der die Stimme kam doch der Gesichtslose war nicht zu finden. Da auch keine Geräusche mehr kamen, nahm sie an, alleine im Raum zu stehen. Etwas sauer, einfach so versetzt worden zu sein, stapfte sie aus dem Raum und stieß beinahe mit Narbengesicht zusammen.
» Da seid ihr ja! Der Anführer hat mir befohlen, Euch in die Heilige Stadt zu begleiten um nach Aynur zu suchen! «, knurrte er und sah keines Falls begeistert aus. Mila nickte leicht und ließ sich breitwillig in ihr Gemach zurückbringen wo sie sich für die Reise richtete.
Eine Dienerin half ihr, ein paar Kleider einzupacken und diese führte sie schließlich auch wieder hinunter wo sie auf Dirkan und Sonil traf.
Beide waren ebenfalls für eine Reise gekleidet und sahen aufgeregt aus. Verwundert blickte Mila sie an und hob fragend eine Augenbraue. Doch keiner gab ihr eine Antwort denn drei
Wyorse wurden zu ihnen geführt.
Narbengesicht saß bereits auf einem und herrschte sie ungeduldig an:
» Aufsteigen! «
Mila zuckte zusammen und befolgte den Befehl sofort. Sie und Sonil teilten sich wieder ein Wyorse was kein Problem darstellte.
Und so begann ihre nächste Reise, auf die Mila sich nicht wirklich freute aber die sie unbedingt unternehmen musste.
Was sie erwartete, konnte sie nicht sagen und sie hatte auch keine Vorstellungen dazu, doch eines wusste sie.
Sie musste unbedingt in ihre eigene Welt zurück um für ihren Vater dazu sein und um wieder glücklich zu werden.
Die Sonne erreichte ihren Höchststand als sie eine kurze Rast einlegten. Mila kam es so vor als hätte es Narbengesicht wirklich eilig in die Heilige Stadt zu kommen. Vielleicht hoffte er, je schneller sie dort waren, desto schneller war er wieder zuhause. Mila hatte schon leichten Muskelkater in den Beinen da sie es nicht gewohnt war, auf so etwas wie einem Wyorse zu reiten. Auch bei sich in ihrer Welt war sie nie geritten, außer einmal auf einem Jahrmarkt auf so kleinen Ponys. Sonil und Dirkan hatten anscheinend nicht dieselben Probleme, ebenso wenig wie Narbengesicht.
Die Rast war nur kurz, Narbengesicht trieb sie zur Eile. Mila konnte das immer noch nicht ganz verstehen, schließlich befanden sie sich immer noch in dem unendlich großen Wald wo sie auch auf Dirkan und Sonil getroffen war. Hier wirkte alles ruhig und friedvoll, keinesfalls so als müsste man sich beeilen.
Aber Mila kannte sich in diesem Wald nicht aus und wusste nicht, welche Gefahren er barg. Sie hüllten sich komplett in Schweigen und außer dem schweren Atem der Wyorse war es ruhig. Jedes Geräusch welches man normalerweise in einem Wald vernahm, konnte man einfach nicht hören und das fiel auch Mila auf. Verwundert blickte sie sich um und dann konnte sie plötzlich mehrere rote Augenpaare im Unterholz erkennen.
Zuerst war sie sich dessen nicht sicher aber als dann auch noch ein schauriges Heulen erklang, wusste sie, dass es sich dabei um Wölfe handelte. Wölfe mit großem Hunger und die ihre Beute bereits auserwählt hatten. Narbengesicht schaute zu den drei anderen und meinte dann mit ruhiger Stimme: » Egal was passiert, wir dürfen uns auf keinen Fall trennen und haltet die Wyorse zurück denn wenn sie ausbrechen kommen wir hier nie raus! « Mila bewunderte den Mann für seine Ruhe, sie könnte in dieser Situation nicht so ruhig sein und klar denken.
» Was sollen wir machen? «, fragte Sonil noch einmal nach, dessen Stimme zitterte und dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Narbengesicht brummte etwas Unverständliches und meinte dann auch leicht panisch: » Hoffen, dass wir ganz schnell Hilfe bekommen! «
In diesem Moment erklang hinter ihnen ein erneutes Heulen und dann kamen die Wölfe aus dem Unterholz gesprungen. Es waren riesige Tiere, fast so groß wie ein Pony, mit Blutroten Augen und messerscharfen Zähnen.
Sobald sie den Weg hinter ihnen versperrten gerieten auch die Wyorse in Panik. Sie stampften auf den Boden sodass dieser bebte und auch ihre Reiter wurden bei diese Bewegungen durchgeschüttelt.
Mila war sich plötzlich ganz sicher, dass sie ihre Wahl der Reittiere hätten überdenken müssen. Wenn so ein riesiges, massiges Ding außer Kontrolle geriet, war es schwerer es zu bändigen wie wenn sie ein normales Pferd genommen hätten.
Das Wyorse auf welchem Sonil und Mila saßen nutzte als erstes seinen Fluchtinstinkt und galoppierte los. Nur mit Müh und Not gelang es den beiden sich auf dem Rücken des Tieres zu halten. Wenn Mila gedacht hätte, Wyorse waren leise Tiere, hatte sie sich mächtig getäuscht. Den Lärm welchen die drei in Panik geratenen Tiere verursachten war fast laut genug um die Wölfe wieder zu verjagen.
» Folgt mir! «, schrie Narbengesicht, dem es gelang sein Wyorse etwas in Schach zu halten und dadurch zu lenken. Der Weg war leider nicht mehr gerade sondern wurde immer schmaler und kurviger. Entweder waren sie vom Weg abgekommen oder Narbengesicht wusste was er tat. Bald konnten die Wyorse nicht mehr nebeneinander laufen sondern nur noch hintereinander. Ein Gerangel entstand, welches zuerst lief, denn die Wölfe waren ihnen sehr nahe.
Mila klammert sich an Sonil fest und versuchte, nicht runter zu fallen. Auch die Umgebung änderte sie je länger die Tiere so schnell liefen. Aus den Laubbäumen wurden Nadelbäumen und der Wald selbst wurde immer düsterer. Rechts von ihnen fiel der Weg steil ab und endete in einem tiefen Flussbett. Links gab es außer eng stehenden Tannen nichts und so konnten sie nicht einmal vom Weg abkommen und den Wölfen so entkommen.
Dann passierte es. Dirkan passte einen Moment nicht auf und da kam sein Wyorse ins Stolpern. Der Mann konnte gerade noch rechtzeitig von dem Tier abspringen bevor dieses mit lautem Gebrüll den Hang hinunterrutschte. Mila schaute weg und kniff die Augen zusammen um das ja nicht mitansehen zu müssen.
Leider konnte sie ihre Ohren nicht verschließen und so musste sie mitanhören wie das Tier unter qualvollen Tönen im Fluss ertrank. Die Wölfe waren klug genug um den Weg nicht zu nehmen und verschwanden wieder im Wald. Gespenstische Stille senkte sich über die vier Reisenden und Milas Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Narbengesicht war es der die Stille durchbrach: » Wir müssen uns dennoch beeilen. Ihr könnt mit mir reiten! « Er reichte Dirkan die Hand welche dieser mit grimmiger Miene packte und sich hochziehen ließ.
Anhand von Sonils zitterndem Körper wusste Mila, dass nicht nur sie Angst hatte. Denn wenn der Laubwald schon komisch auf sie gewirkt hatte, wirkte der dunkle Nadelwald noch angsteinflößender.
Um nicht noch eines der Wyorse zu verlieren ließen sie diese ganz langsam gehen und achteten auf jeden ihrer Schritte. Dementsprechend kamen sie auch langsam voran und erst als es bereits seit einigen Stunden Dunkel war fanden sie einen geeigneten Rastplatz.
Es war eine Kreisrunde Lichtung die direkt an den Weg grenzte. Schnell hatte Narbengesicht ein Feuer gezaubert und das Gepäck von den Wyorsen durchforstet um nützliche Dinge zu finden. Zwar erhellte der Feuerschein die Lichtung doch die Dunkelheit um sie herum konnte er nicht vertreiben.
Mila kam es nicht nur einmal so vor als beobachtete man sie. Aber da sie wusste, dass Wölfe Angst vor Feuer hatten, hoffte sie, dass kein weiterer Angriff stattfinden würde. » Ich übernehme die
Nachtwache! «, meinte Narbengesicht der sein Schwert gezückt und es sich am Feuer bequem gemacht hatte.
Sonil, Dirkan und Mila legten sich dicht aneinander auf die mitgenommenen Decken und während Sonils und Dirkans Atem schnell gleichmäßig ging, konnte Mila einfach nicht einschlafen.
Eine Weile betrachtete sie das Sternenbild über sich und stellte verwundert fest, dass es dieselben Sternenbilder gab wie in ihrer Welt. Als ihr das zu langweilig wurde betrachtete sie Narbengesicht der jedoch kein einziges Mal zu ihr blickte.
Und so passierte es, dass Mila irgendwann einfach die Augen zufielen und sie einschlief ohne es groß zu bemerken.
Das Aufwachen war für Mila alles andere als angenehm. Ihr ganzer Körper schmerzte und sie glaubte, ihre Beine nicht mehr spüren zu können. Dennoch wollte sie die anderen damit weder nerven noch belasten weshalb ich schwieg und dankbar den Wasserschlauch entgegen nahm den Dirkan ihr reichte.
Narbengesicht ließ ihnen nicht lange Zeit aufzuwachen sondern scheuchte sie schnell auf die Beine. » Wie lange dauert es denn bis wir in der Heiligen Stadt sind? «, fragte Mila nach den ersten Stunden welchen sie wieder auf den Rücken der Wyorse verbracht hatten. Narbengesicht war es der ihr antwortete: » Wir reiten nicht dorthin! «
Entsetztes Luftschnappen war die Antwort darauf. Mila blickte verwirrt zu Narbengesicht doch sie erhielt keine Antwort. Es war Dirkan, denn dieser hielt das Wyorse, auf welchem er mit Narbengesicht ritt, an und fragte skeptisch: » Man hat uns versichert, in die Heilige Stadt gebracht zu werden um von dort weiterzuziehen. Jetzt bringt uns dort hin! «
Sonil nickte eifrig und hielt nun ebenfalls an. Narbengesicht machte ein sehr unwilliges Gesicht und meinte: » Im Moment steht Milas Sicherheit im Vordergrund. Die Götter haben ihre Boten bereits losgeschickt und diese sind in der Heiligen Stadt um dort auf sie zu warten. Deshalb müssen wir woanders anfangen zu suchen! «
Mila gab es auf, weiter darüber nachzudenken was da gesagt wurde und so blieb sie still. Narbengesicht hatte Befehle denen er folgen musste. Dirkan und Sonil waren damit jedoch nicht einverstanden: » Ihr könnt die Pläne nicht einfach ändern. Was, wenn wir Aynur nirgends finden? Wo sind wir dann in Sicherheit? «
Ein hitziges Streitgespräch entstand zwischen Narbengesicht und Dirkan. Sie schrien nicht nur sehr laut, sie verwendeten auch sehr böse Schimpfwörter füreinander. Mila seufzte irgendwann und schrie so laut sie konnte: » Ruhe! «
Die beiden Streithähne blickten sie so verwundert an das Mila die Chance sofort nutzte und meinte: » Ich muss doch eh diesen Seelenstein finden um in meine Welt zurückzukommen. Das heißt wir brauchen Aynur gar nicht, wir gehen einfach zu einem dieser Boten und dann bringt der uns zu den Göttern! «
Mila wollte damit erreichen, dass sie schnell nach Hause kam und die anderen zufrieden waren. Aber was sie erreichte war etwas ganz anderes. Denn ohne einen Moment zu zögern meinten beide Männer gleichzeitig: » Das kannst du vergessen. So machen wir das auf keinen Fall! «
Aus dem Streitgespräch wurde ein ruhiges Gespräch in dem Pläne geschmiedet und verworfen wurden. Mila und Sonil saßen verwundert und teils gelangweilt auf ihrem Wyorse und starrten in der Gegend herum.
Irgendwann wurde es Sonil so langweilig das er hinunter sprang und Mila mit einer Handbewegung zu verstehen gab, mitzukommen. Unbemerkt von Dirkan und Narbengesicht entfernten sie sich von ihnen und spazierten im Wald herum.
So aus der Nähe wirkte er für Mila gar nicht mehr angsteinflößend und auch nicht so düster wie sie gedacht hatte. Zwischen den ganzen Tannen roch es wunderbar nach Moos, Wald Tannenduft.
Tief durchatmend blieb Mila stehen und schloss die Augen. Und plötzlich konnte sie die Geräusche des Waldes hören. Das Knacken im Unterholz wenn sich ein Tier vorsichtig bewegte, das Gurgeln eines Baches in ihrer Nähe und den Wind wie er die Baumwipfel umspielte.
» Schau mal! «, es war Sonils erstaunter Ausruf der Mila aus ihrer entspannten Haltung riss. Noch etwas orientierungslos blinzelte sie und blickte Richtung Boden um Sonil in die Augen blicken zu können.
» Hm? «, fragte sie neugierig und lächelte ihn leicht an. Sie war gerade so erfüllt von Frieden und Ruhe das sie am Liebsten einfach weiter träumen würde. Sonil packte sie an ihrer Hand und zerrte sie hinter sich her. Mila blieb gar nichts andere übrig als ihm zu folgen.
Sie stolperten einigen Minuten durch den Wald wobei Mila über mehrere Wurzeln stolperte bis Sonil endlich stehen blieb.
Mila blickte sich um, um das Interessante zu entdecken was er ihr zeigen wollte doch ihr fiel nicht viel auf. Gerade als sie fragen wollte, was genau Sonil ihr zeigen wollte blieb ihr Blick an einem Baum hängen.
Eigentlich war an diesem Baum nichts wirklich ungewöhnliches, wenn man einmal von der Tatsache absah, dass diese Tanne bis auf die Wurzeln aus der Erde gerissen worden war und nun in den Ästen der nebenbei stehenden Bäumen hing.
Selbst das wäre kein Grund, diesen Baum so interessant zu finden. Aber die Unterarmlangen Kratzspuren am Stamm waren es. Mehr als neugierig ging Mila zu diesem Baum und legte ihre Finger auf die drei Kratzspuren. Sie waren tief und etwas Blut klebte in ihnen. » Was ist das? «, fragte sie Sonil der neben sie getreten war.
Er antwortete leise und bedächtig: » Mich interessiert es viel mehr, wer das war. « Nickend gab sie ihm Recht und als sie gerade etwas erwidern wollte dröhnte eine Stimme hinter ihr: » Erfahren werdet Ihr es auch
nie! «
Erschrocken drehten sich Sonil und Mila um. Sie blickten in eine hässliche Fratze die zu einem riesigen Monster gehörte wie es Mila noch nie gesehen hatte. Dabei fiel ihr auf, dass drei weitere der Monster um sie herum standen.
Sonil war vor Schreck hochgesprungen und hatte sich an Milas Bein gekrallt und murmelte nun entsetzt: » Orks! « Mila erschauderte es bei dem Klang dieser Bezeichnung. Diese Monster hatten also auch noch eine passende Rassenbezeichnung.
Die schweren Waffen welche die Orks bei sich trugen wirkten unzerstörbar und Mila bekam leichte Panik. Was sollten sie denn jetzt machen? Wahrscheinlich waren Narbengesicht und Dirkan noch immer am Pläne schmieden und hatten ihre Abwesenheit noch gar nicht bemerkt. Sonil zitterte immer mehr und steckte Mila damit an.
Die Orks hoben ihre Schwerter und gingen auf die beiden zu. Mila überlegte fieberhaft wie sie aus dieser Situation entkommen konnten ohne zu sterben oder sich ernsthaft zu verletzten.
» Tut mir Leid Mila! «, flüsterte Sonil und blickte so treuherzig zu Mila hoch, das sie ihm einfach nicht böse sein konnte. Deshalb schüttelte sie nur den Kopf und versuchte sich an einem kleinen Lächeln, was ihr nicht ganz gelang.
Ein leises Knacken hinter den Orks weckte Milas Aufmerksamkeit und ihr Blick wanderte zwischen den Bäumen hin und her, fand aber nichts. Wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein, das Ganze. Jedoch erklang erneut dieses Knacken, wie wenn jemand auf einen Ast trat.
Doch zum vorigen Knacken gab es einen entscheidenden Unterschied, auch die Orks hörten es und wendeten ihre Köpfe.
In diesem Moment spürte Mila etwas Dünnes was sich um ihre Fußgelenke legte und mit einem starken Ruck wurden ihre Beine nach hinten gezogen. Gerade noch rechtzeitig konnte sie die Arme vor das Gesicht schlagen, da knallte sie schon auf den Boden. Ein ächzendes Stöhnen neben ihr sagte ihr, dass auch Sonil zu Boden gezogen worden war.
Der Waldboden war keineswegs weich und so war es auch nicht verwunderlich, dass sie keinen Halt fand als sie die Finger in die Erde grub. Einige ihrer Finger schürfte sie sich sogar auf, sodass sie blutig wurden.
Die dünnen Dinger um ihre Gelenke schnitten in die Haut ein und brannten fürchterlich, außerdem zerrten sie mit erstaunlicher Kraft an ihr. Mila traute sich zur Seite zu blicken und entdeckte direkt neben sich Sonil der ebenso verzweifelt aussah.
Angst kroch stetig in ihr auf und brachte ihr Herz zum Rasen. Sie wurden immer tiefer in den Wald gezogen und bald verlor Mila den Überblick wo welche Himmelsrichtung lag. Als sie endlich losgelassen wurden traute sie sich nicht, sich zu bewegen.
Ein Rascheln hinter ihr brachte sie dazu, einen Blick zurück zu wagen. Außer Bäumen konnte sie jedoch nichts erkennen weshalb sie schon dachte, sich getäuscht zu haben. Da fiel ihr jedoch ein komisch aussehender Baum aus.
Er war nicht nur viel kleiner als die übrigen Tannen, nein, er hatte zwei Äste rechts und links die fast wie Arme wirkten während er ein paar Blätter oben hatte wo Menschen ihre Haare trugen.
» Ihr braucht keine Angst zu haben, ich will Euch nichts Böses! «, der Baum hatte eine knarzende Stimme die Mila sicher unter tausend anderen erkennen könnte. » Wer seid ihr? «, flüsterte sie und setzte sich langsam, unter schmerzverzogenem Gesicht auf.
Ihr ganzer Körper schmerzte und die wunden Fingerspitzen brannten höllisch. Aber es war aushaltbar und im Moment überdeckte die Mischung aus Angst und leichter Panik den Schmerz.
Der Baum trat näher und blickte sie aus dunkelgrünen Augen beruhigend an: » Ihr braucht wirklich keine Angst zu haben. Man nennt mich Rish! «
Mila nickte einfach nur überfordert und schaute heimlich zu Sonil der ganz erstarrt zu Rish blickte als sähe er einen Geist. Sanft stieß sie ihn an worauf er zu ihr blickte und den Kopf schüttelte.
Beide blickten sie wieder zu Rish der sie ebenso neugierig musterte:
» Was macht ihr in meinem Wald? « Mila dachte sich schon, dass Rish hier wohnte, aber dennoch war sie nicht fähig ihm die Frage zu beantworten. Sonil war es welcher zuerst die Sprache wiederfand und Rish antworten konnte.
» Wir sind auf der Suche nach einem alten Freund und mussten notgedrungen Rast machen wobei ich auf diesen seltsamen umgestürzten Baumstamm gestoßen bin. Und diesen wollte ich Mila zeigen! «
Rish schaute sie noch immer undurchdringlich an bis er nickte und meinte: » Tut mir Leid, wenn ich euch Schmerzen zugefügt habe, ich wollte euch nur vor den Orks schützen. « Ehrliches Bedauern klang in seiner Stimme mit und so konnte Mila ihm wirklich nicht lange Böse sein. Immerhin hatte er ihnen wahrscheinlich das Leben gerettet.
Mila erhob sich und klopfte etwas Erde von ihrer Kleidung bevor sie zu Rish meinte: » Macht wirklich nichts. Wir sind dir wirklich dankbar dafür aber könntest du uns jetzt zu unseren Freunden
zurückbringen? «
Dieser schaute sie leicht verängstigt an und fragte leise: » Eure Freunde? « Meinte er etwa die Orks? Bevor Mila dazu kam etwas darauf zu erwidern kam ein Rabe durch die Tannen gestürzt und landete unweit von ihnen auf dem Boden.
Drei Augenpaare betrachteten den ganz zerzausten Raben dessen schwarze Augen sehr menschlich wirkten. » Ihr müsst sofort von hier fort, Kind des Lichts. Mein Herr schickt mich und sagte mir, dass ich euch ausrichten solle, dass ihr hier nicht mehr sicher seid denn die Boten der Götter haben euch ausfindig gemacht! «, es war eindeutig der Rabe welcher mit Mila sprach und diese Tatsache ließ sie erschaudern.
Sie hatte sich ja mit vielem abgefunden, aber das Tiere auf einmal sprechen konnten verängstigte sie sehr. Der Rabe schickte ihr noch einen auffordernden Blick bevor er sich in Luft auflöste. Nur eine schwarze Feder blieb übrig welche sanft zur Erde schwebte.
» Was war das? «, fragte Sonil leise und schaute abwechselnd zu Rish und Mila. Das ihr kleiner Freund ebenso wenig Ahnung hatte wie sie selbst, trug nicht wirklich zu ihrer Beruhigung bei.
Keiner wusste die Antwort und deshalb schwiegen sie auch. Ein lautes Poltern zu ihrer Rechten ließ alle drei zu Eis erstarren und angsterfüllt in den Wald blicken. Was war das? Kamen noch mehr Orks? Waren es die Boten der Götter?
Es waren weder Orks noch andere, schreckliche Kreaturen, sondern Narbengesicht und Dirkan. Sie waren ohne den Wyorsen unterwegs, die Waffen gezückt und mit schwarzem Blut bedeckt.
» Endlich! «, stöhnte Dirkan erleichtert und eilte zu Mila und Sonil. Anscheinend hatten die zwei Männer sie gesucht und waren dabei auf die Orks gestoßen. Offenbar lebten diese nun nicht mehr, was Milas Herz eine Gangart runterschalten ließ. Und dennoch pochte es ungesund schnell.
» Wo wart ihr? «, blaffte Narbengesicht schlecht gelaunt und Mila verdrehte die Augen. War das nicht offensichtlich? Aber sie sparte sich eine Antwort und wand sich an Dirkan: » Hier war gerade ein Rabe der gemeint hat, dass sein Herr ihn schickt um mir zu sagen, dass ich hier weg muss denn die Boten der Götter haben mich gefunden und dann löste er sich plötzlich in Luft
auf! «
Es war nicht Dirkan der ihr darauf antwortete sondern Narbengesicht: » Das ist eine von Aynurs Spezialitäten. Alles was mit Magie zu tun hat kommt von ihm. Wo ist die übrig gebliebenen Feder? «
Verwirrt deutete Mila auf eben jene Feder während sie sich fragte, woher Narbengesicht das jetzt wieder wusste. Das man ihr diese Frage im Gesicht ablesen konnte bemerkte sie nicht und so war die Antwort relativ überraschend: » Früher, in den Kriegszeiten, benutzte man diese magischen Tiere als Boten. Nur der, für den die Nachricht bestimmt war, konnte sie dem Tier entlocken und dann löste es sich auf. Mit der Feder weiß Aynur, wo wir sind und kann uns finden! «
Als die Feder schließlich an einem Sicheren Platz verstaut war, standen sie im Kreis und schauten sich gegenseitig an. » Wir dürfen seine Wahrung nicht ignorieren. Wahrscheinlich kommen die Boten von der Heiligen Stadt. Das bedeutet, wir müssen weiter nach Norden. Leider können wir diesen Weg nicht mit den Wyorsen bestreiten. «
» Dann kommen wir aber zu langsam voran! Wahrscheinlich haben die Boten sogar Pferde und dann haben sie uns gleich eingeholt. «
» Das ist egal, die Wyorse würden nicht durch die enge Schlucht passen welche wir durchqueren müssen und außerdem hätten wir keine Chance, egal ob mit oder ohne Reittier, wenn die Boten Pferde besitzen! «
» Wenn wir noch länger darüber diskutieren, holen sie uns erst recht ein! «, es war Mila die den Streit schlichten konnte. Ihr wäre es auch lieber wenn sie auf den Wyorsen weiterreiten würden, aber wenn sie hier weg mussten, sollten sie sich beeilen.
» Also gut. Gepäck nehmen wir nur das aller nötigste mit und dann beeilen wir uns um hier weg zu kommen. «, Narbengesicht klatschte in die Hände und eilte in die Richtung aus der Dirkan und er gekommen waren.
Den anderen blieb gar nichts übrig als ihm zu folgen. Die Wyorse waren an jener Stelle geblieben wo sie sie zurückgelassen hatten. Das Gepäck wurde auf Nahrung und Decken beschränkt sodass jeder nur wenig zu tragen bekam.
Sonil am allerwenigsten. » Wenn ihr wollt sorge ich dafür, dass die Wyorse verschwinden damit die Boten nicht gleich wissen, dass ihr zu Fuß unterwegs seid. «, schlug Rish ihnen vor als das Gepäck verladen war.
Mila nickte ihm zu und schenkte ihm ein warmes Lächeln. Und sie schwor sich, sollte sie jemals wieder in diesen Wald zurückkehren, Rish eine angemessene Belohnung für seine Hilfe zukommen zu lassen.
Die Sonne ging gerade unter als sie den Wald endlich hinter sich ließen. Ihr Lauf war schweigend und schnell gewesen. Narbengesicht nahm keine Rücksicht auf den kleinen Sonil der wesentlich kleinere Schritte machen konnte wie die anderen. Auch zum Rasten gab er ihnen keine Zeit, er drängte sie vorwärts als wäre der Tod persönlich hinter ihnen her.
Erst als es zu dunkel wurde um den Weg klar vor sich zu sehen schlugen sie ihr Lager auf. Auf ein Feuer verzichteten sie und so war es nicht nur kalt und nass, sondern auch noch beängstigend Dunkel.
Sonil und Mila kuschelten sich aneinander, einerseits um sich warm zu halten aber andererseits auch um sich nicht zu sehr vor der Dunkelheit zu fürchten. Die Nachtwache übernahm wieder Narbengesicht als wäre er es gewohnt lange ohne Schlaf auszukommen. Begleitet von den Schreien einer Eule tauchte Mila in die Welt der Träume ab.
Die nächsten Tage waren keineswegs so wie jene welche sie im Wald verbracht hatten. Anstatt strahlendem Sonnenschein gab es düstere Wolken und starke Regenschauer. Wenn es nicht gerade regnete, dann war es Kalt oder es Donnerte in den nahen Bergen. Kilometer um Kilometer liefen sie, immer einem gewundenen Pfad folgend der sie immer weiter Richtung Norden brachte. Wo genau ihr Ziel jetzt lag, hatte Mila noch nicht in Erfahrung bringen können und irgendwann hatte sie es aufgegeben, Narbengesicht danach zu fragen. Mit jedem Tag welchen sie weitergingen wurde ihr Gepäck leichter, ihre Nahrung aber umso weniger.
Die Schlucht von welcher Narbengesicht gesprochen hatte war auch noch nicht da gewesen und manchmal dachte Mila, sie wären vom Weg abgekommen. Aber es gab nur diesen einen welcher weiterführte.
Der Weg war durch den vielen Regen aufgeweicht und das Vorankommen wurde für sie immer schwerer. Besonders für Sonil der am meisten zu kämpfen hatte, war es kein Zuckerschlecken. Außerdem hielt er sie an manchen Stellen ganz schön auf.
Mila fror und hatte Hunger weshalb ihre Laune auch ziemlich tief im Keller war. Die Regenwolken begleiteten sie ganze vier Tage wodurch sie keine trockene Kleidung mehr hatten. Selbst nachts mussten sie im Nassen schlafen.
Mila wunderte es, dass sie nicht schon längst eine Lungenentzündung hatte. Denn zum Regen gab es auch noch eiskalten Wind der immer von vorne kam. Die Umgebung änderte sich mit jedem Kilometer die sie vorwärts kamen.
Aus dem flachen Land wurde immer steileres und irgendwann gab es kaum noch Bäume sondern nur noch Büsche die auch nicht sehr groß waren. Und dann kam die Schlucht in Sicht von welcher Narbengesicht gesprochen hatte.
Innerhalb weniger Meter wurde der Weg so schmal, dass nicht einmal ein sehr dünnes Wyorse weitergekommen wäre. Die Felswände waren uneben und Wasserrinnsale flossen an ihnen hinunter. Mila fühlte sich eingeengt und wünschte sich nichts sehnlicher, als diese Schlucht bald zu verlassen.
Dadurch das es noch immer Regnete gab es auch von oben keinen wirklichen Lichtschimmer und dadurch wurde die Dunkelheit richtig unangenehm. Fackeln konnten sie keine entzünden denn diese wurden von dem Regen sofort gelöscht und unnötig Holz verschwenden wollten sie auch nicht. Die Schlucht war lang und Mila konnte bald weder den Anfang noch das Ende sehen. Sie gingen nun in einer anderen Reihenfolge, damit Sonil und Mila nicht verloren gingen machte Narbengesicht den Anfang und Dirkan den Schluss.
