Kurzgeschichte
Flora von Bistram
Und sie floh, hatte keinen Plan gemacht, war nur mit dem, was sie auf der Haut trug, in einem unbewachten Moment aus dem Keller davon geschlichen. Der bedrohende Schatten seines Hasses kam näher und näher, erreichte sie.
In der Nacht zerrte er sie aus dem Bett der billigen Absteige, in der sie, wie ihr nun klar wurde, die erhoffte Sicherheit des Unterschlupfes nicht gefunden hatte. Brutal schleppte er die völlig Erstarrte, keines Hilferufs mehr Fähige zum Auto. Mit vorgehaltener Pistole brachte er sie zu dem Berg, auf dem er sie mit dem Pfaffen gesehen hatte.
Brennend vor Zorn und unbarmherzig war sein Blick, weiß blitzten die spitzen Zähne im Mondlicht und verwandelten sein Gesicht in eine höhnische Fratze. Ungerührt von ihren Tränen, die sie blind nach ihm greifen ließen, griff er nach ihren wehenden Haaren. Mit so hartem Griff riss er daran, dass sie stürzte und nur noch wimmernd um Gnade flehen konnte. Doch der Stoß war schon ausgeführt, ihr Flug ins Nichts war begleitet von Schattenbildern der Vergangenheit, eingebettet in das helle Licht, das sie verglühte.
Schwer lag die Dunkelheit im luftleeren Raum, die Lunge brannte, leergehaucht vom Atem der Angst. Jeder Gedanke wurde zur Qual, Hände glitten durch das Nichts, Gefühle fielen in ein Vakuum, immer tiefer...und vor dem ersten Aufschlag auf den Felsen, an denen sie zerschellte, zerbrach auch das, was sie einst, in endlos weit zurückliegender Zeit, für ihn gefühlt hatte und im Tod wurde ihr die Erleuchtung zuteil, diese Liebe war es nicht wert gewesen dafür zu leiden.
Und Farfio lachte…
„Geschafft!“ Der dritte Teil ihres Buchs war vollendet. Gruselig schön fand sie ihr Werk. „Da werden doch die vielen weiblichen Horrorfans wieder begeistert Briefe schicken. Nun aber schnell alles zum Verlag.“
Wie immer in ihre Selbstgespräche versunken, erstellte Lilo die PDF-Datei, schickte sie per Mail an ihren Verlag und mit dem letzten Klick fiel die Anspannung der letzten Monate von ihr ab. Sie lehnte sich zurück, schüttelte die Hände aus, streckte die Arme, um sich zu recken und zu strecken.
Während sie zur Küche ging, blitzten noch einmal die prägnantesten Szenen dieses
letzten Teils der Geschichte durch ihren Kopf. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass das erste Buch mit einem solchen Erfolg einschlagen würde und ein stetiger Ruf nach mehr immer lauter werde würde. So entschloss sie sich vor zwei Jahren zu einem zweiten und nun, ein Jahr darauf zu dem dritten Teil. Da sie aber die Lust daran verloren hatte, beschloss sie, Melisande sterben zu lassen, die so tapfer in den beiden ersten Büchern dem Horror getrotzt hatte. Ganz locker ging es ihr von der Hand und sie fühlte sich wie erlöst, befreit von den dunklen Szenen, dem Bedrohlichen, dem sie sich immer mehr ausgeliefert fühlte, je länger sie daran schrieb.
Der Tod der Protagonistin war die einzige logische Folgerung als Ende, da Melisande durch ihre Liebe zu dem teuflischen Mann zu viel Schuld auf sich geladen hatte. So war es nicht machbar, dass sie als Autorin einen anderen, läuternden Ausgang hätte finden können. Nachdem sie erkannt hatte, dass sie sich zu tief hinein verstrickt hatte und die Hauptdarstellerin nur zum Werkzeug des Bösen geworden war.
Mit einer Tasse Milch in der Hand verharrte Lilo noch einige Minuten am geöffneten Schlafzimmerfenster, bevor sie sich in ihr Bett legte, die Milch austrank, in die Decken kuschelte und den Fernseher anschaltete. Eine Weile folgten ihre Blicke zwar dem Geschehen auf der Mattscheibe, ohne jedoch den Inhalt des Berichtes aufzunehmen und, noch zufrieden an ihr Manuskript denkend, schlief sie lächelnd ein.
