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Vorwort




Ich weiß nicht wo ich hin gehör
Ich weiß nicht was ich tun soll
Ich weiß nicht welche weg ich wählen soll

Ich sehne mich zurück in die alte Zeit
Da wo alles einfach war
Wo noch nichts kompliziert zwischen uns war
Wo wir einfach nur wir waren

Es war doch alles Mal so einfach anders als nun


Wieso ist das alles geschehen?
Wieso verfolgt er mich?
Wieso kann ich nicht hassen, wo ich sollte?
Wieso kann ich nicht lieben, wo ich sollte?

Alles ist so verdreht
Ich bin verwirrt
Find mich nicht mehr zurecht
Wo sind die alten Zeiten, in denen ich mich am besten zu Recht fand?

Der Neu Beginn









So hab ich mir Akascha vorgestellt


Akascha Sicht:

Es regnete wie aus Kübeln, wie konnte es auch anders sein?
Grummelnd und schrecklich missgelaunt stolperte ich in der Gegend herum. Ich versuchte mich krampfhaft daran zu erinnern, wo mein Onkel wohnte. Es war schon beinahe zehn Jahre her, seit ich zuletzt bei Devis gewesen war. Ich erinnerte mich noch sehr gut an ihn, obwohl ich vor zwei Jahren zuletzt von ihm gehört hatte. Seit mein Vater verstorben war
, um genau zu sein.
Egal, das tat nicht zur Sache. Ich musste ihn finden. Er war vielleicht das Ticket heraus. Heraus aus meinem gottverdammten Leben. Ich seufzte und blickte mich um. Ich erkannte so gut wie gar nichts, der Regen war einfach viel zu stark. Ich sah die Umrisse eines Hauses, welches sich als kleines Diner entpuppte. Eilig öffnete ich die Tür und bestellte mir prompt eine heisse Schokolade. Ich war völlig durch gefroren.
„Kann ich dir sonst noch etwas bringen?“, fragte mich der Kellner freundlich. Mein Magen begann laut zu knurren, als mein Blick auf die ausgestellten Sandwichs fielen, doch trotzdem versicherte ich ihm, dass ich keinen Hunger hatte. In Wahrheit hatte ich einfach kein Geld um mir auch noch Essen zu kaufen. Ich wühlte in meinen Taschen und fand einen zerknüllten Dollar sowie ein Feuerzeug. Viel mehr hatte ich ausser einigen Klamotten in einem Rucksack nicht dabei. Schon seit fünf Tagen war ich nun unterwegs. Ich musste Onkel Devis bald finden, sonst sah es übel für mich aus.

Nach einer vollen Stunde verliess ich widerwillig das warme und vor allem trockene Diner und begab mich wieder auf den Weg. Es war inzwischen dunkel geworden, nicht einmal der Mond schien zu scheinen. Ein wenig planlos lief ich in der Gegend herum und als ich gerade um eine Ecke bog, knallte ich mit voller Wucht gegen einen Typen.
„Autsch“, murmelte ich benebelt und hielt mir meinen Kopf. War dieser Typ etwa aus Granit? Mein Kopf drohte zu explodieren.
„Tut mir leid, ich hab dich nicht gesehen“, sagte dieser und sah mich dabei besorgt an. „Ist alles okay mit dir?“
Ich nickte nur und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Ich hatte einen extremen Schlafmangel, sowie unglaublichen Hunger und der Zusammenprall vorhin hatte mir bestimmt eine Gehirnerschütterung eingebracht. Okay, ich übertrieb wieder einmal masslos, doch mein Kopf tat wirklich höllisch weh.
„Bist du etwa aus Stein?“, stiess ich schliesslich hervor, meine Stimme klang wütender als beabsichtigt. Ich war einfach verflucht angepisst, obwohl das nicht an ihm lag.
„Tut mir leid“, sagte der Typ, seine Stimme klang allerdings keineswegs eingeschüchtert.
Ich runzelte verwirrt die Stirn. Normalerweise suchten die Leute sofort das Weite, wenn ich schlechter Laune war, was so gut wie immer der Fall war. Okay, nicht wirklich. Doch ich liess keinen Menschen nah an mich heran. Menschen verletzten einander, ob sie es nun wollten oder nicht!
Deshalb spielte ich die Gleichgültige, die Unnahbare.
„Passt schon“, erwiderte ich schroff.
Zum ersten Mal sah ich den Typen wirklich an. Er wirkte riesig! Seine Haare waren pechschwarz und sein Oberkörper war frei, was mich unglaublich nervte. Glaubte er etwa, er konnte Mädchen mit seinem Sixpack beeindrucken? Lächerlich. Auch wenn er ausgesprochen hübsch war, mich liess so etwas total kalt.
Erst nach einigen Augenblicken sah ich, dass er nicht alleine war. Ein schwarzhaariges Mädchen stand hinter ihm und starrte mich an. Sie wirkte arrogant und genauso gleichgültig wie ich.
Ich wandte mich, ohne weitere Worte zu verlieren, ab und lief davon, doch der Typ folgte mir.
„Hey, warte!“
„Lass sie, Jacob“, rief ihm das Mädchen hinterher.
Ich beschleunigte meine Schritte bloss noch, doch ich war so sehr geschwächt, dass er mich bald einholte.
„Warte doch!“, sagte er und zog mich am Arm zurück, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. „Ich bin Jake.“
Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten, doch seine Worte drangen nicht in mein Ohr. Ich hörte ein Rauschen, dass immer mehr zunahm und ich merkte, wie der Boden unter meinen Füssen nachgab.
Dann wurde alles schwarz.


„Uhh...“
Mein Kopf pochte. Ich schlug meine Augen auf und wusste nicht, wo ich mich befand. Panisch blickte ich umher. Wo zum Teufel war ich? Ich lag auf einem Bett, neben mir lagen einige Stücke Brot und ein Glas Orangensaft auf einem Teller. Ich rührte nichts davon an, auch wenn mein Magen förmlich danach schrie. Schlagartig kam mir alles wieder in den Sinn. Der Typ und dieses Zicke! Jacob, hatte sie ihn genannt. Hatte er mich hierher gebracht? Und, verdammt... War ich etwa ohnmächtig geworden? Ich stieg aus dem Bett und trat zur Tür. Der Typ stand davor und wollte wohl gerade nach mir sehen.
„Was soll das?“, schrie ich ihn an.
Er runzelte verwirrt die Stirn, was mich bloss noch wütender machte.
„Wieso hast du mich hierher gebracht?“
Das Mädchen trat neben ihn und ignorierte meine Frage.
„Du solltest essen, so abgemagert wie du bist. Und keine Sorge, ich habe es nicht vergiftet“, sagte sie schroff und fügte murmelnd hinzu: „Auch wenn ich den Gedanken hatte.“
Jacob warf ihr einen bösen Blick zu.
„Ich hab keinen Hunger, danke“, fauchte ich und nervte mich tierisch, als mein Bauch zu knurren begann.
„Natürlich“, sagte das Mädchen verächtlich.
„Fahr runter, Leah“, sagte Jacob und das Mädchen verschwand.
„Wie geht es dir?“
„Wo bin ich?“, entgegnete ich schroff.
Jacob seufzte und wies auf das Essen. Ich verstand den Wink und begann zu essen, während er erzählte.
„Du bist ohnmächtig geworden, deshalb haben wir dich mit zu mir genommen. Leah hat sich um dich gekümmert.“
Ich runzelte verwirrt die Stirn. Diese Zicke?
Jacob lachte leise. „Sie ist nicht so schlimm, wie du denkst.“
Natürlich nicht, dachte ich genervt.
„Du bist neu hier, oder? Wer bist du?“
Ich schluckte den letzten Bissen runter und sah ihn an.
„Akascha“, war meine einzige Antwort und Jacob nickte.
„Was tust du hier Akascha?“
„Ich suche meinen Onkel. Onkel Devis.“
„Der, der eine Autowerkstatt hat?“
Ich nickte und trank den Orangensaft in einem Zug halbleer.
„Ich kann dich hinbringen, wenn du willst.“
„Passt schon. Sag mir einfach die Adresse“, sagte ich abwehrend und stand auf. Jacob nannte sie mir und führte mich zur Haustür.
Ich wollte gerade gehen, als er mir hinterher rief: „Akascha , warte!
Ich blieb stehen und wandte mich um. Jacob kam auf mich zugelaufen.
„Falls du Hilfe brauchst...“
Oh, bitte nicht, dachte ich frustriert.
„Wie kommst du darauf, dass ich Hilfe brauche?“
Er sah mich vielsagend an. „Ich hab dich gestern halb verhungert auf der Strasse gefunden. Ausserdem, dein Gesicht...“
Ich wehrte sofort ab: „Lass gut sein, Jacob. Wir sehen uns.“
Ich wandte mich ab und lief davon. Als ich um die Ecke gebogen war, hielt ich an und atmete tief durch. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich mein Spiegelbild in einem Schaufenster eines Fischerladens: Mein linkes Auge war blau und geschwollen, meine Lippe blutig aufgesprungen und ich hatte einige Blutergüsse, sowie eine Platzwunde über der rechten Augenbraue, die vor gut sechs Tagen genäht wurde. Ich merkte, wie mir erneut Tränen in die Augen stiegen, als ich mir selbst gegenüberstand.
Wie gesagt, Menschen verletzten einander, ob sie nun wollten oder nicht...


„Hier muss es sein“, murmelte ich und trat in die kleine Werkstatt, die sich am Ende von La Push befand.
Meine Kopfschmerzen waren mittlerweile unerträglich.
Ich sah Onkel Devis bevor er mich bemerkte. Ich räusperte mich und mein Onkel wandte sich um. Als er mich sah machte er grosse Augen und schenkte mir ein fröhliches Lächeln, welches allerdings sofort wieder erstarb, als er mein Gesicht sah.
„Akascha...“, rief er entsetzt aus. Er sah noch immer genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Klein, mollig, mit dunklen Haaren und haselnussbraunen Augen.
„Hey, Onkel Devis“, krächzte ich und er schloss mich fest in seine Arme.
„Akascha...“, wiederholte er betreten, fing sich aber gleich darauf wieder. „Wie schön dich zu sehen. Was tust du hier?“
„Ich...“
Verdammt. Was sollte ich ihm erzählen? Ich konnte doch unmöglich sagen, dass ich vorhatte bei ihm zu bleiben. Aber wohin sollte ich denn sonst? Onkel Devis schien zu merken, was in mir vorging, denn er fragte freundlich nach: „Bleibst du für ein paar Tage?“
„Ich... Wenn es dir nichts ausmacht, Onkel Devis.“
„Aber woher denn? Du bist meine absolute Lieblingsnichte“, antwortete er zwinkernd. Ich lächelte, wobei es eher eine schmerzverzerrte Grimasse war. Onkel Devis sah mich mitleidig an. Ich hasste Mitleid. Das hatten nur Schwache nötig. Ich ganz bestimmt nicht!
„Ich bin deine einzige Nichte, Onkel Devis“, sagte ich bemüht fröhlich, um die Schmerzen zu überspielen. Es klappte, den er fing an zu grinsen.
„Na komm, meine Liebe. Ich bring dich nach Hause.“
Sein Haus lag direkt hinter der Werkstatt. Es sah noch genauso aus, wie vor zehn Jahren, mit dem einzigen Unterschied, dass der Rasen von Unkraut überwältigt worden war, die weisse Farbe jetzt eher einem schimmligen grau glich und die Fensterläden allesamt schief waren.
Onkel Devis schloss die Tür auf und wir traten in einen kleinen Gang. Im Haus war es gemütlich und ein wenig unordentlich. In der Spüle hatte sich einiges an dreckigem Geschirr gestapelt.
„Ähm... Tut mir leid, ich wusste nicht, dass ich Besuch kriege“, entschuldigte er sich verlegen.
Ich musste unwillkürlich grinsen. Es tat gut, endlich wieder einmal lächeln zu können. Unbeschwert, ohne Sarkasmus oder Sorgen, einfach nur glücklich vor sich hin lächeln zu können.
„Es ist perfekt“, sagte ich und meinte davon jedes Wort ernst. Es war lange her, seit ich mich irgendwo entspannen konnte, doch bereits nach wenigen Minuten in Onkel Devis Haus, fühlte ich, dass es mir hier gefallen könnte. Natürlich konnte ich nicht für immer hier bleiben. Vielleicht eine Woche oder so. Was dann aus mir wurde, keine Ahnung.
Ein Hund kam uns entgegen und schmiss sich beinahe in Onkel Devis Arme und leckte ihm das Gesicht ab. Jetzt musste ich erst richtig lachen. Es klang gut, mein Lachen. Ein wenig eingerostet, aber trotzdem war mir der vertraute Klang noch präsent.
Akascha, das ist Jack. Er ist mein treuster Gefährte.“
Ich kniete mich zu Jack runter und streichelte ihn liebevoll. Er schloss die Augen und genoss die Berührung sichtlich.
„Der ist ja süss. Ein deutscher Schäferhund, oder?“
Onkel Devis nickte und sah mir lächelnd zu, wie ich Jack über das schöne Fell strich. Als ich das bemerkte, räusperte ich mich und stand auf. Mein kleiner Gefühlsausbruch war mir peinlich.
So viel zum Thema, lass niemanden an dich heran, Akascha, dachte ich wütend.
„Ich muss leider wieder an die Arbeit, aber mach es dir ruhig gemütlich“, sagte er und wandte sich an die Tür, hielt allerdings nochmal inne. „Ach, und Akascha? Spring unter die Dusche und iss was, du bist viel zu mager.“
Ich nickte. Aus irgendeinem Grund gefiel mir die Fürsorge, die in seiner Stimme lag, überhaupt nicht. Ich konnte selber auf mich aufpassen. Ich brauchte niemanden.
Nichtsdestotrotz tat ich, was Onkel Devis von mir verlangt hatte. Allerdings machte ich es mir nach der Dusche nicht gemütlich, sondern wusch das ganze dreckige Geschirr ab. Eigentlich hatte Onkel Devis eine Spülmaschine, doch ich zog es vor, die einzelnen Dinge von Hand abzuwaschen. So war ich beschäftigt und war nicht gezwungen, über meine derzeitige Situation nachzudenken. Davon kriegte ich bloss noch heftigere Kopfschmerzen. Als ich das Haus blitzblank geschrubbt hatte, machte ich es mir vor dem Fernseher gemütlich und zog mir irgendeine Sendung auf MTV rein.


Der Duft von Essen liess mich aufschrecken.
Mist, war ich etwa eingeschlafen?
Torkelnd ging ich in die Küche, wo Onkel Devis gerade das Essen auf den Tisch stellte.
„Ah, du bist wach. Ich hab uns Lasagne gemacht, dein Lieblingsessen.“
Ich blickte hungrig auf die Lasagne, was Onkel Devis leider bemerkte.
„Sag bloss, du hast heute noch nichts gegessen, wie ich es dir gesagt habe!“
„Doch, doch, aber nach fünf Tagen hungern, könnte ich wohl zwanzig Pferde essen.“
Onkel Joe wirkte für einen Moment geschockt und ich biss mir auf die Lippe. Eigentlich wollte ich nicht davon anfangen, wenigstens nicht jetzt.
Wir assen schweigend, nur das Klirren unseres Bestecks war zu hören.
Schliesslich räusperte sich Onkel Devis und ich blickte von meinem Teller auf.
„Akascha, ich... Ich will dich wirklich nicht drängen, aber ich muss wissen was geschehen ist.“
Oh Mann! Kann ich nicht einmal in Ruhe gelassen werden?
Ich seufzte und legte meine Gabel weg, obwohl mein Magen nicht einmal halb gefüllt war. Wie sollte ich ihm das beibringen? Ich hatte absolut keine Lust, wieder in der Vergangenheit herum zu stochern. Ich wusste, dass ich von meinem Leben davonrannte, doch es war mir egal.
„Ich kann nicht zurück, Onkel Devis.“
Meine Stimme war nicht mehr als ein Wispern, doch ich wusste, dass er mich hörte.
Einige Minuten sah er mich nur schweigend an, schliesslich seufzte er.
„Du bist hier immer willkommen, das weisst du. Doch es gibt gewisse Regeln, Akascha.“
„Ich tue alles“, platzte ich heraus. Mein Herz pochte wild.
Onkel Devis verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du bist zu einer vernünftigen Uhrzeit zu Hause, du hilfst im Haushalt und du besuchst die Schule, jeden einzelnen Tag. Der Direktor ist ein Freund von mir. Ich werde also wissen, wenn du schwänzt. Ausserdem wirst du morgen zum Arzt gehen. Dein Gesicht sieht wirklich schlimm aus.“
Ich nickte. Damit konnte ich leben.
„Dann rufe ich ihn mal an und melde dich für die Schule an.“
Er erhob sich und mir fiel vor Erstaunen die Kinnlade runter. „Das wars?“, fragte ich völlig verwirrt. „Du willst nicht wissen, wieso ich hier bin? Oder Mum um Erlaubnis bitten, dass ich hier wohnen darf?“
All dies sprudelte mir nur so aus dem Mund und ich hätte mich dafür ohrfeigen können. Ich war gerade dabei, mein kleines Glück zu zerstören.
„Die Tatsache, dass meine Nichte völlig abgemagert und mit schlimmen Wunden völlig unangekündigt bei mir auftaucht, ist für mich Grund genug, nicht weiter zu hacken. Doch falls du darüber reden willst, Akascha, bin ich da. Aber erst mal habe ich ein Telefonat zu führen.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und liess mich völlig verdutzt zurück. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hoffte bloss inständig, dass Onkel Devis meiner Mutter nicht sagte, wo ich war. Die konnte ruhig einmal ein wenig Angst um mich haben. Obwohl sie, wie ich bitter dachte, wohl nicht einmal bemerkt hatte, dass ihre 17-jährige Tochter abgehauen war.
Ich spülte das Geschirr ab und schaute noch eine Sportsendung mit meinem Onkel. Allerdings wurden die Kopfschmerzen immer heftiger und da ich nicht wollte, dass Onkel Devis davon Wind bekam, legte ich mich schlafen. Ich schlief in einem kleinen Zimmer direkt unter dem Dach, wo ausser einer kleine Kommode, einem Schreibtisch und einem Bett nichts vorzufinden war. Das Zimmer war leer, es wirkte unbewohnt, ohne Bilder und Farben. Ich schmiss meinen Rucksack in eine Ecke und machte mir nicht einmal die Mühe auszupacken. Auch wenn Onkel Devis gesagt hatte, ich konnte bleiben, brachte ich es nicht über mich. Falls er mich nach einigen Tagen doch rausschmiss, hätte ich mich nicht zu sehr eingelebt und wäre daher auch nicht allzu enttäuscht. Lächerlich, so zu denken, aber was blieb mir anderes übrig? Ich hätte diese siebzehn Jahre niemals überlebt, wenn ich mich nicht so abgeschottet hätte. Und ich hatte mir fest vorgenommen, niemals jemanden an mich ran zulassen. Sichtlich zufrieden über diese Einstellung schlief ich ein.


Ein stechender Schmerz machte sich in meinem Kopf bemerkbar, als ich am nächsten Tag aufwachte. Ich stand auf und torkelte aus dem Zimmer. Ich sah doppelt und alles schien sich zu drehen. Verdammt, ich hasste es, wenn ich meinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. Für mich war das ein Zeichen der Schwäche.
Gerade als ich die erste Stufe erreicht hatte, wurde alles pechschwarz.
Nicht schon wieder, dachte ich und verlor das Bewusstsein.


„Akascha, kannst du mich hören?“
Ich schlug die Augen auf und sah in schöne, goldene Augen. Verwirrt versuchte ich, mich aufzusetzen, wurde aber von sanften, kalten Hände zurück ins Kissen gedrückt.
„Wo bin ich?“, krächzte ich.
„Im Krankenhaus, ich bin Dr. Cullen“, sagte der Arzt. Er war ungewöhnlich bleich und gleichzeitig hübsch.
„Was hat sie denn nun, Dr. Cullen?“, fragte mein Onkel, der neben mir auf einem Stuhl sass. Er wirkte ebenfalls blass und ausserdem unglaublich besorgt. Fast hätte ich bei seinem Anblick aufgelacht. Es war unglaublich komisch, dass sich jemand Sorgen um mich machte.
„Aufgrund der Mangelernährung in den letzten Tagen und dem extremen Schlafmangel, hatte sie einen Kreislaufkollaps. Das ist nicht weiter schlimm, doch sie sollten sie für die nächsten Tage ein wenig aufpeppen. Hast du Kopfschmerzen?“, fragte er an mich gerichtet.
Ich zuckte mit den Achseln.
„Du hattest vor nicht allzu langer Zeit eine Gehirnerschütterung, kann das sein?“
Ich blickte ihn finster an. Ich hasste Ärzte.
„Vor einer Woche, ja.“
Er nickte auf diese typische wusst-ichs-doch-gleich-Art-und-Weise, die ich einfach nicht ausstehen konnte.
„Schon dich dieses Wochenende.“
Ich runzelte die Stirn. Dieses Wochenende? Was war heute eigentlich für ein Wochentag?
„Kann ich sie kurz sprechen?“, fragte Dr. Cullen meinen Onkel und gemeinsam gingen sie nach draussen. Nach einigen Sekunden war mir klar, dass ich keine Sekunde länger hier blieb, deshalb zog ich meine Kleider an und öffnete die Tür. Ich hielt allerdings inne, als ich die gedämpften Stimmen der beiden Männer hörte.
„Ihre Verletzungen sind sehr schwer, Mr Hamilton. Einige davon sind Wochen alt, andere wiederum nicht mehr als sechs Tage.“
„Sie hatte es nicht leicht in letzter Zeit“, antwortete mein Onkel.
„Das mag sein, doch weglaufen ist keine Lösung. Sie muss sich ihren Problemen stellen.“
„Ich verstehe. Ich hätte das wissen müssen.“
Ich huschte an den beiden vorbei. Ich hatte genug gehört. Onkel Devis wollte mich wieder zurückschicken. Zurück zu Mum und diesem Idioten Damien. Zurück in meine ganz private Hölle...

Ein ganz normaler Alltag



Akascha sicht:

Der ganz normale Alltag
Onkel Devis kam geschlagene zwanzig Minuten nach mir an. Ich hörte, wie er die Tür zuschlug, als ich gerade einige Wasserflaschen aus dem Keller holte. Ich würde ganz sicher nicht zurück nach Hause gehen! Wohin ich gehen würde, wusste ich selbst nicht, doch es war überall besser als dort.
„Akascha , bist du da?“
Ich beachtete meinem Onkel nicht weiter, auch dann nicht, als ich ihn in der Küche antraf.
„Wo willst du hin?“, fragte er mich, als sein Blick auf meinen Rucksack und die Wasserflaschen fiel.
„Weg“, erwiderte ich knapp.
„Was? Ich verstehe nicht.“
Ich merkte, wie die Wut in mir hochkochte. Was sollte das denn jetzt?
„Ich wollte doch bloss das Beste für dich, Akascha .“
Jetzt musste ich mich wirklich zusammenreissen, um ihm keine zu scheuern. Wütend wandte ich mich in seine Richtung und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Das Beste für mich?“, zischte ich und funkelte ihn dabei wütend an. „Du glaubst, wenn du mich zurück zu Mum und... und Damien schickst, tust du mir damit einen Gefallen?“
„Ich würde dich niemals zurückschicken“, brummte er bestimmt, was mich laut auflachen liess. Meine Rippen schmerzten, der Sturz von letztens machte sich bemerkbar. „Natürlich nicht! Ich hab dich gehört, Onkel Devis ! Du und dieser Arzt, ihr habt darüber geredet! Also, wage es ja nicht mich anzulügen!“
„akascha ", sagte mein Onkel beruhigend und kam einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück. „Egal was du gehört hast, so war das nicht gemeint. Du brauchst Hilfe, Akascha .“ Ich blickte ihn verwirrt an. „Professionelle Hilfe“, fügte er vorsichtig hinzu. Ich begriff seine Worte erst nach einigen Augenblicken.
„Du meinst, einen Seelenklempner?“
Ich konnte nicht anders, ich begann schallend zu lachen. Meine Rippen schmerzten unerträglich, doch es war mir egal. Onkel Devis wollte mich gar nicht wegschicken! Okay, von der Idee mit dem Hirnklempner war ich nicht gerade begeistert, aber ich würde alles dafür tun, damit ich nicht zurück nach Hause musste.
„Ich weiss nicht, was daran lustig sein soll, aber -“
Ich umarmte ihn, immer noch lachend und versprach ihm sogar, zu einer Psychotante zu gehen, wenn er mich dann in Ruhe liess. Immer noch grinsend liess ich einen höchst irritierten Onkel in der Küche zurück.
Glücklich und zufrieden, schlief ich in dieser Nacht zum ersten Mal seit langem tief und fest. Endlich schien das Glück einmal auf mich herabzuregnen...


Mist, Mist, Mist! Das durfte ja nicht wahr sein! Erster Schultag und ich hatte prompt verschlafen. Ich zog mir schnell eine schwarze Jeans und ein rotes T-Shirt über und sauste nach unten. Ich rannte in das kleine Badezimmer, welches sich im Untergeschoss befand und tuschte meine Wimpern mit der einzigen Wimperntusche, die ich mitgenommen hatte. Schliesslich stürmte ich in den Gang. Wie meine Haare aussahen, wollte ich gar nicht wissen. Ich zog meine Schuhe, schnappte mir ein Toast und stürmte nach draussen. Onkel Devis war bereits in der Werkstatt und ich hoffte, dass ich mich an ihm vorbei schleichen konnte. Den Schulbus hatte ich natürlich längst verpasst, deshalb rannte ich den Weg zur Schule. Als ich endlich den Schulhof erreichte, war die Stunde schon längst in vollem Gange.
Na super, dachte ich. Schon am ersten Tag musste ich die Aufmerksamkeit auf mich ziehen. An der Tür angekommen stiess ich beinahe wieder gegen Jacob. Doch halt! Es war nicht Jacob, auch wenn dieser Typ ihm unwahrscheinlich ähnlich sah. Er hatte etwas hellere Haare als Jacob, aber mindestens genauso viele Muskeln wie er. Seine Augen hatten die Farbe von flüssiger Schokolade. Seine Lippen waren voll und standen leicht offen. Er war hübsch, kein Zweifel, doch ich interessierte mich nicht für Typen. Die waren doch alle gleich. Glaubten sie wären alle etwas besonderes. Egal, ich glaubte nicht an Beziehungen, an Liebe schon gar nicht.
„Pass gefälligst auf“, zischte ich und wollte die Tür öffnen, doch er hatte seine Hand immer noch auf der Türklinke und machte keinerlei Anstalten, sie von dort wegzuziehen. Ich blickte ihm wieder ins Gesicht und hielt in meiner Bewegung inne. Er starrte mich an. Nein, falsch, er konnte die Augen nicht von mir lassen. Verwirrt drehte ich mich um, aber da war nichts, was er hätte anstarren können, ausser mir. Der Typ sagte kein Wort sondern blickte mich nur an. In seinen Augen lag eine Spur von Verwirrtheit und Erstaunen.
„Ähh...“, sagte ich und war ebenfalls verwirrt. Hatte ich etwa Marmelade im Gesicht oder wieso glotzte er so dämlich?
Endlich räusperte sich der Typ und öffnete die Tür. „Entschuldige“, sagte er und seine Stimme klang tief und ruhig. Er hielt mir die Tür auf und starrte mich weiterhin an. Mir war das ein wenig unangenehm, wenn jemand meine Wunden und Prellungen so offenkundig anglotzte, doch ich liess mir wie immer keinerlei Gefühlsregung anmerken.
„Tut mir leid“, wiederholte der Typ.
Ich blickte ihn an und unsere Blicke trafen sich sofort. Für einige Momente schwiegen wir, bis ich mich schliesslich wieder fing. „Passt schon“, sagte ich wie immer völlig monoton. „Ich muss dann mal weiter.“ Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier. Das Ganze war mir unangenehm und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte.
„Ja, ich... Ich auch“, sagte der Typ, starrte mich aber weiterhin unentwegt an.
Sein Blick folgte mir, als ich eilig davonlief. Ich rannte den restlichen Weg zum Sekretariat, wo mich die Empfangsdame ein wenig missgelaunt anblickte, weil ich viel zu spät war. Sie führte mich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, den Gang entlang zu meiner ersten Stunde. Sie klopfte kräftig an die Tür und trat ein.
„Mr Ames, die Neue.“
Ich schnaubte verächtlich und trat ein. Alle Blicke waren sofort auf mich gerichtet. Ich kam mir vor wie ein Affe im Zoo. Einige beäugten mich entsetzt, andere beinahe ehrfürchtig. Mein Anblick musste trotz des Stresses heute morgen, einschüchternder sein, als von mir erwartet. Gut so. Vielleicht würden sie mich so in Ruhe lassen.
Ich machte keinen Hehl daraus, wie sehr ich es hier bereits verabscheute. Ich wollte mich einfach in die hinterste Ecke setzen und unsichtbar machen, so wie ich es immer tat. Ich hatte keine Angst vor anderen, doch ich fand jegliche Konversationen aller Art einfach nur Zeitverschwendung. Die Frau, die mich gebracht hatte, schloss gerade die Tür hinter sich, als Mr Ames sich mir zu wandte: „Nun denn, Miss Hamilton, würden sie sich bitte vorstellen?“

Ich seufzte genervt auf. Nicht das noch! Doch ich beschloss, es mir nicht auf Anhieb beim Lehrer zu verbocken, das würde mir nur das Leben unnötig schwer machen. „Ich bin Akascha. Ich komm aus Jacksonville und wohne bei meinem Onkel.“
„Jacksonville? Das ist gar nicht so weit entfernt. Wieso bist du weggezogen?“
Ich blickte mich nach dem Mädchen um, welches diese Frage gestellt und konterte scharf: „Ich hab jemanden umgebracht, weil er zu viele Fragen gestellt hat.“
Das Mädchen zuckte sichtlich zusammen.
„So, ich glaube das reicht. Miss Hamilton, setzen sie sich doch bitte neben Miss Clearwater, da hinten auf den freien Platz.“
Ich zuckte mit den Achseln und setzte mich auf den freien Platz. Einige der Klasse raunten angeregt miteinander, doch ich beachtete sie nicht und sah stur nach vorne. Erst jetzt sah ich, wer meine Nachbarin war. Es war diese Oberzicke von letztens. Diese Leah. Schwer zu sagen wer missgelaunter war. Auf jeden Fall waren wir beide nicht sonderlich glücklich darüber, dass wir für den Rest des Schuljahres nebeneinander sitzen mussten. Und das ausgerechnet in meinem absoluten Hassfach! Ich würde mich mächtig blamieren, soviel stand fest.
Der erste Schultag war schon jetzt eine reinste Katastrophe .

Am Ende kann man gar nicht anders




Akascha Sicht:

„Noch Fragen?“, fragte Mr Ames und blickte in die Runde.
Ich sah auf die Uhr, wie mir schien, bereits zum hundertsten Mal. Diese Stunde zog sich einfach endlos. Und zu allem Übel hatte uns Mr Ames jetzt auch noch eine Partnerarbeit auf gebrummt. Es war wohl nicht nötig zu erwähnen, dass ich meine reizende Sitznachbarin als Partnerin hatte. Ich wusste überhaupt nicht, worum es bei dem Projekt ging. Irgendetwas über einen physikalischen Versuch, den wir der Klasse vorführen und beweisen sollten.
Widerwillig wandte ich mich meiner Partnerin zu, doch sie beachtete mich nicht. Stattdessen kritzelte sie angeregt in ihrem Heft herum. Erst nach einigen Minuten hob sie den Blick und warf mir das Heft vor die Nase.
„Was ist das?“, fragte ich genervt.
„Den Versuch, den wir vorstellen werden“, konterte Leah nicht weniger gereizt.
„Und wieso glaubst du, dass ich damit einverstanden bin?“, ich zeigte auf ihr Heft.
„Hast du ne bessere Idee?“
Nein, natürlich hatte ich die nicht.
„Dachte ich mir“, meinte sie hochnäsig.
Ich konnte sie einfach nicht ausstehen!
Zu meinem Glück klingelte es im gleichen Moment und ich stürmte nach draussen, ohne die Blicke der anderen zu beachten.
An diesem Tag hatte ich noch eine Doppellektion Biologie, Englisch und Mathematik. In den Pausen hing ich in einer Ecke auf dem Schulhof herum. Niemand beachtete mich, was auch mein Ziel gewesen war. Ich konnte mich unsichtbar machen, wenn ich es darauf anlegte.
Endlich war der Tag zu Ende und ich machte mir nicht einmal die Mühe, den Schulbus zu erwischen. Ein kleiner Spaziergang würde mir guttun und ausserdem brauchte ich eine Auszeit von all diesen Menschen.
Ich lief an einer Horde Schüler vorbei und mein Körper verkrampfte sich, als ich meinen Namen hörte.
„Akascha!“
Ich drehte mich zu der Stimme um und sah Jacob inmitten der Schülergruppe. Er winkte mir freudig zu.
Meine Alarmglocken erklangen sofort. Ich mied Freundeskreise. In Gruppen fühlten sich die meisten Idioten viel sicherer, als alleine. Wohin das führte, konnte man sich ja selber ausmalen. Jacob winkte mich immer noch zu sich, woraufhin ich einen schnellen Blick auf seine Freunde warf. Sie waren alle riesig und muskulös, mit dunklen Haaren.
Widerwillig trat ich vor. Leah stand neben Jacob und hatte die Arme verschränkt, wie sie es, wie ich festgestellt hatte, immer tat.
„Nicht so schüchtern“, sagte Jacob aufmunternd.
Musste der Typ etwa immer grinsen?
„Wusste gar nicht, dass du hier zur Schule gehst. Bleibst wohl länger als erwartet, was?“
Ich entspannte mich ein bisschen, da seine Freunde mich nicht einmal zu bemerken schienen und nickte.
„Cool, dann musst du heute unbedingt mit uns zum Strand kommen.“
Leah war einen Moment lang so geschockt, dass sie vollständig vergass, ihren gewohnt gleichgültigen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
„Ähh, passt schon, Jacob. Aber danke.“
„Ja, Jacob, passt schon“, äffte mich Leah nach. „Was soll der Scheiss?“, giftete Leah.
„La Push ist jetzt ihr Zuhause. Da würden ihr ein paar Freunde sicherlich nicht schaden“, erklärte ihr Jacob seufzend. Es schien ihn sichtlich anzustrengen, nett zu Leah zu sein. Ich konnte es ihm nicht verübeln, mir ging es genauso.
Ich hatte absolut keine Lust, mit diesen Typen am Strand rumzuhängen, aber die Tatsache, dass es Leah noch weniger behagte, war einfach zu verlockend.
„Gerne“, sagte ich breit grinsend und sah in den Augenwinkeln, wie Leah genervt die Augen verdrehte.
„Cool, wir treffen uns dann heute Abend am Strand, gegen acht?“
Ich nickte und winkte zum Abschied. Den ganzen Weg zurück nach Hause lächelte ich breit.

Um zehn vor acht verliess ich schliesslich das Haus meines Onkels. Ich wagte es immer noch nicht, es mein Haus zu nennen.
Mein Onkel war begeistert von der Idee gewesen, dass ich mit meinen neuen 'Freunden' zum Strand gehen würde. Er freute sich riesig für mich und grinste zum Abschied breit. Ein bisschen genervt, verdrehte ich die Augen. Es war ja nicht so, als ob ich wirklich dorthin wollte. Ich wusste ehrlich gesagt nicht einmal, wieso ich es tat. Und trotzdem verliess ich das Haus und machte mich zu Fuss auf den Weg zum Strand.
Ich konnte Jacob und seine Freunde schon von einer gewissen Entfernung sehen. Als ich mich zu ihnen gesellte, baute sich Jacob grinsend vor mir auf. Mann, war der riesig! Würde er nicht immer so dämlich grinsen, hätte man bestimmt Angst vor ihm.
„Hey, Akascha.. Schön, dass du hier bist. Komm, ich stell dir einige vor.“
Jacob führte mich durch die Runde und sagte mir die Namen, während er auf die betreffenden Personen wies. Ich nickte ihnen zu und versuchte mir die Namen zu merken. Seth, Jared, Kim, Sam, Emily.
Unauffällig hielt ich nach dem Jungen von heute Morgen Ausschau, konnte ihn aber nicht entdecken. Merkwürdigerweise enttäuschte mich das ein bisschen.
„Hol dir einfach was zu trinken, wenn du möchtest“, sagte Jacob und riss mich damit aus den Gedanken. Ich nickte und lächelte ihm schwach zu. „Danke, Jacob.“
Er lachte herzlich. „Nenn mich Jake.“
„Hey, Jake!“
Seth kam lachend auf ihn zu gerannt und die beiden begannen miteinander zu kämpfen. Ich wandte mich ab und lief zu den Getränken. Ich nahm mir gerade ein Bier und erschrak sichtlich, als eine Stimme dicht hinter mir sagte: „Du bist also doch gekommen.“
Ich drehte mich um und sah, wie Leah mich argwöhnisch musterte.
„Leah“, sagte ich knapp und machte mich daran die Flasche zu öffnen, doch es war kein Flaschenöffner zu sehen. Ich hörte wie Leah ein belustigtes Geräusch von sich gab.
„Was ist?“, fragte ich gereizt und sah sie an. Sie zuckte mit den Achseln und streckte mir die Hand entgegen. Widerwillig gab ich ihr die Flasche. Leah öffnete sie mit ihren Zähnen und ich konnte nicht verhindern, sie ein wenig neidisch anzugucken. Sie reichte mir die Flasche und grinste schelmisch.
„Danke“, sagte ich knapp und nahm einen grossen Schluck. Emily und einer dieser Typen, ich glaube, Jacob hat ihn als Sam vorgestellt standen etwas abseits von uns. Emily, die trotz ihrer Narben unglaublich hübsch war, kicherte und Sam küsste sie stürmisch. Ich hörte, wie Leah laut die Luft einzog. Ich sah sie an und stutzte einen Moment. Leah sah gekränkt aus. Fast so, als ob sie den Anblick der Beiden nicht ertragen konnte. Als sie bemerkte, dass ich sie anstarrte, verhärtete sich ihre Miene zusehend und sie wandte sich ab.
„Leah?“, fragte ich vorsichtig. „Ist alles... okay?“
„Mir geht es gut. Oder um es mit deinen Worten auszudrücken, Akascha: passt schon.“
Und sie stapfte davon. Ich blickte abwechselnd zu Leah und wieder zurück zu Sam und Emily. Ich fragte mich, was zwischen ihnen vorgefallen war.
„Schaut mal, wer da kommt!“, rief Jacob und rannte zu zwei Typen, die gerade den kühlen Sand betraten. Einer von ihnen erkannte ich sofort. Es war der Junge von heute. Der, mit dem ich beinahe zusammen geknallt war. Ich wandte mich ab, bevor er mich sehen konnte. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht mit ihm reden. Eigentlich wollte ich mit niemandem reden. Doch allein sein wollte ich auch nicht. Dann hatte ich zu viel Zeit zum Nachdenken und das war das Letzte, was ich im Moment brauchte. Ich ging den Strand entlang und sog die salzige Meeresluft in meine Lungen. Ich blieb stehen und sah zu, wie die Wellen gegen die Brandung schlugen. Ich lächelte über die stürmische Flut, die ich so sehr liebte und schlang die Arme um meinen Körper. Es war kühl hier draussen, doch ich genoss es.
Jemand räusperte sich neben mir und ich hörte sofort auf zu lächeln. Ich wandte mich um und sah ihn. Diesen Jungen, dessen Namen ich immer noch nicht kannte. Er hatte eine Hand in seiner Jeans vergraben und kratzte sich mit der anderen nervös am Nacken. Genau wie Jacob es immer tat, lächelte jetzt auch er und seine perfekten Zähne kamen dabei zum Vorschein.
Unwillkürlich musste auch ich lächeln, was mich ein wenig irritierte.

„Hey, Ich glaube, ich hab mich noch nicht vorgestellt“, sagte er mit seiner tiefen und ruhigen Stimme.
„Und?“, fragt ich ihn.
„Was denn?“, erwiderte er grinsend.
„Du wolltest dich vorstellen“, meinte ich irritiert und zog eine Augenbraue nach oben.
„Wollte ich das?“, sagte er und ich blickte ihn dümmlich an, weil ich nicht verstand, was hier gerade lief. Als er schliesslich anfing zu lachen, konnte auch ich mich nicht zurückhalten.
„Was?“, sagte ich verwirrt. Ich kapierte nichts mehr.
„Ich hab gesagt, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Nicht, dass ich es tun wollte.“
Ich lächelte, riss mich aber gleich wieder zusammen. Ich durfte keinen an mich heranlassen. Ich hätte nicht herkommen sollen. Und vor allem sollte ich mich nicht darüber freuen, einen Jungen zu sehen, den ich überhaupt nicht kannte.
Ich wandte mich um und ging zum Lagerfeuer, welches inzwischen entstanden war.
„Hey, warte! Wo willst du denn hin?“, fragte er belustigt und holte mich ein.
„Ich rede nicht mit Fremden. Und da du für mich einer bist...“
„Daran kann man was ändern“, liess er anmerken und lachte.
Er baute sich vor mir auf und zwang mich so, stehen zu bleiben.
„Wie ist dein Name?“, fragte er mich und sein spielerisches Lächeln verschwand. Er sah mich interessiert an und wartete auf meine Antwort, dieses mal ganz ernst.
„Akascha “, sagte ich nach einer Weile und seufzte.
„Akascha “, murmelte er nickend und lächelte.
„Er klingt auch nicht schöner, wenn du ihn wiederholst“, sagte ich.
Er lächelte noch breiter, was mich für einen Moment aus der Bahn warf. Normalerweise merkten die Leute, wenn ich nicht mit ihnen reden wollte, doch dieser Typ schien das einfach völlig zu ignorieren. Nein, es schien sogar so, als ob er mit mir reden wollte, was ich noch merkwürdiger fand.
„Da hast du wohl Recht“, erwiderte er.
„Hey, Mann! Komm endlich!“, rief Jake dem Typen zu.
Der Junge lächelte mir noch kurz zu und wandte sich dann langsam ab.
„Hey!“, rief ich ihm hinterher. Verdammt, wieso tat ich das?
Er drehte sich wieder zu mir um und blickte mich fragend an.
„Ich hab dir meinen Namen gesagt. Jetzt bist du dran.“
Kopfschüttelnd lächelte er wieder und vergrub seine Hände in den Hosentaschen.
„Embry“, sagte er schliesslich und blickte mir dabei tief in die Augen.
„Embry“, murmelte ich gedankenverloren.
„Er klingt auch nicht schöner, wenn du ihn wiederholst“, sagte Embry und ich lächelte schwach. Dieses Wortspiel fing mir an zu gefallen. „Na komm, wir spielen ne Runde Fussball.“


Okay, ich spielte nicht wirklich mit. Meine Rippen liessen das einfach nicht zu. Doch ich sah zusammen mit Emily und Kim zu, was mindestens genauso spannend war. Die beiden Frauen kannten die Jungs unglaublich gut und auch ich lernte bald mehr dazu.
Seth war sozusagen Jakes Liebling, die beiden waren wie Brüder. Ich war ein Einzelkind, ich hatte diese Geschwisterliebe nie verstanden. Und doch versetzte mir der Anblick von Jake und Seth einen kleinen Stich in die Brust.
Sam war der Älteste und auch ganz klar der Anführer. Ich hatte bis jetzt kein einziges Wort mit ihm gewechselt und wusste nicht, wie ich ihn einschätzen sollte.
Paul war der Temperamentvollste von allen. Er geriet leicht in Rage, doch die Jungs kümmerten sich nicht sonderlich darum. Jared erschien mir als liebenswert und bereits nach fünf Minuten wusste ich, dass Kim ihn unglaublich liebte.
Und Embry... Ich hatte keine Ahnung was ich von ihm halten sollte. Von allen hier, war er mir das grösste Rätsel. Ich ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte und jedes Mal, wenn sich unsere Blicke trafen, was so ziemlich alle paar Sekunden geschah, wandte ich mich hektisch ab. Embry schien mich zu mögen, auch wenn ich ihm überhaupt nicht Grund dazu gab. Mir schien es, als ob er mich schon mochte, bevor ich überhaupt ein Wort mit ihm gewechselt hatte. In seinem Blick lag etwas, dass mir ein Kribbeln verursachte. Versteht mich nicht falsch, ich war nicht verliebt in ihn oder so was. Ich glaubte nicht an Liebe. Das war Fantasie. Ein Hirngespinst, entsprungen aus der Idee von Liebe. Menschen wollten geliebt werden, deshalb redeten sie sich selbst ein, andere zu lieben. Wie gesagt, ich glaubte nicht daran. Und trotzdem tröstete es mich, zu sehen wie Embry mich ansah. Mich hatte noch nie jemand auf diese Art angesehen. Nicht einmal meine Mutter. Gleichzeitig verstörte es mich auch. Ich durfte einfach nicht zulassen, dass meine Schutzwand abbröckelte. Ich durfte nicht!


„Embry kann die Augen ja fast nicht von dir lassen!“, rief Emily laut aus und lachte.
Sie riss mich dabei völlig aus den Gedanken.
„Quatsch“, wehrte ich heftig ab und war froh über die Dunkelheit. Ich glaube nämlich, dass ich ein bisschen rot wurde. Mann, wie peinlich!
Doch wie um Emilys Worte zu unterstreichen, sah Embry wieder zu mir hinüber.
Nun lachte auch Kim. „Das kann ja noch spannend werden“, sagte sie und lächelte mir liebevoll zu.
Meine innere Stimme meldete sich sofort zu Wort. Sie warnte mich. Hier geschah gerade etwas, was ich um jeden Preis verhindern musste. Ich konnte nicht ein Teil ihres Freundeskreises werden, das ging nicht.
„Da gibt es nichts spannendes“, wehrte ich wieder heftig ab und versuchte, meine Wut zu kontrollieren. „Da wird nichts laufen.“
„Das glaubst du. Doch am Ende kann man gar nicht anders“, flüsterte Emily und sah dabei Sam verträumt an.
Was zum Henker lief hier? Und was meinte Emily damit? Ich merkte, wie mir alles ein wenig zu viel wurde. Es bereitete mir Kopfschmerzen.
Ich stand auf.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Kim.
„Ich muss nach Hause.“ Eilig setzte ich mich in Bewegung.
„Akascha !“ Es war Emily, doch ich beachtete sie nicht weiter. Ich musste nur noch weg.
Ich wusste, dass Embry mir hinterher sah, doch ich war zu feige, um mich noch einmal umzudrehen. Stattdessen rannte ich den ganzen Weg nach Hause, beachtete Onkel Devis nicht weiter und knallte die Tür zu meinem Zimmer zu.
In dieser Nacht weckte mich ein Heulen. Ein Wolfsgeheul. Es tröstete mich seltsamerweise. Durch das Heulen fühlte ich mich nicht ganz so einsam und als ich wieder einschlief, träumte ich von Embry und ich sah Emily, die immer wieder die gleichen Worte wiederholte: Am Ende kann man gar nicht anders...

Nicht ich selbst!



Akascha Sicht:

Ich erwachte mit einem steifen Nacken.
Seufzend setzte ich mich auf und eine geschlagene Minute streckte ich meine Muskeln. Grummelnd stand ich auf und tappte ins Badezimmer. Ein wenig schlaftrunken sprang ich unter die Dusche und schminkte mich danach dezent. Ich verliess das Haus, bevor Onkel Devis wach war. Ich hatte keine Lust darauf, mit ihm zu reden. Er würde sich über gestern erkundigen und ich konnte ihm darüber nichts sagen. Der gestrige Abend jagte mir immer noch einen Heidenangst ein. Es war das erste Mal seit Jahren, dass ich meine Barriere durchbrochen hatte. Ich wusste einfach nicht was in mich gefahren war! Doch ich war fest entschlossen, daran etwas zu ändern. Vielleicht war ich einfach immer noch zu geschwächt gewesen oder vielleicht lag es an der neuen Umgebung, dass ich mich so schwächlich benommen hatte. Denn so sah ich es: als schwächlich. Wenn mir an keinem etwas lag, wurde ich sicherlich nicht verletzt. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt geahnt hätte, was mir in La Push noch alles widerfahren würde, hätte ich diese Worte bestimmt überdenkt.
Trotzdem, zu diesem Zeitpunkt war ich fest entschlossen, den anderen und besonders Embry aus dem Weg zu gehen. Es war das Beste für sie, wenn sie nichts mit mir zu tun hatten.
Ich erreichte die Schule viel zu früh und beschloss, in die Bücherei zu gehen. Doch die war natürlicherweise noch nicht offen. Frustriert schlug ich auf die verriegelte Tür und schleuderte meine Tasche auf den Boden.

„Da ist aber jemand mit dem falschen Bein aufgestanden, was?“
Ein kleiner Schrei entfuhr meinen Lippen und ich wandte mich der Stimme zu.
Embry stand vor mir und grinste. Natürlich, was sollte er sonst tun?
Mir kam der Vorsatz von heute morgen wieder in den Sinn und daher hob ich hektisch meine Tasche vom Boden auf.
„Was tust du hier?“, sagte ich barsch und lief an ihm vorbei. Doch Embry folgte mir.
„Ich geh hier zur Schule, schon vergessen? Ich bin der Typ in den du gestern beinahe rein gerannt bist.“
„Verfolgst du mich?“
Embry lachte, obwohl ich es keineswegs lustig gemeint hatte. Er verwirrte mich immer mehr.
„Ich gebe zu, dass es danach aussieht“, meinte er grinsend.
„Jetzt bleib doch mal stehen.“
Abrupt hielt ich an und wandte mich um. Embry, der damit wohl nicht gerechnet hatte, machte grosse Augen und fing mich auf, als ich zu fallen drohte, weil er gegen mich knallte.
„' Tschuldige“, nuschelte er, liess mich allerdings nicht los.
„Ist das eure Art hier hallo zu sagen?“, murmelte ich und strich mein T-Shirt gerade.
„Tut mir leid, ich habs nicht kommen sehen.“
„Hast du nicht gesagt ich soll stehen bleiben?“
Embry lachte leise, himmlisch und ich konnte nicht anders, als auch ein wenig zu lächeln.
„Ist nicht gerade so, als ob du auf jemanden hören würdest.“
Ich sah in seine braunen Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mich immer noch festhielt.
„Du kannst mich loslassen“, murmelte ich, wandte den Blick allerdings nicht von seinen Augen.
Embry räusperte sich und trat einen Schritt zurück.
Verdammt, Akascha , reiss dich zusammen, ermahnte ich mich.
„Was tust du schon hier?“
„Konnte nicht schlafen“, sagte ich knapp, ich wollte bloss noch weg. Meine Selbstbeherrschung bröckelte zunehmend.
„Äh, ja. Wir sehen uns“, sagte ich und wandte mich ab. Ich erwartete beinahe, dass Embry mir folgte und als er es nicht tat, war ich beinahe ein bisschen enttäuscht.
„Embry!“, sagte ich und drehte mich zu ihm um. Ich hätte ihn gar nicht rufen müssen. Er hatte sich keinen Millimeter bewegt und starrte mich immer noch an.
„Ja?“, sagte er und lächelte breit. Es gefiel ihm sichtlich, dass ich seinen Namen ausgesprochen hatte. Normalerweise hätte mich das riesig genervt, doch bei Embry war das anders. Ich genoss es, seinen Namen auszusprechen. Verdammt, ich wollte ihn am liebsten den ganzen Tag lang aussprechen. Ich schüttelte den Gedanken ab.
„Akascha ?“ Embrys Stimme riss mich aus den Gedanken.
„Äh, was?“, fragte ich verwirrt. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich auf ihn zugegangen war.
„Du wolltest etwas sagen“, meinte er grinsend. Ich schämte mich in Grund und Boden, weil er merken musste, wie sehr er mich aus dem Konzept brachte.
„Vergiss es“, wehrte ich barsch ab und tauchte in einer Schar Schüler unter, die gerade auf die Schule zusteuerten.


Als Embry ausser Reichweite war atmete ich tief aus. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte. Als ich um die Ecke gebogen war, lehnte ich mich an eine Säule und schloss die Augen.
„Schlimmer Morgen?“
Ich öffnete die Augen und sah Leah vor mir stehen. In der einen Hand eine Zigarette.
„Rauchen ist ungesund“, war meine einzige Antwort.
„Sterben tut man sowieso, schneller gehts mit Marlboro.“
Ich lächelte über diesen dämlichen Reim.
„Gibst du mir eine?“
„Rauchen ist ungesund“, sagte sie und nahm einen Zug.
„Schlimmer Morgen, schon vergessen?“
Leah zuckte mit den Achseln und warf mir die Packung, sowie ein Feuerzeug zu.
Ich rauchte eigentlich nicht. Doch in letzter Zeit tat ich vieles, was nicht zu mir passte. Ich war einfach nicht ich selbst in letzter Zeit.
„Und was ist deine Entschuldigung?“, fragte ich und Leah sah mich fragend an.
„Fürs rauchen.“
Leah zuckte mit den Achseln. „Wenn alles zu viel wird rede ich mir gern ein, dass es hilft.“
Ich nickte, so ging es mir auch.
„Wegen Sam?“, fragte ich vorsichtig. Leahs Züge verhärteten sich augenblicklich und ich bereute meine Worte sofort. Doch dann seufzte Leah und rieb sich die Augen. „Ja. Ich war mit ihm zusammen. Es ist hart ihn mit Emily so glücklich zu sehen.“
Ich sagte nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich war nie in einer solchen Lage gewesen, ich konnte es also nicht nachvollziehen. Ausserdem war mir Leah ziemlich ähnlich. Rebellisch, gleichgültig. Deshalb nahm ich an, dass sie kein Mitleid wollte. Erst recht nicht von mir.
„Ich muss dann mal zur Stunde“, sagte Leah und drückte ihre Zigarette aus.
„Danke, Akascha .“
„Für was denn?“
„Dass du mir dein Mitleid ersparst“, sagte Leah und verschwand.
Ich lächelte. Vielleicht waren wir uns ähnlicher, als wir zugaben.