Sonil stolperte mindestens so oft wie Mila über rumliegende Steine und kam gefährlich ins Wanken. Jedes Mal hinderte Mila ihn daran wirklich zu Boden zu stürzen. Nach ein paar Meilen wurde die Schlucht immer enger und Mila hatte das Gefühl, bald nicht mehr atmen zu können.
Und als dieses Gefühl immer schlimmer und stärker wurde war die Schlucht auf einmal zu ende. Perplex blieb Mila stehen und konnte ihren Augen kaum trauen.
Die Regenwolken waren verschwunden, stattdessen war der Himmel nahtlos Blau und die Sonne hatte strahlte eine starke Wärme aus.
In wenigen Stunden würden ihre Kleider und auch ihr Gepäck trocken sein. Das ließ Milas Herz höher schlagen und sie konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.
» Hier war ich noch nie. Wo sind wir hier? «, wollte Sonil überrascht wissen und blickte neugierig auf die Landschaft welche sich vor ihnen ausbreite.
Zwar viel der Weg vor ihnen sehr steil hinab und nur hohe Stufen führten hinunter, aber was sich dort unten befand, wirkte wunderschön.
Ein klarer Fluss schlängelte sich durch sattgrünes Gras und uralte, riesige Weiden labten sich mit ihren Wurzeln am Wasser.
In unscheinbarer Ferne, gerade so, dass ihre Augen es sehen konnten, befand sich ein riesiger Turm. Er war aus silbernem Stein gebaut sodass er in der Ferne glitzerte wie tausend Sterne. Wieso er dort stand und was auf der obersten Plattform war, wusste sie nicht, aber Mila wollte es herausfinden.
» Dieses Land nennt man das Land der Sterne. Hier lebten einst die Immortal bevor die Menschen kamen und sie verjagten. Aber der letzte König der Immortal belegte das Land mit einem Zauber, sodass Menschen hier keine Städte bauen konnten weshalb das Land nutzlos geworden war. Jetzt ist es ein Zufluchtsort für all jene, die kein Zuhause mehr haben. «, antwortete Narbengesicht ihr.
» Und hier werden wir auch Aynur finden, hab ich Recht? «, verband Mila das Gehörte und Wissende. Narbengesicht nickte und blickte konzentriert in die Ferne. Milan trat neben Sonil und streckte sich ausgiebig bevor sie voller Tatendrang fragte: » Wohin gehen wir als erstes? «
Dirkan war es der ihr antwortete: » Ich denke, als erstes Mal nach unten! « Aber Narbengesicht schüttelte den Kopf und setzte seinen Rucksack ab.
» Nein, wir schlagen hier unser Lager auf. Nachts ist es bei weitem Sicherer wie am Tag dort unten unterwegs zu sein. Schlaft und ruht solang ihr könnt! «
Das ließen sie sich nicht zwei Mal sagen und wenige Minuten später schlief Sonil schon seelenruhig vor sich hin.
» Ruht auch Ihr Narbengesicht, ich halte Wache! «, meinte Dirkan und tatsächlich legte sich Narbengesicht zu Sonil auf sein Lager.
Mila, die keineswegs müde war und der es außerdem zu hell war um zu schlafen gesellte sich zu Dirkan. Ein Feuer hatten sie selbstverständlicher Weise nicht gemacht und so saßen sie nebeneinander am Abgrund und ließen sie Beine baumeln.
» Was wirst du machen wenn du bei Aynur bist? «, wollte Dirkan besorgt wissen und blickte sie aus den Augenwinkeln an. Mila lächelte leicht und antwortete nach einigen Sekunden nachdenken: » Ich muss ihn nach dem Seelenstein fragen und ihn bitten, mir zu helfen den Stein zu finden damit ich nach Hause kann. «
Der alte Mann nickte leicht und schaute Mila nun offen an: » Sonil und ich werden dich begleiten soweit es uns möglich ist und werden dich unterstützen! «
Dankbar blickte er zu Dirkan und legte ihre Hand auf seine die neben ihrer lag. » Sag mal Dirkan, wie alt bist du eigentlich? «
Lachend antwortete er: » Fast 90 Jahre aber hier altert man langsamer als in eurer
Welt! « Nickend blickte Mila wieder nach vorne und ließ den Turm nicht aus ihrem Blick.
» Was dort drinnen wohl ist? «, fragte sie mehr sich wie Dirkan und doch war er es der ihr eine Auskunft gab: » Bestimmt etwas sehr Wertvolles! «
Mehrere Stunden saßen sie bewegungslos dort und beobachteten wie die Sonne im Westen verschwand und die Sterne am Himmel erschienen.
Erst dann weckten sie Narbengesicht und Sonil. Ihr Gepäck war schnell verstaut und sie machten sich an das hinunterklettern der Treppen.
Diese hatten einen Abstand der fast so groß war wie Sonil was für diesen bedeutet, er musste tatsächlich klettern.
So brauchten sie fast die halbe Nacht bis sie endlich unten angekommen waren und nicht nur Sonil war erschöpft. Auch Mila hatte Schürfwunden an den Knien und Handflächen, aber sie war einfach froh, jetzt wieder geraden Boden unter den Füßen zu haben.
» Und jetzt? «, fragte sie.
Narbengesicht beschattete seine Augen um im Sternenlicht etwas Genaueres zu erkennen und zuckte ratlos mit den Schultern.
» Gibt mir mal die Rabenfeder! «, bat Dirkan Mila plötzlich und wartete bis jene diese rausgekramt und ihm gegeben hatte. » Was hast du vor? «, fragte sie neugierig und schaute dabei zu wie Dirkan die Feder nach oben hielt.
Zuerst passiert nichts, außer dass sie im Sternenlicht wie flüssiges Pech aussah, doch dann kam ein leichter Windstoß auf und riss die Feder aus Dirkans Hand.
Sie drehte sich um sich selbst und schwebte leicht in eine bestimmte Richtung. » Folgen wir ihr! «, meinte Dirkan und ging schnell los um die Feder nicht aus den Augen zu verlieren.
Mila tat es ihm gleich und schmunzelte darüber, dass diese ausgezeichnete Idee mal nicht von Narbengesicht gekommen war sondern von Dirkan.
Wieder vergingen unzählige Stunden in denen sie im hellen Sternenlicht der Feder folgten die sie immer weiter führte, immer so dass sie sicher vorwärtskamen und auf kein Hindernis stießen welches ihr vorankommen erschwerte.
Der Mond wanderte über den Himmel und als das schwache Sonnenlicht im Osten erschien und langsam Meter um Meter die Welt erhellte, sank die Feder vor einer der alten Eichen zu Boden.
Ratlos blieben die Reisenden stehen und überlegten fieberhaft, wie sie nun weiter vorgehen sollten. Es gab kein Zeichen das ihnen sagte, wo sie jetzt hinmussten und die Feder sah auch nicht so aus, als würde sie noch einmal losfliegen.
Gerade als Mila ihre Verzweiflung und Ratlosigkeit durch Worte ausdrücken wollte, erklangen Pfotentapser die näher kamen.
Überrascht blickten sie alle hinter die Eiche. Auch wenn Mila beim Anblick des Wolfes sofort Panik bekam, kam sie nicht umhin zu erkennen, wie schön das Tier war. Graublaue Augen blickten sie misstrauisch und neugierig an während Schneeweißes Fell im Sternenlicht glänzte als wäre es mit tausend Diamanten besetzt.
Narbengesicht und Dirkan zogen ihre Schwerter während sie sich beschützend vor Sonil und Mila stellten. Diese konnte den Blick einfach nicht abwenden weshalb sie auch nicht reagierte als Narbengesicht ihr eindringlich befahl, mit Sonil fort zu laufen.
Der Wolf knurrte und fletschte die Zähne, ging in die Hocke um anzugreifen. Und dennoch konnte Mila sich nicht bewegen. Irgendetwas an diesen Augen fesselte sie dermaßen, dass es ihr erneut Angst einjagte.
Früher hielt sie sich nie für so ängstlich, mittlerweile war sie jedoch vom Gegenteil überzeugt.
» Tut ihr nichts! «, bat sie leise, zu leise um verstanden zu werden. Woher sie wusste, dass der Wolf ein Weibchen war, konnte sie nicht genau sagen aber das änderte auch nichts an der Tatsache, dass Dirkan und Narbengesicht den Wolf töten wollten.
Sie fasste Dirkan an den Oberarm aber er achtete nicht auf sie. Gerade als der Wolf auf Dirkan und Narbengesicht losgehen wollte trat eine Gestalt hinter dem Baum hervor.
Sie trug einen Pechschwarzen Umhang der noch einige Zentimeter hinter ihr auf dem Boden schliff und eine Spitzzulaufende Kapuze die weit ins Gesicht reichte und alles darunter verbarg.
Sie trug ein silbernes Schwert in der Hand welche von einem Handschuh bedeckt war welcher mit tausend Eisenblättchen verschönert war.
Der Wolf stand neben ihr, noch immer mit gefletschten Zähnen und gesträubtem Nackenfell. » Wer seid Ihr und weshalb greift Ihr uns an? «, fragte Narbengesicht mit zusammengebissenen Zähnen. Die Gestalt ließ das Schwert langsam sinken und meinte ruhig: » Ich greife euch nicht an, ich schütze nur was ich liebe! «
Es war Narbengesicht der wutentbrannt sein Schwert in den Boden stach und laut
brüllte: » Das du es überhaupt wagst, mir noch einmal vor die Augen zu treten! Ich sollte dich auf der Stelle töten für das was du mir angetan hast! «
In diesem Moment wusste Mila wer dort vor ihnen stand und sie war erstaunlich erleichtert darüber, selbst wenn Narbengesicht alles andere als erfreut wirkte.
» Du bist selbst Schuld. Ich halte meine Versprechen und das wusstest du! «, kam die amüsierte Antwort von Aynur der sich unter dem Umhang verbarg.
» Seit ihr Aynur? «, Sonil war hinter Narbengesicht hervorgetreten und musterte den Fremden mit unverhohlener Neugierde. Dieser nickte und steckte das Schwert zurück in die Schwertscheide welche an seinem Gürtel hing.
Auch Dirkan tat es ihm gleich, nur Narbengesicht stand stocksteif da und starrte Aynur in Grund und Boden.
» Wollt Ihr uns nicht Euer Gesicht zeigen? «, fragte Dirkan misstrauisch als würde er es noch nicht ganz glauben.
Kurz flammte in Mila der Gedanke auf, dass Aynur genau wie der Gesichtslose in Erarg war, aber als dieser die Hände an den Kapuzensaum legte, verschwand dieser Gedanke wieder.
Was unter der Kapuze zum Vorschein kam, übertraf alle Überwartungen von Mila.
Haar, so blau wie Spahir, floss über Aynurs Schultern und schien im aufgehenden Sonnenlicht flüssig zu sein. Ein markantes, und doch fein geschnittenes Gesicht mit graublauen Augen, die denen der Wölfin sehr ähnelten kamen unter dem Schatten hervor.
Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen und mit sanfter Stimme meinte er: » Ihr braucht Euch keine Sorgen machen Dirkan. Ich bin der aller Letzte welcher euch Schaden zufügen will. Mein alter Freund aus Erarg benachrichtigte mich, dass ihr auf den Weg zu mir seid. Es tut mir wirklich leid, dass ihr so viele Hindernisse bewältigen musstet um hier her zu gelangen, aber seit meinem letzten Ausflug in die Heilige Stadt ist vieles passiert und ich hatte Sorge, euch in noch mehr Gefahr zu bringen als ihr es wart. «
Der Wolf hatte sich mittlerweile beruhigt und kam nun um die zwei Männer herum um sich vor Mila zu stellen.
Diese lächelte sie an und ging in die Hocke. Ein inneres Gefühl sagte ihr dies und außerdem hatte sie keine Angst vor der Wölfin.
Diese schaute sie aus wachen Augen an und schleckte ihr über die Wange. Das Fell der Wölfin war seidig weich und wirkte gar nicht wie das von einem Wildtier.
» Ilia mag Euch! «, hörte sie Aynurs sanfte Stimme neben sich und blickte zu den beiden hinunter. Mila erhob sich wieder und fragte: » Ihr wisst weshalb ich hier bin? «
Aynur nickte wobei sein Blick leicht abwesend und traurig wurde.
» Helft Ihr mir? «, war ihre nächste Frage und leicht besorgt blickte sie zu Aynur der sie noch immer um einen halben Kopf überragte.
Was wenn er es nicht tat? Könnte sie dann überhaupt jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren?
» Natürlich. Ich tat es einst für Eure Mutter und werde es auch für Euch tun. Jedoch nur unter einer einzigen Bedingung! «, meinte er ernst und doch beruhigend sodass Mila wusste, er sagte die Wahrheit.
Neugierig fragte sie nach: » Und was ist das für eine Bedingung? « Aynur blickte sie einen Moment nachdenklich an und meinte dann: » Dass wir alleine weiterreisen. Auf Euch aufzupassen wird schwer genug werden und dorthin wo wir hinmüssen, können wir nur alleine gehen! «
Mila schaute sofort zu Sonil, Dirkan und Narbengesicht. Alle drei waren ihr in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen und es wäre unfair, sie zurückzulassen. Immerhin hatten sei ihr nicht zum ersten Mal das Leben gerettet und waren Vertrauenspersonen für sie gewesen. Was, wenn Aynur doch etwas Böses im Schilde führte und sie zu den Göttern brachte oder tötete? Hatte ihre Mutter die Wahrheit gesagt oder war Aynur mittlerweile Böse geworden?
Sonil reckte seine Brust vor und sagte bestimmend zu Aynur: » Ohne mich geht Mila nirgendwo hin! « Gerührt blickte sie zu dem kleinen Mann hinunter der sich beschützend vor sie stellte.
Ilia war gleich groß wie Sonil und könnte ihn mit einem Bissen verschlingen und doch hatte der Kleine keine Angst, nicht in jenem Moment.
Aynur schmunzelte und ging vor Sonil in die Hocke um mit ihm auf selber Höhe zu sein: » Euer Mut beeindruckt mich und ich bin mir sicher, Mila hätte sich keinen besseren Begleiter wünschen können wie Euch Sonil. Doch wie ich bereits sagte, es ist zu gefährlich. Ich kann nicht auch noch für eure Sicherheit gewährleisten. So leid es mir
tut! «
Sonils Blick wurde traurig als er sich zu Mila drehte und zu ihr aufblickte: » Ich glaube es ist besser wenn du alleine mitgehst. Immerhin willst du nach Hause und wenn es nur so geht, dann ist das in Ordnung! «
Gegen Milas Willen traten Tränen in ihre Augen und sie konnte nicht anders wie in die Hocke zu gehen und Sonil zu umarmen. Der kleine, schmächtige Körper in ihren Armen zitterte leicht und sie konnte Sonil schluchzen hören.
Auch Dirkan sah sie traurig an, obwohl seine Worte weitaus aufbauender waren: » Du wirst es schaffen. Denk ab und zu an uns wenn du wieder zuhause bist! «
Auch ihn schloss Mila fest in die Arme wobei ihr diesmal eine Träne über die Wange lief. Narbengesicht blickte sie warm an und meinte förmlich: » Ich verspreche dir, wenn er da «, dabei blickte er abschätzig zu Aynur, » dir nur ein Haar krümmt wird er nie mehr glücklich werden! «
Trotz der bizarren Situation konnte sie nicht anders wie zu lächeln und zu nicken. Das war einfach Narbengesichts Art und sie fand es in Ordnung. Er war nicht aus dem Holz geschnitzt um lange Abschiedsreden zu halten oder Tränen zu vergießen.
» Keine Sorge Narbengesicht, ich passe gut auf sie auf! «, meinte Aynur amüsiert und lächelte Mila sanft an.
Sie schniefte leicht und blickte aus wässrigen Augen zu Aynur auf. Auch wenn sie im Innersten wusste, er würde ihr helfen, fiel es ihr schwer ihre Freunde zurückzulassen.
» Ilia wird euch sicher nach Erarg zurückbringen und auch euch, Dirkan und Sonil, wird sie begleiten bis ihr zuhause angekommen seid! «
Mila und Aynur blieben bei der alten Eiche stehen und sahen Sonil, Dirkan und Narbengesicht hinterher die mit Ilias Begleitung von dannen zogen.
Milas Herz wurde schwer und erneut traten Tränen in ihre Augen, die sie nur schwer unterdrücken konnte. » Macht Euch das Herz nicht zu schwer Mila, vielleicht werdet Ihr sie bald wieder sehen. Wenn wir den Seelenstein in unserem Besitz haben, schaffen wir es vielleicht noch, sie zu besuchen. «, während er diese Worte sprach legte er ihr eine Hand auf die Schulter und drückte leicht zu.
Sofort schoss neue Energie durch Milas Adern und sie fühlte sich tatsächlich besser, auch wenn der fahle Beigeschmack des Abschiedes blieb.
Aynur war es der sich als erster umdrehte und losging, der Sonne entgegen. Mila folgte ihm mit einigen Schritten Abstand, noch immer an Sonil, Dirkan und Narbengesicht denkend.
Weit gingen sie nicht, nur wenige Kilometer hinter der Eiche blieb Aynur stehen. Als auch Mila neben ihm zum Stehen gekommen war, blickte er ohne mit den Wimpern zu zucken in den Himmel als gäbe es dort etwas Interessantes zu erblicken. Die junge Frau tat es ihm gleich, doch es gelang ihr nur kurz, denn das grelle Sonnenlicht brannte in ihren Augen weshalb sie bald nichts mehr sah.
» Nach was suchst du? «, fragte sie ohne darüber nachzudenken, dass sie Aynur mittlerweile duzte. «Saphea! «, war die knappe Antwort. Und gerade als Mila fragen wollte, was beziehungsweise wer Saphea war erklang ein ohrenbetäubendes Brüllen über ihnen.
Reflexartig legte sie den Kopf in den Nacken und schaute trotz dem Sonnenlicht in den Himmel.
Dort flog ein Drache. Mila hatte früher gerne Filme gesehen und Bücher gelesen in denen Drachen vorkamen, besonders gerne hatte sie Eragon gelesen, auch wenn der Film ihrer Meinung nach sehr schlecht war.
Doch was sie jetzt dort oben sah, übertraf all ihre Erwartungen. Der Drache war riesig und die dunkelblauen Schuppen glänzten im Sonnenlicht leicht. Die Flügel hatten eine große Spannweite und der lange Schwanz hatte an der Spitze eine Dreieckige Knochenplatte.
» Ist das Saphea? «, fragte sie atemlos, denn der Drache ging in den Sinkflug und fiel wie ein Stein vom Himmel, direkt auf sie zu.
Aynur lächelte amüsiert über Milas Verwirrtheit und nickte einfach nur. Aufgeregt und leicht besorgt beobachtet sie wie der Drache dem Boden immer näher kam und schließlich nicht weit von ihnen entfernt landete.
Bei der Landung bebte der Boden gehörig und Mila gelang es kaum, gerade stehen zu bleiben. Nach dem Saphea ihre Flüge angelegt hatte sah sie majestätisch zu Mila und Aynur hinunter.
Dieser ging zu ihr und berührte sie an ihrem rechten Vorderbein. Der Drache musste mindestens fünf Meter groß sein und dementsprechend wirkte er auch respekteinflößend auf Mila.
» Du brauchst keine Angst zu haben, sie tut dir nichts! «, meinte Aynur auffordernd zu Mila welche sich die wenigen Schritte zu dem Drachen vorwagte. Saphea senkte den Kopf und schaute Mila aus neugierigen und warmen Augen an. Etwas zu sagen traute Mila sich nicht, aber sie schafft ein leichtes Lächeln.
Schließlich traf man nicht jeden Tag einen Drachen wie diesen. Plötzlich hörte sie eine helle Frauenstimme in ihrem Kopf: » Ich freue mich, dich kennenzulernen Mila. «
Sie blickte erstaunt zu dem Drachen, denn in dessen Augen konnte sie lesen, dass er gesprochen hatte.
» Ic..ich mich auch! «, war ihre Antwort. Aynur schaute kurz zu Saphea und fragte dann Mila: » Bereit? « Diese blinzelte ihn verwirrt an und fragte: » Wozu? «
Das Grinsen in Aynurs Gesicht wurde breiter und er meinte leichthin:
» Zu fliegen! «
Mila war früher öfters Mal mit einem Flugzeug unterwegs gewesen aber auf so einem Tier durch die Lüfte zu fliegen war bestimmt etwas ganz anderes.
Ganz überzeugt von der Idee war Mila zwar nicht aber Aynur gab ihr auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken denn mit einer schnellen Bewegung hatte er sie gepackt und hochgehoben.
Alles Zappeln und Wehren half nichts, Aynur kletterte mit ihr in den Armen auf Sapheas Rücken und ließ sich zwischen den Schultern, hinter der letzten Halszacke, nieder.
Mila saß dabei vor ihm und klammerte sich ängstlich an der Zacke fest. » Können wir nicht anders weiterreisen? «, fragte sie piepsig und traute sich gar nicht, die Augen zu öffnen.
Aynur legte ihr einen Arm um die Hüfte und presste seinen eigenen Körper an ihren Rücken: » Nein, ansonsten kommen wir nicht dorthin wo wir den Seelenstein finden. Aber du brauchst keine Angst zu haben, Saphea lässt keinen fallen! «
» Ich verspreche es dir Mila, ich lasse dich nicht fallen! «
Auch wenn sie jetzt zweimal dasselbe gesagt bekommen hatte, war sie sich nicht sicher, bereit zu sein um tatsächlich so zu fliegen.
Doch als sie dann spürte, wie Saphea ihre Muskeln anspannte und die Flügel ausbreitete, kniff sie die Augen noch fester zusammen.
Mit einem kraftvollen Stoß sprang der Drache von der Erde ab und einen Moment waren sie schwerelos bevor sie mit einem kräftigen Flügelschlag höher flogen.
» Öffne die Augen! «, befahl Aynur ihr und tatsächlich hörte Mila auf ihn. Blinzelnd schaute sie sich um. Hier oben war es zwar etwas kühler wie unten, aber nichtsdestotrotz war es wunderschön.
Weit unter ihnen lag das Land der tausend Sterne. Rechts wie links gab es nichts außer weitem Land und an dessen Ende hohe Berge.
» Wunderschön nicht wahr!? «, fragte Aynur dem anzuhören war, wie sehr er es genoss. Nicht fähig, etwas zu sagen, nickte sie einfach nur knapp. Vielleicht war es doch nicht so schrecklich zu fliegen, besonders nicht auf diesem Drachen hier.
Zwei Tage waren es nun her seit sich die Gruppe, welche aus Erarg gestartet war, getrennt hatte. Mila und Aynur hatten fast ausschließlich Zeit auf Sapheas Rücken verbracht und doch wurde es nie langweilig. Sie kamen bei weitem schneller voran wie mit den Wyorsen oder zu Fuß, dennoch war das Land der tausend Sternen riesengroß.
» Wohin fliegen wir jetzt? «, wollte Mila müde wissen und versuchte irgendetwas zu erkennen, was ein mögliches Ziel sein könnte. » Als erstes müssen wir über die Schneeberge nach Norden, dort gibt es eine kleine Stadt in der wir uns Informationen holen und vielleicht auf Pferde mit denen wir weiterreisen. Saphea fliegt zu hoch, dort würden wir erfrieren, und sie darf nicht entdeckt werden weshalb wir am Boden weiterreisen müssen! «, kam Aynurs Antwort dessen Stimme ebenfalls müde klang.
Nickend schloss Mila kurz die Augen und stellte sich ein kuscheliges Bett vor.
Saphea flog ruhig und schnell in der Luft und dennoch fehlte Mila der Boden. Ewig auf einem Drachen zu reiten war nicht so schön wie die Erde unter den Füßen zu spüren. Der Tag neigte sich schon dem Ende als Saphea auf einer kleinen Felsplattform hinter den Schneebergen landeten.
Mila konnte anhand der Rauchfahnen die aus dem Tal kamen erkennen, dass die gesuchte Stadt dort unten sein musste.
» Ab hier dauert es nur wenige Stunden bis wir in der Stadt sind. Ich denke, wir haben uns ein warmes Bett verdient! «
Müde und frierend ging Mila hinter Aynur her, stapfte durch den Knöcheltiefen Schnee. Sie wunderte es noch immer, dass es im Land der tausend Sterne so schönes Wetter gegeben hatte und es hinter den Bergen so kalt war.
» Woher kennst du eigentlich meine
Mutter? «, fragte Mila neugierig und um sich die Zeit zu vertreiben. Aynur blickte zu ihr zurück und meinte dann ruhig: » Als sie noch recht jung war verließ sie den Götterpalast regelmäßig um auf dieser Welt zu wandeln. Ich rettete sie vor ein paar Orks und wir wurden Freunde. Jahre lang sahen wir uns nicht mehr, bis dein Vater hier her kam. Die Götter wollten ihn töten lassen doch deine Mutter kam zu mir und bat mich, ihm zu helfen.
Als sie dann mit deinem Vater einen Bund einging, waren die anderen Götter so blind vor Wut, dass sie deine Mutter und deinen Vater ermorden lassen wollten. Als ich dann erfuhr, dass deine Mutter schwanger war, musste ich ihnen helfen. Mit Saphea holte ich den Seelenstein aus seinem Versteck und so gelang es deinen Eltern, zu fliehen. Nun jedoch, wo du das rechte Alter erreicht hat, wollen sie sich an dir rächen und dich dafür verantwortlich machen, was deine Mutter einst tat. «
Mila nickte traurig und fragte sich, ob es sie überhaupt gäben sollte. Wieso war ihr Vater in diese Welt gelangt und wieso musste er sich ausgerechnet in eine Göttin verlieben? Das Leben war wirklich undurchsichtig und bereitete ihr Kopfschmerzen.
» Aber keine Sorge, auch du wirst nach Hause zurückkommen, ich lasse nicht zu, dass die Götter dich bekommen! «, versprach Aynur ihr und sofort wurde Mila warm ums Herz, denn es machte sich jemand um sie Sorgen und Gedanken und das fühlte sich gut an.
Einige Zeit gingen sie schweigend ins Tal hinunter bis Mila zu einer neuen Frage ansetzte: » Dirkan hat mir erzählt, dass nur Götter und Immortal auf Pferden reiten. Was sind Immortal? «
Diese Frage war eine der vielen welche ihr seit langer Zeit auf der Seele brannten. Und wahrscheinlich konnte Aynur ihr sie alle beantworten. Ein befreites Lachen ließ sie verwundert zu Aynur blicken der höchst amüsiert wirkte.
» Ich bin ein Immortal. Mein Volk ist mit der Unsterblichkeit gesegnet und beherrscht Magie. Einst schufen uns die Götter als ihre Verbündeten auf der Erde, doch als sie uns verrieten und viele abschlachten ließen, lösten wir den Eid mit ihnen und leben nun frei auf dieser Welt. Die anderen Völker meiden uns jedoch da noch immer ein Teil der Götter an uns haftet und das macht ihnen Angst. Deshalb gibt es auch nur wenige von uns welche nicht verborgen leben. «
Erstaunt betrachtete Mila Aynur ein erneutes Mal und stellte für sich fest, dass der Mann neben ihr nicht so wirkte wie Dirkan oder die anderen Menschen in Erarg. Irgendwie schien er stolzer und arroganter zu sein, nicht abschreckend sondern neugierig machend.
Um die vielen Informationen zu behalten und zu verarbeiten versank Mila in ihren Gedanken und bekam gar nicht mit, dass sie das Tal bereits erreicht hatten und die Stadt vor ihnen auftauchte.
Verschneit lag sie zwischen den Berghängen als könnte sie allem Stand halten. Aus den Schornsteinen kamen dünne Rauchfahnen und es roch stark nach verbranntem Kieferholz, ein guter Duft wie Mila feststellte.
» Ist es hier immer so verschneit? «, wollte sie wissen während sich ihr Magen schon auf warme Nahrung freute. Aynur nickte einfach nur und zog sich die Kapuze über den Kopf sodass sein Gesicht wieder vollkommen im Schatten versank.
Aus seinem Rucksack, der vorher auf Sapheas Rücken gelegen war, holte er einen identischen Umhang für Mila heraus. Ohne weitere Worte streifte sie sich diesen über und setzte sich die Kapuze auf.
Sofort wurde die Kälte verbannt und ihr wurde wohlig warm. Der Umhang roch leicht nach frischer Erde und Mila genoss den schweren Stoff auf ihren Schultern der Nässe und Kälte außen vor hielt.
Nebeneinander gingen sie auf das hölzerne Stadttor zu. Die zwei Wachtürme links und rechts davon waren besetzt und man richtete Langbogen auf sie. Mila hatte augenblicklich Angst, doch da Aynur selbstsicher vor dem Tor stehen blieb, straffte auch sie ihre Schultern und versuchte sich nicht einschüchtern zu lassen.
» Was wollt ihr? «, rief eine Männerstimme von der anderen Seite die nicht sehr freundlich klang. Aynur antwortete laut und deutlich: » Wir werden von Hutmacher Hix erwartet! «
Einen Moment herrschte Stille doch dann öffnete sich eine Seite des Tores gerade so weit, dass sie hindurch gehen konnten.
Die Wachen dahinter schauten sie misstrauisch und skeptisch an, aber darauf achtete Aynur gar nicht. Er legte Mila eine Hand zwischen die Schulterblätter und schob sie sanft aber bestimmt in eine der unzähligen Gassen.
Irgendwo in der Stadt hörte Mila einen Hund bellen und auch das Gelächter von Kindern hallte zu ihnen.
