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Vertraute des Vargs: Fremder Alpha - Teil 2

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Kapitel 1

Ein Monat später…

 

Es war ein großes Haus aus gelbbraunem Sandstein. Schmucklos, aber massiv und imposant. Davor wogen sich zwei gigantische Eichen im aufziehenden Sturm. Der Himmel zog sich über ihr jede Sekunde mehr zu, in der sie wie gelähmt neben dem Auto stand. Die Luft fühlte sich drückend an. Einige Wolken leuchteten vor dem lila Abendhimmel bedrohlich grell.

In diesem Haus lebte er nun. An einem Ort, von dem sie noch nie gehört hatte. Sie hatte es mit dem Navi nur mit Mühe gefunden.

Als Bekka von Connor weggegangen war, war ihr Leben komplett anders gewesen. Und verrückterweise hatte sie gedachte, dass sich nichts ändern würde, wenn sie wieder zurückkam. Obwohl sie ja aus diesem Grund gegangen war, damit sich etwas änderte… Aber sie hatte gedacht, dass diese Veränderung minimal sein würde. Und wenn sie wieder kommen würde, würde er in der Küche ihres Hauses stehen und sie durch das Fenster ansehen. Dann würde er raus zu ihr kommen. Vielleicht sogar mit dieser riesigen Kaffeetasse in der Hand, die sie ihm geschenkt hatte. Und sie hatte angenommen, dass sie dann ruhig reden würden. Vielleicht draußen vor dem Haus stehend. Oder in der Küche, sich gegenüber an dem kleinen runden Tisch sitzend.

Bekka hatte sich dieses Gespräch zwar nicht leicht vorgestellt, aber sie war sich sicher gewesen, dass alles gut werden würde. Wie genau, hatte sie nicht sagen können. Aber sie hatte es sich nicht so vorgestellt, wie es nun wirklich gekommen war. Nun, wo noch nicht einmal volle drei Monate vergangen waren, schien ihr altes Leben ausgelöscht zu sein.

Dieses Haus war nicht das Haus, das er für sie beide gebaut hatte, sondern eines, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und sie wusste überhaupt nicht, was sie erwarten würde, wenn sie hineinging. Doch sie wusste, dass er sie nicht geduldig wie in ihrer Vorstellung erwartete. Nein, er wollte sie nicht einmal hier haben.

Komm jetzt nicht zurück.

Das waren Connors Worte auf der Mailbox gewesen. Nicht mehr. Nur das, nachdem sie  eine Woche lang niemanden in Maine hatte erreichen können und nachdem Seths Anruf sie  augenblicklich hatte krank vor Sorge werden lassen und sie von Alaska nach Maine gereist war.

Noch am Flugplatz in Millinocket hatte sie dann diese Nachricht von Connor erhalten. Während sie diese allein auf der Rollbahn abgehört hatte, waren ihr die Tränen gekommen. Natürlich, weil sie erleichtert gewesen war, dass er lebte. Sie hatte endlich das Gefühl gehabt, wieder atmen zu können. Die ganze Anreise über war sie wie betäubt gewesen und hatte gedacht, dass sie gleich einfach zusammenbrach.

Doch als sie seine Stimme in der Sprachnachricht gehört hatte, war ihr neben der Erleichterung und dem kurzen Glück klar geworden, dass sie ihn scheinbar dennoch verloren hatte. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Und Bekka war immer mehr bewusst geworden, dass sie kein Zuhause mehr zu haben schien.

Sondern, dass sie zu einem Scherbenhaufen zurückkam.

Dann bei Connors Familie angelangt, hatte ihr niemand etwas sagen können. Niemand wusste, wo er war. Nach drei Tagen meldete sich Connor bei Seth, dass er okay sei. Aber verriet nicht, wo er war. Den restlichen Monat, fast drei Wochen lang tappten sie alle im Dunklen. Bis gestern.

Über ihr fing es an zu grollen. Der Himmel knurrte. Ein Blitz zuckte in weiter Ferne über die hohen schwarzen Bäume. Es war nun in kürzester Zeit völlig Nacht geworden.

In dem Haus, das zu einer kleinen Farm gehörte, umgeben von Eichen, Kiefern und Ahorn da stand, brannte nirgends Licht. Aber ein Varg brauchte kein Licht. Er könnte da sein, sogar am Fenster stehen, ohne dass sie es bemerkte.

Bei dem Gedanken, dass er wirklich da sein würde, raste ihr Herz. Sie hatte ihn vermisst. Jeden Tag. Die Nächte waren noch schlimmer gewesen. Als sie gedacht hatte, es sei hart Connor in Alaska zu vermissen, hatte sie sich getäuscht. Ihn in ihrem gewohnten Umfeld zu vermissen, wo sie alles an ihn erinnerte, war noch schlimmer. Und Connor war es monatelang so gegangen, während sie ihn auf unbestimmte Zeit allein ließ. In gewisser Weise hatten sie die Rollen getauscht. Und Bekka hatte erkannt, was sie ihm zugemutet hatte.

 

Mühsam riss Bekka sich nun zusammen und ließ die Erinnerungen hinter sich. Sie sah ins Innere des Autos. Fragte sich, ob sie etwas mit reinnehmen sollte. Auf dem Rücksitz lag ihr Rucksack. Darin waren ihr Portemonnaie, ihre Schlüssel, das Handy, eine Zahnbürste, etwas frische Wäsche.