Eine neue Freundin




„Akascha!“, rief meine Mutter von der Küche aus. Ich seufzte laut auf und klappte mein Mathebuch zu. Am besten ich liess Mum und Damien nicht warten. Damien geriet schnell in Rage, dass hatte ich schliesslich schon oft zu spüren bekommen.
Damien Jackson.
Der Idiot, den meine Mutter sich geangelt hatte. Der mindestens fünfte Typ, den Mum mit nach Hause schleppte, seit Dad uns verlassen hatte. Und einer dümmer als der andere. Ich hasste es hier. Und vor allem hasste ich Damien.

Bevor ich mein Zimmer verliess, warf ich einen Blick in den Spiegel. Ich öffnete meinen Pferdeschwanz und liess mein langes, dunkles Haar den Rücken herunterfliessen. Vorsichtig strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht, wobei die Platzwunde, die ich vor kurzem eingesteckt hatte, sichtbar wurde. Sie war mit fünf Stichen genäht worden, doch die Fäden hatte ich bereits gestern gezogen. Ich hatte Übung darin und wollte mir den Krankenhausbesuch ersparen, deshalb hatte ich es selber getan. Ich konnte Krankenhäuser nicht ausstehen!

Ich strich mir die Strähne wieder vors Gesicht. Womöglich würde es Damien für provozierend halten, wenn ich die Narbe offenkundig zeigte.
„Akascha!“, schrie meine Mutter, ihre Stimme klang nun wütend. Höchste Zeit für mich nach unten zu gehen, ansonsten würde das Abendessen der Familie Hamilton-Jackson wieder einmal in einem Desaster enden.

Als ich unten ankam, sassen Damien und meine Mutter bereits am Tisch. Leise, ohne einen der beiden anzusehen, setzte ich mich zu ihnen.
„Komm gefälligst, wenn wir dich rufen, verstanden?“, meinte Damien barsch und warf mir einen Teller hin.
„Ja“, erwiderte ich und schaufelte mir Pasta auf den Teller.
„Wie war das?“, fragte Damien provozierend.
„Liebling“, versuchte meine Mutter ihn zu beruhigen. „Lasst uns nur einmal in Ruhe essen.“
„Ich mach doch gar nichts. Es ist deine Tochter, die solch einen Aufstand macht. Respektlose Göre.“
Natürlich bekam ich die Schuld. Ich war an allem schuld, egal was geschah. Am besten war es einfach, es nicht weiter zu beachten und schweigend weiter zu essen.
„Die Schule hat angerufen, Akascha“, sagte meine Mutter und legte ihre Gabel ab.
Oh-oh, dachte ich. Das hatte ich völlig vergessen.
„Du hast einen Jungen angegriffen. Sag mal, was ist in dich gefahren?“, fuhr meine Mutter fort.

Keine Ahnung, Mum. Vielleicht konnte ich es einfach nicht haben, wie mich solche reichen Bonzenkinder behandelten. Diese reichen Schnösel, die das Gefühl haben jedes Mädchen zu kriegen.Tut mir leid, wenn ich mich wehrte.
Vielleicht hätte ich das sagen sollen, doch ich hielt den Mund und blickte stur auf meinen Teller. Damien schlug mir die Gabel aus der Hand. Sie flog in hohem Bogen durch den Raum und fiel schliesslich klirrend auf den Boden.
„Antworte gefälligst“, bellte er und ich blickte ihn böse an.
Wie ich diesen Typen hasste!
Ich antwortete nicht, Damien würde es wieder einmal falsch auffassen, dessen war ich mir sicher.

„Keine Sorge, Liebling, das liegt nicht an dir. Das böse Blut kommt definitiv von ihrem Vater. Diesem erbärmlichen John“, sagte Damien und wollte mich damit provozieren.
„Wenigstens hat er es weiter gebracht als du“, zischte ich.
„Das tut nicht zur Sache. Er hat nicht einmal seine eigene Tochter im Griff.“
„Der Einzige, der mich nicht im Griff hat bist du, Damien.“
„Was hast du gesagt?“
„Liebling...“, sagte meine Mutter und legte ihre Hand auf seine Schulter, doch Damien schlug sie weg.
„Willst du jetzt auch noch meine Mutter schlagen?“
„Wie kannst du es wagen, du dumme Göre?“, flüsterte er und beugte sich bedrohlich zu mir rüber.
„Ich wollte es nur wissen. Denn wenn das der Fall ist, werde ich verschwinden. Du bist hier erbärmlich und darüber bist du dir im Klaren, Damien.“
Ich hatte nicht gemerkt, dass ich aufgestanden war. Ich hätte ihn nicht provozieren sollen.

Ich hätte ihn nicht wütend machen sollen. Wieso lernte ich das nie? Damien sprang ebenfalls auf die Füsse und noch bevor ich wusste, wie mir geschah, verpasste er mir eine heftige Ohrfeige.
Ich stürzte zu Boden und mein Kopf schlug gegen die Heizung. Mir wurde schwindelig doch ich wusste, dass ich jetzt nicht ohnmächtig werden durfte. Ich rappelte mich auf, Blut rann aus meiner Nase und ich wischte es unwirsch mit dem Handrücken ab.
„Ist das alles, was du zu bieten hast?“, fragte ich und lachte spottend.
„Du... Was?!“, zischte Damien.
„Du hast mich schon gehört, du fetter Klops.“
Damien schrie auf und schlug mich hart mit der Faust. Ich sackte zu Boden und nahm schützend meine Hände vor mein Gesicht. Meine Mutter schrie und weinte und flehte Damien an, mich loszulassen, doch er schlug immer weiter auf mein Gesicht ein.
Ich war selber schuld. Ich hätte ihn nicht provozieren sollen. Doch ich hatte einfach die Nase voll davon, mir alles gefallen zu lassen. Ich war diese Schläge so leid. Ich hatte es satt, dass alle glaubten sie könnten mit mir umgehen, wie sie wollten.
Und ich wusste, ich musste weg von hier. Noch heute. Für immer. Ich klammerte mich an diesen Plan fest und wartete. Wartete, bis Mum aufhörte zu schreien, bis die Schläge aufhörten.
Ich schrie nicht.
Was hätte es schon geändert?


Die Schulglocke riss mich schliesslich aus meinen Gedanken und ich stand eilig auf. Ich war auf den Boden gesunken, den Rücken an die Säule gelehnt.
Hektisch machte ich die Zigarette aus, hob meinen Rucksack vom Boden auf und spurtete in die Klasse. Ich hatte Geschichte bei Mr Parker. Darüber konnte ich mich jetzt wirklich nicht beklagen, schliesslich liebte ich Geschichte über alles. Nennt mich Schwarzseher, aber ich fand es immer beruhigend bestätigt zu bekommen, dass die Welt in Wahrheit grausam war und es so was Liebe nur an wenigen Ecken gab. Ausserdem interessierten mich die verschiedenen Geschichten der Vergangenheit.

Ich klopfte an die Tür und trat ein, ohne auf ein 'herein' zu warten. Mr Parker beachtete mich nicht weiter und das war mir nur recht. Ich blickte in die Klasse und entdeckte Embry, der neben Jacob sass. Er sah mich an, doch ich wandte den Blick sofort ab. Schlendernd ging ich auf die hintere Reihe zu und setzte mich an einen freien Tisch am Fenster. Ich hörte, wie jemand einen Stuhl nach hinten rückte und als ich aufsah, stand Embry vor mir. Er zeigte auf den Platz neben mir und als ich verstand worauf er hinaus wollte nickte ich, wenn auch leicht irritiert. Ein Raunen ging durch die Klasse, als sich Embry neben mir auf den Stuhl fallen liess, doch er beachtete es nicht. Er grinste nur sein typisches, strahlendes Embry-Grinsen. Ein paar Mädchen drehten sich zu mir um und schickten mir böse Blicke. Ich musste beinahe auch ein bisschen grinsen, weil diese Situation einfach absurd war. Mr Parker schien von all dem gar nichts bemerkt zu haben, denn er fuhr unbeirrt mit seinem Vortrag über den Afghanistankonflikt fort.
Ich versuchte nicht daran zu denken, dass Embry dicht neben mir sass und konzentrierte mich auf Mr Parkers Worte.

„Nun denn, ihr habt fünf Minuten um zu diskutieren, wieso Präsident Bush Afghanistan den Krieg erklärte. Mit euren Nachbarn, na los.“
Ich seufzte und wandte mich zu Embry um. Ich hatte erwartet, dass er mich breit angrinsen würde, doch stattdessen waren seine Augen zusammengekniffen, sein Unterkiefer nach vorne geschoben und seine Stirn wütend gerunzelt.
„Was ist denn?“, fragte ich und sah mich um, doch es sah niemand herüber.
Embry hob die Hand, vielleicht etwas zu ruckartig, denn ich zuckte sofort zusammen. Das war einfach ein Reflex von mir. In all diesen Monaten mit Damien, hatte ich dieses Verhalten unfreiwillig angenommen.
Embry liess seine Hand sofort wieder fallen, wandte den Blick allerdings nicht von mir ab. Von meinem Gesicht, meinen Schrammen, meinen Narben, die ich so sehr verabscheute.
„Wer hat dir das angetan, Akascha?“, flüsterte er und sein Blick nahm einen tieftraurigen Ausdruck an.
Mitleid. Bitte nicht.
„Niemand“, murmelte ich und kritzelte auf meinem Heft herum.
„Akascha...“
„Hör auf, Embry, bitte. Ich weiss, dass du das bloss aus Anstand machst, also lass es.“
„Was? Ich tu das doch nicht aus Anstand!“, protestierte Embry verwirrt und schüttelte den Kopf.
„Ach nein? Dir ist jetzt einfach gerade aufgefallen, wie mein Gesicht zugerichtet ist? Ich sag dir mal was, ich brauch das nicht. Du musst nicht nett zu mir sein nur weil ich dir leid tue. Ich hab schon schlimmeres überlebt.“
„Ich bin nicht nett zu dir, weil du mir leid tust, Akascha. Ich -“
„Hör zu, da du definitiv nicht mit mir befreundet sein willst, kann ich mir nur eins vorstellen... Egal wie nett du zu mir bist, du kriegst mich nicht ins Bett.“
Ich sah Embry bestimmt an. Sein Blick verdunkelte sich.
„Wie charmant“, schnaubte Embry. „Weisst du was? Ich brauch das nicht.“ Und mit diesen Worten stand er auf und verliess das Klassenzimmer, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Ich spürte, wie sämtliche Augen auf mir ruhten. Rasch packte ich meine Sachen zusammen und verliess ebenfalls das Klassenzimmer.
Ich war zu weit gegangen, das wusste ich selbst. Doch dieser Gedanke nagte an mir seit ich Embry das erste Mal gesehen hatte. Verdammt, war das wirklich erst gestern gewesen? Wie hatte ich zulassen können, dass mich jemand derartig aus der Bahn warf in gerade mal vierundzwanzig Stunden?
Und trotzdem, ich konnte diese Frage nicht aus meinem Kopf verbannen: Wieso war Embry so nett zu mir?
Ich versuchte mir echt über die Gründe klar zu werden. Ich war nicht sonderlich nett. Jedenfalls versuchte ich das nicht zu sein. Ich war hübsch, doch mein Gesicht war zurzeit nicht gerade der Hingucker. Zumindest nicht auf positive Art. Und trotzdem fände ich es abwegig, wenn er es wegen meines Äusseren auf mich abgesehen hätte.

Ich hatte mindestens drei Dutzend Mädchen gesehen, mit denen ich nicht mithalten konnte.
Und Embry... Er war wirklich schön. Ich glaube, das war ihm nicht wirklich bewusst, doch die Reaktionen der anderen Mädchen, als er sich zu mir setzte, bestätigte bloss meine Theorie. Embry war der typische Mädchenschwarm. Also wieso zum Teufel sollte er mich auswählen?
„Hamilton!“, rief eine Stimme hinter mir und ich blieb stehen. Leah kam auf mich zu geschlendert.
„Keine Schule?“, fragte sie mich.
Obwohl es draussen ziemlich kühl war, trug sie bloss ein T-Shirt und eine Hose.
Ich zuckte mit den Achseln.
„Ja, geht mir genauso“, meinte Leah und ich musste grinsen.
Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her.
„Und? Was hast du angestellt?“, fragte mich Leah und grinste herausfordernd. „Egal was es war, ich bin sicher, meines ist schlimmer.“
„Ich habe Embry unterstellt, dass er bloss nett zu mir ist weil er mich ins Bett kriegen will“, meinte ich trocken.
Leah pfiff leise durch die Zähne. „Vergiss was ich gesagt habe“, sagte sie und musste sich ein Lachen verkneifen. „Du bist echt noch dümmer, als ich dachte.“
Jetzt musste sogar ich lachen. Es war komisch, doch ich fand sie doch nicht ganz so schlimm, wie ich gedacht hatte. Sie sagte einfach, was sie dachte und dafür konnte man sie eigentlich nicht hassen.
„Ich weiss“, sagte ich schliesslich seufzend, als ich mich beruhigt hatte.
„Aber welcher Grund kann er sonst haben?“
Leah öffnete den Mund, doch ich unterbrach sie: „Vergiss es, das war ne rhetorische Frage.“
„Glaub mir, er hat seine Gründe“, sagte sie bloss und grinste vor sich hin.
Ich zog eine Augenbraue nach oben.
„Ich dachte, dass sei eine rhetorische Frage.“
„War es auch. Egal, ich habe es vermasselt.“
„Ja, hast du.“
Ich warf ihr einen genervten Blick zu und sie fing an zu grinsen.
„Ich sag nur, wie es ist.“
Ich grummelte etwas und kickte einen Stein über den Platz.
„Nein, hör mir zu, Akascha. Entschuldige dich und die Sache ist vom Tisch“, meinte Leah. „So einfach ist das.“
So einfach. Natürlich, vielleicht für andere, aber für mich bestimmt nicht. Ich war nicht sonderlich gut im entschuldigen, doch das sagte ich Leah nicht.

„Du bist so still heute.“
Ich sah von meinem Teller auf. Onkel Devis musterte mich und ich schenkte im ein schwaches Lächeln, welches allerdings nicht sonderlich überzeugend war.
„Wie wars gestern Abend?“, fragte Onkel vorsichtig und wendete sich wieder seinem Essen zu.
„Toll“, sagte ich und versuchte dabei so begeistert wie möglich zu klingen. Doch dann kam mir Leah in den Sinn und ich musste lächeln. „Ich glaube, ich habe sogar eine Freundin gefunden.“
Onkel Devis sah auf und lächelte.
„Das ist toll, Akascha! Wirklich, das freut mich sehr für dich.“
Lächelnd schaufelte ich mir weiter Essen in den Mund. Mein Lächeln erstarb allerdings wieder, als ich an den Geschichtsunterricht von heute dachte. Ich versuchte bereits den ganzen Tag nicht zu sehr an Embry zu denken, doch er wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden.
„Darf ich mit Jack spazieren gehen?“, fragte ich meinen Onkel nachdem ich zusammen mit ihm den Abwasch geschafft hatte.
„Natürlich, er würde sich freuen.“
Ich nahm die Hundeleine vom Hacken und rief nach Jack. Dieser kam freudig angesprungen und ich nahm ihn mit nach draussen. Ich schlenderte am Waldrand entlang und warf Jack ab und zu ein Stöckchen in den Wald.
Der Schäferhund kam auf mich zu gerannt und ich kniete mich zu ihm nieder.
„Na, mein Lieber“, sagte ich und kraulte ihm hinter den Ohren. Er schloss die Augen und hechelte, was mich zum lächeln brachte.
Ein Knacken liess mich auffahren. Ich hörte Stimmen die immer näher kamen.
„Mann, bin ich müde.“
Es war Jake. Allerdings war er nicht allein.
„Sam übertreibt es echt mit diesen Nachtschichten.“
Oh Gott, das war Embry! Panisch sah ich mich nach einem Versteck um. Was natürlich absurd war, die beiden waren schon beinahe bei mir.
„Ich freue mich echt, wenn diese Rothaarige aus dem Weg ist“, meinte Embry und gähnte. Er und Jacob traten aus dem Dickicht, letzterer entdeckte mich sofort.
„Akascha!“, sagte Jacob und grinste mich breit an.
Embry blieb stehen und schob seine Hände in die Hosentaschen, wie er es sooft tat.
„Hey Jake. Embry.“
Embry nickte mir kurz zu.
Erst jetzt fiel mir auf, dass die beiden kein T-Shirt trugen, obwohl es sehr kühl war und ein wenig nieselte.
„Was tust du denn hier?“, fragte Jacob und umarmte mich. Die eisige Stimmung zwischen mir und Embry bemerkte er nicht, oder er ignorierte es schlechthin.
„Ich... Ich war mit Jack draussen.“
Jake kraulte Jack ebenfalls hinter den Ohren.
„Jake, wir müssen. Sam wird nicht froh sein, wenn wir zu spät kommen.“
Jake umarmte mich noch einmal und wandte sich dann zum gehen. Ich starrte Embry an, doch er wandte den Blick kopfschüttelnd ab und folgte Jake.
„Na komm, Jack, lass uns gehen.“
Plötzlich hatte ich es ziemlich eilig, nach Hause zu kommen. Ich blickte mich immer wieder verstohlen um, weil ich deutlich einen Blick auf mir spürte, doch ich konnte niemanden erkennen. Wahrscheinlich bildete ich es mir bloss ein, doch ich war trotzdem heilfroh, als ich die Haustür hinter mir schloss und das vertraute Geräusch des Fernsehers im Wohnzimmer meines Onkels hörte.

Gefühlschaos



Akascha Sicht:


Ich hatte mir wirklich vorgenommen, mich bei Embry zu entschuldigen.
Wirklich!
Doch mittlerweile war beinahe eine Woche vergangen und ich hatte es immer noch nicht getan. Vielleicht hatte es etwas mit meinem Stolz zu tun oder meiner mangelnden Fähigkeit dazu. Oder vielleicht lag es einfach auch bloss daran, dass Embry mir aus dem Weg ging. Er war immer mit den Jungs zusammen und wenn nicht, dann würdigte er mich keines Blickes. Nicht gerade sehr einladend für eine, die es sowieso schon schwer fand, sich zu entschuldigen.
Und trotzdem, es war Freitag. Seit Dienstag hatte ich nicht mehr mit Embry gesprochen. Ich hatte bloss keine Ahnung wie ich es ihm sagen sollte. Wie gesagt, allzu viele Erfahrungen hatte ich damit nicht. Normalerweise waren mir die Menschen so was von egal, dass ich mich überhaupt nicht zu entschuldigen brauchte oder es zumindest nicht für nötig hielt.

Doch ich nahm mir fest vor, mich bei ihm zu entschuldigen. Auch wenn ich mir immer noch nicht ganz erklären konnte, was Embry genau in mir sah. Vielleicht wollte er ja wirklich bloss Freunde sein und ich hatte mir eingebildet zwischen uns wäre mehr. Mann, mir war das Ganze so unendlich peinlich!
Wie hatte ich bloss denken können, er würde etwas in mir sehen? Je länger ich darüber nachdachte, desto absurder erschien mir der Gedanke. Ich betrat gerade den Pausenplatz und das Erste, was ich sah, war Embry. Der Mut verliess mich sofort wieder als ich ihn inmitten der anderen sah.
Ich schulterte meinen Rucksack und schritt zügig an ihnen vorbei.

„Hamilton!“, rief mir Leah hinterher, doch ich beachtete sie nicht. Sie lief neben mir her und ich war froh, dass sie alleine war.
„Immer noch Funkstille, was?“
Ich seufzte genervt. „Musst du immer so nerven, Leah?“
„Liegt uns Clearwaters im Blut. Du solltest mal Seth erleben. Gegen den bin ich echt noch nichts.“ Leah lachte, doch ich war nicht sonderlich dazu aufgelegt, mitzulachen.
„Ach, komm schon, Akascha! Jetzt gib dir mal einen Ruck und entschuldige dich! So schwer kann das nun wirklich nicht sein!“
Ich seufzte und blieb stehen. „Ich hab keine Ahnung, was ich tun soll, Leah.“
Leah blickte mich dümmlich an: „Ähm... Ich habe gehört entschuldigen soll ganz nützlich sein.“
„Ach was?“, fragte ich genervt. „Wie soll ich das bitteschön anstellen? Er ist doch immer umgeben von den Jungs oder von...“ Ich stockte, als ich sah, mit wem Embry gerade redete. Es war ein wunderschönes Mädchen. Ihr wisst schon, eine dieser Mädchen die keine Kohlenhydrate assen, weil sie davon viel zu fett werden würden und die die Kreditkarte ihres Daddy rund um die Uhr bei sich trugen und wahrscheinlich noch ein separates Zimmer für ihre Kleider hatten. Diese Art von Mädchen, mit denen man einfach nicht mithalten konnte.

Das Mädchen, welches gerade mit Embry sprach war mit mir und Leah im Physikkurs. Sie lächelte Embry zuckersüss an und wickelte ihre blonden Haare um den Zeigefinger. Ihre blauen Augen strahlten und schon von dieser Entfernung aus konnte ich erkennen, dass sie ihn anhimmelte.
Wer tut tat schon nicht?, dachte ich bitter.
„Okay, kleiner Tipp: du solltest es bald tun, denn mal unter uns, ich glaube er hat noch andere Möglichkeiten.“
Manchmal hasste ich Leah dafür, dass sie immer sagte was sie dachte. Ich warf ihr einen entnervten Blick zu, doch sie zuckte bloss unschuldig mit den Schultern.
„Wer ist das?“, fragte ich und sah wieder zu Embry und dem Mädchen hin.
„Lyana Klijuso, die kriegt jeden.“
Ich verdrehte die Augen. Das musste sie mir nicht sagen.
„Ausser Embry“, fügte Leah kichernd hinzu. „Aber das ist auch nur eine Frage der Zeit. Schliesslich ist Embry auch bloss ein Junge.“ Leah packte einen Schokoriegel aus und biss hinein.
„Ist mir egal“, sagte ich und zwang mich, den Blick von den beiden loszureissen. „Er kann tun und lassen was er will. Zwischen uns läuft nichts. Da war nie etwas.“
„Natürlisch nischt“, sagte Leah, als sie gerade den zweiten Schokoriegel in den Mund stopfte.
„Hör zu“, fuhr sie fort, als sie den letzten Bissen herunter geschluckt hatte. „Du kannst vielleicht dich selbst belügen und wie es aussieht auch Embry, aber ich falle darauf nicht rein. In dieser Hinsicht bist du wie ich.“

Ich seufzte. Erschreckend, wie gut mich Leah durchschaute. Normalerweise gelang das nicht vielen. Aber vielleicht war es wirklich deshalb, weil wir uns so ähnlich waren.
Machte ich mir wirklich etwas vor? Redete ich mir bloss ein, dass mir Embry egal war?
Ich musste mich wieder zusammenreissen. In mir drinnen war das reinste Gefühlschaos.
„Ich... Vielleicht ist es besser so“, meinte ich schliesslich und bemühte mich, nicht wieder zu Embry hinüber zu sehen.
„Komm mir nicht damit an. So etwas sagt man nur in Seifenopern.“
„Lass es, Leah, bitte. Das mit mir und Embry, das ist... Ach, keine Ahnung, kompliziert?“
Zu meinem Glück läutete es in diesem Moment und ich konnte dieses anstrengende Gespräch mit Leah beenden.


Der restliche Tag war eine Qual.
Nicht nur, dass mir diese Lyana ständig über den Weg lief, wie mir schien. Nein, Embry kreiste auch noch den ganzen Tag in meinem Kopf herum. Ich wollte mich ja entschuldigen, aber ich konnte einfach nicht. Denn ein kleiner Teil von mir war immer noch riesig frustriert wegen all diesen Fragen, die ich mir einfach nicht beantworten konnte.
Ich war heilfroh, als ich endlich aus der letzten Stunde entlassen wurde und mich auf den Heimweg machen konnte. Der Pausenplatz war schon ziemlich voll und ich versuchte, Embry und diese Lyana nicht allzu sehr zu beachten, die etwas abseits von den anderen standen und sich unterhielten. Okay, sie taten wirklich nichts anderes, aber trotzdem brachte mich der Anblick der beiden auf hundert-achtzig. Ich haute ab, bevor mich Leah entdeckte, oder noch schlimmer, Embry.

Den Nachmittag verbrachte ich vor der Glotze, doch ausser einer Sendung über die fettesten Amerikaner und einer schlecht gespielten Soap war nichts zu finden. Frustriert tappte ich zum Kühlschrank, fand aber nichts ausser einem abgelaufenem Jogurt und einer halbleeren Flasche Milch. Seufzend nahm ich etwas Geld von der Theke, welches Onkel Devis für mich dagelassen hatte damit ich nicht vollends verhungern musste.
Als ich die Tür öffnete, stand dort kein geringer als Embry Call.

Seine Hand war nach der Klingel ausgestreckt, doch er zog sie zurück als er mich am Türrahmen stehen sah.
„Hey“, sagte er etwas verlegen und schob seine Hände in die Hosentaschen. Ich musste beinahe ein bisschen darüber lächeln. Es kam mir so vertraut vor. Doch dann traf mich das Ganze wie ein Schlag. Embry Call stand vor meiner Tür!
„Was zum Henker willst du denn hier?“
„Okay, die Begrüssung hab ich wohl verdient“, meinte er und grinste schwach.
„Ich muss gerade los, tut mir leid.“
„Wohin?“, fragte er mich, als ich die Tür hinter mir zustiess und an ihm vorbeiging.
„Einkaufen“, erwiderte ich knapp.
Embry folgte mir.
Natürlich.
„Was willst du, Embry?“, fragte ich, als wir die Hälfte des Weges bereits hinter uns gelassen hatten.
„Leah hat gesagt du willst mich sehen“, sagte er irritiert.
Abrupt blieb ich stehen. Ich drehte mich zu ihm um und als ich sein Gesicht sah wusste ich, dass er mich nicht anlog.
Und da musste ich willkürlich lachen. Das sah Leah wirklich ähnlich! Ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Das lag in ihrer Natur.
Ich kriegte mich wieder ein und atmete tief durch.
„Sie hat das eingefädelt, oder?“, fragte mich Embry und deutete damit meinen Gesichtsausdruck richtig.
Ich nickte.
„War ja klar“, meinte er und wandte sich ab.

„Embry, warte!“, rief ich ihm hinterher, doch er hörte nicht auf mich. Ich hielt ihn am Arm zurück und mir fiel wieder diese warme Haut auf. Sie war mir schon einmal aufgefallen, an dem Tag, wo ich mit Embry zusammen geknallt war, doch damals hatte ich mich nicht sonderlich darauf geachtet. Jetzt fiel es mir umso mehr auf. Seine Haut brannte auf meiner und meine Fingerspitzen kribbelten.
„Du bist ja total heiss.“
Als ich das Ausmass meiner Worte kapierte, versuchte ich es rasch runter zuspielen. „Warm. Du bist total warm.“
Doch es war zu spät. Embry grinste breit und sah mich mit diesem vielsagenden Blick an. Ihr wisst schon, eine Augenbraue belustigt nach oben gezogen und ein spitzbübisches Grinsen, welches einen beinahe um den Verstand bringt und gleichzeitig echt nervig ist, weil man weiss, dass dieser Junge viel zu viel Einfluss auf einen hat. Jedenfalls für meinen Geschmack.
So in etwa sah Embry gerade aus.
„Ach, du weisst was ich meine!“ Ich liess seinen Arm los und zwang mich, den Blick von ihm abzuwenden.
„Natürlich“, meinte er immer noch grinsend.
„Hilf mir lieber mit den Einkäufen“, sagte ich trotzig. Mir war das Ganze ziemlich peinlich.
„Klar, aber ich muss dich warnen. Es werden uns womöglich alle anstarren.“
Ich sah ihn fragend an und er grinste dümmlich vor sich hin.
„Schliesslich bist du mit einem heissen Typen unterwegs. Ich hoffe, du kommst mit dieser plötzlichen Aufmerksamkeit klar.“
„Mach dir mal keine Sorgen“, antwortete ich ihm und lächelte ihn gespielt honigsüss an.

Der erste Erfolg




Akascha Sicht:

„Jogurt, Honig, Brot, Kekse, Orangen, Milch?“
„Alles dabei. Sonst noch was?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das wars.“
Embry lächelte mich an und ich konnte nicht anders, als zurückzulächeln.
Wir bezahlten und verliessen anschliessend den Laden. Embry bestand darauf die Tüten zu tragen.
„Lass mich wenigstens eine Tüte tragen“, sagte ich, weil ich mir unglaublich überflüssig vorkam.
„Keine Chance.“
Ich schubste ihn grinsend weg. „Dann eben nicht.“
Embry begleitete mich zurück zu Onkel Devis Haus, wo wir anfingen die Tüten auszupacken. Ich setzte mich auf die Küchentheke und sah ihm zu.
Jetzt wäre der perfekte Augenblick für eine Entschuldigung, Akascha Hamilton, dachte ich und versuchte mir einen Ruck zu geben.

„Embry?“
„Hm?“, fragte er und wandte sich um. Nervös sah ich auf meine Hände. Wo sollte ich anfangen? Ich wollte auf keinen Fall zu viel sagen. Was würde passieren, wenn ich mich verplapperte und er herausfand, dass ich mehr für ihn empfand als nur Freundschaft? Quatsch, ich empfand nicht mehr für ihn als Freundschaft! Obwohl, ich war mir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt Freunde waren. Es würde schon an ein Wunder grenzen wenn er mich auch nur ein bisschen mögen würde. Schliesslich hatte ich mich oft daneben benommen.
„Akascha?“
„Es tut mir leid“, presste ich hervor, konnte ihm dabei aber nicht in die Augen sehen.
„Was?“
Ich sprang von der Theke. „Zwing mich ja nicht, das nochmal zu sagen!“
Embry lachte sein himmlisches Lachen und ich hob meinen Blick.
„Ich mach nur Spass. Aber wofür entschuldigst du dich?“
„Willst du mich verarschen? Du hast vier Tage nicht mit mir geredet deswegen! Ich verstehe es ja auch, so wie ich mich benommen habe.“
„Nein, Akascha, ich war nicht wütend auf dich.“
Ich sah ihn misstrauisch an. „Wieso hast du mich dann ignoriert?“
„Ich... Ich hatte das Gefühl, dass du mich nicht in deiner Nähe haben wolltest.“
Das stimmte. Aber doch nur weil er diese beängstigenden Gefühle in mir hervorrief. Aber natürlich konnte ich ihm das nicht sagen.
„Tut mir leid, ich bin ziemlich gut darin Menschen zu vergraulen.“
Ich lächelte schwach.
„Ja, ist mir aufgefallen“, sagte Embry nachdenklich.
Darauf wusste ich nicht wirklich was antworten. Zum Glück musste ich das auch nicht, denn ich hörte, wie Onkel Devis in diesem Moment die Haustür öffnete.
„Akascha? Bist du da?“
„Ich bin hier, Onkel.“
Mein Onkel kam herein und blieb ein wenig erstaunt stehen, als er Embry sah.
„Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ Er sah mich lächelnd an und wandte sich dann zu Embry.
„Devis Hamilton. Kannst ruhig Devis zu mir sagen“, sagte er freundlich und streckte ihm die Hand hin.
„Embry Call.“
Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe. Aus irgendeinem Grund war es mir unglaublich wichtig, was Onkel von Embry hielt.

Doch meine Bedenken wurden bereits nach fünf Minuten zerstreut, denn die beiden hatten sich unglaublich viel zu erzählen. Beinahe schon ein bisschen zu viel für meinen Geschmack und als die beiden Männer dann auch noch über Autos redeten, ging ich endgültig dazwischen.
„Ähm... Onkel Devis, hast du nicht noch was anderes zu tun?“
Embry und mein Onkel sahen mich beide erstaunt an, fast so, als ob sie vergessen hatten, dass ich auch noch da war.
„Oh. Natürlich, natürlich. Ich hab noch Autos zu reparieren. Ja, das hab ich. Ich lass euch dann mal alleine. Embry, hat mich wirklich sehr gefreut“, sagte er und gab Embry wieder die Hand. „Ich nehme an, es wird spät bei euch heute Abend?“
„Ähm...“, erwiderte ich ein wenig perplex und warf Embry unfreiwillig einen Blick zu. Ich wollte mich noch nicht von ihm verabschieden. Am liebsten wollte ich den ganzen Abend mit ihm zusammen sein, was ich jedoch nie zugegeben hätte.

„Ja, wird es. Aber keine Sorge, ich bring sie sicher nach Hause“, sagte Embry und sah mich dabei die ganze Zeit über an.
„Will ich auch hoffen“, meinte Onkel Devis lachend und verliess das Haus. Als wir wieder alleine waren, drehte ich mich zu Embry.
„Es wird also spät heute?“, fragte ich und musste grinsen.
Embry zuckte bloss mit den Achseln und lächelte. „Wenn du mich noch in deiner Nähe haben willst.“
„Was hattest du denn vor?“, fragte ich neugierig und Embry überlegte. „Was du möchtest.“
„Nichts anstrengendes“, sagte ich und streckte mich. Meine Rippen waren in dieser Woche gut verheilt. So wie viele der Blutergüsse, doch trotzdem war ich immer noch erschöpft.
„Ist mir nur Recht“, sagte Embry und gähnte. Erst jetzt fiel mir auf, dass er müde aussah.
„Ich würde gerne Emily besuchen gehen. Ich glaube, ich habe mich letztens nicht korrekt verabschiedet.“
„Dann lass uns gehen.“
Emily und Sam lebten in einem Haus, welches direkt am Waldrand lag. Ich staunte, als ich Stimmen aus dem Haus hören konnte. Es schien, als wären alle anwesend. Plötzlich wurde mir ein wenig mulmig zumute, denn ich wusste schliesslich nicht, ob ich bei ihnen überhaupt willkommen war. Embry musste meine Unsicherheit spüren, denn er nahm meine Hand und sah mich an.

„Ist schon okay. Sie werden sich freuen dich zu sehen.“
Seine Worte drangen nicht wirklich in meinen Verstand. Alles, an was ich denken konnte war meine Hand in seiner. Ich beruhigte mich augenblicklich und brachte sogar ein Lächeln zustande.
Embry zog mich an der Hand mit sich und ich war froh, dass ich mich an ihn klammern konnte.
„Akascha! Wie schön dich zu sehen“, rief Emily freudig, als sie mich und Embry entdeckte. Leah stand neben ihr und machte grosse Augen, als sie unsere immer noch ineinander verschränkten Hände sah. Sie lächelte, fast ein bisschen traurig, was mich wieder an diese Sam-Emily-Leah-Dreiecksbeziehung erinnerte. Ich nahm mir fest vor, Embry danach zu fragen.

Jacob, Seth, Jared und Kim sassen am Tisch und winkten uns zu sich.
„Sieht man dich auch einmal wieder, was Akascha?“, meinte Jake und grinste sein breites Grinsen.
„Ihr werdet mich nicht mehr los“, erwiderte ich grinsend und liess mich neben Seth auf die Bank fallen. Embry setzte sich neben mich und ich konnte seine Wärme überdeutlich spüren.
Emily stellte uns ein grosses Tablett mit Muffins auf den Tisch und alle bedienten sich sofort. Was diese Jungs alles verschlangen! Die Muffins waren riesig und ich war bereits nach dem Zweiten satt, doch Embry und die anderen stopften sich sicherlich noch sechs weitere in den Mund. Leah musste über mein geschocktes Gesicht, als sie gerade den neunten Muffin verschlang, so lachen, dass sie beinahe vom Stuhl fiel.
Der Abend verging viel zu schnell. Ich merkte, wie ich alle hier ein wenig beneidete. Sie waren wie eine grosse, chaotische Familie. Eine Familie, die ich nie hatte. Doch die anderen gaben mir das Gefühl dazuzugehören, was meinen Neid schnell verfliegen liess. Es war weit nach Mitternacht, als sich die Müdigkeit bei mir bemerkbar machte. Ich lehnte meinen Kopf an Embrys Schulter. Er war so warm.

„Da ist wohl jemand müde?“, sagte Seth und lachte über meinen Anblick. Kurz darauf gähnte er allerdings, was die anderen zum lachen brachte.
Ich lächelte bloss müde und schloss die Augen.
„Ich bring sie nach Hause“, flüsterte Embry und legte einen Arm um mich. Ich vergrub mein Gesicht in seinem T-Shirt. Er roch so gut.
„Gute Nacht, Akascha“, sagte Jake und lachte.
Ich murmelte einige Worte und stand torkelnd auf. Embry legte einen Arm um mich und führte mich nach draussen. Wir stiegen in ein altes Auto, welches wir uns von Jared ausborgten. Wenn auch ohne sein Wissen.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast, Embry.“
Er lächelte und warf mir einen Blick zu. „Kein Problem. Sie mögen dich, weisst du. Besonders Jake.“
Ich grinste. „Jacob ist toll. Er ist immer so glücklich.“
„Glaub mir, das ist er leider nicht.“
Ich runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“
Embry seufzte. „Ein andermal, okay?“
„Klar“, meinte ich. Es gab so vieles, was ich ihn fragen wollte. Doch ich wollte diesen Augenblick auf keinen Fall verderben. Ich genoss es einfach, mit ihm zusammen zu sein. Es war das erste Mal, dass ich nicht krampfhaft versuchte, Embry von mir fernzuhalten. Auch wenn ich es wollte, ich wusste, dass es dafür schon zu spät war. Ich blickte zu Embry, der seinen Blick wieder auf die Strasse geheftet hatte. Dieser Junge bedeutete mir jetzt schon viel mehr, als ich das eigentlich hätte zulassen dürfen.
Doch wie gesagt: es war zu spät.
Denn ich, Akascha Hamilton, war dabei mich in Embry Call zu verlieben.

Ähnlicher als gedacht



Akascha Sicht:

„Ich mag ihn.“
„Hm?“
„Embry.“
„Ach so“, sagte ich. Aus irgendeinem Grund fand ich das Gemüse auf meinem Teller gerade wahnsinnig interessant. Auf jeden Fall sah ich nicht zu Onkel auf.
Ich hatte uns beiden zum Abendessen eine leckere Lasagne gemacht. Ich wusste, dass Onkel Devis Embry erwähnen würde, doch ich wünschte mir er würde es lassen.
„Und? Magst du ihn?“
Ich versuchte, nicht mit den Augen zu rollen. Natürlich wurde mein Wunsch nicht erhört.
Ich wollte Onkel gerade erklären, dass wir wirklich nichts weiter als gute Freunde waren und dass zwischen uns absolut nichts lief. Doch dann entschied ich mich für die Wahrheit.

„Ich... Ich weiss es nicht.“
Onkel Devis lächelte und wandte sich wieder seiner Lasagne zu. Ich war froh darüber, weil ich sehr wahrscheinlich gerade rot anlief.
„Was hast du heute noch so vor?“, fragte er und ich war froh, dass er merkte, dass ich nicht über Embry reden wollte.
Ich stöhnte, als mir der Berg Hausaufgaben in den Sinn kam, der oben auf mich wartete.
„Ich muss noch rund hundert Bücher lesen.“
Onkel Devis lachte mitfühlend und legte seine Gabel ab.
„Wie wäre es, wenn du sie im Wohnzimmer liest? Du könntest mir Gesellschaft leisten.“
Ich nickte und machte mich an den Abwasch.
Den restlichen Abend verbrachte ich im Wohnzimmer, während Onkel Devis sich ein Spiel im Fernseher ansah.
Ich genoss es, einfach wieder einmal unbeschwert Zeit mit meinem Onkel zu verbringen.


Das Telefon schrillte laut.
Genervt stülpte ich das Kissen über meinen Kopf. Ich war noch viel zu müde um jetzt schon aufzustehen. Ich hoffte sehnlichst, dass Onkel Devis das Telefon abnahm. Doch bereits nach kurzer Zeit war mir klar, dass er womöglich bereits in der Werkstatt war. Schlaftrunken tappte ich die Stufen herunter und nahm den Hörer von der Gabel.

„Ja?“, krächzte ich ins Telefon.
„Akascha! Das hat ja ewig gedauert!“
„Leah?“, murmelte ich verwirrt.
„Wer denn sonst?“, fragte sie dämlich zurück.
„Verdammt, Leah! Weisst du eigentlich wie spät es ist?“, beschwerte ich mich und rieb mir die Augen.
„Kurz nach acht“, antwortete sie völlig unbeteiligt. „Wir haben ein Physikprojekt, schon vergessen?“
Ich seufzte. Das hatte ich tatsächlich.
„Komm gegen neun zu mir.“
Ich wusste, dass Leah stur war, deshalb hatte ich nicht vor ihr zu widersprechen.
„Geht klar“, sagte ich und Leah beschrieb mir den Weg zu ihrem Haus.
Ich verabschiedete mich von ihr und sprang unter die Dusche. Ich ass ein Müsli, während ich mich anzog und spurtete danach nach draussen. Ich machte einen kurzen Abstecher in der Werkstatt, um Onkel Joe zu sagen, dass ich den Nachmittag bei Leah verbringen würde. Er wünschte mir einen schönen Tag und verschwand wieder unter einem Auto.
Ich ging den Weg, den Leah mir beschrieben hatte und entdeckte das Haus bereits nach kurzer Zeit. Ich läutete zweimal und wartete eine halbe Ewigkeit.
Ein ziemlich verschlafener Seth, der nur in Boxershorts gekleidet war, öffnete mir die Tür.

„Ähh... Hey Seth.“
„Akascha? Verdammt, weisst du eigentlich wie spät es ist?“,
fragte er schlaftrunken und gähnte.
Darüber musste ich lachen. Er hörte sich an wie ich heute Morgen, als Leah mich in aller Frühe geweckt hatte.
„Kurz nach neun. Was ist jetzt? Lässt du mich rein, Kleiner?“, fragte ich grinsend und lief, ohne seine Antwort abzuwarten, an ihm vorbei ins Haus.
„Kleiner?“, fragte er empört und schloss die Tür. Er betrachtete mich belustigt von oben bis unten. „Ich bin mindestens fünf Zentimeter grösser als du und mit dir, Fliegengewicht, nehme ich es allemal auf.“
Ich lachte. „Ist klar“, sagte ich sarkastisch.
„Wo ist deine Schwester?“
„Ich bin hier.“
Ich drehte mich um und sah Leah, die lächelnd auf mich zukam und mich umarmte. „Na los, verlieren wir keine Zeit. Ich will nicht den ganzen Tag an diesem Projekt arbeiten.“
Ich nickte. Das war mir nur Recht.
„Hast du nicht noch was besseres zu tun?“, fragte Leah Seth, der immer noch am gleichen Ort stand.
„Gut, dass du mich daran erinnerst. Ich hab solch ein Hunger! Danke, Leah“, sagte dieser und öffnete den Kühlschrank. Er nahm eine kalte Pizza hervor, die es wohl gestern zu Abend gegeben hatte. Genüsslich biss er hinein. Ich gab ein würgendes Geräusch von mir und Seth sah von seiner Pizza hoch.
„Was ischt?“, fragte er mit vollem Mund.
„Pizza. Um 9 Uhr morgens, Seth. Das ist“, meinte Leah ungeduldig.
„Triffst du dich nicht noch mit den Jungs?“
„Das hätt' isch beinahe vergessen“, sagte Seth und stopfte sich noch schnell den Rest des Pizzastücks in den Mund. Er sprang auf, winkte uns zu und verliess das Haus.
Leah verdrehte genervt die Augen und nahm mich bei der Hand, um mich in ihr Zimmer zu führen. Sie liess sich auf ihr Bett fallen und ich machte es mir in ihrem Sessel gemütlich. Eine Weile beschäftigten wir uns mit Physik und ich war echt froh, dass Leah meine Partnerin war. Sie beschwerte sich nicht einmal über mein Können auf diesem Gebiet. Denn, zugegebenermassen, mein Wissen war ein einziger Witz. Ich war stark in Geschichte und in den Sprachen, doch nicht wenn es darum ging, Formeln anzuwenden und Versuche zu analysieren.

Ich las gerade einen Abschnitt über beschleunigte Bewegungen, wie mir schien, schon zum dritten Mal, als mich Leah unterbrach. „Akascha?“
Ich horchte auf. „Ja?“ Ich sah zu Leah hoch, die mich ernst musterte.
„Ich...“, fing sie an. „Vergiss es.“
Ich klappte mein Buch zu und setzte mich neben sie.
„Sag schon.“
„Magst du Embry?“
Ich wusste, dass sie mich das eigentlich nicht hatte fragen wollen, doch ich antwortete ihr trotzdem. „Ja.“
Leah lächelte schwach. „Das freut mich für dich.“
„Na ja, ich weiss nicht, ob ich mich darüber freuen soll.“
„Hör doch auf! Sogar du musst merken, wie er dich ansieht!“, sagte Leah ein wenig energisch.
„Ja, aber für wie lange? Es könnte das Gleiche passieren wie bei dir und Sam.“
Ich biss mir auf die Zunge, ich hatte nicht davon anfangen wollen.
„Woher weisst du von Sam und mir?“, flüsterte Leah leise.
Ich zuckte leicht mit den Achseln. „Ist irgendwie... offensichtlich.“
Ich sprach die Worte vorsichtig aus. Leah nickte abwesend. Doch bald darauf kriegte sie sich wieder ein und schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Akascha! Ich... Bei dir wird das nicht so laufen!“
Sie setzte sich gerade hin und sah mich durchdringend an. „Hör mir zu, das wird bei euch nicht so laufen.“
„Und woher willst du das wissen?“, fragte ich frustriert und schlug meine Augen nieder. Ich war noch nie in meinem Leben derart verunsichert gewesen.
„Akascha, glaub mir, ich weiss es.“
Ich sah sie mit grossen Augen an. Ihre Worte beruhigten mich nicht im Geringsten.
„Und du wirst es auch bald wissen.“
Ich runzelte die Stirn. Was sollte das denn wieder bedeuten? Ich konnte es nicht ausstehen, wenn jemand in Rätseln sprach. Und es schien mir, als ob alle das taten. Doch ich schwieg und dachte über Leahs Worte nach.
„Ich weiss, dass ich nicht deine Freundin bin und ich weiss, dass ich mich echt ätzend benommen habe, aber -“

„Du bist meine Freundin“, unterbrach ich sie.
„Auch wenn du dich echt mies benommen hast. Ich war schliesslich auch nicht besser.“
Leah lächelte schwach. „Ich dachte, weil ich mich so daneben benommen habe...“
„Nein. Du bist wahrscheinlich die einzige Freundin, die ich habe.“
Leah lächelte wieder, dieses mal breiter. „Das glaub ich nicht. Emily und Kim mögen dich sehr. Und die Jungs mochten dich schon, seit sie dich das erste Mal gesehen haben.“
Ich schmunzelte, als ich an all diese Menschen dachte, die mir eigentlich fremd sein sollten. Doch sie waren es nicht. Es war, als würde ich Leah schon ewig kennen, als wäre Embry schon immer in meinem Leben gewesen.
„Leah?“, fragte ich zögerlich.
„Wieso warst du so zu mir? Bereits vom ersten Augenblick an war es so, als ob du mich hassen würdest.“
„Tut mir leid. Das lag nicht an dir. Seit... Seit der Sache mit Sam habe ich... niemand mehr an mich herangelassen. Und damit ich gar nicht erst in Versuchung kam, war ich gemein. Zu allen. Nicht bloss zu dir. Ich will einfach nie wieder verletzt werden, verstehst du?“
Sie runzelte die Stirn und sah mich an. In diesem Augenblick merkte ich, wie ähnlich wir uns wirklich waren. Wieso ich sie immer verstanden hatte, auch wenn ich ihr am liebsten den Kopf abgerissen hätte.
„Ja. Ich weiss genau was du meinst“, flüsterte ich und dachte an Mum, an Damien, an die furchtbaren Monate, die mich zu der gemacht haben, die ich heute bin.
„Leah, du musst dich wieder öffnen. Du musst anderen wieder vertrauen können.“
Leah nickte.
„Das weiss ich, es ist nur leichter gesagt, als getan.“
Ich schwieg betreten. Wie konnte ich Leah Ratschläge geben, wenn ich von meiner eigenen Vergangenheit davonlief?
Ich musste mit meiner Vergangenheit abschliessen und mich auf die Zukunft konzentrieren. Und meine Zukunft hiess Embry.

Das Risiko eingehen



Akascha Sicht:

„Mir egal, Leah.“
„Jetzt hab dich nicht so“, nörgelte sie lautstark.
„Miss Clearwater, gibt es ein Problem?“
Leah warf unserem Physiklehrer einen genervten Blick zu, drosselte jedoch ihre Lautstärke.
„Du kannst nicht nein sagen! Die ganze Schule wird dabei sein. Na ja, ausser vielleicht die Streber“, flüsterte sie.
„Und ich“, zischte ich bestimmt.
Leah seufzte und wandte sich wieder unserem Physiklehrer zu. Sie wollte mich immer noch überzeugen, mit auf die Party am Samstag zu kommen. Anscheinend würden alle coolen Leute der Schule dort aufkreuzen. Ich wollte mich dort nicht blicken lassen. Schon alleine wegen der riesigen Menschenmasse, die dort erscheinen würde. Ausserdem wusste ich nicht, wie ich mich in der Öffentlichkeit Embry gegenüber verhalten sollte.
Ich versuchte gar nicht, Mr Ames zu folgen, denn ich wusste, dass Leah noch nicht fertig war. Ich musste ein wenig schmunzeln, als meine Vermutung bestätigt wurde. Denn Leah drehte sich wieder zu mir um.
„Ich will da aber nicht alleine hingehen! Sei nicht so selbstsüchtig!“, zischte sie aufgebracht.
„Na schön, ich geh hin.“
Leah lächelte zufrieden.
„Du bist klüger als ich dachte, Clearwater“, wisperte ich und stiess ihr freundschaftlich den Ellbogen in die Rippen.
„Mir ins schlechte Gewissen einreden, damit ich dort aufkreuze.“
„Ich stecke voller Überraschungen“, sagte sie und grinste schelmisch.
Ich schwieg. Bis Freitag waren es noch einige Tage. Ich würde mir später darüber Sorgen machen, dachte ich mir und versuchte für den Rest der Stunde, Mr Ames zuzuhören.


Doch der Freitag kam rasend schnell.
Die ganze Woche über hatte ich gelernt, ich hatte unglaublich viel nachzuholen. In den letzten Monaten war ich nicht allzu oft in der Schule gewesen, was sich nun deutlich zeigte. Doch irgendwie hatte ich die Klausuren geschafft und diese sogar noch mit einem guten Gefühl im Bauch, ausser vielleicht in Physik.
Embry hatte ich nicht oft gesehen in dieser Woche. Ehrlich gesagt, hatte ich kaum mit jemandem gesprochen. In den Pausen lernte ich in der Bibliothek und nach der Schule ging ich ohne Umweg nach Hause. Fakt ist, ich wollte alles daran setzen, hier bleiben zu können. Ausserdem musste ich Onkel Devis zeigen, dass ich es schaffen konnte. Und einen Schulabschluss war das Mindeste, was ich erreichen wollte.
Es war bereits spät, als ich das Haus verliess. Onkel Devis war ebenfalls unterwegs.

Er traf sich mit irgendwelchen Freunden in einer Bar.
Ich hatte mich ein wenig aufgestylt, doch nicht so fest, als dass ich gross auffallen würde. Ein wenig Wimperntusche, Kajal und Gloss. Ausserdem hatte ich meine Haare sorgfältig geföhnt, so dass nun beinahe jede Strähne perfekt sass.
Ich würde Leah auf der Party treffen.
Ob Embry wohl auch da sein würde? Diese Frage geisterte in meinem Kopf herum, seit ich zugesagt hatte. Wie gesagt, ich hatte nicht sonderlich mit ihm gesprochen diese Woche, was mich auf eine seltsame Art und Weise störte. Doch in dieser Woche hatte ich Gott sei Dank so viel zu tun gehabt, dass ich dieses Gefühlschaos ein wenig ignorieren oder zumindest nach hinten schieben konnte.
Nach dreissig Minuten, in denen ich die Adresse zur Party vergeblich gesucht hatte, fand ich endlich die riesige Strandhütte. Sie war bestimmt dreimal so gross wie das Haus von Onkel Joe, doch sie wirkte nicht halb so herzlich und einladend. Ich hatte keine Ahnung, wessen Haus es eigentlich war, doch ehrlich gesagt war mir das auch ziemlich egal. Ich hörte, wie Musik aus einer lauten Anlage dröhnte und beschloss, durch die Hintertür hineinzugelangen. Ich fand diese bereits nach kurzer Zeit und trat in das überfüllte Wohnzimmer.