» Wie können die Menschen hier bei diesem Wetter überleben? «, fragte sie leise. Selbst die Fensterrahmen waren teilweise mit Eis überzogen.
Im Inneren der Häuser musste es dementsprechend genauso kalt sein wie hier draußen. Aynur schaute sie nicht an als er ihr ebenso leise antwortete: » Sie kennen es nicht anders, für sie existiert nur diese kalte Welt und damit haben sie sich abgefunden. Außerdem sind die Leute robuster wie alle anderen die ich jemals kennen gelernt
habe. «
Vor einem hell erleuchteten Haus blieben sie schließlich stehen. Aus den großen Fenstern drang goldenes Licht und es duftete nach Braten.
Über der Tür hing ein Schild auf dem 'Hutmacher Hix' geschrieben stand. Aynur klopfte fest an die dicke Tür und wartete dann geduldig.
Schritte erklangen im Inneren und dann wurde die Tür von einer älteren Frau geöffnet. Das graue Haar hatte sie sich hochgesteckt und sie selbst trug ein dickes Wollkleid.
» Aynur! «, rief sie erfreut aus und trat sofort zur Seite damit die zwei Gäste eintreten konnten. Mit einer schnellen Geste schlug Aynur die Kapuze zurück und verbeugte sich leicht: » Es ist wie immer eine Ehre dich zu sehen Anja! «
Sie kicherte mädchenhaft und wurde sogar leicht rot. Mila konnte es nachvollziehen.
» Und wer ist deine Begleitung? «, fragte die Frau neugierig wobei sie Mila betrachtete.
Diese setzte nun ebenfalls die Kapuze ab worauf die Frau erfreut lächelte: » Herzlich Willkommen bei uns, junge Dame! «
Mila lächelte ebenfalls und antwortete:
» Danke! «
Die Frau führte Mila und Aynur in einen großen Wohnraum wo Mila feststellte, dass es angenehm warm war.
In einem riesigen Kamin brannte ein Feuer welches die ganze Wärme spendete. An einem runden Tisch saß ein Mann welcher gerade einen Hut in den Händen hielt der langsam Form annahm.
Als sie eintraten hob er den Blick und lächelte erfreut. Aynur ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter, was scheinbar Begrüßung genug war.
» Wer ist denn diese junge Dame? «, wollte der Mann wissen und lächelte Mila väterlich an. Diese ging ebenfalls zu ihm und erwiderte das Lächeln. » Mila, unser spezieller Gast! «, antwortet Aynur amüsiert während er sich hinsetzte.
Der Mann blickte Mila neugierig an bis er meinte: » Ich bin Hutmacher Hix. Ich freue mich dich kennen zu lernen Mila! «
Anja war inzwischen in der Küche gewesen und kam mit zwei randvollen Tellern Eintopf zurück. Gierig stürzte Mila sich auf diesen.
Während dem Essen lauschte sie dem Gespräch zwischen Hix und Aynur welche sich angeregt über Geschehnisse in allerhand Ländern und Städten unterhielten die Mila nicht kannte.
Erst als ihr Teller so sauber war, als hätte sie ihn ausgeleckt, lehnte sie sich entspannt zurück. Es war Warm, sie war satt und im Moment gab es nichts was sie mehr erfreuen konnte.
Anja nahm ihren Teller und fragte gutmütig: » Ich hätte dir ein Bad eingelassen und danach kannst du gleich in ein vorgewärmtes Bett, wenn du magst. «
Glücklich lächelnd folgte Mila der älteren Frau in den oberen Stock und in ein geräumiges Badezimmer. In der Wanne war dampfendes Wasser und auf einem Hocker daneben lagen frische Sachen für sie zum Anziehen.
» Danke Anja! «, artig bedankte Mila sich und wartete, bis sie alleine war. Schnell zog sie ihre Sachen aus welche an einigen Stellen zerrissen waren und schon bessere Tage gesehen hatten.
Das Wasser war fast zu heiß aber sie hielt es aus und genoss die Wärme die langsam aber stetig in all ihre Körperteile vordrang.
Genießerisch legte sie den Kopf an den Wannenrand und schloss die Augen. Die Wärme machte sie schläfrig und doch schrubbte sie sich mit einer Bürste ab. Das Wasser verfärbte sich langsam dunkler je sauberer Mila wurde.
Gut eine Stunde später war sie fertig und stieg aus dem, nun mehr, lauwarmen Wasser. Die Kleidung welche Anja bereit gelegt hatte passte wie angegossen und bestand aus einem Unterkleid und einem dicken Überkleid. Perfekt für die Kälte hier in dieser Stadt.
Anja wartete draußen auf sie und zeigte auf eine geschlossene Tür.
» Dort habe ich ein Bett für dich hergerichtet. Ruh dich aus und wenn was ist, komm einfach runter! «
Nickend lächelte Mila Anja noch einmal an bevor sie in das gezeigte Zimmer ging. Hier war es kühler wie unten oder im Bad, genau richtig um gut zu schlafen.
Das Bett war groß und sah sehr weich aus, außerdem lagen erhitzte Steine zwischen den Laken.
Mila war es von ihrer Wohnung gewohnt, es immer warm im Bett zu haben, aber scheinbar war das auch hier möglich.
Nur wenige Minuten später schlief sie tief und fest in dem warmen Bett ohne sich weiter Gedanken über andere Dinge zu machen.
Als sie am nächsten Morgen geweckt wurde schien die grelle Sonne zum Fenster herein und brannte in ihren Augen. Wahrscheinlich reflektierte der Schnee auf den umliegenden Hausdächern das Licht zusätzlich was es viel heller machte.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss sie endgültig aus der morgendlichen Schläfrigkeit und noch im Nachthemd tapste sie zur Tür.
Doch gegen ihre Erwartungen stand dort nicht Anja vor der Tür sondern Aynur. Errötend fragte sie leise: » Was gibt’s? « Innerlich hoffte sie, dass sie nicht gleich wieder los mussten. Aber selbst wenn es so war, konnte sie es nicht ändern.
» Entschuldigung, dass ich dich so früh störe, aber Hix hat uns einen Platz organisiert wo ich dir das Kämpfen beibringen kann und ich weiß nicht, wie lange wir dort ungestört sein werden. «, meinte er schnell und hielt seinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet. Erstaunt und mit steigendem Puls antwortete Mila: » Bin gleich fertig! «
Sie freute sich ungemein darauf, das Kämpfen zu lernen und war sich sicher, einen bessern Lehrer als Aynur hätte sie nicht bekommen können.
Tatsächlich stand sie nur zehn Minuten später unten in der Stube, mit Kleidung die Anja ihr heute Morgen anscheinend gebracht hatte. Es war eine enge Lederhose die innen mit Fell bestückt war und wärmte. Dazu ein dickes Hemd mit einer Weste und hohe Stiefel. Perfekt für den Schnee welcher hier lag.
Aynur trug dasselbe wie die Tage zuvor, auch wenn er gewaschen wirkte. » Können wir los? «, fragte sie grinsend und zwinkerte Anja zu welche sie erstaunt anblickte.
Erfreut, endlich mal wieder etwas machen zu können was ihren Körper auslasten würde, lief sie hinter Aynur her der sie schweigend durch die Stadt führte und schließlich vor einem eisernen Tor stehen blieb.
Er zog einen Schlüssel aus einer Tasche mit dem er das schwere Eisenschloss öffnete und das Tor einen Spalt aufschob.
» Nach dir! «, meinte er und Mila beeilte sich an ihm vorbei zu kommen. Sie konnte es kaum erwarten endlich loszulegen.
Aynur verschloss das Tor hinter ihnen und ging zielstrebig zu einer hölzernen Truhe die zu ihrer Rechten unter einem kleinem Vordach stand damit sie vor dem Schnee geschützt war.
» Hier. «, er reichte Mila ein Holzschwert welches relativ schwer in der Hand lag. Aufgeregt ging sie damit in den Kampfkreis deren Markierung man selbst durch den Schnee sehen konnte.
Aynur folgte ihr mit ebenfalls einem Schwert in der Hand, auch aus Holz.
» Natürlich musst du in einem echten Kampf mit einem echten Schwert kämpfen aber am Anfang sind Holzschwerter besser weil die Verletzungsgefahr geringer ist. «, erklärte er sachlich und blieb ihr gegenüber stehen. Mila umfasste den Schwertgriff fester und blickte Aynur aufmerksam an.
Dieser begann sachlich und ruhig zu erklären, auf was sie alles achten musste. Von der richtigen Haltung bis hin zur richtigen Technik spulte er alles von der Leier und Mila versuchte, sich alles zu merken.
Manche Dinge waren für sie ganz logisch weshalb sie sich das auch merken konnte, aber andere Dinge wiederum waren umso schwerer, sodass es ihr schwer viel, sie im Gedächtnis zu behalten.
Aynur konnte ihr ansehen, wie schwer es ihr nach einiger Zeit fiel, nachzukommen weshalb er beruhigend meinte: » Du musst dir nicht gleich alles merken, Hauptsache die Grundlagen sitzen. Wir werden noch genügend Zeit zum Üben finden und mit der Zeit wird alles leichter von der Hand
gehen! «
Tatsächlich etwas ruhiger nickte Mila und versuchte, wirklich die ganzen Grundlagen abzuspeichern und schnell hervorzurufen.
Als Aynur der Meinung war, ihr lang genug Zeit gegeben zu haben ging er in Angriffsstellung.
Mila tat es ihm gleich und wartete gespannt auf den ersten Angriff seinerseits. Aber dieser kam nicht, anhand Aynurs Haltung konnte sie ablesen, dass sie den ersten Schlag tun musste.
Grübelnd, wie sie wohl am besten Vorzugehen hatte bekam sie gar nicht mit, dass Aynur seine Haltung dann doch änderte und zuschlug.
Ein erschrockener Aufschrei glitt über ihre Lippen als die Klinge seitlich an ihre Rippen stieß. Vor Schreck ließ sie sogar ihr eigenes Holzschwert fallen.
Aynur stand bewegungslos wieder zwei Schritte von ihr entfernt und nichts deutete darauf hin, dass er sich bewegt hatte.
Mit diesem Angriff hatte er Milas Ehrgeiz geweckt und sie hob ihr Schwert auf um erneut in Angriffsstellung zu gehen.
Dieses Mal musste sie mehr auf ihre Verteidigung achten, was sich schwieriger herausstellte als es war.
» So klappt das nicht! «, kam es von Aynur nachdem er sie acht Mal besiegt hatte während Mila Null Siege ihr eigen nennen konnte.
Frustriert, dass einfach nichts klappte was sie versuchte zu machen, trieb sie das Schwert mit der Spitze in den Boden und funkelte Aynur wütend an.
Natürlich war es gut, einen so guten Lehrer zu haben, aber zum Erfolg beim Üben taugte dieser auch nichts. Da wäre Mila ein unerfahrener Gegner wie sie es selbst war, lieber.
» Dann lass mich doch endlich mal
gewinnen! «, fauchte sie kratzbürstig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ein leichtes Zucken Aynurs Mundwinkel deutete darauf hin, dass er das alles als Scherz sah. Mila schnaubte entrüstet und fing an zu schmollen. Darin war sie schon immer gut gewesen und mit Sicherheit würde das auch jetzt klappen.
Tatsächlich senkte Aynur sein Schwert und ging auf sie zu bis sie nur noch ein halber Schritt trennte.
» Ein wahrer Gegner würde dich auch nicht einfach so gewinnen lassen Mila. Denke einfach, es geht um Leben und Tod. Vielleicht klappt es dann. «
Auch wenn Mila ihm dankbar für seine Aufmunterung war, wirklich helfen tat ihr dies nicht.
Die Lust aufs Kämpfen war ihr spätestens dann vergangen als sie das Schwert das vierte Mal in die Seite bekam. Bestimmt bildete sich dort bereits ein großer, blauer Fleck.
Sie schmollte noch immer als sie sagte: » Ich mag nicht mehr! « Da sie nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass Aynur es ernst nahm, hatte sie es gesagt.
Doch als dieser Schulterzuckend die beiden Schwerter nahm und aufräumte, taten ihr ihre unüberlegten Worte schon fast wieder leid. Aber nur fast.
Er lächelte sie an und meinte fast schon spitzbübisch: » Ist vielleicht auch besser so, nicht das du noch vor Anstrengung zusammen brichst! «
Gerade als sie wütend auf ihn losgehen wollte um sich für diese bösen Worte zu rächen, erklang Hix Stimme vom Tor: » Ich störe nur ungern, aber der Platz wird gleich gebraucht! «
Sofort gingen die zwei zu Hix hinüber und sperrten das Tor ordnungsgemäß ab bevor sie dem Hutmacher zu seinem Haus folgten.
Es war etwas wärmer geworden und Mila fand die Stadt eigentlich ganz schön und würde gerne etwas davon sehen. Aber den Mut, Aynur zu fragen, dass er ihr die Stadt zeigte brachte sie nicht auf. Außerdem war sie recht erschöpft und hatte nichts gegen eine kleine Verschnaufpause.
Als sie bei Hix am Haus ankamen öffnete Anja ihnen schon die Tür und strahlte besonders Mila an: » Ich habe einen super Eintopf gekocht, ihr werdet ihn lieben! « Ein kleines Lächeln konnte Mila sich einfach nicht verkneifen und folgte Anja tatsächlich hungrig in die Stube. Auf dem Tisch standen vier große Schalen voll mit dampfendem Eintopf.
Lautstark kündete Milas Magen an, dass er sich wirklich aufs Essen freute. Gierig machten die drei hungrigen sich über das Essen her.
Gefräßiges Schweigen herrschte zwischen ihnen und außer Schmatzen, Schlürfen und anderen typischen Essgeräuschen war nichts zu hören.
Mit vollgestopften Bäuchen lehnten sie in den Stühlen und unterhielten sich über das Leben in der Stadt.
Mila konnte sich nicht vorstellen hier zu wohnen, denn wenn es tatsächlich immer Schnee gab, konnte man gar nicht all die schönen Dinge tun welche nur im Sommer möglich waren.
» Was hältst du davon, wenn ich dir die Stadt etwas zeige? «, fragte Anja aus heiterem Himmel. Erfreut willigte Mila ein und wenig später machten sich die beiden Frauen auf den Weg. In den vielen Gassen war der Wind kaum zu spüren und demnach war es auch um einiges Wärmer wie Mila geglaubt hatte.
Je näher sie der Stadtmitte kamen desto voller und lauter wurde es. Kindergruppen rannten durch die Straßen, jagten sich mit selbstgebastelten Holzschwertern oder spielten Fußball.
Rufe wie Mila es aus Mittelalterlichen Filmen kannte erklangen vom Marktplatz und sie war froh, dass der Menschenstrom sie dorthin drängte.
Mehr wie Hundert Stände standen ohne System auf dem großen Platz vor einer wunderschönen Kirche. Allerlei Zeug wurde verkauft, von Essen über Schmuck bis hin zu Waffen.
» Darf ich dich etwas fragen Mila? «, Anja sprach laut genug um sie zu verstehen, jedoch nicht so laut, dass noch andere zuhören könnten.
Mila blickte zu ihr hinüber und signalisierte ihr mit ihren Blicken, dass sie fragen durfte. Anja schien sich etwas zu schämen aber dennoch rückte sie mit der Sprache raus: » Stimmt es, dass du die Tochter von Göttin Zara bist? «
Entsetzt blieb Mila stehen und kümmerte sich nicht um die Beleidigungen welche von den anderen Besuchern kamen die unaufhaltbar in sie hineinliefen.
Woher wusste Anja das? Waren sie und Hix doch nicht so vertrauenswürdig wie gedacht?
Bevor sie noch mehr schlechte Gedanken hegen konnte entschuldigte Anja sich schon bei ihr: » Ich dürfte davon nichts wissen aber ich belauschte Hix und Aynur letzte Nacht als sie über das Thema sprachen. Verzeih meine Neugier. «
Da Mila ihr wirklich nicht lange böse sein konnte winkte sie nur ab und ging weiter. Der Schreck saß noch immer tief in ihren Knochen fest. Kurz hatte sie wirklich geglaubt, Anja würde sie jemanden ausliefern der ihr Böses wollte. Im selben Moment schalte sie sich selbst für diesen Gedanken.
Wenn einer wusste wie vorzugehen war dann Aynur und wenn er Hix und Anja vertraute, musste sie es wohl oder übel ebenfalls.
Die beiden Frauen schlenderten noch gut eine Stunde über den Markt und kehrten noch immer in ihre Gespräche vertieft zurück.
Von Hix und Aynur war weit und breit nichts zu sehen weshalb die beiden sich auch nicht weiter drum kümmerten sondern in die Küche verschwanden.
Mila hatte zwar noch nie viel gekocht, für gewöhnlich bestellte sie sich einfach eine Pizza, aber das war hier ja nicht möglich.
Anja freute sich sehr über Milas nicht endenden Wissensdurst und erklärte ihr alles sehr ruhig und gewissenhaft. Und so war am Abend aus der unwissenden Köchin Mila ein halber Profi geworden.
Immerhin konnte sie jetzt so viel, dass sie auch in der Wildnis zurechtkommen würde. Wahrscheinlich gut, denn ob sie mit Aynur und Saphea ab sofort öfters in einer Stadt verweilen würde, war fragwürdig.
Selbst das Abendessen hatte Mila selbst, natürlich unter Anjas scharfem Blick, gekocht und erhielt viel Lob von Aynur und Hix.
Ausgelaugt von dem spannenden und anstrengenden Tag wäre Mila am liebsten gleich ins Bett gegangen, aber da machte Aynur ihr einen Strich durch die Rechnung.
Als das Essen beendet war erhoben sich Hix und Aynur und letzteres forderte Mila auf, ihnen zu folgen.
Verwirrt tat die junge Frau dies und staunte nicht schlecht als man sie in ein riesiges Zimmer brachte welches voller Bücherregale war.
» Was wollen wir hier? «, fragte sie und schaute sich neugierig um. Die beiden hatten sie wohl nicht hier her gebracht wenn es ums Lesen eines Buches ginge. Es musste schon etwas anderes sein.
Tatsächlich ging Hix zu einem der Regale und legte ein Buch um, sodass der Buchrücken nach unten zeigte. Zuerst passierte nichts, doch dann erklang ein dumpfes Poltern und zwei der Regale klappten nach vorne sodass ein Gang dahinter frei wurde.
Mila stand der Mund offen und ihr vielen fast die Augen aus dem Kopf. Was hatte Hix noch alles in seinem Haus versteckt? Und wie war so etwas überhaupt möglich, also einen Geheimgang zu haben ohne technische Hilfsmittel?
Hix ging voraus und Aynur warf ihr einen belustigten Blick zu bevor er meinte: » Komm! «
Sie warf ihm einen bösen Blick zu und beeilte sich, hinter Hix herzukommen. Die Steinwände wurden durch große Fackeln erhellt und die Szene erinnerte sie sehr an jene, als sie nach Erarg gegangen waren, durch den langen Tunnel.
Der Gang hatte viele Windungen und fiel stetig leicht ab. Als Mila alles Zeitgefühl verloren hatte, blieb Hix endlich stehen.
Eine Wand hinderte sie am weiter kommen. Mila konnte nirgends eine Tür entdecken und wollte gerade zu einer Frage ansetzen als Aynur schon vortrat.
Er blieb genau vor der Mitte der Wand stehen und schloss die Augen.
Mila konnte nicht glauben was sie sah. Zuerst begannen Aynurs Haare zu leuchten, so hell als würden sie blaues Feuer auf sich tragen.
Dann schlug das Leuchten auf seinen ganzen Körper über bis er einer blauen Fackel ähnelte.
Sie konnte ihre Augen einfach nicht von ihm abwenden, zu sehr fesselte sie dieser Anblick. Mila war vorher schon aufgefallen, dass Aynur mit seiner geheimnisvollen Ausstrahlung und dem maskulinen Anblick wirklich eine einzigartige Erscheinung war, aber so wie er jetzt aussah, übertraf er alles was sie vorher je für Schön empfunden hatte.
» Was macht er da? «, platzte sie dann endlich mit ihrer Frage heraus. Zu gerne wüsste Mila darüber Bescheid, was hier abging.
Grinsend meinte Hix: » Er öffnet uns die Tür! «
Zu einer weiteren Frage kam Mila gar nicht mehr denn da war die Wand auf einmal verschwunden.
Das Strahlen um Aynur wurde nur langsam weniger und als es ganz erloschen war, dann drehte er sich und warf Mila ein Lächeln zu.
Hix ging zielstrebig weiter und Mila trat neben Aynur. » Du steckst voller Geheimnissen! «, grinste sie spitzbübisch.
Aynur lachte unterdrückt auf und beugte sich zu Mila um ihr ins Ohr zu flüstern: » Und du wirst sie vielleicht irgendwann alle wissen! «
Sein Atem der sie dabei streifte verpasste ihr eine Gänsehaut am ganzen Körper. Damit Aynur ihr die starke Reaktion nicht ansah ging sie hastig weiter. Aber das stärker werdende Lachen signalisierte ihr, dass er es sehr wohl mitbekommen hatte.
Hinter der nun verschwundenen Wand ging der Gang nicht mehr weit, nur wenige Windungen später standen sie in einer riesigen Höhle.
Mila hatte so etwas noch nie gesehen. Die Höhle war nicht nur sehr hoch und breit, sondern auch noch Lichtdurchflutet. Wo genau sie sich befanden konnte sie nicht mit Gewissheit sagen aber das war auch nur Nebensächlich.
» Wo sind wir hier? «, fragte sie wobei ihr Mund schon wieder vor Staunen aufklaffte. Erst jetzt fielen ihr die vielen Zeichen auf welche in alle Wände gemeißelt waren. Ihre Bedeutung verstand sie zwar nicht, aber dennoch waren sie interessant.
Ein Finger legte sich unter ihr Kinn und klappte ihren Mund zu. Verwirrt blinzelte sie nach oben und blieb an Aynurs Augen hängen. Es schien, als wäre die Mauer welche sie zwischen den Gefühlen darin getrennt hatte verschwunden. » Wenn du das zu oft und lange machst, bleibt er noch so! «, kam es warnend und nicht wirklich ernst gemeint von dem Blauhaarigen.
Entrüstet reckte sie das Kinn etwas in die Höhe und verschränkte die Arme vor der Brust: » Als ob du das wüsstest! «
Hix war es der das Blickduell unterbrach: » Ich will nicht stören, aber wir müssen uns beeilen! «
Mila drehte sich zu dem Hutmacher um und zog die Augenbraue etwas in die Höhe. Sie wollte endlich wissen, was sie hier machten und worum es dabei ging.
» Komm mit. «, bat Aynur und nahm ihre Hand in seine um sie hinter sich herzuziehen.
Hix blieb stehen und das machte Mila etwas unsicher. Aber als sie die Höhle durchquert hatten und durch einen kleineren Torbogen schritten verschlug es ihr den Atem.
Vor ihr befand sich eine noch viel größere Höhle. Welche Ausmaße sie hatte konnte sie nicht einmal in Worte fassen. Gerade noch so verkniff sie sich das öffnen ihres Mundes vor Staunen.
In dieser Höhle befand sich eine Stadt, komplett aus rotem Stein.
Wunderschöne Gebäude ragten in die Höhe, gingen teilweise sogar in die Wände hinein. Ein verzwicktes Brückensystem führte von einem runden Platz zum anderen.
Auf den größten Platz, der mit seltsamen Runen beschriftet war, stand ein riesiger Brunnen.
Die Figur inmitten des Brunnens war ein Drache, so fein aus Stein gemeißelt das er echt wirkte.
» Wo sind wir hier? «, wiederholte sie ihre Frage. Ihre Augen hatten sich noch immer nicht satt gesehen.
Sie bemerkte, dass die Stadt ausgestorben war und das auch keinerlei Pflanzen hier wuchsen, aber dennoch schien sie eine Bedeutung zu haben.
Aynur stand regungslos neben ihr und meinte leise: » Die tote Stadt! «
Wirklich hilfreich war das für Mila nicht, aber sie schwieg ebenfalls. Irgendwie schien es, als hätte die Stadt eine besondere Wirkung auf Aynur weshalb sie ihre Klappe mal hielt.
Um Aynur die Zeit zu geben, welche er scheinbar brauchte, ging sie langsam über die größte Brücke welche ohne Umwege sofort zu dem Brunnen führte.
Irgendwie wirkte nämlich dieser eine starke Anziehungskraft auf Mila aus welche sie sich einfach nicht erklären konnte.
Erst als sie vor dem Brunnen stand gab das unbändige Verlangen, dorthin zu kommen, nach und ließ sie los.
Gespannt auf ihr Spiegelbild beugte sie sich über den Rand des Brunnens und blickte in das ruhige Wasser.
Aber anstatt ihres Spiegelbildes sah sie einen seltsamen Ort. Es war eine Stadt die aussah, als schwebe sie inmitten eines Gebirges. Doch ehe sie richtig realisieren konnte, was sie soeben gesehen hatte, wechselte die Ansicht.
Anstatt der Stadt sah sie nun einen großen See in dessen Mitte eine kleine Insel lag wo das Wasser ihr einen kleinen Tunnel zeigte. Sie bemerkte nur nebenbei wie Aynur neben sie trat und ebenfalls ins Wasser blickte.
» Die Stadt kenne ich, aber der See, den habe ich noch nie zuvor gesehen. «, flüsterte er enttäuscht. Auch Mila fühlte sich so, selbst wenn sie nicht ganz verstand weshalb sie diese zwei Orte im Wasser gesehen hatte. Als hätte Aynur ihre Gedanken gehört beantwortete er ihre Frage: » Dieser Brunnen ist mit einem Zauber belegt. Das was man am meisten sucht, wird einem angezeigt. Zumindest der Ort wo es versteckt ist. «
So langsam wunderte Mila gar nichts mehr. Eher machte sie es neugierig, was hier unten noch so alles möglich war. » Und wo ist diese Stadt? «, wollte sie wissen, jene direkt vor Augen habend.
Dazu schwieg Aynur länger und seine Antwort klang unsicher: » Sie wechselt alle Jahre ihren Standort, wo sie zur Zeit ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. «
Aufseufzend blickte Mila von dem nun klaren Wasser weg, direkt zu Aynur, der ebenfalls entmutigt wirkte.
» Tut mir Leid das ich dir bisher noch nicht wirklich helfen konnte. «, flüsterte er traurig. Mila verdrängte die aufkeimende Angst, niemals wieder nach Hause zurückkehren zu können, und legte eine Hand sanft auf Aynurs Oberarm: » Du musst dich für nichts entschuldigen. Es ist schon genug, dass du mir überhaupt helfen willst. Dich zwingt keiner dazu und ich bin dir dankbar für deine Unterstützung! «
Sie hoffte wirklich, Aynur glaubte ihr und machte sich keine zu großen Vorwürfe. Tatsächlich besserte sich seine Laune etwas und er machte ein nachdenkliches Gesicht.
» Die Stadt welche du gesehen hast heißt Hítheb. Nachdem deine Mutter den Göttern den Seelenstein gestohlen hatte floh sie dorthin um deinen Vater zu treffen. Gemeinsam gelangten sie mithilfe des Steines in deine Heimat. Der Seelenstein jedoch blieb in Hítheb zurück. Daraufhin holten die Götter ihn zurück und versteckten ihn irgendwo und nur sie kennen das Versteck. Jedoch denke ich, den See welchen und gesehen hast, dass das Versteckt ist. «
Mila hatte aufmerksam zugehört und nickte bedächtig. Es klang plausibel was Aynur da erzählte und doch machte es ihr nicht unbedingt mehr Mut. Mutlos fragte sie deshalb: » Und wie finden wir heraus wo dieser See liegt? «
Aynur lächelte nur geheimnisvoll und meinte fast zärtlich: » Lass mich nur machen, geh du mit Hix nach oben zurück und leg dich schlafen! «
Nicht wirklich einverstanden damit verschränkte Mila abwehrend die Arme vor der Brust und reckte das Kinn leicht in die Höhe: » Und wieso sagst du mir nicht, wie du das herausfinden willst? «
Aynurs Lächeln wurde breiter und ein belustigter Ton klang in seiner Stimme mit: » Wenn du willst, kann ich es dir ruhig sagen. Zuerst werde ich Saphea informieren und sie losschicken um den See zu suchen, außerdem werde ich etwas Magie anwenden um den genauen Ort zu finden wenn es Saphea nicht schafft! «
Ihr Wissensdurst war fürs erste befriedigt und deshalb ging sie ohne Klagen zu Hix zurück der schon ungeduldig auf sie wartete.
Der Rückweg kam Mila noch länger vor wie der Hinweg aber sie ertrug es ohne Klage. Mittlerweile war sie mehr als müde und freute sich riesig auf ihr Bett.
Hix schwieg ebenfalls und darüber war Mila auch froh. Sie hatte keine Lust viele Fragen zu beantworten. Zwar ging sie nicht davon aus, dass Hix so neugierig war und sie mit Fragen durchlöcherte, aber selbst wenn es so gewesen wäre hätte sie nicht viel gesagt.
In dem Raum mit den vielen Büchern trennten sich ihre Wege, Hix verzog sich mit einem der Bücher auf einen Sessel und Mila ging in Richtung ihres Zimmers.