Kurz alles, damit sie hier übernachten könnte. Aber sie hatte plötzlich panische Angst, dass wenn sie mit einem Rucksack reinging, er sie zum Teufel jagen würde. Aber würde er das nicht so oder so?

Als sie damals in Wut und Sorge den Koffer für Alaska gepackt hatte und damit aus dem Haus gelaufen war, war sie sich so verdammt sicher gewesen, dass sie im Recht war. Hatte sich sogar wie eine selbstlose Seele gefühlt, weil sie sich einredete, dass sie das alles nur für ihn tat. Und für ihr gemeinsames Kind. Jetzt kam es ihr feige vor. So erbärmlich, ihn mit seinen Problemen allein stehen zu lassen. Sie hatte ihm gesagt, dass er sich über alles klar werden solle...

Dummes Gerede, wie aus einem Film.

Mit seltsam tauben Gliedern warf sie die Autotür zu, ohne ihren Rucksack rauszunehmen,  und schloss ab. Ging dann mit schnellen Schritten durch die ersten Regentropfen zum Haus. Falls die große, dunkelbraune Holztür abgeschlossen war, hatte sie keine Ahnung, ob sie den Mut hatte, zu klopfen oder zu klingeln. Aber sie war nicht abgesperrt. Connor sperrte nie die Türen ab, wenn er allein war. Nur für sie hatte er früher abschlossen, damit sie sicher war.

Das Innere war groß, aber kein Vergleich zu der meterhohen Eingangshalle im Haus seiner Eltern. Und doch ein ordentlicher Unterschied zu ihrem kleinen, vollgestellten Flur, in dem er sich immer beschwerte, er könnte sich kaum umdrehen.

Schon seltsam, wie einen die Erinnerungen überschwemmten, wenn man glaubte, dass man etwas verloren hatte.

Und genauso fühlte es sich an. Als hätte sie ihr gemeinsames Leben verloren.

 

In der Eingangshalle standen noch Dinge von den ehemaligen Bewohnern. Sogar vertrocknete Blumen vor dem Spiegel. Bekka lauschte und hörte oben im Haus eine Dusche laufen. Ihr Herz raste. Er würde wissen, dass jemand da war. Er würde sogar auch riechen, dass sie es war.

Also blieb sie, wo sie war, damit er zu ihr herunterkommen konnte. Dabei redete sie sich ein, dass das nur höflich war. Doch eigentlich versuchte Bekka sich davor zu wappnen, ihm gegenüberzutreten. So wie sie es schon die ganze Hinfahrt über getan hatte.

Bekka war noch nie besonderes taff gewesen, aber seit alledem, reichte ein Bild von einem Kätzchen und sie brauchte schon Taschentücher. Doch jetzt schluckte sie entschlossen den Kloß im Hals herunter und beschloss, jetzt nicht wieder zu kneifen. Sie hatte schon genug kaputt gemacht.

Dann ging sie die Treppe zu ihm hoch. Langsam, mit der Hand am Geländer. Oben hörte sie seine Schritte. Wenn sie diese hörte, dann wollte er, dass sie ihn hörte. Die Männer in der Familie Wood bewegten sich sonst wie Geister.

Eine Schranktür quietschte.

Draußen setzte nun das Gewitter richtig theatralisch ein und bewirkte, dass Bekka gerne auf dem Absatz kehrt gemacht hätte. Das kam ihr plötzlich alles als ungutes Omen vor. Die Sonne sollte scheinen. Das Wetter beeinflusste das Gemüt. Dann würde ihr Wiedersehen vielleicht besser…

Komm jetzt nicht zurück.

Nein, sie machte sich was vor. Er war genauso wütend auf sie, wie sie damals auf ihn. Und das zu recht. Sie hatte Steine ins Rollen gebracht. Sie hatte ihn zu einer Entscheidung gedrängt, hatte zugleich keinerlei Hilfe gegeben. Und war in einer seiner schwersten Zeiten nicht für ihn da gewesen.

Auf der ersten Etage waren links und rechts von der Treppe zwei lange Flure, von denen jeweils Türen abgingen. Am rechten Ende war ein großes Fenster, durch das sie den schwarzen Wald sehen konnte. Die Bäume wurden hin und her gepeitscht, als wären es Grashalme. Und wieder erschien ihr der Weg zurück zum Auto verlockend.

Das Quietschen eines Möbelstücks auf dem Holzboden. Er war da. Im rechten Flur, nur zwei Türen weiter von ihr entfernt.

Ihr Herz wummerte ihr bis zum Hals. Kurz legte sie eine Hand auf ihren Bauch.

Jetzt oder nie.

Als sie die Tür öffnete und eintrat, fand sie nur ein dunkles Zimmer vor. Blitze erhellten das Schlafzimmer nur einen Augenschlag lang. Die Tür des Kleiderschranks stand noch auf. Darin hingen noch Jacken und Hemden.

Aber es war niemand im Raum. Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass…

„Also bist du doch gekommen. Obwohl ich sagte, du sollst es nicht.“

Die Stimme erklang fast genau hinter ihr. Automatisch zuckte sie zusammen und sprang leicht zur Seite. Mit großen Augen starrte sie zu ihm auf.