Das Erste, was ich sah, war eine Menge Alkohol, sowie zahlreiche Paare, die in einer Ecke auf den Sofas rummachten.
„Da bist du ja!“
Ich drehte mich um und sah Leah, die auf mich zukam. Sie schien noch absolut nüchtern, was man von den anderen Gästen nicht behaupten konnte.
Ich war erleichtert, dass sie mich gefunden hatte und umarmte sie.
„Hey!“, grinste ich und sah in die Runde. „Tolle Party“, fügte ich sarkastisch hinzu.
Leah verdrehte die Augen. „Okay, ich habe wirklich übertrieben. Eigentlich will ich selbst nicht hier sein. Aber ich will nicht das ganze Jahr über auf der Loser-Liste stehen.“
Ich sah sie verwirrt an. „Seit wann interessiert es dich, was andere von dir halten?“
„Tut es nicht“, meinte Leah achselzuckend. „Aber das Traurige ist, dass ich an einem Freitagabend nichts besseres zu tun habe, als mich mich einer Horde Teenager zu betrinken.“
Ich lachte. Es war einfach absurd sich vorzustellen, dass Leah sich auch nur auf einen dieser Teenager einlassen würde.
„Dann will ich dich nicht weiter stören“, sagte ich neckend und nahm mir einen Becher, in den ich Punsch einschenkte.
„Der war gut. Als ob du aufhören könntest, mich zu nerven“, konterte Leah und schenkte sich ebenfalls ein.
Unauffällig blickte ich mich um.
„Er hat bereits nach dir gefragt“, sagte Leah und grinste vielsagend.
„Wer?“
„Na, Embry. Dieser Typ, nach dem du so verstohlen Ausschau hältst.“
„Tue ich doch gar nicht!“, protestierte ich lauthals.
„Natürlich nicht“, erwiderte sie sarkastisch und nahm einen Schluck von ihrem Punsch.
„Er ist draussen. Einige Typen haben dort ein Lagerfeuer gemacht.“
Ich seufzte.
„Ich bin so etwas von leicht zu durchschauen, oder?“
Leah zuckte bloss mit den Schultern und lächelte.
„Wir sehen uns“, sagte ich und bahnte mir den Weg nach draussen.
Ein frischer Wind erfasste mein Haar und ich schloss die Augen, um ihn so intensiv wie möglich zu spüren. Ich roch das Meer, der salzige Geruch breitete sich in meiner Nase aus und erinnerte mich an meine Kindheit zurück. Ich hatte unzählige Stunden am Strand verbracht, zusammen mit meinem Vater.
Es schmerzte, an ihn zu denken. Ich vermisste meinen Vater so sehr.

„Erde an Akascha“, rief Jake und fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum.
„Was? Oh, Hey Jake.“
„Was tust du denn hier alleine?“
„Ich wollte zu...“, fing ich an, doch ich unterbrach mich.
„Ahh“, sagte Jake und ich nahm an, dass er verstand.
„Er ist beim Lagerfeuer. Komm mit. Er wird sich freuen dich zu sehen. Ehrlich gesagt liegt er mir schon den ganzen Abend in den Ohren, weil du dich noch nicht hast blicken lassen.“
Ich wurde ein wenig rot, doch Jake bekam davon zum Glück nichts mit.
„Hey, Jake!“, rief Jared, als wir das Lagerfeuer erreicht hatten.
Jake winkte mir zum Abschied und gesellte sich zu Jared.
Ich blickte mich nach Embry um, konnte ihn allerdings nirgends entdecken.
Doch dann hörte ich es. Embrys beruhigende Stimme, begleitet von einem mädchenhaften Kichern. Ich sah Embry einige Meter von mir entfernt stehen. Er war nicht alleine. Und dann erkannte ich sie. Es war diese Lyana! Das perfekte und absolute schönste Mädchen der Schule. Jedenfalls kam es mir in diesem Moment so vor. Sie schien schon einiges intus zu haben. Ich merkte, wie die Eifersucht in mir hochkochte und dieses Gefühl machte mir Angst. Doch in diesem Moment, war es mir egal. Das Einzige, was mich interessierte, war Lyana, die jetzt ihre Arme um Embry schlang und ihn stürmisch auf den Mund küsste.
Ich stockte. Sie küsste ihn!

Ich gab einen erstickten Laut von mir, halb Würgereiz, halb Zischen. Embry löste sich sofort von Lyana und sah mich mit grossen Augen an.
„Akascha...“, flüsterte er betreten.
Ich wandte mich ab und rannte davon. Ich hatte definitiv genug gesehen!
„Akascha!“
Dieses Mal klang Embrys Stimme lauter und näher.
Verdammt, er folgte mir. Das konnte ich jetzt unmöglich auch noch handhaben!
Ich lief schneller, doch er packte mich am Arm und hielt mich zurück.
„Warte!“
„Lass mich, Embry“, zischte ich und entriss ihm meinen Arm.
„Sie hat mich einfach geküsst! Ich wollte das nicht!“
„Natürlich nicht!“, erwiderte ich aufgebracht und versucht die Tränen, die mir mittlerweile in die Augen traten zu unterdrücken.
„Ich wusste es. Ich wusste, dass das alles nicht wahr sein konnte! Du warst ja auch zu gut um wahr zu sein. Es hätte mir von Anfang an klar sein sollen, als ich dich mit Lyana gesehen habe.“
„Hör auf, Akascha! Das ist nicht wahr und das weisst du.“
„Tu ich nicht. Lass mich einfach in Ruhe und rede ja nie wieder mit mir.“
Ich drehte mich um und wollte gehen. Einfach nur weg von hier.
„Das ist genau das, was du immer wolltest, oder?“
Ich wandte mich wieder zu Embry und war überrascht, als ich seine zornigen Augen sah. Was sollte das? Wieso war er jetzt wütend auf mich? Dazu hatte er absolut kein Recht!
„Was meinst du damit?“
„Du hast von Anfang an einen Grund gesucht, dich von mir fern halten zu können. Du willst nicht verletzt werden, deshalb versuchst du immer einen Grund zu finden, um die Menschen, an denen dir etwas liegt, fallen zu lassen. Herzlichen Glückwunsch, du hast es geschafft.“
Ich funkelte ihn an. Seine Worte waren wie Gift. Besonders da ich wusste, dass er an einem gewissen Punkt Recht behielt.
Trotzdem wandte ich mich von Embry ab und rannte davon. Den gesamten Weg bis nach Hause rannte ich mir beinahe die Lunge aus dem Leib. Ich wollte nicht weinen. Wenigstens noch nicht jetzt.
Nach Atem ringend kam ich in meinem Zimmer an und schlug die Tür zu. Ich vergrub den Kopf in meinem Kopfkissen und weinte, bis ich schliesslich vor Erschöpfung einschlief.


Ich erwachte, als jemand mehrmals an der Tür läutete. Ich fühlte mich seltsam ausgelaugt und meine Kehle war ausgetrocknet. Stolpernd lief ich zur Tür und öffnete sie.
Leah stand davor, sie wirkte unglaublich wütend.
„Was ist?“, fragte ich genervt. Ich wollte mit niemandem reden.
„Wo warst du gestern Abend, verdammt? Und was war bei dir und Embry los?“
Ihre Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund und sie verschränkte trotzig ihre Arme vor der Brust.
„Leah, lass mich in Ruhe“, erwiderte ich beinahe flehend. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.
„Na schön. Na schön!“, rief sie aufgebracht und drehte sich um. Nach einem Meter blieb sie stehen und wandte sich wieder zu mir. „Weisst du, jemand hat mir mal gesagt, ich soll mich anderen wieder öffnen. Ich glaube, diese Person sollte das auch mal versuchen. Auch wenn man manchmal verletzt wird. Das ist das Risiko.“
Sie lief davon und ich schloss die Tür. Nach Atem ringend lehnte ich mich an die nächste Wand. Leahs Worte hatten gesessen, auch wenn jedes einzelne Wort davon der Wahrheit entsprach.
Und plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich zog mich schnell an, putzte mir die Zähne und schminkte mich ein wenig. Ich hinterliess Onkel Devis eine Nachricht und verliess das Haus. Bereits nach zehn Minuten bog ich um die Ecke und sah Jakes Werkstatt vor mir. Da ich keine Ahnung hatte, wo ich Embry finden konnte, musste ich wohl oder übel zuerst Jake besuchen. Ich wusste, wo Jakes Haus war, weil es nicht weit weg von dem Hause Clearwater entfernt lag.

Ich hörte Stimmen, die von der Werkstatt kamen und zögerte nicht lange. Ich trat ein und sah Jake, der gerade an einem Auto herum schraubte. Bei ihm waren Quil, Jared und... Embry.
Als er mich sah, verschwand sein Lächeln und es wurde ungewöhnlich still.
„Ähh, Hey Akascha“, sagte Jake und versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
„Hey“, krächzte ich und fasste meinen Mut zusammen.
„Könnte ich vielleicht mit Embry sprechen? Allein?“
Jake, Quil und Jared sahen Embry an, der teilnahmslos nickte.
In der einen Hand hielt er einen Schraubenzieher.
Die drei Jungs verschwanden und liessen uns allein.
Embry öffnete den Mund, doch ich unterbrach ihn: „Mein Vater hat uns verlassen als ich zwölf war. Er Hatte ein tragischer umfall. Meine Mutter hatte... hatte es damit ziemlich schwer. Sie sucht sich immer die falschen Männer, darunter auch Damien. Er ist... ein Tyrann. Damien hat mich und meine Mutter über Monate lang geschlagen. Ich habe mir geschworen, dass ich nie jemanden an mich heranlassen würde. Schliesslich hatte ich mit angesehen, wie meine Mutter daran zerbrochen ist. Ich war fest davon überzeugt, dass man dabei nur verletzt wird. Letztendlich habe ich es Zuhause nicht mehr ausgehalten. Meine letzte Chance war nach La Push zu kommen. Ich bin vor meiner eigenen Vergangenheit davongelaufen. Ich wollte bloss weg.
Und dann kamst du und das bringt einfach... alles aus der Bahn. Und ich hab versucht, dich weg zu puschen, aber ich kann es nicht. Und ich werde es ab jetzt auch lassen.
Ich kann dir nicht versprechen, dass ich mich von Grund auf ändere, doch ich kann es zumindest versuchen.“

Ich atmete tief aus. Jetzt war es raus. Das, was ich immer so krampfhaft versucht hatte zu verbergen, hatte ich nun bereitwillig erzählt.
Ich musterte Embry. Er sah mich mit leicht geöffnetem Mund an und ich bereute es sofort. Was bildete ich mir eigentlich ein? Ich kannte ihn doch gar nicht wirklich! Womöglich sah er in mir nicht das, was ich in ihm sah.
Doch das war jetzt auch egal. Denn ich empfand eine solche Zuneigung für diesen Jungen.
„Ich hab getan, was ich konnte“, murmelte ich und wandte mich ab.
Gerade als ich die Tür erreicht hatte, hörte ich, wie Embry den Schraubenzieher fallen liess.
„Akascha!“
Ich drehte mich wieder um und sah, wie Embry auf mich zu geschritten kam. In seinen Augen lag eine wilde Entschlossenheit. Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, schlang Embry einen Arm um mich und zog mich zu sich. Er sah mir tief in die Augen und ich konnte schwören, dass mein Herz für einige Sekunden innehielt. Sein unwiderstehliche Duft stieg mir in die Nase.
Embry nahm mein Gesicht in die Hand, sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt.
Endlich beugte er sich hinunter und legte seine Lippen auf meine.


Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich begriff, was gerade geschah.
Er küsste mich!
Sanft, beinahe schüchtern, als wollte er wissen, ob ich es zuliess. Seine Lippen lösten sich viel zu früh von meinen und ich reagierte, ohne nachzudenken.
„Nein“, flüsterte ich und vergrub meine Hände in seinen dunklen Haaren. Stürmisch und voller Verlangen legte ich meinen Mund wieder auf seinen und ich hörte, wie Embry überrascht aufkeuchte. Er fing sich allerdings schnell wieder und schlang seine Arme um meine Taille. Er drängte mich einen Schritt zurück, sodass ich mit dem Rücken an der Wand stand. Meine Zunge begann spielerisch mit seiner zu tanzen.
Ich hätte womöglich die ganze Zeit damit verbracht, Embry zu küssen, wenn da nicht Seth gewesen wäre. Er räusperte sich laut, was dazu führte, dass ich und Embry auseinander schossen.
„Seth! Ähh, Hey“, stotterte ich. Mit ziemlicher Sicherheit lief ich gerade rot an. Wie ätzend!
Embry sah ein wenig verärgert aus, weil Seth uns unterbrochen hatte.
„Tut mir leid, ich wollte euch nicht stören. Quil meinte bloss, dass hier noch irgendwo Pizza herumliegen würde.“
Seths Worte sprudelten nur so aus seinem Mund, doch er verstummte jäh, als er Embrys genervten Blick auffing.
„Offenbar nicht“, sagte er langsam. „Ich geh dann mal und lass euch... alleine.“
Seth ging rückwärts und stolperte über einige Schraubenzieher.
Nur mit Mühe konnte er verhindern, nicht zu fallen und er stolperte hektisch zur Tür. Als er endlich verschwunden war, konnte ich nicht länger an mich halten. Ich lachte, bis mir die Tränen in die Augen stiegen.
„Das war vielleicht peinlich“, sagte ich und lächelte Embry zu. Er sah mich liebevoll an und streckte seine Hand aus, liess sie allerdings wieder fallen. Ich wusste, dass er nicht zu aufdringlich sein wollte, deshalb trat ich einen Schritt auf ihn zu und nahm seine warme Hand. Er sah mich an und lächelte. „Ich mag es, wenn du lachst. Das steht dir.“ Ich lachte leicht und er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Nach kurzer Zeit wurde er allerdings ungewöhnlich ernst.
„Das mit Lyana tut mir leid. Ich wollte das nicht. Sie hat zu viel getrunken und ich -“
Ich legte meine Finger auf seine Lippen und er verstummte sofort.
„Ich weiss“, flüsterte ich und küsste ihn sanft.
„Vergessen wir das.“
Er nickte dankbar.
„Embry!“, rief eine Stimme von draussen.
„Sam will uns sehen. Sofort.“
Embry seufzte und löste sich sanft von mir.
„Ich komme, Jared!“
Ich musste mich anstrengen, um ihn nicht zurückzuhalten. Ich wollte nicht, dass er schon ging. Die Zeit mit ihm verging immer viel zu schnell.
Embry drehte sich wieder zu mir um und sah mich mit seinen grossen Augen an, welche die Farbe von flüssiger Schokolade hatten.


Embry Sicht:


Ich konnte nicht glauben, dass ich schon wieder von ihr fort musste.
Gerade jetzt, da sich alles endlich zum Guten wendete.
Ich blickte Akascha an und sah, wie sich ihre Gesichtszüge entspannten.
Sie lächelte leicht und ich konnte nicht anders, als wieder die Hand nach ihr auszustrecken.
Ein wenig schüchtern trat sie einen Schritt auf mich zu und ich nahm sie in die Arme. Schützend hielt ich sie fest und ich spürte ihren beständigen Herzschlag, der im gleichen Rhythmus wie meines schlug. Ich hätte Jahre damit verbringen können, Akascha im Arm zu halten, doch ich wusste, dass Sam nicht sonderlich viel Verständnis dafür haben würde. Manchmal war diese Verpflichtung, die wir Wölfe hatten einfach zum Kotzen.
Widerwillig liess ich Akascha los.
Ihr Duft machte mich wahnsinnig, doch daran hatte ich mich allmählich gewöhnt.
Mir kam es vor, als wäre es erst gestern gewesen, als Akascha an diesem verregneten Montag beinahe mit mir zusammengestossen war. Der Moment, in dem ich mich auf dieses aussergewöhnliche Mädchen geprägt hatte.
Ich beugte mich zu ihr herunter und küsste sie sanft auf die Wange.
Jedes Mal wurde der Abschied von Akascha ein wenig qualvoller.
„Ich muss gehen“, flüsterte ich und sie nickte leicht. Der Abschied schien ihr genauso schwer zu fallen wie mir.
„Wir sehen uns bald wieder.“

Ich wandte mich ab und ging hinaus, ohne noch einen Blick auf Akascha zu werfen. Ich wäre ansonsten womöglich nie gegangen. Draussen im Freien war es einfacher, meine Gedanken klar zu ordnen. Ich lief in den Wald und vergewisserte mich, dass Akascha mich nicht sah, bevor ich meine Kleider abstreifte. In Sekundenschnelle war ich nicht mehr Embry, der Mensch, sondern ein riesiger Wolf, dessen Aufgabe es war, La Push zu beschützen. Was auch mächtig nötig war, wenn man bedachte, dass diese rothaarige Blutsaugerin immer noch durch die Wälder streifte! Und das alles nur wegen diesen Cullens! Wieder einmal merkte ich, wie sehr ich diese untoten Gestalten hasste. Wenn auch nicht so fest wie Jake.
Ich trottete durch das dichte Geäst, bis ich bereits nach kurzer Zeit das Haus von Sam und Emily erreichte. Durch mein ausgeprägtes Gehör konnte ich die Stimmen bereits in einiger Entfernung hören. Sam musste alle einberufen haben.
Ich verwandelte mich schnell zurück, zog mich wieder an und trat dann durch die Tür, ohne anzuklopfen. So etwas tat man einfach nicht unter Wölfen. Als ich die Küche betrat, brach sofort ein unangenehmes Schweigen aus. Ich versuchte dies nicht weiter zu beachten und liess mich auf die Bank neben Seth fallen.

Paul und Jake grinsten mich beide von der anderen Seite des Tisches an und sogar Leah musste sich ein Lächeln verkneifen. Seth wirkte nervös. Womöglich hatte er das Gefühl, dass ich ihn noch wegen vorhin gehörig in die Schranken weisen würde. Auch wenn ich nicht sonderlich begeistert darüber gewesen war, dass er mich und Akascha gestört hatte, ich würde das Thema einfach fallen lassen.
„Hab ich etwas verpasst?“, fragte Sam in die Runde und musterte jeden einzelnen von uns verwirrt. Sein Blick blieb an mir hängen, doch ich zuckte abwehrend mit meinen Schultern. „Was siehst du mich so an? Ich bin gerade erst dazugestossen.“
„Und wir wissen auch alle, wieso du Verspätung hattest“, murmelte Jared grinsend.
„Ich kann immer noch nicht fassen, dass du die klargemacht hast“, fügte Paul hinzu.
„Ich war fest davon überzeugt, dass sie dich abblitzen lässt.“
„Glaub mir, dass sah vorhin ganz bestimmt nicht danach aus, als würde sie ihn abservieren“, erwiderte Seth und lachte, verstummte allerdings sofort wieder, als er meinen Gesichtsausdruck sah.
„Schade, wurde ich nicht auf sie geprägt. Sie würde nicht einmal mehr wissen wie ihr Name ist, wenn sie mir erst einmal verfallen wäre“, sagte Paul grinsend und ich knurrte. „Keine Sorge, ich werde die Kleine schon nicht anrühren. Sie ist deine Geprägte.“
Ich funkelte ihn weiterhin wütend an. Es gefiel mir ganz und gar nicht, wie er über Akascha redete. Doch es war besser, Paul nicht zu provozieren und ehrlich gesagt, hatte ich das auch nicht nötig. Ich musste mich bloss an ihre Lippen zurückerinnern. So süss auf meinen und ihren warmen Körper ganz nah bei mir und schon wusste ich, dass mir keiner auf dieser Welt dieses Gefühl je wieder wegnehmen konnte.

„Wenn wir dann Embrys Liebesleben zu Genüge durchgekaut haben, würden wir zu einem weitaus wichtigeren Thema übergehen“, sagte Sam ernst. Wir verstummten alle augenblicklich und ich war heilfroh darüber, dass Sam endlich das Gespräch beendete.
„Wie ihr alle wisst, ist diese Rothaarige immer noch in unseren Wäldern. Ich weiss, dass die Cullens ebenfalls patrouillieren, doch ich vertraue ihnen kein Stück. Ich will, dass die Wachzeiten nochmal verschärft werden.“
Alle am Tisch stöhnten laut auf.
„Wenn ich noch weniger Schlaf kriege, drehe ich durch!“, schimpfte Jake lauthals.
„Und ich sehe Kim schon jetzt beinahe nie“, jammerte Jared.
„Bei mir läuft es gerade so richtig gut mit Akascha. Ich will so viel Zeit mit ihr verbringen, wie irgend möglich.“
Die anderen protestierten ebenfalls lautstark, doch wir verstummten, als Sam die Hand hob.
„Es ist unsere Pflicht und ich will keine Widerrede hören. Ausserdem werden es Kim und Akascha bestimmt verstehen, wenn ihr ihnen erklärt, wieso ihr keine Zeit habt.“
Ich schwieg. Akascha hatte keine Ahnung, wer ich wirklich war.
„Du hast es ihr immer noch nicht gesagt?“, fragte Leah ungläubig, die mein Schweigen richtig deutete.
Ich schüttelte den Kopf.
„Was hast du ihr noch nicht erzählt? Doch etwa nicht, dass du in Wirklichkeit ein Gestaltwandler bist, oder?“
Jake starrte mich ungläubig an.
„Ich kann nicht. Denn dann müsste ich ihr von der Prägung erzählen und ich will sie nicht erschrecken. Vielleicht ist ihr das Ganze einfach zu endgültig, ich will sie nicht vergraulen.“
Dieses Mal war es Sam, der antwortete.
„Glaub mir, das Ganze erschreckt jeden, der es zum ersten Mal hört. Aber je länger du es hinauszögerst, desto schlimmer wird es. Akascha könnte das Gefühl haben, dass du ihr nicht vertraust.“
Ich nickte abwesend. Womöglich hatte er Recht. Nein, es stimmte sogar komplett. Ich hatte wohl einfach zu sehr Angst vor ihrer Reaktion. Aber ich musste es ihr sagen. Ich musste einen Schritt nach vorne machen.

Die Offenbarung



Akascha Sicht:

Zittrig strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich hatte mir nie gross Sorgen darüber gemacht, wie ich aussah. Zweifel hatte ich nie gehabt. Ich wusste, wie ich bei den Jungs ankam. Und trotzdem, aus irgendeinem Grund war ich heute wahnsinnig erpicht darauf, gut auszusehen. Ich versuchte mir schon die ganze Zeit einzureden, dass das nichts mit Embry zu tun hatte, doch um ehrlich zu sein, war das aussichtslos.
Heute war wieder Schule angesagt. Das erste Mal, seit ich und Embry uns geküsst hatten. Ich hatte dieses mulmige Gefühl im Bauch, weil ich nicht wusste, wie er in der Öffentlichkeit zu mir stand. Ehrlich gesagt wusste ich nicht einmal, ob ich wollte, dass er sich zu mir bekannte. Ich hatte keine Lust darauf, das Gesprächsthema Nummer eins zu sein, nur weil ich mit Embry Call zusammen war. Oder... waren wir überhaupt zusammen?
Nein, verdammt, ich wollte, dass er zu mir stand. Aber würde er es wirklich auch tun?
Ich hasste diese Unsicherheit. Sie machte mich so unglaublich verletzlich.

Es vergingen weitere fünfzehn Minuten, bis ich endlich halbwegs zufrieden mit meinem Äusseren war. Ich trug eine enge Röhrenjeans, sowie einem roten T-Shirt mit V-Ausschnitt.
Ich rannte die Treppe herunter und streifte mir dabei meine schwarze Lederjacke über.
„Morgen, Onkel Devis. Wir sehen uns, Onkel .“
Und mit diesen Worten verschwand ich durch die Tür.
Es schüttelte wie aus Kübeln und natürlich hatte ich keine Zeit zurückzugehen um mir einen Regenschirm zu holen.
„Na toll“, murmelte ich und wusste, dass meine Frisur und mein Make-Up jetzt für den restlichen Tag hoffnungslos verloren waren.
Der Tag begann schon grauenhaft, was für mich nicht gerade ein gutes Omen war. Vielleicht sollte ich einfach wieder nach Hause gehen und mich den ganzen Vormittag unter der Decke verkriechen.
Doch da kam mir in den Sinn, dass Onkel darauf bestand, dass ich die Schule regelmässig besuchte.
Also befand ich mich nun widerwillig auf dem Weg zur Schule. Der Regen peitschte unaufhörlich um meine Ohren und der Wind liess mich bis auf die Knochen frieren. Wieso musste es auch bloss so kalt sein?
Als ich endlich die Schule erreichte, was sich wie eine Ewigkeit anfühlte, trat ich in den grossen Schulgang und schlängelte mich durch die Menge zu meinem Spind.
Meine Schuhe quietschten unaufhörlich, was einige belustigte Blicke auf mich zog.
Toll, dachte ich sarkastisch und öffnete mürrisch meinen Spind. Ich fischte nach meinen Büchern und ging zur Stunde.


Endlich!
Das schrille Läuten der Klingel befreite mich von dieser unausstehlichen Chemiestunde und ich packte rasch meine Sachen zusammen. Zum Glück hatte ich heute Nachmittag frei, noch eine Stunde würde ich nicht überleben. Ich hatte weder Embry, noch Leah heute gesehen, was mich nicht gerade glücklich stimmte.
Ich schlenderte durch den Gang, als ich sie aus einiger Entfernung sah.
Lyana.
Und natürlich war sie nicht allein. Embry stand neben ihr und die beiden unterhielten sich. Okay, sie unterhielten sich wirklich nur, doch ich wandte mich trotzdem ab und ging in die andere Richtung. Auch wenn ich wusste, dass ich keinen Grund dazu hatte eifersüchtig zu sein, so musste ich mir das Ganze trotzdem nicht mitansehen.
Grob stiess ich die grosse Eingangstür auf und lief nach draussen.
Es regnete immer noch. Verdammt, war das überhaupt möglich? Ich konnte mich nicht erinnern, dass es einmal nicht geregnet hatte.
Ich zog meinen Kopf ein, was absurd war. Als ob mich dies vor dem Regen bewahren würde.
„Akascha! Warte!“
Ich drehte mich um und kniff die Augen zusammen. Durch den Regen konnte ich beinahe nichts erkennen, doch ich sah, wie eine Gestalt auf mich zukam.
Embry.
„Hey“, sagte er, als er vor mir stehen blieb. Er musterte mein Gesicht und versuchte zu erkennen, was in mir vorging.
„Hey“, sagte ich schwach und lächelte.
Das sollte nicht so komisch sein. Gestern hatten wir uns noch geküsst und jetzt...
Wieso konnte ich nicht über meinen Schatten springen? Gestern hatte ich es schliesslich auch gekonnt! Vielleicht lag es daran, dass ich immer noch keine Ahnung davon hatte, was Embry genau in mir sah.
Es war doch nicht normal, dass ein Junge, dessen Gesicht und Körper ohne weiteres auf dem Titelblatt einer Modezeitschrift abgebildet sein könnte, an einem durchschnittlichen Mädchen interessiert war. Das war in meinen Augen einfach absurd.

„Okay, das ist irgendwie peinlich“, brummte Embry und kratzte sich nervös am Nacken.
„Meine Worte“, sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Hör zu, wenn du sauer auf mich bist, verstehe ich das. Aber ich habe es dir schon einmal gesagt, zwischen mir und Lyana -“
„Ich weiss. Und ich bin nicht sauer“, sagte ich bestimmt und meinte damit jedes Wort ernst.
„Ich wünschte mir nur, ich wüsste endlich, was du willst.“
Ich wandte mich ab, doch Embry packte meinen Arm und drehte mich wieder zu ihm. So dass ich nicht anders konnte, als ihm in die Augen zu sehen. Diese dunklen Rehaugen, die mich immer wieder um den Verstand brachten.
Ehe ich es mir versah, legte Embry seinen Mund auf meinen. Die umher stehenden Schüler, die mittlerweile alle auf den Schulhof strömten, kümmerten Embry nicht im Geringsten und auch ich begann sie bald auszublenden.
Nach einigen Augenblicken löste Embry seine Lippen von meinen, behielt mein Gesicht aber fest in seinen Händen. Sein Blick bohrte sich in meinen und trotz der Nässe und der eisigen Kälte, fror ich nicht im Geringsten, was wohl in erster Linie an Embry lag.
„Ich dachte dir sei klar, was ich möchte“, raunte er.
Ein bisschen benebelt schüttelte ich den Kopf. Ich konnte nicht klar denken, wenn er mir so nah war.
Embry lächelte leicht. „Akascha, du dummes Mädchen“, flüsterte er sanft und strich mir eine nasse Strähne aus dem Gesicht.
Ich versuchte den Blick abzuwenden, doch Embry liess es nicht zu.
„Wie konntest du das nicht merken?“, murmelte er sanft und drückte mir sanft einen Kuss auf den Mund.
„Keine Ahnung“, flüsterte ich und ich hätte mich am liebsten geohrfeigt, weil meine Stimme so dümmlich klang.
Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und küsste ihn. Ich hoffte, ihm war nicht allzu sehr klar, wie sehr er mich verwirrte.

Der Regen liess immer noch nicht nach und peitschte uns um die Ohren.
„Embry, nun komm schon!“
Das war Paul. Ich seufzte und löste mich von Embry. Dieser sah mich weiterhin liebevoll an und liess sich von Paul nicht zur Eile treiben.
„Sehen wir uns nachher?“
Ich lächelte. „Komm später bei mir vorbei, ja?“
„Das werde ich“, sagte er bestimmt und küsste mich, bevor er Paul hinterherlief.
Erst jetzt wurden mir die Blicke, die wir auf uns gezogen hatten, erst richtig bewusst, was mir sofort unangenehm war. Ich zog nicht gerne alle Blicke auf mich. Ich sah mich um und entdeckte Lyana, die mich aus einiger Entfernung musterte. Erstaunlicherweise nicht einmal feindselig. Nein, sie musterte mich eher so, als ob sie versuchen würde zu verstehen, was Embry genau in mir sah.
Beinahe hätte ich aufgelacht. Dass ich jemals etwas mit Leona gemeinsam haben würde, hätte ich nie gedacht.


Embry Sicht:

Ich warf noch einen letzten Blick auf Akascha. Es gefiel mir ganz und gar nicht, sie hierzulassen. Doch die Aussicht darauf, dass ich sie heute noch sehen würde, machte den Abschied ein wenig erträglicher. Als Akascha aus meiner Sichtweite verschwunden war, wurde ich sichtlich unruhig.
„Mann, Embry, fahr runter, sie kann auf sich selbst aufpassen“, brummte Paul, als er meine Unruhe spürte.
„Weiss ich doch“, murmelte ich und folgte Paul ins Geäst, wo wir unsere Kleider abstreiften und uns verwandelten.
Sofort spürten wir, wie aufgewühlt die restlichen Wölfe waren.
'Embry! Paul! Verdammt, da seit ihr ja endlich!', rief Leah aus und ich sah, dass sie sich gerade auf einem Hügel befand, der die Grenze zwischen La Push und Forks setzte.
'Was ist los?', fragte Paul. Es war Sam der antwortete. 'Die Rothaarige. Sie war wieder hier. Direkt auf unserem Revier.'
Jake knurrte und Seth liess ein Jaulen von sich hören. Wie wir alle wollte er die Rothaarige unbedingt in die Finger kriegen. Oder eben in die Pfoten.
'Macht euch auf eine lange Nacht gefasst.'
'Wieso? Sie ist doch weg!', protestierte Jared und jaulte auf. Auch wenn er versuchte es zu verstecken, wir wussten alle, dass er zu Kim wollte. Unwillkürlich dachte ich an Akascha. Ich hatte ihr versprochen zu kommen.
'Daraus wird nichts, Embry', meinte Sam bestimmt.
'Ich weiss', brummte ich und versuchte meinen Groll zu unterdrücken. Natürlich vergeblich. Dämliche Wolfssache.

Der Abend kam und ich sass hier mit Jared im Wald fest, der nicht wirklich aufmunternd war mit seinem Klagen darüber, dass er Kim vermisste. Jared knurrte. Natürlich hatte er meine Gedanken gehört.
'Dein Gesülze über Akascha ist auch nicht besser.'
'Ach, halt die Klappe', giftete ich und versuchte ihn aus meinem Kopf zu verbannen.
Eine weitere halbe Stunde verging, ohne dass die Rothaarige sich blicken liess. Seth und Jake patrouillierten einige Kilometer von uns entfernt. Und Leah und Paul übernahmen die Stelle südöstlich von uns.
Ich versuchte mich abzulenken, doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu Akascha zurück. Wie ihre vollen Lippen auf meinen schmeckten und ...
'Verdammt, geh schon', meinte Jared genervt.
'Was?'
'Wenn ich noch eine Minute deinen Schwärmereien zuhören muss, dreh ich durch. Also verschwinde schon.'

Das liess ich mir nicht zweimal sagen. Ich bedankte mich bei Jared und rannte durch den Wald. Als ich mich zurückverwandelt hatte und meine Kleider übergestreift waren, sprintete ich beinahe zu Akascha Haus.
Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, erreichte ich endlich die grüne Haustür. Es brannte kein Licht im Haus, nur ein Zettel war an der Tür geheftet.
Ich erkannte Akascha sorgfältige Handschrift und las:

Embry,
Bin im Wald mit Jack spazieren.
Die Haustür ist offen, Essen ist im Kühlschrank
falls du Hunger hast.
Bin bald zurück,
Akascha

Der Zettel fiel mir aus der Hand und ich konnte keinen Muskel mehr rühren. Schockiert starrte ich ins Leere.
Akascha war im Wald.
Und Die Rothaarige streifte immer noch durch unser Areal.
Ich fing mich wieder und dann rannte ich. In Sekundenschnelle hatte ich mich verwandelt und liess ein ohrenbetäubendes Heulen die Stille erzittern.


Akascha Sicht:

Jack jagte einem Kaninchen hinterher und bellte dabei vergnügt. Ich lachte über diesen Anblick, pfiff ihn allerdings wieder zurück. Ich hatte irgendwie Mitleid mit dem kleinen, braunen Kaninchen.
Jack kam auf mich zugesprungen und ich kniete mich zu ihm nieder. Eine Weile kraulte ich ihn hinter dem Ohr und er schloss entspannt die Augen.
Ein Knacken liess mich auffahren. Ich spähte durch das Geäst, konnte allerdings nichts erkennen. Schulterzuckend wandte ich mich wieder zu Jack um, doch dieser sah jetzt alles andere als entspannt aus. Seine Ohren hatte er angelegt und sein Blick war auf das dichte Gestrüpp geheftet.

„Keine Sorge, Grosser. Das war bestimmt nur ein Reh.“
Ich richtete mich wieder auf und klopfte mir die Erde von den Jeans.
Jack jaulte laut auf und ich zuckte zusammen.
„Was ist denn -“
Doch weiter kam ich nicht. Jack drehte sich wie von einer Tarantel gestochen um und rannte davon.
„Jack! Verdammt, bleib hier.“
Ich hechtete hinter ihm her, doch es half nichts. Dieser dämliche Hund war bestimmt schon über alle Berge. Keuchend blieb ich stehen.
Ein Luftzug erfasste mein Haar und blies mir einige Strähnen ins Gesicht. Augenblicklich breitete sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper aus, doch es war nicht die Kälte, die mich frösteln liess.
Unauffällig blickte ich mich um. Meine Güte, wurde ich jetzt etwa noch paranoid?
Willkürlich schlang ich meine Arme um meinen Oberkörper.
Ein Rascheln in unmittelbarer Nähe liess mich zusammenfahren.
„Reiss dich zusammen, Akascha. Da ist nichts.“
Ich versuchte mir diese Worte einzureden, aber überzeugt davon war ich nicht.
Doch vielleicht hatte ich mir diesen roten Haarschopf wirklich nur eingebildet, nichts weiter.


Embry Sicht:

'Embry, was zum Teufel ist los?'
Ich spürte, wie Jake in meinem Gehirn nach Antworten suchte.
Alle waren anwesend. Ich hörte sie in meinem Hinterkopf, allerdings drangen ihre Worte nicht zu mir. Ich konnte bloss an Akascha denken. Und die Gefahr, die ihr gerade drohte.
Jake knurrte, als er endlich auf eine Antwort in meinem aufgewühlten Gedanken fand.
'Ich hole Sam', sagte Jared und rannte davon. Bereits nach wenigen Augenblicken hatte er die Gedankenwelt verlassen. Ich wusste, dass er Sams Haus erreicht und sich nun wieder in einen Menschen verwandelt hatte.
Ich würde aber bestimmt nicht auf meinen Leitwolf warten!

'Embry, lass den Scheiss. Du kannst ihr nicht als Wolf gegenübertreten, sie würde sofort das Weite suchen. Du würdest sie bloss erschrecken. Die Rothaarige ist weit weg, also mach dir keine Sorgen', rief Seth.
Ich glaubte nicht daran. Ich musste zu ihr. Auch wenn ich sie erschrecken würde. Hauptsache ich wusste, dass sie in Sicherheit war.
Ohne auf die anderen Jungs zu hören, rannte ich tiefer in den Wald hinein. Nach einigen Minuten erreichte ich die Stelle, an der Akascha mir und Jacob einmal über den Weg gelaufen war. Ich hoffte inständig, dass sie heute den gleichen Weg entlang spazierte.
Ich schnupperte in der Luft, Akascha Duft stieg mir sofort in die Nase.

Sie konnte nicht mehr weit sein. Ich spitzte meine Ohren und hörte deutlich Schritte. Menschliche Schritte.
Ich sprang hinter einen Baum und verwandelte mich. Blitzschnell streifte ich mir meine Kleider über und horchte.
„Akascha!“, schrie ich und kam wieder hinter meinem Baum hervor.
„Embry?“, kam es überrascht aus dem dichten Geäst. Ich zögerte nicht lange und sprang der Stimme hinterher. Bereits nach einigen Metern entdeckte ich sie. Erleichtert blieb ich vor ihr stehen und nahm sie in die Arme.
„Embry... Du... Zerquetscht... Mich...“
„' Tschuldige“, sagte ich und liess sie los. Ich konnte gar nicht aufhören zu lächeln. Ihr war nichts geschehen, keine Gefahr drohte mehr und...
Ich stockte.
Ein Windstoss kam auf und brachte diesen penetranten Duft mit sich. Meine Muskeln verkrampften sich.
„Embry... Was ist denn los?“, fragte Akascha, sie klang besorgt.
„Sie ist hier, ganz nah“, murmelte ich und sah mich um. Angestrengt versuchte ich zu hören, aus welcher Richtung die Rothaarige kam.

„Was? Wer ist hier?“, fragte Akascha und schüttelte verwirrt den Kopf.
„Embry, verdammt, du machst mir Angst.“
Ich beachtete sie nicht. Akascha musste von hier verschwinden.
Ich konnte mich nicht hier verwandeln. Sie sollte nicht auf diese Weise erfahren, wer ich war.
Ein Knacken riss mich aus meiner Verzweiflung.
Es war zu spät.
Sie war hier.
Die Rothaarige war hier.
Ich musste sie aufhalten. Alles nachdenken würde nichts mehr nutzen, ich musste handeln.
„Stell dich hinter mich, Akascha“, sagte ich schützte sie mit meinem Körper.
Erstaunlicherweise protestierte Akascha nicht und tat für einmal, was man ihr sagte.
Sie musste wohl spüren, wie ernst es mir war.
„Komm raus, Victoria“, rief ich und sprach damit zum ersten Mal ihren Namen aus.
Langsam, wie eine schleichende Katze, trat die Rothaarige hervor und blieb gut fünf Meter von uns entfernt stehen.
Ihre roten Augen blitzten und sie legte den Kopf schräg. Victoria knurrte leicht und kam, ohne eine Sekunde zu verschwenden, auf mich zugeschossen. Noch bevor ich reagieren konnte, riss sie mich von den Füssen. Ich flog fünf Meter durch die Luft und als ich landete, war ich bereits verwandelt.
Der Wolf in mir schien förmlich zu explodieren und ich spürte diese unfassbare Wut,
die in mir hochstieg.
Keiner würde Akascha anrühren, solang ich noch lebte.
Ich knurrte bedrohlich und rannte auf die Rothaarige zu. Flink wich sie mir aus. Bevor einer von uns noch einen Angriff starten konnte, hatte mein Rudel uns erreicht. Paul schoss an mir vorbei und jagte Victoria hinterher, die das Weite suchte. Binnen weniger Sekunden waren alle Wölfe an mir und Akascha vorbei gesaust.
Sam, der schwarze, riesige Wolf blieb vor mir stehen und sah mich an.
'Wir reden später, Embry.'
Und mit diesen Worten rannte er den anderen Wölfen hinterher.
Ich sah den anderen hinterher. Beinahe beneidete ich sie. Zu gern würde ich diese Blutsaugerin in die Finger kriegen. Oder eben in die Pfoten.
Ich hörte wie Akascha neben mir schauderte, was mich zurück in die Realität brachte.
Ich wandte meinen riesigen Kopf um und sah Akascha, die mich mit grossen, vor Schreck geweiteten Augen ansah.


Akascha Sicht:


Ich blinzelte einige Male irritiert. Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Anstatt Embry sah ich einem riesigen Wolf in die Augen.
Embry... Nein, der graue Wolf kam auf mich zu und ich trat instinktiv einen Schritt zurück. Die Augen des Wolfes blinzelten traurig und er setzte sich auf den Boden, sehr darauf bedacht, einen gewissen Abstand zwischen uns zu wahren.
Ich hätte davonlaufen sollen. Ich hätte schreien sollen. Doch ich hatte keine Angst.
Zögernd streckte ich meine Hand aus und der riesige Wolf legte seinen Kopf schräg. Ich sah in seine Augen, es waren... Embrys Augen!
„Embry?“
Seine Mundwinkel zuckten und es sah beinahe aus, als würde er lächeln.
Lächerlich! Ein Wolf kann nicht lächeln, Akascha!
Doch wie absurd das auch klang, ich hätte mein Leben darauf verwetten können, dass das Embry war.
Dann hatte ich mir das Ganze vielleicht trotzdem nicht eingebildet. Hatte sich Embry im Ernst in dieses riesige Tier verwandelt?
Ich vergrub meine Hände in das dichte Fell und Embry... Oder der Wolf, weiss der Henker wie ich ihn nennen soll, schloss die Augen. Nach einiger Zeit knickte er seine Vorderpfoten ein und wies mit seinem grossen Kopf auf seinen Rücken.
„Was? Du willst doch nicht, dass ich da rauf klettere, oder?“
Ich zeigte geschockt auf seinen riesigen Rücken.
Der grosse Wolf grinste. Ich schwöre es, er grinste mich an!
„Wehe, du schüttelst mich ab“, murmelte ich und kletterte etwas unbeholfen auf seinen Rücken.
Ich schrie auf, als der graue Wolf sich in Bewegung setzte und klammerte mich an seinen Hals. Wir jagten durch den Wald und mit jeder Sekunde entkrampfte ich mich ein wenig mehr.
Der Fahrtwind peitschte meine Haare durch die Luft, ich fühlte mich unglaublich frei. Und diese Geschwindigkeit, war das überhaupt möglich?
Viel zu schnell hatten wir den Wald verlassen, doch der Wolf hielt erst an, als wir ein kleines, weisses Haus erreicht hatten.
Ich kletterte herunter und streckte mich. Als ich mich umdrehte, war der Wolf verschwunden. Leicht panisch blickte ich mich um. Wo war er?
Doch bereits nach wenigen Augenblicken raschelte es in einem naheliegenden Gebüsch und ich drehte mich abrupt um. Embry kam auf mich zu, er trug ein schwarzes T-Shirt sowie Jeans. Dass er nicht fröstelte war mir ein Wunder.
Er blieb etwas scheu vor mir stehen und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Seine Augen, braun und liebevoll, suchten meinen Blick. Ich lächelte schwach, als ich sie erkannte. Es waren definitiv dieselben Augen, die ich vorhin bereits gesehen hatte. Bloss nicht in menschlicher Gestalt.
„Hey“, krächzte ich, meine Stimme klang ganz heiser.
„Hey“, erwiderte Embry und lächelte scheu. Er nickte mit dem Kopf in Richtung Strand. „Ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung.“

Keine Wahl



Akascha Sicht:

Schweigend folgte ich Embry.
Wahnsinn, welche Wende dieser Abend für mich nahm!
Wenn ich gewusst hätte, wie sehr dieser Abend alles verändern würde, hätte ich mich womöglich aus dem Staub gemacht.
Die Sonne war bereits untergegangen, doch erstaunlicherweise fröstelte ich kein bisschen. Oder vielleicht war das nicht weiter verwunderlich, schliesslich hatte ich mich längst an Embrys Wärme gewöhnt. Obwohl Wärme traf es nicht ganz. Hitze war wohl das richtige Wort. Als ob er Fieber hätte oder sonst was. Doch da er immer diese warme Temperatur aufwies, machte ich mir darüber nicht allzu viele Gedanken.
Embry führte mich an der Hand zum Strand, wo wir uns unter dem Mondlicht auf den kühlen Sand setzten.
Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ein Windstoss aufkam. Embry bemerkte es und blickte mich schüchtern an.
Ich lächelte schwach und als er seine Arme ausbreitete, zögerte ich nicht lange. Ich rückte näher und er schlang seine Arme um mich. Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich hörte seinen kräftigen Herzschlag.

„Das läuft ja besser als gedacht“, murmelte Embry.
Ich hob den Kopf um ihn anzusehen.
„Was meinst du?“
Embry seufzte und liess ein wenig Sand durch seine Finger rieseln.
„Ich hätte gedacht, dass du mich entweder mit Fragen bombardierst oder schreiend davonrennst, doch nichts davon ist eingetreten.“
Er sah mir tief in die Augen und lächelte schwach.
„Du bist echt schwierig zu durchschauen. Das macht das Ganze nicht gerade leicht.“
Ich wandte mich lächelnd ab. Aus irgendeinem absurden Grund fand ich es beruhigend, dass ich doch nicht ganz so durchschaubar war, wie ich immer angenommen hatte.
War ihm überhaupt klar, wie stark meine Gefühle für ihn waren?
Wahrscheinlich nicht. Doch ich wusste nicht, ob dies nun schlecht war, oder doch vielleicht gut. Gut im Sinne von er wusste nicht, wie sehr er mich verletzten konnte. Schlecht allerdings weil... Ich wollte, dass er wusste wie sehr er mir bedeutete. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so nah an mich herangelassen. Ich würde alles dafür tun damit es so blieb.
„An was denkst du?“, fragte mich Embry und erst jetzt bemerkte ich, dass er mich die ganze Zeit über beobachtet hatte.
„Über uns“, flüsterte ich leise und er lächelte über meine Worte.
„Was gibt es da zu lächeln?“
Er zuckte mit den Schultern und blickte auf das weite Meer.
„Du hast 'uns' gesagt.“
Ich wandte mich beschämt ab.
„Ich... Ich dachte wir sind sozusagen... na ja, du weisst schon zusammen.“
Mann, das hörte sich echt saumässig blöd an. Wie in einem billigen Kitschroman für kleine Mädchen.
„Hey, wende dich nicht von mir ab, Akascha“, murmelte Embry und nahm mein Gesicht in seine Hände, sodass ich gezwungen war ihm in die Augen zu sehen.
„Mir gefällt es, dass du 'uns' gesagt hast, weil es sich so anhört, als ob du dir eine Zukunft mit mir vorstellen kannst. Und für mich sind wir schon zusammen seit du an diesem Tag in der Schule beinahe in mich geknallt bist, denn von diesem Augenblick an gab es für mich keine andere, Akascha. Keine andere ausser dich.“

Ich lächelte. Seine Worte liessen mein Herz schneller schlagen, auch wenn sie so unglaublich schwer zu glauben waren.
„Wieso ich?“, flüsterte ich.
„Das... hat damit zu tun, wer ich bin. Oder eher, was ich bin.“
„Ein Wolf“, murmelte ich, doch ich sagte es mehr zu mir als zu ihm. Es klang irgendwie absurd in meinen Ohren und hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich es womöglich niemals geglaubt.
Embry nickte langsam und schätzte meine Reaktion ab.
„Wie... Wie funktioniert das? Seit wann bist du schon ein Wolf? Wer sind die anderen Wölfe? Und wann verwandelt ihr euch?“
Ich biss mir auf die Zunge, bevor mir noch eine weitere Frage entwischen konnte. Eigentlich hatte ich mich beherrschen wollen, doch ich brannte auf Details.
Embry lachte leise auf, es klang himmlisch in meinen Ohren.
„Eins nach dem anderen.“
Ich biss mir auf die Lippe und schwieg betreten. Ich wartete darauf, dass er weitersprach.
„Meine Vorfahren stammen von Wölfen ab, musst du wissen. Seit Generationen wird unser magisches Blut weitervererbt und legt uns diese Bürde auf, die Menschen zu beschützen.“
„Vor was denn bitteschön beschützen?“, sprudelte es aus mir heraus. Embry lächelte über meine Neugierde.
„Dazu komm ich noch. Ein kleines bisschen Geduld würde nicht schaden.“
Ich murmelte eine Entschuldigung und schwieg, konnte mir allerdings ein Grinsen nicht verkneifen.
„Wie gesagt, unser magisches Blut gibt uns die Fähigkeit die Gestalt eines Wolfes anzunehmen. Gestaltwandler, ist die korrekte Bezeichnung dafür.“
„So etwas wie Werwölfe?“
„Nicht wirklich, wir verwandeln uns nicht unbedingt an Vollmond und wir haben völlige Kontrolle über unser Handeln. Zumindest weitgehend.“
„Was heisst das?“
Embry seufzte.
„Wenn du... Wenn wir unsere Wut nicht zügeln können, verwandeln wir uns. Es ist in diesem Fall gefährlich, in meiner Nähe zu sein. In dieser Hinsicht sind wir unberechenbar.“
Ich schwieg einen Moment und nahm die Worte in mir auf. Das alles war so unfassbar! Und trotzdem glaubte ich ihm jedes Wort.
„Wer sind die anderen Wölfe?“
Embry lächelte schwach.
„Kannst du dir das nicht denken?“
Natürlich konnte ich das, doch es war schwer für mich, dies alles zu glauben.
Embry fuhr fort, als ich schwach nickte.
„Sam ist unser Leitwolf. Er war der Erste, der sich verwandelt hat. Jared, Paul und ich waren die Nächsten. Jake folgte kurz darauf und später kam auch noch Quil dazu und natürlich Seth.“
Ich nickte, zu mehr war ich in diesem Moment einfach nicht im Stande.
Wie konnte es sein, dass ich das alles nicht bemerkt hatte?
„Und Leah.“
Die letzten Worte flüsterte Embry nur, doch ich fuhr sofort hoch.
„Was? Leah etwa auch?“, rief ich ein wenig entsetzt. Aus irgendeinem Grund gefiel es mir nicht, dass sie eine Wölfin war. Vielleicht daher, dass sie und Embry etwas verband. Dämliche Eifersucht, die trieb einen echt in den Wahnsinn.
„Ja, sie macht uns das Leben ziemlich zur Hölle“, antwortete Embry bitter, von meiner Eifersucht bekam er kaum etwas mit.
„Wie meinst du das?“
„Wenn wir in Wolfsgestalt sind, können wir die Gedanken der anderen hören.
Das ist zwar zum einen ziemlich praktisch, doch wir haben keine Geheimnisse voreinander. Es ist beinahe unmöglich, etwas vor den anderen geheim zu halten.“
Ich wandte meinen Blick von Embry ab und starrte in den Sand.
„Habe ich etwas falsches gesagt?“, fragte er zaghaft und ich schüttelte den Kopf.
„Es ist nur, du scheinst eine Familie zu haben, auch wenn es vielleicht manchmal ätzend ist sich jeden Gedanken teilen zu müssen.
Du hast zumindest eine.
“ Meine Stimme brach ab.
Embry reagierte beinahe augenblicklich und nahm mich fest in den Arm.
„Tut mir leid“, sagte er aufrichtig und küsste mein Haar.
„Ist schon okay. Lass uns nicht darüber reden.“

Embry sah beinahe etwas enttäuscht aus, schwieg allerdings. Ohne ein Wort zu sagen sassen wir eine Weile bloss da, ineinander verschlungen und zufrieden.
Nach einer Weile brach ich das Schweigen. „Embry?“
Embry gab ein tiefes Brummen von sich und ich nahm an, dass er mir signalisierte, dass er mir zuhörte.
„Wieso ich?“
Diese Frage, die sich seit einer halben Ewigkeit in meinem Kopf aufhielt, wollte ich nun endlich ein für alle Mal beantwortet haben.
„Manchmal werden wir Wölfe auf jemanden... geprägt.“
Das letzte Wort sagte er vorsichtig, beinahe schüchtern.
„Was ist das?“
„Es ist... sozusagen das stärkste Gefühl der Welt. Wenn wir auf jemanden geprägt werden, ändert sich unser Leben schlagartig. Du kannst an nichts anderes mehr denken als an dieses Mädchen. Du atmest, isst, lebst für sie, sie ist der Sinn deiner Existenz. Du würdest alles für sie sein, alles was sie will oder braucht.“

Mein Atem stockte und meine Augen weiteten sich entsetzt.
„Hab ich was falsches gesagt?“ Embry sah mich mit leicht geöffnetem Mund an.
Seine Worte drangen nicht wirklich in mein Bewusstsein. Viel mehr war ich damit beschäftigt, das zu verdauen, was ich gerade gehört hatte.
„Ich hab nie gewusst, wieso du ausgerechnet an mir interessiert warst.
Jetzt ist alles klar.“
Meine Stimme brach ab und ich starrte wütend und enttäuscht in den Sand.
„Du hattest gar nie eine Wahl.“
Wie konnte ich nur so dumm sein? Wie konnte ich nur glauben, dass ein Junge mich mögen könnte ohne dazu praktisch gezwungen worden zu sein.
Ich stand auf, mein Atem ging hektisch. Embry erhob sich ebenfalls.
„Nein, Akascha...“, begann er, als er endlich begriff.
„Hör auf“, zischte ich und legte eine Hand auf meinen Bauch.
„Ich glaube, mir wird schlecht.“
Und mit diesen Worten rannte ich davon. Ob Embry mir folgte, wusste ich nicht, doch es war mir auch egal, ich wollte nur noch weg von hier.