» Und? «, Anja stieß zu ihr und blickte sie neugierig an. Müde lächelnd schüttelte Mila mit dem Kopf als sie sagte: » Ich hab keine Ahnung was wir da unten gemacht haben! « Zwar blickte sie die Frau enttäuscht an, drängte sie jedoch nicht dazu, etwas zu sagen. Anja ließ Mila erst alleine als diese in ihrem Zimmer verschwand.
Schon so schläfrig, dass sie kaum Lust hatte sich umzuziehen, tapste sie zum Bett und zog sich aus und wieder an, mit geschlossenen Augen. Danach fiel sie erledigt in die weichen Kissen und schlief sofort ein.
Es war Aynur der sie aus dem Schlaf riss. Er saß aufgeregt auf der Bettkannte und plapperte los sobald Mila die Augen geöffnet hatte. » Ich weiß wo der See liegt. Saphea kennt ihn und doch habe ich auch eine schlechte Nachricht, wenn wir dorthin wollen müssen wir erst einmal nach Hítheb und dort etwas suchen, aber das ist kein Problem. « Mila hatte echte Probleme ihm zu folgen aber ihr gelang es dennoch halbwegs. Nickend setzte sie sich auf und gähnte erst einmal kräftig. Dann blinzelte sie Aynur an und fragte: » Und wann geht’s los? «
Aynur grinste verhalten und meinte zögerlich: » Sobald du startklar bist. « Wirklich erfreut war Mila zwar nicht, aber sie schaffte es auch nicht, etwas dagegen zu sagen.
» Ich lass dich jetzt Mal alleine. Geh ruhig noch Baden, wir werden wohl so schnell nicht mehr dazu kommen, zumindest in keiner Wanne. Ich warte unten. «, meinte Aynur immer noch gut gelaunt und verschwand augenblicklich aus ihrem Zimmer.
Benommen blieb Mila auf dem Bett sitzen und versuchte erst einmal wach zu werden. Tatsächlich schaffte sie es ins Bad ohne dabei einzuschlafen und glitt in die Wanne welche großzügiger Weise bereits mit heißem Wasser gefüllt war.
Als all ihre verspannten Knochen vollkommen entspannt waren und sie bereits fast wieder eingeschlafen war schaffte sie es aus dem nun nur mehr lauwarmen Wasser zu steigen.
In diesem Moment kam Anja herein die sie etwas betrübt anblickte, es jedoch zu vertuschen versuchte was ihr nicht wirklich gelang.
» Ein kleines Abschiedsgeschenk von Hix und mir! «, meinte sie fast liebevoll und reichte Mila die Kleidung welche sie über ihren Arm getragen hatte.
Erstaunt über das Geschenk betrachtete sie die Kleidung genauer. Sie war wunderschön. Die enge, schwarze Hose war aus einer Art Leder welches sich wunderbar anfühlte. Die rote Bluse und die schwarze Weste passten perfekt dazu und waren aus einem seltsamen Stoff welchen Mila noch nie gesehen hatte.
» Diesen Stoff nennt man Scent. Er wird aus im Mondschein gewaschenen Pflanzen geflochten und hält allem Stand. Er ist deiner würdig! «
Mila blickte mit Tränen in den Augen zu Anja und nachdem sie das kostbare Gewand übergezogen hatte, konnte sie nicht anders, wie Anja fest in die Arme zu schließen. In der kurzen Zeit welche sie und Aynur hier verbracht hatten hatte sie Anja bereits sehr ins Herz geschlossen.
» Danke. «, hauchte sie bewegt und konnte die Tränen gerade so zurückhalten.
Der Abschied fiel ihr ebenso schwer wie jener von Dirkan und Sonil und sie hoffte, Hix und Anja würden noch lange glücklich zusammen leben.
Gemeinsam gingen die beiden Frauen hinunter wo Hix und Aynur schon warteten. Auch Hix schloss sie in die Arme und murmelte heißer: » Pass bitte auch dich auf! «
Nickend versprach sie ihm das und drehte sich dann zu Aynur der ebenfalls etwas traurig wirkte. Jedoch konnte sie seinen Drang nach einem neuen Abenteuer in seinen Augen sehen und verstand ihn sehr, ging es ihr doch nicht wirklich anders.
Nachdem sie von Anja noch ein bisschen Nahrung erhalten hatten machten die beiden sich auf den Weg nach Hítheb. Sie verließen die Stadt unbemerkt und schritten munter neben einander her, einem kurvenreichen Weg folgend.
» Wie kommen wir eigentlich nach Hítheb? «, fragte sie als die erste Stunde ergebnislos vergangen war. Aynur, der einen sehr flotten Schritt drauf hatte, drehte seinen Kopf zu ihr und meinte: » Bald reisen wir mit Saphea weiter, aber hier sind wir noch zu nah an der Zivilisation und man könnte sie entdecken! «
Verstehend nickte Mila und lächelte leicht bei dem Gedanken an Saphea. Sie freute sich schon darauf, den Drachen wiederzusehen und auf ihm zu fliegen.
Schade, dass das in ihrer Welt niemals möglich war, so zu fliegen wie auf Saphea. Und in einem Flugzeug war es nicht dasselbe wie auf einem Drachen. Und da konnte sie eindeutig aus Erfahrung sprechen.
» Du hast Saphea bereits ins Herz geschlossen? «, fragte er wissend und Mila musste demnach nur noch nicken. Sie lächelten sich beide an und schritten dann munter weiter.
Nach noch einer Stunde war es dann soweit und sie waren weit genug von der Zivilisation entfernt und Aynur rief Saphea. Sie mussten nur kurz warten, da tauchte der Drache in ihrem Blickfeld auf und stürzte zur Erde um geräuschvoll zu landen.
» Ich grüße dich Mila! «, hörte sie Sapheas Stimme in ihrem Kopf und sie antwortete ebenso erfreut: » Ich dich auch! «
Aynur ging zu Saphea, berührte ihren Hals und schien sich mit ihr dadurch zu verständigen. » Bereit? «, fragte Aynur und hielt ihr die Hand entgegen um ihr aufzuhelfen. Mila lächelte leicht und ergriff die Hand ohne zu zögern. Mittlerweile vertraute sie Aynur blind und es war ein gutes Gefühl, zu wissen auf wen man sich verlassen konnte. Zusammen kletterten sie auf Sapehas Rücken. Entspannt setzte Mila sich vor Aynur hin und hielt sich an der Halszacke fest.
» Bereit? «, fragte der Drache erfreut und Mila konnte spüren, wie Saphea sich anspannte. Trotz der Sicherheit, nicht zu Boden zu fallen, hielt Mila den Atem an und konnte sich nur knapp davon abhalten, die Augen nicht zusammenzukneifen.
Erst als sie waagrecht in der Luft schwebten, entließ sie die Luft aus ihren Lungen und lehnte sich entspannt an Aynurs Brust.
Das sicherte sie zusätzlich noch etwas ab. Die kühle Luft fühlte sich nach einiger Zeit seltsam im Gesicht an aber auch daran gewöhnte Mila sich mit der Zeit.
Sie flogen über trostloses, Schneebedecktes Land. Nur ab und zu konnte man Bäume sehen, die nicht einem Strauch ähnelten. Seen oder Flüsse konnte Mila gar keine erkennen.
Weit im Westen erhoben sich riesige Berge die so hoch wirkten, dass nicht einmal Saphea sie überfliegen konnte. Als dann die wenigen Bäume gänzlich verschwanden und nichts außer glatter Fläche zu sehen war, musste Mila einfach nachfragen: » Was liegt unter dem Schnee? Hier wächst ja rein gar nichts. «
Aynur antwortete relativ schnell, es schien als würde er sich hier gut auskennen. » Das Land in welchem wir uns mittlerweile befinden heißt 'Land der tausend Seen'. Unter dem Meterhohen Schnee befinden sich über tausend kleine Seen deren Oberfläche fast zehn Monate im Jahr mit Eis bedeckt ist. Im Sommer taut das Eis für zwei Monate und in dieser Zeit ist es hier wunderschön, aber auch gefährlich weil dann allerlei Geschöpfe hier her kommen. «
Dankbar nickte Mila und wünschte sich, diese Seen einmal zu erblicken, kannte sie so etwas aus ihrer Welt gar nicht.
Zumindest nicht in dieser Anzahl und mit Eis bedeckt und das auch noch fast das ganze Jahr.
» Wo ist Hítheb eigentlich zurzeit? «, fragte Mila da sie sich daran erinnerte, dass Aynur dies gestern nicht gewusst hatte. Und das wäre ein echtes Problem wenn sie die Stadt nicht finden würden denn dann würden sie auch nicht den See und den Seelenstein finden.
Aynur schwieg lange Minuten und als Mila schon mit gar keiner Antwort mehr rechnete kam dann doch eine: » Zur Zeit schwebt sie über dem Feuerland. Aber wir müssen warten, bis sie ihren Standort wechselt denn im Feuerland können wir nicht lange überleben! «
Verstört nickte Mila und hackte nach: » Wieso können wir dort nicht überleben? «
» Das Feuerland besteht zu 80 % aus Lava und selbst Saphea kann dort nicht lange fliegen und um nach Hítheb zu kommen müssen wir fliegen können. Aber keine Sorge, Hítheb wird in zwei Tagen weiterfliegen und dann folgen wir ihr und holen die benötigten Informationen. «
» Und wie können die Bewohner dann überleben? «
» Die Stadt ist mit einem Bann belegt der ihre Bewohner vor allem schützt. Aber der gilt nur für ihre Bewohner und nicht für Gäste. «
» Ist hier eigentlich alles mit einem Bann oder Zauber belegt? «, Mila konnte einen sarkastischen Unterton einfach nicht verhindern. Aynurs Antwort bestand aus einem lauten Lachen welches Mila einen Schauder über den Rücken jagte. » Ach Mila. Wir sind hier in Jacaran wo es sechsbeinige Nashörner, Drachen und schwebende Städte gibt. Und da wunderst dich über das?! «
Gegen ihren Willen musste Mila jetzt auch lachen, so sehr das ihr Tränen in die Augen traten. Erst als sie wieder aufhören konnte, fiel ihr auf, dass Aynur von Nashörnern und nicht Wyorsen gesprochen hatte was sehr seltsam war.
Ein Verdacht kam in ihr auf und sie drehte sich so weit wie nötig um damit sie ihn anblicken konnte. Ihn starr anblickend fragte sie leise:
» Du warst schon einmal auf der Erde? «
Entsetztes Luftanhalten folgte und dann ein zögerliches Nicken. Aynur schaute sie bedauernd an und flüsterte heißer: » Nachdem deine Mutter und dein Vater aus Jacaran fortgingen musste ich ihnen folgen, denn es gab Komplikationen bei deiner Geburt. Als das geschafft war kehrte ich hier her zurück und tat so als wäre nie etwas gewesen. «
Mila konnte es einfach nicht glauben. Das bedeutet also, man konnte auch von der Erde nach Jacaran zurückkehren und bestimmt waren ihre Mutter und Aynur nicht die ersten welche das gemacht hatten.
Und da kam eine Erinnerung in ihr hoch. Manchmal hatte sie davon geträumt aber konnte diese Erinnerung noch nie zuordnen. Doch jetzt war es als wäre es nie klarer gewesen.
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Der Schrei eines Neugeborenen hallte in dem Schlafzimmer nach und doch wurde er fast von dem erleichterten Schluchzer der Mutter übertönt. Vater und Mutter blickten voller Staunen und Stolz auf das kleine Mädchen welches in den Armen des Blauhaarigen lag und diesen fasziniert anschaute.
Es war eine Sternenklare Nacht als die Saphirblauen Augen auf das kleine Mädchen blickten und es für die Ewigkeit im Gedächtnis behalten würde. Und auch den Eltern wurde in jenem Moment bewusst, dass die Schicksale beider für immer miteinander verbunden wären, doch ihre Zeit war noch nicht gekommen.
Und das kleine Mädchen behielt diesen Blick ebenfalls tief im Inneren für sich.
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Mila konnte es einfach nicht glauben. Sie hatte Aynur bereits kennen gelernt und es bisher einfach nicht bemerkt. Wie war das möglich, dass es ausgerechnet jetzt hochkam? War das ein Zeichen der Götter?
» Sei ehrlich zu mir. Wieso bin ich hier? Sicher nicht um heil aus der Sache zu kommen oder? «
Aynur blickte Mila einfach nur traurig an und schüttelte erneut den Kopf: » Die Götter waren sehr erzürnt als Zara den Seelenstein stiel um einen Mensch von der Erde die Rückkehr zu ermöglichen. Als sie dann erfuhren, dass Zara mit ihm gegangen war weil sie ein Kind austragen wollte, da musste ich handeln. Ich ging zu meinem Freund nach Erarg, dem Gesichtslosen, und flehte ihn an, seine Männer dafür auszubilden, den Aufenthaltsort von dir und deiner Mutter geheim zu halten und ihn niemanden zu verraten. Als Narbengesicht eines Tages herausfand, weshalb es wichtig war, Zaras Tochter, dich, zu schützen wollte er alles den Göttern verraten. Deshalb sieht er so aus wie jetzt, denn das konnte ich nicht zulassen. Mehrmals wünschte ich mir, Zara und deinem Vater niemals geholfen zu haben aber wo ich dich jetzt sehe, weiß ich, dass es eigentlich richtig war. Doch wieso hat Zara dich zu mir geschickt? Damit ich dieselben Fehler begehe wie früher? Damit noch jemand stirbt? «, Bitterkeit klang in seiner Stimme mit und in seinen Augen konnte Mila Vorwürfe sowie Angst zeigen.
Auch wenn sie ihn gerne angeschrien oder dafür verantwortlich gemacht hätte, sie brachte es nicht übers Herz.
» Wer ist gestorben? Von wem redest du? «, Mila versuchte sachlich zu klingen aber etwas Skepsis konnte sie einfach nicht verbergen.
Aynur seufzte tief und meinte dann ruhig: » Viel, zu viele die vielleicht unwichtige Persönlichkeiten waren, aber ich kann für eines garantieren. Dich wird niemals jemand anrühren der im Auftrag der Götter handelt. Eher sterbe ich wie das zuzulassen. Du musst mir vertrauen, in dieser einen Sache. Ansonsten verlange ich nichts von dir. «
Mila konnte Aynur verstehen und war ihm nicht so böse wie sie es sein sollte. Aber dennoch konnte sie ihm einfach nicht gleich antworten. Erst einmal musste sie überlegen was sie machen sollte. Ohne Aynur war sie erst recht aufgeschmissen und selbst wenn er sie den Göttern ausliefen würde und sie angelogen hätte, immerhin hätte sie ihm dann vertraut. Und ihre Mutter hätte sicher nichts Schlechtes im Sinn gehabt und sie hatte nun mal Aynur auserwählt.
» Ich wurde mein ganzes Leben lang belogen. Wieso hat mein Vater mir nie etwas über das Ganze hier gesagt? Das hätte vieles einfacher gemacht wenn nicht sogar verhindert. «, sie redete sich in Rage und merkte erst jetzt, wie sehr ihr Vater ihr damit wehgetan hatte. Mehr noch wie mit dem Unfall und der Hilflosigkeit welche sie danach verspürt hatte.
Aynur schenkte ihr einen mitleidigen Blick und meinte dann bedächtig: » Deine Mutter hat deinem Vater kurz nach deiner Geburt das Gedächtnis gelöscht. Zumindest alles was mit Jacaran, mir oder ihrer Herkunft zu tun hatte. Danach ersetzte sie das alles durch ganz normale Erinnerungen, wie sich normale Paare kennenlernen und so weiter. Das war für seinen und deinen Schutz. Hätte ich gewusst, dass die Götter so lange warten bis du alt genug bist um dich hier her zu holen damit du für den Verrat deiner Mutter bezahlst hätte ich den Seelenstein zerstört oder für immer versteckt. Aber ich hatte keine Ahnung, ich war zu
naiv! «
Mila war einfach überwältigt von allem und konnte nicht verhindern, dass sie zu weinen begann. Alles stürzte über ihr ein und erdrückte sie mit seinem Gewicht.
Nur nebenbei bemerkte sie, dass Saphea in den Sinkflug ging und wenig später auf einer Anhöhe landete.
Aynur hob sie in seine Arme und kletterte zu Boden um sich mit ihr hinzusetzen und sie in seinen Armen zu wiegen.
Schluchzend krallte Mila sich in seinem Hemd fest und weinte hemmungslos an seiner Brust. Wieso musste ausgerechnet bei ihr alles so sein? Wieso konnte sie nicht einfach ein normales Leben haben wie alle anderen?
» Shh, ganz ruhig Mila. Du bist nicht alleine. Ich schwöre dir, ich helfe dir dass du hier wegkommst und danach verhindere ich, dass die Götter dich jemals wieder in die Finger bekommen können. «, versuchte Aynur sie zu beruhigen und es gelang ihm sogar. Zwar beruhige Mila sich nur langsam aber immerhin funktionierte es.
Als die letzten Tränen geweint waren löste sie sich etwas von Aynur um auf den nassen Fleck auf seiner Brust zu blicken.
» 'Tschuldigung, das wollte ich nicht! «, ihre Stimme war heißer und Tränenerstickt.
Aynur schüttelte bloß stumm den Kopf und legte einen Finger auf ihre Lippen damit sie schwieg.
» Für so etwas musst du dich nicht entschuldigen Mila. Es ist nicht nur menschlich sondern auch verständlich. Ich kenne das Gefühl, von allen belogen worden zu sein und ich bin mir sicher, es war nur zu deinem Besten! «, meinte er eindringlich und schaute sie dabei ebenso eindringlich an.
Mila nickte mit Bedacht und dennoch wollte sie sich noch einmal entschuldigen aber Aynurs Blick sagte ihr, dass sie es besser unterließ.
» Brauchst du noch einen Moment oder wollen wir weiter? «, fragte Aynur nach fünf Minuten, blieb aber sitzen.
Mila atmete noch einmal tief durch und stand dann auf. » Wir können weiter! «, antwortete sie mit fester Stimme. Am liebsten hätte sie sich in ihrem Bett verkrochen und weiter geweint, aber sie wollte nicht noch schwacher vor Aynur wirken wie sie es eh schon war.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen fragte sie während sie auf Sapheas Rücken zurückkletterten: » Wann trainieren wir eigentlich weiter? « Vielleicht würde das sie auf andere Gedanken bringen und sie auspowern. Aynur schenkte ihr ein schmales Lächeln und zuckte mit den Schultern.
Stumm den Kopf schüttelnd blickte Mila wieder nach vorne und betrachtete die Umgebung unter ihnen.
Saphea hatte an Geschwindigkeit und Höhe zugenommen und sie flogen schneller denn je übers Land.
Die Landschaft zog unter ihnen vorbei und veränderte sich nur selten. Hi und da konnte Mila ein paar Dörfer ausmachen, jedoch waren sie viel zu klein um Details zu erkennen. Saphea flog ruhig und ohne Anstrengung durch dir kühle Luft. Mit der Zeit wurde Mila immer müder und wünschte sich nur noch ein warmes, weiches Bett.
» Wieso fliegen wir eigentlich und bewegen uns nicht auf dem Boden fort? Mit Wyorsen oder so? «, fragte Mila als ihr langweilig wurde.
Aynurs Antwort kam relativ schnell: » Das wäre zu langsam und außerdem bekommen wir in dieser Gegend keine Wyorse, hier gibt es sie nicht. Und auf Pferden würde sofort jeder wissen, was wir sind und das ist zu diesen Zeiten nicht sehr hilfreich. « Wirklich befriedigend war diese Antwort zwar nicht aber Mila gab sich damit zufrieden. Aynur würde wissen was er tat und sie musste ihm einfach vertrauen.
Als der Tag sich langsam dem Ende zuneigte flog auch Saphea tiefer, suchte einen geeigneten Platz zur Rast unter sich. » Wir können nachher noch einmal den Schwertkampf trainieren wenn du magst. «, schlug Aynur vor als sie schon gelandet waren und etwas zu sich genommen hatten.
Sofort war Mila Feuer und Flamme und konnte gar nicht mehr still sitzen. Heute wollte sie es Aynur zeigen, ihn fertig machen um es genau auszudrücken. Ob es ihr gelingen würde musste sie erst einmal herausfinden. Aber wenn sie es nicht versuchte, wusste sie nicht ob es funktionierte.
Aynur reichte ihr, als die Nacht hereingebrochen war, einen geraden Holzstab. Er hatte zwar keine Ähnlichkeit mit einem Schwert aber genügte zum Üben alle mal.
» Wie soll ich bei dieser Dunkelheit etwas erkennen? «, fragte Mila verwirrt als Aynur sie aufforderte, die Ausgangsposition einzunehmen.
Sie konnte ihn kaum erkennen obwohl er nicht weit von ihr entfernt stand.
» Wenn du erst einmal lernst, mit allen anderen Sinnen zu kämpfen und dabei nichts siehst, funktioniert es noch besser sobald es hell ist! «
Wirklich begeistert war Mila nicht, aber sie hatte keine Wahl als es zu probieren. Selbstverständlich dauerte es nur wenige Minuten bis sie Aynurs Holzstab schmerhaft in die Seite geschlagen bekam und vor Schreck ihren eigenen fallen ließ.
Knurrend suchte sie jenen auf dem Boden und als ihre Finger sich um ihn schlossen, hatte sie neue Energie getankt.
Zwar fand sie es noch immer unfair, im Dunkeln gegen Aynur zu kämpfen, aber sie verstand den Sinn hinter dieser Übung.
Wie wild fuchtelte sie mit dem Holzstab umher, versuchte dadurch einen Glückstreffer zu landen. Aber außer einem kräftigen Schlag auf die Finger kam nichts dabei raus.
» Wie machst du das? «, fragt sie wütend und blieb schwer atmend stehen. Mittlerweile hatte Aynur sie acht Mal entwaffnet während sie keinen einzigen Treffer gelandet hatte.
Ein amüsiertes Lachen kam aus der Dunkelheit um sie herum ehe er antwortete: » Wie gesagt, du musst lernen deine anderen Sinne zu schärfen. Deine Augen nutzen dir in der Dunkelheit nichts mehr. Aber du hast noch die Ohren und auch die Nase, aber du setzt sie nicht ein! «
Ein leichter Tadel klang aus seinen Worten heraus und Mila wollte es noch einmal probieren und seinen Rat dieses Mal befolgen.
Sie schloss die Augen und versuchte ganz leicht und ruhig zu atmen. Als sie sich an ihr eigenes Atemgeräusch gewöhnt hatte konnte sie langsam auch die anderen Geräusche um sich herum wahrnehmen. Sapheas schwerer, tiefer Atem in einiger Entfernung, das Zirpen einiger Grillen und auch Aynurs Atem.
Ob er mit Absicht so laut atmete das sie ihn hören konnte, konnte Mila nicht mit Gewissheit sagen, aber sie störte es nicht.
Jetzt wusste sie wenigstens wo Aynur sich aufhielt. In mindestens zwei Schritten Entfernung genau parallel zu ihr. Was ihre Nase ihr helfen sollte konnte sie jetzt noch nicht sagen, aber immerhin wusste sie in welche Richtung sie schlagen musste.
Das aufeinander prallen der zwei Hölzer war zu hören ehe Mila das Gleichgewicht verlor weil sich Aynur bewegte und so den Gegendruck auf ihren Stab verringerte.
» Gar nicht mal so schlecht. «, kam das Lob von Aynur welcher jedoch nur minder beeindruckt wirkte. So langsam verließ Mila die Lust und die Geduld weiterzukämpfen.
Nachdem Aynur erneut vier Siege errungen hatte gab es Mila gänzlich auf. Nicht ein einziges Mal war sie ihm nur nahe genug gekommen um erfolgreich zuzuschlagen.
Gefrustet schmiss sie den Holzstab auf den Boden und setzte sich neben ihn: » Ich habe keinen Bock mehr! «
Aynur trat neben sie, ließ sich ebenfalls nieder und flüsterte ein paar leise Worte. Im selben Augenblick formte sich eine helle Lichtkugel vor ihnen und erhellte die Umgebung in einem Radius von ein paar Metern.
» Wie machst du das? «, fragte Mila fasziniert und folgte der Kugel mit den Augen. Sie leuchtete leicht Silbern und war im inneren voller dunkler Schatten. Aynur lächelte schmal und legte den Kopf leicht schief worauf die Kugel auf Mila zuflog: » Ich weiß es nicht, ich kann es seit meiner Geburt auch wenn ich es erst viel später gelernt habe zu kontrollieren. Mir sind in meiner Kindheit viele Unfälle deshalb passiert. Aber es ist recht praktisch und deshalb nutze ich diese Gabe! «
Mila nickte einfach nur und hob zaghaft die Hand um die Kugel zu berühren. Wenn sie genau zuhörte erklang ein leichtes Surren welches von der Kugel ausging. Etwas zögerlich berührte sie die Kugel. Sie fühlte sich kalt an und irgendwie elektrisiert. » Ist das nicht anstrengend? «, wollte Mila wissen die sich nicht vorstellen konnte, so eine Gabe zu besitzen.
Aynur schüttelte mi den Kopf, blieb aber still. Sie saßen einige Zeit nebeneinander, Mila die Kugel noch immer berührend, bis sie so müde wurde, dass sie beschloss schlafen zu gehen.
» Gute Nacht Aynur! «, verabschiedete sie sich und legte sich nicht unweit von Saphea auf ihre Decken. Sie war schon so müde, dass sie gar nicht mitbekam wie Aynur neben sie trat und ihr sanft über die Wange strich bevor er sich abwand und Mila sowie Saphea alleine ließ und in der Dunkelheit verschwand.
Aynurs panische Stimme war es, welche Mila aus dem Schlaf riss.
» Schnell, wir müssen weiter! «
Erschrocken öffnete Mila die Augen und blinzelte, jedoch blieb es relativ dunkel um sie herum. Aynur saß vor ihr in der Hocke und sah sich misstrauisch um. Müde und nicht bereit auf Scherze fragte Mila: » Was ist denn los? «
Was Aynur auch immer dazu antrieb, so panisch zu wirken, musste dringend beseitigt werden. Aber auch in seinen Augen war eine große Furcht erkennbar und wäre Mila nicht so müde gewesen, hätte sie das wohl bemerkt.
Aber so sah sie es nicht. » Verbündete der Götter haben uns bald eingeholt, wenn wir nicht sofort von hier verschwinden dann sind wir
tot! «
Nun war Mila vollkommen wach und starrte Aynur entsetzt an. Das konnte dieser doch nicht ernst meinen. Wie war das möglich? Waren sie so unachtsam geworden?
Schnell stand sie auf und raffte die paar Decken eilig zusammen um sie in den Rucksack zu stopfen. Saphea war schon startklar, hatte jedoch eine wachsame Haltung angenommen und schien bereit, Aynur und Mila mit ihrem Leben zu schützen.
» Steig auf! «, befahl Aynur in einem harschen Ton, aber Mila kümmerte sich nicht darum. Sie wusste wie gefährlich diese Situation war und hörte auf Aynur, egal ob er nett zu ihr war oder nicht. Sapheas Muskeln waren angespannt und Mila wartete nur noch darauf, dass Aynur aufstieg.
Doch so weit kam es nicht. Ein Pfeil kam aus der Dunkelheit geflogen und blieb nur wenige Millimeter neben Aynur im Boden stecken.
» Flieg Saphea, bring sie in Sicherheit! «, schrie er und Mila war mehr als verwundert, dass die Drachendame auf ihn gehörte.
Sie hatte geglaubt, Saphea würde sich niemals von ihrem Reiter trennen, besonders nicht in solch einer Situation.
Aber sie wurde eines besseren belehrt denn Saphea hob ab und brachte Mila fort.
Das letzte was sie noch sehen konnte war, wie mehrere riesige Gestalten auf Aynur zuliefen und wie er sein Schwert zückte.
» Was machst du Saphea? Du kannst ihn doch nicht einfach alleine
lassen! «, brüllte sie so laut es konnte damit der Drache es auch mit Sicherheit hören konnte.
» Er nahm mir vor einigen Wochen den Schwur ab, egal was auch geschehe, mich für dich zu entscheiden. Mir fällt es nicht leicht Mila, aber ich weiß warum ich es tue und das macht es etwas einfacher für mich. «
Mila konnte es einfach nicht glauben. Weshalb lag Aynur so viel an ihr das er Saphea so einen Schwur abnahm? Ohne Aynur konnte sie niemals gewinnen.
» Wir müssen dorthin zurück und ihm helfen! «, flehte Mila und hoffte, Saphea würde sich umstimmen lassen.
Der Flügelschlag des Drachen klang wie ein unheilvoller Sturm der mit zerstörbarer Macht über die Kämpfenden hereinbrach. Sapheas Brüllen ließ die Erde geradezu erzittern und lenkte die Angreifer für einen Augenblick ab. Dieser Augenblick war lang genug für Aynur sich mit einer schnellen Bewegung in Sicherheit zu bringen. Und während sich die Drachendame mit gefletschten Zähnen in die Menge stürzte, betrachtete Aynur dies aus sicherer Entfernung. Mila hatte Mühe sich auf dem Rücken des Drachen zu halten, aber ihr gelang es. Einige der Angreifer fielen Sapheas Klauen zum Opfer während andere in ihrem heißen Feuer verbrannten.
Aynur hatte genügend Kraft geschöpft um weiterzukämpfen und die letzten der Orks starben durch sein Schwert. Schwer atmend blieb Aynur stehen, sich auf seinem Schwert abstützend. Saphea atmete ebenfalls schwerer, jedoch bei weitem nicht so erschöpft.