„Hallo Bekka“, sagte er seltsam tonlos.

Ihr Herz raste nun völlig unkontrolliert. Ein Schauer überfiel sie, weil so viele Emotionen durch seine Stimme ausgelöst wurden. Einmal der Schreck, dass er so plötzlich hinter ihr erschienen war. Und dann dieses Kribbeln in ihrem Nacken bei dem vertrauten Klang, den sie so herbeigesehnt hatte.

Und dann sein Anblick.

Da war er wieder. So groß und breit wie eh und je.

Doch zugleich brachte sie das Bild, was sich ihr bot, völlig durcheinander. Etwas war so gar nicht, wie sonst. Was war es? Konzentriert trat sie erst von ihm weg, um dann mit zusammengekniffen Augen näher zu kommen.

„Ja, sieh es dir ruhig genauer an.“

Seine Stimme klang so zynisch.

War das wirklich ihr Mann? Sie besann sich, dass zwischen ihnen eh nichts mehr wie zuvor war. Aber sein Aussehen war ihr doch so fremd, dass sie kurz daran zweifelte, dass das Connor Wood war. Das lange Haare, das ihm nass und dunkel auf die Schultern fiel, verdeckte den rechten Teil seines Gesichts. Im dunklen Raum leuchtete sein linkes Auge orange auf. Ein Bart bedeckte sein Gesicht. Außerdem fiel ihr auf, dass er dünner war als früher. Das T-Shirt spannte sich leicht an seinen Schultern, wie es die meisten neuen Sachen bei ihm taten, bevor er sie eintrug. Doch dieser Stoff saß sonst locker. Auf seinen schmalen Hüften hing eine Jeans. Der Gürtel noch offen. Als ihr Blick darauf fiel, schloss er ihn mit wenigen Bewegungen.

„Wer hat dir gesagt, dass ich hier bin?“, fragte er nun seltsam gelassen.

„Ich stand gestern neben Seth, als du ihn anriefst“, gab sie zu.

Er schnaubte und trat an ihr vorbei. Jetzt sah sie die Tür zu ihrer Linken, die wohl ins angrenzende Bad führte. Von dort musste er gekommen sein. Nun setzte er sich auf das große Bett, das unter seinem Gewicht knarzte. Er griff nach einem Schuh, den er unter dem Bett hervorholte. Panik befiel sie. Würde er jetzt einfach gehen?

„Du… willst wirklich nicht mit mir reden, oder?“, brachte sie unsicher heraus.

Der zweite Schuh blieb in seinen Händen, doch er zog ihn nicht an. Er hielt ihn fest. Sah aber dann nach einer Weile zu ihr auf, so dass das ungewohnt lange Haar zurückfiel. Das spärliche Licht von draußen konnte es nun auch nicht mehr verbergen. Bekka keuchte auf und schlug die Hänge vor den Mund.

Jetzt liefen ihr doch Tränen über das Gesicht.

Sein schönes Gesicht. Sein Auge.

Unter ihrem Weinen zuckte er zusammen und verharrte mit angespannten Schultern. Bekka wollte zu ihm, nahm aber stattdessen nur die Hände vom Gesicht. Sie suchte seinen Blick, doch er begegnete ihrem nicht mehr. Stumm senkte er wieder den Kopf. Drehte den Schuhe stumm zwischen seinen Händen.

„Wann ist das passiert?“, brachte sie kaum hörbar hervor.

„Vor fast einem Monat.“

Also dann, als er verschwunden war. Wie war das passiert? Und wer hatte ihm das angetan?

„Warum hast du mir nicht…“

„Ich wollte es nicht!“, er sprang auf und für einen Moment schien es, als wollte er auf sie zu laufen. Doch er riss sich deutlich zusammen, als er schließlich nur tief Luft holte und verharrte. Als Connor sie dann anblickte, trafen sich ihre Blicke. Es schmerzte sie, dass ihm so weh getan wurde. Nur ein leuchtendes Auge…

„Warum wolltest du mich nicht bei dir haben? Ich wäre doch sofort…“, setzte sie an.

„Weil es doch nichts ändert“, fuhr er aufgebracht dazwischen, „Oder doch? Bist du aus Mitleid wieder hier?“

Ihre Stirn zog sich kraus. „Ich wusste es doch gar nicht! Und nein, das ist nicht der Grund.“

Bekka kämpfte dagegen an, zu ihm zu gehen und ihn genauer anzusehen. Die Arme um ihn zu schließen. Aber da war zu viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Sie fühlte sich, als hätte sie kein Recht dazu. Außerdem wollte er kein Mitleid von ihr. Und offenbar auch keinen Trost.

Suchend sah sie sich im Zimmer um, denn wenn sie ihn ansah, würde sie keine Worte finden. Seine Nähe wühlte sie zu sehr auf.