Ich hatte keine Ahnung, wohin ich rannte. Es war mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal.
Hauptsache weg von hier. Weg von Embry. Weg von Onkel Devis. Weg von La Push.
Ich hätte schon seit Ewigkeiten gehen sollen! Aber natürlich hatte ich es nicht getan. Stattdessen hatte ich es zugelassen, dass ich Menschen kennengelernt hatte, die mir mittlerweile mehr bedeuteten, als meine eigene Familie.
Verdammt, wie hatte es nur so weit kommen können?
Ich hätte abhauen sollen, solange ich noch dazu fähig gewesen war.
Wie hatte ich nur so dumm sein können?
Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich erlaubte mir nicht zu weinen. Auf keinen Fall würde ich jetzt in Tränen ausbrechen, schließlich war ich nur meiner Dummheit wegen in dieser äußerst verworrenen Situation. Ich hätte die Gefühle für Embry im Kern töten sollen. Wieso hatte ich mich nicht einfach von ihm ferngehalten? Und jetzt... Ich wusste, dass ich Embry niemals würde vergessen können. Um nichts auf dieser Welt würde ich die Gefühle, welche dieser Junge in mir hervorrief, verneinen. Selbst wenn ich es wollte, ich konnte nicht. Diese Tatsache war so unangreifbar und beständig, dass sie mir beinahe Furcht einflößte. Und trotzdem... Es war Zeit. Wenn ich jetzt nicht ging, dann würde ich es niemals schaffen.

Ich sah auf die Uhr. Kurz nach zehn. Ich musste Stunden am Strand gewesen sein.
Der Gedanke an ihn schmerzte ungeheuerlich, doch ich schluckte es runter. Um nichts auf der Welt durfte ich jetzt an Embry denken. Ich musste mich auf meine bevorstehende Abreise konzentrieren.
Ich hoffte inständig, dass Onkel Devis schon im Bett war.
Ich konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen, wenn ich meine Habseligkeiten packte. Doch die Chancen dafür standen relativ gut. Mein Onkel brauchte seinen Schlaf, da seine Tage lang und hart waren, weshalb ich mir keine Sorgen zu machen brauchte.
Ich erschrak, als die grüne Haustür in Sicht kam. Ohne es zu merken, hatten mich meine Füße nach Hause getragen. Ich hielt inne. Konnte ich es überhaupt noch als mein Zuhause bezeichnen?
Ich seufzte und raufte mir frustriert die Haare. Leise öffnete ich die Tür und trat ein. Onkel Devis hatte das Küchenlicht für mich brennen lassen, der helle Schein der Lampe durchflutete den Flur und ich kniff die Augen zusammen.
Zumindest schlief mein Onkel bereits.
Das Glück schien mich also nicht endgültig verlassen zu haben.
Auf Zehenspitzen schleichend sauste ich die Treppe hoch. Aus irgendeinem Grund hatte ich es jetzt unglaublich eilig, von hier wegzukommen.
Ich blickte mich im Zimmer umher und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Eilig schlug ich mir die Hand vor den Mund, damit mein Geheule niemanden weckte. Und mit niemand, meinte ich meinen Onkel, der bloß wenige Meter von mir entfernt in seinem Schlafzimmer war und völlig ahnungslos schlief. Ich wollte ihn nicht hier alleine zurücklassen. Zum ersten Mal seit Jahren hatte ich endlich wieder das Gefühl, eine richtige Familie zu haben.
Doch was nützte es, wenn ich diesen Zeiten nachtrauerte? Sie waren vorbei und würden nicht wiederkommen.

So schnell und geräuschlos wie möglich packte ich meine Sachen, die zugegebenermaßen etwas spärlich ausfielen. Ich brauchte dafür nur einen kleinen Rucksack.
Wehmütig warf ich einen letzten Blick auf mein Zimmer, welches ohne meine Unordnung trostlos und leer wirkte. Seufzend schaltete ich das Licht aus und tastete mich nach unten. Dort hinterließ ich Onkel Devis eine Nachricht, in der ich ihm sagte, dass ich fort musste, doch es nicht seine Schuld sei und dass ich mich nirgends auf dieser Welt je geborgener fühlen werde.
Ich konnte nicht mehr weinen, dafür war ich nun viel zu entschlossen. Außerdem war es einfacher nachzudenken, wenn Embry nicht in meiner Nähe war.
Es war beinahe so, als ob er mit seiner Anwesenheit all meine Sinne benebelte.
Ich warf noch schnell einen Blick auf Jack, der friedlich in seinem Körbchen schlummerte. Dieser kleine Feigling musste nach der Flucht vor Victoria einfach nach Hause gerannt sein. Wenigstens konnte er Onkel Devis Gesellschaft leisten, wenn ich dazu nicht mehr fähig war. Tiere waren ohnehin die bessere Gesellschaft, wenn man mich fragte.
Ich verließ das Haus und zog sogleich meine Jacke ein wenig enger.
Die kalte Luft füllte meine Lungen und ließ mich erschaudern. Mir wurde bewusst, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wohin ich eigentlich gehen sollte. Ich hatte weder Geld noch ein Auto. Etwas unschlüssig trat ich auf den Gehweg, blieb jedoch nach einigen Augenblicken abrupt stehen.
Leah.

Verdammt, wie hatte ich sie bloß vergessen können?
Ich drehte um und machte mich auf den Weg zum Haus der Clearwaters. Was ich genau sagen würde, oder besser gesagt, wie ich es Leah beibringen sollte, dass ich von hier verschwinden würde, war mir jetzt noch nicht ganz klar, doch ich konnte nicht gehen ohne mich zu verabschieden.
Nach einiger Zeit erreichte ich das Haus der Clearwaters, was mich vor ein anderes Problem stellte; wie sollte ich an Leah herankommen, ohne dabei ihre ganze Familie aufzuwecken?
Planlos stand ich in ihrem Vorgarten und zermalmte mir das Hirn über meine verzwickte Lage. Ein Knacken ließ mich allerdings zusammenzucken und ich drehte mich panisch um. Doch mein Körper entspannte sich sofort wieder, als Leah aus dem naheliegenden Wald gelaufen kam. Erstaunlicherweise trug sie bloß ein enges T-Shirt und Jeans, die sie bei den Knien zerschnitten hatte. Fror hier eigentlich nie jemand, außer ich?
„Was willst du denn hier?“, fragte sie schroff, was mich für einen Moment aus dem Konzept warf. Was hatte sie denn für ein Problem?
„Ich... Ich verlasse die Stadt“, sagte ich schließlich, als ich mich wieder gefangen hatte und nervte mich tierisch darüber, dass meine Stimme ein wenig eingeschüchtert klang.
„Was du nicht sagst“, giftete Leah und wandte sich um.
„Was -?“, fing ich an, wurde jedoch von ihr unterbrochen.
„Das tust du doch immer, oder etwa nicht? Abhauen.“ Leah ballte die Fäuste und funkelte mich wütend an.
„Weißt du was, das ist erbärmlich! Sobald es ernst wird, suchst du das Weite. Du versteckst dich hinter deiner Wand, die du dir in all diesen Jahren aufgebaut hast. Wie lange willst du das noch aufrecht erhalten?“
Leah schrie beinahe und atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen.
„Du würdest das nicht verstehen...“, flüsterte ich nachdem einige Momente vergangen waren.
„Was? Was würde ich nicht verstehen, Akascha? Dass du niemanden an dich heranlässt, weil dein Vater dich und deine Mom verlassen hat? Weil dein Stiefvater dich geschlagen hat?“
Entsetzt starrte ich sie an.
„Woher weißt du das?“, zischte ich und meine Stimme bebte. Niemandem hatte ich von meiner Familie erzählt außer... außer Embry.
Leah wirkte einen Moment befangen, als ob sie etwas gesagt hatte, dass sie lieber hätte lassen sollen.
„Ich bin bloß gekommen um mich zu verabschieden.“
Ich drehte mich um und wollte gehen, doch Leah versperrte mir den Weg.
„Warte! Wenn ich dich schon nicht davon abhalten kann zu gehen, dann nimm wenigstens das hier.“
Sie reichte mir einige Dollarscheine und ich zählte schnell zusammen.
„Das kann ich nicht annehmen, Leah!“
„Wieso nicht?“, fragte sie irritiert und ich fuchtelte mit dem Geld vor ihrer Nase herum. „Hallo? Das sind über 100 Dollar!“
Doch Leah zuckte bloß mit den Achseln und ich wusste, dass ich ihr nicht widersprechen sollte, dafür war sie viel zu stur.
„Danke“, murmelte ich deswegen und war froh darüber, dass Leah mich gehen ließ.
„Wie auch immer“, erwiderte sie und ihre Besorgnis verschwand. Jetzt hatte sie wieder diese eiserne Maske aufgelegt, die sie immer trug, wenn sie verletzt oder sich hintergangen fühlte.
Ich nickte bloß und wandte mich ab. Wir waren beide keine Menschen, die groß ihre Gefühle zeigten, weshalb wir uns nicht um den Hals fielen oder was weiß ich. Es würde meinen Abschied nur hinauszögern.

„Akascha!“, rief mir Leah hinterher und ich blieb stehen.
„Du kannst nicht gehen, ohne dich von ihm zu verabschieden.“
Ihre Stimme klang monoton, doch ich erkannte die Bestimmtheit dahinter.
Ich wusste, wen sie damit meinte. Natürlich wusste ich das, auch wenn sie seinen Namen nicht aussprach. Das war auch überhaupt nicht nötig, denn ein anderer kam nicht in Frage.
In meinem Kopf war nur Embry. Auch wenn ich das vielleicht nicht wollte, er war so präsent in meinen Gedanken wie mein Gehirn in meinem Kopf.
„Ich... Ich kann nicht“, flüsterte ich kaum hörbar, aber aus irgendeinem Grund wusste ich, dass Leah mich hörte.
„Dann bist du nicht die, für die ich dich gehalten habe“, sagte diese und mit diesen Worten verschwand sie im Haus.

Ich blieb draußen in der Kälte stehen und fühlte, wie Leahs Worte sich in meine Seele schnitten und mich beinahe aufschreien ließen.
Sie hatte Recht. Ich musste mich von ihm verabschieden. Das war ich Embry schuldig.
Mit schleppenden Schritten machte ich mich auf den Weg zum Haus der Familie Call. Embry hatte mir den Weg vor einiger Zeit einmal beschrieben und ich hoffte inständig, dass ich mich daran erinnern konnte.
Doch bereits nach einiger Zeit sah ich das kleine, blaue Haus vor mir, auch wenn ich noch längstens nicht für das bevorstehende Gespräch gewappnet war.
Es war mir schleierhaft, wie ich es bewerkstelligen sollte, mit Embry zu reden, ohne dabei innerlich zu zerreißen.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort vor dem Gartenzaun stand und das verlassen wirkende Haus anstarrte, doch ich konnte mich nicht aufraffen, den nächsten Schritt zu machen. Mein ganzer Körper schrie und zeterte in meinem Inneren und wollte meine Beine zur Flucht antreiben. Doch ich blieb stehen, als ob meine Füße mir nicht mehr gehorchen würden.
Und mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass ich diesen Schritt nicht bewältigen konnte. Wenn ich jetzt in Embrys schokoladenbraunen Augen sehen würde, könnte ich nicht weggehen.
Und ich musste weg, so viel stand fest.
„Tut mir leid“, flüsterte ich und der Wind trug meine Worte mit sich. Ich wusste natürlich, dass Embry mich nicht hören konnte, wahrscheinlich schlief er seelenruhig oben in seinem Zimmer und ahnte nichts von meinem schweren Entschluss, der mich immer mehr zu einem seelischen Wrack formte.
Ich kehrte um und lief in Richtung Bahnhof um auf irgendeinen Zug aufzuspringen, der mich hoffentlich weit wegbrachte.
Doch es kam natürlich anders, als ich geplant hatte, schließlich sollte wohl langsam klar sein, dass ich nicht gerade den Lottogewinn im Leben gezogen hatte.
Ich war schon beinahe beim Bahnhof angekommen, bis ich eine nur allzu vertraute Stimme hörte.

„Akascha!“
Fassungslos blieb ich stehen, wandte mich jedoch nicht um, dazu war ich nämlich ehrlich gesagt viel zu feige. Die Stimme ließ meinen ganzen Körper erschaudern und wühlte mein Innerstes erneut auf.
Nein, nein, nein! Das konnte einfach nicht sein! Wie um Himmels Willen hatte er gewusst, dass ich hier war? Das war doch nicht...
Und da wurde es mir mit einem Schlag bewusst.
Leah.
Ich ballte meine Fäuste und nervte mich wieder einmal tierisch darüber auf, dass mich Leah besser kannte, als ich angenommen hatte. Eigentlich nicht weiter verwunderlich. Wie gesagt, wir waren uns ähnlicher als man auf den ersten Blick vielleicht erkennen konnte.
Ich knirschte mit meinem Unterkiefer und verfluchte mich und meine Dummheit. Leah musste geahnt haben, dass ich mich nicht von Embry würde verabschieden können und hatte ihn daher kurzerhand informiert.
Falls ich sie jemals wieder zu Gesicht bekam, würde ich sie persönlich umbringen!
„Es tut mir leid“, stieß Embry keuchend hervor und ich merkte, wie mein Körper erstarrte. Seine Stimme klang beunruhigend nah.
„Akascha, sieh mich an“, flehte er beinahe, doch als ich nicht reagierte, packte er mein Handgelenk und drehte mich um, sodass ich nun direkt vor ihm stand. Demonstrativ sah ich weg, ich konnte nicht in seine Augen sehen, ich würde mich nur wieder in ihnen verlieren.
Doch es gab kein Zurück mehr.
Nun war der Augenblick gekommen. Dieser Moment, vor dem ich mich so sehr gefürchtet hatte. Verdammt, ich hatte sogar versucht, davor wegzulaufen.
Doch es ist Zeit Embry, den Menschen, an dem mir am allermeisten lag, zu verlassen.


Embry Sicht:


Zögerlich hob Akascha ihren Kopf und sah mich an.
Als ihre Augen die meinen erreichten, erschrak ich, doch ich glaube nicht, dass ihr das auffiel. Es war diese wilde Entschlossenheit, die mich zusammenfahren ließ. Irgendetwas in ihrem Blick gefiel mir überhaupt nicht.
Noch nie in meinem Leben war ich so froh darüber gewesen, dass Leah ein Teil des Rudels war. Ohne sie hätte Akascha sich womöglich ohne sich zu verabschieden aus dem Staub gemacht. Auch wenn mir immer noch schleierhaft war, wieso sie weg musste. Vielleicht ein familiärer Notfall oder etwas in dieser Richtung. Doch wieso hatte sie mich nicht darüber informiert? Glaubte sie etwa immer noch, dass sie mit ihren Problemen alleine war?
Echt, Mädchen sind so was von kompliziert, ich raff echt überhaupt nichts mehr!
Doch auch wenn mich Akascha an den Rand des Wahnsinnes brachte, so war sie trotzdem das schönste und liebenswürdigste Mädchen, das ich kannte und ich würde alles in meiner Macht stehende tun, damit das mit uns beiden funktionierte.
Jetzt musste ich nur noch sie davon überzeugen.

„Akascha, ich weiß, dass du schockiert bist, aber ich lass dir deinen Freiraum, falls du das willst, um dir über einige Dinge klar zu werden oder -“
Sie hob ihre Hand und ich verstummte.
„Ich gehe fort, Embry.“
„Tu das, wenn es das Richtige ist. Ich werde da sein, wenn du wieder zurückkommst und dann -“
Wieder unterbrach mich Akascha, dieses Mal klang ihre Stimme hohl.
„Das ist es ja. Ich komme nicht wieder zurück.“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch da drangen ihre Worte erst richtig in mein Bewusstsein und ich hielt inne.
„Wie meinst du das?“, fragte ich langsam, was eigentlich überflüssig war.
Doch ich wollte das nicht handhaben, ich wollte auf keinen Fall glauben, was hier gerade geschah!Ich trat einen Schritt auf Akascha zu, doch sie wich zurück. Stumm schüttelte sie den Kopf, sie hatte Tränen in den Augen und presste ihre Lippen aufeinander, um sich zu beherrschen.

„Du kommst nicht wieder zurück“, wiederholte ich und sie schüttelte Stumm den Kopf. „Wohin willst du denn gehen?“
„Ich... Ich weiß es nicht. Doch ich kann nicht hier bleiben.“
„Du kannst nicht zurück zu deiner Mutter! Hast du vergessen, wie qualvoll es für dich dort war? Hast du deinen Stiefvater vergessen? Und was ist mit deinem Onkel? Du siehst es vielleicht nicht, aber es würde ihm das Herz brechen, Akascha. Denkst du vielleicht auch nur eine Sekunde daran?“
Akascha seufzte und wiederholte: „Ich kann hier nicht bleiben.“
Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. „Wieso? Liegt es daran, dass ich auf dich geprägt wurde? Wenn ja, dann will ich dir sagen, dass ich dafür nichts kann!“
Akascha hob ihren Kopf und musste sich sichtlich anstrengen, um meinem Blick standhalten zu können.
„Das ist es ja. Du hattest nie eine Wahl. Gott, wie konnte ich auch bloß glauben, dass mich ein Junge mögen könnte!“
Sie klang verzweifelt und biss sich auf die Unterlippe.
Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen.
„Willst du mich auf den Arm nehmen?“, fuhr ich ihr dazwischen und merkte, wie ich wütend wurde. Eigentlich war ich bekannt dafür, dass ich ein ruhiger, sowie scheuer Typ war, doch Akascha rief die merkwürdigsten Gefühle in mir hoch, auf die ich selbst keine Erklärung hatte.
„Verdammt, Embry, du kapierst es nicht! Du magst mich nicht, wegen meines Äußeren oder meines Charakters, sondern weil deine Gene dich dazu zwingen!“

Ich riss die Augen auf. Also dachte Akascha auf diese Weise darüber.
Zumindest war mir jetzt einiges klar. Als ich allerdings keine Antwort gab, schloss Akascha die Augen und ich sah, wie ihr eine einzelne Träne die Wange hinunter kullerte. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm ich ihr Gesicht in meine Hände und hob ihren Kopf, damit sie mich wieder ansah.
„Das ist nicht wahr. Ich werde nicht durch meine Gene gezwungen, dich zu mögen. Im Gegenteil, Akascha. Es ist auch nicht aufgrund deines sexy Körpers, weshalb ich dich liebe. Nein, vielmehr dadurch, dass du bist, wer du bist.“
„Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst mich doch nicht, ich lasse es nicht zu, dass mir jemand zu nah kommt.“

Selbst ich merkte, wie unglaubwürdig ihre Worte klangen, auch wenn sie vielleicht krampfhaft versuchte, aus welchem Grund auch immer, daran festzuhalten.
„Ach ja?“,
raunte ich und beugte mich vor, sodass mein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt war.
„Dein Haar hat einen leichten Rotstich, wenn die Sonne direkt darauf scheint und du schließt die Augen, als ob du die Wärme in dir speichern wolltest. Wenn du einen Raum betrittst, siehst du dich erst einmal nach allen Ausgängen vor, als ob du den schnellsten Fluchtweg suchen würdest, falls es einmal brenzlig wird. Du bist wunderschön, doch du weißt es nicht. Meiner Meinung nach ist es genau das, was dich so natürlich hübsch macht. Du hast das Gefühl, dass du mit Jack besser umgehen kannst als mit Menschen, da Tiere nicht so kompliziert sind und dir nichts vorspielen. Du findest es schwach von dir, wenn du mich ein Stück näher an dich heranlässt und du versuchst manchmal mit allen Mitteln dagegen anzukämpfen.“
Akascha öffnete den Mund, doch ich fuhr schnell fort, was eigentlich nicht nötig war, denn es hatte ihr gerade sichtlich die Sprache verschlagen.
„Ich sehe doch deinen inneren Kampf, wenn ich dir in die Augen sehe. Doch für mich wird es nie eine andere geben, Akascha. Meine Gene hat mir nur früher gezeigt, dass es so ist, aber auch ohne meine Wolfsinstinkte wäre ich eines Tages darauf gekommen, dass du das Mädchen bist, mit dem ich für immer zusammen sein will.“
Akascha riss ihre Augen weit auf und ich verstummt jäh.
Verdammt, hatte ich etwa wieder zu viel gesagt und sie somit erschreckt?
Doch es war zu spät jetzt noch darüber nachzudenken. Und ich konnte meine Gefühle nicht weiter unterdrücken, nur weil sie Angst davor hatte, einen Menschen wirklich mögen zu können, da er sie möglicherweise wieder verließ.
Aber ich würde sie nicht verlassen und ich war überzeugt davon, dass Akascha dies wusste.
Oder zumindest hoffte ich es.
Herr je, wieso sagte sie nichts? Das machte mich langsam wahnsinnig. Stattdessen sah sie mich einfach nur an, ihren Mund leicht geöffnet und zu einem stummen O geformt.


Akascha Sicht:


Völlig perplex starrte ich ihn an.
In meinem Hirn geisterten seine Worte umher und machten es für mich unmöglich, auch nur einen Ton von mir zu geben.
Ich hatte wirklich gedacht, dass ich trotz all der Gefühle, die ich für Embry hegte, es irgendwie geschafft hatte, ihn halbwegs auf Abstand zu halten.
Ihm nicht die wahre Akascha Hamilton gezeigt zu haben. Jedenfalls nicht rund um die Uhr.
Ich hatte mich ja so was von geirrt!
Es jagte mir eine verdammte Angst ein, dass ihm all diese kleinen Charaktereigenschaften von mir aufgefallen waren, während ich diese völlig unbewusst gezeigt hatte.
Wie gesagt, es machte mich unruhig und doch... war es irgendwie ein gutes Gefühl. Ich schüttelte frustriert den Kopf, als wollte ich meine verwirrenden Gedanken und meine Starre loswerden.
Ich musste doch weg! Oder musste ich wirklich?
Nein, verdammt, ich durfte jetzt nicht länger darüber nachdenken, sonst würde ich meine Schutzwand womöglich noch einstürzen lassen.
„Ich...“, meine Stimme krächzte und ich verstummte, als mir klar wurde, dass ich nichts sagen konnte, was diese ganze verflixte Situation retten könnte.
Embry nahm mein Gesicht wieder in meine Hände und sah mir in die Augen.
Sein Blick wanderte zu meinen Lippen und mein ganzer Körper schrie alarmierend auf.
Wenn er mich jetzt küsste, würde ich es niemals schaffen ihn zu vergessen.
Doch es war mir egal. Ich wollte es so sehr, wollte seine Lippen auf meinen schmecken, auch wenn es mich innerlich töten würde.
Wieder blickte mich Embry an und als er lächelte, wusste ich, dass er den veränderten Ausdruck in meinen Augen bemerkt haben musste, denn er zögerte nicht und legte seinen Mund auf meinen.

Wenn ich jemals gedacht hatte, dass ich die Kontrolle über meinen Körper verloren hatte, dann war das nichts im Vergleich zu diesem Augenblick, in dem Embry mich küsste.
Mein Gehirn schaltete für kurze Zeit auf Standby und ließ meinen Körper für diesen Moment die Führung meines Handelns.
Ich presste meine Lippen auf seine und legte meine Hände auf seinen Nacken, wobei ich mich auf die Zehenspitzen stellte. Embry schlang seine Arme um mich und ich merkte, dass auch er sich nicht länger zurückhalten konnte.
Ich hatte keine Ahnung, wo dieser Junge gelernt hatte, so zu küssen!
Ich küsste ihn, als wäre es unser letzter Kuss und mir wurde klar, dass es das vielleicht auch war.
Es begann zu regnen, doch ich beachtete es nicht weiter. Das Einzige, was mich interessierte, war der Junge, der mich mit wilder Leidenschaft küsste.
Doch der Regen musste meinen Verstand wieder zurück auf den Boden gebracht haben, denn ich löste mich schwermütig von ihm.
Ich sah in seine dunklen Augen, die mich voller Trauer und ansahen.
Ich konnte es nicht ertragen, wenn ihm etwas Kummer bereitete und erst recht nicht, wenn ich der Grund dafür war.
„Geh nicht“, flüsterte Embry und ich wandte den Blick ab, damit er meine aufsteigenden Tränen nicht sehen konnte.
Ich musste doch. Ich musste, musste, musste!
Ich würde es nicht ertragen, wenn er mich eines Tages verlassen würde.
Dafür war ich einfach zu schwach, ich könnte diesem Schmerz niemals standhalten.
„Bitte, verlass mich nicht“,
flüsterte er und ich konnte nicht anders, als ihn wieder anzusehen.
Ich merkte gar nicht, wie der Regen langsam meine Kleider durchweichte.
Embrys Augen hatten mich zu sehr in seinen Bann gezogen.
Wie um Himmels Willen konnte ich auch diesen Jungen verlassen?
Diesen Jungen, den ich über alles liebte.


Den kampf gegen sich selbst



Embry Sicht:
„Ich liebe dich, Embry“, flüsterte Akascha und mein Herz setzte für einen Moment aus.
Hatte ich richtig gehört?
Hatte Akascha Hamilton, das Mädchen, um welches ich so lange gekämpft hatte, wirklich gerade gesagt, dass sie mich liebte?
Ein Blick in ihre Augen bestätigten es mir und schoben all meine Zweifel beiseite.
Ich küsste sie wieder, dieses Mal sichtlich bemüht, nicht die Kontrolle zu verlieren.
Allerdings war das schwieriger, als es vielleicht zu sein schien.
„Du kannst nicht gehen“, murmelte ich an ihren Lippen und verlor mich wieder in ihrem Duft.
Verdammt, dieses Mädchen roch einfach unwiderstehlich.
Ich wusste, dass ich mich jetzt beherrschen musste, weshalb ich einen Schritt zurücktrat. Es war einfacher, meine Sinne beisammen zu halten, wenn ich sie nicht berührte.
„Du hast Recht. Ich kann nicht“, flüsterte Akascha.
„Ich kann nicht gehen. Doch ich muss.“
Völlig vor den Kopf gestoßen starrte ich sie an.
„Was...?“, stieß ich hervor, meine Stimme klang leblos und krächzte.
„Es tut mir leid“, sagte Akascha und drehte sich um.
Ich hätte etwas tun sollen!
Ich hätte sie zurückhalten sollen!
Verdammt, ich wusste nicht, wieso ich untätig mitansah, wie sie mir entglitt.
Akascha wandte sich noch einmal um. „Ich liebe dich, Embry. Ich wünschte, es würde reichen, um zu bleiben.“
Ich streckte die Hand nach ihr aus, ich wollte ihre Tränen wegwischen, sie in meinen Armen halten, alles für sie sein.
Doch ihre Worte breiteten sich in meinem Körper aus als wäre es ein Gift und machten es für mich unmöglich zu sprechen, geschweige denn, mich zu bewegen.

Und dann...


„Embry, Mann, wach auf!“
Jemand rüttelte an meiner Schulter, doch ich schüttelte bloß den Kopf. Ich wollte unbedingt dieses Bild von mir und Akascha, wie wir dort am Bahnhof stehen, aus meinen Gedanken vertreiben.
Ein dumpfer Aufprall liess mich aufschrecken und ich riss die Augen auf.
Es dauerte einige Augenblicke, bis ich realisierte, dass Jacob mich gerade vom Sofa gestoßen hatte. Ich rieb mir meinen Hintern.
Zum Glück ging der Vorgang der Heilung bei Wölfen schneller vonstatten, als bei Normalsterblichen. Ansonsten hätte das hier einen üblen blauen Fleck gegeben.
„Schlecht geträumt?“, fragte Jake und reichte mir eine Wasserflasche. Ich zuckte bloß mit den Achseln, sein Mitleid konnte ich jetzt echt nicht ertragen.
„Von Akascha?“Ich grunzte.
„Nein, ich habe geträumt, dass ich meinen besten Freund verhaue, weil er zu viele Fragen gestellt hat.“
Jakes Ausdruck wurde säuerlich und ich bereute meine Worte sofort.
Schließlich hatte er es ebenfalls nicht gerade einfach, was die Sache mit ihm und Bella und diesem Idiot von Blutsauger anging.
Mit steifen Gliedern setzte ich mich auf.
„Tut mir leid, Mann. Es ist schon drei Wochen her, seit Akascha mich ver-“, fing ich an, doch meine Stimme brach ab, da ich es immer noch nicht einsehen wollte, dass sie mich wirklich verlassen hatte.
„Seit Akascha fortgegangen ist?“, fragte Jake und half mir somit auf die Sprünge.
Ich nickte. „Ich träume jede Nacht davon.“
Jake setzte sich neben mich auf den Boden, wobei er allerdings kein Wort sagte.
Ich war ihm dankbar dafür, dass er den Mund hielt.
Es gab keine Wörter, die mich im Augenblick hätten trösten können.
Auch die Zeit würde meine Wunden nicht heilen.
Immer wenn sich meine Laune ein wenig hob, flackerte das Bild von Akascha vor meinen Augen auf und riss mich zurück in mein schwarzes Loch.
Jedes verfluchte Mal.
„Hol sie dir zurück“, raunte Jake und ich schloss müde die Augen.
„Alter, hör auf damit“, murmelte ich seufzend und fuhr mir durch die Haare.
„Nein, verdammt, ich will nicht!“, protestierte Jake lautstark, was mich zusammenzucken liess und sprang auf.
„Seit Wochen gammelst du hier auf meinem Sofa herum und bläst Trübsal. Versteh mich nicht falsch, ich bin immer für dich da, aber irgendwann ist Schluss.“
„Was soll ich denn bitteschön tun?“, fuhr ich ihn an und stand ebenfalls auf.
Zu meiner Verwunderung lachte Jake. „Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? Du holst sie dir zurück natürlich!“
Ich starrte ihn bloß an. Aus irgendeinem Grund fand ich das nicht wirklich lustig.
Glaubte er wirklich, dass es so einfach war?
„Jake, ich habe alles versucht, um sie davon abzuhalten zu gehen. Und was hat sie getan? Sie ist gegangen und ich habe keine Ahnung wohin!“, rief ich aus und hob verzweifelt die Arme. „Also wie zum Teufel stellst du dir das vor?“
Die letzten Worte schrie ich.
„Was macht ihr den für einen Krach?“
Jake und ich wirbelten herum. Vor uns saß Billy Black, Jacobs Vaters, in seinem Rollstuhl und gähnte.
Er sah wahnsinnig verschlafen aus und ich war mir ziemlich sicher, dass ich und Jake ihm gerade den Schlaf geraubt hatten.
„Ähm... tut mir leid, Dad. Ich bin gerade dabei, Embrys große Liebe zurückzuholen.“
Ich warf Jake einen mörderischen Blick zu.
Musste er das jetzt noch allen unter die Nase reiben?
„Wenn es weiter nichts ist“, murmelte Billy und gähnte wieder.
„Sagt mir Bescheid, wenn es geklappt hat.“
Und mit diesen Worten verschwand er wieder.
Ich schlug Jake auf den Hinterkopf und streifte mir ein T-Shirt über.
„Du bist echt der größte Idiot, den ich kenne.“
Jake lachte schallend. „Bella hat mich schon schlimmeres genannt.“
Ich beachtete ihn nicht weiter und trat an die frische Luft.
Bereits nach wenigen Augenblicken hatte ich den Waldrand erreicht, Jacob folgte mir dicht an den Fersen.
„Wo willst du hin?“
„Ich dachte, Sam will uns sehen?“, fragte ich und sah ihn an.
„Ja, aber wieso gehst du durch den Wald?“
„Als Wölfe sind wir viel schneller“, antwortete ich und sah ihn vielsagend an.
Was war bloß los mit ihm?
Jacob blickte sich verstohlen um und kratzte sich nervös am Hinterkopf.
Ich blieb stehen und musterte ihn.
Irgendetwas stank hier.
Und zwar gewaltig.
„Ich bin eher für einen Spaziergang, du nicht auch?“, fragte Jake und klang dabei ein wenig zu fröhlich.
Er setzte sich in Bewegung, doch ich packte ihn an der Schulter und zog ihn gewaltsam zurück. Mit geballter Kraft stieß ich Jake gegen einen Baum und trat nah an ihn heran, damit er ja nicht wieder versuchte alles zu überspielen und mir diese Scheiße mit einem Spaziergang aufzutischen.
„Okay, Karten auf den Tisch. Was ist hier los?“
Jake schien sich sichtlich unwohl zu fühlen und sah sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um, weshalb ich ihn leicht schüttelte.
„Nichts. Alles bestens“, sagte Jake und versuchte dabei allen Ernstes, überzeugt zu wirken. Doch es war seit Jahren mein bester Freund, daher wusste ich, wenn er mir etwas verschwieg.
Ich knurrte. Es klang drohend und animalisch.
Ich hatte absolut keine Lust auf Spielchen.
„Okay, okay“, gab sich Jake geschlagen und hob ergeben die Arme.
„Es geht um Akascha.“
Mein Herz schlug schneller, als er ihren Namen erwähnte.
Herr je, würde dieses Gefühl jemals nachlassen?
Würde ich jemals an Akascha denken können, ohne dabei in tausend Einzelteile zu zerspringen? Im Moment glaubte ich wenig daran.
„Du hast sie ausfindig gemacht“, schlussfolgerte ich, als er nicht weitersprach.
Jacob nickte langsam, konnte mir aber immer noch nicht in die Augen blicken, weshalb ich annahm, dass da noch mehr dahintersteckte.
„Jetzt rede endlich, Jak!e“, zischte ich drohend und rüttelte wieder an seinen Schultern, dieses Mal kräftiger.
Geduld war wirklich nichts, was uns Wölfen in die Wiege gelegt wurde.
„Wie schon gesagt; Ich habe sie ausfindig gemacht“, fing Jake zögerlich an.
Mein Herz schlug mittlerweile so laut, dass ich mich angestrengt auf seine Worte konzentrieren musste.
„Ich und Leah haben sie gefunden. In Jacksonville.“
Jake starrte mich besorgt an und versuchte abzuschätzen, welche Reaktion diese neue Information in mir hervorlockte.
Ich versuchte es nicht zu zeigen, doch innerlich schrie ich verzweifelt auf.
Das konnte... Nein, das durfte einfach nicht wahr sein!
Akascha war doch nicht wirklich zu ihrer Mutter zurückgekehrt?!
Zu ihrer Mutter und diesem... diesem Damien.
Schon wenn ich bloß an diesen Typen dachte, meldete sich der Wolf mit voller Wucht in mir.
Ich hoffte sehnlichst für dieses Arschloch, dass er mir nie über den Weg lief, denn dann würde es hässlich werden.
Sehr hässlich.
„Und weiter?“, stieß ich hervor und meine Stimme bebte, da ich mich so anstrengen musste, sie auch nur halbwegs ruhig zu halten.
Am liebsten hätte ich meiner Verzweiflung Luft gemacht und einige Bäume ausgerissen oder auf irgendetwas eingeprügelt, nur um meine Wut herauszulassen.
„Embry, sie braucht dich“, flüsterte Jake bestimmt und sah mir fest in die Augen.
Ich liess von ihm ab und betrachtete das dichte Geäst des Waldes, ohne es wirklich wahrzunehmen. „Wie geht es ihr?“
Jake antwortete nicht und ich wandte mich wieder zu ihm.
„Wie geht es ihr?“, wiederholte ich und dieses Mal konnte ich meinen flammenden Zorn nicht unterdrücken.
Doch entweder war Jake einfach nur dumm, oder aber er wollte lieber Prügel von mir einkassieren, als mir zu erzählen, was mit Akascha los war.
„Nun denn, wenn du es so haben willst“, blaffte ich und noch bevor Jake wusste, wie ihm geschah, hatte ich ihn mit voller Wucht gegen einen Baumstamm geschleudert.
Der Ast ächzte und brach entzwei, wobei er Jake mit Splittern und Tannennadeln nur so überhäufte.
Hustend und röchelnd erhob sich Jake. Er zitterte vor Wut.
Gut so.
„Was zur Hölle sollte das denn?“, bellte er wütend und klopfte sich den Staub von den Schultern.
Ich funkelte ihn ebenfalls zornig an. „Anders als du mit Bella, habe ich noch die Chance dazu, Akascha zurückzuholen.“
Jakes Ausdruck veränderte sich schlagartig.
Er blickte mich enttäuscht mit seinen großen, braunen Augen an.
Doch ich wollte ihn nicht enttäuschen, ich wollte ihn rasend machen.
„Sieh es ein, Jake. Sie macht lieber mit diesem Blutsauger rum, als sich mit dir abzugeben“, zischte ich und kam mir so elend vor, wie noch nie zuvor.
Doch ich musste es tun.
Für Akascha.
„Du bist echt ein jämmerlicher Hund“, setzte ich fort und musterte ihn abfällig.
Das war wohl zu viel des Guten.
Jake stürzte sich mit einem jaulenden Aufschrei auf mich und riss uns dabei beide von den Füssen.
Zwei dicht hintereinander folgende Knalle ließen die Bäume erzittern und scheuchte einige Vögel auf.
Anstatt Jake sah ich nun einen riesigen Wolf, der fuchsteufelswild knurrte.
Doch das kümmerte mich nicht.
Ich hatte geschafft, was ich erreichen wollte.
Angestrengt geisterte ich in Jakes Kopf herum und suchte verzweifelt nach den Informationen, die ich so dringend wissen musste.
Oder vielleicht auch nur so dringend wissen wollte.
Jake hörte auf zu knurren.
'Du hast mich reingelegt', stieß er hervor und starrte mich entgeistert an.
Ich bellte. 'Was hätte ich denn sonst tun sollen? Du wolltest mir nicht sagen, was ich wissen wollte! Ich musste dich provozieren, damit du mit den nötigen Informationen herausrückst. Ob freiwillig oder nicht.'
Ich spürte, wie Verrat und Enttäuschung sich in Jake breit machten, auch wenn er krampfhaft versuchte, mir das nicht zu zeigen.
Es versetzte mir einen kleinen Stich.
Ich hatte meinen besten Freund nicht derartig zusetzen wollen und ich wusste, dass es unheimlich selbstsüchtig von mir war, doch ich hatte es tun müssen.
Diese ganze Prägung machte einen komplett anderen Menschen aus mir und ich wusste nicht, ob mir dies gefiel.
Ich meine, ich war nicht weiter Herr meiner Sinne und ich verriet sogar meine Freunde, was ich vorher niemals getan hätte.
Das einzig Gute an dieser ganzen Prägung war Akascha.
Und die... die hatte mich verlassen und mich völlig verbittert zurückgelassen.
Ich sehnte mich nach meinem alten Leben und konnte es immer noch nicht fassen, wie alles derartig hatte aus den Fugen geraten können.
' Jake, zeig mir, was los ist.' Ich klang verzweifelt, das konnte ich selbst hören.
Jake versuchte, nicht an die Bilder zu denken, denn dann würde ich sie ganz bestimmt auch sehen können.
Aber das war schier unmöglich.
Wenn ich jemandem sagen würde, er solle nicht an ein Hause denken, dann könnt ihr euch zu hundert Prozent sicher sein, dass er gerade an ein Haus dachte.
Gedanken waren subtil und doch so einfach herbeizuführen.
Daher konnte Jake nicht verhindern, dass sich seine Erinnerungen wie eine Welle über uns ergoss.
Und was ich sah, schockierte mich mehr, als ich je angenommen hätte, auch wenn es bloß Bruchstücke waren.
Leah und Jake stehen vor einer grauen Tür und klopfen.
Ein schmuddeliger Mann öffnet sie, in der Hand hält er ein Bier.
Auf seinem T-Shirt sind Chipskrümel und Schweißränder bilden sich unter seinen Armen.
' Du willst das nicht wissen, Embry!', fuhr Jake dazwischen, doch ich knurrte bloß.
Ich musste sehen, was er gesehen hatte.
Jacob versuchte, seine Gedankenströme zu kontrollieren, doch er war machtlos dagegen.
Das Bild veränderte sich.
Akascha steht nun vor ihnen, sie schlingt die Arme um ihren zierlichen Körper, als hätte sie Angst davor, auseinanderzubrechen.
Sie sieht furchtbar aus. Ihre Augen sind blutunterlaufen, ihr Gesicht aschfahl.
Ich sehe die Blutergüsse, ich starre auf die aufgesprungene Lippe.
Ich will meine Hand ausstrecken, sie in meine Arme nehmen, doch dann wird mir schlagartig bewusst, dass es bloß Jacobs Erinnerungen sind.
Der schmuddelige Typ, - ich nehme an, dass dies Damien ist -, tritt wieder an die Tür und zieht Akascha zurück.
Ich sehe, wie fest er ihren Arm zupackt und stelle mir vor, wie er ihr einen weiteren blauen Fleck zufügt.
Ich riss mich von den erdrückenden Gedanken und jaulte laut auf.
Ich hatte definitiv genug gesehen.
Wie hatte ich bloß so egoistisch sein können?
Während ich mich drei Wochen in Selbstmitleid gebadet hatte, war Akascha nach Jacksonville zurückgekehrt und hatte die Hölle auf Erden erlebt.
Kaum zu fassen, dass ich noch vor einigen Stunden zu stolz gewesen war, um nach Akascha zu suchen.
Von diesem Stolz war jetzt definitiv nichts mehr übrig.
' Ich hol sie mir zurück, Jake', sagte ich bestimmt. 'Und nebenbei trete ich diesem Damien noch kräftig in den Arsch.'
Jake lächelte, auch wenn das in Wolfsgestalt eher wie eine Grimasse aussah.
' Endlich ist mein bester Freund wieder da. '
Ich nahm seine Worte kaum wahr.
Meine Füße setzten sich in Bewegung und ich jagte durch den Wald, ohne dabei zurückzublicken, sondern nur mein Ziel vor den Augen.
Vielleicht rannte ich in mein Verderben.
Vielleicht würde mich Akascha wieder von sich stoßen.
Und möglicherweise würde ich in tausend Stücke zerbersten, wenn dies geschah.
Doch ganz ehrlich?
Das war mir egal.
Denn Akascha leiden zu sehen war noch peinigender, als von ihr verlassen zu werden, so viel stand fest.

Teilnahmslos



Akascha Sicht:

Mühsam schleppte ich die Einkäufe die Treppen hoch.
Der Fahrstuhl hatte schon vor einigen Jahren den Geist aufgegeben und ich nahm nicht an, dass sich jemand jemals die Mühe machen würde, ihn zu reparieren.
Ich seufzte und stieß die Wohnungstür auf, die laut knarrte und somit mein Eintreffen verkündete.
„Liebling, bist du das?“, fragte meine Mutter.
„Ja, Mom“, erwiderte ich und versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
Ich hasste es, wenn sie mich 'Liebling' nannte.
So hatte sie mich früher immer genannt, als Dad noch da war. Als mein Leben noch nicht ein völliger Trümmerhaufen war. Eigentlich hätte ich auf meinen Vater wütend sein sollen, anstatt mich über meine Mutter aufzuregen.
Er hatte uns schließlich verlassen. Doch ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Ich meine, ich konnte doch nicht wütend darüber sein.
Ich verstand nur nicht, wieso ich ihn so früh verlieren musste.
Und das würde ich womöglich auch nie.
Ich betrat die Küche, wo ich meine Mutter am Herd vorfand.
Schnaubend fing ich an auszupacken. Das war ja wieder einmal typisch! Meine Mutter kochte für ihren Versager von Freund und dieser spielte mit seinen Kumpels Poker.

Diese alltägliche Szene, war mir schon beinahe lächerlich vertraut. Seit nun mehr als drei Wochen war ich hier und das bloß, weil ich sonst nicht wusste wohin.
Schon unzählige Male hatte ich mir ausgemalt, wie es wäre, wieder zurück nach LaPush zu gehen. Doch dann wurde mir schmerzhaft bewusst, dass sie mich womöglich gar nicht mehr haben wollten.
Schließlich hatte weder Embry, noch nicht einmal Onkel Devis angerufen, um zu hören wie es mir ging.
Obwohl dies im Falle von Embry nicht weiter verwunderlich war. Ich wusste, wie sehr ich ihn verletzt hatte und ich hoffte inständig, er würde mich schnell vergessen.
Aber womöglich hatte er schon eine Andere. Oder konnte man sich überhaupt mehrmals prägen?
Womöglich schon, ansonsten hätte er sich doch gemeldet.
Ich fand es unfair von mir, dass ich mir so sehnlich wünschte, Embry würde mich zurückholen. Schließlich hatte ich ihn verlassen und nicht umgekehrt.
Schon als ich in diesen Zug eingestiegen war, wusste ich, dass ich gerade den größten Fehler meines Lebens beging.
Doch hatte es mich davon abgehalten?
Nein, hatte es nicht und ich fragte mich seither ernsthaft, was mit mir nicht stimmte.
„Süße, wo bleibt mein Bier?“, schallte es vom Wohnzimmer her.
Damien und seine Freunde brachen in tosendes Gelächter aus.
Meine Mutter sah mich vielsagend an und ich verdrehte die Augen, als ich mich dem Kühlschrank zu wandte.

„Ah, da kommt sie ja“, sagte einer von Damiens Freunden, als ich das kleine Wohnzimmer betrat.
Es stank nach Bier und Kippen, doch das war nichts gegen den penetranten Schweißgeruch, der meine Nase beinahe verätzte.
„Wer wollte das Bier?“, fragte ich betont teilnahmslos und versuchte die musternden Blicke der Männer nicht zu beachten.
Einfach widerlich, wie sie mich mit ihren Blicken direkt auszuziehen schienen. Ich liess mein Haar in mein Gesicht fallen, als wollte ich mich davor schützen.
Der Braunhaarige, welcher neben Damien saß hob die Hand und als ich ihm das Bier reichte, umschloss seine Hand etwas zu lange die meine.
Ich rümpfte angewidert die Nase und stolzierte zurück in die Küche, wobei ich allerdings noch den Braunhaarigen sagen hörte: „Mann, Damien, deine Stieftochter ist vielleicht eine Braut. Ich hätte schon längstens etwas mit der angefangen und deine Alte abgeschoben.“
Wieder Gelächter, auch wenn ich deutlich hörte, dass Damien nicht mitlachte. Sein kratzendes Lachen war für gewöhnlich das lauteste.
„Hör auf damit. Sie ist eine kleine Göre und keine Frau. Nur ein kleines Kind, welches man richtig erziehen muss.“
Ob der Braunhaarige ihm noch antwortete, wusste ich nicht, denn mittlerweile war ich außer Hörweite.
Doch Damiens Worte beruhigten mich. Er hatte mich niemals angefasst, wie viele vielleicht annahmen. Natürlich, ich hatte mehr Schläge kassiert, als ich an beiden Händen abzählen konnte, doch er hat nie versucht, mich auf andere Weise zu berühren.
Er sah in mir einfach ein kleines Mädchen, welches weder Anstand noch Manieren besaß.
Und ehrlich gesagt, war ich darüber heilfroh.
Ich kam wieder in die Küche und meine Mutter wies auf den Berg Abwasch, ohne mich auch nur anzusehen.
Seufzend machte ich mich daran, das Geschirr zu spülen. Die Spülmaschine war letzten Monat ausgestiegen und da ich nun wieder da war, schien dies keinen weiter zu stören.
Einmal hatte ich protestiert und mich geweigert abzuwaschen, doch sonderlich schlau war das nicht gewesen.
Damien hatte mir sieben Ohrfeigen verpasst und meine Mutter hatte geweint und immer wieder gefragt, wieso sie bloß eine solch undankbare Tochter hatte. Und dann hatte ich das Geschirr trotzdem abgewaschen.
Mittlerweile ersparte ich mir Damiens Schläge und Moms Geheule und machte mich ohne zu Murren an die Arbeit.
„Verdammt“, murmelte ich und zog mit schmerzverzerrtem Gesicht meine Hand aus dem warmen Wasser. Blut lief mir über die Hand und ich begutachtete den tiefen Schnitt an meinem Daumen.
„Was zum Teufel machst du denn jetzt schon wieder?“, erklang die schrille Stimme meiner Mutter hinter mir.
„Da muss ein Messer drin liegen“, murmelte ich und wickelte meinen Finger in ein Taschentuch.
„Ach, wirklich? Wie kommt das denn da rein?“, fragte meine Mutter spitz und ich hörte deutlich ihren Sarkasmus heraus.
„Tut mir -“, begann ich, doch meine Mutter hob die Hand um mich zum Schweigen zu bringen.
„Ich mach den Abwasch. Geh.“
„Aber -“
„Verdammt, Akascha, jetzt verschwinde schon, bevor du mir die ganze Küche voll blutest.“
Ohne ein weiteres Wort verschwand ich. Wenn meine Mutter oder Damien genug von mir hatten, dann war es wirklich besser Reißaus zu nehmen.
Ich zog meine Jacke an und stolperte aus der Tür hinaus. Unnötigerweise drückte ich auf den Fahrstuhlknopf, bis mir wieder einfiel, dass er ja außer Betrieb war.
Ich eilte die Treppen hinunter und grüßte im Vorbeigehen noch meine Nachbarin, die mir mitleidig hinterher starrte.
Es war kein Geheimnis, dass mein Stiefvater manchmal die Hand gegen mich erhob, schließlich sprach mein zugerichtetes Gesicht schon Bände.
Die Nachbarn redeten darüber, doch niemand hatte mich je darauf angesprochen, geschweige denn, etwas dagegen unternommen. Sehr wahrscheinlich hätte es sowieso nichts daran geändert.
Ich stieß die Tür auf und zog den Reißverschluss meiner Jacke höher. Es war ungewöhnlich kalt geworden in den letzten Tagen.
Ich schlenderte durch den Park, wie ich es sooft tat, wenn mich meine Mutter wieder einmal vor die Tür setzte.
Einmal hatte mir ein Mann im Park einige Pillen, - es hatte sich dabei um Ecstasy gehandelt -, in die Hand gedrückt und gesagt, ich könne sie für dreißig Dollar haben.
Natürlich sagte ich nein, doch es jagte mir immer noch eine Heidenangst ein, weil ich manchmal, wenn Damien mich wieder einmal geschlagen hatte und meine Mutter sich selbst bemitleidete, davon träumte.
Und in meinen Träumen bezahlte ich die dreißig Dollar.
Jedes verdammte Mal.

Ich fürchtete mich vor diesen Gedanken, auch wenn ich wusste, dass ich niemals Drogen nehmen würde. Ich wollte mir mein Leben nicht auf diese Art und Weise zerstören.
Nein, ehrlich gesagt war der Grund eher der, dass mein Leben schon vollkommen zugrunde gegangen war, auch ohne Drogen.
Ich schüttelte die niederträchtigen Gedanken ab und setzte mich auf eine Bank. Dort wartete ich, bis es dunkel wurde und versuchte so wenig wie möglich an Damien, meine Mutter, Ecstasy oder Embry zu denken.
Eigentlich versuchte ich überhaupt nicht zu denken.
Ich sah auf meine Uhr, mittlerweile war es bereits kurz nach acht. Damien dürfte jetzt bestimmt betrunken sein, also konnte ich mich vielleicht in mein Zimmer schleichen, ohne jemandem aufzufallen.
Seufzend erhob ich mich und ging eiligen Schrittes nach Hause. Bereits nach zehn Minuten bog ich in unsere Straße ein und erblickte die große Holztür.
Als ich jedoch näher trat, erkannte ich, dass jemand bereits auf mich wartete.
Angestrengt kniff ich die Augen zusammen, um sie dann sogleich wieder weit aufzureißen.
Das... Nein, das konnte nicht sein.
Der Junge sprang auf, als er mich entdeckte und kam mit zögernden Schritten auf mich zu.
Er blieb vor mir stehen und sah mich an. Nichts weiter.
Er starrte mich bloß mit seinen durchdringenden, warmen Augen an.
Langsam hob ich meine Hände und berührte sein Gesicht.

Ich musste einfach wissen, ob ich das alles wirklich nicht träumte!
Ein elektrischer Schlag durchzuckte meinen ganzen Körper, als meine Haut die seine berührte. Diese warme, weiche Haut, nach der ich mich solange gesehnt hatte.
Ich wusste, dass dies kein Traum war, denn so real hätte ich ihn mir nie erträumen können.
Ich schluckte und zog meine Hände zurück, um mein Zittern zu verbergen.
Ruhig, Akascha, du weißt doch gar nicht, wieso er hier ist, dachte ich und versuchte dabei meine Hoffnungen im Keim zu ersticken.
Womöglich wollte er mir bloß Lebewohl sagen.
„Hey Akascha“, sagte Embry schließlich und der vertraute Klang seiner Stimme schnürte mir die Luft ab.
Ich war noch nicht bereit für dieses Ende.
Und ich wusste, dass jetzt die Folgen kamen.
Die Folgen, für den schlimmsten Fehler meines Lebens, den ich begangen hatte, als ich diesen einen Jungen verlassen hatte.