Zögerlich sprang Mila zu Boden und ging auf Aynur zu. Bevor sie jedoch bei ihm ankam fing er schon an sie anzuschreien: » Wieso, im Namen der Götter, hast du Saphea überredet zurückzukommen? Ist es dir noch immer nicht bewusst, dass die Götter dich töten wollen? Du hättest gerade eben sterben können! «
Bei seiner Ansprache schein es Mila, als würde sie immer mehr schrumpfen bis sie im Boden verschwand. Die ehrliche Angst und Sorge welche aus Aynurs Stimme zu hören war machte es Mila auch nicht einfacher.
Aber eines wusste sie. Sie würde sich garantiert nicht so zur Schnecke machen lassen. » Ach halt doch einfach die Klappe! Ich bin vielleicht in deinen Augen noch ein unwissendes Kind das alleine nicht zurechtkommt. Aber hast du daran gedacht, dass ich ohne dich erst recht sterben würde? Ich würde lieber sterben wie weiter hier rumzureisen ohne zu wissen, was aus mir wird. Wenn es dir so wichtig ist, dass ich überlebe, dann lass mich einfach alleine und hau ab! «, schrie sie zurück und ehe Aynur sie aufhalten konnte, drehte Mila sich um und verließ das Schlachtfeld.
Wohin sie sollte wusste sie zwar noch nicht, aber das würde sich von alleine klären. Wutentbrannt stapfte sie durch die öde Landschaft und fluchte leise vor sich hin. Was dachte Aynur bloß? Sie hatte sich große Sorgen um ihn gemacht und so dankte er ihr es? Schnaubend murmelte Mila: » Typisch Mann! «
Da machte man sich einmal Sorgen und dann kam so etwas dabei heraus. Deshalb liebte Mila ihre Unabhängigkeit, welche sie zumindest in ihrer Heimat gehabt hatte. Jetzt, wo sie eigentlich komplett von Aynur abhängig war, hing es ihr bereits zum Hals heraus.
» Für eine Frau fluchst du aber sehr männlich. «, kam es mehr als amüsiert von der Seite. Mila war so mit Fluchen beschäftigt das sie nicht einmal mitbekommen hatte, wie Aynur neben sie getreten war. Ertappt zuckte sie zusammen und schaute ihn vorsichtig aus den Augenwinkeln an. War er noch wütend auf sie? Hatte ihr Verhalten Folgen?
Aynur ging ein bisschen schneller und trat dann vor Mila sodass er ihr im Weg stand. Resigniert blieb sie stehen und starrte stur auf seine Brust um ihn ja nicht anblicken zu müssen.
» Ich kann ganz lieb sein, wirklich. Aber manchmal geht mein Temperament mit mir durch und dann sage ich ganz blöde und böse Sachen. Es tut mir aufrichtig Leid Mila! «, flüsterte er mit leiser und bereuender Stimme.
Ein leiser Seufzer schlüpfte über ihre Lippen ehe sie den Blick hob und hin fest ansah: » Ich muss mich wohl auch entschuldigen. «
Sie versanken einen Moment in einem tiefen Blick bevor Aynur leise weitersprach: » Du bist in meinen Augen kein unwissendes Kind. Ich sehe dich als starke und selbstständige Frau an, die ein bisschen Hilfe braucht um hier zu überleben. Aber ich habe dich doch nicht ohne Grund fort geschickt. Wenn ich dich nicht beschütze, dann kann ich mir doch selbst nicht mehr in die Augen blicken. Es mag komisch klingen, aber seit du geboren wurdest, fühlte ich mich immer irgendwie für dich verantwortlich. Alles was ich tue und tat ist nur zu deinem Besten. «
Mila nickte leicht und schaute Aynur weiterhin stumm an. Wie sollte sie es ihm erklären? Wie hilflos sie tatsächlich ohne ihn wäre und was er ihr bedeutete?
» Ich bin tatsächlich ohne dich aufgeschmissen, das ist eine Tatsache. Aber zu wissen, dass du dein Leben für meines Opfern würdest hilft mir nicht wirklich damit umgehen zu können. Du bist mir in dieser kurzen Zeit wichtig geworden, denn du bist ein Stück weit eine Verbindung zu meiner Mutter und zu meiner Welt, denn du kennst den Weg zurück. Ich denke - aber ich werde es immer bestreiten wenn mich jemand danach fragt – wir können nicht ohne den anderen heil hier rauskommen! «
Nickend stimmte Aynur ihr zu und beide lächelten sich zögerlich an. Mila atmete tief durch und meinte dann ruhig: » Denkst du, es verfolgen uns noch mehr wie die paar Orks? «
Aynur blickte in die Richtung aus der sie gekommen waren und zuckte mit den Schultern. » Ich weiß es nicht mit Sicherheit aber darauf ankommen lassen will ich es auch nicht! «, meinte er bedächtig, jedoch recht zuversichtlich.
» Dann steigt wieder auf meinen Rücken, ich bringe uns in die Berge wo wir erst einmal in Sicherheit sein werden. Hítheb ist noch immer in gefährlichem Gelände und wir haben Zeit, Zeit die wir nutzen
sollten! «, mischte sich Saphea ein welche sogleich neben den beiden landete.
Mila und Aynur nickten synchron und kletterten zurück auf Saphea welche daraufhin mit ihnen gemeinsam Richtung Berge davonflog. Sie schwiegen den ganzen Weg und Mila versuchte, trotz dem starken Wind und der Höhe, noch etwas zu schlafen. Ob sie nachher noch Zeit und Lust dazu hatte, wusste sie nicht und darauf ankommen lassen wollte sie es auch nicht.
Gähnend lehnte sie sich an Aynur der einen Arm um sie legte und sie halb mit seinem Umhang zusätzlich bedeckte.
Zwar bekam Mila im Halbschlaf mit, wie Saphea und Aynur sich unterhielten, aber wirklich zuhören tat sie nicht. Dazu war sie viel zu müde und in Gedanken versunken.
Aynurs Reaktion heute Morgen hatte ihr gezeigt, dass sie ihm nicht unwichtig war und auch, dass sie selbst hier noch in Gefahr schwebten. Wie die Orks sie so schnell finden konnten war ihr ein Rätsel aber die Götter hatten sicherlich einige Wege die für sie unvorstellbar waren.
Das sie überhaupt so weit gekommen waren ohne Verletzungen und Verluste zu erleiden war ein großes Wunder und zeigte, dass sie gute Chancen hatten das hier zu überstehen.
Der harte Aufprall als Saphea landete rüttelte Mila wach und noch recht müde kletterte sie zu Boden. Mittlerweile befanden sie sich irgendwo in den Bergen bei einer Art Felsvorsprung mit Höhle dahinter.
Hier oben konnte man sehen wenn ein Angreifer kommen würde und selbst war man vor neugierigen Augen geschützt. Außer sie kämen von oben, aber davon gingen sie alle nicht aus.
Saphea verzog sich zum Höhleneingang und legte sich so, dass Aynur und Mila zwar noch rein kommen konnten, jedoch geschützt wären sollte doch noch ein Angriff stattfinden.
» Willst du lieber noch etwas schlafen oder eine Runde kämpfen? «, fragte Aynur und Mila brauchte nicht lange überlegen. Der Angriff heute Morgen hatte ihr gezeigt, wie wichtig es war, sich selbst verteidigen zu können. Denn Aynur war garantiert nicht immer in Reichweite und in der Lage, sie zu beschützen.
» Kämpfen! «
Schnell waren die Positionen eingenommen und mit neuem Ehrgeiz gelang es Mila sogar, relativ lange den ersten Treffer von Aynur abzuwenden. Doch sie wusste, er würde früher oder später treffen, und das wurmte sie ganz schön.
Die Wut über eine neue Niederlage machte sie zwar etwas stärker, aber auch umso kopfloser.
» Du darfst nicht zulassen, dass die Wut dich leitet. Eher wirst du sterben als so zu siegen! «
Mila hielt in ihrer Bewegung inne und atmete tief durch. Aynur hatte Recht, dass konnte sie spüren, aber dennoch war es nicht einfach für sie, sich nicht von ihrer Wut leiten zu lassen.
Aynur nickte anerkennend und ließ Mila genügend Zeit sich zu sammeln. Als das passiert war, begann ihr Kampf von neuen.
Mila gab sich immer mehr Mühe und als sie dann tatsächlich einen Treffer landete vergaß sie vor Freude ganz, weiterzukämpfen und auch Aynur landete ein Treffer.
Doch selbst das konnte ihre Freude nicht trüben und als sie wenig später beisammensaßen, grinste Mila noch immer wie ein Honigkuchenpferd.
» Bist du eigentlich schon einmal auf einem Pferd geritten? «, fragte Aynur plötzlich aus heiterem Himmel. Überrascht blickte Mila zu ihm und zuckte mit den Schultern: » Früher auf dem Jahrmarkt bin ich oft Ponyreiten gewesen, aber so wirklich kann ich es nicht. «
Nickend war diese Sache für Aynur wohl schon beendet weshalb Mila sich auch nicht die Mühe machte, weiter darüber nachzudenken.
Sie verbrachten drei Tage vor dieser Höhle und der Tagesablauf war meist der gleiche. Zuerst aßen sie etwas, dann kämpften sie gegeneinander und dann redeten sie. Mila erfuhr viele Dinge über ihre Eltern von denen sie noch nie etwas gehört hatte. Doch einerseits war sie froh darüber, dass Aynur ihr so viel erzählte und manches Mal glaubte sie, er kannte ihre Eltern besser wie diese sich selbst.
Am Morgen des vierten Tages machten sie sich dann bereit, endlich nach Hítheb zu fliegen. Mila freute sich schon drauf ihrem Ziel endlich näher zu kommen, aber andererseits wollte sie noch nicht gehen. Jetzt wo sie endlich etwas ankam, Aynur besser kennenlernte und eine Art neue Heimat fand, war der Gedanke, in ihr altes, unspektakuläres Leben zurückzukehren nicht sehr schön.
» Wenn wir in Hítheb sind und wir jemanden gefunden haben, der uns zu dem See bringt, werden wir wohl oder übel auf Pferden weiterreisen müssen. Ich hoffe das ist dir nicht zu unangenehm? «
Mila schüttelte bloß den Kopf und hoffte, er bekam ihr Stimmungswandel nicht mit. Aber da hatte sie umsonst gehofft, sobald sie in der Luft waren fragte er besorgt: » Ist etwas passiert? «
Zuerst wollte Mila lügen, aber dann riss sie sich zusammen und zuckte mit den Schultern.
» Ich habe einfach nur darüber nachgedacht, wie es wohl wird wenn wir den Seelenstein haben und ich auf die Erde zurückkehre. Wird mein Gedächtnis dann auch gelöscht? Finde ich mich dort überhaupt wieder zurecht? «
Aynur schwieg zu ihren Fragen und als Mila schon glaubte, sie bekäme gar keine Antwort mehr begann er zu sprechen: » Wenn du es nicht ausdrücklich wünscht, werde ich dir das Gedächtnis nicht löschen. Andererseits wäre das hilfreich damit du loslassen kannst. Der Seelenstein ist gefährlich und nicht leicht zu handhaben. Er funktioniert wie ein Wunsch, du hältst ihn in den Händen und dein größter Wunsch wird in Erfüllung gehen. Wenn du jedoch nicht sicher bist, was dein größter Wunsch ist, passiert etwas Schreckliches. Es muss nicht einen selbst betreffen, aber jemanden im eigenen Umfeld auf jeden Fall. «
Nachdenklich blickte Mila nach vorne. Was war ihr größter Wunsch? Wieder so zu leben wie früher? Ihre Mutter zurück? Einen gesunden Vater? Hier zu bleiben? Als hätte Aynur ihre Gedanken gelesen meinte er führsorglich: » Du musst dich jetzt noch nicht entscheiden. Sobald wir den Seelenstein haben sind wir vorerst in Sicherheit und du kannst dir Gedanken darüber machen. «
Wirkliche helfen tat dies Mila zwar nicht, aber sie war Aynur dankbar für seine Unterstützung. Es lag etwas in der Luft, das bemerkte Mila als Saphea plötzlich schlagartig an Höhe verlor und in eine Art Labyrinth aus Schluchten flog.
» Was ist los? «, fragte Mila ängstlich und stärkte ihren Griff um die Halszacke denn Saphea wurde immer schneller und die Kurven immer enger. Saphea schwieg, gab ihr keine Antwort, Aynur jedoch flüsterte:
» Wir werden verfolgt! «
Angst kam in Mila auf und sie drehte sich um damit sie die Verfolger sehen konnte. Doch sie sah nichts. Ihr Bauchgefühl jedoch sagte ihr, dass Aynur die Wahrheit sagte und so schlug ihr Herz immer schneller.
Hier oben konnten sie sich nicht verteidigen und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Und dann geschah es. Vor Saphea tauchte ein Geflügeltes Wesen auf, das einem Ork relativ ähnlich sah, wenn man von den Flügeln und Klauen anstatt der Hände absah.
Vor Schreck schrie Mila auf und Saphea, die eine ruckartige Bewegung ausführte, sorgte dafür, dass Mila das Gleichgewicht verlor. Mit einen erneuten, hohen Schrei flog sie der Erde entgegen.
Der Wind war eisig und die Angst brachte Mila fast dazu, ohnmächtig zu werden. Genau vor dieser Situation hatte sie so Angst gehabt, denn es war etwas anders ob man fiel und aufgefangen wurde oder fiel und auf dem Boden aufkam.
Soweit kam es jedoch auch nicht, denn zwei Klauen schlossen sich um ihre Hüfte und ein harter Stoß erfolgte ehe sie wieder nach oben gehoben wurde.
Zu ihrem Leidwesen war es aber nicht Saphea die sie aufgefangen hatte, sondern das Geflügelte Wesen.
Zappelnd versuchte Mila sich zu befreien aber ihr gelang es nicht. Der Griff des Wesens wurde nur noch stärker und deshalb gab sie schließlich auf sich weiter zu wehren.
Ihr Herz schlug unangenehm schnell und das Adrenalin schien stärker als jemals zuvor zu sein. Die Schluchten unter ihr wurden immer tiefer und irgendwann flog das Wesen senkrecht in Richtung Boden. Ein neuer Schrei entkam Milas Lippen ehe sie verstummte und verzweifelt versuchte, das Bewusstsein zu behalten.
Die Angst und die Kälte lähmten sie fast vollständig und so passiert es, dass sie tatsächlich bewusstlos wurde.
Blinzelnd versuchte Mila die Augen zu öffnen. Das gelang ihr jedoch erst beim zweiten Versuch. Ihr ganzer Körper schmerzte und sie hatte großen Durst während ihre Kehle staubtrocken war. Als sie sich jedoch bewegen wollte, merkte sie erst, dass ihre Hände und Beine festgekettet waren. Die kalte und nasse Steinmauer in ihrem Rücken fühlte sich eklig an und die schweren Ketten schnitten tief in ihre Haut ein.
Starkes rütteln half auch nichts, außer, dass der Schmerz sogar schlimmer wurde. Ängstlich blickte sie sich um, konnte aber aufgrund der hier herrschenden Dunkelheit nichts erkennen. Nur einen Meter um sich herum, sah Mila, dass Heu auf dem Boden lag.
Fast, als wäre sie in einer Zelle gefangen wie es sie früher im Mittelalter in Burgen gegeben hatte. Nur langsam fiel ihr wieder ein, was passiert war. Zu der Ungewissheit, wie es weiterging, gesellte sich jetzt noch Panik. Was war aus Saphea und Aynur geworden? Wo war sie hier? Wer hatte sie gefangen genommen?
Auf all die Fragen wusste sie keine Antwort und das gefiel Mila nicht denn so war sie noch hilfloser.
Näherkommende Schritte ließen sie aufhorchen und gespannt in die Richtung blicken, aus der sie kamen. Zuerst konnte sie nichts erkennen, erst als eine Fackel etwas Licht spendete, erkannte sie einen dicklichen, alten Mann.
Er trug prächtige Kleidung und wirkte wie ein Fürst oder etwas dergleichen. Sein Blick war hart und entschlossen, was Mila gar nicht gefiel.
» Wer seid Ihr? «, fragte sie leise und mit rauer Stimme was an ihrer trockenen Kehle lag. Er antwortete ihr nicht, machte nur eine Handbewegung woraufhin zwei Orks in den Fackelschein traten und die Entfernung zu ihr überbrückten.
Ehe Mila etwas sagen oder tun konnte, hatte man die Ketten aus der Halterung an der Wand gelöst und sie daran hochgehoben. Das Metall schnitt noch stärker ein und sie wimmerte leise vor Schmerz.
Der Mann ging voran, einen lagen, geraden Gang entlang der mit steilen Treppen endete. Diese gingen sie hinauf wobei Mila mehr getragen wurde wie das sie selbst ging.
Oben angekommen konnte Mila erkenne, dass sie sich in einer Art Burg befanden und im Moment durch ein Gängesystem irrten. » Wo bringt Ihr mich hin? «, fragte sie heißer und bekam im selben Moment einen Hustenanfall.
Wieder erhielt sie keine Antwort denn der Mann ging durch eine große Tür und betrat eine Kammer, die einer Folterkammer sehr ähnelte.
Bei diesem Anblick bekam Mila eine Gänsehaut und ein eiskalter Schauer rieselte über ihren Rücken.
Ohne weitere Anweisungen trugen die Orks sie zu einem steinernen Tisch und legten sie darauf nieder. Als sie lag, wurden die Ketten an den vier Ecken des Tisches befestigt und sie lag bewegungsunfähig da.
Die Orks verließen den Raum woraufhin Mila mit dem Mann alleine war. Ängstlich schaute sie ihm zu, wie er, mit dem Rücken zu ihr, etwas in einer Truhe suchte.
» Ich werde euch jetzt so lange Folter, bis ihr mir verratet, wo Aynur und sein Drache sind! «
Verwirrt fragte sich Mila, wieso der Mann das wissen wollte. Hatte man sie womöglich nur deshalb gefangen genommen? Ging es gar nicht um sie und ihre Mutter?
Wusste der Mann überhaupt wer sie war? Als er zu ihr trat, sah sie was er bei sich trug. Es war ein länglicher Gegenstand und eine Kerze. Mila begann, vor Angst zu schlottern und schloss hastig die Augen.
Was hatte der Mann vor? Anhand der Geräusche konnte sie nicht herausfinden, was er tat, aber als brutaler Schmerz durch ihren Körper zuckte wusste sie es.
Er hatte den länglichen Gegenstand erhitzt und drückte ihn jetzt in ihre Haut an verschiedenen Stellen. Sie schrie ununterbrochen und kam gar nicht dazu, etwas zu sagen, selbst wenn sie die richtige Antwort gewusst hätte.
Tränen liefen über ihre Wangen und sie kam gar nicht mehr nach mit Luftholen. Doch der Mann kannte kein Erbarmen, immer wieder erhitzte er den Stab und drückte ihn gegen ihre Haut.
Mittlerweile konnte Mila spüren, wie Blut über ihren Körper lief und wie ihre Kleidung verbrannte. Irgendwann spürte sie nicht mal mehr einzelne Körperteile.
» Wo sind die beiden? «, fragte der Mann eiskalt. Mila schluchzte leise vor Schmerz und wusste gar nicht mehr, wie sie sprechen konnte. Plötzlich wurden die Ketten welche sie hielten fester gezogen und irgendwann lag sie so da, dass ihr das Atmen immer schwerer fiel und sie Panik bekam, zu ersticken.
Das war auch der Moment, in welchem sie erneut das Bewusstsein verlor.
Milas Körper schmerzte an jeder Stelle und alles fühlte sich an, als stehe er in Flammen. Der Mann hatte sie weitergefoltert, obwohl sie bewusstlos geworden war, und hatte erst aufgehört, als sie nur noch wenig vom Tod trennte.
Nun befand sie sich in jener Zelle wo sie vorher schon erwacht war. Wie viel Zeit vergangen war konnte sie nicht sagen aber es interessierte sie auch nicht sonderlich.
Die Schmerzen schienen schlimmer geworden zu sein und erneut bekam sie Panik. So lange, bis jemand die Zelle betrat. Verängstigt schaute sie auf und hoffte, es war kein Ork oder der Folterknecht.
Zu ihrer Erleichterung handelte es sich um eine Frau deren Alter sie nicht genau bestimmen konnte. Diese ging neben ihr in die Knie und blickte sie aus traurigen, grünen Augen an.
» Es tut mir so Leid, Kind des Lichts. Was man dir antat ist nicht zu entschuldigen und ich schwöre dir, ich werde dich retten! «, flüsterte die Frau leise und Mila konnte nicht genau sagen, ob diese Situation ihr Angst oder Hoffnung machte. Sie blickte einfach nur schwach zu der Frau auf und hoffte, diese würde ihr Versprechen nicht brechen.
Denn ob sie noch einmal so eine Zusammenkunft mit dem Folterknecht überlebte, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen. Die Frau ging vor ihr in die Knie und hielt eine kleine Flasche hoch.
» Ihr müsst das hier trinken. «, flüsterte sie und schaute sich dabei um als hätte sie Angst entdeckt zu werden. Wenn Mila die Kraft gehabt hätte, sich zu bewegen, hätte sie sich gewehrt als die Frau die Flasche an ihren Lippen ansetzte. Aber sie wollte und konnte nichts dagegen unternehmen, dass das kalte, geschmackslose Gebräu ihren Hals hinunter rann.
Nur wenige Sekunden nachdem sie die ganze Flasche geleert hatte, spürte sie ein angenehmes, wärmendes Gefühl in allen Gliedmaßen und der Schmerz wurde langsam weniger bis nur noch ein dumpfes, locker auszuhaltendes Pochen präsent war.
» Was ist das? «, flüsterte sie mit rauer Stimme. Die Frau schüttelte bloß den Kopf und erhob sich. » Jetzt wird alles gut werden. «, flüsterte sie und verschwand so schnell wie sie gekommen war.
Mila blieb alleine zurück und so langsam kam die Angst zurück, die Angst vor dem Tod. Nur ein Gedanke hielt sie davon ab, zu verzweifeln. Ohne aufhören zu können musste sie stetig an Aynur denken. Und die kleine, verzweifelte Stimme in ihrem Herzen sagte ihr, dass er sie retten würde. Die Stimme war ein einzelner Kämpfer der sich gegen alle Gegenargumente behaupten konnte und schließlich gewann. Und als Mila viel zu erschöpft war, um länger wach zu bleiben, war das letzte an das sie dachte Aynur.
Etwas Kaltes legte sich auf Milas Wange. Sie erschrak so sehr, dass sie ganz vergas, das sie festgekettet war. Die Fesseln brannten an den Stellen wo sie längst die Haut aufgerissen hatten und verstärkten das Unwohlsein der jungen Frau noch mehr. Ihre Augen brauchten einen Moment ehe sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und da konnte sie das Gesicht der Frau erkennen, die sie gestern besucht hatte.
Diese trug dunkle Kleidung als wollte sie unentdeckt bleiben. » Ihr müsst jetzt ganz still halten. «, befahl sie Mila und im nächsten Moment wurden die Fesseln um ihre Hand- und Fußgelenke heiß. Auch wenn es Mila schwer viel, sich nicht zu bewegen um der Hitze zu entfliehen, schaffte sie es dennoch.
Beide Frauen hielten den Atem an als die Ketten zerbarsten und klirrend zu Boden fielen. Es kam Mila so vor als könnte man das Echo Kilometer weit hören und das gefiel ihr gar nicht. Was, wenn die Falschen es hörten?
» Kommt, schnell. «, meinte die Frau und zog Mila auf die Beine. Diese hatte jedoch bei dieser ungewohnten Bewegung solche Schmerzen, dass sie sofort wieder zu Boden sackte.
Die Frau seufzte tief und wollte gerade neben Mila treten um sie zu stützen, als jemand drittes den Raum betrat. Mila konnte nur das Rascheln von Kleidung hören, keine Schritte.
Und instinktiv wusste sie, wer da gekommen war. Ihre Stimme war noch rauer und leiser wie den Tag zuvor, aber dennoch war das: » Aynur! «, ungewöhnlich laut in dem Verließ. Die Frau trat zurück als eben jener neben Mila in die Knie ging.
Sofort fanden sich ihre Blicke und alle Gefühle die Mila während ihrer Gefangenschaft verspürt hatte, kamen erneut nach oben. Tränen traten in ihre Augen und ihr ganzer Körper begann zu zittern was die Schmerzen noch mehr verstärkte.
» Geh vor Amanda und kümmere dich um unsere weitere Flucht. «, befahl der Blauhaarige leise ehe er seine ganze Aufmerksamkeit Mila schenkte. Diese blickte ihn noch immer fassungslos und überglücklich an, überwältigt von ihren eigenen Gefühlen. Sie schlang die Arme um seinen Hals und presst sich an seine starke Brust.
» Ich wusste, du würdest kommen. «, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Aynur nahm sie vorsichtig in den Arm um ihr nicht noch zusätzlich weh zu tun und murmelte beruhigend in ihr Haar: » Ich werde immer kommen wenn du meine Hilfe brauchst. «
Einen Moment saßen sie noch so eng beieinander bevor der Klang von Glocken zu ihnen drang. Verwundert blickte Mila zu Aynur der alles andere als glücklich aussah.
» Sie haben es bereits bemerkt, den Fluchtversuch. Jetzt müssen wir uns beeilen. «, meinte er besorgt und erhob sich, Mila auf die Arme nehmend. Dankbar, nicht selbst gehen zu müssen, stärkte sie ihren Griff um seinen Hals und legte ihren Kopf an seiner Schulter ab. Schnell und ohne Probleme mit seiner Last auf seinen Armen zu haben eilte Aynur durch das verwirrende Gängesystem. Mila spürte die Erschöpfung welche sich in ihrem Körper ausbreitete und schloss träge die Augen. » Nicht einschlafen Mila, versuch wach zu bleiben. «, flüsterte er und verschnellerte seine Schritte. Es kam Mila eine Ewigkeit vor welche Aynur so schnell durch die Dunkelheit eilte ohne das ein Ausgang in Sicht kam. » Wo bringst du mich hin? «, fragte sie leise und versucht die Schmerzen zu ignorieren.
Leider wurden jene immer stärker und unaufhaltbarer was es ihr schwer machte, einen klaren Kopf zu bewahren. Aynur flüsterte wieder leise als hatte er Sorge, man könnte ihn hören: » Nach draußen und dann weg von hier. Hast du Schmerzen? «
Mila wurde immer Kälter und sie versuchte verzweifelt, das Zittern ihres Körpers zu verhindern und nickte einfach nur leicht. Sie befürchtete, ihre Zähne hätten zu laut aufeinandergeschlagen wenn sie den Mund geöffnet hätte.
» Das haben wir gleich. «, meinte Aynur einfühlsam und hielt kurz an was Mila irritierte. Verwundert blickte sie ihn an und versuchte, die Umrisse seines Gesichtes zu erkennen. Jedoch sah sie nur die Augen ihres Freundes in der Dunkelheit schimmern wie kleine, blaue Feuer die versuchten, heller zu werden.
Bevor Mila dazu kam, zu einer Frage anzusetzen spürte sie wie Aynur seine fünf Finger mit den Spitzen auf ihre Stirn legte. Von ihnen ging eine angenehme Wärme aus und Mila schloss die Augen leicht. Aynur flüsterte leise Wörter in einer wunderschönen Sprache die Mila nicht verstand. Aber eines konnte sie verstehen, er wendete seine Magie an.
Nur wenige Sekunden später fühlte sie einen unangenehmen Druck im Kopf der immer stärker wurde. Bis er plötzlich nachließ und an dessen statt eine sanfte Melodie, fast wie ein Flötenspiel, durch ihre Gedanken floss.
Fasziniert schloss Mila die Augen zur Gänze und genoss das Gefühl der Leichtigkeit und Schmerzlosigkeit ihres Körpers. » Was machst du da? «, wollte sie wissen, noch immer fasziniert von dieser eigenartigen Melodie in ihrem Kopf.
Aynurs Stimme klang amüsiert und zu ihrem Erstaunen fast genauso wie die Melodie: » Ich bin eine Seelenverbindung mit dir eingegangen. Dein Schmerz ist nun meiner und wird dadurch weniger für dich. «
Verwundert blinzelte sie und blickte geradewegs in Aynurs Augen. » Aber jetzt hast du doch Schmerzen oder? «, fragte sie entsetzt. Aynur schien zu lächeln, zumindest machte es den Anschein, und ging weiter als wäre nichts gewesen.
Mila genoss es, den Schmerz nur noch schwach zu fühlen und im Gegenzug diese Melodie zu hören. Müde schloss sie erneut die Augen und versuchte, nicht einzuschlafen. Erst als helles Licht durch ihre Lieder drang öffnete sie diese vorsichtig. Tatsächlich tat sich vor ihnen eine Höhle auf die nicht sehr hoch und breit war, jedoch von Tageslicht durchflutet.
Dort stand auch Amanda, neben zwei Pferden die kraftvoll und elegant aussahen. » Sie sind bereits auf dem Weg hier her, wir haben nur wenig Zeit. «, rief Amanda und beeilte sich, die Tiere vorzubereiten.