„Ich bin schon vor Wochen zurück nach Maine gekommen“, erklärte sie möglichst gefasst, „weil Seth mich anrief. Er sagte, dass sie nicht wissen, wo du bist und ob du noch lebst.“

Nun sah sie doch zu ihm, aber er zeigte keine Reaktion. Um ihren aufgewühlten Gefühlen nicht nachzugeben, biss sich Bekka auf die Unterlippe. „Sie hatten tagelang nach dir gesucht und hatten…“, ihre Stimme brach. „Sie dachten, dass du tot bist! Darum hatte keiner den Mut, mit mir zu sprechen, als ich immer wieder anrief – ich wusste instinktiv, dass etwas passiert war. Aber niemand wollten mir unnötig Sorgen bereiten, solange sie nichts wussten. Aber nach einer Woche der Suche waren sie sich sicher, dass dir etwas zugestoßen sein musste. Denn wieso hättest du dich sonst nicht gemeldet? Also rief mich Seth in Alaska an.“

Ihre Stimme brach, als sie wieder daran denken musste. Ein gewisser Zorn regte sich in ihr.  „Erst als ich wieder in Maine zurück war, erhielt ich deine Nachricht. Erst da konnte ich ihnen mitteilen, dass du lebst... Wie konntest du uns nur so im Dunkeln lassen?“

Nun traf sie sein zorniger Blick: „Ich hab mich gemeldet, sobald ich konnte!“

„Wir haben uns trotzdem schrecklich gesorgt!“, platze sie fast schreiend heraus, weil die Gefühle hochkamen, als sie Tag und Nacht um ihn gebangt hatte.

Connor lachte auf. So im mucksmäuschenstillen Haus klang das Lachen gegen den stürmischen Wind und den Regen draußen unheimlich.

„Es tut mir leid, dass ich euch Kummer bereitet habe!“

Die Art, wie er sprach, ließ sie stumm werden und ihr Inneres aufhorchen. Er klang nicht sarkastisch, dennoch schwang darin eine Wut mit, die sie nicht greifen konnte.

Was war nur passiert?

„Connor… ich wollte doch nur sagen…“

„Dass ich meinen Platz nicht mehr kenne? Dass ich hätte heim eilen sollen? Dann solltest du wissen, dass ich kein Teil des Rudels meiner Familie mehr bin. Ich werde nicht nach Hause gehen können. Du wolltest, dass ich etwas ändere. War das nicht deine Forderung an mich?“

„Ich hätte dich nicht so drängen…“

„Nein! Es war an der Zeit“, unterbrach er sie barsch. Er stand auf und lief einige Schritte bis zum Fenster. „Das werfe ich dir nicht vor, Bekka.“

Was warf er ihr dann vor?

Plötzlich fühlte sie sich kraftlos und dumpf. Die lange Zeit ohne ihn in Alaska, die Suche nach ihm, um nun hier bei ihm zu sein. Bei ihrem Mann, der sie nicht sehen wollte und so wütend und verletzt war. Eine scheinbar endlose Achterbahn der Gefühle.

Er stand nun breitbeinig etwas entfernt von ihr. Das Gesicht im Dunkeln für sie schwer zu sehen. Kopfschüttelnd wandte sie sich zur Seite und entdeckte einen Lichtschalter. Doch es brannte kein Licht auf, als sie es versuchte.

„Der Stromgenerator ist aus“, bemerkte er gelassen.

„Wie lang wohnst du hier schon?“

„Seit einiger Zeit. Ich brauche kein Licht.“

Sie presste den Mund zusammen. Es konnte ja sein, dass er im Dunkeln hervorragend sehen konnte, aber sie konnte es nicht. Und dazu war es doch nicht gesund, allein in diesem dunklen, stillen Haus zu hocken, selbst wenn man über Nachtsicht verfügte.

„Wo ist der Generator?“

Als sie die Hand schon auf den Türknauf legte, trat er neben sie und fing ihre Hand ab. Seine Körperwärme war nach so langer Zeit für sie ein Schock. Er strahlte genug Energie aus, dass sie im Winter keine Heizung im Schlafzimmer brauchten. Das Gefühl war tröstlich, seine große, raue Hand auf ihrer zu spüren.

„Du gehst nicht in das Unwetter raus! Ich werde das machen.“

Sein Arm drückte von oben gegen ihre Schulter, weil er über sie hinweg gegriffen hatte. Die Nähe war so intensiv, dass sie sich gerne an ihn gelehnt hätte. Keiner von ihnen regte sich. Ihre Hände auf dem Türknauf übereinander.

Langsam sah sie zu ihm auf, aber das lange Haar fiel ihm ins Gesicht. Wann hatte sie ihn zuletzt mit langem Haar gesehen? Eigentlich noch nie. Und seit mindestens zehn Jahren schnitt er es alle ein bis zwei Tage selbst völlig kurz, um seine vargische Natur zu verstecken. Die nassen Enden seiner dunklen Haarsträhnen kitzelten leicht auf ihrer Schulter und ihrem Hals. Er war so nah. Gerade, als sie sich näher zu ihm lehnen wollte, richtet er sich auf und marschierte durch die Tür.

Enttäuscht blieb sie zurück. Bekka stand allein in diesem fremden Schlafzimmer und lauschte, aber Connor bewegte sich nun wieder völlig lautlos. Er hatte also wirklich gewusst, dass sie kam und sie wissen lassen, wo er sich im Haus befand. Sobald sie ihn in dem Zimmer gefunden hatte, hatte er sich wieder lautlos bewegt.