Die Kunst der Beherrschung




Embry Sicht:

Ich hatte mir fest vorgenommen, keinerlei Gefühlsregung zu offenbaren, doch bereits als ich Akaschas schlanke Gestalt am Ende der Straße ausmachte, verflüchtigte sich dieser Vorsatz augenblicklich.
Ich hätte sie am liebsten sofort in die Arme genommen.
Ich sehnte mich danach, ihre Lippen auf meinen zu schmecken, doch ich hielt mich zurück. Womöglich würde ich sie noch erschrecken und wieder in die Flucht schlagen.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich ihr Anblick derart aus der Bahn werfen würde. Selbst mit ihren Blutergüssen und der aufgesprungenen Lippe war sie das schönste Mädchen, welches ich jemals gesehen hatte.
„Hey, Akascha“, brummte ich schließlich, als das Schweigen schier unerträglich wurde.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss in dann aber wieder.
Egal was sie mir sagen wollte, sie fand die richtigen Worte nicht.
„Akascha!“, krähte eine weibliche Stimme und sie zuckte sichtlich zusammen.
Akascha wandte den Kopf in Richtung Himmel und ich sah, wie der Kopf einer Frau aus dem Fenster im dritten Stock herausragte und uns misstrauisch beäugte.
„Ich komme sofort, Mom“, gab Akascha schwach zurück und wandte sich dann ab.
Ich reagierte instinktiv, als ich ihren Arm packte. Das ihre Mutter uns zusah, war mir vollkommen egal. Für mich zählte bloß, dass Akascha wusste, dass ich nicht eher gehen würde, bis ich sie endlich mit mir redete.
„Geh nicht“, flüsterte ich und Akascha blickte mir einen Augenblick in die Augen, bis sie auffordernd mit dem Kopf auf ihren Arm wies.
Ich liess sie ergeben los und sie stieg die Treppen empor.
Ich glaubte schon, sie würde ohne ein Wort verschwinden, doch kurz bevor Akascha im Haus verschwand, drehte sie sich wieder zu mir und flüsterte:
„Triff mich heute Nacht an der Brücke am anderen Ende der Stadt.“
Ich nickte. „Wann?“
„Ein Uhr. Früher geht nicht. Ich erkläre es dir später.“
Und mit diesen Worten verschwand sie und liess mich auf der leeren Strasse zurück.


Akascha Sicht:

„Akascha!“, keifte meine Mutter, als ich gerade lautlos auf mein Zimmer verschwinden wollte. Ich schloss die Augen und drehte mich langsam um. Ich kam mir dabei vor wie ein kleines Mädchen, das gerade beim Süßigkeiten klauen ertappt wurde.
„Ja, Mom?“, fragte ich und versuchte dabei nicht allzu genervt zu klingen.
Meine Mutter trocknete sich die Hände und musterte mich.
„Wer war dieser Junge?“
Ich hob die Augenbrauen. Täuschte ich mich, oder hörte ich eine gewisse Besorgnis in ihrer Stimme?
Ziemlich ironisch, wenn man mich fragte. Meine Mutter sah zu, wie ich von ihrem Mann geschlagen wurde, doch sobald ein großer Typ mit riesigen Muskeln und einem Tattoo auftauchte, um mich zu sehen, machte sie sich Sorgen.
Ich konnte nicht anders, ich prustete los.
„Ganz ehrlich, Mom, spare dir deine Fürsorglichkeit.
Ich kauf dir die nicht für eine Sekunde ab.“
Ich drehte mich um, doch meine Mutter packte mich am Arm und hielt mich zurück.
„Wer war der Junge, Akascha?“, fragte meine Mutter, dieses Mal klang sie energischer. Meine Worte schien sie einfach überhört zu haben.
„Lass mich los“, zischte ich. Auf keinen Fall würde ich ihr von Embry erzählen. Ich wollte ihn nicht in meine Familienprobleme hineinziehen.
Hatte er es nicht schon genug schwer mit mir? Womöglich würde er endgültig das Weite suchen, wenn ich ihn jetzt noch mit Damien und meiner Mutter konfrontierte.
„Was ist denn hier los?“, schnarrte Damien, als er mich und Mom erblickte, wie wir da inmitten des Chaos standen, welches in unserem Haus üblich war, und uns wütend anstarrten.
„Akascha trifft sich mit irgendeinem Typen, den ich nicht kenne und sie will mir nicht sagen, wer er ist.“, erklärte meine Mutter, wobei sie jedoch den Blick nicht von mir abließ. „Sah aus wie einer von der ganz schlimmen Sorte“, fügte sie spitz hinzu.
Damien gab einen röchelnden Laut von sich, wobei Spucke an seinem Kinn hängen blieb.
„Du schleppst mir doch hier keine Drogen ins Haus, oder?“
Ich konnte nicht anders als genervt die Augen zu verdrehen.
„Natürlich nicht. Kann ich jetzt bitte gehen?“

Meine Mutter und Damien beäugten mich misstrauisch, fanden aber wohl keinen weiteren Grund dafür, mich davon abzuhalten in mein Zimmer zu gehen.
Sie mussten eingesehen haben, dass ich ihnen nicht von Embry erzählen würde.
Als meine Mutter zwei Stunden später nach mir sah, tat ich so als würde ich schlafen.
In Wahrheit jedoch war daran nicht zu denken. Immer und immer wieder geisterte das Bild von Embry in meinem Kopf herum.
Er war wirklich hier! In Jacksonville!
Auch wenn er womöglich nur hier war um sich zu verabschieden, - und ich sagte nicht, dass es so war -, konnte ich es kaum glauben, dass er wirklich vor mir gestanden hatte! In Fleisch und Blut und nicht bloss in meiner Fantasie!
In den letzten Wochen hatte ich mehr an ihn gedacht, als womöglich gut für mich war, doch nur die Gedanken an unsere gemeinsame Zeit hatte mir die Kraft gegeben, Damien und seine Schikanen zu ertragen.
Um halb eins warf ich die Decke zur Seite und krabbelte aus dem Bett. Hastig zog ich mir einen dicken Strickpullover an, damit ich nicht fror. Ich kramte in der Schublade nach einer Taschenlampe und schlug sie einige Male gegen meine flache Hand, bis das gellende Licht mir in die Augen schoss.
Auf Zehenspitzen schleichend öffnete ich langsam die Tür, die sofort anfing zu knarren. Normalerweise störte mich das nicht weiter, doch angesichts dessen, dass ich vorhatte aus dem Haus zu schleichen,- noch dazu zu dieser Stunde -, regte ich mich tierisch darüber auf. Ich hielt die Luft an und horchte, doch ich konnte niemanden hören.
Ich fischte nach dem Hausschlüssel, welcher sich in einer Schublade befand. So leise wie möglich drehte ich den Schlüssel im Schloss herum, als eine Stimme die Stille durchbrach und mir das Blut in den Adern gefrieren liess. „Sieh an, sieh an, wo willst du denn so spät noch hin?“


Embry Sicht:

Halb zwei.
Verdammt, wo steckte sie bloß?
Nervös lief ich vor der Brücke auf und ab, doch das Einzige, was ich damit erreichte war, dass ein Straßenpenner auf mich aufmerksam wurde, der mir sagte, 'sie würde nicht kommen.' Danach zog er wortlos ab.
Keine Ahnung, woher er wusste, dass ich auf ein Mädchen wartete, aber womöglich konnte man es meinem nervösen Gesichtsausdruck ansehen. Oder er war verrückt.
Ich tippte auf beides.
„Komm schon, Akascha, wo bleibst du denn?“
Um viertel vor zwei hatte ich endgültig genug. Sie musste auf irgendeine Weise verhindert worden sein.
Oder wollte sie mich einfach nicht sehen?
Nein, ich hatte ihren Gesichtsausdruck bemerkt, als sie mich erblickt hatte. Sie hätte mich niemals sitzengelassen, wenn es anders gegangen wäre, davon war ich überzeugt.
Ohne lange darüber nachzudenken, rannte ich den ganzen Weg zurück zur Straße, in der Akascha wohnte. Ich wusste, dass ich ihre Mutter und Damien nicht wecken durfte, weshalb ich um das Haus herumlief und mich dort, gut getarnt in der Dunkelheit, umzusehen.
Akascha wohnte im dritten Stock. Ob ich es wohl schaffte, an den Rohren bis dort nach oben zu klettern?
Normalsterblichen wäre das wohl nicht gelungen, doch ich war ein Gestaltwandler und noch dazu brauchte mich Akascha in diesem Moment, weshalb ich es tatsächlich unversehrt schaffte, bis nach oben in den dritten Stock zu gelangen.
Ich hoffte bloß inständig, dass es das Fenster zu Akaschas Zimmer war.
Nicht auszumalen, wenn ich aus Versehen Damien wecken würde.
Ich hatte keine Angst um mich, sondern eher um diesen Idiot. Kaum zu fassen, wie sehr man einen Menschen hassen konnte, ohne ihm jemals begegnet zu sein.
Die Augen zusammengekniffen spähte ich in das kleine Zimmer und entdeckte Akascha, wie sie auf ihrem Bett saß und starr in die Dunkelheit stierte.
Ich klopfte an das Fenster und musste mich sichtlich bemühen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Für einen Moment sah Akascha geschockt aus, doch dann sprang sie flink von ihrem Bett und öffnete das Fenster, sodass ich hineingelangen konnte.
„Was zum Teufel tust du denn hier? Weißt du eigentlich, wie gefährlich deine Aktion gerade war?“, zischte sie streng und suchte meinen Körper nach irgendwelchen Hinweisen von Verletzungen ab.
„Mir fehlt nichts“, beruhigte ich sie.
„Ich musste herkommen. Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt, als du nicht aufgetaucht bist.
Was ist passiert, Akascha?“
Sie seufzte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Selbst in der Dunkelheit sah ich, wie müde sie wirkte.
„Damien hat mich abgefangen“, meinte sie knapp und ich sah, wie sie die Ärmel ihres Pullovers herunterzog.
„Was hast du da?“, fragte ich und war über die Schärfe in meiner Stimme selbst überrascht. Als Akascha nicht reagierte, packte ich ihren Arm und rollte ihren Pullover hoch.
Schockiert starrte ich auf den hässlichen Bluterguss, der sich auf ihrem Oberarm erstreckte.
„Er hat mich nur ein bisschen zu fest gepackt, nichts weiter. Ich war selbst -“
„Lass es“, knurrte ich.
„Versuche jetzt ja nicht dir die Schuld zu geben.“
„Tue ich nicht!“

Ich warf ihr einen rigorosen Blick zu und sie schloss betreten den Mund. Ich begann zu zittern und versuchte den Wolf in mir zu kontrollieren. Mittlerweile gelang mir das auch sehr gut, wenn ich daran dachte, wie unberechenbar ich kurz nach der ersten Verwandlung gewesen war.
„Wieso?“, fragte ich und schüttelte frustriert den Kopf.
„Wieso bist du zurück zu ihm und deiner Mutter? War es denn so schlimm mit mir?“ Meine Stimme klang bitter und ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
Diese Frage beschäftigte mich seitdem ich LaPush verlassen hatte, doch ich wusste nicht, ob ich die Antwort darauf wirklich wissen wollte.
„Ich... ich weiß es nicht“, hauchte Akascha und ich musste mich wirklich zusammenreißen, damit ich sie nicht schüttelte.
„Sag mal, merkst du eigentlich noch etwas?“, fuhr ich sie an und trat einige Schritte zurück. Ich wollte die Beherrschung nicht verlieren, doch zur Sicherheit war es besser, wenn Akascha nicht unmittelbar in meiner Nähe stand.
„Ich bin für dich nach Jacksonville gekommen. Für dich, Akascha! Ich mache mir echt unglaubliche Sorgen um dich und das Einzige, was du tust, ist blocken.“
Ich bereute meine Worte sofort, als Akascha zusammenzuckte.
„Tut mir leid“, murmelte ich schnell und trat einen Schritt auf sie zu, doch Akascha hob abwehrend die Hände, woraufhin ich blieb, wo ich war.
„Hör auf dich immer zu entschuldigen“,
sagte sie, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.
„Du hast Recht. Ich blocke. Das habe ich schon immer getan. Ich kann nicht anders! Tut mir leid!“, rief sie und ruderte verhärmt mit den Armen
„Das wird sich wohl nicht ändern, auch wenn ich es ernsthaft versuche!“
Sie starrte mich an, leblos und müde. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie geweint, oder mich meinetwegen wütend zusammengestaucht hätte.
Aber sie so zu erleben war ein Schock.
Als hätte sie ihr ganzes Leben aufgegeben.
Als hätte sie sich selbst aufgegeben und damit auch mich.
„Ich könnte verstehen, wenn du mit mir nichts mehr zu tun haben willst“, brummte sie schliesslich, als ich immer noch nicht antwortete.
Ich schnaubte belustigt.
„Akascha, du naives Mädchen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mich jetzt noch los wirst?“
Ein Hoffnungsschimmer blitzte in ihren Augen auf und ich lächelte sie aufmunternd an.
„Geht das endlich in deinen Dickschädel?“, fragte ich weiter und konnte ihr damit sogar ein Lächeln entlocken.
„Ich glaube schon, tut mir leid.“
Ich trat einen Schritt auf sie zu und schloss sie fest in die Arme. Sie stiess einen erleichterten Seufzer aus und vergrub ihren Kopf an meiner Brust.
Eine Weile verharrten wir in dieser Position, bis plötzlich das Licht anging und wir auseinander schossen.
Mein Beschützerinstinkt nahm Überhand und ich stellte mich vor Akascha.
Damien starrte uns mit weit aufgerissenen Augen an und ich erkannte Akaschas Mutter, welche dicht hinter ihm stand und nicht minder geschockt aussah.
„Tut mir leid, euch stören zu müssen“, zischte Damien wutschnaubend mit seiner rauchigen Stimme und meine Muskeln spannten sich, bereit dazu, mich sofort auf ihn zu stürzen, wenn es nötig war.
Wenn ich Akascha damit vor weiteren Schlägen retten konnte, würde ich es tun, auch wenn ich dadurch Gefahr lief, die Beherrschung endgültig zu verlieren.


„Wer zum Teufel bist du?“, stieß Damien atemlos, und auf all meine Muskeln starrend, hervor.
„Es genügt, wenn ich weiß, wer du bist.“
Damien starrte mich entrüstet an und Akascha Mutter gab einen quiekenden Laut von sich, als hätte ich gerade die größte Sünde begangen, die man einem Erwachsenen gegenüber antun könnte.
Sie hatten ja beide keine Ahnung, dass diese erst noch folgen würde.
„Akascha, fange an zu packen“, befahl ich ihr über die Schulter, wobei ich jedoch meinen Blick nicht von den beiden Erwachsenen abließ.
„Was...? Ich...“
Ich seufzte genervt. Meine Geduld war mittlerweile definitiv am Ende.
Wie konnte sie nur so naiv sein und glauben, sie könnte hier noch eine Sekunde länger bleiben?
Sah sie denn nicht, dass es sie eines Tages umbringen würde?
„Ich verspreche dir, ich fahre dich wohin du willst, aber hier bleibst du nur über meine Leiche.“
Ich hörte, wie Akaschasich aufrappelte und zu ihrem Schrank stolzierte.
Beinahe hätte ich ein wenig geschmunzelt. Selbst in Krisensituationen schaffte sie es immer wieder, würdevoll und stark zu sein. Eine Eigenschaft, die ich sehr an ihr bewunderte.
Akaschas Mutter schüttelte frustriert den Kopf, als hätte sie erst jetzt begriffen, was ich gerade von ihrer Tochter verlangte. Doch es war Damien, der mir antwortete.
„Akascha geht nirgendwohin“, polterte er und eine beträchtliche Ladung Spucke flog ihm aus dem Mund. Sein Kopf war mittlerweile dermaßen rot angelaufen, dass ich schon befürchtete, er würde bald platzen.
„Ich muss noch ins Badezimmer“, murmelte Akascha und ich nickte, wobei ich den Worten Damiens keine Bedeutung zuteilte.
Sie huschte an mir vorbei, doch Damien hatte keineswegs vor, sie durch die Tür passieren zu lassen. Er packte Akascha an der Schulter, aber dies hatte ich kommen sehen. Blitzschnell verdrehte ich Damien den Arm auf den Rücken, was diesen laut aufschrien liess.
Akascha sah mich dankbar an und verschwand. Ihre Mutter quiekte wieder entsetzt auf und sagte mir, ich solle ihn loslassen.
Ich tat es. Jedoch nicht, weil ich sonderlich großes Mitleid mit Damien hatte, sondern weil ich merkte, dass ich langsam die Kontrolle verlor und es auf keinen Fall vorteilhaft war, wenn ich mich vor diesen Leuten verwandelte.
Ich nahm nicht an, dass sie zu dieser Sorte Mensch gehörten, die ein Geheimnis für sich behalten konnten.

Damien richtete sich mithilfe von Akaschas Mutter keuchend auf und starrte mich fuchsteufelswild an.
„Ich lasse nicht zu, dass so ein kleiner Bengel wie du in mein Haus einbricht!“
Ich beachtete ihn nicht weiter und packte anstatt Akascha weiter.
„Du kannst mir meine Tochter nicht wegnehmen“, schluchzte Akaschas Mutter und dicke Krokodilstränen liefen ihr runzeliges Gesicht herunter.
Mir fiel auf, dass Akascha ihr nicht im entferntesten glich. Ihre Mutter hatte hellbraune Haare, sowie braune Augen, nicht sonderlich außergewöhnlich, wenn man mich fragte.
Akascha jedoch, mit ihren pesch schwarzen Augen und ihrem dichten Haar, welches die Farbe von dunklem Mahagoni hatte, fiel mit Sicherheit jedem auf, was zunächst wohl auch an ihrer selbstbewussten Haltung lag.
Ich fragte mich, ob Akaschas Mutter genauso energiegeladen und stark gewesen war, bevor sie Damien kennenlernte. Ich wusste es nicht und ich würde Akascha auch bestimmt nie danach fragen, denn dieser Anblick, der sich mir jetzt bot war einfach bloß bemitleidend.
Sie wirkte leblos und ihre Haut war aschfahl. Ihre Augen erinnerten mich an die eines toten Fisches und ihr Haar war wohl bereits seit einiger Zeit nicht mehr gebürstet worden.
„Das ist ihre Entscheidung und nicht die meine oder deine“, äußerte ich bestimmt.
„Aber glaubst du wirklich, dass sie noch eine Sekunde länger hier bliebt, wenn sie doch jeden Moment mit neuen Schlägen rechnen muss?“
Ich war mir im Klaren, dass es unhöflich war, die beiden zu duzen, doch mir mangelte es an Respekt, weshalb ich mich nicht weiter darum scherte.
„Sie hat es immer gut bei uns gehabt“, polterte nun auch Damien.
Ich knallte den Koffer so fest zu, dass Akaschas Mutter heftig zusammenzuckte.
Blitzschnell war ich nähergetreten. Mittlerweile trennten mich und Damien nur noch Zentimeter.
„Gut? Ich würde dir am liebsten alle Gliedmaßen einzeln herausreißen und deine Eingeweide als Abschreckung über der Stadtgrenze aufhängen, um diejenigen davor zu warnen, das gleiche Schicksal mit dir zu teilen, wenn sie Akascha auch nur versuchen wehzutun“, zischte ich bedrohlich. In den Augenwinkeln sah ich, dass Akascha, die mittlerweile wieder zurück war, und ihre Mutter erschauderten.


Akascha Sicht:


Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem ganzen Körper aus.
Okay, ich hätte womöglich ängstlich sein sollen, weil Embry Damien derart bedrohte, doch das war ich überhaupt nicht.
Stattdessen liess ich alles fallen, was ich in meinen Händen hielt und stürzte mich auf ihn. Er wirkte überrascht, doch davon liess ich mich kaum beirren.
Ich legte meine Hände in seinen Nacken und küsste ihn. Lang und intensiv.
Das ich ihn verlassen hatte, kam mir mittlerweile dermaßen absurd vor, dass ich beinahe laut auflachte. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass Embry der Richtige war. Aber war ich davon nicht schon immer überzeugt gewesen?
Nach einer ganzen Weile ließen wir voneinander ab, sein Gesicht glühte regelrecht. Ich lächelte schwach und beachtete die entrüsteten Blicke meiner Mutter und Damiens nicht weiter, auch wenn ich ein wenig rot anlief.
Peinlich berührt über meinen kleinen Gefühlsausbruch machte ich mich hastig daran, die auf dem Boden liegenden Dinge aufzuheben und in meinen Koffer zu verstauen.
Falls ich Embry aus dem Konzept geworfen hatte, dann liess er es sich nicht anmerken. Wütend starrte er Damien an und signalisierte ihm damit, wenn er mich auch nur noch einmal anfasste, würde die Hölle über ihn einbrechen.
„Ich bin fertig“, sagte ich immer noch ein wenig atemlos.
Embry nahm meinen Koffer und drängte meine Mutter und Damien in den Gang. Ich schlüpfte hinter ihm durch die Tür.
Meine Mutter weinte mittlerweile dermaßen, dass sie mir beinahe ein wenig leid tat. Egal, was sie mir angetan hatte, sie war immer noch meine Mutter.
Es war schwer, sie zu hassen, wo ich doch in meiner Erinnerung diese aufgestellte, junge Frau hatte, die alles für ihre Familie getan hätte.
„Du kommst wieder bei uns an gekrochen“, brummte Damien bestimmt und verschränkte die Arme vor der Brust, um seine Worte zu unterstreichen. Ich öffnete den Mund, um ihm entgegen zu kontern, doch die Worte blieben mir im Halse stecken.
Ich wusste überhaupt nicht, wohin ich gehen sollte.
Embry hatte gesagt, er würde mich überallhin fahren, doch in Wahrheit wollte ich bloß dort sein, wo er war.
Allerdings war ich mir nicht sicher, ob dies auch in seinem Sinne war.
Zu meiner Überraschung nahm Embry sanft meine Hand in seine und drückte sie bekräftigend. Ich sah ihn an und er lächelte mir aufmunternd zu.
„Nein, Damien, das werde ich nicht“, sagte ich bestimmt, wobei ich den Blick allerdings nicht von diesem bestimmten Jungen mit den braunen Augen abwenden konnte.
„Können wir?“, fragte Embry daraufhin und ich nickte.
Plötzlich war ich voller Tatendrang.
„Schönes Leben noch, Damien. Auf wiedersehen, Trish.“
Meine Mutter begann noch mehr zu schluchzen, als ich ihren richtigen Namen verwendete. Ihr schien endgültig klar zu sein, dass sie mich verlor.
Aber in Wahrheit hatte sie dies schon, seit ich die erste Ohrfeige von Damien kassiert und sie dabei stumm zugesehen hatte.
Wir waren bereits beinahe aus der Tür, als mir etwas in den Sinn kam.
„Warte, ich habe etwas vergessen.“
Ich lief zurück in mein Zimmer und trat nach einigen Sekunden wieder in den Gang, in meiner Hand einen Plüschhasen haltend.
„Tu doch endlich etwas!“, krächzte meine Mutter verzweifelt, als ich beinahe wieder aus der Haustür verschwunden war und Damien reagierte instinktiv, indem er mich am Handgelenk packte.
Ich schrie auf, als er meinen Arm verdrehte. Tränen des Schmerzes schossen mir in die Augen, als ich verzweifelt versuchte, mich loszureißen.
Plötzlich fiel Damiens Last von mir und ich hörte, wie er überrascht auf keuchte. Ich fiel hart gegen die Kommode, die neben unserer Haustür stand, und spürte, wie meine Rippen schmerzerfüllt aufschrien.
Etwas zu schnell,- wobei mich wieder ein heftiger Schmerz im Brustkorb durchzuckte.- wandte ich mich um und fixierte Embry und Damien.
Embry stand in Kampfstellung und sah dabei für mich zum ersten Mal monströs und … bedrohlich aus. Dieser Anblick war befremdend und jagte mir eine Heidenangst ein.
Damien rappelte sich hoch und atmete schwer.
„Du fasst sie nicht noch einmal an, hast du mich verstanden, Fettsack?“
Damien schrie laut auf und stürzte sich mit ausgestreckten Händen auf Embry, doch dieser packte seine Arme und verdrehte sie ihm auf den Rücken. Damien strampelte wie ein kleines Kind, konnte sich jedoch nicht aus dem eisernen Griff von Embry hinaus winden.
„Das ist dafür, dass sie bis an ihr Lebensende mit Albträumen zu kämpfen hat“, flüsterte er, doch ich war mir ziemlich sicher, dass jeder im Raum ihn verstand.
Embry verdrehte Damiens Arm noch mehr, falls dies überhaupt möglich war.
Und dann...
SPLITTER!
Damien schrie laut auf, als sein Arm entzwei brach und ich musste willkürlich einen Würgereiz unterdrücken. Mom fing wieder an laut zu schluchzen, denn vor lauter Schock hatte sie einen Moment damit aufgehört.
Embry liess Damien los, der sich laut wimmernd am Boden krümmte. Doch von Embry musste er absolut kein Mitleid erwarten. Im Gegenteil.
Er zog Damien am gebrochenen Arm wieder auf die Beine und schüttelte ihn.
„Siehst du, wie schmerzhaft das ist?“, schrie er ihn an und ich wusste instinktiv, dass ich mich dazwischen stellen musste, ansonsten würde es das Ganze noch mehr außer Kontrolle gerade.
Ich trat einen Schritt auf die beiden Männer zu.
„Embry, sieh mich an. Lass ihn los, es ist okay.“
Embry sah mich überrascht an, als hätte er vollkommen vergessen, dass ich immer noch da war.
„Akascha, dieses Arschloch -“
„Ich weiß, was er getan hat. Aber lass ihn los, Embry.“
Ich versuchte ruhig zu sprechen, doch ich konnte mein Zittern nicht verbergen, so sehr ich mich auch anstrengte. Mein ganzer Körper wurde geschüttelt.
Embrys Ausbruch machte mir Angst. Es war nicht so, dass ich mich vor ihm fürchtete, sondern, - und ich kann es selbst nicht glauben,- ich hatte Angst um Damien und davor, dass Embry etwas ungeheuerlich Dummes tat.
„Sieh mich an“, befahl ich sanft und Embry tat es. Immer wieder wanderte sein wütender Blick zu Damien, den er immer noch festhielt, und wieder zurück zu mir. Er wirkte gequält und wie ein Tier, das in die Enge getrieben wurde.
Schließlich zischte er Damien zu: „Du hast echt Glück, dass Akascha ein guter Mensch ist. Wenn es nach mir ginge, würde ich den ganzen Abend so weitermachen.“
Und mit diesen Worten stieß er Damien hart von sich. Damiens Körper segelte durch die Luft und mit einem ohrenbetäubenden Klirren fiel er schließlich durch unsere Haustür, die unglücklicherweise aus Glas bestand.
Jemand stieß einen entsetzten Schrei aus, doch ich konnte nicht genau sagen, ob es sich dabei um mich oder meine Mutter handelte.
Embry hob meinen Plüschhasen hoch und nahm meinen Koffer.
„Bist du soweit?“, fragte er und ich hörte das Zittern in seiner Stimme, weil er sich dermaßen beherrschen musste.
Ich nickte bloß, unfähig zu sprechen.
Wir stiegen über Damien, dem,- dem Himmel sei Dank,- nichts weiter fehlte außer einigen tiefen Schnittwunden und ein gebrochener Arm.
Ich wusste, es war unmenschlich von mir, doch ich konnte nicht anders, als Damien gehässig anzugrinsen, wobei ich all meine schreckliche Vergangenheit hinter mir liess.
Draußen angekommen blieb ich stehen und atmete die kühle Nachtluft in meine Lungen.
Ich war frei. Wirklich und wahrhaftig.
„Ich verspreche dir, dass du nie wieder zu diesen Menschen zurückkehren musst“, flüsterte Embry sanft und ich sah ihn an.
Er wirkte vollkommen gefasst, nichts liess darauf schließen, was eben noch im dritten Stock dieses Hauses geschehen war.
Ich lächelte ihm matt zu.
Es überraschte mich selber, als ich Embrys Worten Glauben schenkte.
Denn egal, was nun geschehen würde, Damien und meine Mutter gehörten der Vergangenheit an. Eine Vergangenheit, die mich geprägt, doch nicht zuletzt gestärkt hatte.
Langsam folgte ich Embry die Straße hinunter zu seinem Auto, dass mich weit, weit weg bringen würde.
Weg von Damien und meiner Mutter.
Weg von Schlägen und Gewalt.
Weg von meiner Vergangenheit, meiner Kindheit.
Und ein Stück näher zu Embry.

Der endgültige Abschied




„Akascha, wach auf.“
Ich fuhr aus meinem Schlaf hoch und sah mich verwirrt umher. Es vergingen einige Momente bis ich realisierte, wo ich war.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, murmelte ich und rieb mir den steifen Nacken. Man konnte kaum behaupten, dass es sonderlich bequem war, im Sitzen zu schlafen.
„Keine dreißig Minuten.“
Ich nickte und sah nach draußen. Wir befanden uns auf einem leeren Parkplatz eines Einkaufszentrums, auch wenn mir nicht klar war, wieso Embry hierhin gefahren war.
„Was tun wir hier?“
Embrys Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an.
„Du... du hast nicht gesagt, wohin ich dich fahren soll.“
Ich schwieg betreten, als mir klar wurde, wovon er sprach. Er hatte mir in meinem Zimmer gesagt, dass er mich wohin auch immer fahren würde, solange ich nicht bei meiner Mutter und Damien blieb.
Ich wollte Embry sagen, dass ich bei ihm sein wollte. Ja, verdammt, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt dafür gewesen!
Doch der Mut verließ mich, noch bevor ich auch nur ein Wort formuliert hatte.
Was, wenn er das nicht mehr wollte? Wenn er mich nicht mehr wollte?
Ich konnte nie wieder zurück zu meiner Mutter, das nächste Mal würde es mich töten, dies wusste ich.
„Akascha?“
Ich fuhr aus meinen Gedanken hoch.
„Ähm, ja. Ich... ich habe... Verwandte in Portland.“
Embry wirkte einen Moment entsetzt, setzte allerdings sofort wieder ein steinernes Gesicht auf. „Portland in Oregon?“
„Ähm... ja. Sie haben gesagt, falls ich einmal Hilfe brauche, könnte ich mich melden.“
Embry nickte sachlich. Das ich im Begriff war, den Staat Washington zu verlassen liess ihn völlig kalt, was mir einen schneidenden Stich in die Magengrube versetzte.
„Ich habe etwas Geld mitgenommen, das sollte für den Hinflug reichen.“
„Und ein Ticket für den Rückflug brauchst du ja nicht“, brummte Embry und seine Stimme klang ein wenig verbittert, doch womöglich bildete ich mir dies bloß ein.
„Dann suchen wir mal ein Hotel auf, damit du noch ein wenig Schlaf bekommst.“
Ich nickte und versuchte mir meinen Kummer nicht anmerken zu lassen.
Embry fuhr zu einem schäbigen Hotel, wo wir uns ein kleines Zimmer nahmen. Auch wenn es sich nur um ein Billighotel handelte, so war der Raum doch sehr gemütlich eingerichtet. Die Wände waren dunkel-orange gestrichen und es gab sogar einen kleinen Fernseher, der gegenüber des Bettes hing.
Ich verschwand für einen Augenblick im Badezimmer, um mich kurz frisch zu machen und einige Male tief durchzuatmen. Weinen wollte ich auf keinen Fall.
Ich fand Embry auf dem Balkon vor. Er starrte mit verschränkten Armen vor der Brust in die Ferne.
„Du passt auf dich auf, ja?“, fragte er mit ernster Stimme.
Es gefiel mir gar nicht, wie er dies sagte. Als käme nun der Abschied, der so unausweichlich schien. Wo war dieser Embry, der alles daran tat, damit ich bei ihm blieb?
Er sah mich nicht an, was mich beinahe wahnsinnig machte. Ich musste sehen, was er fühlte. Zerriss es ihn ebenfalls beinahe innerlich, wenn er von mir getrennt war?
Auf jeden Fall liess er sich nichts davon anmerken, wenn dem so war.
„Danke, Embry“, sagte ich stattdessen. Ich konnte mich noch nicht von ihm verabschieden. Oder vielleicht wollte ich es einfach nicht.
„Wofür?“, fragte er und ich hätte am liebsten laut losgeheult, weil in seiner Stimme eine unerträgliche Härte lag.
„Dass du mich gerettet hast.“
„Jederzeit“, flüsterte er und es klang aufrichtig.
Ich nickte und schlang meine Arme um meinen Oberkörper, als die kühle Nachtluft mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. Embry schielte zu mir. Früher hätte er ohne zu Zögern seine warmen Arme um mich gelegt, doch dieses Mal blieb er, wo er war.
„Wir sollten schlafen gehen. In einigen Stunden bricht bereits der Tag über uns herein.“
Ich nickte wieder und betete, dass diese Nacht nie vorbei gehen möge. Natürlich war es feige, mir dies zu wünschen, nur weil ich mich nicht von Embry trennen wollte. Es war nicht fair von mir, ihn immer wieder mit meinen Problemen zu konfrontieren und ihm das Gefühl zu geben, er müsste mir helfen.
Ich sah ihn an und stellte mir vor, wie mein Leben ohne ihn aussehen würde. Was ich ohne ihn tun würde. Es stand außer Frage, dass ich mich jemals wieder auf einen Jungen einlassen würde. Ich würde sie nur mit Embry vergleichen und gegen ihn hatte niemand eine Chance.
Würde ich zur Schule gehen? Einen guten Job bekommen?
Wofür? Wenn ich es nicht mit Embry teilen konnte, wollte ich es nicht.
Und schlagartig wurde mir bewusst, dass ich mein Leben nicht ohne ihn leben konnte.
Allein diese drei Wochen waren die schlimmsten in meinem Leben gewesen und jetzt war es Zeit für mich, all meine Zweifel beiseite zu schieben.
Ich würde Embry auf keinen Fall kampflos aufgeben.


Embry Sicht:


Ich versuchte Akascha nicht anzustarren, doch dies wurde mit jeder Sekunde schwieriger. Höchstwahrscheinlich würde ich heute Nacht keine Minute schlafen können.
„Ich schlafe auf dem Boden“, brummte ich, als Akascha unter die Bettdecke verschwand. Natürlich gab es in diesem beschissenen Zimmer nur ein großes Doppelbett.
Noch ehe Akascha etwas erwidern konnte, schnappte ich mir ein Kissen und löschte das Licht.Es vergingen sicher über zwanzig Minuten und ich glaubte schon, Akascha sei eingeschlafen, als ihre Stimme die Stimme durchbrach.
„Embry?“
„Hmm?“
„Schläfst du?“
„Ja“, brummte ich und veränderte meine Position. Als Akascha daraufhin nichts erwiderte, meldete sich sofort mein schlechtes Gewissen.
Dabei wollte ich mich doch bloß so gut es ging distanzieren, damit mich die endgültige Trennung morgen nicht komplett vernichten würde. Aber wenn ich ehrlich war, würde es dies so oder so.
„Das ist doch absurd“, zischte Akascha wütend.
„Dieses Bett ist riesengroß und du ziehst es vor, auf dem dreckigen Boden zu schlafen.“
Sie hatte Recht. Ich hatte bloß Angst davor, ihr zu nahe zu kommen. Es würde mich noch mehr zerstören, als bei unserem letzten Abschied. Doch andererseits sehnte ich mich danach, ihre Nähe ein letztes Mal zu spüren, auch wenn ich wusste, dass dies auf keinen Fall eintreten durfte.
Trotzdem seufzte ich und bettete mein Kissen zurück auf das Bett.
Ich versuchte mich so weit wie möglich von Akascha zu legen, doch ich war mir ihrer Wärme trotzdem nur allzu sehr bewusst.
Am liebsten hätte ich meine Hand nach ihrer ausgestreckt, doch irgendetwas hinderte mich daran. Ich hatte mir geschworen, sie nicht weiter zu belästigen. Auf keinen Fall würde ich sie dazu zwingen, mit mir nach LaPush zu fahren. Und ehrlich gesagt war ich mir ziemlich sicher, dass sie erneut abhauen würde.
Das tat sie schließlich immer.
„Embry... ich...“
„Schlaf endlich, Akascha“, seufzte ich erschöpft.
„Ich kann nicht, verdammt“, wehrte sie bestimmt ab und ich spürte, wie sie den minimalen Abstand zwischen uns überwand. Akascha schlug die Decke weg und schlang ihre Arme um mich.
Geschlagene fünf Minuten verharrten wir in dieser Position, wobei ich ihr sanft über den Rücken strich. Ich fragte mich ständig, was ich hier eigentlich tat. Wie konnte ich es bewerkstelligen, ihr am Flughafen zuzuwinken, ohne dabei durchzudrehen? Sie war meine Geprägte. Wieso konnte sie nicht wie Emily sein und das einfach hinnehmen?
„Ich will nicht gehen.“
Mein Atem stockte. Das warf mich völlig aus der Bahn.
„Und was willst du dann?“
Ich konnte die Skepsis in meiner Stimme nicht verbergen.
Dieses Mädchen war für mich einfach ein völliges Rätsel.
Sie hob den Kopf, den sie auf meiner Brust abgelegt hatte, und sah mich an.
„Ich will dort sein, wo du bist.“
Lange Zeit schwieg ich. Meine Gedanken überschlugen sich. Der innere Sturm wütete in mir und wirbelte all meine Empfindungen und Gefühle durcheinander.
Nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht, als dass Akascha mir sagte, sie wolle zurück nach LaPush. Zurück zu mir.
Doch ich hatte die letzte Trennung nicht vergessen, auch wenn ich dies krampfhaft versuchte.
„Damit du mich wieder verlässt, falls es mal nicht gut läuft?“
Akascha versteifte sich bei diesen Worten und ich bereute es sofort wieder. Ich war einfach immer noch zutiefst gekränkt. Prägung hin oder her, ich musste Gewissheit haben, dass sie endlich damit aufhörte davonzulaufen, wenn es mal brenzlig wurde.
„Ich bin nicht gegangen, weil mir das mit deiner Prägung nicht gefallen hat.“
Ich gab einen kehligen Laut von mir und schob Akascha sanft beiseite, damit ich mich auf die Bettkante setzen konnte.
„Sieh mich an, Embry“, verlangte sie, ihre Bestimmtheit liess mich aufhorchen.
Die pesch schwarzen Augen wirkten entschlossen und wagemutig, auch wenn ich immer noch nicht wusste, was Akascha mir zu sagen versuchte.
„Ich bin gegangen, weil es so ernst zwischen uns wurde.“
Ich hob eine Augenbraue, weil ich absolut nichts davon verstand.
Akascha seufzte und faltete ihre Hände in den Schoss.
„Mit dir fühlt sich alles viel intensiver an. Ich kann nicht klar denken, weiß nicht was ich tue, wenn du in der Nähe bist. Das hat mir Angst gemacht, weil ich mir geschworen hatte, dass ich nie mitansehen würde, wie mich jemand auf diese Art und Weise besitzt, wie Damien meine Mutter.“
„Ich habe nicht vor dich zu besitzen!“, protestierte ich entrüstet.
„Das weiß ich doch. Aber ich gehöre dir, Embry, und niemand anderem. Und als ich das herausgefunden habe, hatte ich Angst, weil ich einen Menschen an mich herangelassen habe, der die Fähigkeit besaß, mich zu zerstören.“
Ich nickte. Jetzt wurde mir wenigstens einiges klar.
„Und dann hast du mir von dieser Prägung erzählt. Mir war klar, dass die ganze Sache mit uns noch viel ernster war, als ich bis zu diesem Zeitpunkt angenommen hatte und ich war mit der Situation einfach vollkommen überfordert.“
Sie schüttelte frustriert den Kopf.
„Ich dachte, wenn ich jetzt gehe, wäre es noch nicht zu spät und ich könnte das mit dir vergessen. Ich hatte einfach Angst, weil ich wusste, dass ich nie darüber hinwegkommen würde, wenn ich jetzt nicht ginge.“
„Du bist davon ausgegangen, dass ich dich so oder so verlassen würde“, schlussfolgerte ich und sie nickte.
„Das haben bis jetzt alle getan und ich habe automatisch angenommen, dass es bei dir nicht anders sein würde.“
Ich pfiff durch die Zähne. „Und ich dachte, dir wäre die Beziehung zwischen uns zu endgültig.“
Zu meiner Überraschung kicherte Akascha daraufhin.
„Ich wusste bereits nach kurzer Zeit, dass du der Richtige bist, auch wenn ich es mir selber nicht eingestehen wollte. Endgültigkeit macht mir keine Angst. Nur diese starken Gefühle für dich, die ich nicht ordnen oder kontrollieren kann.“
Ich wusste, was sie damit meinte. Schließlich ging es mir nicht anders, außer das ich davor keine Angst hatte. Allerdings hatte ich auch keine Kindheit wie Akascha verbracht...
Vom Vater verlassen, von der Mutter im Stich gelassen.
„Es ändert aber nichts. Du hast immer noch Angst.“
Ich wollte das nicht wahrhaben, doch es war die Wahrheit und so schrecklich sie auch war, sie nicht auszusprechen, würde nichts ändern. Akascha würde morgen in dieses Flugzeug steigen und ich musste es zulassen, weil ich nur das Beste für sie wollte.
„Ja, ich habe immer noch Angst. Doch ich habe beschlossen, das hinter mir zu lassen. Mit Angst zu leben ist schlecht, habe ich gehört.“
Ich lächelte matt. Mein Herz begann wild zu pochen, als neue Hoffnung in mir hoch flackerte. Meinte sie wirklich das, was ich glaubte?
„Das heißt...?“
Akascha lächelte scheu, ihre Finger zitterten leicht, weshalb ich sanft meine Hand auf ihre legte.
„Ich will dort sein, wo du bist“, wiederholte sie wispernd.
„Ich gehöre nach LaPush“, sagte ich. Meine Pflichten und das Rudel durfte ich nicht vergessen.
„Und ich gehöre zu dir.“
Den ganzen Abend hatte ich mich sehr darum bemüht, Akascha nicht zu nahe zu kommen, doch nun war dieser Vorsatz ziemlich schwer einzuhalten.
„Und wenn du deine Meinung wieder änderst?“, fragte ich, die Zweifel nagten immer noch an mir.
„Wann habe ich denn jemals meine Meinung geändert? Ich bin aus Angst davongelaufen, nicht aber, weil ich mir unsicher war, was dich betrifft.“
Ich sah mit großen Augen an, weil ihre Worte ziemlich Sinn ergaben.
„Falls du mich natürlich noch haben willst“, fügte Akascha hektisch hinzu, als sie mein Schweigen falsch deutete.
Ich warf ihr einen belustigten Blick zu.
„Das ist jetzt ein Witz, oder? Für mich gibt es nie jemand anderen, als dich.“
Daraufhin musste sie lächeln. Ich beugte mich zu ihr und sie schnappte nach Luft, wobei ihr Lächeln sofort wieder verschwand. Sie musste sich mindestens genauso sehr beherrschen wie ich mich. Ich sah das Verlangen, in ihren Augen. Sie legte sich hin und ich stützte mich mit beiden Händen ab, damit mein Gewicht nicht auf ihr lag.
„Vielleicht kannst du mir nie verzeihen“, quiekte sie, als ich nur noch Zentimeter von ihr entfernt war.
„Da gab es nie etwas zu verzeihen“, raunte ich und musste über die Anziehungskraft, welche dieses Mädchen verübte, den Kopf schütteln, um meine Gedanken wieder ordnen zu können.
„Worauf wartest du eigentlich noch?“, fragte sie honigsüß und lächelte, wobei ihr Blick zwischen meinen Augen und meinem Mund hin und her wanderte.
Ich lächelte ebenfalls und beugte meinen Kopf zu ihr herunter.

Zurück in die Zukunft



Akascha Sicht:

Das Erste, was ich am nächsten Morgen registrierte, war diese sengende Hitze. Für einen verschlafenen Moment dachte ich, die Sonne wäre über Nacht einige Millionen Kilometer näher an die Erde herangerutscht. Doch als ich blinzelnd die Augen öffnete, erblickte ich Embrys Arm, den er schützend um mich gelegt hatte.
Ohne ihn aufzuwecken schubste ich ihn sanft zur Seite und stieg aus dem Bett.
Ein Wunder, dass Embry beim Klang meines knurrenden Magens überhaupt schlafen konnte. Ich beschloss, uns Frühstück zu holen.
Als ich etwa eine Viertelstunde später mit noch immer warmen Croissants unter dem Arm geklemmt zurückkam, war Embry nirgends zu sehen. Allerdings hörte ich im Badezimmer die Dusche laufen.
Etwas hibbelig machte ich das Bett und räumte unsere Sachen zusammen. Weshalb ich eigentlich nervös war, konnte ich mir auch nicht erklären.
Schließlich war gestern Nacht nichts passiert. Auf meinen Wunsch hin hatte mir Embry erzählt, was sich während meiner Abwesenheit in LaPush abgespielt hatte. Und später erzählte ich ihm von meinen Wochen, auch wenn es schwer für mich war.
Nicht, weil diese kurze Zeit zurück bei meiner Mutter und Damien so schlimm für mich gewesen war. Nein, es war Embrys schmerzverzerrter Gesichtsausdruck, der es hart für mich machte, über die Schikanen von Damien zu reden.
Irgendwann als bereits die ersten Strahlen der Sonne durch das Zimmer fluteten, musste ich eingeschlafen sein, denn ich erwachte erst wieder, als ich das Gefühl hatte gleich Feuer zu fangen.
„Hey“, rief Embry sanft von der Badezimmertür her und ich ließ vor lauter Schreck meine Reisetasche fallen, die ich gerade nach frischen Kleidern durchforstete.
„Morgen“, krächzte ich und räusperte mich daraufhin, doch der Kloss in meinem Hals wollte einfach nicht verschwinden. „Ich… ich habe Frühstück geholt.“
Embry nickte und wuschelte sich mit dem Handtuch durch die nassen Haare. Ich versuchte nicht allzu sehr auf ihn zu starren, doch die Tatsache, dass er nichts anderes trug außer kurzen Shorts lenkte mich ziemlich ab.
„Hast du Hunger?“
Ich überlegte wohl ein wenig zu lange, denn Embry sah mich belustigt an und fügte fragend hinzu: „Ist etwas?“
„Ich… Nein, natürlich nicht. Ich habe keinen Hunger, Danke.“
Ich musste ihm ja nicht sagen, dass mein Magen bereits voller Schmetterlinge war und daher kein Platz für Essen bereithielt.
Keine Ahnung, ob Embry überhaupt wusste, wie sehr er mich aus dem Konzept bringen konnte, doch er zuckte bloß mit den Achseln und machte sich dann daran die Croissants zu verschlingen.
Eine halbe Stunde später waren wir endlich abfahrtbereit. Mittlerweile war es bereits Mittag. Während der Fahrt über schwiegen wir. Nur das Brummen des Motors war zu hören und die vorbeifahrenden Autos auf der Schnellstraße. Allerdings handelte es sich keineswegs um ein unangenehmes Schweigen. Im
Gegenteil, Embrys bloße Anwesenheit genügte, damit ich mich geborgen fühlte.
Immer wieder warf er einen verstohlenen Blick auf die Uhr und fuhr sich durch die Haare, wie er es so oft tat, wenn er nervös war.
„Was ist los?“
Embry sah mich an, als hätte er vollkommen vergessen, dass ich neben ihm saß.
„Was soll sein?“, fragte er betont gleichgültig und setzte sein strahlendes Lächeln auf. Er überspielte es zugegebenermaßen ziemlich gut.
Doch ich ließ mich davon nicht täuschen.
„Ich bin nicht blind, Embry. Ich merke doch, dass dich etwas beschäftigt.“
Embry schürzte seine Lippen und runzelte die Stirn. Er wusste nicht, ob er mir davon erzählen sollte. Schließlich seufzte er ergeben. Ihm musste klar geworden sein, dass ich nicht locker lassen würde, bis er mit den gewünschten Informationen rausrückte.
„Ich habe LaPush in einem ziemlich ungünstigen Augenblick verlassen…“
Ich schwieg und wartete darauf, dass er fortfuhr.
„Die Rothaarige streift noch immer durch unsere Wälder. Sam vertraut den Cullens nicht, weshalb wir Extraschichten einlegen müssen. Alle sind total übermüdet und schlecht gelaunt.“
Ich runzelte die Stirn. „Wer sind die Cullens?“
Embry seufzte und fing nach einigen Momenten des Schweigens an zu erzählen. Die Geschichte fing bei Jake und einem Mädchen namens Bella an. Von der Legende der Quileute bis hin zu den kalten Wesen und dieser geheimnisvollen Familie Cullen, die darauf beharrte, anders zu sein als ihre Artgenossen.
Als er endete, hatte sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper ausgebreitet. Und dabei fand ich schon die Beziehung zwischen mir und Embry kompliziert genug.
Er fuhr sich erneut durch die Haare. Ich wusste, dass das nicht alles war.
„Und was ist es genau, was dir Sorgen bereitet?“
Embry lächelte schwach, weil ich mich einfach nicht täuschen ließ. Kurz darauf wurde sein Gesicht allerdings wieder ernst.
„Wir verstehen einfach nicht, wieso es die Rothaarige immer wieder versucht. Sie weiß, dass sie keine Chance hat zu passieren.“
„Was meinst du damit?“, hackte ich nach, weil ich immer noch nichts verstand.
„Einige von diesen Blutsaugern… haben besondere Kräfte. Und eine davon kann in die Zukunft sehen. Frag mich nicht, wie das funktioniert, das ist uns selbst nicht klar. Aber wann auch immer die Rothaarige erneut einen Angriff auf Bella starten will, sieht es dieses kleine schwarzhaarige Cullenmädchen.“
Embry warf einen Seitenblick auf mich, doch ich antwortete nicht sofort.
„Sie scheint mir nicht der Typ dafür zu sein, Risiken einzugehen. Also wenn ich euch wäre, würde ich mich auf etwas Größeres gefasst machen.“
„Aber auch das würde diese Blutsaugerin sehen“, entgegnete Embry kopfschüttelnd.
„Nein, ich denke, dass sie mit diesen Angriffen bloß versucht, die Grenzen dieser hellseherischen Gabe zu erkunden.“
Embry schaute mich erstaunt an und ich zuckte verlegen mit den Achseln.
„Vielleicht interpretiere ich da auch ein wenig zu viel hinein.“
„Nein, ich frage mich einfach nur gerade, wieso ich nicht selbst darauf gekommen bin.“
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, verschwand jedoch sofort wieder, als ich das Schild sah, welches in schwarzen Lettern das kleine Indianerdorf LaPush ankündete.
Panik überkam mich. „Embry, ich…“
„Was ist?“
„Ich kann nicht zurück zu meinem Onkel. Er wird mir nie verzeihen, dass ich ihm nur einen verdammten Zettel hinterlassen habe.“
„Natürlich, das verstehe ich. Dann kommst du eben mit zu mir, falls du noch nicht bereit dafür bist, mit deinem Onkel zu reden.“
„Zu dir?“ Meine Stimme klang eine Oktave höher.
„Wenn du natürlich willst“, fügte Embry schnell hinzu.
Aus irgendeinem Grund hemmte es mich, zu Embry nach Hause zu gehen.
Würde ich seine Mutter kennenlernen? Höchst wahrscheinlich.
Ich fand es ziemlich peinlich, dass ich keine Angst vor jemandem wie Damien hatte aber davor, die Mutter meines Freundes kennenzulernen.
Ich schluckte den Kloss in meinem Hals herunter und entschloss mich für das kleinere Übel. „Ja, das würde ich gerne“, brachte ich schließlich hervor. Ich glaube nicht, dass Embry der ängstliche Unterton in meiner Stimme auffiel.
Bereits wenige Minuten später bogen wir in die Einfahrt zu Embrys Haus. Die Sonne war schon längst verschwunden und mir fiel sofort auf, dass das kleine Haus im Dunkeln lag.
„Meine Mum ist nicht da“, sagte Embry und deutete den winzigen Hoffnungsschimmer in meinen Augen richtig. Ich atmete tief aus und verließ den Wagen. Meine Glieder waren ganz steif geworden von der langen Fahrt und ich streckte mich erst einmal ausgiebig.
„Ich finde es süß, dass du Angst davor hast, meine Mutter kennenzulernen“, rief Embry lachend und schulterte sich meine Tasche um.
„Hab ich gar nicht!“, protestierte ich lauthals. „Aber was ist, wenn deine Mum mich nicht mag?“
Das brachte Embry noch mehr zum Lachen und er legte kopfschüttelnd den Arm um mich. Drinnen war es warm und gemütlich. Embry führte mich durch die verschiedenen Räume und hielt schließlich vor einer großen Holztür an.
„Mein Zimmer.“
Ich sah ihn an und er nickte bekräftigend, woraufhin ich zögerlich die Klinke betätigte.
Keine Ahnung, wie ich mir sein Zimmer vorgestellt hatte, aber so auf jeden Fall nicht. Es war sorgfältig aufgeräumt und ich war mir ziemlich sicher, dass selbst die Hemden in seinem Kleiderschrank schön gebügelt waren.
Der Raum war ziemlich groß im Vergleich zum kleinen Schlafzimmer seiner Mutter und lag direkt unter dem Dach. Es lag ein unwiderstehlicher Duft von Holz und Kiefernadeln in der Luft, was Embrys Anwesenheit nur präsenter gestaltete.
Embry setzte sich auf das Bett und beobachtete mich dabei, wie ich sein gesamtes Zimmer begutachtete.
Schließlich griff er nach meiner Hand und ich setzte mich neben ihn. Sanft küsste er mich und eine Weile verharrten wir in dieser Position.
Sachte ließ ich mich auf die weiche Matratze fallen und schlang meine Arme um Embrys Körper. Immer wieder pflanzte er sanfte Küsse auf meinen Mund. Doch bereits nach kurzer Zeit wurden unsere Küsse wilder, energischer. Meine Hände begannen auf Wanderschaft zu gehen. Ich fuhr mit den Fingern über seine kräftigen Arme, fühlte seine harten Bauchmuskeln über meinem Körper. Auch Embry schien sich nicht länger beherrschen zu können und seine Lippen berührten immer wieder die meinen, wobei die Abstände immer kürzer wurden.
Meine Hände wanderten seinen Rücken herunter und verharrten, als sie das Ende seines T-Shirts erreichten. Ohne lange zu zögern streifte ich es ihm über und meine Hände berührten nun seine nackte Haut.
Embry reagierte, indem er langsam einen Knopf um den anderen meines Hemdes öffnete.
Ich verlor komplett die Kontrolle, doch ich wusste, dass ich in diesem Moment nichts anderes wollte, als ihm nahe zu sein.
Ohrenbetäubendes Geheul riss mich schließlich aus meiner Trance und Embry hörte auf mich zu küssen. Es klang verzweifelt, ja beinahe furchteinflößend. Panisch sah ich mich nach Embry um, doch er war ganz starr geworden. Als sich unsere Blicke trafen, bestand für mich keinen Zweifel mehr: irgendetwas lief in den Wäldern komplett schief.
Erneut überkam mich Panik. Leah, Jake, Seth… war die Rothaarige zurück? Hatte sie die Anderen dieses Mal mit ihrem Angriff überrascht?
Ein zweiter Wolf fiel klagend in das Heulen des ersten Wolfes mit ein und jagte mir eine Gänsehaut über den gesamten Körper.
Ich sah erneut Embry an und ich wusste, etwas war dort draußen verdammt schief gelaufen.

