1
„Tinkers Jäger GmbH. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Ich versuchte professionell zu klingen, was mir aber nicht gerade gelang, da ich gerade einen Supersprint hinter mir gelegt hatte. Und zwar von der Küche bis zum Büro.
„Guten Tag. Kain Katsuno, mein Name. Ich möchte gerne mit Cassandra Brown einen Termin vereinbaren.“
„Am Apparat. Nun, Mr. Katsuno, wann wäre es Ihnen denn recht?“
„Heute noch am Nachmittag?“
Ich hätte sofort eine Uhrzeit nennen können, da mein Terminkalender so gut wie leer war. Okay, es stand kein einziger Termin darin. Doch das musste dieser Katsuno ja nicht wissen. Schließlich wollte ich professionell wirken.
„Um 16 Uhr ist noch ein Termin frei. Ist es Ihnen das recht, Mr. Katsuno?“
Er bejahte meine Frage und ich fuhr fort.
„Um was für einen Auftrag handelt es sich?“
„Das, Mrs Brown, würde ich gerne unter vier Augen besprechen.“
„Wie sie wünschen.“, konnte ich gerade noch sagen, bevor er auflegte.
Ich starrte auf den Telefonhörer. Heutzutage gab es einfach keine höflichen Menschen!
Seufzend stand ich auf und ging auf das Sofa, welches im Büro stand, zu. Doch bevor ich mich setzten konnte, flog auch schon Ben, mein Mitbewohner, vor meinen Augen.
Seine kleinen Schmetterlingsflügel schlugen so schnell, dass man den Eindruck hatte, dass sie sich gar nicht bewegten. Ich sah ihn an. Seine stechenden grünen Augen, sahen mich vorwurfsvoll und streng an. Die wundervollen braunen Haare bewegten sich in dem kleinen Windhauch, von dem Flügelschlag verursacht. Braune Haut unterstrich das Bild eines Göttergatten.
Zu schade, dass Ben ein Tinker und somit 7cm groß war. Doch ich liebte diesen kleinen Mann.
„Was ist?“, fragte ich und wedelte mit meiner Hand vor meinem Gesicht herum, sodass er gezwungen war, mir Platz zu machen.
Ich setzte mich auf das Sofa und wartete wieder darauf, dass Ben vor meinem Gesicht auftauchen würde. Lange brauchte ich nicht zu warten.
„Wer war das?“, keifte er mich an immer noch mit dem vorwurfsvollen Gesichtsausdruck.
„Ein potenzieller neuer Kunde. Hoffe ich.“
„Und was sollst du erledigen?“
Wut und Ärger prägten jetzt seine Engelsgleichen Züge und ich konnte darüber nur eine Augenbraue hochziehen. Was hatte er denn jetzt schon wieder?
„Ich weiß es noch nicht. Mr. Katsuno kommt heute noch vorbei und bespricht mit mir alles.“, beschloss ich doch noch seine Frage zu beantworten.
„Also etwas gefährliches?“
„Woher soll ich das denn wissen? Gefährlicher als das, was ich mache, kann es doch sowieso nicht werden, oder?“
Ben seufzte und ließ sich auf meinem rechten Knie nieder, stemmte die kleinen Hände in die Hüfte und pustete beiläufig eine verirrte Strähne aus seinem Gesicht.
„Ich habe das Gefährlich nicht auf gefährlich bezogen. Sondern, dass es wieder Mal sein kann, dass du von deinem wahren Beruf abdriftest. Bei deinem letzten sogenannten Auftrag hast du auf zwei Vamp Kinder aufgepasst. Verdammt bei Bells Schlüpfer! Du bist ein verdammter Jäger, Cas! Das heißt, dass du dich nicht um irgendwelche Kinder kümmern sollst, sonder Zeros jagen!“
Ich starrte Ben an.
Obwohl ich erst seit knappen vier Monate in Pittsburgh lebte, hat es sich in Rekordgeschwindigkeit herum gesprochen, dass ich , ein Mensch, ein Jäger war. Zugegeben, es war sehr seltsam und merkwürdig ein Jäger zu sein, wenn man sich zu der Gattung Mensch dazu zählte. Denn eigentlich waren ausschließlich nur Vamps Jäger und jagten Zeros.
Was auch dementsprechend gut war, da sie zwei Vorteile gegenüber allen hatten.
Vamps waren lebende Vampire und somit übermenschlich stark. Und außerdem kannten Sie die Schwächen der Zeros, da diese selbst zum Vampirismus angehörten.
Zeros waren tote Vampire, die vom Weg abgekommen sind. Armselige Geschöpfe. Man hätte mit ihnen Mitleid haben können, denn jeder wusste wie man zum Zero werden konnte und jeder konnte einer werden.
Wenn ich jeder sagte, dann waren ausschließlich nur Menschen gemeint.
Man brauchte nur gebissen zu werden und in den nächsten darauffolgenden Stunden keinen Vertrauten finden, schon mutierte man zum Zero, der blutbesessen war und keinen Verstand und keine Moral besaß.
Und genau diese niedere Kreatur, die von Vampiren `aus Versehen` erschaffen wurden, so wie sie es nannten, jagte ich, sodass sie kein Unheil anstellen konnten.
„Ben. Du weißt doch noch gar nicht, um was es sich handelt. Ich weiß es auch noch nicht. Aber wenn ein potenzieller Kunde verlangt, alles unter vier Augen zu besprechen, dann gestatte ich ihm diesen Wunsch. Also reg dich wieder ab!“, war ich nun diejenige, die etwas vorlauter war.
Doch was sein muss, dass muss sein!
Die kleinen Flügel gaben einen zirpendes Geräusch von sich. Kein gutes Zeichen, wie ich feststellen musste.
Auf einmal war Ben vor meinem Gesicht und piekste mir mit einem Finger gegen die Nase.
„Du!“, keifte er und leichter Glitter, was den Raum in einen Zitronenduft hüllte, rieselte von seinen Schmetterlingsflügel.
„Ich gebe dir gleich abregen! Ich habe einen guten Grund mich aufzuregen!“
Ben nahm den Finger von mir, ließ sich ein wenig nach hinten fallen und zeigte mit dem selben Finger streng auf mich.
„Sag mir nur eines, Cassandra Elisabeth Anastasia Brown! Wer, bei Bells Namen, heuert einen der besten Jäger im Land an, wenn ihm zu Ohren bekommt, dass er, anstatt Zeros umzulegen, mit kleinen Gören herum albert!?“
Ben war sauer. Sehr sauer, denn sonst würde er niemals meinen vollständigen Namen aussprechen.
Ich blieb stumm, nicht wissend, was ich darauf erwidern sollte.
Er hatte Recht, was ich mir nur schwer eingestehen wollte, weil er eigentlich immer Recht hatte.
Da ich anfangs Schwierigkeiten hatte, überhaupt einen Job an Land zu ziehen, war ich froh gewesen, dass überhaupt jemand daran gedacht hatte, mich anzuheuern.
Wahrscheinlich war es tatsächlich ein Fehler gewesen, so einen lausigen Auftrag anzunehmen. Aber es war eine recht bewundernswerte Summe Geld im Spiel gewesen. Wie hätte ich da auch nur daran denken können abzulehnen? Von dem Geld, war der neue Kühlschrank und die Pflanzen, jeweils eine große an jeder Seite des Sofas, finanziert. Also warum beklagte sich Ben?
„Jetzt hast du nichts mehr zu sagen, oder was?“, meldete sich der kleine Mann wieder und ließ mich aufschauen.