Als das Licht kurz darauf aufbrannte, musste sie blinzeln. Neugierig sah sie sich dann um, sobald sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Die Möbel waren massiv, aus Holz und recht alt. Das Zimmer war staubig aber sauber. Connors Sachen lagen unter einem Sessel. Die Tagesdecke war zerknautscht, so als hätte er sich aufs Bett gelegt, aber diese nicht davon abgezogen.

Unten im Erdgeschoss wurden Türen geöffnet und geschlossen – vielleicht etwas zu geräuschvoll. Offenbar war er wieder im Haus. Da es bis jetzt nicht sehr ermutigend gewesen war, musste sie sich fast zwingen zu ihm zu gehen. Unsicher lief sie wieder den langen Flur zurück und die schmale Treppe herab. Unten in der Eingangshalle sah sie sich suchend um. Links und rechts waren Türbögen. Groß und einladend führten sie in ein Esszimmer und in ein Zimmer, das so etwas wie ein Lesezimmer zu sein schien. Das sollte ihm eigentlich gefallen.

Sie drehte sich um, weil die Geräusche von hinten im Haus kamen. Ein weiterer Flur führte in den hinteren Teil des Hauses. Viele große Bilder von Sonnenblumen hingen an den avocadogrünen Wänden. Nach Bekkas Geschmack war die Einrichtung des Hauses etwas zu klassisch und zu langweilig, aber es war hübsch. Wer auch immer hier gelebt hatte, hatte es liebevoll eingerichtet.

Der Flur führt sie in eine große Wohnküche mit großer Fensterfront. Draußen bot sich Bekka der gleiche Anblick wie oben im Schlafzimmer. Das Grundstück hinter dem Haus war von hohen Bäumen umgeben, die vom Sturm hin und her gepeitscht wurden. Die Küche war eher breit als lang. Die linke Seite nahm die Küchenzeile mit einem schwarzen Ofen aus Gus ein. Dort stand Connor mit dem Rücken zu ihr vor einem gigantischen Kühlschrank. Diese Art von Kühlschrank und die Gefriertruhe neben der Hintertür sagten ihr nur eins: Das war das Heim von Vargs gewesen. Die Küchen waren in ihren Häusern immer einladend und geräumig. Sie aßen ja auch wie ausgehungerte Grizzlys.

Zwischen ihnen, mittig im Raum war eine lange Kücheninsel mit einer massiven Steinplatte. Die Obstschale darauf war leer. Ebenso der geräumige Esstisch in der rechten Hälfte der Küche. Darauf lag nur ein Schlüsselbund.

Bekka blieb nach einigen Schritten in den Raum hinein stehen. Sie fühlte sich unwillkommen und hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte. Wo sollte sie beginnen? Ihr Mann schien ebenfalls nicht drauf aus zu sein, mit ihr zu sprechen.

Connors breiter Rücken war völlig nass. Denn draußen goss es wie aus Eimern.

„Leider ist hier nichts zu essen, außer einer Portion Lasagne.“ Er öffnete eine Frischhaltebox und roch kurz dran. Er murmelte etwas davon, dass er vergessen hatte, dass der Kühlschrank ebenfalls keinen Strom gehabt hatte. Sie unterdrückte ein unmerkliches Lächeln und schob die Hände in ihre Hosentaschen, während sie ihn von dem anderen Ende des Raumes beobachtete.

„Paiges gutes Rezept?“, erkundigte sie sich, „Mit viel Käse?“ Sie versuchte locker zu klingen. Ihr Magen zog sich leicht zusammen und meldete, dass sie tatsächlich einmal Hunger hatte. Auf die Lasagne konnte sie sich fast freuen. Denn ihr hatte seit ihrer Abreise nichts mehr richtig geschmeckt.

„Nein, das ist von Julia.“

„Julia?“, fragte sie trocken. Der Name sagte ihr gar nichts.

„Sie gehört zu dem Rudel hier.“ Also war es das Gebiet eines neuen Rudels, wie sie bei diesem Haus schon vermutet hatte.

„Und sie brachte dir Essen?“

Das war eigentlich nicht ungewöhnlich. Vargs waren familiär. Untereinander. Aber er war hier als ihr potenzieller neuer Alpha. Das spürte sie nur zu gut. Taylors Worte waren ihr nie wieder aus dem Kopf gegangen. Nach wie vor konnte sie nicht glauben, dass sie es nie selbst gemerkt hatte.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu, sagte dazu aber nichts. Stattdessen stellte er die große Frischhaltebox ab und schloss den sonst leeren Kühlschrank. Befangen sah sie ihm zu, wie er das Essen auf einen Teller schaufelte, den er schon bereitgestellt hatte.

„Nur einen Teller?“

„Du kannst alles haben.“

„Das ist zu viel und…“

„Du brauchst Essen“, unterbrach er sie bestimmt.

„Connor…“, ihre Stimme klang nun dünner. Sie verstummte, weil sie keine Ahnung hatte, wo sie anfangen sollte.

„Weißt du schon, was es wird? Konnte es die Ärztin in Alaska auf dem Ultraschallgerät sehen?“, fragte er fast harsch. Geräuschvoll warf er die leere Box in die große Spüle aus Edelstahl. Sie starrte nach wie vor auf seinen Rücken.