Ein zuhause mit haufen Problemen



Akascha Sicht:

Embry sprang flink aus dem Bett und lief zum Fenster. Allerdings erkannte er nichts und selbst das Heulen war mittlerweile verstummt.
„Akascha, ich…“, begann Embry, doch ich unterbrach ihn.
„Geh, wenn du gehen musst.“
Er nickte und schnappte sich sein Handy.
„Ruf mich an, falls etwas ist, okay? Und öffne niemandem die Tür.“
Ich erhob mich. „Pass auf dich auf.“
„Natürlich. Versuch ein wenig zu schlafen. Du wirst gar nicht merken, dass ich weg bin.“
Ich nickte ein wenig benommen. Mit Sicherheit würde ich kein einziges Auge zudrücken können, dafür hatte ich viel zu fest Angst um ihn.
Allerdings wollte ich ihn nicht noch unnötig beunruhigen, er musste sich schließlich auf etwas anderes konzentrieren. Auch wenn mir nicht klar war, was genau auf ihn zukam. Ehrlich gesagt wollte ich es mir nicht einmal ausmalen.
„Was ist da draußen eigentlich los?“, fragte ich, um meine Angst zu verdrängen.
Embry verschwand bereits aus der Tür und ich folgte ihm in die Küche.
„Keine Ahnung, doch das hat sich nicht…“ Erneut brach er ab.
„Nicht gut angehört“, beendete ich seinen Satz und konnte nicht verhindern,
dass meine Stimme besorgt klang.
„Mach dir keine Sorgen, es ist sicher nichts Gravierendes. Womöglich ist Seth bloß auf Pauls Fuß gestanden.“
Er lächelte mich matt an, doch ich konnte über diesen Witz nicht sonderlich lachen. Das musste Embry wohl ebenfalls spüren, denn er seufzte und küsste mich kurz auf die Wange, bevor er aus der Tür verschwand.
Ich stand noch gute fünf Minuten dort, wo mich Embry verlassen hatte und versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass er vielleicht nie wieder zurückkam. Natürlich war das absurd. Sicherlich war das Ganze viel weniger schlimm als ich glaubte. Meine blühende Fantasie ging einfach mit mir durch, mehr nicht.
Ein ohrenbetäubendes Klopfen ließ mich zusammenzucken. Embry konnte es auf keinen Fall sein, er hatte einen Schlüssel.
Sollte ich die Tür öffnen? Nein, Embry hatte mich davor gewarnt.
Erneutes Hämmern an die Tür. Bei jedem Schlag gegen das massive Holz zuckte ich zusammen.
„Akascha, verdammt nochmal, zwing mich ja nicht, die Tür einzubrechen.“
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, kombiniert mit einem nervösen und ziemlich unnatürlich klingenden Lachen.
Leah. Es war bloß meine herrische und ungeduldige beste Freundin.
Eilig drehte ich den Schlüssel um und Leah stolperte völlig durchnässt über die Türschwelle. Bis dahin war mir nicht einmal aufgefallen, dass es regnete. Vor lauter Sorgen hatte ich die Außenwelt komplett ausgeschaltet.
„Na, endlich“, murmelte Leah und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Ich sprang schnell zur Seite, konnte allerdings nicht verhindern, dass mich einige Wassertropfen trafen.
„Ich habe dermaßen Hunger, es stört dich doch nicht, oder?“
Leah wartete meine Antwort gar nicht erst ab, sondern häufte sich ohne weiteres Essen auf den Arm. Mir wurde beim bloßen Anblick schon schlecht.
Würstchen, Mayonnaise, kalte Pizza, Pudding usw.
„Wie kannst du jetzt eigentlich an Essen denken?“, fuhr ich sie angewidert an, doch sie zuckte nur mit den Schultern und biss genüsslich in ein Stück Kuchen.
„Was ist dort draußen los, Leah?“
„Kain Bang, allsch im Giff“, nuschelte Leah mit vollem Mund und schmierte sich dabei ein Erdnussbutterbrot.
Ich schaute sie nur vielsagend an und wartete geduldig, bis sie den Mund voller Würstchen heruntergeschluckt hatte.
„Es ist alles in Ordnung.“
Doch wie sie das sagte, wusste ich, dass dem nicht so war. Hart schlug ich die Tür des Kühlschrankes zu, was mir einen empörten Blick von Leah einbrockte. Doch das war mir in diesem Moment ziemlich egal..
„Bitte, Leah, ich komm noch um vor Sorgen.“
Seufzend legte sie ihr Erdnussbutterbrot zur Seite. Sie wies auf den Tisch.
„Setz dich besser hin.“
Ich ging ihrer Bitte – wenn auch widerwillig - nach und Leah setzte sich gegenüber von mir, wobei sie meinem Blick merklich auswich.
Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, damit sie endlich mit der Sprache rausrückte.
„Okay“, gab Leah schließlich seufzend nach.
„Die Rothaarige ist wieder da.“
Ich schaute sie ungeduldig an.
„Und weiter?“
„Du hast doch von dieser Mordserie in Seattle gehört, oder?“
„Ähm… ja, natürlich. Aber was hat das mit der Rothaarigen zu tun?“
„Es sind Vampire, Akascha. Neugeborene, die all diese Menschen töten.“
„Neugeborene?“
Leah leerte ihre Dose Cola in zwei Zügen.
„So nennen wir Vampire, die erst vor kurzen verwandelt wurden.“
„Aber… wieso?“
„Keine Ahnung, aber es sind verdammt viele. Und anscheinend hören sie alle auf die Rothaarige.“
Ich verstand immer noch nicht.
„Aber das hätte doch die Schwarzhaarige sehen müssen, oder etwa nicht?“
Leah zuckte mit den Schultern, sie sah mindestens genauso verzweifelt aus wie ich.
„Ich habe keine Ahnung.“
„Wie viele?“
„Auch das ist nicht ganz sicher, wir schätzen über zwanzig“, verkündete sie unheilvoll.
Ich sog scharf die Luft ein. „Darf ich raten? Ihr müsst sie vernichten.“
Leah nickte. „Es geht nicht anders, sie töten nur noch mehr Menschen.“
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, wenn ich an die entstellten Leichen dachte, die ich in den Nachrichten gesehen hatte. Für mich war es immer noch schwer fassbar, dass Vampire und Werwölfe wirklich existierten. Nicht nur in Büchern oder Filmen, sondern in der Realität.
Und mein Freund war einer von ihnen.
Embry, der in unmittelbarer Gefahr war.
Lautes Klingeln riss mich aus meinen Gedanken und Leah griff in ihre Gesäßtasche, woraufhin sie ein ziemlich heruntergekommenes Mobiltelefon herauszog.
„Ja? Mhm. Ich bin bei ihr, ja. Okay, bis gleich.“

Das Telefonat war kurz, trotzdem erkannte ich Embrys Stimme wieder. Beinahe war ich ein wenig beleidigt, dass er Leah anrief, wo doch ich mir unglaubliche Sorgen um ihn machte.
Aber womöglich musste er gewusst haben, dass Leah hier war. Oder er hat sie höchstpersönlich hierher geschickt, keine Ahnung.
Leah erhob sich. „Ich muss los.“
„Wohin denn?“
Meine Freundin hielt an der Tür inne. Sie schien abzuwägen, ob sie mir das erzählen sollte. Womöglich fand sie keinen Grund dafür, es mir nicht zu erzählen, denn sie gab seufzend nach. „Zur Grenze. Wir müssen unsere Strategie mit den Blutsaugern aus Forks besprechen.“
Augenblicklich sprang ich auf. „Ich komme mit.“
„Auf keinen Fall“, wehrte Leah heftig kopfschüttelnd ab, doch ich ließ mich davon nicht abhalten.
Ich streifte mir meine Jacke über und langte nach meinem Handy. „Willst du dich jetzt wirklich mit mir streiten? Das würde bloß ewig dauern und zu nichts führen.“
„Wenn es sein muss. Embry bringt mich um, wenn ich dich zu diesen Blutsaugern mitbringe.“
„Ich werde es ihm erklären.“
Leah sah immer noch nicht überzeugt aus.
„Komm schon, Leah. Ich werde hier drin noch verrückt vor Sorge. Und vielleicht kann ich ja sogar helfen!“
Leah musterte mich, doch ich konnte ihre Miene nicht ergründen.
„Auf deine Kosten“, grummelte sie und verließ die Küche.
Mit einem selbstgefälligen Grinsen folgte ich ihr.


Embry Sicht:


Ich traute meinen Augen beinahe nicht, als ich Leah in Menschengestalt das Ufer des schmalen Flusses erreichen sah. Wie konnte sie nur so naiv sein und in dieser derartig hilflosen Gestalt auftauchen?
Wir vertrauten diesen Blutsaugern überhaupt nicht. Sam hatte sich in dieser Hinsicht klar und deutlich ausgedrückt.
Die anderen Wölfe schienen die gleichen Gedanken zu haben, doch ich beachtete sie kaum. Denn mittlerweile war mein Blick auf etwas oder besser gesagt jemanden hinter Leah gefallen. Jetzt war mir auch klar, wieso sie sich nicht verwandelt hatte.
Akascha? Das war Seth.
Ich fletschte meine Zähne und funkelte – insofern man als Wolf wütend funkeln konnte – Leah zornig an.
„Gib nicht mir die Schuld. Du weißt selbst am besten, wie stur sie ist“, wehrte sie heftig ab. Ich starrte Akascha an, doch diese hielt meinem Blick stand, ohne jegliche Schuldgefühle vorzuweisen.
Natürlich nicht.
Embry, was tut sie hier?, fragte Sam, seine Stimme klang beherrscht.
Woher soll ich das wissen? Ich habe ihr ausdrücklich befohlen, zu Hause zu bleiben.
Aber diesem Mädchen kann man nichts vorschreiben.
Mir war in diesem Moment nicht klar, ob ich sie bewundern oder auf sie wütend sein sollte.
Ich stellte mich vor Akascha, wobei ich die Cullens nicht aus den Augen liess. Am liebsten hätte ich mich an Ort und Stelle zurück in einen Menschen verwandelt, um sie gehörig in die Schranken zu weisen. Wie konnte sie bloss hier auftauchen?
Ich wusste, dass sie hier nicht sicher war, doch Sam würde mich niemals gehen lassen, bevor das Treffen nicht offiziell beendet war.
Edward, dieser Vampir, der mit Bella zusammen war, räusperte sich.
„Wir freuen uns, dass ihr gekommen seid.“
Für einen Moment blieb sein Blick an Akascha hängen und ich knurrte erneut.
Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass er womöglich Akaschas Gedanken las.
„Keine Sorge, ich werde mich zurückhalten“, antwortete er mir, was mich allerdings nicht im Geringsten beruhigte.
Doch wir hatten andere Sorgen, was wohl auch Edward wieder einfiel.
„Wie ihr alle wisst, hat sich Victoria in Seattle eine Armee von Neugeborenen aufgebaut. Sie werden uns in fünf Tagen erreichen.“
Die sind hinter Bella her, also was hat das mit uns zu tun, brummte Paul grimmig.
Jake knurrte bedrohlich.
Ruhig, Jungs, befahl Sam.
„Es sind über zwanzig Neugeborene. Wir würden euch nicht darüber informieren, wenn sie nicht so nah an unserem – also auch eurem - Zuhause wären.“
Sagt uns nur wo und wann, sagte Sam und Edward übersetzte es.
Dieses Mal war es der Blonde, der antwortete: „Wir brauchen zuerst einmal Training.“
Jared und Paul schnaubten gleichzeitig. Ihnen gefiel die Vorstellung, von einem Vampir unterrichtet zu werden, wenig.
Wann und wo?, wiederholte Sam mit Nachdruck und Edward übertrug es erneut.
Das Familienoberhaupt trat vor.
„Am besten morgen Nacht. Falls das für euch passt…“
Wir werden da sein, sagte Jake und ich konnte seine Verachtung deutlich hinaushören.
Und mit diesen Worten zogen die Cullens ab.
[iJared, übernimm Embrys Schicht. Ich glaube er hat noch etwas zu klären[/i], sagte Sam und sah mich dabei vielsagend an.
Und ob ich was zu klären hatte. Ich knurrte leise und schubste Akascha sanft mit der Nase, damit sie voranging. Als wir den Wald verlassen hatten, sprang ich kurzerhand in das nächste Gebüsch und streifte mir meine Hose über. In Sekundenschnelle war ich wieder bei ihr.
Akascha trat nervös von einem Fuß auf den anderen, als wüsste sie genau, was ihr jetzt blühte.

Akascha Sicht:

Verdammt, womöglich war es doch nicht so eine gute Idee gewesen, hierher zu kommen. Ich merkte spürbar, wie verkrampft Embry neben mir herlief und wich seinem Blick – feige wie ich war- immer gekonnt aus.
Und ehrlich gesagt hatte mich dieses Treffen keineswegs beruhigt. Mich hatte beinahe der Schlag getroffen, als ich die Cullens zum ersten Mal erblickte.
Schonungslos schön, kein Zweifel, doch um ehrlich zu sein hatten sie auch etwas Unheimliches an sich. Embry war ebenfalls ungewöhnlich hübsch, doch auf eine andere Art und Weise. Er strahlte eine solche Wärme und… etwas ungeheuerlich Menschliches aus. Die Cullens hingegen wirkten irgendwie steif und unnatürlich.
Und was hatte Embry mir vor kurzem erzählt? Vampire sind kalt wie Eis und hart wie Stein. Keine Ahnung, wie jemand es als schön empfinden konnte, so etwas zu küssen.
Embry räusperte sich und holte mich damit wieder auf den Boden der Tatsachen.
Ich wartete, dass er etwas sagen würde, doch er schwieg, was mich noch mehr verwirrte.
„Okay, tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, okay?“, platzte ich heraus, als ich dieses Schweigen einfach nicht mehr länger ertragen konnte.
Doch Embry nahm einfach meine Hand und drückte sie – wenn auch ein wenig zu fest – und schwieg weiterhin.
Mittlerweile waren wir beinahe wieder beim Haus der Calls angekommen und ich wurde zunehmend nervöser. Embry kramte mit der freien Hand in seiner Hosentasche und fischte seine Schlüssel hervor. Ich schlüpfte in das warme Haus und wollte gerade das Licht anknipsen, als ich mich eines anderen belehrte.
Ich konnte es nicht ertragen, Embrys versteinerte Miene zu sehen, wie er dort stand und keinerlei Gefühlsregung zeigte.
Vielleicht hätte ich es trotzdem tun sollen, denn ich kannte mich im Haus überhaupt nicht aus, weshalb ich prompt gegen eine Kommode stieß. Leise fluchend hielt ich mir die pochende Hüfte und spürte sogleich, wie Embry sanft den Arm um mich legte und mich in die Küche führte.
„Wieso machst du nicht einfach das Licht an?“
Obwohl es stockdunkel war, wusste ich, dass er amüsiert lächelte, was mich ein wenig aus der Bahn warf. Ich hatte erwartet, dass er mich als allererstes anbrüllen würde, oder mir vorenthielt, wie dumm diese Aktion von mir war. Aber dass er eine Bemerkung über meine Tollpatschigkeit machte – darauf war ich nun wirklich überhaupt nicht vorbereitet gewesen.
Embry knipste das Licht an und ich schloss meinen Mund, der mir vor lauter Erstaunen aufgeklappt war, um nicht ganz so dumm auszusehen, wie ich mich in diesem Moment fühlte.
„Möchtest du auch etwas essen?“, fragte Embry und warf zwei Toasts in den Toaster. Ich stand immer noch etwas verkrampft da und sagte nichts. Ich wartete auf einen Tobsuchtsanfall, doch er kam nicht.
„Akascha? Toast?“ Embry sah mich etwas besorgt an, vielleicht dachte er, ich kriegte demnächst einen Anfall.
„Danke, ich habe keinen Hunger“, riss ich mich schließlich zusammen.
Ich sah zu, wie Embry sich ein Sandwich aus Schinken und Mayonnaise machte und wartete geduldig. In diesem Moment wusste ich, wie sich ein Häftling kurz vor dem Gang zum elektrischen Stuhl hatte fühlen müssen. Nicht besser als ich, davon war ich überzeugt.
„Würdest du bitte mit mir reden?“, flehte ich, als sich Embry auf einen Stuhl gesetzt hatte und genüsslich in sein Sandwich biss.
„Ich habe dir nichts zu sagen“, brummte er. Okay, ich glaube, dass er dies sagte, denn in Wahrheit hörte es sich an wie: „Isch habdi nix zuschagn.“
Embry musste es wohl selbst gemerkt haben, denn er schluckte seinen Bissen runter und räusperte sich. „Ich bin nicht dein Vorgesetzter, Akascha. Und ich habe dir auch nicht vorzuschreiben, was du tun oder lassen sollst. Aber dich in die Mitte einer Schar Vampire zu stellen ist wirklich verdammt dumm, selbst für dich.“
Ich zuckte zusammen und Embry erhob sich, weil er befürchtete, dass seine Worte zu hart geklungen hatten.
„Nein, so meinte ich es nicht. Du bist nur unschlagbar darin, dich kopfüber in halsbrecherische Situationen zu stürzen.“
Ich nickte, schließlich war mir das nicht neu.
„Tut mir leid, ich werde ab sofort mehr auf dich hören.“
Embry zog mich fest an seine Brust.
„Das wäre hilfreich, denn die Lage spitzt sich zunehmend zu, weißt du.“
Ich erschauderte, obwohl mir alles andere als kalt war.
„Keine Sorge, das wird schon gut gehen“, beruhigte mich Embry, doch ich blieb trotzdem angespannt.
„Wirst du kämpfen?“, hauchte ich. Ich hatte diese Frage nicht aussprechen wollen. Ich kannte die Antwort und sie gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht um genau zu sein. Doch ich hoffte immer noch darauf, dass ich mich irrte.
„Das muss ich“, flüsterte Embry in mein Ohr und in diesem Moment starb selbst meine letzte Hoffnung.
Ich vergrub meinen Kopf in der Mulde unter seinem Arm. Er roch nach Kiefernnadeln und Erde – einfach unwiderstehlich. Ich wollte mir einfach nicht vorstellen, wie es ohne ihn war. Ich wollte und konnte nicht, verdammt.
„Mir wird schon nichts passieren“, sagte Embry bestimmt, dem mein Schweigen auffiel. Glucksend fügte er hinzu:
„Was sind schon ein paar Vampire gegen eine sture Akascha?“
Der Aufmunterungsversuch glückte ihm nur wenig, auch wenn mein Lächeln nicht einmal erzwungen war.
„Du hast wirklich überhaupt keine Bedenken?“
Zu meiner Verblüffung schnaubte Embry.
„Du beleidigst mich, Akascha. Wir sind geschickter und schneller als Vampire.“
Ich schwieg. Es war mir inzwischen klar geworden, dass Werwölfe ein ziemlich aufgeblasenes Selbstvertrauen hatte, doch in diesem Fall wollte ich Embry mehr als alles andere glauben.
„Vertrau mir“, hauchte er und in diesem Moment konnte ich nicht anders, als es zu tun.
Darauf, dass wir das mit uns meistern würden.
Darauf, dass er heil aus der Schlacht zurückkehrte, die – so wie es schien – unausweichlich war.
„Ich muss heute Nacht die Schicht übernehmen, aber ich habe Leah gebeten zu kommen, damit du nicht zu alleine bist.“
Ich öffnete den Mund um zu protestieren, doch Embry legte mir einen Finger auf die Lippen.
„Keine Widerrede, bitte“, sagte er und klang dabei so müde, dass ich tatsächlich vergas, was ich eigentlich hatte sagen wollen.
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, weshalb mein Protest sowieso zwecklos gewesen wäre.
„Wir sehen uns dann Morgen früh“, murmelte Embry und küsste mich kurz auf die Stirn.
Eilig schritt er zur Tür, da Leah mittlerweile Sturm klingelte, und entriegelte sie.
„Hey, Leah. Danke, dass du gekommen bist.“
„Kein Problem, ich spiele gerne Babysitter“, keifte Leah und grinste mich dabei schelmisch an. Genervt verdrehte ich die Augen und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Dann erledige deinen Job dieses Mal richtig“, erwiderte Embry, was ihm einen beleidigten Blick von Leah einbrockte. Ich hingegen war davon köstlich amüsiert.
„Eins zu null für Embry.“
Leah streckte mir die Zunge heraus und Embry verließ kopfschüttelnd, wenn auch lächelnd, das Haus.
Sofort wurde mir mulmig zumute. Es gefiel mir ganz und gar nicht, wenn ich von ihm getrennt war, doch ich wusste, dass er Pflichten hatte. Und darauf war ich ungeheuerlich stolz.
„Himmel nochmal, lass uns besser einen Film gucken, bevor du noch anfängst deinem Freund hinterher zu heulen“, rief Leah und ich riss meinen Blick von der Tür, durch die Embry verschwunden war.
„Ich heul doch gar nicht“, protestierte ich lachend und sah zu, wie Leah Chips in eine Schüssel füllte. Sie überging meine Bemerkung und zog mich an der Hand mit ins Wohnzimmer.
„Ich wähle den Film aus“, sagte Leah sofort und ich ließ mich lachend auf das Sofa fallen.
Ich wusste, dass Leah nicht gerne Filme schaute. Ehrlich gesagt hasste sie alles, wobei man länger als eine halbe Stunde sitzen bleiben musste. Bei ihrer Energie war das leicht zu glauben.
Umso mehr schätzte ich es, dass sie versuchte mich abzulenken. Auch wenn sie es vielleicht nicht verstand, so merkte sie trotzdem, wie große Sorgen ich mir machte.
„Der sieht doch perfekt aus“, sagte Leah bestimmt und hielt eine DVD hoch.
„Freitag der 13.? Nicht dein Ernst, oder?“, erwiderte ich lachend.
„Wenn du glaubst, ich schau mir irgendwelche Liebesschnulzen mit dir an, damit du daran denken kannst, wie schön es mit dir und Embry ist, hast du dich gewaltig geschnitten.“
Ich schleuderte ein Kissen in ihre Richtung, dem sie allerdings gekonnt auswich. Lachend ließ sie sich neben mich fallen und startete den Film.
Eine Weile saßen wir schweigend da und schoben uns Chips in den Mund.
„Du brauchst dir echt keine Sorgen zu machen“, brach Leah schließlich unser Schweigen. „Er hat ein Händchen für Krisensituationen.“
„Er hat ein Händchen für so manches“, erwiderte ich und biss mir sogleich auf die Zunge, weil meine Aussage so zweideutig war.
Leah musste es auch gehört haben, denn sie prustete los und verschluckte sich heftig an ihrer Cola.
„Okay, das war jetzt wirklich nicht so gemeint!“, rief ich laut aus und kugelte mich ebenfalls vor Lachen.
„Natürlich nicht“, stieß Leah zwischen zwei Lachanfällen hervor und hustete röchelnd.
Sie brauchte noch einige Minuten, bis sie sich beruhigt hatte und ich versuchte vergeblich die Schamesröte aus meinem Gesicht zu verbannen.
„Nein, aber jetzt mal im Ernst: ihr habt s doch getan, oder?“, vergewisserte sich Leah.
Ich schwieg. Meine Gedanken wanderten zurück zu heute Abend. Es war unglaublich, dass es erst heute Abend gewesen war, es kam mir vor wie ein anderes Leben.
In all dem Trubel hatte ich noch gar keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Doch was wäre passiert, wenn uns dieses Wolfsgeheul nicht gestört hätte? Hätten wir dann…?
Mein ganzer Körper kribbelte, wenn ich nur daran dachte.
„Ernsthaft?“, fragte Leah verblüfft und ich zuckte bloß hilflos mit den Schultern. Zu meinem Erstaunen fing Leah wieder an zu lachen.
„Okay, das kommt ziemlich überraschend.“
Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Wieso denn das?“
Doch in diesem Moment klingelte es an der Haustür und Leah erhob sich – wenn auch immer noch lachend.
„Er ist nicht wirklich der geduldige Typ“, rief sie mir über die Schulter hinterher. Ich sackte zurück auf Sofa. Leahs Worte hatten gesessen. Ich hatte nie darüber nachgedacht, was Embry vor mir gemacht hatte. Was er mit Mädchen getan hatte, meine ich.
Ich beschloss, Leah danach zu fragen, auch wenn ich mir eigentlich nicht ganz sicher war, ob ich es wirklich wissen wollte.
Doch als diese zwei Minuten später zurückkam, wirkte sie ungewöhnlich ernst.
Ich wollte schon eine spöttische Bemerkung machen, doch der Blick in ihren Augen ließ mich innehalten.
Schließlich verkündete Leah mit unheilvoller Stimme: „Da ist jemand an der Tür für dich. Ich glaube, du möchtest mit ihm sprechen.“

Am tiefsten Punkt




Embry Sicht:


Mein ganzer Körper zitterte, als würde ich frösteln, doch natürlich war es nicht die Kälte, die mir derart zumutete. Meine Augenlider fielen seit Stunden immer und immer wieder zu und der enorme Schlafmangel beeinträchtigte meine Wachsamkeit massiv. Sam hatte mich nach Hause geschickt, um den Schlaf nachzuholen, den ich durch die Strapazen der letzten Tage verloren hatte. Ich wollte meine Brüder nicht alleine lassen, doch um ehrlich zu sein, war ich nicht wirklich eine große Hilfe.
Ich stieß das morsche Gartentor auf, welches quietschend aus den Angeln fiel. Doch in diesem Moment war mir das ziemlich egal. Ich würde mich später darum kümmern.
Abrupt blieb ich stehen und runzelte verwirrt die Stirn. Das Licht im Wohnzimmer erstrahlte noch immer hell, doch es ließ das Haus nicht im Geringsten freundlich oder einladend wirken. Vielleicht lag es daran, dass ich in letzter Zeit nichts anderes als Gefahren und Gewalt erlebt hatte, doch mir schwante nichts Gutes. Mit ziemlicher Sicherheit wurde ich langsam paranoid.
Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigte mir, dass es beinahe Morgen war.
Akascha sollte längstens schlafen, was zur Hölle ging hier vor?
Eilig drehte ich den Schlüssel in der Tür um und betrat unser kleines Wohnzimmer. Leah saß auf dem Boden, ihr Rücken lehnte an der Tür zu unserem kleinen Badezimmer und ihr Gesicht erhellte sich zusehends, als sie mich erblickte.
„Na endlich“, brummte sie kaum hörbar und erhob sich mit steifen Gliedern.
„Was ist los? Wo ist Akascha?“
Leah gähnte und streckte sich gefühlte drei Minuten, was mich darauf schließen ließ, dass sie schon seit einigen Stunden auf dem Boden sitzen musste.
„Sie hat sich im Badezimmer eingeschlossen…“
Ich warf ihr einen vielsagenden Blick zu, damit sie endlich mit der ganzen Sprache herausrückte. Ich hasste es, wenn ich Leah alles aus der Nase herausziehen musste.
„Während du weg warst, haben wir… Besuch gekriegt. Na ja, eher Akascha.“
Sie sprach vorsichtig, als hätte sie Angst, dass ich gleich durchdrehen würde. Okay, vielleicht war ihre Befürchtung nicht einmal unbegründet, denn ich verkrampfte mich tatsächlich sofort.
„Wen?“
Leah zögerte.
„Zwing mich nicht die Frage zu wiederholen.“
Sie hob ergeben die Hände und dann sprudelten die Wörter nur so aus ihr heraus:
„Keine Ahnung. Wirklich! Es war ein großer, dürrer Mann und er wollte mit Akascha reden. Er muss von weit her gereist sein, denn er sah ziemlich müde aus. Vielleicht hat er das Licht im Wohnzimmer gesehen und sich gedacht, dass noch jemand wach ist, anders kann ich mir die Tatsache nicht erklären, dass jemand mitten in der Nacht an einer wildfremden Tür anklopft.“
Entsetzt starrte ich sie an. „Und du hast ihn reingelassen? Bist du wahnsinnig, Leah?“
Sie schnaubte. „Kein Mensch auf dieser Welt kann mir etwas anhaben, Embry, das solltest du ja eigentlich wissen.“
Ich überging ihre Bemerkung. „Das war leichtsinnig, Leah. Purer Leichtsinn!“, rief ich entrüstet, dämpfte jedoch sofort meine Stimme, weil ich nicht wollte, dass Akascha etwas von unserem Streit mitbekam.
„Was sollte ich denn machen? Er wollte mit Akascha reden und sie hat ihn sofort erkannt, weshalb ich angenommen habe, dass es schon in Ordnung ist.“
„Über was haben sie gesprochen?“, hackte ich nach.
„Hast du irgendwelche Hinweise darauf, die verraten könnten, wer er ist?“
Leah schüttelte den Kopf. „Akascha hat mich aufgefordert, die beiden alleine zu lassen.“ Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und machte eine theatralische Pause. „Stell dir vor, ich habe tatsächlich getan, was von mir verlangt wurde.“
Ich überging ihre spitze Bemerkung erneut und ignorierte auch die verletzte Eitelkeit, welche ich deutlich heraushörte.
„Du kannst gehen“, blaffte ich. Mein Schädel pochte heftig, ich hatte jetzt absolut keine Nerven für Leah und ihren Stolz. Das Einzige was ich wollte, war mich in mein Bett fallen zu lassen und so lange zu schlafen, bis all meine Probleme sich in Nichts auflösten.
„Gern geschehen“, konterte Leah zum Abschied und reckte ihr Kinn, bevor sie in den kühlen Morgen verschwand.
Ich seufzte genervt und massierte meine Schläfen, doch der pochende Schmerz ließ kein bisschen nach. Ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren und klopfte sachte an die Badezimmertür.
„Akascha, ich bin es.“
Keine Antwort.
„Erzähl mir was passiert ist, bitte.“
Immer noch Stille.
„Bitte“, wiederholte ich sanft, doch die Tür blieb fest verschlossen.
Also änderte ich meine Taktik. „Lass mich rein, Akas, sonst bin ich gezwungen, die Tür einzubrechen und das würde meine Mutter ganz und gar nicht gutheißen.“
Sie antwortete immer noch nicht, doch ich konnte hören, dass sich jemand bewegte und nach kurzem Zögern wurde die Tür entriegelt. Ohne Akascha Zeit zu lassen, es sich anders zu überlegen und die Tür erneut zu verriegeln, schlüpfte ich durch den Spalt und schloss die Tür erneut hinter mir.
„Akas?“, fragte sie mit einem Anflug eines Lächelns auf den Lippen. Sie hatte nicht geweint, dass sah ich ihr an, doch sie wirkte blass und erschöpft.
„Der Name ist mir spontan eingefallen“, erwiderte ich schulterzuckend und grinste.
Akascha ließ sich wieder auf den Boden sinken und schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine. Ich setzte mich neben sie, wobei sie kurz zusammenzuckte, als sich unsere Haut berührte.
„Willst du mir erzählen was los ist?“, startete ich sachte den Versuch und zu meiner Überraschung nickte sie leicht.
„Sie können mich einfach nicht in Ruhe lassen“, flüsterte sie und lächelte, doch es wirkte nicht im Geringsten fröhlich. Eher so, als würde sie sich an etwas Schönes erinnern, was schon ewig lange zurücklag und nie wieder zurückkehren würde.
„Der Mann an der Tür war ein alter Bekannter von meinem Vater.“
Für einen Moment riss ich erstaunt die Augen auf, beherrschte mich allerdings sofort wieder. Ich hatte Akascha nie ausführlich über ihren Vater ausgefragt und allem Anschein nach sprach sie auch nicht sonderlich gerne darüber. Jedenfalls stellte sie sich jedes Mal taub, wenn man sie auf ihren leiblichen Vater ansprach. Diese Taubheit verschwand erst, wenn man das Thema wechselte und selbst dann blieb dieser verletzte Ausdruck in ihren Augen vorhanden.
„Mom hat ihn angerufen… ich schätze das erste Mal seit Jahren. Macht sich Sorgen um mich, hat er gesagt.“ Sie lachte traurig und fuhr sich durch die Haare. „Ziemlich ironisch, wenn du mich fragst, dass sie sich jetzt Sorgen macht, wo ich doch zum ersten Mal sicher bin.“

Ich legte ihr bekräftigend meine Hand auf den Arm und fuhr feine Kreise auf ihre Haut, doch sie ging nicht darauf ein und starrte weiterhin ins Leere.
„Anscheinend hofft sie, dass er mir Vernunft einbläuen kann.“ Sie schnaubte verächtlich. „Ihr liegt doch etwas an mir. Entweder das, oder sie ist ziemlich verzweifelt.“ Sie machte eine kurze Pause. „Wenn ich darüber nachdenke, wohl eher das Zweite. Ich meine, hat sie wirklich gedacht, ich würde auf meinen Vater hören?“
Ich antwortete ihr nicht, ehrlich gesagt war ich mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt zu mir sprach.
„Wieso verachtest du den freund deines Vaters, Akascha? Ich meine, ich kann ja verstehen, dass du nicht viel übrig hast für Damien und ein Stück weit verstehe ich auch deine Ablehnung gegenüber deiner Mutter. Aber ein freund deines geliebten Vaters? Wieso?“
Ich rechnete fest damit, dass sie erneut abblocken würde, doch sie seufzte ergeben.
„Weißt du, ich bin nicht wütend auf meine Mutter, nicht einmal auf Damien. Sie mussten sozusagen mit mir leben, doch sie haben es hingenommen. Meine Mutter sah es als ihre Pflicht an, auch wenn sie kläglich versagte. Mein Vater allerdings…“
Sie brach ab und schwieg einen Moment. „Er hat sich vor seinen Pflichten gedrückt. Er wollte mich nicht.“
„Was willst du damit sagen?“
Erneut seufzte sie und rückte ein Stück von mir weg, damit sie mir in die Augen sehen konnte. „Er hat nach einer zeit lang mich nicht mehr so behandelt wie seine tochter, Embry. Er ist verdammt nochmal gefühlsloser geworden. Er wollte mich nicht mehr als Teil unserer Familie haben. Er wollte mich nicht als Tochter. Und Eric fand es auch richtig obwohl wir uns sehr uns verstanden also früher nach dem charakter welchel von den beiden und ich weiß einfach nicht wieso.“
Ich öffnete meinen Mund, um ihr zu wiedersprechen, schloss ihn jedoch sofort wieder. Ich verstand ihre Gedankengänge, konnte nachvollziehen, wie sie sich fühlen musste. Auch ich hatte einen Vater, der nicht zu mir stand und eine Mutter, die mir nichts über ihn erzählen wollte. Auch ich kam mir vor wie ein Aussätziger, den niemand haben wollte.
Also, was konnte ich schon sagen?
Nach weiteren endlos wirkenden Augenblicken ertrug ich die Stille nicht mehr und erhob mich. „Wir sollten schlafen gehen.“
Akascha sah zu mir hoch, ich sah ihre Enttäuschung, vermutlich hatte sie darauf gehofft, dass ich sie trösten könnte, ihr sagen konnte wie falsch sie lag.
Doch zum ersten Mal hatte sie auch einen wunden Punkt meinerseits getroffen.
Ich konnte ihr nicht sagen, was sie hören wollte. Ich konnte und wollte ihr diese Hoffnung nicht geben, denn ich wusste wie sie einen von innen auffressen konnte und schließlich vollständig zerstörte, wenn man realisierte, dass sie nichts als eine Illusion war.


Akascha Sicht:


Ich kniff die Augen zusammen, das Licht flutete durch das Zimmer und ließ die dunklen mahagonifarbenen Möbel hell erstrahlen. Ich hatte den dunkelgrünen Sessel vor das Fenster gerückt, weil ich mir sicher war, dass ich kein Auge schließen würde. Und doch musste ich für mindestens eine halbe Stunde in der Morgendämmerung eingenickt sein.
Embry schnarchte noch immer seelenruhig im Bett. Weder die strahlend helle Sonne, noch den Lärm einer Baustelle, welche in der Nähe war, konnten ihn und seinen königlichen Schlaf stören. Beinahe hätte ich darüber gelächelt, doch im Moment war ich zu traurig, um es tatsächlich zu tun.
Ich hatte es satt. Ich hatte genug davon, mich vor meinem Leben zu verstecken. Nach vorne blicken war gar nicht so einfach, wenn man ständig von der Vergangenheit umgerannt wurde.
Ich schloss die Augen und ließ mir von der Sonne das Gesicht kitzeln. Von weit her hörte ich eine Kirchenuhr schlagen, es musste also bereits elf Uhr morgens sein. Ich hatte eingewilligt, Eric in einem Café nicht weit von hier zu treffen.
Auch wenn ich absolut kein Bedürfnis hatte ihn zu sehen, so wollte ich ihm zumindest zeigen, was aus mir geworden ist. Und damit meine ich jetzt nicht diese zerbrechliche Akascha, die ich in Wirklichkeit war, sondern das Mädchen, welches ich war, wenn Embry sich in meiner Gegenwart aufhielt. Diese Akascha würde ich ihm zeigen, diese Akascha wollte ich sein.
Früher hatte ich mir immer ausgemalt, was ich Eric alles sagen würde, wenn ich ihn jemals wiedersah. Aber seien wir mal ehrlich, sich schlimme Wörter auszudenken ist einfach, sie auszusprechen jedoch eine ganz anderes Level.
Ich erhob mich langsam, schreckte allerdings sofort zurück, als ich Embry direkt hinter mir erblickte. Für seine Größe und Masse konnte er sich wirklich unheimlich leise bewegen.
„Du hast mich erschreckt“, sagte ich und versuchte ein halbwegs überzeugendes Lächeln zu Stande zu bringen.
Ich musste jetzt die starke Akascha sein und nicht die, die sich im Badezimmer einschließt nur weil Eric der wie mein zweiter vater gewessen war, der mich nicht liebt, mir einen Besuch abgestattet hat. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich mich selbst wieder aufraffen musste. Schließlich war nicht alles in meinem Leben durch und durch schlecht. Und wenn ich den Jungen vor mir anschaute, mit seinen dunklen, warmen Augen, hatte ich die Bestätigung.

Ich war nie eines dieser Mädchen gewesen, die sich im Zimmer einschlossen und düstere Musik hörten, während sie ihre Nägel schwarz lackierten und der festen Überzeugung waren, die Welt ist ein Haufen Dreck.
Ich hatte immer gewusst, dass auch Gutes auf der Welt geschieht... nur eben nicht mir.
„Tut mir leid“, murmelte Embry, allem Anschein nach war er noch ein wenig müde. Er sah an mir herunter und hob eine Augenbraue. „Hast du etwa in deinen Kleidern geschlafen?“
Ich zögerte und nach einigen Augenblicken sah ich, dass er begriff.
„Du hast überhaupt nicht geschlafen“, schlussfolgerte er und ich zuckte abwesend mit den Achseln.
Er seufzte. „Na, dann mach ich uns mal Frühstück.“
„Ich muss eigentlich gerade gehen.“ Embry warf mir einen fragenden Blick zu, weshalb ich schnell ergänzte: „Ich treffe mich noch mit meinem Vater.“
Sofort schnappte sich Embry ein frisches T-Shirt und eine Hose.
„Gib mir fünf Minuten.“
Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Wofür denn?“
„Glaubst du wirklich, ich lass dich das alleine durchstehen?“ Er sah mich an, als zweifelte er tatsächlich an meiner Intelligenz.
Gerade wollte ich ihm sagen, dass ich das schon alleine auf die Reihe kriegen würde, doch etwas hielt mich davon ab. Ich war mein ganzes Leben alleine gewesen. Einfach aus dem Grund, weil es nicht anders gegangen war. Doch nun hatte ich Embry. Ich musste das nicht alleine durchstehen und wenn ich ehrlich war, wollte ich es auch nicht.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich mich nicht dazu überwinden musste. Es war echt.
„Ich gebe dir drei“, zwitscherte ich süffisant.
„Ich nehme, was ich kriegen kann“, konterte er und verschwand aus dem Zimmer.
Ich lachte leise vor mich hin, es klang seltsam fremd in meinen Ohren.
Fast so, als würde es nicht mehr zu mir gehören.

Die Kunst des Verzeihens




Ebray Sicht:

Gedankenlos schloss ich meine Hand um Akaschas, ohne dabei auf ihren leisen Protest zu hören. Ich wusste, dass sie das nur aus lauter Gewohnheit tat. Insgeheim war sie froh darüber, dass ich ihr beistand, auch wenn sie dies womöglich nie würde zugeben können.
„Du musst wirklich nicht mit-“, begann Akascha doch ich brachte sie sofort mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen.
„Hör endlich auf damit, Akascha. Ich komme mit und damit basta.“
Sie lächelte leicht und drückte meine Hand.
„Danke.“
Ich antworte bloß mit einem Nicken. Wir blieben gut drei Meter vor dem Eingang des kleinen Cafés stehen und ich nahm sorgfältig Akaschas Gesicht in meine Hände.
Zögerlich und voller Zweifel blickte sie mich an.
„Bist du nervös?“, fragte ich und sofort schüttelte sie – wie nicht anders zu erwarten – den Kopf. Ich überging es.
„Denk daran, egal was er will, du bist zu nichts verpflichtet.“
Sie schluckte schwer und ich erkannte die Andeutung eines Nickens.
„Und ich bin auch noch da, falls es unerträglich wird.“
Wieder nickte sie, dieses Mal kräftiger und ich wusste, dass sie die Starke würde spielen können, auch wenn sie sich vielleicht innerlich nicht so fühlte.
Unfreiwillig stellte ich mir vor wie es wäre meinen leiblichen Vater zu treffen. Mit ziemlicher Sicherheit würde ich ausrasten und keineswegs den Unverletzlichen, den Kühlen spielen können.
„Lass uns gehen“, sagte Akascha bestimmt und ich wusste, dass sie sich aufgerafft hatte. Sie ging voran und ich folgte ihr – keine Ahnung wer in diesem Moment nervöser war, ich oder sie. Denn wenn ich ehrlich war, brannte ich darauf mehr über den Freund des Vaters von Akascha herauszufinden und deren Verhältnis zueinander. Auch wenn es absolut nichts mit mir zu tun hatte, so traf mich das Ganze doch persönlich, was ich allerdings gekonnt verbarg.

Akascha musste Eric bereits entdeckt haben, denn sie lief zielstrebig auf einen der hinteren Tische zu, wo sie schließlich vor einem Mann stehen blieb, der uns herzlich anlächelte. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass dies Akaschas Bekannter war, hätte ich ihn auf dreißig geschätzt. Keine Ahnung, wen ich mir genau vorgestellt hatte, womöglich einen muskelbepackten Mann mit Tattoos und einer fiesen Narbe quer über das ganze Gesicht. Das hätte zumindest zu Akaschas Worten gepasst, die alle nicht sonderlich positiv über ihn ausfielen. Ein Schlägertyp eben, wie Damien einer war.
Doch statt Tattoos und Narben saß dort ein Mann mit Brille und einem blauen Karohemd, welches seinen Augen noch mehr Ausdruck verlieh. Akascha hatte exakt dieselben – groß und ausdrucksvoll, mit erschreckender Tiefe.

„Akascha, ich freue mich sehr darüber, dass du gekommen bist.“
Er sagte es so, als wäre er ernsthaft überrascht. Als hätte er nicht mit ihrem Kommen gerechnet.
Wirklich verübeln konnte ich ihm nicht, dass er mich zuerst gar nicht beachtete, obwohl ich mit meiner Größe normalerweise sofort auffiel.
„Eric, das ist Embry“, murmelte Akascha, offensichtlich war es ihr unangenehm.
„Mein…“, fuhr sie fort, unterbrach sich jedoch wieder.
„Ein Bekannter“, rettete ich die Situation und streckte meine Hand hin. Obwohl er gut ein Kopf kleiner war als ich, war sein Händedruck fest und sein Blick bestimmt.
„Freut mich sehr, Embry. Ich bin Eric“, sagte er mit tiefer Stimme und ich wusste, dass er jedes Wort davon ernst meinte.
Akascha, der diese Höflichkeit anscheinend zu viel war nuschelte etwas davon, dass sie sich setzen müsse und wir ließen uns gegenüber von Eric auf die Stühle nieder.
„La Push ist wirklich sehr schön“, erzählte Eric und versuchte damit auf ein lockeres Thema einzugehen. Er wirkte ein wenig nervös, was aber angesichts der besonderen Umstände nicht weiter verwunderlich war. Schließlich hatte er seit drei Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen.
„Ich habe ein Zimmer in diesem kleinen Hotel, direkt an der Küste und -“
„Was willst du?“, unterbrach ihn Akascha scharf und beinahe hätte mir Eric leidgetan, als er merklich zusammenzuckte.

Eric räusperte sich, doch sie fuhr einfach fort: „Du hast seit drei Jahren nicht mit mir gesprochen, Eic. Ich bin nicht mehr das kleine, manipulative Mädchen von früher. Also sag mir was du willst und dann geh wieder zu deinem perfekten Leben zurück.“
Völlig vor den Kopf gestoßen starrte Eic sie an.
Ich fragte mich für einen Augenblick, wie sehr sich Akascha in diesen drei Jahren verändert hatte. Denn offensichtlich war das jetzige Verhalten von Akascha Hamilton nicht übereinstimmend mit dem früheren.
„Ich wollte sehen wie es dir geht“, stotterte er leicht, völlig aus dem Konzept geworfen, doch Akascha schnaubte bloß.
„Deine Mutter hat mir erzählt, dass du ausgezogen bist“, fuhr Eric fort.
„Sie hat gemeint, dir würde es echt gut gehen.“ Er warf einen schnellen Blick auf mich und ich war mir ziemlich sicher, dass dies nicht die Worte von Akaschas Mutter gewesen waren.Auch ihr musste dies aufgefallen sein.
„Du wärst nicht hier, wenn Mum gesagt hätte dass es mir gut geht. Also musst du entweder enorme Schuldgefühle haben oder aber sie hat solche wilden Geschichten erzählt, dass dir fast nichts anders übrig blieb als mich zu besuchen. Herzlichen Glückwunsch, ich bin nicht mit einem Drogendealer zusammen und habe zurzeit sogar ein Dach über dem Kopf, ist es das was zu hören willst?“

Bei den letzten Worten war sie aufgesprungen. Nun stand sie zornfunkelnd und mit geballten Fäusten vor uns. Die Bedienung, welche auf dem Weg zu uns war, machte auf dem Absatz kehrt als sie die wütende Akascha erblickte und die wenigen Gäste drehten sich bereits alle in unsere Richtung.
Ich blickte abwechselnd Akascha und wieder Eric an. Erstaunt fiel mir auf, wie gelassen Eric blieb. Anstatt etwas zu entgegnen kramte er in seiner Tasche und zog ein sehr altes Buch hervor, welches er auf den Tisch knallte.
Für einen Moment zeigte Akascha ihre Verwirrung, beherrschte sich allerdings sogleich wieder.
„Was ist das?“, fragte sie scharf.
„Das sind Legenden die dir hilfbereit sein werden in kürzen“, sagte Eric bestimmt und musterte sie dabei genau. „Deine Herkuft.“
Akascha ließ sich erneut auf den Stuhl fallen und blickte mit leerem Blick auf das Buch. Eine Weile schwieg sie, doch dann trat ein Ausdruck des Entsetzens in ihr Gesicht.
„Wieso meine Herkuft?“
Eric zögerte und schien zu überlegen. „Akascha, ich wollte dir das schon ewig beichten und ehrlich gesagt habe ich gedacht, dass dich deine Mutter schon längst darüber informiert hat…“
„Wer bin ich?“, knurrte Akascha und ich verstand noch immer nicht, was genau das Problem war.
„Akascha Hamilton“, antwortete Eric schließlich und seufzte, während Akascha das Buch auf den Tisch knallte.
„Was bin ich ?“, wiederholte sie nüchtern.
„Du hast uns vor drei Jahren verlassen, Eric. Also war ich der grund wieso“
Sie unterbrach sich, doch es war klar was sie mit dieser Stille andeuten wollte.
„Akascha, ich…“
„Was bin ich ? Wieso du gegangen bist und deine Gefühle für mich weniger geworden sind?“
Eric atmete tief aus und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
„Du bist ein Mensch.Akascha ich werde dir nichts erzählen du wirst es bald erfahren wenn du 18 wirst.“
Ich spürte richtig, wie Akascha in sich zusammensackte.
„Dann waren wir also gar nie eine glückliche Familie“, sagte sie nach langem Schweigen. Das Ganze war bloß eine Lüge.“
„Nein, Akascha, das hört sich jetzt ganz anders an, als es in Wirklichkeit ist“, startete Eric den Versuch, doch sier ging nicht darauf ein.
„Akascha, hör zu -“
„Nein, du hörst zu. Ich habe genug davon mich von dir und Mum zerstören zu lassen. Ich kann auf mich selbst aufpassen, ich brauche euch nicht“, fuhr Akascha ihn an.
Eric schüttelte heftig den Kopf. „Sei nicht albern, du musst nicht alles alleine meistern. Du bist fünfzehn und noch gar nicht in der Lage selbst auf dich aufzupassen.“
Akascha kniff die Augen zusammen und beugte sich etwas vor.
„Also erstens kann ich sehr wohl auf mich selbst aufpassen. Schließlich habe ich nichts anderes getan in den letzten Jahren, oder?“
Ich schwieg immer noch. Während des ganzen Gespräches hatte ich einfach stillschweigend dagesessen. Es erschien mir nicht richtig, mich in diese Konversation einzumischen, doch trotzdem empfand ich es als gut, dass ich hier war. Im schlimmsten Fall könnte ich auch dazwischen gehen. Bei Akascha wusste man dies nie genau.
„Tut mir leid, ich vergesse immer wieder wie groß du geworden bist“, murmelte Eric und starrte Akascha voller Reue an, als würde ihm das alles tatsächlich leidtun.
Ob dem wirklich so war, vermochte ich nicht zu sagen.
Akascha erhob sich und griff nach ihrer Jacke.
„Ich bin nicht so naiv wie du denkst das du mir so eine geschichte aufdeckst und ich gleich mit komme“, konterte sie bestimmt.
„Das War ich mal.Ach und danke für das tolle Buch“
Und mit diesen Worten stolzierte sie würdevoll aus dem Café, doch ich wusste, dass es sie gerade innerlich zerfetzte.