Aynur eilte mit Mila auf den Armen zu einem Stein der nicht weit von der Tunnelwand entfernt lag und setzte Mila daneben ab. » Ich habe Kleidung mitgebracht. Brauchst du Hilfe oder schaffst du es alleine? «, fragte er und schaute Mila aufrichtig und ehrlich an. Gegen ihren Willen wurde sie leicht rot und schüttelte eilig mit dem Kopf. Aynur ging zu Amanda und den Tieren während Mila die frischen Klamotten aus dem Stoffbeutel holte. Es war eine Hose aus weichem Leder, eine Hemdbluse und ein dicker Umhang der angenehm warm aussah.
Schnell schlüpfte sie aus ihren zerrissenen und verdreckten Kleidern und zog die frischen über. Die Schmerzen wurden dabei noch einmal stärker, was nicht alleine an der Bewegung lag. Doch sofort wurde auch die Melodie in ihrem Geist lauter und schon bebte der Schmerz ab.
Sie sah auf und begegnete Aynurs Blick der sanft und besorgt gleichermaßen war. Ein schüchternes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie nickte auf die unausgesprochene Frage in seiner Mimik.
Daraufhin kam er zu ihr, hob sie hoch und trug sie zu einem der Tiere. Vorsichtig hob er sie auf den Rücken des großen Tieres bevor er zu Amanda blickte. Mila tat es ihm gleich und konnte nicht erkennen, was in dieser Frau vorging.
» Ich werde euch bis zum Festland begleiten, danach lenke ich sie ab und ihr flieht. «, flüsterte sie und stieg auf das freie Pferd. Mila verstand nur Bahnhof aber sie machte sich auch nicht die Mühe, es verstehen zu wollen. Ihr ging es nur darum, endlich in Sicherheit zu sein und in Ruhe schlafen zu können.
Aynur stieg hinter ihr in den Sattel und legte ihr einen Arm um die Hüfte. » Lass einfach ganz locker und versuche, dich nicht zu sehr zu verspannen. «, gab er ihr Anweisungen. Und nur wenige Atemzüge später jagte er dem Pferd die Fersen in die Flanken woraufhin das Tier unwillig wieherte und einen Satz nach vorne machte ehe es losgaloppierte.
Mila hatte wirklich Mühe, nicht zu sehr durchgeschüttelt zu werden oder zur Seite hinunterzurutschen. Im Gegensatz zu Amanda und Aynur saß sie stocksteif auf dem Pferdrücken und stöhnte leise vor Schmerz.
» Du musst locker lassen. «, flüsterte Aynur und es kam Mila so vor, als würde die Melodie in ihrem Kopf sanfter werden was sie etwas entspannte. Und als ihr Körper sich ebenfalls entspannte merkte sie, wie leicht es ihr plötzlich fiel, sich in die Bewegung des Tieres einzufühlen.
Als sie den Tunnel verließen konnte Mila ihren Augen kaum trauen. Ein schmaler Steg aus Holzbrettern führte über reißendes Wasser hinweg das nur wenige Meter später nach unten fiel und in einen Wasserfall überging.
» Wo sind wir hier? «, fragte sie neugierig und schaute sich um. Wo waren sie nur hergekommen? Die Frage erübrigte sich als der Holzsteg plötzlich scharf rechts abbog und sozusagen die gleiche Richtung zurückführte, jedoch ansteigend.
Die Pferde liefen über die Holzbretter als sei es selbstverständlich. Und als Mila die Stadt sah, stockte ihr der Atem. Die Stadt war wunderschön, hatte unzählige Türme die in den Himmel ragten. Dazwischen gab es normale Häuser, auch wenn jene etwas fehl am Platz wirkten. Sie standen unterhalb einer Brücke wie Mila sie noch nie gesehen hatte.
Der riesige Fluss, der unzählige Kilometer breit sein musste, ging tatsächlich in einen gigantischen Wasserfall über dessen Rauschen sie erst jetzt hören konnte.
Ob das einem nicht irgendwann auf die Nerven ging? Es klang fast so als lebte man neben einer Autobahn und diese Erfahrung hatte Mila bereits gemacht.
Aber die Brücke hatte schon seinen eigenen Charme. Säulen ragten aus dem Wasser und stützten den grauen Stein unerbittlich. » Sie
kommen! «, rief Amanda bestürzt und deutete auf die Stadt. Wenn Mila sich anstrengte konnte sie tatsächlich eine Horde Reiter ausmachen welche auf sie zugeritten kam. Aynur stöhnte genervt auf und murmelte leise: » Sie lassen auch keine Zeit verstreichen. «
Doch bevor die Reiter überhaupt in Hörweite kamen, ritten sie in einem mörderischen Tempo über die Brücke auf das hügelige Land vor ihnen zu. Orientierungslos versuche Mila, ihre Angst zu unterdrücken. Sie wollte auf keinen Fall in diesen Kerker zurück, unter gar keinen Umständen. Als hätte Aynur ihre Angst gespürt, verstärkte er den Griff um ihre Hüfte und murmelte leise aber bestimmt: » Das würde ich niemals mehr zulassen. Ich habe schon wieder versagt und ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut Mila. Aber noch einmal mache ich nicht den selben Fehler. «
Bevor Mila dazu kam ihm zu wiedersprechen zischten die ersten Pfeile an ihnen vorbei. Vor Schreck quickte Mila auf und umklammerte Aynurs Arm so fest, dass sie seinen zischenden Atem hören konnte. » Entschuldigung. «, flüsterte sie bestürzt und löste ihren Griff etwas. Aynur schwieg einfach nur dazu und trieb das Pferd vorwärts, ebenso wie Amanda.
Als sie die Brücke verließen und das Klippklapp der Pferdehufen leiser wurde, hielten sie einen Moment an. Zwei Wege führten von hier fort, einer direkt in die Hügel hinein und einer in Richtung Wasser. Amanda blickte Mila direkt an und meinte: » Ich hoffe ihr schafft es. « Und mit diesen Worten jagte sie mit ihrem Pferd den Pfad am Wasser entlang. Dabei fiel Mila auf, dass Amanda den selben Umhang wie sie trug. Vielleicht war das das Ablenkungsmanöver.
Aynur gab ihrem Pferd keine Verschnaufpause und lenkte es vom Pfad weg, in die Wildnis. Je weiter sie ritten desto Waldiger wurde es und von ihren Verfolgern hörten sie nichts mehr. » Wohin reiten wir? «, fragte Mila leise um nicht gehört zu werden. Ihr Pferd bewegte sich vorsichtig und bedacht, was Mila erstaunte denn sie hatte geglaubt, dass ein Tier im Wald mehr Geräusche machte.
» Zu Saphea um hier so schnell wie möglich zu verschwinden. «, antwortete er und Mila war erleichtert, den Drachen bald wieder zu sehen. Hoffentlich ging es Saphea gut. Sie ritten etwa noch eine Stunde durch den Wald ehe Aynur das Pferd zum Stehen brachte. Aufmerksam blickte Mila sich um und versuchte Saphea zu entdecken.
Doch außer ein paar schief stehenden Bäumen konnte sie nichts entdecken. Auch kein Waldtier war zu sehen, was sie ebenso verwunderte.
» Absteigen. «, bat Aynur der bereits auf dem Boden stand und Mila sanft hinunter half. Das Pferd gab er einen Klaps auf den Hintern und damit scheuchte er es fort.
» Läuft es nicht zu der Stadt zurück und könnte dann unsere Verfolger zu uns
führen? «, fragte Mila besorgt und schaute dem Tier hinterher. Aynur schüttelte bloß den Kopf und blickte in den Himmel. Mila tat es ihm gleich, wie damals als sie erst kurz vorher auf Aynur gestoßen war.
» Wie kann sie uns immer finden? «, wollte sie neugierig und mit zusammengekniffenen Augen wissen. Aynur antwortete Schmunzelnd: » Sie lässt uns nie alleine. « Ein Augenverdrehen verkniff sich Mila gerade so, sie hasste es wenn er so überlegen mit ihr sprach.
Aber zu einer frechen Antwort kam sie nicht mehr denn Saphea schob sich in ihr Sichtfeld.
Ihre Schuppen glänzten im schwachen Sonnenlicht und sie sah furchteinflößend aus obwohl sie so elegant durch die Luft schwebte als wäre sie so leicht wie eine Feder.
Bei ihrer Landung bebte der Boden leicht und ein paar der schief stehenden Bäume wurden noch schiefer. » Hallo Mila. «, begrüßte die Drachendame die junge Frau welche daraufhin erfreut lächelte.
Irgendwie hatte sie Saphea vermisst, auch wenn sie den Drachen kaum kannte. Aynur war bereits auf Sapheas Rücken geklettert und hielt nun Mila seine Hand hin welche diese sofort und ohne zu zögern ergriff.
Sie fühlte sich ungewohnt sicher in seiner Gegenwart und auch die schrecklichen Erlebnisse welche sie in diesem Kerker gehabt hatte, änderten daran nichts.
Sie redete sich ein, Aynur hatte gar keine Schuld an ihrer Entführung und das funktionierte sogar.
Auf dem Rücken des Drachen erlaubte Mila es sich dann endlich, die Augen zu schließen und zur Ruhe zu kommen.
Dank Aynur waren ihre Schmerzen nur mehr ganz schwach zu spüren und die sanfte Melodie in ihrem Kopf tat ihr übriges.
Etwas Kaltes klatschte in ihr Gesicht und veranlasste Mila, aus den Tiefen ihres Schlafes aufzuschrecken. Ihre Augen brauchten einen Moment ehe sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten doch dann erkannte sie, dass sie sich in einem Gebirge befinden mussten. Der Mond wurde von Wolken fast vollständig verdeckt und sie fragte sich, wie Saphea hier so gut sehen konnte, dass sie sich traute zu fliegen.
» Gut geschlafen? «, fragte Aynur der klang, als wäre er todmüde. Mila gähnte stark und nickte dann während sie versuchte, gänzlich wach zu werden.
Da sie nicht viel von der Umgebung wahrnehmen konnte gab sie es schnell auf und fragte stattdessen: » Wohin geht es jetzt als nächstes? « Die Antwort von Aynur ließ länger auf sich warten als wüsste er es auch noch nicht.
» Nach Hítheb. «, kam es dann leise aus seinem Mund. Mila schwieg, denn sie wusste was dann folgen würde. Sobald sie den Seelenstein hatten, würde sie in ihre Welt zurückkehren und Aynur nie mehr wiedersehen.
Eine Frage, die einfach nicht mehr aus ihren Gedanken verschwinden wollte, musste sie einfach stellen: » Was machst du mit dem Seelenstein, wenn ich hier weg bin? «
Sie hörte wie Aynur seufzte als hätte er Angst vor dieser Frage. » Ich werde ihn zerstören müssen. «, flüsterte er heißer und Mila überlief ein eiskalter Schauder.
Damit wäre jede Möglichkeit, in diese Welt zurückzukehren oder sie zu verlassen, zerstört. War es das, was sie wirklich wollte? Bevor sie eine Antwort auf diese Frage erhielt, erklang ein lautes Donnern über ihnen. Sofort verlor Saphea an Höhe und flog zielsicher um die Bergspitzen herum als wäre sie hier zuhause.
Mila fühlte sich unwohl als es auch noch begann zu Regnen und zog ihren Umhang automatisch enger. Die Nässe und Kälte waren mehr als unangenehm für sie und veranlassten sie dazu, leise zu fragen:
» Können wir uns nicht einen Unterschlupf suchen? «
Es war Saphea die ihr antwortete:
» Natürlich. Nicht weit von ihr ist eine Höhle wo wir Rast machen können. «
Erleichtert flüsterte Mila: » Danke! « Die Aussicht auf ein warmes Feuer und eine trockene Umgebung ließen sie sofort lächeln. Regen war nicht schlimm und eigentlich mochte sie Regen sogar, aber heute war es ihr etwas zu viel.
Tatsächlich landete Saphea nur wenige Zeit später auf einem kleinen Felsvorsprung. Die Schuppen der Drachendame waren so rutschig das Mila, die nach Aynur absteigen wollte, den Halt verlor und mit einem Schrei Richtung Boden stürzte.
Aber so weit kam es nicht, denn Aynur hatte blitzschnell reagiert und fing sie auf kurz bevor sie auf dem Boden aufprallte.
Mit schnell klopfendem Herzen blickte Mila geradewegs in die strahlenden Augen von Aynur der sie noch immer fest an sich gepresst hielt.
» Du bist schon ein kleiner Tollpatsch
oder? «, wollte er amüsiert wissen während er sich langsam aufrichtete, Mila noch immer festhaltend. Diese überlegte, ob sie etwas Freches antworten sollte oder lieber schmollte. Schlussendlich entschied sie sich für das Schmollen und schob die Unterlippe leicht hervor.
Die Wirkung verfehlte sie nicht, Aynurs Lächeln verblasste und stattdessen blickte er sie ernst an. Einen Augenblick lang kam es Mila so vor, als würde die Zeit stehenbleiben. Sie versank in den unendlichen Tiefen Aynurs Augen und fand einfach nicht mehr heraus. Die Melodie welche noch immer in ihrem Kopf davon zeugte, dass ihre Seelen miteinander verbunden waren, legte an Schnelligkeit zu und veranlasste Milas Herz zum schneller schlagen.
Es war ein Moment wie Mila ihn bisher nur in Büchern erlebt hatte, an solchen Stellen küssten sich die Hauptprotagonisten meist. Die Röte schoss ihr ins Gesicht und beinahe hastig löste sie sich von Aynur und floh in die trockene Höhle.
Ihr war es egal, ob er den Grund ihrer überstürzten Flucht kannte oder nicht, Hauptsache sie musste ihn nicht weiter anblicken.
Saphea folgte ihr auf den Fuß und rollte sich an der linken Höhlenwand zusammen. Mila setzte sich zitternd ihr gegenüber an die Wand und umschlang ihre Knie mit den Armen. Ihre ganze Kleidung war durchnässt und klebte wie eine zweite Haut an ihrem Körper der stark zitterte.
Aynur betrat mit einigen Minuten Verspätung die Höhle und trug unter seinem Arm ein Bündel Holz. Verwundert fragte Mila sich, wo er das jetzt her hatte den soweit sie gesehen hatte, gab es hier außer Felsen nichts.
Das Holz legte er nur wenige Meter vor Mila auf den Boden und hockte sich davor. Neugierig beobachtete sie ihn wie er seine Hände über das nasse Holz hielt und leise Wörter murmelte die sich immer mehr in einen Sprechgesang wandelten.
Zuerst passierte nichts bis plötzlich seine Hände zu glühen begannen und irgendwann die ersten Flammen am Holz emporleckten. Als das Feuer dann prasselnd brannte konnte Mila nicht anders, wie näher zu rutschen und die Hände wärmend vor das Feuer haltend.
» Ist dir noch immer Kalt? «, fragte Aynur führsorglich der sich mit etwas Abstand zu ihr niederlies.
Mila nickte einfach nur denn so langsam spürte sie ihre schmerzenden Körperstellen wieder, obwohl die Melodie im selben Augenblick lauter wurde.
Bevor Mila jedoch etwas sagen konnte, fragte Aynur: » Wenn du willst kann ich deine Wunden versorgen damit sie schneller verheilen. «
Zögernd blickte Mila zu ihm hinüber. Würde sie das aushalten können und wollte sie wirklich, dass Aynur sie so sah?
» Ja. «, hauchte sie leise und hoffte einfach, er würde sie betäuben oder so etwas. Aynur nickte leicht und erhob sich während Mila sich fragte, wieso sie zugestimmt hatte. Viel Zeit zum Überlegen blieb ihr nicht denn da kam Aynur zurück und breitete eine der Decken auf dem Boden aus. Mila verstand den Sinn dahinter und legte sich vorsichtig darauf nieder. Die schlimmsten Verletzungen befanden sich an ihren Armen und an ihrem Bauch sowie an den Seiten ihres Körpers.
Aynur murmelte erneut einige Worte woraufhin die magische Lichterkugel entstand welche er Mila schon einmal gezeigt hatte.
» Ich bin ganz vorsichtig. «, meinte er und strich Mila eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Diese nickte daraufhin und schloss vorsorglich die Augen.
Sie spürte wie Aynur ihre Hemdbluse sanft hochschob und dann zischend einatmete. Mila hatte nicht erwartete, dass es so schrecklich aussah, das Aynur so reagierte. Als nächstes spürte sie, wie er etwas Kühles auf den Wunden verteilte was leicht brannte. Mila zuckte immer wieder zusammen und biss sich fest auf die Unterlippe um nicht leise zu Wimmern. Es tat mehr weh wie sie geglaubt hatte.
Aber wenn es half, nahm sie die zusätzlichen Schmerzen gerne in Kauf. » Ich bin gleich fertig. «, hauchte Aynur ergriffen und beeilte sich tatsächlich.
Als er fertig war und ihr Hemd wieder nach unten schob, atmete Mila erleichtert auf und erhob sich langsam.
Aynur reichte ihr die Hand und half ihr auf. » Willst du dir etwas Trockenes anziehen? «, fragte er und strich Mila erneut eine Haarsträhne aus der Stirn.
Diese erschauderte leicht als seine Fingerspitzen ihre Haut streiften und nickte eilig bevor es noch peinlicher wurde.
Aynur lächelte geheimnisvoll und reichte ihr ein Bündel Kleidung.
Mila entfernte sich etwas von dem Feuer, so weit wie sie noch ihre Hand vor Augen sehen konnte, bevor sie sich auszog um die frische Kleidung anzuziehen.
Ihr fiel auf, dass ihr alles bis auf die Hose etwas zu groß war und da realisierte sie, dass sie Aynurs Kleidung trug.
Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie atmete seinen Duft tief ein.
Gut gelaunt kehrte sie ans Feuer zurück und ließ sich wieder auf der Decke nieder damit es von unten nicht zu Kalt wurde.
» Ich werde jetzt auf die Jagd gehen damit wir nachher etwas zu essen haben. Saphea passt inzwischen auf dich auf. «, verkündete Aynur und erhob sich bereits. Mila blickte ihn zweifelnd an und erhob sich ebenfalls:
» Und was, wenn dir etwas passiert? Wie soll Saphea dir dann helfen? «
Aynur überbrückte den Abstand zwischen ihnen und legte eine Hand auf Milas Wange und zwang diese somit, ihn anzublicken:
» Mach dir bitte keine Sorgen Mila. Ich werde auf mich aufpassen und zurücksein, ehe die Sonne aufgeht. «
Auf ihre Frage, wie Saphea ihm helfen sollte wenn etwas passierte, reagierte er gar nicht. Mila war gerade dabei, ihm ihre Meinung zu sagen und ihren Standpunkt klarzumachen, als Aynur sich vorlehnte.
Wie erstarrt bliebt sie stehen und hielt sogar den Atem an. Was hatte er vor? Als sie seine Lippen an ihrer Stirn spürte entließ sie ihren Lungen den Atem und lehnte sich ihm etwas entgegen.
Die Berührung seiner Lippen an ihrer Stirn hinterließ ein angenehmes Kribbeln und Mila schloss vertrauensselig die Augen.
» Ich komme wieder zurück, keine Angst. «, hauchte er und war urplötzlich verschwunden. Verwundert blinzelte Mila, konnte ihn aber nicht mehr sehen.
Amüsiert ging sie zum Feuer zurück und setzte sich davor im Schneidersitz hin. Gähnend streckte sie ihre müden Glieder und blickte in die Flammen.
» Was hast du vor wenn du in deine Welt zurückgekehrt bist? «, fragte plötzlich Saphea die aufgestanden war und sich nun hinter Mila hinlegte sodass ihr Kopf seitlich neben der jungen Frau lag.
» Ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich mache ich da weiter wo ich aufgehört
habe. «
» Wir werden dich hier vermissen! «
» Ich euch mit Sicherheit auch. «
Saphea gab ein Geräusch von sich das wie ein Kichern klang, was Mila ebenfalls zum Kichern brachte. Sie würde Saphea mit Sicherheit wirklich stark vermissen. Und Aynur auch, aber an den Abschied wollte sie gar nicht denken.
» Auch wenn man es vielleicht nicht merkt, er mag dich. «, kam es von Saphea was Mila rot werden ließ. Aber es stimmte, sie hatte auch das Gefühl, dass er sie mochte.
» Was ist passiert, dass er nicht mehr bei seinem Volk lebt und mit dir durch die Gegend streift? «, fragte Mila in der Hoffnung, etwas von Aynur zu erfahren.
Saphea schwieg eine Weile dazu bis sie antwortete, wobei sie traurig und verbittert klang: » Vor vielen Jahren verliebte er sich. Es war ein Menschenmädchen. Doch ihr Volk wollte nicht, dass er und sie zusammenblieben. So wollten sie ihn töten und wären fast dazu gekommen. Doch das Menschenmädchen, er redet nicht über sie, hat sich für ihn geopfert. Seit damals ist er verbittert und feindselig anderen gegenüber. Er ist deshalb auch nicht zu seinem Volk zurückgekehrt denn damals brachte er das Mädchen zu ihnen mit der Bitte, es zu heilen aber sie verwehrten ihm ihre Hilfe. Aber verurteile ihn nicht, Aynur ist für seine Freunde immer da und nur in seltenen Momenten holt ihn seine Vergangenheit ein. «
Dankbar lächelte Mila den Drachen an und nickte einfach nur. Gähnend blickte sie weiterhin ins Feuer und fand einfach nicht in den Schlaf. Sie machte sich viel zu viele Sorgen um Aynur.
» Du magst ihn auch sehr oder? «, fragte Saphea plötzlich in die Stille hinein und riss Mila aus ihren Gedanken.
Verwirrt blickte sie in Sapheas Augen die denen von Aynur fast komplett glichen. Zuerst wollte sie es leugnen aber dann nickte sie einfach. Warum auch leugnen? Sie mochte Aynur wirklich, nicht nur weil er ihr mehrmals den Arsch gerettet hatte sondern weil er etwas ganz besonderes war.
» Wie lange kennst du Aynur jetzt eigentlich schon? «, frage Mila um sich die Zeit zu vertreiben und um etwas abzulenken. Dazu setzte sie sich vor Sapheas Kopf damit sie die Drachendame anblicken konnte.
» Viele Jahre. Ich habe es längst vergessen wie lange, aber es war sicherlich vor 200 oder 300 Jahre. «
Überrascht blinzelte Mila und fragte sich innerlich, wie alt Aynur war und wie alt er werden konnte.
Saphea, die das bemerkt hatte, antwortete sachlich: » Ein Immortal ist unsterblich, das heißt, er stirbt erst wenn er getötet wird. Da gibt es zwei verschiedene Wege. Aber ansonsten wird er mehrere Tausend Jahre alt ohne dass er äußerlich älter aussieht. «
» Und welche zwei Wege gibt es für ihn zu sterben? «
» Ein Immortal kann durch eine Klinge sterben die ihm ins Herz gerammt wird oder durch ein gebrochenes Herz. Stell dir vor, du liebst jemanden so sehr, dass es mehr als nur weh tut. Und dann stirbt eben jener der für dich die ganze Welt bedeutet. Das bedeutet auch für dich den Tod. «
Mila schaute Saphea entsetzt an und konnte es nicht wirklich glauben. Das hieß, jeder welcher das wusste, konnte einen Immortal umbringen.
» Genau das ist der Grund, weshalb Aynur zu jedem so kalt und distanziert ist. Er hat Angst, jemanden zu verletzten oder selbst zu sterben. «
Das konnte Mila nachvollziehen, sie hätte auch Angst vor dem Tod wenn man das Wissen hätte, automatisch zu sterben, wenn der Geliebte stirbt.
Die Zeit verging schnell und beide bekamen gar nicht mit wie die Sonne aufging und Aynur zurückkehrte.
» Vor was hat wer Angst? «, fragte der Blauhaarige gleich als er seine Beute neben das mittlerweile heruntergebrannte Feuer fallen ließ. Ertappt zuckten Saphea und Mila zusammen und versuchten, eine Ausrede zu finden.
Einen Moment blickte Aynur sie mit schief gelegtem Kopf an doch dann zuckte er mit den Schultern und meinte leichthin: » Das Essen ist gleich angerichtet. «
Mila nickte und beobachtete ihn wie er fachmännisch das Fleisch auf einen Spieß über das Feuer legte und wartete, bis er es drehen musste. Saphea, die aufgestanden war, streckte sich leicht und meinte dann:
» Ich werde etwas jagen gehen, mich plagt der Hunger!
Doch weder Mila noch Aynur nahmen von der Drachendame Kenntnis die wenig später die Höhle verließ und geeignete Beute suchte.
Mila gingen Sapheas Worte einfach nicht aus dem Kopf. Sie machte sich Sorgen um Aynur und hoffte, dass er niemals leiden musste. Die Sache mit der jungen Frau ging ihr ebenso wenig aus dem Kopf. War das der wahre Grund weshalb er von seinem Volk fort geblieben war? Konnte es sein, dass er tatsächlich nicht verzeihen konnte?
» Über was denkst du nach? «, wollte er plötzlich wissen und Mila zuckte erneut erschrocken zusammen. Sie hatte gar nicht mitbekommen wie Aynur neben sie getreten war und ihr den ersten Spieß mit Fleisch reichte. Mila spielte kurz mit dem Gedanken, ihm die Wahrheit zu sagen, aber dann entschied sie sich dagegen.
» Ich denke gerade an meinen Vater. Er wundert sich bestimmt schon weshalb ich ihn nicht besuchen komme. Hoffentlich macht er sich nicht zu viele Sorgen. «, erklärte sie leise und hoffte, Aynur hörte ihr nicht an, dass das auch eine Lüge war.
Ihr Vater kümmerte sich garantiert nicht darum, wo sie war. Bestimmt war er mit etwas viel wichtigerem beschäftigt wie sich Sorgen um sie zu machen.
Ihre Niedergeschlagenheit blieb auch Aynur nicht verborgen und deshalb meinte er aufmunternd: » Ich bin mir sicher, es wird bald alles wieder so sein wie früher und du musst dir keine Sorgen mehr machen. «
Mila versuchte zu lächeln, was in die Hose ging, und nickte einfach nur während sie begann am Spieß zu knabbern.
Plötzlich hatte sie gar keinen großen Hunger mehr weshalb sie das Essen gleich wieder weg legte.
Da sie Aynur nicht vom Essen abhalten wollte wartete sie bis er fertig war bevor sie zu einer Frage ansetzte: » Wie werden die Götter reagieren wenn ich weg bin? « Ihr Bauchgefühl verriet ihr, dass Aynur große Probleme bekommen würde sobald sie den Seelenstein benutzt hatte. » Sie werden sehr zornig reagieren und ich befürchte, mich werden sie dafür verantwortlich machen. Aber bitte, belaste deine Schultern nicht damit. «, antwortete er ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter um sie zu beruhigen.
Mila war dran und drauf ihm gehörig ihre Meinung ins Gesicht zu schreien als sie wieder diese merkwürdige Melodie in ihrem Kopf hörte und sofort war sie beruhig.
» Das ist nicht fair! «, beklagte sie sich als Aynur amüsiert grinste und weiter aß. Doch von ihm kam darauf nichts weshalb es Mila aufgab. Diskutieren mit ihm hatte sie noch nicht wirklich drauf und musste bestimmt viel daran arbeiten um ihm mal die Stirn bieten zu können.
Als auch der Blauhaarige satt, und das restliche Fleisch verräumt war, dösten die beiden vor sich her ohne etwas zu sagen. Aber die Stille war nicht unangenehm, sie war geradezu perfekt harmonisch da niemand den Wunsch hegte, etwas zu sagen.
» Wann kommt Saphea wieder? «, fragte Mila dann schließlich die sich ablenken wollte. Jetzt wo ihre Heimreise immer näher rückte wollte sie eigentlich gar nicht mehr fort.
Aynur zuckte bloß mit den Schultern und setzte gerade zu einer Antwort an als ein lautes Geräusch von draußen erklang.
Es hörte sich an als schlugen zwei Felsen aneinander und stürzten dann gemeinsam in die Tiefe. Instinktiv wusste Mila, dass es sich nicht um Saphea handelte die da näher kam. Vor Schreck ganz starr starrte sie zum Höhleneingang, jederzeit bereit, das Wesen von draußen zu erblicken.
Aber dazu kam es gar nicht, denn Aynur handelte schnell. Er murmelte einen Zauberspruch worauf die Feuerstelle und ihre Decken verschwanden. Dann packte er Mila am Oberarm und zog sie schnell an eine Höhlenwand die halb im Schatten lag.
Schützend bedeckte er sich und sie mit seinem Umhang. Dann blickten beide gespannt zum Höhleneingang.
Doch egal wie lange sie dorthin blickten, es passierte nichts. Mila war gerade dabei, Aynur zu bitten, den Zauber zu lösen, als ein spitzer Schrei erklang.
Er war so voller Schmerz und Angst das Mila das Blut in den Adern gefror. Sie hielt reflexartig die Luft an und blickte ängstlich zu Aynur auf.
Er machte ein nachdenkliches Gesicht und flüsterte dann leise: » Du bleibst hier, ich schaue nach was dort draußen vor sich
geht. «
Bevor Mila dazu kam zu protestieren legte er seinen Zeigefinger auf ihre Lippe und lächelte sanft: » Ich werde auf mich aufpassen und gleich zurück sein. «
Besorgt nickte Mila und hauchte: » Beeil dich! « Aynurs zuckende Mundwinkel wiesen darauf hin, dass er verstanden hatte und im nächsten Augenblick lehnte Mila alleine an der Wand.
Sie wusste, der Zauber wirkte noch immer und so erlaubte sie sich, tief durch zu atmen.