„Nein, weiß ich nicht. Sie ist keine Gynäkologin und war sich unsicher. Deswegen sagte sie nichts. Was mir ganz recht war.“

Sie hatte es nicht wissen wollen. Irgendwie wäre das zu viel für sie gewesen. Denn immerhin war das Geschlecht des Babys eines ihrer Streitpunkte.

Connor gab einen brummenden Ton von sich. Einen, den er machte, wenn er zwischen Unwillen und Zustimmung schwankte.

„Willst du es denn wissen?“ Sie wagte sich etwas in die Küche hinein. Das ganze untätige Stehen war nicht ihr Ding. Außerdem machte er ihr Essen, was nicht unbedingt ein freudiges Willkommen war, aber auch kein Hinauswurf.

„Natürlich will ich es wissen! Denkst du, dass ich mich nicht mehr dafür interessiere?“

Jetzt drehte er sich zu ihr um. Ihr Magen fühlt sich plötzlich völlig krank an und sie bezweifelte, etwas essen zu können. Sie war heilfroh, dass zwischen ihnen die Kücheninsel war.

Der Anblick seines Gesichtes hier im Hellen zerriss sie innerlich. Kein Gesicht hatte sie so gut gekannt wie seins. Einschließlich ihres eigenen. Seit sie vierzehn war, war er in ihrem Leben. Und seitdem sie achtzehn Jahre alt war, war er ihr Mann gewesen. Abgesehen von den besonderen Mondnächten waren sie kaum getrennt gewesen. Eigentlich waren sie es nie gewesen. Sie glaubte, dass sie jeden Zug kannte. Die breiten Wangenknochen, die seinem Gesicht zusammen mit der Verdickung oben an der Nasenwurzel, etwas Raues und Brutales gaben. Der ansonsten scharf geschnittene Nasenrücken, die elegant geschwungenen, tief liegenden Augenbrauen. Die Lippen, die so überraschend sinnlich sein konnten. Bekka kannte jeden Millimeter seines Gesichts.

Zumindest tat sie das mal.

Das Augenlid des rechten Auges lag eingefallen über der leeren Augenhöhle. Rot und uneben zog sich die Narbe über die Schläfe und traf genau auf den rechten Augenwinkel, wo sie das Auge kaum zu treffen schien. Wesentlich schmaler lief die Narbe weiter bis hoch über den Wangenknochen. Auch, wenn es die Narbe nicht direkt annehmen ließ, musste die Kralle des Angreifers das Auge getroffen haben. Zu gut wusste Bekka, wie scharf die Krallen eines Vargs waren. Das Augenlid musste festgewachsen oder genäht worden sein. Der Wimpernkranz sah vollständig rund, dicht und glänzend schwarz aus.

Er erwiderte ihren Blick kurz, drehte sich dann fast genervt rum, um den Teller zu nehmen und zur Mikrowelle zu gehen. Als diese anfing zu summen, blieb er davor stehen und sah dem Teller beim Drehen zu. Connor schwieg. Bekka war es immer, die sonst zu schnell und zu viel sprach. Normalerweise war das zwischen ihnen okay. Aber sie hatte vor fast drei Monaten mehr als genug gesagt und für sie beide entschieden. Deswegen brachte sie es nicht zustande, etwas zu sagen.

Und doch wollte Bekka wissen, was passiert war. Wer ihn angegriffen hatte und wie schlimm es gewesen war. Ebenso wie sie wissen wollte, wie er hierhergekommen war. Doch ihre Fragen zu seiner Person schienen zu heikel.

„Wie… wie ist das Rudel hier?“, fragte sie stattdessen. Das Thema erschien ihr weniger persönlich und brannte ihr zugleich unter den Nägeln. Connor war Teil eines neuen Rudels. Vielleicht war er sogar kurz davor, sein eignes Rudel zu haben. Etwas, was sie noch vor einem halben Jahr mit erhobenen Händen abgestritten hätte: Ihr Mann wäre zufrieden. Er wolle kein Alpha sein. Nicht im Mittelpunkt von allem stehen. Wolle nicht anderen sagen, was sie zu tun und zu lassen hatten. Beschützen und verteidigen, aber nicht befehlen.

Wie dumm sie gewesen war…

„Sie haben seit nun fünf Jahren keinen wirklichen Anführer mehr“, sagte er ohne von der Mikrowelle wegzusehen, „Der alte Mac ist im hohen Alter gestorben. Es gab im Rudel vier Männer, die die Position haben wollten. Es kam zu den üblichen Streitereien und den Herausforderungen. Bei einem Kampf wurde einer so stark verletzt, dass er das Rudel freiwillig verließ. Der, der ihn verletzte, wurde der Alpha. Sein Name ist Anthony Krane. Offensichtlich ein Arsch. Viele von dem vormals großen Rudel sind weggegangen. Zuletzt die Witwe von dem alten Mac, die in diesem Haus gelebt hatte.“

Als der Signalton piepte, nahm Connor das Essen aus der Mikrowelle und durchquerte mit langen Schritten die Küche. Er stellte es auf den Tisch aus Kirschholz. Jedes Geräusch kam ihr in der Stille, die nur vom Regen draußen unterstrichen wurde, viel zu laut und zornig vor.