Akascha Sicht:


Ich rannte die Straßen entlang, wobei ich die Proteste der vorbeigehenden Passanten ignorierte. Ich war mir nicht sicher, ob mein Gesicht aufgrund der Tränen klitschnass war oder weil es mittlerweile in Strömen regnete. In einer heruntergekommenen Gosse hielt ich an und ließ mich – mit dem Rücken an der Wand angelehnt – auf den Boden sinken. Ich glaube, ich war in diesem Moment einem Nervenzusammenbruch nahe. Dementsprechend nahm ich es gar nicht wirklich wahr, als sich Embry zu mir setzte und mir einen Arm um die Schulter legte. Ich ließ es einfach geschehen und schloss meine Augen, um nicht weiter über mein Leben nachdenken zu müssen. Die Wärme, welche Embry ausstrahlte, machte mich schläfrig und ehe ich es mir versah, war ich eingeschlafen.
Ich wachte in einem großen Doppelbett auf. Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie ich dahin gekommen bin. War ich etwa ohnmächtig geworden?
„Ah, gut, du bist wach.“ Embry kam mit einem Tablett herein und ich erkannte Pfannkuchen und ein großes Glas Orangensaft.

„Ich wusste, nicht ob du hungrig bist“, sagte er unsicher und blickte mich erwartungsvoll an. „Oder ob es überhaupt schon zu spät für ein Frühstück ist.“
Ich lächelte matt und mein Magen rumorte hungrig, was Embry nicht entging.
Er lachte leise und stellte mir das Tablett auf das Bett und ich machte mich augenblicklich darüber her. Nachdem ich gut drei Viertel der Pfannkuchen weggefuttert hatte, trank ich auch noch den Orangensaft in drei Zügen leer.
„Wie geht es dir?“, fragte Embry vorsichtig, als ich mein Tablett auf den Boden stellte.
„Fantastisch“, sagte ich und lächelte breit. Ich musste dabei nicht einmal überzeugend wirken, denn mir ging es wirklich blendend. Wie gesagt, ich würde es nicht mehr zulassen, dass meine Familie mich runterzog auch nicht mit so einer story.
Embry allerdings zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.
„Okay“, entgegnete er gedehnt, als wäre ich schwer von Begriff oder etwas in der Art. „Entweder, du hast gerade eine ganz komische Art von Nervenzusammenbruch, oder du wirst besser im Lügen.“
Ich küsste ihn auf die Wange. „Weder noch. Ich habe dich und das genügt mir für alle Zeiten.“ Etwas steif erhob ich mich und trottete ins Badezimmer, um mich frisch zu machen. Ich zuckte ein wenig zusammen, als ich Embrys Schnauben erneut hinter mir hörte. Als ich mich umdrehte, stand er nachdenklich gegen den Türrahmen gelehnt. Womöglich versuchte er mich gerade zu durchschauen, was ihm meistens auch ziemlich gut gelang.
„Hör auf damit“, flüsterte er und ich war mir für einen Moment nicht sicher, ob ich mir die Worte bloß eingebildet hatte.
„Womit?“
Er seufzte resigniert und trat einen Schritt näher.
„Damit die Starke zu spielen. Ich kann verstehen, dass du dich nicht verletzlich vor hm zeigen willst, aber hör auf mich auszuschließen.“
„Mir geht es aber gut“, beharrte ich und hielt seinem bohrenden Blick stand.
Wir verharrten einige Augenblicke so, bis Embry kaum merkbar nickte und das Badezimmer verließ. Ich biss mir auf die Lippen, als mich eine Welle der Schuldgefühle erfasste, wie sie nur Embry hervorrufen konnte. Sicherlich war es nicht gerade leicht, auf jemanden wie mich geprägt zu werden. Waren im Umkreis von zehn Meilen irgendwelche Schwierigkeiten, so war Akascha Hamilton ganz bestimmt der Mittelpunkt darin.
Meine Beine reagierten, bevor es mein Verstand tat, denn ich folgte Embry ins Zimmer zurück.
„Warte!“, rief ich und er drehte sich nüchtern um. Seine Miene verriet nichts, was es für mich noch schwerer machte, die folgenden Worte auszusprechen.
„Ich will einfach nicht mehr traurig sein wegen einer Vergangenheit, die ich sowieso nicht mehr ändern kann, verstehst du?“
Embry schien eine Weile zu überlegen.
„Aber du kannst nicht alles abblocken, was dich einmal verletzt hat.Und das mit den Legenden vieleicht stimmt das ja was er erzählt hat man kann ja nie wissen“
„Was meinst du damit?“, fragte ich und merkte, dass das Gespräch eine andere Richtung nahm.
„Du kannst nicht auf jeden und alles wütend sein, Akascha. Das wird dich eines Tages kaputt machen, glaub mir. Manchmal ist die wahre Stärke, nun ja, zu verzeihen.“
Ich konnte es nicht fassen. „Ich soll meinem Vater verzeihen?“, rief ich aus. Ich versuchte nicht einmal, meine Stimme zu dämpfen. „Er taucht nach all diesen Jahren auf, gesteht mir, dass er mir schon immer etwas vorgespielt hat - und dein Rat ist es, ihm zu verzeihen?“
„Ich sage ja nicht, dass es heute sein muss. Aber willst du wirklich ihn aus deinem Leben werfen?“
„Das hat er vor Jahren selbst getan“, brummte ich nüchtern.
Embry überging die Bemerkung. „Was ist mit den Legenden?“
Ich zuckte zusammen – er hatte einen wunden Punkt erwischt.
„Es sind nur Legeden und ich glaube er hat nur eine story erzählt das ich mitkomme“
Dasselbe hatte ich mir auch schon überlegt, doch das hätte ich vor Embry niemals zugegeben.
„Und was soll ich bitteschön tun?“, fragte ich verzweifelt und versuchte mir meinen Groll nicht anmerken zu lassen. Eigentlich war es eine rhetorische Frage gewesen, doch Embry antwortete mir trotzdem.
„Wie gesagt: du musst ihm nicht verzeihen. Aber ihn auf Dauer abzublocken ist auch keine Lösung. Lerne die Legenden kennen, Akascha. Wenn du jetzt noch nicht dafür bereit bist, okay, aber ziehe es zumindest in Betracht. Gib deine Familie nicht auf. Du hast nur diese eine.“
Ich seufzte ergeben und stützte mein Gesicht in den Händen ab. Embry trat einen Schritt auf mich zu und streckte mir ein Zettel hin. Ich faltete ihn auseinander und erkannte die Adresse von einem Hotel, etwas außerhalb von LaPush. Gedankenverloren griff ich nach den Autoschlüsseln, die mir Embry entgegenstreckte.
„Du musst auch nicht heute gehen, aber denk wenigstens darüber nach.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, du hast Recht. Ich muss das ein für alle Mal klären.“
„Dann tu das und wir sehen uns heute Abend.“
Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen. „Du kommst nicht mit?“
Embry schüttelte leicht den Kopf. „Ich kann nicht, tut mir leid. Ich muss in den Wald.“
Für einen Moment hielt ich inne. Im Eifer des Gefechts hatte ich völlig vergessen, dass noch ein großer Kampf zwischen Werwölfen und Vampiren bevorstand. Ich schämte mich dafür, dass ich dies vergessen hatte.

„Mach dir keinen Kopf deswegen, du hattest gerade andere Sorgen“, flüsterte Embry sanft, als er meinen Gesichtsausdruck deutete, und küsste mich auf die Stirn.
„Tut mir leid“, sagte ich reumütig. „Pass auf dich auf.“
„Du auch.“
Und er verschwand aus dem Zimmer.
Ich blieb noch einen Augenblick vor dem Fenster stehen und saugte die Sonnenstrahlen auf, welche ich in LaPush so selten zu Gesicht bekam. Als ich das Unausweichliche nicht weiter hinauszögern konnte, verließ ich das Haus und kletterte in Embrys Wagen. Die Fahrt zum Hotel war viel zu kurz und zu meinem Pech fand ich es auf Anhieb. Kurz dachte ich darüber nach wieder umzukehren, doch schließlich erschien mir das zu feige.
Das Zimmer lag im dritten Stock. Ich nahm die Treppe, da mich Aufzüge irgendwie klaustrophobisch stimmten und ehrlich gesagt wollte ich auch noch ein wenig Zeit schinden. Als ich schließlich die Zimmertür erreichte, hielt ich mit meiner erhobenen Hand inne. Golden prangte die Nummer 308 auf einem Schild und ich schluckte meinen Kloss herunter, sprang über meinen Schatten und klopfte. Ich hörte, wie sich drinnen jemand bewegte und bereits einen Augenblick später öffnete Eric die Tür.

„Akascha“, rief er erstaunt aus und machte große Augen.
„Ich… du bist gekommen. Ich… Das… Komm doch rein.“ Er wirkte völlig überrumpelt, wenn auch auf eine gute Art, schätzte ich.
Er trat einen Schritt zurück und ich trat ein. Das Zimmer war hell und geräumig, meiner Meinung nach passte es gut zu ihm.
„Ich bin nur wegen Embry hier.“
Mein Eric nickte. „Das ist der junge Mann, mit dem du gekommen bist, oder?“
Auch ich nickte und blickte mich umher. Mir war selbst schleierhaft, wonach ich genau suchte, doch ich entdeckte ein Bild auf dem Nachttisch und trat näher. Es war ein Bild, von mir, meinem Vater und ihm. wir saßen auf einer Bank in Italien und strahlten, als noch alles in Ordnung war. Die Jahre hatten aber alles zerstört.
„Das war das letzte Foto von uns“, erklärte mir Eric. Er war vorsichtig, was seine Worte anbelangte, als hätte er Angst vor einem weiteren Ausbruch meinerseits.
„Erzäl mir bitte was du gemeind hast mit Herkuft“, sagte ich betont höflich und sah, wie Eric beruhigt ausamtete.
„Möchtest du gerne etwas Tee?“

Ich nickte und er schenkte uns beiden eine Tasse heißes Wasser ein, wobei er je einen Teebeutel reinwarf. Ich setzte mich an den Holztisch und blickte weiterhin verträumt auf das Foto. Es war komisch.
„Mum hat mir nie erzählt das ich... also du weißt was ich meine“, gestand ich und legte das Foto auf den Tisch. „Eigentlich hat sie nie darüber geredet. Einmal habe ich allerdings aufgeschnappt, wie sie im betrunkenen Zustand über die schwangerschaft geredet hat und über dich, da war mir klar, dass du nicht normales kind bist. Das war zwei Jahre vor dem Italien urlaub. Jedoch hat sie nie erwähnt, wer dein Vater ist.“
Ich nickte traurig und wusste nicht wirklich, was ich darauf antworten sollte.
„Natürlich haben dein Vater und ich nachforschungen gemacht über dich und wissen das die Legenden in dem Buch was bedeutdendes für dich sein kann. Akascha.Wir können die zeichen nicht endziffern doch ich glaube du schon wenn du so weit bist.“ Er kramte in der Hosentasche nach seinem Geldbeutel und zog ein Foto hervor. Dieses Mal war ich darauf zu erkennen. Ich musste etwa sieben Jahre alt sein. Ich legte es sofort zurück auf den Tisch, ich ertrug es einfach nicht, Kinderfotos von mir zu sehen.

Er musste spüren, was dieses Bild in mir auslöste, denn er begann wieder ein heiteres Thema. „Es tut mir leid das ich nicht für dich da war und ich schäme mich für dies und ich möchte auch nicht das du mir verzeihst denn das kann ich mir auch nicht doch du solltest nu wissen wenn du meine hilfe brauchst dann bin ich da. ich habe keine angst mehr.“
Ich lächelte willkürlich. „Angst?“
„vor dem Tot“, antwortete er und fügte wahrheitsgetreu hinzu: „Ich bin gegangen, als ich erfahren habe, dass du jedes myhten das es ging anlocks.“
Ich nickte sachgemäß und war froh über seine Ehrlichkeit, auch wenn sie schmerzte.
„Akascha, ich weiß, dass du das nicht hören willst, doch ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es dir bei deiner Mutter ergeht. Sie hat mich sofort in New York bei meiner Familie besucht, als du abgehauen bist…“ Er machte eine Pause und schüttelte ergriffen den Kopf. „Ich habe sie fast nicht wiedererkannt. Das war das erste Mal, dass ich sie wiedersah, seit ich… seit die Beerdigung durch ist und am Telefon hat sie immer sehr gefasst gewirkt und mir versichert, alles wäre in bester Ordnung, aber du möchtest nicht mit mir sprechen. Ich weiß, dass es keine Entschuldigung ist, doch hätte ich gewusst, dass ihr Freund dich schlägt, dann…“

Ich zuckte zusammen und er verstummte.
Ich sah auf meine Hände. „Es ist okay“, antwortete ich.
„Also, nein, es ist nicht okay, aber es ist okay.“ Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt für diesen aussagekräftigen Satz. Doch er nickte und ich war mir sicher, dass er verstand was ich meinte. Das hat er auch früher immer getan.
„Ich verzeihe dir nicht, Eric. Und mit ziemlicher Sicherheit werde ich das auch nie. Aber Embry hat mir geraten, meine Familie nicht wegzustoßen. Jedenfalls nicht alle. Und ich möchte wirklich versuchen es zu tun.“
Er schien nicht mehr erwartet zu haben, vielleicht hatte er sich sogar noch weniger erhofft, denn er lächelte matt.
„Du bist jederzeit bei uns willkommen. Wir würden uns freuen, wenn du uns einmal besuchen würdest.“
Ich schnaubte. „Ich glaube kaum, dass ich mir ein Flugticket nach New York leisten kann.“
„Selbstverständlich komme ich für sämtliche Kosten auf. Wenn du möchtest, kannst du Embry mitnehmen.“
Ich nickte, bei dem Gedanken war mir schon wohler. Auf keinen Fall konnte ich das ohne ihn durchstehen.
„Verzeih mir die Frage, ich bin bloß neugierig, seid ihr…?“, fragte er und lächelte.
Vorhin im Restaurant hatte ich mich noch dagegen gesträubt, ihm meine Beziehung zu Embry lang und breit zu erklären, weil es mir unangenehm war, wenn er so viel über mich wusste, doch jetzt kam mir das ziemlich absurd vor.
„Wir sind zusammen, ja.“
„Das ist schön“, sagte er und ich hob kurz eine Augenbraue, doch ich sah, dass er es ernst meinte.
„Ach ja? Normalerweise sind die meisten eingeschüchtert, was ihn anbelangt. Ich meine, er hat ziemlich viele Muskeln und ist tätowiert.“

Keine Ahnung, wieso ich das sagte, vielleicht wollte ich ihm Angst einjagen. Vielleicht wollte ich, dass er sich mehr Sorgen um mich machte. Ziemlich absurd wenn man bedachte, dass Embry mir nie etwas zu Leide tun würde.
Doch zu meiner Überraschung schüttelte er den Kopf. „Ich habe bemerkt, wie er dich ansieht, Akascha.“
Mehr sagte er dazu nicht und ich bohrte ehrlich gesagt auch nicht weiter nach. Die Tatsache, dass er ein unglaublich scharfer Beobachter war, war mir unangenehm, ohne dass ich weiter darauf herumhackte.
Die Uhr an der Wand begann zu schlagen und ich erhob mich langsam.
„Ich sollte gehen“, brummte ich und für einen Moment wirkte er traurig, weshalb ich noch rasch hinzufügte: „Aber ich werde euch auf jeden Fall besuchen kommen.“
„Ich fliege Morgen zurück“, antwortete Eric.
„Aber wie wäre es mit nächster Woche?“
Ich überlegte, Die Vampirarmee würde in vier Tagen da sein, Embry musste mitkämpfen, auch wenn mir bei dem bloßen Gedanken schlecht wurde. Doch immerhin konnte er sich nach dem Kampf etwas Pause in New York bei meiner Familie gönnen.
„Das hört sich gut an. Ich rede mit Embry und sage dir noch Bescheid.“
Eric gab mir zum Abschluss seine Visitenkarte und ich rannte beinahe aus dem Hotelzimmer. Auf einmal wollte ich nur noch heraus. Bei Embrys Wagen angekommen atmete ich zum ersten Mal wieder tief ein und ließ mich auf den Sitz fallen. „Bis nächste Woche, Eric. Mein Freund muss nur noch schnell ein paar Vampire töten“, murmelte ich nüchtern, obwohl er mich natürlich nicht hören konnte, und startete den Motor.

Nichts gegen Frauenprobleme




Emby Sicht:

Es dämmerte bereits, als ich unser kleines Haus zwischen den dichten Tannen erblickte. In der Küche brannte Licht und ich konnte den Duft von Essen schon aus einiger Entfernung riechen. Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem Schlüssel und trat ein. Allerdings blieb ich sofort wieder angewurzelt stehen, als ich zwei Gestalten in der Küche stehen sah.
„Mum? Was tust du denn schon hier? Wolltest du nicht erst Morgen kommen?“ Ich warf unruhig einen Blick auf Akascha, doch sie lächelte breit.
„Willst du auch marokkanisch?“
„Ähm… was?“
„Wir haben marokkanisches Essen gemacht“, erklärte meine Mutter und küsste mich zur Begrüßung auf die Wange.
„Ich… okay“, murmelte ich und kratzte mich am Nacken.
„Ich komme heute überraschend früher von meiner Geschäftsreise zurück und erblicke in meiner Küche ein Mädchen, welches ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich habe Akascha bereits kennengelernt, da du es ja anscheinend nicht für nötig gehalten hast, mir von deiner Freundin zu erzählen.“
Meine Mutter sah mich mit einem belustigt strengen Blick an und Akascha lachte aufgrund meines verdutzten Gesichtes.Ich sah mich um.
„Wonach suchst du?“ fragte Akascha und stellte die Pfanne auf den Tisch.
„Versteckte Kameras“, antwortete ich nüchtern. Ich fand es ziemlich unheimlich, dass meine Freundin und meine Mutter sich auf Anhieb so gut verstanden. Immerhin konnten sie sich nicht mehr als ein paar Stunden kennen. Und ich hatte mir das Vorstellen eigentlich ein wenig anders vorgestellt. Und nicht wie einen… einen Überfall.
„Sei nicht albern, Liebling“, sagte meine Mutter und wies auf den Tisch, damit wir uns setzten.

Akascha küsste mich auf die Wange und begann damit Essen auf die Teller zu schaufeln.
Eine Weile aßen wir schweigend. Ich warf immer wieder einen verstohlenen Blick auf Akascha.
„Ich habe Akascha gesagt, dass sie solange bleiben kann, wie sie möchte, doch sie zieht es lieber vor bei ihrem Onkel zu wohnen“, durchbrach meine Mutter die Stille.
Fragend sah ich Akascha an.
Sie heftete ihren Blick auf ihr Essen. „Ich kann nicht ewig eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Außerdem muss ich einige Dinge mit Onkel Devis klären.“
„Natürlich, das verstehe ich.“
Den Rest der Mahlzeit ließ ich Akascha und meine Mutter die Gespräche leiten. Mit der Zeit ließ auch meine Anspannung nach, da meine Mutter Akascha wirklich zu mögen schien. Allerdings hatte ich nie Zweifel in dieser Hinsicht gehabt.
Akascha spülte gerade das Geschirr ab, als ich mich neben sie stellte. Ich vergewisserte mich, dass meine Mutter außer Reichweite war, bevor ich mich Akascha widmete.
„Okay, sagst du mir was los ist?“
Akascha konzentrierte sich weiterhin auf das Geschirr.
„Du hast doch gesagt ich soll mein Leben auf die Reihe kriegen -“, begann sie.
„Damit meine ich doch nicht, dass du ausziehen musst“, warf ich dazwischen.
„Ich wohne aber nicht hier, Embry. Ich verstecke mich. Außerdem fängt morgen die Schule wieder an. La Push ist klein, glaubst du wirklich mein Onkel erfährt es nicht, wenn ich wieder in die Schule gehe?“
Ich schwieg. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Es hat aber nichts mit uns zu tun?“
Sie schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Mach dir keine Sorgen.“
Ich schwieg. Akascha schien mir anzumerken, dass ich mit dieser Antwort wenig zufrieden war und legte den schaumigen Teller zur Seite.
„Embry, ich laufe ständig davon. Vor Onkel Devis, meiner Mutter, Damien, sogar vor meinem Leben. Und du hast Recht, ich muss mich den Dingen stellen. Aber das kann ich nicht, während ich mich hier verkrieche. Ich muss das klären, angefangen bei meinem Onkel.“
Sie suchte meinen Blick.
„Das hat wirklich nichts mit uns zu tun. Du verlierst mich nicht noch einmal, das verspreche ich.“
Ich lächelte. „Davor habe ich keine Angst, ich werde es dir nämlich nicht mehr so leicht machen abzuhauen.“
Akascha lachte und warf Seifenschaum in meine Richtung. Ich fing den Schaum auf und drückte meine Hand auf ihr Gesicht. Ich verpasste ihr einen ziemlich albern aussehenden Schnurrbart. Sie spuckte lachend und verzog gleichzeitig angewidert das Gesicht, als sich der Geschmack der Seife in ihrem Mund ausbreitete.
Sie wurde sofort ernst und kniff spielerisch die Augen zusammen.
„Du bist tot.“
„Willst du mir drohen?“, fragte ich kokett und versuchte unbeeindruckt zu wirken.
„Nein, das war bloß eine Vorwarnung“, antwortete sie nüchtern und warf mir einen spitzbübischen Blick zu.
„Das wagst du nicht“, flüsterte ich bedrohlich und knurrte. Doch noch ehe Akascha die Wasserschlacht eröffnen konnte, kam meine Mutter zurück in die Küche und wir machten uns hektisch daran, den Abwasch ohne jegliche Konversationen hinter uns zu bringen.


Akascha Sicht:


Embry folgte mir, als ich die Treppen emporstieg um meine Habseligkeiten zu packen. Nicht, dass es viel zu packen gäbe, doch so waren wir zumindest für einen kurzen Augenblick alleine. Embry stand am Türrahmen und sah mir zu, wie ich meine dreckige Jeans in die Tasche steckte.
„Ich nehme an, du brauchst keine Hilfe?“ Er schmunzelte.
Ich lächelte ebenfalls. „Du kennst mich zu gut.“
Er trat näher und nahm mein Gesicht in seine Hände, sein Gesicht spiegelte ungewohnte Ernsthaftigkeit. „Ich weiß, dass du vieles alleine schaffst und ehrlich gesagt ist mir das viel lieber als ein Mädchen, das nicht einmal alleine einkaufen kann, ohne völlig überfordert zu sein.
Aber Akascha, zögere nicht nach Hilfe zu fragen, okay?“
Ich blinzelte. „Ähh… ich glaube, ich kann meine Tasche wirklich selber packen ohne mich zu überfordern. So schwer ist das nicht.“
„Ich meine auch nicht die Tasche“, erwiderte er ernst und ging dabei nicht auf meinen kleinen Witz ein.
„Natürlich. Dass weiß ich doch.“
Embry nickte knapp, sichtlich zufrieden damit, diese Worte ausgesprochen zu haben.
„Ich fahre dich zu deinem Onkel“, sagte er und wirkte sogleich lockerer.
„Würde es dir was ausmachen, wenn ich zu Fuß ginge? Ich brauche frische Luft und will dringend noch ein wenig nachdenken.“
Embry runzelte die Stirn. „Bist du sicher?“
Ich nickte bekräftigend und sah mich noch einmal in seinem Zimmer um. Willkürlich fragte ich mich, wann ich wohl das nächste Mal hier sein würde. Normalerweise war ich nicht zuversichtlich was fremde Plätze anging. Üblicherweise verschwanden diese Orte mit den Personen. Doch in dieser kurzen Zeit in der ich Embry schon kannte, hatte ich keine Zweifel dass er nicht gehen würde. Und damit war er der Erste.
„Kommst du?“, fragte Embry von unten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er schon rausgegangen war, doch vermutlich musste er gespürt haben, dass ich einen kurzen Augenblick für mich alleine gebraucht hatte.
Ich losch das Licht und sprang aus dem Zimmer, ehe mich die Dunkelheit einhüllen konnte. Unten erblickte ich Embry neben der Tür. Seine Mutter stand neben ihm und hielt etwas Abstand. Ich verabschiedete mich zuerst bei ihr.
„Es war schön dich kennenzulernen, Akascha. Die Tür steht dir immer offen.“ Sie schloss mich fest in ihre Arme und ich bedankte mich herzlich für die Gastfreundschaft. Als wir uns voneinander lösten widmete ich mich Embry zu, der zu meinem Erstaunen einen säuerlichen Ausdruck angenommen hatte, welcher ganz klar seiner Mutter galt, auch wenn ich in diesem Moment nicht verstand wieso.
Embry grummelte etwas von wegen er würde mich bis nach draußen begleiten und zog mich an der Hand mit vor die Tür.
Draußen angekommen wirkte Embry viel entspannter und atmete tief aus. Wie es aussah war sein Verhältnis zu seiner Mutter auch nicht das Beste, doch ich beschloss, ihn nicht sofort darauf anzusprechen. Für den Moment hatten wir beide genügend Probleme.
„Ruf mich an, sobald du bei deinem Onkel bist und mit ihm geredet hast, ja?“
Ich nickte. Auf einmal hatte ich einen groben Kloss in meiner Kehle, welcher es für mich unfähig machte, auch nur einen Ton herauszubekommen. Ich hatte mir noch gar nicht überlegt, was ich Onkel Devis genau sagen würde. Der Grund, wieso ich abgehauen war und mich nie gemeldet hatte. Vermutlich würde er mir einfach die Tür vor der Nase zuknallen – überlegte ich mir unheilvoll.
Embry streckte seine Hand aus und fuhr mir sanft über die Wange. Danach verschwand er in der Tür, während ich alleine zurückblieb. Meine Haut brannte dort, wo Embry mich berührt hatte und ich widerstand dem Drang, meine Hand auf meine glühende Wange zu legen.
Ich raffte mich auf und atmete tief durch, bevor ich den Weg zu Onkel Devis in Angriff nahm. Auch wenn ich mir immer und immer wieder Mut zusprach, konnte ich nicht anders als einen kleinen Umweg zu machen. Ich wollte das Meer sehen, den Strand. Die salzige Brise einatmen, so wie ich es früher immer getan hatte, wenn ich nervös war. Es beruhigte mich auf eine alberne Art und Weise. Früher, als ich die Größe des Ozeans erblickt hatte, kam ich mir immer klein und unbedeutend vor – und aus welchem Grund auch immer war es gerade das, was mich ruhiger atmen ließ. Denn egal was ich tat oder wofür ich mich entschied, es war letztendlich unbedeutend. Vielleicht nicht für mich, doch für die Welt schon. Wir Menschen glaubten doch immer so viel Macht und Kontrolle in dieser Welt zu haben, fühlen uns wichtig und unverletzlich, doch dabei können wir gegen so vieles nichts ausrichten. Nicht, dass ich an Schicksal oder sonstiges glaubte, aber manchmal kam es mir so vor, als könnte man sich gegen manche Dinge nicht wehren, weil sie einfach so geschehen mussten. Ich hatte mich oftmals gefragt, wieso meine Kindheit derart verkorkst gewesen war, wieso mein Vater uns verlassen hatte und meine Mutter daraufhin verrückt wurde. Wieso Damien in mein Leben getreten ist und meine Mutter geheiratet hat – was meine ganz private Hölle vervollständigt hatte. Doch wenn das nicht geschehen wäre, hätte ich Embry womöglich nie kennengelernt, oder Leah.
„Akascha.“
Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Jake stand gut drei Meter von mir entfernt, in Jeans, welche er sich an den Knien abgeschnitten hatte, sodass seine braunen Beine zum Vorschein kamen. Natürlich trug er kein T-Shirt, auch wenn es ziemlich kühl war. Ich erinnerte mich daran, wie sehr mich diese Tatsache gestört hatte, als ich zum ersten Mal mit ihm gesprochen hatte. Damals hielt ich es für Angeberei, weil ich dachte, er wolle seine Muskeln zur Schau stellen. Mittlerweile gehörte das einfach mit zu den Quileute-Männern. Ich nahm es schon beinahe nicht mehr wahr.
„Was tust du denn hier?“
Jake zuckte mit den Achseln. „Nachdenken.“
Erst jetzt fiel mir auf, wie niedergeschlagen er wirkte. Tiefe Schatten unter seinen Augen verrieten mir, wie müde er war.
„Jake, alles in Ordnung? Du siehst ziemlich fertig aus.“
Er lächelte müde und setzte sich auf einen naheliegenden Stein. Ich ließ mich neben ihn nieder und wartete, doch Jake blieb stumm.
„Geht es um Bella?“, fragte ich vorsichtig, doch Jake blieb so regungslos wie zuvor, weshalb ich noch einen Versuch startete.
„Emily hat mir einmal gesagt: am Ende hat man gar keine andere Wahl. Damit hat sie mich und Embry gemeint. Am Anfang habe ich das nicht verstanden und ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht, weil es sich so endgültig anhörte. Aber ich weiß jetzt, was sie damit sagen wollte.“
Meine Aufmunterung ließ Jake nur ein kleines Lächeln entlocken, welches noch dazu unsäglich traurig wirkte.
„Die Prägung bindet beide Seiten, auch wenn es kein Zwang ist“, fing er mit tiefer Stimme an und starrte auf das weite Meer. „Schließlich musst du nicht mit Embry zusammen sein, wenn du es nicht möchtest. Doch wieso solltest du dich für einen anderen entscheiden? Bella jedoch…“, Jake hielt inne und runzelte die Stirn. „Sie hat eine Wahl.“
„Zwischen dir und diesem Edward?“
Jake nickte. „Embry hat mir gesagt, ich soll sie vergessen, schließlich bin ich nicht auf sie geprägt worden.“
Ich stockte. „Du bist nicht… Aber…“
Jake lächelte erneut, dieses Mal wirkte es eine Spur heiterer.
„Ich weiß was du jetzt denkst. Ich soll nicht mehr jammern und auf die Richtige warten, weil sie bestimmt kommen wird.“
Ich zuckte vielsagend mit den Achseln und Jake seufzte tief aus.
„Das ist alles ein wenig komplizierter.“ Er hielt inne und runzelte die Stirn erneut. „Oder auch nicht: ich weiß einfach, dass ich Bella nie vergessen werde.
Sie wird immer die Einzige für mich sein.“
„Das sagst du so, weil du die Richtige noch nicht kennengelernt hast.“
Jake schien einen Augenblick zu überlegen.
„Das… macht absurderweise sogar Sinn.“
Ich grinste. „Tja was soll ich sagen, ich bin toll.“
Jake lachte sein lautes, warmes Lachen. „Ja, Embry hat wirklich Glück.“
Darauf wusste ich nicht wirklich was antworten. In der Vergangenheit hatte ich Embry ziemlich oft verletzt, weshalb ich Jacobs Aussage nicht bestätigen konnte.
„Ich sollte gehen“, sagte ich stattdessen und erhob mich.
„Tu das. Ich bleibe noch ein bisschen, an Schlaf ist jetzt eh nicht zu denken.“
Ich rief Jake über die Schulter eine gute Nacht zu, hielt jedoch mitten im Schritt inne und drehte mich erneut um. „Jake?“
„Hm?“ Er sah überrascht auf, als wäre er schon wieder ganz in seinen Gedanken versunken gewesen.
„Muss ich mir Sorgen machen?“ Ich war mir sicher, dass er wusste, dass damit nicht Bella gemeint war. Embry wollte mich nicht beunruhigen, weshalb er mir immer wieder versicherte, dass die bevorstehende Schlacht nur halb so schlimm werden würde. Doch Jake würde nicht lügen, er würde mir die Wahrheit sagen.
Er lächelte und ich wurde augenblicklich ruhiger.
„Nein, musst du dir wirklich nicht machen. Eine Horde Vampire ist nichts gegen Frauenprobleme, glaub mir.“

Familienzusammenschlüsse




Embry Sicht:


Ich hörte den Fernseher im Wohnzimmer surren, als ich die Haustür hinter mir schloss. Ich beschloss, mich sofort in mein Zimmer zu verkriechen, doch meine Mutter rief meinen Namen, als ich am Wohnzimmer vorbeihuschen wollte, weshalb mir nichts anderes übrig blieb als mich zu ihr zu gesellen.
„Setz dich, bitte“, sagte meine Mutter und wies auf den Sessel gegenüber von ihr. Widerwillig ließ ich mich nieder, während meine Mutter den Fernseher ausschaltete, was mich darauf schließen ließ, dass dieses Gespräch länger dauern würde als mir lieb war.
„Ich wollte mit dir über Akascha reden…“, begann meine Mutter und bestätigte damit mein Unbehagen.
Ich sprang auf und versuchte mich aus der Schlinge zu ziehen.
„Ich wollte eigentlich ins Bett, Mom. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich müde und muss morgen ziemlich früh raus, also…“
„Setz dich“, unterbrach sie mich bestimmt, aber doch sanft zugleich. Jeder hörte auf meine Mutter. Sie brachte es immer wieder zu Stande, ihre Befehle sowohl bestimmt als auch sanftmütig zum Ausdruck zu bringen. Früher hatte ich mich ihr nie wiedersetzt, selbst wenn ich ganz und gar nicht ihrer Meinung gewesen war. Manchmal fragte ich mich, ob sie schon immer so gewesen war, oder ob ihre Vergangenheit sie so geschnitzt hatte. Schließlich hatte sie mich alleine erzogen, fernab von meinem Vater, der mir noch immer unbekannt war. Ich denke, an einem gewissen Punkt wird man von der Außenwelt geprägt, von den Mitmenschen, auch wenn man dies immer verneint und mit aller Macht zu verhindern versucht.
Vielleicht wäre mein Verhältnis zu meiner Mutter besser gewesen, wenn ich meinen Vater kennen würde. Oder sie mir zumindest sagen würde, wer er war! Früher hatte ich immer geglaubt, dass ich ihn sowieso nicht kannte, weshalb meine Mutter mir nie mehr von ihm erzählt hatte.
Erst viel später erfuhr ich den wahren Grund.
„Ich mag Akascha wirklich sehr“, begann meine Mutter und hatte wieder ihren gewohnt liebevollen Blick aufgesetzt. Sie machte eine theatralische Pause, als wollte sie dass ich fortfuhr. Je länger unser Schweigen anhielt, desto genervter wurde ich.
„Tut mir leid, ich weiß nicht worauf du hinaus willst.“
Meine Mutter seufzte.
„Embry, ich weiß dass du es zurzeit nicht leicht hast. Dass du nachts immer weg bist, die Schule schwänzt weil du von deinen nächtlichen Trips so fertig bist.“
Ich schwieg. Meine Mutter wusste nicht, dass ich in Wahrheit ein Werwolf war und meine “nächtlichen Trips“ eigentlich auch zu ihrem Wohl diente. Die Tatsache, dass ich meiner Mutter gegenüber nicht ehrlich war, zeigte, wie mies unser Verhältnis war.
„Tut mir leid, ich kann dir immer noch nicht folgen.“ Langsam wurde ich ziemlich ungeduldig.
„Ich weiß dass du eine rebellische Phase durchmachst -“ Ich schnaubte verächtlich, doch meine Mutter warf mir einen scharfen Blick zu und ich verstummte sofort wieder.
„Und mir ist auch klar, dass du nicht auf mich hören wirst, schließlich tust du das ja nie. Oder zumindest nicht mehr.“
„Komm zum Punkt“, knurrte ich, doch meine Mutter beachtete mich nicht weiter, obwohl sie meiner Bitte nachging.
„Ich habe Akaschas Wunden gesehen.“
Für eine Weile vergaß ich völlig wütend zu sein und blinzelte meine Mutter nur verstört an, bis ihre Worte richtig in mein Bewusstsein drangen.
„Du glaubst doch nicht etwa ich war das?!“
Meine Mutter machte eine Pause, als würde sie abwägen welche Worte sie als nächstes gebrauchen sollte.
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich sehe die blauen Flecke von Akascha und ich sehe meinen Sohn, der in diesem Jahr äußerst rebellisch und aggressiv geworden ist. Was soll ich da denken?“
Mittlerweile war ich aufgesprungen. Der Wolf in mir tobte und was noch viel schlimmer war, der Mensch in mir ebenfalls. Ich musste mich schleunigst beruhigen, ansonsten würde ich mich vor meiner Mutter verwandeln und ich konnte mir nichts Katastrophaleres vorstellen.
„Ich schlage sie nicht!“, jedes Wort war ein einzelnes Zischen und ich hatte meine Fingernägel tief in die Haut meiner Innenhand gegraben, um das Zittern meines Körpers zu verbergen.
Meine Mutter schwieg erneut eine lange Zeit, in der sie mich scharf musterte. Am liebsten hätte ich meinen Blick abgewandt, war mir aber sicher, dass sie meine Worte dann als Lüge interpretieren würde.
„Ich glaube dir“, sagte sie und erhob sich. Perplex starrte ich sie an, während sie Richtung Tür ging.
„Du… was?“
Sie drehte sich am Türrahmen um und seufzte. „Ich glaube dir, Embry“, wiederholte sie und ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch eine Begründung sollte ich nicht bekommen. Sie machte kehrt und verließ das Wohnzimmer, während ich im schwachen Licht der Lampe alleine zurückblieb. Leise grummelnd machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer.
Ich hasste es, wenn mir wieder einmal klar wurde, wie herzensgut meine Mutter eigentlich war und wie unrecht ich ihr mit meinem Verhalten tat.


Akascha Sicht:


Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte, dass das Licht im Wohnzimmer meines Onkels noch brannte. Andererseits hatte ich dieses Gespräch schon seit Ewigkeiten aufgeschoben, wie es sooft meine Art war.
Früher hatte ich immer geglaubt ich sei stark und würde nichts an mich heranlassen. Erst viel später musste ich erkennen, dass dieses Verhalten alles andere als stark war. Stark zu sein bedeutete, sich allen Ängsten zu stellen und Probleme zu meistern. Nicht vor ihnen davonzulaufen.
Mit diesem Hintergedanken schritt ich eilig auf die Türschwelle zu. Einen Moment lang ließ ich alle Erinnerungen an dieses Haus Revue passieren, ließ mich davon übermannen. Zu meinem Erstaunen gab es ausschließlich gute Erinnerungen. Der erste Ort auf dieser Welt, von dem ich dies behaupten konnte.
Ich klopfte dreimal und wartete. Keine Minute später öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Ich sah die blauen Augen meines Onkels, wie sie sich vor Überraschung weiteten und schließlich wie die Tür ganz aufgestoßen wurde.
„Akascha, du liebe Güte.“
Ich öffnete den Mund um mir meine zurechtgelegte Entschuldigung aus dem Gedächtnis runter zu leiern, doch soweit kam ich nicht, denn Onkel Devis schloss mich fest in seine Arme und für einen Moment war ich zu perplex, um seine Umarmung zu erwidern.
„Hey, Onkel Devis“, krächzte ich und erst jetzt fiel mir auf, wie sehr er mir gefehlt hatte.
„Wo warst du denn? Und was ist mit deinem Gesicht passiert?“, durchlöcherte er mich sofort mit Fragen. Doch dann fing er sich wieder, weil ihm wohl aufgefallen war, wie unhöflich er sich benommen hatte und räusperte sich.
„Na, komm erst einmal rein, ich mache dir eine Tasse Tee.“
Ich blickte ihn dankbar an und trat ein. Drinnen war es heimatlich warm und es roch nach Holz. Mein Körper entspannte sich sofort und ich erblickte Jack, den Schäferhund meines Onkels. Schwanzwedelnd sprang er auf mich zu und ich erlaubte es ihm mein gesamtes Gesicht abzulecken.
„Schon gut, Junge, du hast mir auch gefehlt“, rief ich lachend aus und wischte mir mit dem Ärmel den Sabber vom Gesicht.
„Akascha, willst du Kamille oder grünen Tee?“, fragte mein Onkel von der Küche her.
„Kamille, bitte“, rief ich ihm zurück und setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa. Wenig später kam Onkel Devis mit zwei Tassen herein und stellte sie auf den Fernsehtisch während er sich in den Sessel gegenüber von mir niederließ. Eine Weile schwiegen wir, pusteten auf unsere heißen Tassen und nahmen ab und zu einen kleinen Schluck, nur um uns zu vergewissern, dass er noch immer zu heiß war um getrunken zu werden.
„Ich war Zuhause“, begann ich, weil ich das Gefühl hatte, dass Onkel Devis darauf wartete dass ich den Anfang machte.
„Ich glaube ich habe mir wirklich erhofft dass sich etwas geändert hat… Dass Mom plötzlich hinter mir steht und Damien vor die Tür setzt, keine Ahnung.
Erst als ich dort war ist mir aufgefallen, dass nicht mein Zuhause sich verändert hat sondern ich.“
Onkel Devis nickte verständnisvoll, als könnte er es wirklich nachvollziehen. Ob er dies wirklich tat, vermochte ich nicht zu sagen. Wie ich mich fühlte konnte ich nicht einmal mit den richtigen Wörtern beschreiben.
„Ich wollte dir eigentlich bloß sagen dass ich wegmusste. Ich musste das klären.“
Onkel Devis nippte an seinem Tee. „Hast du abgeschlossen?“
Darüber musste ich nicht nachdenken. „Ja, das habe ich.“
Mein Onkel seufzte und stellte seine Tasse weg. Meine hatte ich bereits komplett vergessen. Heiß dampfend stand sie auf dem Fernsehtisch.
„Akascha, ich habe mir wirklich unglaubliche Sorgen um dich gemacht.“
Schuldbewusst blickte ich zu Boden.
„Ich habe dir gesagt, wenn du hier bei mir leben willst, musst du dich an einige Regeln halten, ansonsten würde dies nicht funktionieren. Nicht an viele, aber doch einige Bedingungen.“
Ich öffnete den Mund um mich zu rechtfertigen, schloss ihn aber wieder weil mir klar wurde, dass ich es nicht konnte.
„Du bist seit über zwei Wochen nicht zur Schule gegangen, du kommst und gehst wie du willst. Wir hatten vereinbart, dass deine Noten sich verbessern, aber wie willst du das schaffen, wenn du die Schule nicht besuchst?“
Onkel Devis schüttelte enttäuscht den Kopf und seufzte erneut. Dieses Gespräch verlief schlechter als ich mir erhofft hatte. Mein Onkel schien sich entschieden zu haben und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln.
„Onkel , ich weiß es sieht so aus als hätte ich das alles für selbstverständlich gehalten aber so ist das nicht. Und mir ist auch klar, dass ich mir mehr Mühe hätte geben müssen und…“ Ich brach ab, weil sich das Ganze verdächtig nach schlechten Ausreden anhörte und dafür war ich einfach nicht der Typ.
„Ich wollte dir bloß Danke sagen, weil du mir die Möglichkeit gegeben hast. Damit warst du der erste in meiner Familie Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe.“
Onkel Devis nickte und erhob sich schwerfällig. Zuerst dachte ich, dass damit alles gesagt war, doch mein Onkel blickte mich ernst an.
„Du hast Hausarrest. Du besuchst die Schule jeden einzelnen Tag und Freunde triffst du nur mit meiner Erlaubnis und unter der Woche schon gar nicht. Hast du mich verstanden?“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
„Du wirfst mich nicht raus?“
„Oh, du wirst dir wünschen, dass ich das getan hätte. Aber nein. Du baust Mist? Dann musst du auch lernen mit den Konsequenzen zu leben, Akascha. Kein davonlaufen mehr, hast du mich verstanden?“
Ich sah in seinen Augen wie ernst ihm damit war. Instinktartig sprang ich auf und umarmte ihn. Als ich wieder von ihm abließ lachte er mir herzlich zu.
„Wofür war der denn?“
Ich zuckte mit den Achseln. Mein kleiner Gefühlsausbruch war mit natürlich direkt wieder peinlich.
„Dafür, dass du mich nicht fallen lässt.“
Onkel Devis schmunzelte.
„Du gehörst schließlich zur Familie.“
Ich lächelte traurig zurück.
„Glaub mir, das ist keine Garantie dafür.“

Kein guter Start



Akascha Sicht:

Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf meinen Oberschenkel, während ich dem Tuten des Telefons lauschte, welches mich beinahe in den Wahnsinn trieb.
„Wieso nimmst du dein beschissenes Telefon nicht ab?“, murmelte ich verärgert und pfefferte mein Handy auf das Bett. Eilig trat ich ans Fenster und stieß es weit auf. Kalte Luft schlug mir entgegen und brannte auf meinen Wangen. Da Embry auf keinen meiner Anrufe reagierte beschloss ich, mich schlafen zu legen. Immerhin war es mittlerweile nach elf und Onkel Devis bestand darauf, dass ich Morgen zur Schule ging. In Windeseile hatte ich meine Habseligkeiten gepackt und meinen Schlafanzug – welcher aus kurzen, schwarzen Shorts sowie einem weinroten T-Shirt bestand – übergezogen. Noch einmal warf ich einen Blick auf mein Mobiltelefon, was mich allerdings nur noch mehr aufbrachte, da das Display keinerlei Nachricht aufwies.

Ich brauchte lange bis ich eingeschlafen war und als am nächsten Morgen der Wecker schrillte, hatte ich das Gefühl gerade mal fünf Minuten Ruhe bekommen zu haben. Ich setzte mich auf und zog mich schwerfällig an. Kritisch dreinblickend blieb ich vor dem Spiegel stehen, ich sah ziemlich mitgenommen aus. Schnell versuchte ich meine Erschöpfung mit etwas Make-Up zu verstecken, was mir auch ziemlich gut gelang. Ich putzte mir die Zähne (da ich absolut keinen Appetit hatte, verließ ich das Haus ohne vorher zu frühstücken.)
Instinktiv und aus reiner Gewohnheit langte ich nach dem Schirm, doch bereits als ich die Tür öffnete, merkte ich, dass ich ihn heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gebrauchen würde. Die Sonne brach durch die trostlosen Wolken hindurch und kitzelte auf meiner Haut. Es war ein perfekter Morgen für einen kleinen Spaziergang und ich beschloss, nicht mit dem Bus in die Schule zu fahren.
Als ich nach fünfzehn Minuten die Highschool des Reservats erreichte, hatten sich bereits alle Schüler auf dem Parkplatz versammelt.

„Hey, Akascha!“
Ich drehte mich um und sah Leah mit einem breiten Lächeln auf mich zu kommen. Seit meiner Abreise hatte ich sie nicht mehr gesehen und ich merkte, wie ich für einen kurzen Augenblick beunruhigt war, weil ich nicht wusste ob sie noch immer sauer auf mich war oder nicht. Doch sogleich schloss sie mich in ihre Arme und schob damit alle meine Zweifel beiseite.
„Du bist also zurück“, sagte Leah und ich grinste breit.
„Dann kannst du mich ja wieder nerven.“
„Als hätte dir das nicht gefehlt“, neckte ich sie und meine Freundin fiel in mein Lachen ein.
„Stimmt. War ziemlich langweilig ohne deine Probleme.“
„Welche Probleme?“, fragte ich und Leah warf mir einen verächtlichen Blick zu, was uns beide wieder zum Grinsen brachte.
„Na komm, wir haben Physik.“
Ich verdrehte genervt die Augen. Kaum zurück, schon wartete mein absolutes Hassfach auf mich.
Das Klassenzimmer befand sich im Erdgeschoss. Es war stickig und mir drehte sich der Magen um, als ich sah, was mit großen Buchstaben auf der Tafel angekündigt war:

Ablauf Doppellektion Physik
Erste Lektion: angekündigte Prüfung, 45 min
Zweite Lektion: Gleichförmige Kreisbewegungen (Versuche)

„Wir schreiben einen Test?!“, zischte ich Leah entsetzt zu.
„Ja, das solltest du doch wissen. Anfangs Jahr hast du einen Probenplan für das ganze halbe Jahr gekriegt, Akas.“
„Nenn mich nicht Akas. Nur Embry tut das und nur weil er zu stur ist um es sein zu lassen!“, fauchte ich genervt, doch Leah zuckte bloß mit den Achseln und setzte sich in die hinterste Reihe. Ich ballte meine Fäuste und ließ mich neben sie auf einen Stuhl plumpsen.
„Jetzt komm wieder runter, Akascha. Schreib mir einfach ab und du hast ne Eins.“
Ich schnaubte verächtlich. Ob wegen Leahs Arroganz oder meiner fehlenden Fähigkeit während eines Testes abzuschreiben – ohne Witz, ich wurde jedes verdammte Mal erwischt – vermochte ich nicht zu sagen.

Die restlichen Schüler strömten in den Raum und setzten sich allesamt hin. Keine von ihnen sah so mitgenommen aus wie ich. Als letztes huschte keine andere als Leona ins Zimmer. Es erschien mir fast wie ein halbes Leben, als ich in ihr noch eine Konkurrenz gesehen hatte. Damals wäre sie beinahe der Grund gewesen, dass ich und Embry nicht zusammen kamen. Als das Bild von ihr und Embry aufflackerte, wie sie ihn auf dieser Party geküsst hatte ließ dies meinen Zorn gegenüber diesem Mädchen neu aufflammen.
Ihr Blick traf den meinen und für einen Augenblick wirkte sie perplex. Vermutlich hatte sie nicht mehr mit mir gerechnet und mit ziemlicher Sicherheit fuhr ich gerade einen fetten Strich durch ihre Rechnung. Gut so!
Für sie musste ich noch immer eine Konkurrentin sein. Ich genoss es beinahe ein bisschen, solche alltäglichen, ja fast dummen Probleme zu haben. Doch mein Hochgefühl verflog sofort, als unser Physiklehrer den Raum betrat und uns alle aufforderte Platz zu nehmen. Dies war eigentlich gar nicht nötig, denn alle saßen bereits schon an ihren Plätzen und warteten auf die Prüfung. Einige mit entschlossenem Gesicht, andere beinahe genauso panisch wie ich und wieder andere überflogen noch kurz die Zusammenfassung aller Formeln.
Leah klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und ich bereute es sofort, dass ich sie vorhin angegiftet hatte. Ich nahm mir fest vor, mich nachher bei ihr zu entschuldigen.
Die Prüfungszeit zog sich endlos hin und zu meinem Ungunsten musste ich bereits nach drei Minuten feststellen, dass ich absolut keine einzige Aufgabe lösen konnte. Ehrlich gesagt konnte ich nicht einmal den ersten Schritt aufschreiben.

„Tolles Problemlöseverhalten, Akascha“, grummelte ich missmutig vor mich hin, ohne dabei die Aufmerksamkeit unseres Lehrers auf mich zu ziehen.
Panisch fingerte ich am Tisch herum und versuchte strategisch zu überlegen, was ich tun sollte. Ich konnte auf der fairen Seite bleiben, den Test soweit ausfüllen wie irgend möglich und dafür die entsprechende Note kassieren – also eine glatte Sechs in meinem Fall. Oder aber ich konnte Leahs Angebot annehmen und bei ihr abschreiben, das Risiko eingehen erwischt zu werden und eine Eins kriegen.
Ich seufzte. Gern hätte ich in diesem Moment das Richtige getan, doch ich war viel zu egoistisch und risikofreudig, als dass ich in den letzten fünfundzwanzig Minuten selber Hand an der Prüfung anlegen würde. Ich schielte kurz zu Mr Ames, unserem Biolehrer, und stellte beruhigend fest, dass er ganz in sein Notebook vertieft war. Langsam beugte ich mich vor und wich blitzschnell wieder ein wenig zurück, als der Holzstuhl zu knarren begann. Fast hätte ich laut aufgelacht, weil mir die ganze Situation so dermaßen lächerlich vorkam. Schließlich fasste ich neuen Mut und begann tatkräftig Leahs Geschriebenes auf mein Blatt zu übertragen. Sie schien kaum davon Notiz zu nehmen, doch das war mir nur Recht. Je weniger von meiner Schummelei mitbekamen, desto besser.
Doch zu meinem Pech entdeckte eine bestimmte Person sofort, was ich im Schilde führte: Leona Hudson. Leider nahm ich zu spät wahr dass sie von meiner Betrügerei Wind bekommen hatte und natürlich kam es, wie es kommen musste.
„Entschuldigung, Mr Ames?“, rief sie mit kräftiger Stimme und hob ihre Hand.