Lilo schrak hoch, als mit lautem Gepolter ihre Wohnungstür aufgetreten wurde und sich mit einem lauten Aufschrei eine weibliche Gestalt auf sie warf: „Du kannst mich nicht töten, ich will so nicht gehen. Ich bringe dich um, wenn du das nicht änderst!“
Zitternd vor Angst, schweißnass sich in dem harten Griff der Angreiferin windend, versuchte sie, sich schlagend und tretend aus der Umklammerung zu befreien, was ihr aber nicht gelang. „Wer sind sie, was wollen sie von mir?“ konnte sie endlich hervorstoßen.
„Sieh mich an, du kennst mich! Du hast mich, Melisande geschaffen, mir Leben gegeben, mich schlecht werden lassen, aber du wirst mich nicht töten, bevor ich mich rein gewaschen habe, das kannst du nicht tun.“
Der Griff an der Kehle lockerte sich wieder, das Knie aber blieb auf der Brust, so dass Lilo nun zwar sprechen, aber sich noch nicht bewegen konnte. Kurz verwunderte sie das, war Melisande doch ein ganz zierliches Persönchen, ein Federgewicht und sie war stattliche, sportlich durchtrainierte 1,75 m groß.
„Bitte, lass uns reden, lass mich erklären… du kannst nicht hier sein, du bist eine Romanfigur.“
Lange schwarze Locken peitschten ihr Gesicht, als Melisande den Kopf schüttelte.
„So kommst du mir nicht davon, ich lasse mich nicht umbringen. Du wirst alles umschreiben, du wirst mich als Heldin feiern und mir weiter die Tränen und Ängste meiner Anhängerinnen schenken. Ich werde darum kämpfen.“
Panik stieg in Lilo auf. Wurde sie jetzt irre? Sie konnte sich nicht allen Ernstes mit ihrer Romanfigur unterhalten, sie musste sich wehren…doch wogegen? Gegen eine Irre, die meinte, sie wäre die dem Buch entstiegene junge Frau? Nein, sie musste es anders versuchen, sie musste sie beschwichtigen, auf sie eingehen, mitmachen.
„Entschuldige Melisande, natürlich hast du recht, ich weiß gar nicht, wie ich auf so eine dumme Idee kommen konnte.“ Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Hirn. Angst und Wut stritten miteinander. Wer wagte es, einfach in ihr Leben zu dringen? Doch dann die erschreckende Frage: wer wusste denn schon von dem Ende? Sie hatte doch eben erst die Mail mit dem Manuskript, das einen bis hierher absolut geheimen Schluss beinhaltete, abgeschickt.
Sie schrak hoch, denn das Messer, das jetzt an ihre Kehle gehalten wurde, war eiskalt und die kleine Frau strahlte Boshaftigkeit pur aus. „Steh auf“, zischte sie, „mach dich an die Arbeit. Du wirst erst aufhören, wenn ich mit dem Ende dieses Buches zufrieden bin!“
„Bitte mach keinen Blödsinn!“ Lilos Stimme war fest, ließ weder ihre Angst vor dieser Irren, noch ihre ganze Unsicherheit merken. Fieberhaft suchte sie nach einer Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, diesem Spuk ein Ende bereiten zu können..
„Ich stehe auf, wenn du das Messer weg legst, dann gehen wir in mein Arbeitszimmer.“
Melisande nickte und nahm Knie und Messer von der Angegriffenen, um dieser Raum zum Aufstehen zu geben.
Im selben Moment schoss Lilo vor, griff nach der Hand, die das Messer hielt, doch bevor sie die Andere überwältigen konnte, wurde sie von hinten ergriffen, Arme, wie Schraubstöcke hielten sie umklammert, ein Schlag auf den Kopf und das plötzliche Loslassen des Unsichtbaren ließ sie zu Boden stürzen. Sie sah nur noch das angstverzerrte Gesicht der zurückweichenden Melisande vor sich und im Hinübergleiten in eine tiefe Ohnmacht hörte sie noch ein Geräusch, das ihr ganz entfernt bekannt erschien….
Und Farfio lachte…
Lilo kam frierend mit schmerzendem Kopf zu sich, konstatierte verwirrt, dass sie im Schlafzimmer vor dem Bett lag, der Nachtschrank lag umgestoßen neben ihr und aus dem Fernseher erklang ein schauriges Lachen…
© Flora von Bistram 2004
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen Schreibern gewidmet, die ihre Geschichte mit in den Schlaf nehmen