„Willst du dich nicht setzen?“, fragte er und zog einen der Stühle für sie zurück. Das Holz polterte über den Fliesenboden. Sein dunkler Blick traf sie abschätzend. Wenn nicht eher grollend, dachte sie zusammenzuckend. Umso länger sie hier war, desto miesgelaunter schien er ihr.

Automatisch biss sie die Zähne zusammen. Wie eigenartig, dass es wie eine Herausforderung klang. Sie hatte das Gefühl, dass er sie auf die Probe stellen wollte. Als würde Connor denken, dass sie jede Sekunde davon laufen würde und er es nun provozieren wollte. Aber vermutlich war sie daran selbst schuld.

„Danke“, murmelte sie und lief durch den großen Raum auf ihn zu. Da er ihr dabei unbewegt zusah sah, fühlte sie sich, als würde sie zu zur Richterbank laufen. Möglichst eilig setzte sie sich und mied seinen Blick. Nickend setzte er sich zu ihr, nachdem er ihr eine Gabel hinlegte. Sie wollte fragen, ob er wirklich nichts essen wollte. Doch als sie zu ihm aufsah, verließ sie der Mut vollends.

Wer auch immer da neben ihr saß, das war nicht ihr Mann.

Er sah nicht nur anders aus, seine Körpersprache war anderes. Er schüchterte sie ein, etwas, was sie bei Connor früher nie gefühlt hatte. Um genau zu sein, fühlte sie sich wie ein Reh, das zur grünen Lichtung gelaufen war, während er nur drauf wartete zuzuschlagen.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

Als er Bekka vorhin gewitterte hatte, hatten fast seine Knie nachgeben, so intensiv hatte ihn ihre plötzliche Gegenwart getroffen. Doch egal, wie sehr er sie vermisst hatte, er hatte sie nicht treffen wollen. Am liebsten wäre er einfach aus der Dusche herausgetreten und in den Gewittersturm gelaufen.

In dem ersten Monat hatte er sie vermisst und hatte nur gewollt, dass sie wiederkam. Dann war noch etwas anderes hinzugekommen: Wut. Er hatte unbändige Wut gefühlt. Auf sie, auf Seth, auf seinen Vater – und auf sich selbst.

Und nun, wo so viel passiert war, hatte er nicht mehr gewollt, dass sie heim kam.  

Ihr Anblick machte, dass ihm alles wehtat. Er sehnte sich nach ihr.

Aber nun war er an einem Punkt, wo es kein Zurück mehr gab. Der Connor Wood, der er geglaubt hatte zu sein, war eine Lüge gewesen. Etwas, was er erfunden hatte, wie eine Romanfigur.

Es war erschreckend gewesen, wie sehr Bekka recht gehabte hatte, mit dem, was sie damals gesagt hatte. Er hatte etwas ändern müssen, sonst wäre es irgendwann mächtig schief gelaufen. Das Gröbste war vermieden worden, weil er seine geistige Gesundheit hatte bewahren können. Wäre er diesen Weg weitergegangen, wäre er irgendwann wahnsinnig geworden, da war er sich nun sicher. Dann hätte er sich, seiner Familie und seinem Rudel gefährlich werden können. Aber auch so war es bereits zu spät gewesen, um es unbeschadet zu überstehen. Denn die ganze Sache war bereits vor Jahren unmerklich mehr und mehr zur Katastrophe geworden, auch ohne den finalen Knall.

Connor hatte es also schon vor langer Zeit verbockt. Nun blieb ihn nichts anderes übrig als endlich das zu tun, was er vor Jahren hätte tun sollen. Er gestand sich ein, was er wollte, und rannte nicht mehr vor der Verantwortung weg. Sein neues Rudel konnte auf ihn bauen und er würde die Rolle als ihren Anführer völlig annehmen. Doch er machte sich nichts vor: sein neues Leben und somit sein neues Ich würden Bekka nicht gefallen.

Aber ein Zurück oder einen anderen Weg gab es nicht mehr – es gab nur gerade aus. Egal, wie sehr es ihn schmerzte, dass ihr dieser Weg nicht gefallen würde. Aber alles andere wäre eine Lüge. Das konnte er sich selbst und ihr auch nicht antuen.

„Was ist mit diesem Alpha des Rudels? Diesem Anthony?“, fragte sie und sah ihn über ihre Gabel hinweg an. Was Connor wieder aus seinen Gedanken holte. Ihr Anblick ließ ihn sich allerdings ebenfalls sorgen. Sie schien müde und blass, wie sie da vor ihm saß auf dem massiven Stuhl. Die rustikalen Möbel gefielen ihm, doch sie wirkte darauf verloren.

Bekka musste jetzt am Anfang des vierten Monats sein. War sie dafür nicht viel zu dünn? Ihre Wangen waren schmal und blass. Die Arme unter dem dünnen, weiten Pullover wie zarte Äste. Bekka war schon immer schmal gewesen, aber nun wirkte sie so zerbrechlich. Das konnte nicht gut sein. Weder für sie noch für das Kind. Er starrte finster auf ihren immer noch vollen Teller.

„Connor?“, fragte sie noch einmal.