Augenblicklich hob unser Physiklehrer den Blick und suchte nach der Stimme, die ihn gerufen hatte. Zu meinem großen Unglück saß Lyana direkt hinter mir, weshalb seine Augen mich fixierten. Mr Ames stockte und sein Gesichtsausdruck nahm einen säuerlichen Ausdruck an.
„Auf frischer Tat ertappt“, murmelte Leah ohne sich dabei umzudrehen, den Kopf in Mr Ames Richtung gehoben. Ich hätte ihr am liebsten etwas entgegengekontert, doch just in diesem Moment lief das Gesicht von Mr Ames rot an und er erhob sich.
„Miss Hamilton, ich dulde keine Betrügerei in meinem Unterricht!“, bellte er wütend und alle Köpfe drehten sich zu mir um. Ich blieb stumm sitzen und ließ mich zur Schnecke machen. Was hätte ich sonst tun sollen? Rechtfertigen ging ja nicht, denn ich hatte definitiv falsch gehandelt, das war mir klar. Und mir waren auch die Konsequenzen klar gewesen, falls ich erwischt werden würde, also musste ich jetzt wohl oder übel dazu gerade stehen.
„Melden sie sich augenblicklich beim Rektor. Ich.. Das… So etwas… Unverschämtheit…“
Mr Ames schien regelrecht die Spucke wegzubleiben und ich ergriff erleichtert die Flucht, wobei ich meinen Blick gesenkt hielt.
Als ich die Tür hinter mir schloss hörte ich noch, wie sich Mr Ames an Lyana widmete.
„Entschuldigung Miss Klijuso, sie hatten eine Frage?“
Als Lyana antwortete merkte ich, wie die Wut in mir hochkam und mich die Fäuste ballen ließ.
„Ach, ist schon gut. Ich habe das Problem soeben behoben.“
Wie sie das sagte wusste ich, dass damit keinesfalls eine physikalische Aufgabe gemeint war. Schäumend vor Wut trat ich mit stapfenden Schritten den Gang zum Rektor an.
Gerade als ich um die Ecke bog geschah es. Ich knallte mit voller Wucht gegen einen Typen. Als ich aufblickte sah ich, dass dieser Typ kein anderer als Embry höchstpersönlich war.
„Jetzt hatte ich gerade voll das Déjà-vu“, meinte er breit grinsend und küsste mich kurz auf die Wange.
Als ich keine Antwort gab startete er einen Erklärungsversuch.
„Du weißt schon, ein Déjà-vu nennt man ein Geschehen, welches man schon einmal fast gleich erlebt hat und -“
„Ich weiß was ein Déjà-vu ist, Trottel“, munkelte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Erst in diesem Moment schien Embry zu merken, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Alles in Ordnung?“
Keine Ahnung warum, aber diese dämliche Frage ließ mich mit den Augen rollen. Ohne eine Antwort abzugeben drehte ich mich um und stapfte weiter Richtung Büro. Allerdings kam ich nicht weit, da mich Embry zurückhielt.
„Was zur Höl-“
„Ich habe dich gestern angerufen“, fuhr ich ihn an. Gleich darauf biss ich mir allerdings sofort wieder auf die Zunge. Ich war überhaupt nicht wütend auf ihn. Ich war wütend auf Leona und ließ es an Embry aus.
Frustriert hob ich die Hände. „Ich muss zum Rektor“, gab ich knapp von mir, doch Embry ließ mich nicht passieren.
„Also erstens“, begann er, „Habe ich nicht auf mein Handy geschaut, tut mir leid. Ich war ziemlich mies drauf und wollte meine Laune nicht an allen auslassen.“
Ich sah betreten auf den Boden, doch Embry schien seinen kleinen Seitenhieb gegen mich gar nicht bemerkt zu haben.
„Zweitens: wieso zum Teufel musst du beim Rektor aufkreuzen?“
Ich seufzte. Mein kochendes Blut schien sich langsam wieder etwas beruhigt zu haben.
„Lyana“, meinte ich erschöpft und als mich Embry weiterhin fragend ansah erzählte ich ihm die ganze Geschichte von meiner ersten Schulstunde.
Embry pfiff leise durch die Zähne als ich geendet hatte und ein herrlicher Duft nach Pfefferminz breitete sich in meiner Nase aus.
„Ziemlich viel Stoff für einen Morgen.“
Ich nickte. Plötzlich wollte ich unbedingt das Thema wechseln. Nicht mehr an meinen katastrophalen Morgen reden. „Wieso bist du eigentlich zu spät?“
Embry kratzte sich am Nacken, als ob er nicht genau wüsste welche Worte er gebrauchen sollte. Er entschied sich für die Wahrheit. Ohne Vorenthaltungen oder Ausschmückungen und darüber war ich sehr froh.
„Ich konnte letzte Nacht nicht schlafen und habe eine Extraschicht im Wald hingelegt.“
Erst jetzt fiel mir auf, wie müde er aussah. Und niedergeschlagen. Seine Augen wirkten leblos und sein Gesicht eingefallen.
„Willst du mir erzählen was in letzter Zeit mit dir los ist?“, fragte ich zaghaft und strich ihm sanft eine Strähne aus dem braungebräunten Gesicht.
Embry blickte mich an und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, auch wenn das Funkeln seiner Augen ausblieb. Irgendwie wirkte er dadurch noch trauriger.
„Später. Du willst doch den Rektor nicht noch wütender machen.“
Ich stöhnte und Embry lachte. Grob schubste ich ihn, doch er ging einfach lachend den Gang entlang.
„Also nach der Schule?“, fragte er und drehte sich noch einmal um.
„Falls ich noch lebe“, murrte ich monoton.
„Hmm… die Chancen stehen schlecht.“
Ich kniff die Augen zusammen und warf ihm einen mörderischen Blick zu, was ihn allerdings bloß erneut zum Lachen brachte.
„Nein, wirklich, du hast ein schweres Problem. Der Typ ist der absolute Horror.“
„Vielen Dank für die aufbauenden Worte!“, fauchte ich und konnte mir dabei nur knapp ein Grinsen verkneifen.
Den ganzen Weg zur Tür des Rektors konnte ich noch Embrys tiefes Lachen hören, bis ich in das Büro eintrat und die Geräusche der Außenwelt vollkommen verstummten.


Embry Sicht:

Geduldig wartete ich draußen vor der Schule, lässig mit dem Rücken an die Wand gelehnt, auf Akascha. Ich spähte auf meine Uhr, mittlerweile war es Viertel nach drei. Ohne darüber nachzudenken kramte ich in meiner Hosentasche nach einer Zigarette und zündete sie mir an. Normalerweise rauchte ich nicht. Nicht, dass es meine Lunge schädigen würde und gelbe Zähne bekam ich ebenfalls nicht, doch ich konnte schlichtweg den Geschmack nicht ausstehen. Doch nun hatte ich das dringende Bedürfnis eine zu rauchen und ich entschuldigte es damit, dass ich in letzter Zeit einfach nicht ich selbst war. Auch machte ich mir in diesem Moment keine Gedanken darüber, wie angepisst Leah sein würde wenn sie erfuhr, dass ich ihre Zigaretten geklaut hatte. Sollte sie mich doch anbrüllen, dann wäre es zur Abwechslung mal ich und nicht hauptsächlich Seth.
Während der Mittagspause hatte ich Akascha nicht gesehen und als ich Leah darauf ansprach meinte diese bloß gereizt, dass Akas vermutlich gerade Lyana zur Strecke legte. Alle am Tisch lachten lauthals und ich zwang mich ebenfalls zu einem Lachen, obwohl ich mich erst entspannen konnte, als ich Lyana drei Tische weiter mit ihren Freundinnen entdeckte, allem Anschein nach putzmunter. Natürlich wusste ich, dass Leah maßlos übertrieben hatte, doch Akaschas Temperament war mir ebenfalls bekannt und am besten war es, sie von noch größeren Schwierigkeiten fernzuhalten.


Mir war in der Cafeteria nicht entgangen, dass die Sportler unserer Schule, die direkt hinter Lyana und ihren Freundinnen saßen, ihnen immer wieder anerkennende Blicke zugeworfen hatten, von denen Lyana allerdings wenig mitbekam. Beinahe alle zwanzig Sekunden hatte sie nämlich zu mir herübergeblickt und dabei ihr langes Haar über die Schulter geworfen oder mit ihren Freundinnen gekichert.
„Hallo Embry“, hörte ich eine melodische Stimme neben mir ertönen. Ich zuckte zusammen und wandte mich um.
„Wenn man vom Teufel…“, murmelte ich und drehte meinen Kopf leicht zur Seite, damit ich meinem Gegenüber nicht den gesamten Rauch ins Gesicht pustete.
„Du hast also gerade an mich gedacht?“, zwitscherte Lyana und ich merkte, wie sie sich ein triumphierendes Lächeln verkneifen musste. Womöglich interpretierte sie meine Worte gerade komplett falsch.
„Das muss dir doch nicht peinlich sein“, lachte Lyana und legte eine Hand auf meinen Arm. Ihre Augen funkelten anerkennend, als sich mein Körper verspannte und meine Muskeln daher noch mehr zum Vorschein traten.
Okay, sie interpretierte meine Worte definitiv völlig falsch. Ganz beiläufig trat Lyana einen Schritt näher und wickelte gedankenverloren eine Strähne ihrer Haare um den Finger.
„Hör zu Lyana, ich und Akascha sind zu…“

Genau in diesem Moment hörte ich ein lautes Räuspern hinter mir und ich fuhr herum. Akascha stand mit verschränkten Armen vor mir, doch sie blickte nicht mich an, sondern Lyana. Und wie sie diese anstarrte! Wie ein tollwütiges Tier, welches sich nächstens auf den erstbesten Passanten stürzt und zu Tode beißt.
„Na toll“, hörte ich Lyana hinter mir murmeln, doch ich beachtete sie nicht weiter. Stattdessen trat ich einen Schritt auf Akascha zu, welche jedoch warnend eine Hand hob. Womöglich würde sie jetzt gerade jedem eine knallen, der ihr zu nahe kam.
„Ich verschwinde“, meinte Lyana gleichgültig. „Wir sehen uns, Embry.“ Meine Muskeln verspannten sich und ich hoffte inständig, dass Akascha nicht auffiel wie honigsüß Lyana den Abschiedsgruß gezwitschert hatte, doch bereits nach einem kurzen Blick auf ihr Gesicht verpuffte diese Hoffnung.

Eine Weile starrte mich Akascha mit diesem mörderischen Blick an, bevor sie Kehrt machte und schnurstracks Richtung Straße marschierte. Ich verdrehte frustriert die Augen bevor ich ihr hinterherhetzte.
„Warte doch. Akas, es tut mir Leid, okay?“, begann ich sie sofort zu bombardieren, obwohl mir ziemlich schleierhaft war, wofür ich mich überhaupt entschuldigte.
Akascha blieb an der Bushaltestelle stehen und verschränkte erneut die Arme vor der Brust. Dieses Mal sah sie mich allerdings nicht an, sondern blickte geradeaus auf die Straße.
„Akas, ich konnte echt nichts machen, sie stand einfach plötzlich vor mir.“
Akascha schnaubte.
„Bitte, sei mir nicht böse, ja? Ich hab alles getan um sie loszuwerden.“
Akascha warf mir einen verächtlichen Blick zu und ich wusste, dass sie die Lüge heraushörte.
„Okay, hab ich nicht. Aber was ist denn so schlimm daran, wenn ich mich ab und zu mit ihr unterhalte? Du weißt ich liebe dich und nicht sie. Außerdem habe ich ihr klar gemacht, dass ich mit dir zusammen bin. Zumindest wollte ich das, aber dann bist du ja gekommen.“
Akascha warf mir einen scharfen Blick zu.
„Oh, tut mir Leid, dass ich euer Gespräch gestört habe!“, blaffte sie.
Es war das erste Mal, dass sie sprach.
Ihr Blick wanderte über den Parkplatz und ich sah, wie sich ihr Gesicht plötzlich aufhellte.


„Hey Jake“, rief sie über den Parkplatz und winkte.
„Nimmst du mich mit?“
Mein bester Freund stand neben seinem heruntergekommenen Wagen und nickte lächelnd. Akascha warf mir abermals einen scharfen Blick zu und stolzierte danach zu Jake, um sich auf den Rücksitz seines Wagens niederzulassen.
Ich eilte ihr hinterher und ließ mich hinter auf einen Sitz fallen. Akascha warf mir einen entrüsteten Blick zu, doch ich beachtete es nicht weiter. Jake schien davon überhaupt nicht Notiz zu nehmen, obwohl es während der Fahrt sehr, sehr still war.
„Wie lange willst du eigentlich noch wütend auf mich sein?“, fragte ich erschöpft, als ich die Stille nicht mehr aushielt.
„Wieso wütend?“, fragte Jake.
„Habt ihr euch etwa gestritten?“ Er sah abwechselnd mich und Akascha an.
Ich zuckte mit den Achseln.
„Ich habe mich nur ganz kurz mit Lyana unterhalten und Akascha ist deswegen stockwütend.“
„Es geht nicht darum, dass du mit ihr geredet hast, sondern dass ich wegen dieser Kuh Strafarbeiten aufgebrummt bekommen habe und mein Onkel informiert worden ist.“
„Moment mal, ich dachte du hast abgeschrieben, was hat denn Lyana damit zu tun?“,
fiel Jake ins Wort und sah mindestens genauso klug aus wie ich.
„Das wäre nie aufgefallen wenn Lyana mich nicht verpetzt hätte!“,
rief Akascha aufgebracht.
„Und dann hat sie nichts Besseres zu tun als sich noch am selben Tag an meinen Freund ranzuschmeißen, zum hundertsten Mal übrigens, wie mir scheint.“
„Und wieso bist du dann wütend auch mich?“, fragte ich und Jake musste sich ganz deutlich ein Grinsen verkneifen. Wahrscheinlich waren wir uns beide in diesem Moment einig, dass Frauen einfach unverständlich kompliziert waren.
„Weil du dann noch mit ihr redest!“, rief Akascha aus,
als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt.
„Also bist du doch wütend, dass ich mit ihr geredet habe?“, hackte ich nach, weil ich immer noch nicht verstand.
„Ja!“

Nun konnte Jake wirklich nicht mehr an sich halten und prustete los. Ich sah meinen besten Freund warnend an, er war nicht gerade eine große Hilfe.
Ich warf einen nervösen Blick auf Akascha, weil ich befürchtete, sie würde erneut einen Tobsuchtsanfall kriegen, doch zu meiner Überraschung fiel auch sie in diesem Moment an zu lachen. Wie zwei Wahnwitzige kringelten sich Jake und Akascha und bald konnte auch ich nicht anders, als ein wenig zu lachen, jedoch immer darauf bedacht, dass die Stimmung sofort umschlagen könnte.
Als sich Jake ein wenig beruhigte hatte sagte er: „Ich werde euch Frauen echt nie verstehen.Akascha, der Typ da hinten ist auf dich geprägt und vollkommen verrückt nach dir, wieso machst du dir da überhaupt noch Sorgen? Kostet dich nur unnötig Energie,
glaub mir.“
Akascha sah mich an, das erste Mal ohne Wut in ihren Augen. Doch kaum kreuzten sich unsere Blicke sah sie wieder zu Boden, aber ich wusste, dass sie mir nicht länger böse war.
„Und Embry“, fügte Jake hinzu und sah nun mich durch den Rückspiegel an.
„Was redest du überhaupt mit der? Wir wissen beide, dass Lyana nicht auf Freundschaft aus ist. Die ist doch schon hinter dir her, seit du dich zum ersten Mal in einen Wolf verwandelt und Muskeln bekommen hast.“
Akascha warf Jake einen dankbaren Blick zu und ich gab mich geschlagen.


Das Auto bog in die Einfahrt der Blacks, wo bereits Jared auf uns wartete. Ich hatte heute keine Wache, weshalb er vermutlich Jake empfing.
Wir verließen allesamt das Auto und Jake verabschiedete sich von uns.
„Und dass ihr mir ja nicht streitet“, rief er lachend über die Schulter und verschwand mit Jared im Wald.
Ich seufzte und sah vorsichtig auf Akascha, doch sie wirkte weder aufgebracht noch wütend, weshalb ich es wagen konnte zu sprechen.
„Sag jetzt nicht, dass es dir Leid tut“, sagte sie in dem Moment, als ich meinen Mund öffnete.
Ertappt schloss ich ihn wieder.
Sie seufzte und schlang ihre Arme um meinen Bauch. Etwas verwirrt, wenn auch erleichtert erwiderte ich ihre Umarmung.
„Mir tut es leid. Ich hatte einfach einen verdammt schlechten Tag und dann habe ich dich mit Lyana gesehen, den Grund, weshalb mein Tag so beschissen war und da war ich einfach noch mehr angepisst.“
„Ja, natürlich, das verstehe ich.“
Akascha hob ihren Kopf und lächelte matt.
„Können wir diesen Streit vergessen?“
„Welchen Streit?“, fragte ich zurück und ihr Lächeln wurde breiter.
„Danke“, murmelte sie und vergrub ihren Kopf in meinem T-Shirt.
„Ich halt mich auch von Lyana fern.“
Akascha löste sich von mir.
„Ich möchte gerne sagen, dass du dies nicht zu tun brauchst, aber ich bin zu egoistisch. Ich habe kein Problem damit, wenn du mit anderen Mädchen redest, solange es bloß nicht Lyana ist.“
Ich küsste sie stürmisch und nahm sie in den Arm.
„Geht klar.“
Eine Weile gingen wir schweigend in Richtung Strand.
„Du bist süß, wenn du eifersüchtig bist“, sagte ich schließlich und Akascha schlug mir auf den Bauch.
„Ich war überhaupt nicht eifersüchtig, ich kann diese Kuh einfach absolut nicht ausstehen!“, verteidigte sich Akascha.
Ich lachte schallend. „Aber natürlich.“
Sie funkelte mich gespielt wütend an.
„Du bist ein kompletter Idiot“, murrte sie und ich küsste sie erneut auf den Mund.
Akascha wehrte sich halbherzig dagegen und kicherte.
„Das hättest du nicht sagen sollen“, flüsterte ich und sie blickte mich mit ihren großen, schwarzen Augen an.
„Wieso nicht?“, wisperte sie zurück und im nächsten Augenblick hob ich sie auf meine Schultern. Sie schrie auf und fing dann an zu lachen wie ein kleines, unbeschwertes Mädchen.


„Lass mich runter“, flehte sie, doch ich lachte bloß gehässig. Ich drehte mich einige Male um meine eigene Achse und Akascha quietschte überrascht auf.
„Embry, lass mich runter“, schrie sie lachend und strampelte mit ihren Beinen.
„Mir wird noch ganz schwindelig.“
Ich gehorchte und sah zu, wie mich Akascha mit rotem Kopf und den wuscheligen Haaren anlachte.
Wie versteinert blickte ich sie lächelnd an und fühlte mich in diesem Moment in die Zeit zurückversetzt, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Der Moment, als ich mich auf sie geprägt hatte.
„Was starrst du mich denn so an?“, fragte sie grinsend und versuchte ihre Haare zu bändigen. Sanft nahm ich ihre Hände in meine und hinderte sie so daran, die wilden Haare zu richten.
„Lass das, du siehst auch so wunderschön aus“, murmelte ich und Akascha lächelte, wobei ihre Augen mich fixierten.
Mein Herz machte einen Satz und raste dann in rekordverdächtigem Tempo weiter. Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
„Unglaublich“, murmelte ich und Akascha sah mich fragend an.
„Unglaublich welche Gefühle du immer noch in mir aufflammen lassen kannst, nach der Zeit.“
Akascha lächelte triumphierend.
„Ein Glück für dich, dass ich eine Schwäche für Idioten habe.“
„Ich Liebe dich Akas"
„Ich dich auch Idiot"
Ich knurrte leise und ihr Lächeln wurde noch siegessicherer.
Langsam und immer noch lächelnd stellte sie sich auf die Zehenspitzen um ihre Lippen sanft auf meine zu legen.

Die Lage wird ernst



Akascha Sicht:

Ich schloss meine Augen und schaltete alles aus, konzentrierte mich nur noch auf den Jungen, der mich in seinen Armen hielt. Viel zu früh löste sich Embry von mir und blickte mich ernst an.
„Bald wird all das vorbei sein, das verspreche ich dir“, wisperte er.
Ich rückte ein wenig von ihm ab, um ihn besser sehen zu können.
„Was meinst du damit?“
„Sobald die Schlacht vorbei ist, wird alles wieder normal. Oder zumindest, so normal es für unsere Umstände möglich ist.“
Ich lächelte. Das hörte sich so verlockend an.
„Kein Damien mehr?“, fragte ich zögerlich.
„Kein Leid“, versprach er prompt.
„Und du zwingst mich nie, mich mit meiner Mutter auszusöhnen?“
Embry schüttelte energisch den Kopf.
„Das würde ich nie tun!“, rief er entrüstet.
Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Das rhythmische Schlagen seines Herzens beruhigte mich auf eine tröstliche Art und Weise.
„Und du stehst mir bei egal was kommt?“
Ich war mir sicher, dass er wusste, was ich meinte.
Er nickte bekräftigend.
„Sobald die Vampire erledigt sind, besuchen wir Eric in New York.“
„Und ich lerne endlich seine Familie kennen“, murmelte ich lächelnd.
Ich versuchte nicht daran zu denken, dass Embry in großer Gefahr war…
Stattdessen konzentrierte ich mich auf die positiven Dinge in der Zukunft.
Denn irgendwie würden wir die schlechten Zeiten überdauern, dessen war ich mir sicher.
Ich lachte willkürlich auf.
„Ich denke, die familie von ihm werden einen Schock kriegen, wenn sie dich sehen.“
Ich starrte auf Embrys kräftige Muskeln und sein tiefschwarzes Tattoo, wie um meine Worte zu unterstreichen.
Er lachte ebenfalls.
„Du hattest ja auch keine Angst.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Du kamst mir bei unserer ersten Begegnung eher vor wie ein kompletter Trottel.
Hast mich angestarrt als wäre ich ein Engel.“
Er küsste mich auf die Wange.
„Bist du auch.“
Ich lächelte.
„Du weißt, was ich meine.“
„Anna und David werden sich schon noch an mich gewöhnen“, meinte Embry grinsend.
„Stimmt, schließlich bist du der Junge, mit dem ich alt werde“, sagte ich und Embrys Grinsen verschwand sofort.

„Na ja, ganz so ist das nicht…“, antwortete er zögerlich und ich blickte ihn fragend an. „Ich… ich werde nicht älter.“
Ich stockte. Hatte ich richtig gehört?
„Gar nicht?!“
Embry kratzte sich nervös am Nacken. „Na ja… doch, irgendwie schon.“
Ich hob eine Augenbraue. „Geht’s auch noch deutlicher, Call?“ Meine Stimme klang härter, als ich es beabsichtigt hatte.
Embry, der jetzt merkte, dass er mir alles sagen musste, wirkte beunruhigt.
„Die Alterung setzt ein, wenn… wenn ich mich eine Weile nicht verwandelt habe.“
Ich starrte ihn an. Eine Minute verging, bis ich schließlich ein „okay“ herausbekam, bei dem sich meine Stimme seltsam gedehnt anhörte.
„Bist du wütend?“, fragte er zaghaft und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, dafür kannst du schließlich genauso wenig wie ich. Ich bin nur…“
„Geschockt“, half er mir auf die Sprünge.
Ich nickte.
„Aber das heißt ja nicht, dass du nie alterst.“
Ich wusste nicht genau, ob ich dies zu Embry oder doch eher zu mir selbst sagte.
Embry nickte bekräftigend – vielleicht ein wenig zu überzeugt.
Wir verfielen in ein langes Schweigen, während wir die Küste entlanggingen.
Ich beschloss, ein anderes Thema anzuschneiden.
„Willst du mir nun erzählen, was mit dir los ist?“, fragte ich ihn zögerlich und sofort verdüsterte sich seine Miene.
Lange Zeit schwieg er und ich dachte schon er würde gar nichts mehr sagen.
„Meine Mutter und ich…“, begann er und zog die Augenbrauen zusammen, „Unser Verhältnis hat sich vor einem Jahr ziemlich verschlechtert… Als ich mich das erste Mal verwandelt habe, um genau zu sein.“
„Wieso?“
Embry seufzte und blickte ins Meer, während er gedankenverloren nach meiner Hand fischte. „Der Wolf liegt uns im Blut, Akascha. Folglich ist er nur durch die Gene vererbbar“
Ich verstand immer noch nicht, schwieg jedoch, denn ich wusste, dass Embry mit der ganzen Geschichte rausrücken würde.
„Meine Mutter kam nach La Push, als sie hochschwanger war. Mein Vater sei unbekannt, hatte sie allen immer versichert.“
„Aber…?“, hackte ich nach, weil ich immer noch nicht kapierte.
„Verstehst du nicht, Akascha? Nachdem ich mich verwandelt hatte war klar, dass dies eine Lüge war.“

Mein Mund formte sich zu einem stummen O, als mir endlich ein Licht aufging.
„Das heißt“, schlussfolgerte ich langsam, „Dass einer deiner Freunde genau genommen dein Halbbruder ist?“
Embry nickte.
„Aber das ist doch toll!“, rief ich. „Oder nicht?“, fügte ich klein bei, als ich Embrys ernstes Gesicht erblickte.
„Es ist eher ein Skandal, da alle potenziellen Väter zu dieser Zeit noch verheiratet waren.“
Ich schloss betreten den Mund.
„Verfluchte Scheiße.“
Embry hob vielsagend die Augenbrauen. Das ganze Thema schien ihm sehr zuzusetzen.
„Wieso redest du nicht einfach mit deiner Mutter?“
Er schnaubte verächtlich.
„Sie weiß nicht einmal, dass ich mich verwandelt habe. Sie glaubt, ich hätte nur eine rebellische Phase!“
Ich kniete mich vor Embry nieder, der sich auf einen Baumstamm niedergelassen hatte. Zögerlich nahm ich seine Hände in meine. Einen Augenblick schämte ich mich dafür, dass ich mir nie Gedanken über Embrys Familie gemacht hatte. Ich hatte einfach immer angenommen, dass jede Familie im Gegensatz zu meiner vollkommen perfekt war und daher nie nachgefragt.
„Tut mir Leid“, murmelte ich, etwas Besseres wollte mir nicht einfallen.
„Schon okay“, meinte Embry und lächelte matt, „aber verstehst du, wieso ich will, dass du deinen Vater wieder kennenlernst? Du hast Gewissheit, Akascha, und eine Familie, die dich aufnehmen würde. Mein Vater hat sich nie zu mir bekannt.“
Ich nickte. Mir wurde jetzt so manches klar.

„Ich kann mir vorstellen wie hart das für dich gewesen ist. Aber jetzt hast du mich und ich verlass dich nicht mehr.“
Embry schmunzelte. „Das hör ich gern.“
Ich lächelte ebenfalls und lehnte mich mit dem Rücken an seine muskulöse Brust. Schweigend starrte ich auf die Wellen, die sich gegenseitig über die Brandung zu jagen schienen.
„Ich weiß, dass du dir wegen Morgen Sorgen machst“, sagte Embry nach einer Weile und ich schloss meine Augen. Erneut durchflutete mich die pure Angst und schnürte mir die Luft ab. Ich hatte während den letzten Tagen krampfhaft versucht nicht daran zu denken, was Morgen geschehen würde.
„Akas?“
„Hmm?“
Ich hielt die Augen geschlossen aus Angst, mir würde schlecht werden, wenn ich sie öffnete.
„Ich hoffe du weißt, dass es halb so wild wird.“
Ich nickte nur, zu mehr war ich nicht fähig. Embry musste merken, dass er nicht mehr aus mir hinauskriegen würde, denn er ließ das Thema fallen.
„Ich glaube, ich bring dich nach Hause. Dein Onkel soll schließlich nicht noch mehr Anlass dazu finden, dir noch mehr Hausarrest aufzubrummen.“
Ich stöhnte, sagte aber nichts. Bestimmt hatte die Schule bereits angerufen, mir würde also die Hölle heiß gemacht werden.
„Sehe ich dich heute Abend noch?“, fragte ich hoffnungsvoll, als wir zum Haus meines Onkels gingen.
„Ich dachte du hast Haus-“
„Ich scheiß auf Hausarrest, Embry“, blaffte ich. Meine Nerven lagen völlig blank. Der Gedanke, Embry jetzt zum letzten Mal zu sehen vor der großen Schlacht morgen bereitete mir Kopfschmerzen.
„Ich will aber nicht, dass du Ärger kriegst“, beharrte Embry.
„Du bleibst schön zu Hause.“
Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch er legte mir seinen Zeigefinger darauf, damit ich schwieg.
„Ich verspreche dir, dass du mich noch vor der Schlacht siehst, aber du verlässt das Haus nicht.“
„Wie willst du das anstellen?“, murrte ich, „Onkel Devis erlaubt mir nie und nimmer, dass mich jemand besucht -“
„Lass das meine Sorge sein“, fuhr Embry lächelnd dazwischen.
Viel zu schnell hatten wir das Haus meines Onkels erreicht und ich blieb vor der Tür stehen. Immer noch besorgt sah ich ihn an.

„Akas, jetzt mach dich nicht verrückt. Ich verspreche dir, dass ich nicht gehen werde, bevor du mich nicht noch einmal gesehen hast“, versicherte mir Embry ernst und ich versuchte meine Besorgnis zu verdrängen.
„Okay“, sagte ich und meine Stimme klang seltsam buttrig, doch ich brachte immerhin ein mattes Lächeln zustande.
Embry küsste mich zum Abschied lange, auch wenn es mir nicht annährend genügte.
„Wir sehen uns“, wisperte er, bevor er sich umdrehte und in den Wald davoneilte. Ich wusste, dass er sich gleich in einen Wolf verwandeln würde.
Seufzend schloss ich die Tür auf und trat ein. Jack, der Hund, sprang mir sofort schwanzwedelnd entgegen, doch nicht einmal er vermochte mich heute aufzumuntern.
„Akascha? Bist du das?“, erklang die Stimme meines Onkels und ich wappnete mich innerlich für die bevorstehende Moralpredigt. Langsam, als wollte ich meinem Schicksal noch für einen Augenblick entrinnen, trat ich ins Wohnzimmer, wo mein Onkel sich gerade ein Basketballspiel der Lakers ansah.


„Wie war dein Tag?“, begrüßte er mich und ich konnte keine Spur von Wut in seinem Gesicht erkennen. Überspielte er sie bloß oder… oder hatte die Schule vielleicht doch nicht angerufen?
„Ähm… gut“, sagte ich dümmlich und verfluchte mich selber dafür, dass ich so verdammt schlecht log. Onkel Devis schien davon aber nichts zu merken.
„Ich habe Pasta gekocht, falls du Hunger hast. Ich und Jack haben allerdings schon gegessen“, meinte er entschuldigend und lächelte mich warm an.
„Ähh, kein Problem, ich habe keinen Hunger, Danke.“
Mein Onkel widmete sich wieder seinem Spiel zu, während ich ungläubig auf ihn starrte. Ich wartete auf den Wutausbruch, die Moralpredigt, noch mehr Hausarrest, irgendetwas. Doch es kam nicht. Onkel Devis schien es zu bemerken, denn er blickte wieder zu mir.
„Ist sonst noch etwas?“, fragte er und ich riss mich aus meiner Starre.
„Nee, ich… ich denke, ich gehe heute früh ins Bett. Wir sehen uns Morgen.“
Mein Onkel rief mir einen Abschiedsgruß hinterher, während ich eilig die Stufen erklomm und mich bettfertig machte, mein Glück kaum fassend! Die Schule hatte also noch nicht angerufen und vielleicht würde sie es auch nie tun. Schließlich hatte ich nur einmal abgeschrieben, meldete sich eine Stimme in mir, dafür konnten sie doch nicht ein solches Drama machen! Ich duschte und putzte mir die Zähne und erfreute mich über mein Quäntchen Glück.
Das Hochgefühl hielt allerdings nicht lange an, denn die Gedanken an Morgen drängten sich erneut in den Vordergrund. Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer hinter mir und gähnte herzhaft. Im nächsten Moment zuckte ich stark zusammen, als jemand hart gegen mein Fenster klopfte. Ich erkannte Embry, der pitschnass auf meinem Fenstersims saß und darauf wartete, dass ich ihn hereinließ. Sein Gesicht hätte ich gar nicht erkannt, wenn nicht einige Blitze in den Erdboden heruntergeschossen wären, die es erleuchteten. Während ich geduscht hatte, musste ein ziemliches Unwetter aufgekommen sein.
Eilig trat ich ans Fenster und riss es mit ausgebreiteten Armen auf.
„Was zur Hölle tust du da?“, fuhr ich Embry an, doch er grinste bloß dämlich.
„Okay, das war jetzt nicht gerade die Begrüßung, die ich erwartet hatte, aber auch schön.“
Ich half ihm, hereinzuklettern und hechtete zu meinem Schrank, um ihm ein Handtuch zu reichen.

„Das war verdammt gefährlich, Embry!“, rief ich entgeistert, konnte aber nicht umhin, mich mächtig zu freuen ihn zu sehen. Er hatte sein Versprechen tatsächlich gehalten!
„Ach was“, winkte er ab, „Mich würde ein Sturz aus dieser Höhe nicht einen einzigen Knochen brechen.“
Immer noch besorgt starrte ich ihn an, während er seinen Kopf schüttelte, wie Jack es immer tat, wenn er das Wasser aus seinem dichten Fell abschütteln wollte.
Embry breitete seine Arme aus. Ohne zu zögern schmiegte ich mich an ihn.
„Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht verrückt machen“, murmelte er an meinem Ohr und ich schloss die Augen, wohlwissend, dass ich erst wieder aufatmen konnte, wenn dieser ganze Horror endlich ein Ende hatte.

Der Kampf ohne Jubel



Akascha Sicht:

„Schläfst du?“, fragte mich Embry sanft, während er mir beruhigend durch meine Haare fuhr. Wir hatten uns auf mein Bett fallen lassen und nun lag ich dicht an seine Brust gekuschelt, während er einen Arm um mich gelegt hatte.
„Nein“, brummte ich, behielt meine Augen jedoch weiterhin geschlossen.
Ich genoss die Ruhe, die von Embry ausging, auch wenn ich in diesem Augenblick unter keinen Umständen hätte einschlafen können. Dafür war ich viel zu nervös. Denn wenn ich jetzt einschlief, würde der morgige Tag schneller kommen und so kindisch sich das auch anhören mochte, davor sträubte es mir.
Der Abend am Strand kam mir wieder in den Sinn. Es war der erste Schultag gewesen und Jake hatte mich eingeladen am folgenden Abend mit ihm und seinen Freunden am Strand rumzuhängen. Ich weiß noch, dass ich damals nur zugesagt hatte, um Leah fuchsteufelswild zu machen.
Ich lachte leise, als mir die Erinnerung daran erneut ins Gedächtnis drang.
„Warum lachst du?“, fragte mich Embry neugierig. Ich fand es auf eine Art ungeheuerlich aufregend, dass ich hier oben mit ihm zusammen war, während mein Onkel unten nichts ahnend Fern sah.
„Ich musste nur gerade an meinen ersten Schultag in La Push denken.“
Auch wenn ich ihn nicht ansah wusste ich doch, dass Embry schmunzelte.
„Ich war ziemlich angepisst an diesem Morgen“, meinte er und ich hob meinen Kopf um ihn fragend anzusehen.
Schließlich grinste ich und neckte: „Du kamst mir eher wie ein wahnsinnig verstörter Junge vor.“
Embry lachte ebenfalls; leise, damit mein Onkel es nicht hören konnte, doch himmlisch zugleich, sodass sich mein Herz merklich beschleunigte.
„Was hättest du denn getan, wenn du komplett verschlafen hättest, deine Mutter einen riesigen Streit angezettelt hätte und du zur Schule sprintest, nur um sogleich gegen deine Geprägte zu prallen.“
Ich öffnete gerade den Mund, um ihm zu antworten, als er schnell sagte: „Vergiss es, das war eine rhetorische Frage.“
„Und dann habe ich dich am Abend wieder gesehen“, erzählte ich stattdessen weiter.
„Am Strand. Jake hatte mich eingeladen -“
„Und du bist nur gekommen um Leah eins rein zu wischen“, beendete Embry meinen Satz und wir lachten beide.
„Woher weißt du das?“
„Wieso glaubst du, hat Jake dich eingeladen? Er mochte dich schon von Anfang an, weil du dich von Leah nicht hast unterkriegen lassen.“
Ich lächelte. Mir war es sehr wichtig, dass mich der beste Freund von Embry mochte.
„Ich mag ihn auch“, verkündete ich müde. Die Hitze, die von Embry ausging machte mich immer unglaublich schläfrig.
„Weißt du noch, als wir uns das erste Mal geküsst haben?“, fragte ich, weil ich auf keinen Fall einschlafen wollte.
„In Jakes Werkstatt? Ja, das war doch nach dieser Party, auf der mich Lyana geküsst hat?“
Ich verkrampfte mich ein wenig, sagte mir aber sogleich, dass meine Eifersucht absolut nicht nötig war.
„Ja und du mir dann unterstellt hast, ich würde praktisch einen Grund suchen, damit das mit uns nicht klappt.“
„Da hatte ich echt ein schlechtes Gewissen. Als du in der Werkstatt aufgetaucht bist dachte ich, du würdest mich richtig zur Schnecke machen.“
Ich schmunzelte.

„Aber stattdessen“, fuhr Embry fort,
„Stattdessen hast du dich mir endlich ein wenig geöffnet und mir von deiner Familie erzählst.“
Ich nickte und lachte dann.
„Du hattest es wirklich nicht einfach mit mir.“
Embry hob mein Gesicht und ich sah wie er mich mit ernsten Augen ansah.
„Ich hätte es nicht anders gewollt“, brummte er und ich versuchte normal zu atmen, doch das war angesichts unserer Nähe unglaublich schwer.
„Du solltest jetzt schlafen“, meinte Embry nach einer Weile und machte Anstalten, sich aufzurichten, doch ich drückte ihn mit aller Kraft zurück auf das Bett.
„Geh nicht!“, rief ich panisch und schämte mich beinahe für das aufgeregte Quieken in meiner Stimme.Embry lachte leise.
„Wenn dein Onkel schon gegen Besucher im Allgemeinen ist gestattet er ganz bestimmt auch nicht, das sich hier über Nacht bleibe.“
„Er muss es ja nicht erfahren“, nuschelte ich in sein T-Shirt hinein und kam mir vor wie ein quengelndes Kind.
„Er sieht sowieso nie nach mir, wenn er ins Bett geht.“
Embry gab keine Antwort, entspannte sich jedoch, und ich wusste, dass er meine Bitte nicht abschlagen würde.
„Erzähl mir, wie es ist, ein Wolf zu sein“, bat ich ihn.
Embry räusperte sich und fing mit seiner ersten Verwandlung an. Wie verwirrt er gewesen war und dass er plötzlich Sams Gedanken gehört hatte, der ihm alles erklärte. Ab und zu stellte ich Fragen, doch die meiste Zeit hörte ich nur zu. Er erzählte mir davon, wie das Rudel wuchs und welche Opfer es mit sich brachte, ein Wolf zu sein. Die meiste Zeit allerdings schwärmte er von der neuentfachten Geschwindigkeit, der Stärke und der neuen Identität, die das Wolf-sein mit sich brachte.
Irgendwann weit nach Mitternacht musste ich eingeschlafen sein, denn ich erwachte nicht mehr, bis die ersten Sonnenstrahlen auf meiner Nase kitzelten. Schlaftrunken machte ich eine tastende Bewegung, um nach Embrys Nähe zu suchen, doch ich fand nur gähnende Leere und schlagartig war ich hellwach. Ich schlug die Augen auf und ignorierte den Schmerz, den mir die blendende Sonne durch den Kopf jagte.
Ich japste nach Luft, als ich nur einen Zettel vorfand, dort, wo Embry hätte liegen müssen. Panisch schnappte ich danach und stöhnte auf, als ich Embrys krakelige Schrift darauf erkannte.


Akas,
Tut mir leid, aber ich habs nicht über mein Herz gebracht, dich aufzuwecken.
Mach dir keine Sorgen, ich bin schneller zurück als du denkst, sind ja nur ein paar Blutsauger, die heute auf dem Programm stehen.
Halt dich von Schwierigkeiten fern und VERLASS DAS HAUS NICHT!
Ich melde mich, sobald ich zurück bin.
Vergiss nicht, ich liebe dich mein Engel,
Dein Idiot Embry

Zornig zerknüllte ich den Papierfetzen in meiner Hand.
„Oh, Embry, wenn dich keiner dieser Blutsauger zur Strecke bringt, dann werde ich es tun“, murrte ich trocken und schlug die Bettdecke zur Seite, um keine zwei Minuten später das Haus mit wehenden Haaren zu verlassen, den fragenden Blick meines Onkels ignorierend.


Embry Sicht:

‚Seth, verdammt noch Mal, hör auf zu jammern‘, knurrte Paul in Gedanken. Wir standen auf der Lichtung und warteten. Wir warteten schon seit nun mehr als zwei Stunden und langsam wurde ich ungeduldig. Ich brannte auf den Kampf; darauf, diese Bastarde von Blutsaugern in Stücke zu reissen, meine Zähne in sie zu vergraben und sie für das büssen zu lassen…
‚Würdest du dich mit deinen Gedanken zurückhalten, Mann?‘, fuhr mich Paul an.
‚Wir brennen alle auf den Kampf.‘
‚Lass deine schlechte Laune nicht an mir aus!‘, konterte ich und Paul knurrte bedrohlich.
‚Jungs, haltet die Klappe‘, fuhr Sam dazwischen, bevor Paul etwas tun konnte.
Sam und Jake waren fünfzig Meter südlich von uns, doch natürlich beeinträchtigte dies nicht unsere Wolfstelepathie.
‚Edward sagt, es geht in fünf Minuten los‘, meldete sich Seth und man hörte deutlich, dass es ihn ziemlich anpisste nicht an der vordersten Front mit dabei zu sein.
‚Nenn den Blutsauger nicht beim Namen‘, giftete Jake und ich spürte seine Wut.
‚Wieso nicht?‘
‚Weil -‘
‚Klappe halten! Und zwar alle!‘, donnerte Sam und sofort verstummten alle Stimmen in meinem Kopf, auch wenn ich deutlich den Groll der verschiedenen Wölfe spürte.
‚Meine Güte‘, murmelte Leah, die sich bisher rausgehalten hatte.
‚Konzentriert euch jetzt alle! Ich möchte keine Verletzte am Ende der Schlacht haben.‘
Jared bellte kurz auf. ‚Kein Problem, Sam, wir…‘
Doch er verstummte und einen Moment später wurde mir klar, warum. Am Ende der Lichtung erkannte ich dunkle Silhouetten, die sich katzenhaft bewegten. Sie blieben abrupt stehen, als sie uns erblickten.
‚Es geht los‘, verkündete Sam und ich machte die Cullens zu meiner Rechten aus, während mein Rudel links von uns war.
‚Worauf warten wir noch?‘ rief Paul und preschte nach vorne, dicht gefolgt von Leah. Sam brüllte laut auf, doch Paul und Leah sausten auf die Neugeborenen zu, die jetzt die Gefahr zu erkennen schienen. Die Cullens setzten ebenfalls an und der Rest meines Rudels hetzte hinterher. Innert Sekunden war die Atmosphäre erfüllt von Kampfgeschrei, zerreissenden Körperteilen und den flackernden Feuern, welche die Cullens blitzschnell entstehen liessen, um die Neugeborenen zu verbrennen. Ich stürzte mich von der Seite auf einen bulligen, glatzköpfigen Vampir, der überrascht keuchte, als ich ihn zu Boden warf. Eine meiner riesigen Pfoten verharrte auf seinem Brustkorb und egal was er auch versuchte, ich hielt in flach auf dem Boden gedrückt.
Ich knurrte und sperrte meinen Kiefer auf, um ihn innert Sekunden mit meinen riesigen Zähnen zu zerfetzen. Sein Kopf kullerte weg und ich sah, wie die Schwarzhaarige danach griff und ihn ins Feuer warf, während ich es ihr mit den restlichen Körperteilen gleichtat. Wir nickten einander zu, bevor wir uns erneut ins Kampfgetümmel stürzten. Ich wusste nicht, wie es um die anderen stand, denn ich war so mit meinen Kämpfen beschäftigt, dass mir keine Zeit blieb, mich nach ihnen umzusehen. Doch ab und zu sah ich durch die Wolfstelepathie, wie es um sie stand. Leah kämpfte gerade mit einem dünnen Mädchen, die sich allerdings als würdige Gegnerin erwies, da sie besonders wendig war. Paul hatte es sogar mit zwei Typen auf einmal aufgenommen, doch Sam riss den einen in Stücke, woraufhin Paul am anderen Blutsauger die Wut darüber ausliess. Jake kämpfte an der Seite von Dr. Cullen, was ihm allerdings nicht sonderlich zu gefallen schien.
Der Kampf dauerte nicht länger als zwanzig Minuten, doch selbst als der letzte Kopf verbrannt worden war, spürte ich noch das Adrenalin in meinen Ohren rauschen.
Sam trottete prüfend durch die verschiedenen Feuerstellen. ‚Das war gute Arbeit, ich -‘ Er wurde jäh unterbrochen, als ein wehklagendes Heulen die ganze Lichtung erfülle. Ein Neugeborener hatte sich während des Kampfes versteckt gehalten und jetzt, da alles vorbei war, beschlossen, Rache zu nehmen. er umklammerte mich und ich hörte im selben Moment, wie meine Knochen brachen. Ich jaulte schmerzerfüllt auf und schon waren Dr. Carlisle und Sam zur Stelle; sie zerfetzten den Blutsauger und eilten danach zu mir, ich lag kauernd auf dem Boden, während die anderen alle um mich scharrten.

‚Jetzt haben wir doch einen Verletzten‘, meinte Leah.
‚Ach, halt die Klappe, Leah!‘, blaffte Paul, der besorgt auf mich hinunterblickte.
Ich sagte nichts. Ich war verletzt, mein ganzer Brustkorb schien gebrochen zu sein. Ich fragte mich willkürlich, ob dieses Schicksal umbedingt mich wiederfahren müsste, ich wollte nur noch das die schmerzen verschwinden und das ich bei meinem engel wäre.
Meine Akascha sie ist so wundervoll ich hatte sie vor meinem Gesicht und dann verschwand sie und es wurde immer dunkler um mich herum.


Akascha Sicht:

Ich streifte wahllos durch die Gegend und wusste nicht recht, wohin ich gehen sollte. Meine Wut war mittlerweile abgeklungen und jetzt erkannte ich, wie dumm ich mich benahm. Embry hatte mich davor gewarnt, aus dem Haus zu gehen und ich hatte nichts besser zu tun, als durch die Gegen zu wandeln. Andererseits hatte er sich auch alles andere als königlich benommen, weshalb mein schlechtes Gewissen nur von kurzer Dauer war. Ich blickte auf meine Uhr. Der Kampf musste schon längstens begonnen haben und da ich keine Ahnung hatte, wie lange es dauerte, eine Armee von Vampiren niederzustrecken, half mir die Uhrzeit kein bisschen weiter.
Plötzlich wusste ich, wohin ich musste. Natürlich! Wieso war ich nicht von Anfang an darauf gekommen? Mit großer Wahrscheinlichkeit würden alle nach dem Kampf zu Sam gehen, schließlich war er der Rudelführer. Ich nahm sofort meine Beine in die Hand und jagte durch die nassen Straßen zu Sam und Emilys Haus. Ich erklomm die Stufen zum kleinen holzigen Haus und klopfte energisch. Emily öffnete mir die Tür und ihr überraschter Gesichtsausdruck verwandelte sich in einen verständnisvollen.

„Akascha“, begrüßte sie mich.. „Ich habe dich schon erwartet. Komm doch rein.“
„Sind sie hier?“, fragte ich und überging sie.
Emily seufzte. „Beruhige dich erst einmal.“
„Das kann ich nicht, Emily! Ich dreh bald durch!“, rief ich aufgebracht.
„Bitte sag mir was los ist!“
Emily musterte mich ungewohnt ernst.
„Der Kampf ist vorbei. Sam hat mich gerade angerufen, sie sind bei Jake.“
Etwas am Klang ihrer Stimme gefiel mir ganz und gar nicht.
„Sind sie okay? Ist Embry wohlauf.“
Emily nahm meine Hände in ihre und erst jetzt fiel mir auf, wie stark sie zitterten.
„Sie haben den Kampf gewonnen“, beruhigte mich Emily.
Ich atmete tief ein und unterdrückte den Drang, sofort zu Jake zu rennen.
„Nur....“, fuhr Emily zögerlich fort.
„Was? Was ist Emily?!“
„Embry... Er... er hatte nicht so viel Glück... Dr. Cullen kümmert sich gerade um ihn.“
Mehr brauchte ich nicht zu hören. Ich jagte zurück und sprintete den ganzen Weg zu Jakes Haus, ohne mich groß von Emily zu verabschieden. Ich würde mir später Vorwürfe darüber machen, jetzt galt meine einzige Sorge um Ebmry. Ich konnte erst aufhören mir Sorgen um Embry zu machen, wenn ich ihn lebendig sah.
Meine Lungen brannten und es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich endlich in die Auffahrt der Blacks einbog. Die Jungs saßen allesamt auf der Veranda, mit ungewohnt ernsten Gesichtern und schweigend. Ich drosselte bei diesem Anblick mein Tempo und Jake sprang auf, als er mich erblickte.

„Akascha, es tut mir so leid, ich -“
„Hör auf“, unterbrach ich ihn sanft und schlang meine Arme um seinen Bauch. Etwas erstaunt aber dennoch erleichtert erwiderte er meine Umarmung.
Als wir uns voneinander lösten, machte jake große Augen.
„Wie geht es ihm. wo ist er?“, sagte ich. Er wollte gerade mir antworten doch ich unterbrach ihn. Ich war nicht der Typ Mensch, der weinte, doch die pure Erleichterung traf mich wie eine Wucht.
„Ich bin nur froh, dass es dir gut geht“, antwortete ich und war froh darüber, dass meine Stimme gefasster klang, als ich mich fühlte.
„Embry....,er hat es nicht geschaft.“ Er hob mein Kinn und lächelte mir aufmunternd zu.
„Was ... nein er hat gesagt das ich mir keine Sorgen machen muss,und das er schneller zurück wäre als ich denke?“
„ Wo ist er Jake?"
„Komm mit"
Ich folgte Jake, ich musste ihn sehen ich kann es nicht glauben das er nicht mehr leben sollte.Als ich in Jake Zimmer an kam konnte ich nicht mehr er lag da so friedlich so wie gestern nacht sogar seine wärme war noch da. ich lag mich zu ihn mit meinem kopf auf seiner Brust. Ich weiß nicht wie lange ich da lag aber irgendwann schlief ich weinend ein.

Eine illusion




Akascha Sicht:

„Was wollte Sam?“
„Ich... ich habe ihn um Erlaubnis gefragt, ob ich für einige Tage mit dir verschwinden könnte.“ Er nahm meine Hand in seine.
„Um deine Familie in New York zu besuchen.“
„Dafür brauchst die Erlaubnis?“, fragte ich skeptisch.
„Ja, klar. Er ist schließlich mein Rudelführer“, antwortete er betont lässig
„Und was hat er gesagt?“, fragte ich zögerlich.
Er lächelte und griff in seine Tasche um mir kurz darauf zwei Tickets hinstreckte.
Ich wirkte ein wenig nervös, jedoch auch erfreut. „Wann geht’s los?“
„Morgen.“
Ich machte große Augen. „Morgen? Ich sehe ihn schon Morgen?“
Er nickte.
„Aber, was ist mit Schule, den Abschlussprüfungen? Und mein Onkel? Ich muss doch noch einiges wieder gut machen und -“
Er legte einen Finger auf ihren Mund. „Shh, Akascha, ich weiß dass du aufgeregt bist aber beruhige dich erst einmal, ja?“
Er atmete tief ein und ich fuhr fort: „Zu den Prüfungen sind wir rechtzeitig wieder da, wir haben sogar noch Zeit zu lernen. Dein Onkel wird das mehr als verstehen und du kehrst ja wieder zurück.“
Ich schwieg, fand aber wohl kein Gegenargument und gab schließlich klein bei.
„Und das mit deinem Onkel habe ich geregelt“, fügte er hinzu und sah mich fragend an. „Ich habe das Ganze schon vor Tagen geplant und wollte dich damit nicht belasten.“
Ich lächelte matt. „Du bist der Beste, weißt du das?“
„Ja, das wurde mir quasi in die Wiege gelegt“, meinte er selbstgefällig und schlug mir halbherzig auf den Arm und lachte.
„ Ich Liebe dich mein Idiot"
„ Ich dich auch mein Engel"
„Komm, ich bring dich nach Hause.“
Dann wurde es immer langsamer dunkler und das bild verschwand.

Ich wachte auf und roch Embrys geruch, mit einem Lächeln drehte ich mich um doch er lag nicht neben mir, ich lag aleine in meinem Bett, kein Embry und da wurde es mir klar.

Es war nur ein Traum, eine illusion. Embry ist wirklich tot.
wieder kamen meine Tränen zurück und ich schrie einfach alles heraus

WIESO EMBRY WIESO EMBRY!!!!!

Ich kann es noch immer nicht fassen, das du tot bist.
Du bist mein bester Freund, mein Bruder und mein geliebter.
Ich hab so vieles mit dir erlebt, du hat mein Herz wieder zum schlagen gebracht.
Du bist mein zweites ich, und jetzt bist du einfach weg.
Wie kann man nur mit einer hälfte in de Brust weiter leben, wie sag es mir?"


Für mich war das Alles. Ich brach weinend zusammen und heulte und heulte,
bis ich nicht mehr konnte. Es tat so weh, dass Bella gerettet wurde,
nur er nicht. Er war tot und ich würde ihn nie wieder sehen können!
Ich hatte alles verloren und damit auch meine Freude am Leben!

...




Ich bin verzweifelt, ich kann nicht mehr,
Meine Seele dünn, mein Herz so leer.
Er wurde mir genommen,
Ich seh die Welt nur noch verschwommen.

Der Schmerz so groß, die Trauer tief,
Es ist als lief alles schief.
Die Welt zerbricht in Tausend Stücke,
In meinem Herzen nun ist eine große Lücke.

Einst war sie gefüllt mit Gedanken von ihn,
Ich will ihn zurück, jetzt und hier!
Doch zurück kommst er niemals mehr,
Mein Leben, es ist nun so schwer.

Der Schmerz so groß, vermiss ihn sehr.
Ich liebe ihn, nun nur noch mehr,
Auf Wiedersehen,Der Abschied fällt mir schwer.
Doch ohne ihn kann ich nicht sein.







Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.09.2012

Alle Rechte vorbehalten

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