„Es reicht jetzt, ja Ben? Lass uns nicht anfangen darüber zu streiten, was gut für unsere Firma ist und was nicht.“
Und mit diesen Worten verließ ich das Büro.
2
Vielleicht hatte ich ein kindisches Verhalten an den Tag gelegt, aber Ben war gemein zu mir gewesen. Er sollte sich freuen endlich mal eine Pflanze zu haben, worin er hausen konnte. Und was tat er? Er schnauzte mich deswegen indirekt an.
Ich stand unter der Dusche und genoss das heiße Wasser auf meiner Haut. Die Hitze entspannte meine Muskeln, was mich wohlig aufseufzen ließ. Dampfschwarten stiegen in die Luft und ließen sich an der Wand nieder, nur um als Wassertropfen enden zu können.
Ich stellte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und umwickelte mich mit Handtüchern. Eins für die Haare, eins für den Körper.
Die Treppen hinaufsteigend, gelang ich letztlich zu meinem Schlafzimmer.
Es war ein großer Nachteil, das in einem zweistöckigen Haus nur ein Badezimmer war, und das auch noch unten.
Ich hatte mir bereits die Sachen herausgelegt, bevor ich duschen gegangen bin. Schließlich wollte ich professionell meinem Kunden gegenübertreten.
Ich zog mir das Handtuch von meinem Körper und irgendwie glitt mein Blick zum Spiegel, der neben dem Kleiderschrank stand.
Was mir als erstes ins Auge stach, als ich mich nackt im Spiegel betrachtete, waren meine blonden schulterlangen Haare und mein schräger Pony, der das rechte Auge meistens bedeckte. Meine großen, dunkelblauen Augen sahen mir entgegen und ich erschauderte als sich mein Blick auf was anderes richtete.
Eine Narbe, die sich im Zickzack vom Bauchnabel bis hin zum rechten Hüftknochen erstreckte, ragte sich mir buchstäblich entgegen.
Woher ich dieses Scheusal habe, wusste ich nicht mehr.
Seufzend zwang ich mich, den Blick vom Spiegel zu nehmen.
Ja, ich wusste es nicht mehr und die Erkenntnis traf mich hart. Und warum ich es nicht wusste, wusste ich auch nicht. Denn eigentlich sollte man sich erinnern können, wie so etwas geschehen konnte, oder sah ich das falsch?
Die Gedanken in die letzte Ecke meines Kopfes verdrängend, zog ich mir die rote Bluse, welche auf dem Bett lag, an ebenso wie eine schwarze dreiviertel Hose.
Make-up benutze ich nicht, da ich dachte, dass das rote Oberteil schon genug auftrug.
„Ben!“, schrie ich durch das Haus.
„Kannst du mir von unten ein Haargummi bringen?“
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Ben in meinem Zimmer war, in den Händen ein Haargummi tragend.
Ich lächelte ihn an und bot ihm meine Hand dar.
Er landete auf dieser und ließ das Gummi los.
„Dankeschön.“, sagte ich und setzte ihn auf meinem Bett ab.
„Du weißt schon, das du noch mehr als zwei Stunden Zeit hast?“
Ich sah ihn an, während ich mir die nassen Haare zusammenband. Die würden schon trocknen.
„Ich will aber noch kurz weg.“, beantwortete ich seine Frage.
„Aha, und wohin?“
Das dieser Tinker immer so neugierig sein musste.
Ich betrachtete mich noch einmal im Spiegel, beschloss, dass mein Aussehen akzeptabel war und machte mich auf den Weg zur Treppe. Es war eine schöne, elegante Wendeltreppe. Sie war braun und aus Holz und am Geländer waren mir nicht bekannte Symbole eingraviert.
Ich stieg hinab und ging in mein Büro. Ben folgte mir.
„Ich muss noch kurz was holen gehen.“
Ich versuchte meine Tonlage so gut es ging normal klingen zu lassen.
Ich wollte in den nächst besten Hexenshop gehen um mir dort paar Kerzen zu besorgen, da ich heute Abend noch vor hatte Xerxes, ein Dämon, zu beschwören. Dazu brauchte ich Kerzen, denn meine alten waren schon ausgebrannt.
Ben hasste es, wenn ich diesen Dämon beschwor. Deswegen hielt ich es für klüger, dass er sich erst später aufregen sollte, als jetzt. Denn ich hatte gerade keinen Nerv dazu, mich von einem 7cm großen Mann anschnauzen zu lassen.
Ben hatte keinen Verdacht geschöpft, da er mich fragte, ob ich ihm ein wenig Traubenzucker mitbringen konnte.
„Du weißt ganz genau, dass du von diesem Zeug total Zugedröhnt wirst.“, erinnerte ich ihn daran.
Es war schwer mit Ben auszuhalten, wenn er im Rausch von Traubenzucker stand.
Grüne Augen, die den Dackelblick aufgesetzt hatten, sahen mich flehend an und ich konnte nicht anders, als ihm zu versprechen, dass ich ihm was mitbrachte.
Meine Schlüssel aus dem Schreibtischfach kramend, hing ich mir meine Tasche um.
„Dann sehen wir uns später!“, verabschiedete ich mich von Ben und schlug die Haustür zu.
Warme Sommerluft schlug mir entgegen. Die Intensität der Hitze war kaum auszuhalten und ich bereute es sofort, mir eine Bluse angezogen zu haben, hätte ein Spaghettiträger Top sicher mehr Erfrischung gebracht.
Die Straßen in Pittsburgh waren irgendwie leer. Man sah nur vereinzelt ein paar Gestalten herumirren. Ich nannte sie Gestallte, weil ich nicht auf den ersten Blick erkannte, zu welcher Art sie gehörten. Es konnten Vamps sein, Wertiere oder auch normale Menschen. Doch als ich den Gestalten näher kam, erkannte ich, dass es sich um zwei Männer handelte. Und dann spürte ich es. Sie gehörten zu den Wertieren. Um genau zu sein waren es Werwölfe.
Wie ich das spüren konnte?
Von Wertieren und den anderen Differenten, war eine Macht zu spüren, die die Menschen nicht hatten. Und das machte ihnen Angst.
Sie nannten Wertiere, Elfen, Tinker, Hermaphrodite und Dämonen Differente, kurz Diffs. Und zwar, weil diese sogenannten Diffs anders waren als sie. Und die Menschen hatten vor allem und jedem Angst, was anders und nicht erklärbar war.
Aber diesen Aspekt konnte ich nicht auf mich beziehen. Denn ich unterschied mich von den andern Normalos, wie die Differenten wiederum die Menschen nannten.
Ich hatte keine Angst von den Diffs, denn ich wusste wie sie waren.
Meinen Gedankengang konnte ich nicht fortführen, denn ich spürte die Blicke von den zwei Werwölfen auf mir lastend.
Ich drehte mich um und lächelte ihnen zu, was mir eine Art Genugtuung gab.
Sie wussten, dass ich ein Mensch war. Und wie jeder Diff, verabscheuten auch sie die Menschenwelt.
Die beiden Männer sahen mich mit hochgezogenen Brauen an, doch am Ende erwiderten sie mein lächeln.
Ich wollte gerade weiter gehen, als mir eine grandiose Idee in den Sinn flog.
Aus meiner Tasche kramte ich zwei meiner Visitenkarten heraus und eilte dann zu den Männern, die gerade dabei waren, sich auf den Weg zu machen.