Gerade als sie sich selbst eingeredet hatte, dass alles gut war und sie keine Angst haben musste, erklangen schwere Schritte die sich dem Höhleneingang näherten.
Aynur war das zu 100 % nicht und so kroch erneut Angst in ihr hoch. Was sich dann in ihr Blickfeld schob, verängstigte sie nur noch mehr.
Es war ein großes Wesen das am ganzen Körper schwarzes Fell hatte und außerdem noch zwei riesige Hörner die aus seiner Stirn wuchsen. Es trug Teile einer Rüstung und seine Füße waren Hufe. Die ebenfalls schwarzen Augen konnte man im Fell kaum erkennen und doch fiel Mila auf, dass diese sie sofort fanden und nicht los ließen. Konnte dieses Ding durch den Zauber hindurch sehen? Oder war es einfach nur Zufall?
Mila hoffte auf die zweite Möglichkeit, aber darauf verlassen konnte sie sich nicht.
Als hätte ihr Körper die Kontrolle übernommen spürte sie wie sie auf den Boden griff und das Übungsschwert aufhob welches dort lag.
Zwar war es aus Holz, jedoch lieber diese Waffe als gar keine, wie Mila fand. Das haarige Wesen kam immer näher und mittlerweile wusste Mila, dass es sie sehen konnte.
Zwar zitterte sie am ganzen Körper, dennoch umklammerte sie den Schwertgriff fest und hielt es hoch wie wenn sie anfing, gegen Aynur zu kämpfen.
Sie versuchte wenigstens weitgehend ruhig zu bleiben um sich alles ins Gedächtnis zu rufen was Aynur ihr beigebracht hatte. Sie konzentrierte sich auf den schweren und leicht rasselnden Atem des haarigen Wesens, den Boden der unter seinen Schritten minimal bebte und seine ganze Körperhaltung.
Eine Schwäche in seiner Angriffshaltung entdeckte sie zwar nicht aber innerlich war sie so ruhig, dass sie sich zutraute, gegen ihn zu kämpfen.
Das Schwert welches er zog war zwei Mal so breit wie Milas Übungsschwert und demnach doppelt so schwer. Dennoch schien es nichts zu wiegen denn das haarige Wesen hielt es mit einer erstaunlichen Leichtigkeit. Die beiden fixierten sich gegenseitig mit ihren Blicken.
Mila konnte Kampfgeräusche hören die eindeutig von draußen kamen und sie hoffte, Aynur hatte keine Probleme oder Schwierigkeiten.
Ihre Chancen, nicht sofort zu sterben, sanken immer weiter ab je länger sie sich umkreisten ohne dass einer den ersten Schritt tat.
Doch dazu musste es auch gar nicht mehr kommen denn draußen erklang nun ein Geräusch das wie ein nahender Sturm klang und sofort wusste Mila, wer dort zur Hilfe eilte.
Im selben Augenblick hörte sie Sapheas Stimme in ihrem Kopf: » Renn Mila! « Sie zögerte nicht eine Sekunde und befolgte Sapheas Befehl. So schnell ihre Füße sie tragen konnten rannte sie in Richtung Höhleneingang. Das Wesen stieß ein unwilliges Schnauben aus und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Aber weit kam es nicht, denn Saphea kam durch den Höhleneingang gestürmt. Mila schmiss sich auf den Boden und schloss die Augen. Sie hörte wie Saphea knurrte und dann erklangen nur noch Todesschreie bevor alle Geräusche verstummten.
Mila presste die Hände auf die Ohren und kauerte weiterhin auf dem Boden, nicht bereit aufzustehen.
Erst eine warme Hand die sie an der Schulter berührte ließ sie den Kopf heben und sofort in Aynurs Gesicht blicken. » Alles gut? «, fragte er besorgt und zog sie langsam auf die Beine.
Mila, der der Schrecken noch immer in den Knochen saß, nickte einfach nur und schaute ihn ebenfalls eindringlich an.
Sie konnte an seiner Kleidung die Spuren eines Kampfes erkennen und auch eine kleinere Kratzer an seiner Brust aus denen feine Rinnsale von Blut liefen.
» Du bist verletzt! «, rief sie laut und schaute Aynur erschrocken an. Bevor jener abwinken konnte hatte sie sich schon seinen Arm geschnappt und drückte ihn auf den Boden.
» Hemd aus! «, befahl sie ihm und nach einem amüsierten Blick seinerseits zog er sich tatsächlich das Hemd über den Kopf.
Es war das erste Mal das Mila seinen nackten Oberkörper erblickte und obwohl man vorher schon gestählte Muskeln erahnen konnte, sie jetzt so zu sehen war doch etwas ganz anderes.
Gleichmäßige makellose Haut spannte sich über seinen Körper und ließ ihn wie den Prinzen in allen möglichen Filmen aussehen. Aber die Kratzer, von denen einige sehr tief aussahen, verschmähten diesen Anblick kaum.
Mila zwang sich, nicht zu sehr seinen Oberkörper anzustarren, sondern in den Taschen, die an Saphea hingen, noch dem Wasserschlauch, einem Stofffetzen und einigen Kräutern zu suchen. Als sie alles gefunden hatte kehrte sie zu Aynur zurück der sie die ganze Zeit amüsiert beobachtet hatte.
» Das ist wirklich nicht nötig! «, meinte er und doch wusste er, dass Mila wiedersprechen würde. » Natürlich ist das nötig. Und jetzt halte bitte still! «, und damit machte sie sich ans Werk.
Ganz vorsichtig tupfte sie die Wunden sauber wobei Aynur leise Seufzte wodurch Mila wusste, dass er sehr wohl Schmerzen hatte.
Als aller Dreck aus den Wunden entfernt war rieb sie die Kräuter darauf und wartete, bis sie eingezogen war bevor sie Aynur erlaubte, sich wieder anzuziehen und aufzustehen.
» Wie geht es jetzt weiter? «, wollte Mila besorgt wissen und sah Aynur ratlos an. Jener erwiderte ihren Blick entschlossen und nachdem er tief durchgeatmet hatte murmelte er: » Wir fliegen jetzt nach Hítheb und beeilen uns damit, den Seelenstein zu finden damit du endlich in Sicherheit bist und nach Hause kannst. «
Er klang so sicher und überzeugend, dass Mila gar keine andere Wahl hatte als ihm zu glauben. Auch wenn ihr der Gedanke, diese Welt und ihre neu gewonnen Freunde zu verlassen, gar nicht gefiel, sagte sie nichts.
Vielleicht war es sogar besser so, wenn sie so schnell wie möglich verschwand damit Aynur ebenfalls endlich in Sicherheit war.
Dennoch wurde sie bereits jetzt traurig bei dem Gedanken, Aynur nie wieder zu sehen. Und während sie so nachdachte, viel ihr auf, wie gerne sie den seltsamen und komischen Mann eigentlich mochte. Auch wenn er arrogant, starrköpfig und ein nicht reelles Wesen war – zumindest nicht in ihrer Welt – hatte sie ihn ins Herz geschlossen.
» Bereit für das nächste Abenteuer? «, fragte er Mila und reichte ihr seine Hand um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sofort ergriff Mila jene Hand und genoss den festen und doch irgendwie sanften Griff des Blauhaarigen.
Sie versuchte tapfer zu lächeln und antwortete: » Bin bereit wenn du es bist. « Aynur schmunzelte nur träge und zog sie sanft hinter sich her zu Saphea die Startklar auf sie wartete.
Gemeinsam schwangen sie sich auf den geschuppten Rücken und hielten sich fest damit es losgehen konnte.
Und während Saphea die Höhle mit ihnen verließ und sich in den Himmel empor erhob stellte Mila fest, wie wenig ihr es mittlerweile ausmachte, so zu fliegen.
Es war erschreckend, wie schnell man sich an etwas gewöhnen konnte was einem am Anfang nicht gefallen hatte.
» Du wirkst so traurig. «, meinte Aynur besorgt und als sein Atem ihr Ohr dabei streifte konnte Mila nicht verhindern, dass sich eine Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie hoffte inständig, dass er davon nichts mitbekam.
» Ich werde immer sentimental wenn ich an Abschied denke. «, antwortete sie leise und wirklich traurig. Dazu sagte Aynur nichts mehr, er verstärkte nur seinen Griff um ihre Hüfte etwas als würde er hoffen, ihr dadurch helfen zu können.
Zwei Tage waren sie nun ununterbrochen geflogen und Mila kam es immer mehr so vor, als wüsste weder Aynur noch Saphea, wo Hítheb überhaupt war. Aber sie hütete sich, dies auszusprechen. Seit einigen Stunden regnete es leicht und auch die Wolken verdichteten sich immer mehr.
Und obwohl Saphea einiges an Höhe verlor und so versuchte, dem Regen zu entkommen, gelang es ihr nicht zur Gänze.
Irgendwann begann Mila fürchterlich zu frieren und alle Bemühungen von Aynur, sie aufzuwärmen, scheiterten kläglich.
Würden sie noch lange so weiterfliegen, wäre es gut möglich, dass Mila krank werden würde. Da dies all ihre Pläne ruinieren würde, wurden sie gezwungen zu landen. Nach einigem Suchen fand Saphea ein altes Bauernhaus das mehr zerfallen wie ganz war, aber es reichte für ihre Zwecke.
Aynur machte mithilfe seiner Magie ein wärmendes Feuer und mit der Hilfe von Saphea gelang es ihm, Mila wenigstens ansatzweise trocken zu bekommen.
Die junge Frau bekam beide Decken übergelegt und hatte bereits frische Kleidung erhalten die im Gegensatz zu ihrer alten trocken und warm war.
» Geht es wieder besser? «, wollte Aynur sanft wissen und strich ihr durch das feuchte Haar. Mila zitterte noch immer am ganzen Körper, nickte aber leicht. Ihr war zwar sau Kalt aber es hielt sich in Grenzen seit sie gelandet waren. Leider wurde ihr Fieber, je weiter die Nacht voranschritt, immer höher und irgendwann begann sie im Fieberwahn zu sprechen.
Nicht zusammenhängende Sätze verließen ihren Mund und die schweißnasse Stirn glänzte im Feuerschein.
» Wenn wir nicht bald etwas unternehmen wird sie noch am Fieber sterben. «, Saphea machte sich ebenfalls große Sorgen um die junge Frau.
Die Drachendame hatte sich so gelegt, dass Mila an ihrem warmen Bauch lag und halb von ihrem Flügel verdeckt war. Aus besorgten Augen blickte der Drache zu dem zitterndem Bündel hinunter.
Aynur, der schweigsam am Feuer saß und immer wieder prüfende Blicke auf Mila warf, zuckte fast erschrocken zusammen.
» Was soll ich tun? «, fragte er hilflos und Saphea schaute ihn überrascht an. Mila wand sich immer mehr und ihr Gemurmel hörte sich mittlerweile an als wolle sie eine Geschichte erzählen.
» Rette sie. Wenn sie stirbt hast du nichts gewonnen und außerdem hängt dein Herz an ihrigen. Helfe ihr! «, knurrte Saphea erbost zu Aynur.
Dieser erhob sich träge und kniete sich dann neben seinen Schützling. Die blauen Augen glitten beinahe andächtig über die feinen Gesichtszüge der jungen Frau und blieben an den geöffneten Lippen hängen.
Vorsichtig legte er seine Fingerspitzen auf ihr Gesicht sodass sie einen Kreis anordneten. Dabei schloss er die Augen und versuchte mithilfe seiner Magie, ihr zu helfen. Es dauerte lange bis der erste Erfolg zu erkennen war, aber danach ging es relativ schnell.
Als Aynur spüren konnte, dass es Mila wesentlich besser ging, löste er sich von ihr und atmete erschöpft tief durch.
Es strengte ihn sehr an, seine Magie so lange und für so etwas schwieriges anzuwenden, aber er hätte auch nicht zulassen können, dass sie starb.
» Nein, ich will nicht. NEIN! «, schrie Mila in ihrem Fieberwahn und schlug kräftig um sich herum, fast als wolle sie jemanden vertreiben. Aynur wollte gerade zum Feuer zurückkehren als sie seinen Namen schrie als ginge es um Leben oder Tod.
Schmunzelnd und gerührt, dass er ihr scheinbar selbst im Traum helfen sollte, setzte er sich neben sie an Saphea gelehnt und zog sie vorsichtig in seine Arme damit sie besser lag.
» Ich bin hier, keine Angst. «, flüsterte er einfühlsam bevor er ihr durchs Haar strich und von nun an über ihren Schlaf wachte.
Als Mila die Augen aufschlug kam es ihr vor als hätte sie Jahre geschlafen. Dämmriges Licht blendete sie und sie konnte vor sich verschwommen eine heruntergebrannte Feuerstelle erkennen. Erschöpft wollte sie sich bewegen, wurde aber dabei gestoppt.
Verwundert blickte sie an sich herunter und stellte mit Erstaunen fest, dass Aynur sie fest umklammert hielt als wolle er sie nie wieder loslassen.
» Nicht so hastig, du bist noch sehr erschöpft. «, erklang seine kratzige Stimme nahe an ihrem Ohr und Mila erschauderte erneut, schob es aber auf ihr Fieber zurück um ja nicht an andere Dinge dabei zu denken.
» Mir geht es gut. «, murmelte sie leise, wohl wissend das dies gelogen war. Aynur lachte leise und zog sie sanft aber bestimmt soweit zurück, dass sie sich wieder an seine Brust lehnen musste. » Das sehe ich. Ruh dich noch etwas aus, wir fliegen früh genug weiter. «, meinte er bestimmend und ließ gar keine Widerworte zu.
Mila ergab sich ihrem Schicksal und versuchte inzwischen ihre Gedanken zu ordnen. Im Fiebertraum hatte sie mehrmals das gleiche geträumt. Sie befand sich immer in einer feuchten Höhle mit einem Blutroten Stein in der Hand welcher stark zu leuchten begann. Und genau in diesem Augenblick sah sie Aynur vor sich, mit einem Schwert im Bauch und leblos am Boden liegend. Doch bevor ihr klar wurde, was geschehen war wachte sie auf oder der Traum wechselte abrupt.
Am liebsten hätte sie mit Aynur darüber gesprochen doch sie hatte zu große Angst, dass es etwas Wahres geben könnte in diesem Traum.
Nach gut einer weiteren Stunde in der beide ihren Gedanken nachhingen, beschlossen sie einstimmig, weiter zu reisen. Schnell war alles verpackt und ihre Spuren beseitigt damit sie weiterfliegen konnten.
Zwar hatte es aufgehört zu regnen, aber wirklich schönes Wetter war es nicht und Mila war froh, dass sie es halbwegs warm hatte unter den Decken und ihrem Mantel.
Zusätzlich hielt Aynur sie wieder fest und bedeckte sie teilweise auch mit seinem Mantel.
Müde blickte sie einfach in der trostlosen Gegend umher bis ihr Blick auf etwas Seltsames stieß. Es kam Mila so vor, als würde eine riesige Wolke einen riesigen Schatten auf das Land unter sich werfen. Aber es schien weder genug Sonne für so einen Schatten noch gab es eine Wolke in so einem Ausmaß.
» Was ist das? «, wollte sie wissen und deutete mit dem Finger auf den Schatten um Aynur darauf aufmerksam zu machen.
Dieser antwortete ihr leise und ehrfürchtig: » Das ist Hítheb. « Er sagte dies mit so einer Überzeugung das Mila nicht an seinen Worten zweifeln konnte.
Zwar verstand sie es nicht ganz, wie ein Schatten eine Stadt sein konnte, aber wenn Aynur sich da sicher war, musste sie ihm glauben.
Bevor sie jedoch zu noch einer Frage ansetzen konnte gab es einen grellen Lichtblitz vor ihnen und dann sah sie Hítheb. Die Stadt sah aus als umgäbe sie eine Seifenblase, denn man konnte eine Runde Kuppe außen rum erkennen. Außerdem schien Sonne in dieser Kuppe, demnach musste sie magischer Herkunft sein.
Die Stadt selbst stand auf einer flachen Erdscheibe die nicht wirklich dick aussah. Wunderschöne Türme erhoben sich der Kuppel entgegen und man konnte Kindergelächter hören, frisches Obst riechen und die Fröhlichkeit der Stadt spüren.
» Herzlich Willkommen in Hítheb. «, lachte Aynur und schon flog Saphea so, dass sie direkt auf die Stadt zuflogen.
Mila konnte sich gar nicht sattsehen an all den schönen Gebäuden der Stadt und an all den Wesen die sich auf den Straßen tummelten.
Von Riesen bis hin zu Zwergen konnte sie allerhand Fabelwesen erkennen welche sie aus Märchenbüchern kannte.
Mit einem breiten Lächeln meinte Mila: » Die Stadt ist wunderschön! « Zustimmendes Brummen hinter ihr signalisierte ihr, dass auch Aynur so empfand.
Je näher sie der Kuppel kamen desto aufgeregter wurde Mila. Wie es wohl im inneren der Kuppel war und wie man auf ihre Ankunft reagieren würde?
Als die drei durch die Kuppelwand flogen schien es Mila als würde sie eine ganz andere Welt betreten.
Es war beinahe windstill und angenehm warm, die Sonne schien kräftig vom Himmel und wurde manchmal von hellen Wolken verdeckt.
Ihre Augen wirrten umher und versuchten alle neuen Eindrücke aufzuschnappen und im Gehirn zu sichern um sie niemals wieder zu vergessen.
Saphea flog einige Kreise als suche sie eine Möglichkeit zum Landen bis sie auf einen der Türme zusteuerten.
Je mehr sie an Höhe verloren desto erstaunter war Mila. Die Stadt war riesig, beinahe so groß wie ein eigener Staat denn der Turm auf welchem sie landete würde mehreren Drachen Platz bieten ohne das es eng werden würde.
Ein junger Mann wartete auf sie und kam ihnen lächelnd entgegen: » Herzlich Willkommen in Hítheb. Wenn Ihr wollt versorgen wir euren Drachen solang Ihr hier zu Gast seid! «
Mila blickte erstaunt zu Aynur der nur geheimnisvoll lächelte und dann an den jungen Mann gewandt meinte: » Das wäre wirklich nett. Wir bleiben auch nicht lange. «
Damit zog er Mila hinter sich her zu einer Tür welche die Treppen nach unten offenbarte. Als sie außer Hörweite waren fragte Mila erstaunt: » Seit wann reagiert man so freundlich auf unsere Ankunft? « Sie wunderte es noch immer sehr, dass man bei Sapheas Anblick nicht in Panik und Schrecken geriet.
Aynur lachte nur erheitert und antwortete ihr: » In Hítheb ist alles anders. Hier haben die Götter so gut wie nichts zu sagen und daher begegnet man allen Völkern freundlich und wohlgesonnen. Deshalb ist die Stadt auch für viele eine Heimat geworden, auch wenn sie nicht allzu viel bietet. Auch für Händler ist es hier perfekt um Geschäfte abzuschließen. Und wenn man einen Immortal zu Gast hat, ist das eine ganz besondere Ehre. «
Nickend folgte Mila dem Blauhaarigen die endlos erscheinende Wendeltreppe nach unten. » Und was machen wir jetzt? «, wollte sie atemlos wissen als sie endlich unten angekommen waren.
Zu Milas Erstaunen schenkte man ihnen kaum Aufmerksamkeit, nur Straßenhändler scharrten sich um sie wie Aasgeier um ihre Beute.
Aynur blickte sich wachsam um als wittere er eine Gefahr bevor er sich zu Mila hinunter beugte und ihr ins Ohr flüsterte: » Wir gehen in die Städtische Bibliothek wo wir hoffentlich Antworten finden. «
Auf welche Fragen sie Antworten finden wollten wusste Mila im Moment zwar nicht, aber der Besuch einer Bibliothek hörte sich in ihren Ohren wirklich gut an.
Und so folgte sie Aynur beschwingt durch die Straßen der Stadt, sich alles anschauend und die Sonne genießend.
Sie brauchten nicht lange bis sie vor dem riesigen Gebäude ankamen, in welchem die Bibliothek lag. Als sie eingetreten waren bekam Mila den Mund vor Staunen gar nicht mehr geschlossen.
So groß das Haus auch war, es gab nur einen einzigen Stock. Die Bücherregale reichten bis unter das runde Dach und waren zu erreichen durch ewig lange Stege die durch das ganze Gebäude führten.
Es sah spektakulär und gefährlich aus, jedoch auch spaßig und interessant. » Und was genau suchst du hier? «, wollte sie wissen und schaute sich das Publikum an, welches hier so unterwegs war.
Allerhand Geräusche erfüllten den Raum und doch war es angenehm ruhig, zum in den Büchern stöbernd also nahezu perfekt.
Aynur schwieg, zog sie aber mit sich in den hinteren Teil der Bibliothek, dort wo kaum etwas los war und wo eine dunklere Aura lag, wie Mila empfand als sie endlich stehen blieben.
Ratlos schaute sie sich die Bücherrücken an auf der Suche nach etwas, was ihr helfen konnte zu verstehen, was Aynur hier suchte.
» Wir müssen nach einem alten Buch Ausschau halten welches in einer Sprache geschrieben ist welche du nicht entziffern kannst. Wenn du also so ein Buch findest sag mir bitte Bescheid. «, gab Aynur die Anweisung und machte sich selbst auf die Suche.
Mila begann ebenfalls die Bücherrücken, am unterste Regalbrett anfangend – zu scannen und dieses Buch zu suchen. Öfters musste sie sich wirklich anstrengen, den Titel zu entziffern denn das meiste war in einer altmodischen Schrift geschrieben die sie nicht zu lesen gewohnt war.
Nach gefühlten Stunden entdeckte Mila dann endlich ein Buch das so aussah, wie Aynur es beschrieben hatte. Egal wie sehr sie sich bemühte, ihr gelang es einfach nicht, die Schrift zu entziffern.
Glücklich über ihren Erfolg zog sie das Buch heraus und wollte sich umdrehen um nach Aynur zu suchen als sich eine Hand auf ihren Mund legte und sie daran hinderte, aufzuschreien.
Eine kratzige Stimme schnarrte in ihr Ohr:
» Eine Bewegung und du bist tot! « Vor Schreck versteifte sich Mila komplett und ließ beinahe das Buch fallen.
Etwas Scharfes an ihrem Hals verdeutlichte ihr ihre Lage. Man hielt ihr ein Messer an den Hals und der Mann hinter ihr war anscheinend bereit, es zu benutzen. Die Hand auf ihrem Mund war stark und der Griff schmerzte bereits, dennoch konnte Mila nichts dagegen unternehmen.
Der Atem der Person hinter ihr roch nach faulen Eiern und verursachte leichte Übelkeit bei der jungen Frau.
» Wir gehen jetzt ganz langsam dort hinten durch die Tür! «, hauchte der Mann und schob sie schnell aber leise vor sich her. Mila versuchte jemanden zu entdecken aber scheinbar war dieser Teil komplett verlassen und auch von Aynur fehlte jegliche Spur.
Vielleicht wurde auch er festgehalten und konnte ihr gar nicht helfen? Angst kroch in Mila hoch und sie fragte sich, wieso sie immer in solche verrückte Situationen kam und sich nicht endlich mal wehren konnte.
Als sie durch die Tür durch waren ließ der Mann sie los und bei der Wucht die sein Stoß verursachte viel Mila auf die Knie.
Sie keuchte erschrocken auf und ignorierte den pochenden Schmerz in ihren Knien. Ängstlich drehte sie sich um und blickte in das emotionslose Gesicht eines jungen Mannes.
Er trug dunkle Kleidung und auf seiner Brust war ein Wappen eingestickt das eine Fackel zeigte die blaue Flammen besaß.
Mila kramte in ihrem Gedächtnis nach diesem Wappen aber dabei fiel ihr auf, dass so eines ihr noch nie untergekommen war.
» Was wollt Ihr von mir? «, fragte sie hysterisch und umklammerte das Buch fester als könnte es ihr Leben retten. Der Mann mit dem Gesicht aus Stein schaute sie aus leeren und kalten Augen an.
» Wenn du dich freiwillig ergibst passiert dir nichts, solltest du dich jedoch wehren, dann muss ich dich töten. «, sprach er Kalt sodass Mila ein eisiger Schauder über den Rücken lief.
Was sie tun sollte war nicht schwer zu überlegen, Mila handelte mehr instinktiv wie klug. Sie sprang auf und wollte auf den fremden Mann zulaufen und ihm mit dem Buch eine über den Kopf zu ziehen, doch soweit kam es nicht.
Blitzschnell zog der Mann ein Schwert und hielt es so, dass Mila genau hineinlaufen würde. Sie war viel zu schnell um noch rechtzeitig ausweichen zu können und schloss bereits mit ihrem Leben ab als die Tür aufflog und mit voller Wucht gegen die Wand knallte.
Aus dem Augenwinkel konnte sie eine Gestalt erkennen die auf sie zu gerannt kam und dann traf diese Gestalt auf sie.
Gleißender Schmerz durchfuhr ihren Körper als der andere, wesentlich schwerer Körper in sie hineinprallte. Zusammen flogen sie seitlich auf den Schreibtisch zu und Mila knallte direkt mit der Hüfte auf die Tischkante.
Ihr wurde kurz schwarz vor Augen und sie konnte Sterne sehen, aber dennoch konnte sie ganz deutlich sehen, wie Aynur schützend vor ihr stand und ebenfalls sein Schwert gezogen hatte.
Auf dem Gesicht des fremden Mannes konnte sie nun blinde Wut erkennen und da schrie er schon erzürnt: » Verschwinde solang du noch kannst. Es ist vorbei Immortal! Ich werde das Mädchen entweder töten oder zu den Göttern bringen und du wirst mich nicht davon abhalten! «
Aynurs Mund verließ ein gehässiges Lachen: » Verschwinde lieber du und richte den Göttern aus, dass sie Mila nur über meine Leiche bekommen. «
Die beiden maßen sich mit giftigen Blicken und umrundeten sich langsam, wartend bis der andere den ersten Angriff wagte.
Mila kauerte neben dem Schreibtisch und versuchte einen Schwachpunkt in der Haltung des fremden Mannes zu erkennen.
Aber ihr gelang es nicht, was ihr noch mehr Sorgen bereitete. Fieberhaft überlegte sie, wie sie Aynur helfen konnte ohne selbst verletzt zu werden.
Schließlich kamen die Männer so zum Stehen, dass der Fremde mit dem Rücken zu ihr stand während Aynur sie direkt anblicken konnte. In den blauen Augen konnte sie Sorge erkennen und ein warmes Funkeln das allein ihr galt. Ein Schmetterlingsschwarm erhob sich in ihrem Bauch und Mila wunderte sich gar nicht mehr über dieses Gefühl.
Anscheinend war sie auf dem besten Weg, sich in den Blauhaarigen zu verlieben. Dass ihr das gerade mehr als ungelegen kam, interessierte Mila im Moment nicht wirklich.
Sobald sie in ihre Welt zurückgekehrt war, wäre auch das Ganze hier nicht mehr wie ein Abenteuer welches einem verrückten Traum sehr nahe kam.
» Jetzt wirst du sterben Immortal! «, knurrte der Fremde und hob sein Schwert wie zum töteten Schlag.
Mila reagierte so schnell sie konnte und zog das dicke Buch über den Kopf des Mannes. Er sackte sofort zusammen und fiel nach vorne während er sein Schwert fallen ließ.
Aynur kümmerte sich jedoch nicht um den Bewusstlosen, er trat über dessen Körper hinweg und blieb erst dicht vor Mila stehen.
Tief blickten sie sich in die Augen und das wohlige Gefühl welches Mila im ganzen Körper spürte, zeigte ihr, wie tief ihre Gefühle tatsächlich schon waren.
Aynur lächelte herzerweichend und ließ sein Schwert einfach fallen während er seine Hände auf Milas Wangen legte.
Ein Teil in Mila wollte am liebsten davon laufen und sich irgendwo verstecken während der andere Teil nichts lieber wollte als das, was garantiert auf das hier folgen sollte.
Ohne irgendetwas zu sagen nährten sich ihre Gesichter immer weiter bis Mila Aynurs Atem auf ihren Lippen fühlen konnte.
Langsam schloss sie ihre Augen und genau in diesem Moment trafen sich ihre Lippen zum ersten Mal.
Mila erschauderte wohlig und schlang ihre Arme um Aynurs Mitte um sich an ihm festhalten zu können.
Einen Flügelschlag eines Schmetterlings gleich lagen ihre Lippen aufeinander und beide genossen diesen vertrauten Moment.
Erst ein leises Stöhnen von dem am Boden liegenden Mann schaffte es, sie sich voneinander lösen zu lassen.
» Bin gleich wieder da. «, hauchte Aynur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ehe er sich umdrehte und zu dem Mann ging.
Er beugte sich zu jenem hinunter und murmelte etwas. Gleich darauf schrie der Liegende schmerzerfüllt auf bevor er tot zusammensackte.
Aynur erhob sich wieder und trat zurück zu Mila die ihn noch immer leicht verträumt anblickte.
» Wir müssen uns beeilen. Er ist einer der Boten und wenn jene bereits wissen, dass wir hier sind, ist die Zeit wirklich knapp. «, hauchte er und strich Mila eine Haarsträhne aus der Stirn.
Nickend reichte sie ihm das Buch und versuchte das gerade Geschehene zu verdauen. Hatte sie wirklich gerade Aynur geküsst? Den Mann welchen sie garantiert nie wieder sehen würde, denn er musste hier bleiben während sie in ihre Heimat zurück musste.