Er seufzte und besann sich an ihre Frage: „Anthony ist noch da draußen. Schleicht in den Wäldern des Reviers rum, so dass sich die anderen nicht raus trauen. Ich kenn das Gebiet noch kaum. Und er ist ein gerissenes Arschloch, der mit wilden Vargs zusammenarbeitet, die ebenfalls kein Rudel hatten.“

Beim Reden stand er auf und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Nur das dieses pisswarm war, weil er sich nicht für dieses Haus interessierte und nie den Strom angestellt hatte. Aber glücklicherweise interessierte ihn auch nicht, was er aß und trank.

„Es ist irgendetwas vorgefallen, aber es gibt momentan unglaublich viele verwilderte Einzelgänger bei den Wilden. Immer wieder treffe ich halb ausgehungerte und wahnsinnige Vargs. Anthony hat einige zu seinem neuen Rudel gemacht und behandelt sie wie Sklaven. Was ihren Zustand noch verschlimmert – und für uns gefährlicher macht“, fuhr er fort.

Er konnte sehen, wie sie das verwirrte und besorgte. Ihre Gabel schwebte über dem Teller, aber sie aß nichts. Ihn machte das wahnsinnig nervös.

Bekka musste mehr essen! Er selbst hatte allerdings ebenfalls keinen Appetit, dabei konnte er sich gar nicht an sein letztes Essen erinnern.

„Uns… Also ist das jetzt wirklich dein Rudel?“, fragte sie mit zusammengezogenen Brauen und legte die Gabel endgültig beiseite. Er unterdrückte mit Mühe den Impuls, ihr die Gabel zu beladen und in ihren Mund zu schieben. Doch ihre braunen Augen musterten ihn seit ihrer Ankunft mit einer Vorsicht, die er nicht an ihr kannte. Die Art, wie sie ihn ansah, gefiel ihm überhaupt nicht. Mehrmals rang er den Wunsch nieder sein Gesicht abzuwenden, damit sie sein fehlendes Auge nicht mehr sehen konnte.

Als er sich vor gefühlten hundert Jahren schwerverwundet bemüht hatte, Jackson zu retten, hatte er alle angreifenden Vargs nach und nach getötet. Bis auf einen. Als dieser Varg losrannte, um Verstärkung zu holen, hatte Connor ihn verfolgt.

Was dann passiert war, wusste er nicht mehr. Aber er musste bewusstlos zusammengebrochen sein. Hätte sein neues Rudel ihn nicht gefunden, wäre er verblutet.  

Aber bei dem Auge hatten sie nichts mehr machen können, denn das Lid war dank seiner übermenschlichen Heilung bereits von allein an den Wundrändern zusammengewachsen. Die Krallen des Gegners mussten in der Augenhöhle erheblichen Schaden angerichtet haben, wenn es auf diese Weise verheilt war. Als er aufgewacht war, hatte ihn allerdings nicht wirklich interessiert, was mit seinem Auge war. Warum auch? Doch jetzt, wo Bekka hier war, bedauerte er, dass er sich darum nicht mehr gekümmert hatte.

„Connor?“, fragte sie.

Ihre Blicke trafen sich. Er hatte ihre Frage nicht vergessen und es machte keinen Sinn es nicht zu beantworten. Auch, wenn er nicht so schnell an diesen Punkt hatte kommen wollen.

„Ja, es ist mein neues Rudel. Und ich bin ihr Alpha“, stellte er unwiderruflich klar.

Und wie erwartet, hatte sie diese Information zusammenzucken lassen. Doch anstatt nun wie ein Wasserfall über ihn herzufallen, wie sie es früher getan hätte, starrte sie nur auf ihren Teller. Er konnte ihr ansehen, dass sie fieberhaft nachdachte. Doch offenbar hatte sie nicht vor, ihre Gedanken mit ihm zu teilen. Genauso wenig, wie sie etwas aß.

„Sag mir was du denkst, verdammt!“, fuhr er sie an, ehe er sich bremsen konnte. Zu sehr wollte er wissen, was sie darüber dachte.

Die Augenbrauen streng zusammengezogen sah sie zu ihm. „Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Sollte ich gratulieren? Dir… ich weiß es nicht. Ich fühle mich nur dumm. Es kommt mir so vor, als wären die wichtigsten Dinge über dich vor mir verbogen gewesen. Denn das hätte ich immer als unmöglich angesehen.“

Bitte, da hast du es! Du wolltest es ja hören.

Das rieb nur noch mehr Salz in seine Wunden. Er spürte regelrecht, wie die Verwandlung in ihm aufkam. Dabei hatte der Regen ihm gerade erst geholfen sich abzukühlen, als er zum Generator gelaufen war.

Zu viele Aggressionen. Und Enttäuschung. Seine Krallen fuhren aus.

„Ich habe nichts Wichtiges mit Absicht vor dir zurückgehalten. Und jetzt iss endlich!“, fuhr er sie hitzig an. „Ich hab es satt, dass du nur auf deinem Teller herumspielst.“

Jetzt funkelte sie endlich zu ihm hoch.

„Befielst

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alessandra Storm
Bildmaterialien: Alessandra Storm
Cover: Alessandra Storm
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2019
ISBN: 978-3-7487-0284-9

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