„Warten Sie!“, rief ich ihnen nach und beschleunigte meinen Gang.
Einer der Männer hatte kurze braune Haare und stechende grüne Augen und er war groß. Ich schätzte ihn auf 1.87m denn wie 1.90m sah er mir nicht aus.
Meine Augen wollten sich nicht von seiner Person trennen und so konnte ich auch noch erkennen, dass er wundervoll breite Schultern hatte und eine passende Schmale Hüfte.
Ich zwang mich in sein Gesicht zu sehen, was mich aber genauso aus der Fassung brachte.
Er war wunderschön, wenn man es so nennen konnte.
„Ähm...“, versuchte ich wieder Anschluss zu finden.
„Ja?“ Ich erschauderte bei dem Klang seiner Stimme. Sie war rau, fest und doch so unglaublich fein geschliffen.
Ich raffte mich zusammen und streckte ihm die Visitenkarten entgegen.
„Ich wollte mich nur empfehlen.“
Noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, habe ich mich im Inneren schon zusammengeschlagen.
Wie dämlich war das denn? So viel zu meiner Professionalität.
Seine wundervoll geschwungenen Lippen, schenkten mir ein Lächeln, sodass ich ein wenig errötete.
„Verstehen sie das jetzt nicht falsch.“, fügte ich hinzu, um mich noch vor mir selbst zu retten.
Ben würde sich jetzt sicher winden vor lachen.
„Cassandra Brown.“
Ich reichte ihm eine Hand und dann dem anderen, der nicht unbedingt Erwähnungswert war. Dieser hatte eine Glatze und sah aus wie ein Troll.
„Wenn sie Probleme mit Zeros, Vamps oder Vampiren haben, dann rufen sie mich an. Tinkers Jäger GmbH kümmert sich gerne darum.“
Die grünen Augen sahen mich skeptisch an.
„Sie leiten diese Firma? Sie sind ein Mensch!“
Im ersten Moment wusste ich nicht ob es vorwurfsvoll klang. Doch ich beschloss, es freundlich aufzunehmen und dort weiter zu machen, wo ich aufgehört hatte.
„Ganz genau. Also wenn irgendetwas sein sollte, der Dienst von Tinkers Jäger GmbH steht ihnen jederzeit zur Verfügung.“
Ich setzte mein professionelles Lächeln auf und verabschiedete mich somit bei den beiden Männern.
Nach ein paar Schritten meinerseits, hörte ich auch schon das gegluckse von diesen Vollidioten. Die nahmen mich nicht ernst!
Etwas angesäuert kam ich bei dem Hexenshop an, wo mir in großen Lettern der Name ´Jana Jack´ entgegen ragte.
Ich betrat den Laden und ein angenehmer Duft von verschiedensten Weihrauchsorten, Räucherstäbchen und Ölen kroch mir in die Nase.
Wie ich diesen verlockenden Geruch, der Magie, liebte.
Ich schlenderte ein wenig durch die Regale und fand als erstes den Puderzucker für Ben. Er war in ein kleines Päckchen verpackt.
Ein Regal weiter stand auch eine diverse Anzahl an verschiedensten Kerzen. Alle Farben waren vertreten, aber ich brauchte nur zwei. Schwarz und Weiß.
Ich angelte mir fünf gleichgroße weiße Kerzen, die schön breit waren. Ein Zeichen dafür, dass sie länger halten würden.
Außerdem nahm ich mir noch eine schwarze Kerze, die genau so dick war wie die anderen.
Mit dem Zeugs bepackt, ging ich zur Kasse und bezahlte.
Die Hexe, die mir das hart verdiente Geld aus den Taschen zog, sah mich unglaubwürdig an.
Ja doch, ich war ein Mensch und ich verstand, das diese nicht überall willkommen waren.
Die Hexe packte mir die bezahlten Sachen noch in einen Stoffbeutel und ich verließ den Laden, nicht ohne noch auf die Uhr, die über der Tür hing, zu gucken.
Scheiße!
Ich war spät dran.
3
„Nein!“
„Ich hatte einen Termin mit Cassandra Brown vereinbart, nicht mit Ihnen!“
„Nein, habe ich gesagt! Und dabei bleibt es auch.“
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich dem Spektakel zu, welches sich nur noch ein paar Meter vor mir befand. Meine Schritte beschleunigten sich von null auf hundert.
„Was ist hier los?“, machte ich mich lautstark bemerkbar.
In dem Moment war es mir herzlich egal, dass die Nachbarn schon mit den Gesichtern an den Fenstern klebten. Sollten die doch ruhig mitbekommen, was bei Tinkers Jäger GmbH abging.
Ben sah mich an. Er war zornig, wütend und noch vieles mehr, was sich aber legte, nachdem er mich sah, und Platz für was anderes machte. Reue?
Der Mann, der sich mit Ben gestritten hatte, drehte sich um und ich wusste auf anhieb, dass es dieser Kain Katsuno sein musste.
„Cassandra Brown, nehme ich an?“
Er zog eine geschwungene Augenbraue in die Höhe. Irgendwie war sein ganzes Gesicht geschwungen, wenn man es so nenne wollte. Er hatte eine kleine Nase, weit voneinander stehende, kleine Augen aber dafür sehr volle Lippen, von der Sorte, die sich Frauen wünschten. Er war sicher von japanischer Abstammung.
„Ah, Mr. Katsuno. Ich entschuldige mich für diese kleine Verspätung und auch für meinen Partner, falls er Ihnen zu aufdringlich war.“
„Hey!“, hörte ich auch schon den Wiederspruch von Ben.
Daraufhin blickte ich ihn wütend an, sodass er seine Klappe hielt und sich einfach auf meiner Schulter niederließ.
„Noch ein Wort Ben, und du kannst heute Nacht hier draußen schlafen!“, drohte ich ihm, als ich die Haustür aufschloss.
„Bitte, Mr. Katsuno, treten Sie doch ein.“
Höfflich hielt ich ihm die Tür offen und lotste ihn sogleich in mein Büro.
Sofort bot ich ihm einen Platz an und er setzte sich auf das Sofa.
Anscheinend würde es ein längeres Gespräch werden, wie ich feststellen musste.
„Vergessen Sie bitte alles, was mein Kollege zu Ihnen gesagt hat.“
„Schon geschehen.“, meinte er und ich konnte in seinem Tonfall hören, wie viel Spot er gegenüber Ben empfand.
Ich hatte noch nicht erwähnt gehabt, dass Menschen Tinker besonders verachteten, da diese sich immer in deren Gärte niederließen. Tinker waren nur sehr schwer zu vertreiben, sollte man wissen und sie verteidigten ihr Revier nur allzu gerne.
„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, fragte ich und lächelte freundlich.
„Nein danke.“
Gegenüber von dem Sofa, standen zwei Sessel. Auf einen setze ich mich, sodass mich der kleine Tisch, der sich zwischen Sofa und Sessel befand, von meinen Kunden trennte.
Ich scheuchte Ben von meiner Schulter, und beobachte aus dem Augenwinkel heraus, wie er es sich an der Wandlampe gemütlich machte mit einem wachsamen Auge auf unseren Gast.
„Mrs. Brown, ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden.“
Ich nickte.
„Was kann ich für Sie tun?“
„Es geht um meine Tochter Kim. Ich habe das Gefühl, dass ein Vampir meine Tochter zur Vertrauten nehmen will. Sie sollen den Vampir davon abbringen.