Aynur blätterte nervös in dem Buch herum bis er fand was er suchte. Freudestrahlend wie ein kleines Kind schaute er zu Mila welcher in diesem Moment das Herz aufging. Diesen Ausdruck der kindlichen Reinheit hatte sie noch nie an jemanden gesehen.
Schlagartig fragte sie sich, was die Götter bloß angestellt hatten, dass so ein reines Wesen wie Aynur bereit war, sofort zu töten wenn es notwendig war?
Andererseits war sie froh, denn sonst hätte sie Aynur niemals kennen gelernt und er würde ihr jetzt auch nicht mehr helfen können.
» Wohin müssen wir? «, fragte Mila neugierig und überbrückte den Abstand zwischen ihnen um ebenfalls einen Blick ins Buch werfen zu können, stellte dabei aber fest, dass sie nichts davon verstand was dort geschrieben stand.
Aynur antwortete ihr leise als befürchte er, man würde sie belauschen: » Hier steht, dass bei Einbruch der Nacht der Weg freigegeben wird. Das heißt wir müssen jetzt warten bis die Dämmerung einsetzt und dann hierher zurückkommen. «
Mila wurde klar, dass das noch Stunden dauerte und was sollten sie in der ganzen Zeit machen? » Gibt es keinen schnelleren Weg? «, wollte sie besorgt wissen, denn noch einmal auf einen Götterboten zu treffen stand nicht auf ihrer List für den heutigen Tag.
Aynur schüttelte betrübt mit dem Kopf und klappte das Buch wieder zu. » Das hier nehmen wir vorsichtshalber lieber mit. «, erklärte er und steckte das Buch bereits ein. Mila atmete tief durch und legte den Kopf leicht schief als sie fragte: » Und was machen wir bis zur Dämmerung? «
Aynur grinst sie Jugendhaft an und meinte schelmisch: » Ich zeige dir, wie schön die Leute in Hítheb feiern können. Schließlich sollst du auch schöne Dinge hier erleben und nicht nur die ganze Verfolgungsjagd im Gedächtnis behalten. «
Dankbar lächelte Mila den Blauhaarigen an obwohl sie innerlich schon wieder traurig wurde. Könnte sie es schaffen mit all den Erinnerungen zu leben? Oder wäre es besser wenn sie Aynur bat, ihr Gedächtnis zu löschen?
Diese vielen Fragen und Gedanken verschloss sie im letzten Winkel ihres Kopfes denn jetzt wollte sie Aynurs Geschenk gebührend entgegen nehmen.
» Aber feiert man nicht eher Abends wie Nachmittags? «, wollte sie wissen während sie gemeinsam die Bibliothek verließen.
Draußen war es, wenn möglich, nur noch wärmer geworden und das Wetter war wunderschön.
Auf den Straßen tummelten sich viel mehr Leute wie zuvor und sie alle waren festlich gekleidet.
» Wir sind genau richtig hier für ein Fest. Heute feiert man in Hítheb den Tag des Lebens. Heute werden all jene geehrt welche bei der größten Schlacht unserer Geschichte ihr Leben ließen damit die Völker frei leben können. «
Mila hörte interessiert zu und bemerkte, dass sie beide wirklich unangemessen gekleidet waren für ein Fest. Ihre Kleidung war dreckig, zerrissen und sah verwahrlost aus.
» Bevor wir aber auf die Feier gehen besorgen wir uns lieber noch etwas Richtiges zum Anziehen. «, meinte Aynur augenzwinkernd und nahm Milas Hand um sie mit sich zu ziehend.
Sie durchquerten unzählige Gässchen und Mila hatte längst die Orientierung verloren. Aynur jedoch ging zielsicher voran und führte sie zu einem großen Gasthaus.
Nachdem sie angeklopft hatten und eine ältere Dame öffnete, wurden sie herzlich begrüßt.
» Was kann ich für die Herrschaften tun? «, wollte die Gastgeberin wissen und Mila entging nicht, dass sie skeptisch auf ihre Kleidung blickte.
» Wir benötigen ein Zimmer sowie ein Bad und neue Kleidung. «, sagte er bestimmt und legte einen Stoffbeutel auf den Tisch. Die Dame blickte einen Moment auf den Beutel bevor sie freundlich nickte: » Wie Sie wünschen. Alfred wird Sie hinauf
begleiten. «
Mila hatte den kleinen Jungen gar nicht bemerkt der plötzlich neben ihnen stand und sie nach einer hastigen Verbeugung nach oben brachte.
» Wieso ist es hier so leer? «, wollte Mila im Flüsterton wissen als sie an vielen geschlossenen Türen vorbei gingen. Aynur lächelte leicht als er meinte: » Wer nicht arbeiten muss geht zum Fest. «
Alfred blieb vor einer der Türen stehen und meinte nach einer knappen Verbeugung: » Das Bad wird bereits eingelassen und die frische Kleidung ist auf dem Weg. «
Bevor Mila sich verabschieden oder bedanken konnte war der Junge bereits auf dem Weg nach unten.
Aynur öffnete ihr die Tür und ließ Mila den Vortritt. Neugierig blickte diese sich im Zimmer um und stellte überrascht fest, dass sie einen eigenen Balkon hatten.
» Schön hier! «, meinte sie und besah sich die Wandmalereien genauer. Aynur schwieg dazu nur, ging zum Bett und setzte sich darauf nieder als wäre er todmüde. Mila besah sich noch den Rest des Zimmers bevor Alfred zurückkam und ihnen zwei Kleiderbündel hinlegte.
» Wenn du magst kannst du als Erste baden gehen. «, meinte Aynur nur während er sich nach hinten fallen ließ und die Augen schloss.
Mila nickte einfach nur und machte sich mit ihrem Kleiderbündel unter dem Arm auf den Weg ins Badezimmer.
Tatsächlich war die Wanne dort bereits mit heißem Wasser gefüllt und Rosenblätter schwammen auf der Oberfläche während sich ein süßer Duft im Raum ausbreitete.
Erfreut endlich den Schmutz vom Körper waschen zu können entledigte sie sich ihrer dreckigen Kleidung welche sie einfach liegen ließ. Zwar war das Wasser beinahe zu heiß für ihren Geschmack, aber es tat so gut, dass dies Mila nicht im Geringsten störte.
Nachdem sie sich sauber und erfrisch fühlte stieg sie aus dem nun nur mehr lauwarmen Wasser und trocknete sich mit den bereitliegenden Handtuch ab.
Summend öffnete Mila das Kleiderbündel und war einen Moment sprachlos als sie das Kleid sah, welches dort vor ihr lag.
Es war ein Traum aus Blau mit silbernen Stickereien welche Sterne ergaben. Dazu gab es passende Schuhe und sogar Schmuck in der selben Farbe.
Mila grinst wie ein kleines Mädchen als sie sich vorstellte, wie eine Prinzessin auszusehen. Leider bemerkte sie beim Anziehen des Kleides, dass die Schnüre am Rücken unmöglich selbst zu schließen waren.
Bei dem Gedanken Aynur um Hilfe zu bitten wurde sie knallrot, aber was blieb ihr anderes übrig.
» Aynur? «, rief sie und umklammerte das Kleid vorne so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Er sollte so wenig wie möglich von ihr sehen und wenn das Kleid runterrutschen sollte, wäre das ein wirklich großes Problem.
Die Tür ging nur wenige Atemzüge später auf und perplex starrte Mila Aynurs Erscheinung an.
Scheinbar hatte er ebenfalls gebadet denn sein Haar war noch leicht feucht während er selbst schon in frischer Kleidung steckte.
Die schwarze, enge Hose und das blaue Oberteil passten nicht nur perfekt zu seinen Haaren und Augen, sondern auch zu ihrem Kleid.
» Brauchst du Hilfe? «, fragte er und betrat bereits den Raum um die Tür hinter sich zu schließen. Mila nickte mit hochrotem Kopf und drehte ihm den Rücken zu damit er ihr bei ihrem Kleiderproblem helfen konnte.
Stille senkte sich über sie als Aynur vortrat und begann, die Schnüre zu schließen. Mila traute sich kaum zu atmen so nervös war sie und dabei konnte sie sich nicht einmal erklären, weshalb das so war.
Als endlich alle Schnüre geschlossen waren drehte Mila sich zu Aynur um damit sie sich bedanken konnte.
Doch sie bekam bei einem Blick in seine Augen kein einziges Wort heraus. Aynur schaute sie warm an und meinte lächelnd:
» Du siehst wunderschön aus. «
Errötend wand Mila den Blick ab, nicht wissend wie sie mit dem Kompliment umgehen sollte. Die ganze Situation war so verzwickt und verwirrend, dass ihr ganz unwohl wurde.
Sobald die Nacht hereinbrechen würde wäre sie bereits auf dem Heimweg. Also warum jetzt die Chance auf ein schönes Date vermasseln?
Mila lächelte leicht und ging auf Zehenspitzen damit sie Aynur endlich küssen konnte.
Nach einem tiefen und gefühlsvollen Kuss trennten sie sich voneinander und blickten sich lächelnd an.
» Bereit für das Fest? «, fragte er und verhakte ihre Finger miteinander. Mila nickte einfach nur und ließ zu, dass er sie mit sich zog um das Gasthaus zu verlassen.
Hand in Hand schlenderten sie durch die Straßen bis hin zum Marktplatz wo anscheinend das Fest stattfinden würde. Tatsächlich gab es zahlreiche Tische und Bänke, eine Gruppe Musiker die spielte und ein Haufen tanzender Leute.
Kellnerinnen liefen umher und brachten Essen sowie Trinken zu den Gästen. » Was willst du machen? «, wollte Aynur wissen und schaute sie aufmerksam an. Mila, die das Ganze wirklich als Date ansah, kicherte leicht und meinte: » Ich würde gerne erst einmal etwas Essen. «
Nickend führte Aynur Mila zu einem freien Tisch und bestellte für sie beide einen deftigen Eintopf.
Nachdem sie gegessen hatten beobachteten sie die Tanzenden und Mila wünschte sich in diesem Augenblick, auch so elegant tanzen zu können.
Früher hatte sie es mehrmals probiert bei Festen oder in der Schule aber es war ihr nie so gelungen. Als hätte Aynur ihr angesehen was sie dachte er hob er sich plötzlich und zog sie mit sich.
» Lass uns tanzen. «, meinte er auf ihren fragenden Blick hin und grinste überlegen bei ihrem Gesichtsausdruck. Mila hörte sich etwas verstimmt an als sie sagte: » Ich kann aber nicht tanzen. «
Das ignorierend lachte Aynur nur und kam erst zum Stehen als sie auf der Tanzfläche standen.
» Natürlich, ich helfe dir auch und führe dich. «, meinte er einfühlsam und zog Mila in ihre Arme. Tief durchatmend schmiegte diese sich leicht an ihren großen Retter und schloss die Augen.
Vielleicht würde es gar nicht so schwer von der Hand gehen wenn er sie führte.
Stundenlang tanzten, redeten und lachten sie sodass die Zeit wie im Flug verstrich.
Erst als die Dämmerung einsetzte verließen sie das Fest gut gelaunt.
Mila hatte Aynur noch besser kennen gelernt und mit ihm auch über seine damalige Liebe gesprochen. Aynur und Mila gingen eilig zur Bibliothek zurück um dort vor geschlossenen Türen zu stehen.
» Und wie kommen wir jetzt dort hinein? «, wollte Mila wissen und sofort war die lockere Stimmung verflogen. Aynur blickte Stirnrunzelnd an der Tür hinauf und schien fieberhaft zu überlegen.
Mila schaute sich aufmerksam um und konnte gegenüber einen Mauervorsprung entdecken der direkt zu einem offenen Fenster der Bibliothek führte.
» Dort! «, rief sie und deutete auf den entdeckten Mauervorsprung. Aynur lächelte sie fast schon stolz an und nickte einfach nur.
Gemeinsam gingen sie zu diesem Mauervorsprung an welchem Aynur elegant hinaufkletterte und Mila dann die Hand hingegen hielt.
Wie sie in diesem Kleid nach oben klettern sollte war ihr ein Rätsel, aber dennoch ergriff sie eine helfende Hand.
Vor Schreck schrie sie auf als er sie mit einem kräftigen Ruck nach oben zog sodass sie neben ihm zum Stehen kam.
» Ich wusste gar nicht, dass du so viel Kraft hast. «, neckte sie ihn und ging voraus zu dem offenen Fenster.
Weshalb gerade dieses offen war, war schon seltsam aber Mila wollte nicht mit Vermutungen kommen die nicht wahr waren.
» Leise! «, zischte Aynur hinter ihr als sie endlich durch das Fenster geklettert waren und an den Regalen nach unten kletterten. Mila sparte sich ihre zickige Antwort sondern streckte ihm nur die Zunge raus als sie endlich unten angekommen waren.
» Und jetzt? «, fragte sie und blickte sich in der Dunkelheit um. Aynur antwortete nicht, sondern ging einfach in die Mitte des Raumes wo er sich mit ausgebreiteten Armen hinstellte.
Verwundert schaute Mila aus sicherer Entfernung zu wie der zu leuchten begann und wie sich dann ein Loch im Boden auftat. Im Dunkeln dort unten konnte sie ein paar Treppenstufen erkennen die als Wendeltreppe hinunter führten.
» Hier entlang bitte. «, meinte Aynur amüsiert und lächelte Mila an. Kopfschüttelnd kam sie auf ihn zu und ging dann neben ihm die Wendeltreppe hinunter. » Woher wusstest du eigentlich, wie du die Treppe hier hervorzauberst? «, fragte sie neugierig während sie immer weiter in die Dunkelheit hinabstiegen. Aynur antwortete selbstsicher: » Im Buch stand etwas über das Ritual des Lichtes und das habe ich vollführt. Dieses Ritual war das erste was ein Immortal lernte wenn er im Dienst der Götter stand. «
Als sie am Ende der Wendeltreppe angekommen waren erhellte sich die Höhle plötzlich mit einem Schlag und Mila blickte auf eine riesige Wasserschüssel die dem See ähnelte welchen sie damals in der unterirdischen Stadt gesehen hatte.
» Was ist das hier? «, wollte sie wissen als ihr die vielen Throne auffielen die an den Wänden rund um die Schüssel standen. Aynur schien es unwohl zu sein als er meinte: » Legenden besagen, dass all die großen, verstorbenen Könige hier unten ihren Platz finden um für alle Ewigkeit das Geschehen der Welt im Wasser zu betrachten. Ich weiß aber nicht, ob das die Wahrheit ist. «
Mila schaute sich unbehaglich um und trat dann vor das Wasser. » Und jetzt? «, fragte sie in die Stille hinein während sie auf die ruhige Wasseroberfläche blickte.
Aynur, der neben sie getreten war, flüsterte: » Greife in das Wasser. «
Zögerlich tat Mila dies und war erstaunt, wie warm das Wasser war. Am Grund der Wasserschüssel, die nicht so tief war wie sie wirkte, lag ein handflächengroßer Stein mit glatter Oberfläche.
Sie nahm ihn in die Hand und zog ihn aus dem Wasser. Auf ihrer Hand lag ein blutroter Stein der leicht schimmerte.
» Ist er das? «, fragte sie atemlos und aufgeregt. Aynur nickte während ein trauriger Schimmer in seinen Augen lag.
Augenblicklich wurde Mila bewusst, welche Entscheidung sie traf, würde auch für Aynur einiges ändern.
» Es tut mir so leid, Aynur. Bitte verzeih
mir! «, flüsterte sie erstickt während sie ihn mit Tränen in den Augen ansah.
Er überbrückte den Abstand zwischen ihnen und umarmte Mila fest. » Es gibt nichts zu verzeihen Mila. Du gehörst in deine Welt und ich in meine. Und dennoch hatte ich Wünsche, doch es waren nur Träume, welche unerfüllt bleiben sollen. «, antwortete er leise.
Mila musste sich wirklich zusammenreisen um nicht los zu weinen wie ein kleines Kind. Aber der Gedanke, Aynur nie wieder zu sehen, schmerzte höllisch. Sie hatte sich verliebt, unsterblich und unmöglich denn eine Zukunft gab es für sie nicht. Tief durchatmend löste sie sich von ihrem blauhaarigen Freund und blickte ihm tief in die Augen.
» Sprich dieses Gedicht hier und dann wird der Seelenstein dich nach Hause bringen. Aber Mila, versprich mir, dass du nur an deine Heimat denkst. Denn wenn du an mehrere Dinge denkst, dann wird etwas Schreckliches mit einer Person passieren die du liebst. Versprich es! «
Überfordert mit ihren Gefühlen nickte Mila einfach nur und nahm das Blatt Papier entgegen welches Aynur ihr reichte.
Doch den Worten darauf schenkte sie keine Aufmerksamkeit, ihr Blick haftete weiterhin an Aynur.
» Was wird aus dir werden wenn ich fort
bin? «, verlangte sie zu wissen damit ihr Herzschmerz vielleicht weniger werden würde. Aynur lächelte sie beruhigend an und flüsterte: » Ich werde dafür sorgen, dass der Seelenstein für immer verschwindet damit niemals wider das Portal geöffnet werden kann, damit wir alle in Sicherheit sind. «
Mila nickte und doch liefen die ersten Tränen über ihre Wangen. Damit waren alle Chancen, vielleicht jemals wiederkehren zu können, für immer zerstört. Sie begann zu schluchzen und warf sich an Aynurs Brust.
Sofort schlang jener die Arme um sie und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. » Bitte, nicht weinen Mila, bitte nicht. «, hauchte er erstickt und wog sie sanft hin und her wie ein kleines Kind das man beruhigen wollte.
Erst als die Tränen versiegt waren lösten sie sich voneinander und sahen sich erneut tief in die Augen.
» Es war mir eine Ehre dich kennenzulernen Mila und danke für die aufregenden Wochen mit dir. Und bitte, vergiss uns alle nicht so schnell. «
Aynurs Worte lösten in Mila ein Gefühl aus, dass sie als reinen Schmerz bezeichnen konnte. Sie wollte nicht fort von hier, wollte ihn nicht verlassen. Aber was hatte sie für eine Wahl? Sie musste zurück ansonsten würden die Götter sie erwischen und womöglich töten. Aber war es wirklich die beste Entscheidung, zu verschwinden und Aynur alleine zurück zu lassen?
» Mach dir keine Gedanken Mila. Mir wird es gut gehen solang du in Sicherheit bist. «
Schon wieder liefen die Tränen Sturzbächen gleich über ihre Wangen und tropften zu Boden.
Anhand Aynurs Gesichtsausdruck erkannte sie, dass auch er mit sich zu kämpfen hatte, und beschloss es zu beenden.
Mit zitternder Stimme begann sie das Gedicht laut vorzulesen welches sie hier rausholen sollte.
» Wenn geweint wird,
eine Träne, so rein und klar,
von einem des Himmelvolkes,
nur alle hundert Jahr.
Dann wirst du lernen,
zu vergessen was damals war,
und vergeben,
was dein Herz nur sah.
Fällt die Träne zu Boden und bricht in tausend Teil,
dann wirst du finden, dein Seelenheil.
Dort oben, im Himmel hoch,
wo die Wunder ach noch so groß.
Doch der Tod,
er wird färben den Boden rot.
Zu fliehen, es wird nichts bringen,
einer muss sterben.
Trotz aller Dinge,
kein Leben wird ihm entrinnen.
Du musst wählen,
deinen Herzenswunsch.
Er wird liegen,
im grauen Nebeldunst.
Doch zu Ende geht es erst,
wenn du niemals wiederkehrst. «
Als sie die letzten Worte ausgesprochen hatte begann der Stein in ihrer Hand grell zu leuchten und immer wärmer zu werden. Doch sie hatte keine Augen für dieses Schauspiel denn noch immer war ihr Blick mit Aynur seinem verwoben. Dann plötzlich trat er auf sie zu und presste seine Lippen für einige Sekunden auf ihrige.
Das: » Ich liebe dich! «, hörte Mila nur noch wie aus weiter Ferne und je mehr Aynurs Gestalt vor ihren Augen verschwamm, desto trauriger wurde sie. Deshalb schloss sie die Augen und eine einzige Träne tropfte zu Boden, bevor Mila verschwunden war.
Mit einem lauten Schrei wachte Mila auf und befand sich sitzend in ihrem Bett. Irritiert blickte sie sich um, auf der Suche nach Aynur oder Saphea. Als sie dann die Wände ihrer gehassten Wohnung erkannte, stiegen erneut Tränen in ihren Augen auf.
Sie war also wirklich zurück und würde ihre Freunde nie wieder sehen. Es war nur wieder ein Traum gewesen in welchem sie nach Jacaran zurückgekehrt war. Schluchzend vergrub sie ihren Kopf im Kopfkissen und weinte erst einmal eine Weile bevor sie sich so weit gefasst hatte, dass sie sich traute, ihren Kopf anzuheben.
Mittlerweile hatte sie leichte Kopfschmerzen vom ganzen Weinen und ihre Augen waren bestimmt auch schon knallrot. Mila fragte sich noch immer, wie sie in ihr Bett gekommen war, schließlich war ihre Ankunft Jacaran auch spektakulärer gewesen mit dem Umfall zuvor.
Müde rieb sie sich die Augen und beschloss dann, ihren Vater zu besuchen. Vielleicht würde das etwas Ablenkung schenken und sie auf andere Gedanken bringen.
Motivationslos schlürfte sie ins Badezimmer und verschwendete gar keinen Blick in den Spiegel, sie wollte sich nicht ansehen.
Mit frischen Klamotten am Leib kehrte sie in ihre kleine Küche zurück und suchte fieberhaft nach einer Wasserflasche da sie das Gefühl hatte, ihr Hals wäre Staubtrocken.
Weit kam Mila aber nicht denn plötzlich klingelte jemand an ihrer Tür. Da sie keine Gäste erwartete und auch sonst niemanden hatte der vorbei kam musste es entweder der Postbote oder der Vermieter sein.
Schlecht gelaunt öffnete sie die Tür und wollte gerade denjenigen abwimmeln als sie in das Gesicht zweier ernst dreinblickenden Polizisten sah.
» Ähm…ja? «, fragte sie eingeschüchtert und das schlimmste befürchtend. War etwas in ihrer Abwesenheit passiert? Oder hatten die Herren sich nur an der Tür geirrt?
» Sind sie Mila Larson? «, fragte der eine noch immer todernst und Mila konnte nur eingeschüchtert nicken. Was sie wohl angestellte hatte?
Die Herren schauten sie weiterhin regungslos an sodass Mila sich genötigt fühlte zu fragen: » Was kann ich für Sie tun? «
Nun antwortete der andere Polizist ihr:
» Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass ihr Vater einen Herzinfarkt hatte und derzeit im künstlichen Koma liegt. Seine Überlebenschancen stehen 1:30. «
Kurz wunderte Mila sich, wie egal ihr diese Information war. Sie sollte wesentlich trauriger sein, aber sie war es nicht.
In Jacaran hatte sie so viel über ihre Eltern erfahren, dass sie einfach nicht anders konnte, wie noch immer wütend auf ihren Vater zu sein.
» Vielen Dank für Ihr Kommen. Können Sie mir noch sagen, in welchem Krankenhaus er liegt? «, ihre Stimme war sachlich und kühl. Nicht die Stimme einer trauernden Tochter. Das fiel auch den Polizisten auf welche sich kurz irritiert anblickten ehe sie ihr Auskunft gaben.
Mila kannte das Krankenhaus nur von außen aber sie wusste, sie musste dort hin und ihren Vater besuchen. Seufzend schloss sie die Tür hinter den weggehenden Polizisten und lehnte ihre Stirn gegen das kühle Holz.
War es das, was Aynur gemeint hatte? Das ein geliebter Mensch verletzt werden würde wenn sie nicht an nur einen Ort denken würde?
Mit schlechten Gewissen wurde ihr klar, dass sie tatsächlich an zwei verschiedene Orte dacht hatte. Einerseits an ihre Welt, anderseits aber auch an Jacaran. Demnach war sie Schuld, wenn ihr Vater starb.
Wütend auf sich selbst und die ganze Welt verließ sie ihre Wohnung und machte sich mit dem Bus auf den Weg ins Krankenhaus.
Warum war nur alles so kompliziert? Wieso musste ausgerechnet ihr so etwas passieren? Mit was hatte sie das verdient?
Eine halbe Stunde später stand sie im Empfangsbereich des Krankenhauses und trat an den Tresen vor um zu erfahren, wo ihr Vater lag.
» Ich suche Herr Larson. Können Sie mir sagen, wo ich Ihn finde? «, fragte sie die junge Dame hinter dem Tresen freundlich. Diese nickte leicht, schaute kurz auf ihren Bildschirm und meinte dann ebenso freundlich: » Zweiter Stock, Zimmer 180. «
Nickend verabschiedete Mila sich und machte sich dann auf den Weg zu den Aufzügen. Drei Tage war es nun her, dass sie in ihrem Bett aufgewacht war und noch immer wollte sie nichts mehr wie zurück zu dürfen.
Zum Glück stand keiner bei ihr im Aufzug denn so konnte sie sich gestatten ihr Gesicht in den Händen zu vergraben.
Am liebsten würde sie sich irgendwo einsperren gehen um hemmungslos zu weinen, aber natürlich tat sie dies nicht.
Mit einem leisen Pling verkündete der Aufzug, dass sie oben angekommen waren.
Orientierungslos stiefelte Mila durch die Gänge bis sie vor der Zimmertür 180 stehen blieb.
Was sich dahinter wohl wirklich befand? Mutig stieß sie die Tür auf und schluckte schwer als sie ihren Vater dort liegen sah.
Er lag fast leblos in dem riesigen Bett und sah einsam aus. Zahllose Schläuche führten in seinen Körper und eine piepsende Maschine zeigte seine Herzschläge an.
Mila konnte nicht verhindern, dass sie nun doch zu weinen anfing. Sie hatte alles verloren. Ihre Mutter, Aynur, Saphea und nun auch noch ihren Vater.
Jetzt war sie alleine und damit kam sie im ersten Moment kein bisschen zurecht.
» Papa! «, schluchzte sie und stürzte zu seinem Bett um ihren Kopf auf seiner Brust zu betten.
Jegliche Wut auf ihn war verschwunden, denn jetzt war sie das kleine Mädchen das sich nach einer tröstenden Umarmung ihrer Eltern sehnte.
» Das ist so unfair. «, klagte sie und traute sich gar nicht daran zu denken, wie es nun weitergehen sollte.
Lange Zeit saß sie dann einfach auf dem unbequemen Stuhl neben dem Bett und hielt die Hand ihres Vaters fest um sie etwas zu wärmen. Mila erzählte ihm alles, die ganzen Abenteuer in Jacaran und auch ihre Gefühle für Aynur offenbarte sie ihm.
Auch wenn sie wusste, er hörte sie nicht und konnte sich sicher auch nicht an all das erinnern, machte sie es dennoch.
Mila war so versunken in ihren Gedanken, dass sie nicht mitbekam wie jemand anderes den Raum betrat. Erst als sie ein Luftzug von hinten streifte registrierte sie die Gegenwart der anderen Person.
Im ersten Moment war sie im festen Glauben, eine Krankenschwester war zu ihr getreten, aber als sie den Duft, welcher von der Person ausging, inhalierte wusste sie wer dort stand.
Verwirrt drehte sie sich um und blickte tatsächlich in das lächelnde Gesicht von Aynur.
Er trug moderne Klamotten die in diese Zeit passten und seine Haare hatte er im Nacken so zusammen gebunden, dass sie gar nicht weiter auffielen was ihre Länge anging.
» Aynur! «, hauchte Mila so laut das es einem Ausruf gleichkam und stürzte sich auf ihn. Ihr Aufprall beförderte Aynur an die nächste Wand aber das störte sie beide nicht. Mila umklammerte ihn als ginge es um ihr Leben und Aynur erwiderte diese Umarmung.
» Was machst du hier? «, wollte sie wissen, sich noch immer nicht von ihm lösend.
Aynur strich ihr liebevoll durchs Haar und antwortete amüsiert: » Nachdem ich den Seelenstein in Sicherheit gebracht habe erfuhr ich, was geschehen war. Ich bin hier um dir ein Angebot zu machen. «
Mila wurde hellhörig und hob nun doch ihren Kopf um ihn anschauen zu können. Fragend legte sie ihren Kopf leicht schief und wartete auf eine Antwort.
» Komm mit mir zurück nach Jacaran. Die Götter werden dich in Ruhe lassen wenn wir ihnen den Seelenstein geben und Frieden schließen. Deinem Vater kann ich einschlafen lassen, ohne Schmerz und ohne Kummer denn er wird deine Mutter wiedersehen. «
Mila blinzelte erstaunt und doch musste sie keinen Moment darüber nachdenken, was sie antworten sollte: » Ich komme gerne mit dir zurück. «
Aynur strahlte sie an und lächelte glücklich während sie sich immer weiter näherten bis sie sich zärtlich küssten.
Und er hielt sein Versprechen. An jenem Tag starb Milas Vater indem er friedlich einschlief ohne Schmerz und Kummer. Und noch in der darauffolgenden Stunde kehrten Aynur und Mila nach Jacaran zurück, wo sie ein glückliches Leben führen werde bis ans Ende aller Zeit.
Texte: L. Skorski
Bildmaterialien: L. Skorski
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2015
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meinem Vater zu seinem 50. Geburtstag der mich zu dieser Geschichte inspiriert hat.