Mit vielem hätte ich gerechnet, aber nicht mit dem. Langsam fing ich wirklich an zu glauben, dass Ben recht hatte. Irgendwie schien der Hauptbestand meiner Firma nicht richtig durchzudringen. Ich war Jäger und jagte Zeros und hielt keinen Vampir davon ab, sich einen neuen Vertrauten zu suchen. Das schien auch Mr. Katsuno zu merken.
„Ich werde Ihnen ein Angebot machen, welches Sie nicht ausschlagen können, Mrs. Brown.“
Ich blickte zu Ben. Er schüttelte mit dem Kopf und schlug wie wild mit den kleinen Flügeln.
„Mr. Katsuno-,“
„Nennen Sie mich doch Kain.“, wurde ich mit einem unschuldigen lächeln unterbrochen.
„Also Kain. Ich glaube Sie haben sich an die falsche Person gewendet.“
„Sagen Sie mir wie viel, und ich zahle.“
„Kain, ich...“
„Wie viel?“
Langsam ging mir die ganze Sache gegen den Strich.
Ben kam zu mir geflogen und landete abermals auf meiner Schulter.
„Lass das ‚Cas. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“, flüsterte er mir ins Ohr, sodass nur ich es verstehen konnte.
Wahrscheinlich hatte Ben auch in dieser Sache recht, aber ich konnte meinen Mund einfach nicht halten, denn der war, wie so oft, schneller als mein Kopf.
„Zehntausend, und keinen Penny weniger.“
Ben schlug mir gegen den Hals. Er war sauer.
„Ich lege noch fünftausend drauf, wenn Sie sofort anfangen, da ich nicht weiß, wie viel Zeit meiner Tochter noch bleibt.“
„Okay“, sagte ich und fragte, ob das schon alles gewesen war.
„Ja. Ich wünsche mir, dass Sie mich darüber unterrichten werden, wenn es etwas neues gibt.“
Nickend stand ich auf und reichte ihm die Hand.
„Das Geld werde ich Ihnen per Post zukommen lassen. Einen schönen Tag, Mrs. Brown.“
Etwas überrumpelt begleitete ich ihn noch zur Tür, bevor er mit einem weiteren lächeln in seine Limousine stieg und davon fuhr.
Ich ging wieder in mein Büro und ließ mich auf das Sofa fallen.
Fünfzehntausend Dollar für nur einen Auftrag? So recht konnte ich es noch nicht glauben, aber ich freute mich auf das Geld. Okay, wer würde sich nicht über so ein Sümmchen freuen!
Das erste, was ich mit diesem Geld anfangen würde, beschloss ich, war mir neue Möbelstücke für das Wohnzimmer zu besorgen! Eine neue Garderobe täte mir auch nicht schlecht...
„Cas!“
Ich schreckte auf, als ich die barsche Stimme Bens hörte.
„Verdammt bei Bells Gänseblümchen! Cas, wie konntest du nur?“
„Ben.“, versuchte ich ihn mit erhobenen Händen zu beruhigen. Das nütze aber nichts.
Mit einem Zahnstocher bewaffnet, drohte er mir in mein Auge zu pieken. Wo zum Teufel hatte er dieses Ding denn her?
„Denk an das Geld, Ben. Ich kaufe dir so viele Blumen wie du haben willst, ich verspreche es.“ Um mein Versprechen noch zu verdeutlichen legte ich mir die rechte Hand auf die Brust.
„Ich fasse es nicht“, schrie er.
„Ich fasse es einfach nicht. Du weißt nicht, um welchen Vampir es sich handelt, geschweige denn welchen Rang er hat. Er könnte Meistervampir sein oder noch schlimmer: Herrscher!“
Langsam nervte es mich, wie oft Ben an diesem Tag recht hatte.
Ja, es war von mir dämlich gewesen, den Auftrag anzunehmen, ohne zu wissen mit wem ich mich anlegen musste.
Aber was geschehen ist, ist geschehen. Da konnte Ben so viel rumnörgeln wie er wollte, daran würde sich nichts mehr ändern.
„Ich habe es verstanden, okay Ben? Ich bin eine dumme Blondine, die sich mal wieder in eine Situation gebracht hat, aus der sie nicht mehr so leicht herauskommt.“
„Du bist so dämmlich!“, beschimpfte mich mein geflügelter Freund und stach mir mit dem Stück Holz in seiner Hand in die Wange.
Arschloch!
Ich wedelte ihn mit meiner Hand weg und hob meine Beine auf das Sofa. Dann legte ich mich hin.
„Sag mal Ben, was hast du vorhin zu Kain gesagt?“, versuchte ich auf ein anderes Thema zu lenken.
Ben landete auf meinem Bauch und ihm stand die Röte im Gesicht.
Schuldgefühle waren etwas tolles!
„Ich habe gesagt, dass er sich bei Bells Namen verpissen soll.“
„Ach, Ben.“, seufzte ich, gerührt von seinem Beschützerinstinkt, den er immer für mich übrig hatte.
„Ich bin 25 Jahre alt. Ich kann schon auf mich selber aufpassen.“
Ich strich ihm mit meinem Zeigefinger über den Kopf, nicht zu feste, da ich ihn nicht verletzen wollte.
„Ich möchte aber nicht, dass dir etwas zustößt. Das könnte ich mir nie verzeihen.“
Ich packte ihn nun ganz und zog ihn zu meinem Gesicht.
Liebevoll küsste ich ihn auf seinen Scheitel und ließ ihn los.
Er grinste.
„Du hast da einen Popel.“
„Ben!“, kreischte ich, sprang auf und warf ihm ein Kissen hinterher, als er den Raum verließ.
Ich hatte gar keinen Popel! Doch zur Sicherheit drehte ich mich um und überprüfte es.
4
Im Vampirismus herrscht ein bestimmtes System.
Über alle Vampire steht der Herrscher. Nur eine Hand voll von Vampiren können dieses Level an Macht erreichen. Und zwar die mächtigsten aller Mächtigen der Vampire. Herrscher regieren den Untergrund des Landes und sorgen dafür, dass Differente und Menschen in Frieden nebeneinander leben können. Sie sammeln massenweise starke Vampire und Vamps um sich herum, um ihrer Macht Ausdruck zu verleihen. Außerdem kann ein Herrscher bei Tageslicht auf der Erde wandern.
Der nächstbeste Rang, den ein Vampir erreichen kann, ohne dafür großartig töten zu müssen, ist der Meistervampir. Ein Meistervampir kann andere Vampire und Vamps als sein Gefolge aufnehmen und sie zusammenhalten. Jeder Meistervampir hat seine Gebiete, die er leitet, organisiert und führt. Sie achten darauf, dass in ihrem Territorium kein Machtsstreit zwischen Vampire und Differente ausbricht. Sie gehen oft eine Connexio, Verbindung, mit einem Wertier ein, um ihre Kräfte zu vergrößern und solchen Machtstreitigkeiten zu entgehen.
Nach dem Meistervampir folgen die normalen Vampire. Sie entstehen entweder durch einen Biss eines Meistervampirs oder durch den Tod eines Vamps. Wenn ein Gebissener innerhalb der nächsten sechs Stunden keinen Vertrauten findet, so wird dieser zum Zero. Vampire haben übernatürliche Kräfte. Außerdem haben sie die Veranlagehrung Menschen, mit ihrem Geist, in ihren Bann zu ziehen. Vampire stehen erst nach Sonnenuntergang auf und müssen vor Sonnenaufgang wieder unter die Erde. Sie brauchen nach jedem Aufstehen Blut, was die Vertrauten erklärt.
Dann gibt es noch die `lebenden Vampire`. Vamps, werden sie genannt. Man wird als solcher geboren und brauch deshalb nur einmal in zwei Wochen Blut. Während ihres Lebens suchen sich die Vamps einen Vertrauten, um eine Blutquelle nach dem Tod zu haben.
Die Schande des Vampirismus machen die Zeros aus. Ein Zero ist ein blutbesessenes Monster, ohne Verstand und Moral. Er kennt nicht den Unterschied zwischen richtig und falsch. Jäger haben es sich zur Aufgabe gemacht, Zeros zu Jagen und zu töten. Doch selbst ein Zero kann dem Tod entkommen, wenn er von einem Meistervampir aufgenommen wird. Wenn das der Fall sein sollte, so wird er als `Haustier` des Meistervampirs betrachtet. Doch das ist keinesfalls einem Vertrauten ebenwürdig, da Meistervampire kein Blut von Zeros trinken.
Jeder Vampir braucht einen Vertrauten, um nicht als Zero zu enden. Vertraute haben einen besonderen Status und werden von ihrem Meister vor anderen Vampiren geschützt. Sie erreichen das alter ihres Meisters und sterben auch mit ihm oder werden umgebracht. Sie werden wie ihre Meister behandelt und angesehen. Meistens sind Vertaute auch die Lebenspartner von den Vampiren. Sie unterstützen ihren Meister und Pflegen ihn. Tagsüber leiten sie die Geschäfte. Wenn man zu einem Vertrauten wird, so bekommt man keine bestimmten Kräfte dazu. Als Vertraute werden Wertiere bevorzugt, da sie schneller ihr Blut regenerieren können. Auch wenn es sich anhört, als ob Vertraute niemals von der Seite ihres Meisters weichen würden, kommt es auch oft vor, dass ein Meister seinen Vertrauten verstößt. Sie werden getötet.
Dieses ganze Wissen, haben nicht alle Menschen beziehungsweise Differente, obwohl es nicht viel ist.
Und warum ich dieses Wissen besitze?
Diese Frage ist leicht und doch zugleich schwer zu beantworten, denn sie wirft so viele neue Fragen auf, die selbst ich nicht zu beantworten weiß. Genau hier fängt es an. Man könnte jetzt fragen, warum ich diese Fragen nicht beantworten könnte.
Doch dazu habe ich eine Antwort, die wiederum so viele Fragen in den Raum wirft, der ohnehin schon zum platzen voll ist.
Ich vergesse.
Montag, der Anfang der Woche und ein bedeutender Tag.
Vielleicht war es einfach nur Zufall gewesen, dass Kain Katsuno genau an diesem Tag zu mir gekommen war. Oder es war einfach eine Art von Schicksal.
Die Nacht von Montag auf Dienstag war ideal, um einen Dämonen zu beschwören. Und genau das machte ich mir jetzt zu nutzen. Ich hatte nämlich ein paar Fragen bezüglich meines Auftrages.
Ich spürte Bens Blick in meinen Rücken, während ich dabei war, einen Kreis mit meinem Schwert auf den Dielenboden des Wohnzimmers zu ziehen.
Warum Wohnzimmer?
Ein perfekter Ort, um Dämonen zu beschwören, war ein Ort, wo jemand qualvoll ums Leben gekommen ist. Und genau in meinem Wohnzimmer wurde ein Mann von seiner Frau aus Eifersucht ermordet.
Zufall?
Nein, ich hatte dieses Haus nämlich mit bedacht ausgesucht, da ich viel mit Dämonen verkehrte.
Den Kreis fertig ziehend, ging ich zum Sofa und nahm mir das Stück Kreide, welches ich dorthin gelegt hatte. Damit zog ich den Kreis nach, um den Bann zu verstärken.
Ich sah zu Ben. Er zeigte mir den Mittelfinger.
Bravo!
Ich wusste, dass er nicht davon begeistert war, einen Dämon in die eigenen vier Wände zu rufen.
Einen halben Meter von dem Kreis zeichnete ich mit dem Kreidestück ein Dreieck, worin der Dämon erscheinen sollte.
Ich schritt wieder zurück zu meinem Kreis und zeichnete ein Pentagramm hinein. Für mich war genau diese Stelle, der Beschwörungsvorbereitung, die schwerste, da ich nicht so gute Pentagramme zeichnen konnte. Aber ich schaffte es fast perfekt. Nur eine der fünf Ecken endete einen knappen Zentimeter vor der Kreislinie. Also zog ich einfach einen kleinen Strich von der Linie bis zur Spitze, um beide Elemente zu verbinden.
Ich klatschte in die Hände, als ich wieder aufstand. Sah doch gar nicht so schlecht aus.
Grinsend wandte ich mich zu Ben, um ihn vor Augen zu halten, dass schon nichts schief gehen würde, und deutete auf das Pentagramm.
„Willst du etwa eine Belohnung, oder warum grinst du mich so bescheuert an?“, fuhr er mich auch sofort an.
Mein Grinsen verflog und ich drehte ihm den Rücken zu.
In diesem Moment hätte ich ihm einen von seinen kleinen Flügeln brechen können.
Ich holte mir die Einkaufstüte von heute nachmittag und stellte die fünf weißen Kerzen, jeweils auf eine Ecke des Pentagramms.
Aus der Küche holte ich ein kleines Schälchen, aus reinem Gold, und ein Messer, aus reinem Silber.
„Cas! Hör auf, bitte.“
Ich ignorierte den geflügelten Mann. Er wollte mir doch nur ins Gewissen reden.
Ich hockte mich hin, nahm das Messer in die rechte Hand und schnitt mir einmal ganz um das linke Handgelenk, tief genug, das sogleich Blut aus der frischen Wunde floss.
Das Blut tröpfelte in die Schale und als ich es für genug befunden hatte, legte ich das Messer zur Seite und stellte das Schälchen in das Dreieck.
Schnell schnappte ich mir ein Feuerzeug vom Sofa, nahm die schwarze Kerze mit und setzte mich in den Kreis, direkt in die Mitte des Pentagramms.
Es viel mir schwer das Feuerzeug mit der linken Hand zu bedienen, da es mit meinem Blut völlig besudelt war und weil mir das festhalten nicht leicht viel.
Doch ich schaffte es- nach mehreren Anläufen- alle fünf weißen Kerzen anzuzünden.
Bevor ich mir die schwarze Kerze vornahm, richtete sich mein Blick abermals auf Ben, der nun auf dem Sofa stand und mich mit zusammengekniffenen Augen missmutig ansah.
Die schwarze Kerze flammte auf und ich spürte, wie mich eine Welle spiritueller Energie erschlug.
Diese warme Energie kroch mir langsam bis zum Nacken hinauf und ließ mich in einen ruhigen und entspannten Zustand gleiten.
Alles nur eine leere Versprechung, wie ich wusste.
Ich seufzte.
Es fühlte sich so wunderbar sicher an. So unglaublich gut.
„Cassandra.“, nahm ich nur noch am Rande wahr, wie man meinen Namen rief. Ich wusste nicht, ob es Ben gewesen war oder der Dämon, Xerxes.
Ich schlug meine Augen auf und sammelte mich wieder, versuchte diese Wärme von mir abzustreifen und konzentrierte mich auf das Dreieck, welches nur einen halben Meter von mir entfernt war.
„Du großer mächtiger Dämon Xerxes, ich beschwöre dich an diesem Tag und zur dieser Stunde hier, um dir bestimmte Angelegenheiten aufzutragen. Deshalb komme sofort und erscheine in dem magischen Dreieck außerhalb dieses Kreises.“
Eine Kuppel errichtete sich über das Dreieck und über den Kreis, worin ich saß. Sie war pechschwarz, genau wie das Jenseits.
Auf einmal wurde mein Körper von Wellen der Macht zum Beben gebracht. Diese Macht war wärmer als die spirituelle Energie. Sie sprach Verheißungen aus, die wahrscheinlich nur ein Dämon einhalten konnte. Man versprach mir, ein besseres Leben führen zu können. Man versprach mir, meine Erinnerungen wieder zu erlangen, wenn ich aufstehen würde.
Nein, nicht man versprach mir, sondern er!
Sehnsüchte stiegen in mir auf, die ich für so lange Zeit unterdrückt hatte. Sehnsüchte die nur von ihm gestillt werden konnten. Denn nur seine Berührungen hätten die Schmerzen lindern können, die ich in diesem Moment empfand. Schmerzen, die nicht körperlich, sondern mental waren.
Ich brauchte ihn. Ich brauchte Asher!
„Ganz recht, Cassandra Elisabeth Anastasia Brown.”
5
Mein Körper bebte regelrecht vor Erregung, Angst und vielleicht auch einen Hauch vor Panik. Ich versuchte das bestmöglichste, um es mir nicht anmerken zu lassen, aber seien wir ehrlich, welcher Dämon würde die Angst nicht riechen können?
Xerxes gehörte auf jeden Fall zu der Sorte Dämonen, denen nichts entging, zu meinem Leidwesen, wie sich kurze Zeit später herausstellte.
„Kleine, zerbrechliche Anastasia. Habe doch keine Angst.“
Die dunkle, schwarze, verführerische Bassstimme, ließ meinen Verstand für einen winzigen Augenblick völlig ausklinken. Ich hatte schon vergessen gehabt, wie ich auf den Dämon Xerxes reagierte, körperlich wie auch mental.
Es war schon lange her, als ich zuletzt diesen mächtigen Dämon beschworen hatte. Doch mir war entfallen, weshalb ich dieses getan hatte.
Ich sollte in diesen Moment nicht darüber nachdenken, denn ich bekam plötzlich Kopfschmerzen, die nicht ganz ohne waren.
„Ich habe mich schon gefragt, wann du mich endlich wieder rufen würdest. Denn ich habe etwas herausbekommen.“
Mein Blick richtete sich ruckartig auf Xerxes und jetzt fiel mir erst auf, dass ich die ganze Zeit über den Boden vor mir angestarrt hatte.
Mir gegenüber stand ein schön anzusehender Dämon. Er war sehr groß, über 1.90m, hatte lange glatte Haare, die er aber im Augenblick zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Seine Augen waren sehr auffällig. Sie schimmerten einen sehr bedrohlich entgegen. Aber das war nicht das verrückteste an Xerxes. Er trug immer ausgefallene Sachen und für diesen Tag hatte er sich für einen dunkelgrünen Anzug entschieden, darunter ein schwarzes Hemd und eine blutrote Krawatte.
Das gesamte Erscheinungsbild wirkte sehr…Nun ja, bizarr.
Mein Blick blieb an seinen Augen haften, die mir auch strahlend entgegen sahen. Ich wusste nicht, ob es das Rot war, das so strahlte, oder er einfach selber.
Ich beförderte die Gedanken über sein Aussehen aus meinem Kopf und stellte mir eine andere Frage: Was meinte er mit herausbekommen?
Langsam richtete ich mich auf, sodass ich stabil auf meinen Beinen stand und versuchte ihm stark gegenüberzutreten, natürlich nur sinnlich gemeint. Denn ich müsste ziemlich bescheuert sein, wenn ich aus meinem Schutzkreis treten würde.
Ich sammelte mich wieder und ließ mir kurz einen Moment Zeit, bis ich anfing zu sprechen.
„Dir auch einen wunderschönen Abend, Xerxes.“, sagte ich mit relativ gelassener Stimme. Ich wollte mir nicht meinen Zustand anmerken lassen, in dem ich soeben befand.
Ich hatte schweiß triefende Hände und mich schüttelte es vor Kälte. Beides keine guten Anzeichen.
Xerxes erwiderte meine Worte mit einer kleinen Verbeugung. Das nenn ich doch mal höflich!
„Ich möchte nicht von meinem Anliegen abweichen, doch beantworte mir eines, was hast du herausbekommen? Ich verstehe nicht ganz. Denn ich habe keinerlei Erinnerung daran, dass ich dir etwas aufgetragen hätte.“
Ein schmunzeln legte sich auf seine Lippen.
Mit seiner Hand fuhr er zur Krawatte, die er gleich darauf immer wieder um seine Finger wickelte.
„Keine Erinnerungen?“, fragte er leicht amüsant nach. „Arme Anastasia.“
Eine kleine Ader auf meiner Stirn begann zu pulsieren.
„Anscheinend möchte eine gewisse Person nicht, dass du die Informationen erlangst, die ich mir so mühevoll zusammengekratzt habe.“
Ich sah ihn verwirrt an.
Eine gewisse Person?
„Was meinst du damit, Xerxes?“
Seine Augen wurde einen Nuance dunkler und ich fragte mich weshalb er auf einmal sauer war. Denn dunkle Augen eines Dämons hatten nie etwas Gutes zu verheißen.
Meine Frage blieb immer noch in der Luft hängen, wurde nicht aufgegriffen und es schien, dass er auch keinen Bedarf daran zeigte.
„Kleine Anastasia.“ Ein langer Seufzer folgte seinerseits.
Die Krawatte wurde immer hektischer um die Finger gewickelt.
„Ich glaube, dass du dir langsam in Klaren werden müsstest, dass da draußen etwas auf dich wartet.“
„Was wartet?“
Ich kam mir soeben wie ein kleines dummes Kind vor.
„Ich kann nur nicht nachvollziehen, weshalb er deine Erinnerungen von dir nimmt.“ Es klang so, als ob Xerxes gar nicht mehr mit sprach sondern mit sich selber.
Jetzt fühlte ich mich nicht mehr dumm sondern auch fehl am Platz.
Auf einmal klatschte der Dämon in die Hände und sah mich lächelnd an.
„Nun, wie kann ich dir heute behilflich sein?“
Eine Augenbraue zog sich von mir automatisch in die Höhe. Ich war ein wenig überrumpelt von seinem plötzlichen Charakter wechsel.
Er strahlte mich fröhlich an.
„Es geht um einen Klienten von mir.“, erklärte ich und versuchte dabei meine Verwirrtheit zu überspielen.
Ich fand es besser ich nicht auf seinen plötzlichen Wandeln anzusprechen.
Unter Xerxes tauchte eine Wolke aus Wasserdampf aus. Woher ich das wusste? Das ließ sich schnell erraten, denn es qualmte heftig und sah ziemlich heiß aus. Jenseitsmagie eben.
Dieser Dampf formte sich zu einem Stuhl und Xerxes ließ sich darauf nieder. Er faltete seine Hände wie zu einem Gebet und lege diese dann auf seinen Schoß.
„Ich bin ganz Ohr.“, meinte er dann, wobei seine Bassstimme mich fast in Ekstase versetzte.
Er bemerkte es und grinste zufrieden.
„Nun.“ fing ich an und schüttelte die Gänsehaut von mir ab, die entstanden war „Mein Klient heißt Kain Katsuno und ich möchte wissen, ob die irgendwelche Information über ihn hast.“
Eine weitere Wolke tauchte auf, genauso qualmend, heiß und nass.
Xerxes griff in diese hinein und zog einen relativ dünnen Ordner heraus.
„Mal sehen.“, sagte er, befeuchtete seinen Finger mit seiner Zunge (ich beobachtete diese Bewegung zu genau), schlug den Ordner auf und fing an darin zu blättern.
„Nichts Ungewöhnliches.“, meinte er daraufhin.
„Anscheinend ist er ein ganz normaler Bürger. In Tokyo geboren, dort aufgewachsen…Nein! Nichts verdächtiges. Außer das er einmal dem Meistervampir Cedric über den Weg gelaufen ist. Schien nicht glimpflich ausgegangen zu sein. Aber weshalb steht hier nicht drin.“
Er klappte den Ordner wieder zu und ließ diesen einen Wimperschlag später auch schon verschwinden.
„Lebt dieser Cedric in Pittsburgh?“, versuchte ich mich noch zu informieren, denn ich hatte das Gefühl, dass Xerxes gleich verschwinden würde.
Mit einem langgezogen Seufzen erschien abermals ein Ordner, wesentlich um einiges dicker und voller, und nach kurzen hineinblicken hatte der Dämon eine Antwort für mich.
„Ja.“
Eigentlich hatte ich vorgehabt weitere Fragen über diesen Vampir zu stellen, aber der Ordner war schon längst verschwunden.
Wenn irgendwann irgendjemand einen Dämon zu verstehen glaubt, der sollte sich bei mir melden, weil ich nicht begreifen konnte, weshalb es Xerxes jetzt so eilig hatte. Vorhin hatte er doch noch Zeit gehabt mir verwirrende Sachen gegen den Kopf zu schlagen, aber jetzt wo es Ernst wurde hatte er keine Lust mehr mit mir zu reden.
Als der Stuhl unter ihm verschwand, bestätigte sich mein Verdacht.
Xerxes wollte so schnell es ging weg von hier.
„Leider muss ich mich entschuldigen, Anastasia. Aber man ruft mich in ein anderes Haus.“
Ich hatte nicht mal die Chance gehabt mich bei ihm für die Information zu bedanken, denn plötzlich war er einfach weg.
6
Es war dunkel um mich herum, leer und beängstigend. Meine Augen waren geöffnet, doch keine Helligkeit drang zu mir hindurch. Die schwärze war so präsent, wie die Leere, die mich füllte. Ich wurde aus irgendeinem Grund auf den Boden gedrückt, dort festgehalte, und dieses fühlte sich wie eine gewaltige Ladung Druck an. Es kribbelte überall auf meiner Haut, kleine Ameisen marschierten mit harten Tritten von meinen Zehenspitzen bis zur Brust, wo sie sich breit machten und mir in mein Fleisch stachen. Sie wollten nicht von mir lassen, riefen nach Verstärkung, die nur wenige Sekunden eintraf. Brennender Schmerz machte sich in meinem Körper breit.
Das schlimmste jedoch war, dass ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ich ließ es einfach zu.
„Cas!“
Die kleinen Ameisen bemerkten, dass ich nicht den Willen besaß sie zu vertreiben, und genau dieser Erkenntnis folgend vermehrten sie sich.
„Cas!“
Die Dunkelheit wollte nicht von mir loslassen, klammerte sich mit ihrer letzen Kraft an mich. Denn sie und ich wussten, dass die Dunkelheit bald von mir weichen würde, weil jemand zu mir kommen und mich von all meinem Leid befreien würde.
„Verdammt noch mal!“
Eine Ladung kaltes Wasser, welches mir über mein Gesicht geschüttet wurde, ließ mich mit einem grellen Kreischen hochschrecken.
Vollkommen verwirrt und verplant sah ich Ben an und realisierte, dass er eine Tasse in den Händen hielt.
„Bist du endlich wieder zur Vernunft gekommen?“
Meinen Körper wieder beruhigend, versuchte ich zu mir zu kommen. Mein Kopf schmerzte höllisch.
„Bei Bells stinkenden Socken! Was war mit dir los? Du hast dir die Seele aus dem Leib geschrien.“
Meine Augen klebten immer noch an Ben. Dieser fuchtelte mit seinen kleinen Händen vor meinem Gesicht rum. Ich zwinkerte.
„Jemand wird zu mir kommen, Ben.“, wisperte ich mit halb geschlossenem Lid.
„Hä?“
„Jemand wird mich retten, Ben.“
Ich merkte, dass ich nicht ganz bei mir war, als diese Worte über meine Lippen gerollt kamen. Irgendetwas stimmte nicht und das schien auch Ben zu spüren.
„Cas, du machst mir langsam Angst…“
Mit einem Ruck stand ich auf und ließ einen nicht begreifenden Ben zurück, als ich die Haustür hinter mir zuschloss.
Ich verstand doch selber nicht.
Erst am späten Nachmittag beschloss ich, wieder zurückzukehren.
Ich hatte es mir in einem Café gemütlich gemacht, Kaffee und Kuchen gegessen, und über alles nachgedacht.
Es war zu viel auf einmal gewesen. Xerxes und dann diesen Zusammenbruch, wenn man das alles solchen bezeichnen konnte. Und das mysteriöse dabei war, dass beide Male etwas mit einer Person verbunden worden waren.
Ich hob die Tasse zu meinen Lippen und schlürfte am heißen Getränk.
Das komische war, dass ich mich nicht an alle Dinge erinnern konnte, die vor wenigen Stunden passiert waren. Ich wusste das Xerxes in meinem Zimmer stand. Ich wusste dass ich Schmerzen hatte. Und ich wusste, dass ich mich an jemanden erinnert hatte, obwohl ich zu wissen glaubte, dass ich diesen jemand überhaupt nicht kannte. Leider wusste ich nicht, weshalb Xerxes meinte, dass er Informationen beschaffen hatte, wobei ich mich nicht entsinnen konnte, ihn überhaupt nach so einem Gefallen gebeten hatte.
Seufzend stellte ich die Tasse wieder ab.
Das konnte alles einfach nicht wahr sein. Immerhin vergaß ich Dinge, die ich eigentlich wissen sollte, wie zum Beispiel meiner paradoxen Narbe. Sowas konnte und durfte man einfach nicht vergessen haben!
Aber ich tat es.
Reminiszieren konnte ich mich auch nicht dran, weshalb ich überhaupt nach Pittsburgh kam. Also zumindest nicht so richtig.
Ich konnte mich daran erinnern, dass mich irgendein Instinkt dazu getrieben hatte, meine sieben Sachen einzupacken und einfach loszufahren. Ich stieg in meinen Wagen, startete den Motor und musste mit Schock feststellen, dass ich nicht so alleine war wie geglaubt. Denn ein kleiner Tink schoss plötzlich in die Luft und fing an sich zu entschuldigen, dass er unerlaubt in meinem Auto übernachtet hatte. So hatte ich Ben kennen gelernt. Eine kleine aber feine Geschichte, denn nach unserer Begegnungen, hatten wir uns nicht mehr getrennt.
Nur konnte mir Ben nicht bei meinem Problem von Nutzen sein.
Es war zum Haare rausreißen.
Und als mir das fiele denken zu Kopf stieg, stand ich auf und verließ das Café.
7
Als ich nach Hause gekommen bin, konnte ich nicht genau in Worte fassen, was wirklich geschehen ist. Da mich sowieso schon das viele grübeln fast um den Verstand gebracht hat, habe ich es nicht ertragen können, Ben direkt anzusehen. Ich weiß zwar, dass er andauernd in meiner Nähe präsent ist, jedoch nicht, ob er mich angesprochen hat. Einfach definiert: eine merkwürdige Situation. Dementsprechend habe ich mich auch anders verhalten.
Und nun liege ich in meinem Bett, weil es inzwischen sehr spät geworden ist. Da es so warm im Zimmer ist, sind die Fenster offen und die Bettdecke achtlos auf den Boden geworfen.
Meine Augen sind geschlossen, doch der gewünschte Effekt des erholsamen Schlafes tritt nicht ein. Ich seufze.
Mich auf den Rücken drehend, denke ich noch einmal über die Dinge, welche geschehen sind, nach. Aber zu einem wirklich logischen Schluss steuern meine Gedanken nicht zu. Ich verstehe nicht. Zusammenhänge sind mir nicht klar vor Augen. Also versuche ich es dabei zu belassen.
Ich halte die Luft an, versuche nichts zu hören und meinen Kopf abzustellen. Aber es funktioniert nicht so wie ich es gerne haben will. Es ist einfach zum verrückt werden, nicht zu wissen, was ein dämlicher Dämon von einem will und wer während dieses Gespräches mit `ihm` gemeint war. Und zu allem Überfluss schwirrt die ganze Zeit ein sich sorgender Ben durch die Gegend.
Dieser kleine Mann hat die ganze Zeit versucht, nachdem ich wieder zu Hause war, mich mit vorwurfsvollen Blicken zu bestrafen. Aber irgendwann hat er bemerkt, dass es mir nicht allzu prickelnd geht. Und seitdem hat er Pläne geschmiedet, um mich aufzuheitern. Egal wo ich hingegangen bin, es lagen immer überall ein paar Süßigkeiten rum. Im Arbeitszimmer waren es zwei Stückchen weiße Schokolade, im Wohnzimmer ein Lutscher und im Badezimmer war eine Chipstüte vorzufinden. Ich gebe es zu, es sind wirkliche süße Gesten von meinem kleinen geflügelten Freund.
Mein Blick gleitet zu dem Wecker rechts neben mir. Ein stöhnen entweicht meinem Mund, als ich registriere, dass wir bereits anderthalb Stunden nach Mitternacht haben.
Auf die Seite drehend versuche ich an etwas Schönes zu denken. Irgendwas muss es doch geben können, um mich ein wenig ablenken zu können.
Aber es kommt wie es eben kommen musste.
Anstatt irgendetwas ästhetisches vor dem inneren Augen zu haben, erblicke ich meine scheußliche Narbe, die mir hässlicher entgegen grinst. Und nicht nur das! Soll ja nicht heißen, dass eine Narbe außer Grinsen nichts anderes kann. Nein.
Ich erblicke mich in einem Spiegel, so wie Gott mich schuf, und kann es noch immer nicht fassen, dass die Narbe sich in der Mitte zu spalten beginnt und aus dem Grinsen ein gehässiges Lächeln formt. Aber allem Anschein nach ist diese Merkwürdigkeit immer noch nicht genug. Sie beginnt einen immer größeren Schlund zu bilden, woraus eine verwunderlich, fremdartige Zunge heraus kriecht. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser lange, durchlöcherte Lappen eine Zunge darstellen soll. Und das einzige woran ich denke ist, wo Ben bleibt, um mich zu schützen.
„Eins, zwei, drei, das kleine Ei
versteckt sich hinter dem Anastasialein.
Komm zu mir und ich verspreche dir,
dich niemals zu jagen, doch ich geh´ dir an den Kragen.
Drum lass mich singen,
stillvoll erklingen,
dass Liedchen dir zu lieben, dich niemals zu betrügen.“
„Hä?“, entfleucht es mir und ich gucke dieses Dingens ungläubig an. Soll das alles ein Witz sein?
„Lauf Anastasia, lauf!“
Obwohl ich kein Stückchen von dem Ganzen verstehe, höre ich auf dieses Etwas, drehe mich um und beginne zu laufen. Nicht wissend wohin, renne ich vorwärts und versuche nicht auf das zurückliegende zu achten, was ein Fehler ist. Denn plötzlich ist dieses komische Narbenwesen hinter mir und verschlickt mich so schnell, dass ich noch nicht einmal die Zeit habe vernünftig Luft zu holen, um mich auf das bevorstehende zu wappnen.
Ich stürze hinab, schreiend und nichts sehend, da mich die Dunkelheit umgibt und ich meine Orientierung zu verlieren beginne.
„Ben!“, kreische ich vergeblich.
Die Arme sind am rudern, die Beine am strampeln, die Gesichtszüge am entgleisen.
Was zur Hölle ist hier bloß los?
„Ich lasse dich vergessen,
denn du kannst nicht versprechen,
dich am Grunde zu halten,
dich somit nicht zu entfalten.“
Ich spüre keine Schmerzen, jedoch höre ich das gewaltige Aufklatschen, als ich auf das harte Wasser schlage. Unter Wasser öffne ich die Augen und kämpfe drum nach oben zu gelangen, was mir aber deutlich erschwert wird, da sich eine Hand um mein Fußgelenk gepinnt hat. Mit einem Ruck werde ich weiter in die Tiefe gezogen. Jedoch schlingen sich unerwartet starke, kräftige Arme um mich, die mich fest an einen harten Hintergrund drücken.
„Drum lass uns vergeben,
was vor langem geschehen,“, ein Gesicht nähert sich von hinten an mein Ohr und kurz darauf spüre ich wunderbare weiche Lippen am Ohrläppchen,
„und die Liebe erklingen,
um den Schmerz zu misslingen.“
Nicht wissend warum oder weshalb, stöhne ich bei den letzen Worten auf und verschlucke mich dennoch nicht am Wasser.
Große Hände gleiten meinem Rücken entlang, welche sich dann an meinen Bauch haften und mich weiter zurückziehen.
„Gegeben ist der Ruck
nun komm Stück für Stück zu mir zurück.“
Mein Kopf wird zur Seite gedreht, aber meine Augen lassen sich nicht öffnen.
„Also vergiss es nicht,
denn ich liebe dich.“
Dann werden meine Lippen geküsst.
„Oh Cas! Du wirst langsam aber sicher verrückt. Und selbst Bells Glitter kann dich nicht davor bewahren durchzudrehen.“
Überraschender Weise sehe ich in Bens kleine, erschreckend müde aussehende Augen.
„Ich…“, versuche ich zu sprechen, was mir aber mehr als misslingt und somit fahre ich mit meinen Fingerspitzen zu meinen Lippen. So vertraut, geht es in meinem Kopf einher und ich verstehe nicht.
„Ehrlich gesagt möchte ich es gar nicht wissen, Cas.“
„Aber…Ich-.“
„Ich meine es ernst. Denn du… Bei Bells stinkenden Schlüpfer! Cas, du warst nur am stöhnen, und…Egal, ich gehe.“
Er gibt mir noch nicht einmal die Chance mich zu erklären, denn Ben ist auf einmal verschwunden und lässt mich alleine zurück.
Obwohl mir wahrscheinlich die Verwirrtheit im Gesichte steht, muss ich mir im Nachhinein eingestehen, dass sich die letzen Sekunden sehr real und vertraut angefühlt haben.
Tag der Veröffentlichung: 11.08.2009
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