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Instinkt -

Das Erwachen des Omegas

Copyright Text © Ni Jica 2020

 

 

Kontakt: nijica@gmx.de

 

Covergestaltung: Ni Jica

Bildmaterial: © Paul Zhovba - 123rf.com

 

Korrektur und Lektorat: Iris Biehl-Drucks

 

 

Inhalt:

Kyle liebt Eric und Eric liebt Kyle. Das war schon immer so. Doch ihre Paarung steht unter keinem guten Stern, denn Eric ist nicht nur ein Feind von Kyles Rudel, sondern Kyle ist auch nicht der, der er zu sein glaubt.

Schwere Zeiten brechen an, in denen der eine für und der andere gegen sein Schicksal kämpft. Zwei Wölfe, durch Hass getrennt und doch immer durch ihre Liebe verbunden. Was und wer wird am Ende siegen?

 

Hinweis:

Enthält Darstellungen von Gewalt und Missbrauch. Kein M-Preg!

Vorwort


Niemand hat das Recht dir zu sagen, wer du sein sollst. Du bist du und wenn du dich unsicher fühlst, dann vertraue auf deinen Instinkt, denn er wird dir den Weg weisen. Lasse nicht andere dein Leben bestimmen, führe es selbst, denn wie sonst solltest du jemals glücklich werden? Und genau das hast du verdient. Ein jeder von uns hat das.

Dies ist Kyles Geschichte, der nicht sein darf, wer er wirklich ist. Er lebt, liebt, leidet und rebelliert, bis er sich endlich sein ganz eigenes Happy End schafft. Macht es nicht wie er, macht es besser.


Eure Ni Jica

Prolog


»Nein, ihr lügt! Das ist eindeutig eine Verschwörung!« Der Alpha des nördlichen Bezirks Kanadas lief vor Wut rot an und ballte seine Fäuste, als er in die teils erschrockenen, teils gelassenen Mienen der Anwesenden dieser Zusammenkunft sah.

Es hatte eine fröhliche Zusammenkunft sein sollen. Hochrangige Wolfswandler aus allen Bezirken Kanadas waren zu ihm gekommen, um die Geburt seines ersten Sohnes mit ihm zu feiern. Traditionell waren auch die alten Seher ihres Volkes anwesend, um dem Kind seine erste Prophezeiung zu bringen. Sie hatten es auch getan.

Oh ja, und wie sie das getan hatten!

Sie hatten orakelt und vor allen Anwesenden verkündet, dass sein Sohn dazu auserkoren worden war, um der Gefährte des nächsten Alphas des Südens zu werden. Das war undenkbar und nicht akzeptabel. Alphas verpaarten sich nicht mit anderen Alphas, sie verpaarten sich nur mit Omegas und das war sein Junge weiß Gott nicht!

»So beruhige dich doch, Soran. Du hast ein gutes Junges gezeugt, ein starkes. Aber es ist ihm nun mal vorherbestimmt, dass er nicht deine Nachfolge antreten wird. Er gehört zu den Campbells im Süden. Unsere Vorfahren haben gesprochen und sie irren nie.«

Arian, der älteste unter den Sehern, war mutig in die Richtung des zornigen Alphas getreten und sah diesen nun mit seinen fast blinden Augen an. Er sah schon lange nur noch mit getrübtem Blick, aber sein inneres Auge erstrahlte so klar wie nie. Für ihn bestand kein Zweifel an der Richtigkeit seiner Wahrsagung. Sorans Junges würde nicht den Weg einschlagen können, den sein Vater für ihn erhofft hatte. Er verstand den Zorn des mächtigen Wolfswandlers. Als Alpha einen Omega zu zeugen, zudem einen männlichen, musste sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen.

»Nein! Ich werde dieses Schicksal für meinen Sohn niemals akzeptieren«, brüllte Soran und entriss seiner Gefährtin Jana ihr erst vier Wochen altes Junges, um es präsentierend in die Menge zu halten. »Seht genau her, dieser Wolf wird einmal der mächtigste Alpha unseres Volkes werden. Er ist kein schwächlicher Omega und das wird er euch allen beweisen.«

Der kleine weiße Wolfswelpe strampelte und winselte in den Händen seines Vaters aufgrund der plötzlichen Zurschaustellung. Der grobe Griff gefiel ihm nicht und er begann, sich daraus herauskämpfen zu wollen.

»Seht! Er ist bereits jetzt ein Kämpfer«, schrie sein Vater wieder, bevor er das Junge zurück an seine Frau übergab, die es mit Tränen in den Augen an sich drückte.

Arian seufzte und wagte es sogar, dem aufgeregten Alpha eine Hand auf die Schulter zu legen. »Es ist wahr, Soran. Keiner von uns kann Schwäche oder Unterwürfigkeit an ihm riechen, aber du weißt auch, dass sich unser wahres Wesen erst in der Pubertät zeigt. Wenn die Vorfahren ihn als Gefährten eines Alphas bestimmt haben, kann dein Sohn nur ein Omega sein. Du weißt doch, dass jeder Alpha eine zweite Seele braucht, die ihn im Gleichgewicht hält. Du wirst dich also darauf einstellen müssen, dass ...«

»Unsinn!«, fuhr ihm Soran ins Wort und streifte seine Hand von sich. »Ich habe euch gesagt, was ich davon halte und so wird es auch geschehen. Anders als ihr erkenne ich einen zukünftigen Alpha, wenn ich einen sehe und glaubt mir, mein Sohn Kyle ist einer.«

Damit war die Diskussion für den Gastgeber vorbei und er wollte diese Farce von einer Versammlung beenden. Er scheuchte alle Anwesenden barsch aus der großen Versammlungshalle seines Hauses und so wie es aussah, war das den meisten ziemlich recht. Die angespannte Atmosphäre tat keinem Wolf gut, es machte sie aggressiv und fahrig, doch einen Kampf wollte heute keiner mehr von ihnen austragen und erst recht nicht mit dem starken Alpha des Nordens. So eilten die Gäste rasch davon, doch es gab da noch jemanden, der die ganze Zeit geschwiegen hatte und sich nun doch zu Wort melden wollte.

Alexander Campbell, der Alpha des Südens, blieb und wartete, bis nur noch Soran, seine Gefährtin mit dem Jungen und Arian in der Halle verblieben. Erst dann trat er nach vorne. Er zog seinen Sohn Eric dabei neben sich her und begegnete dem Blick des anderen Alphas ohne Furcht.

Alexander kannte Soran fast sein ganzes Leben. Sie hatten als Kinder oft auf Versammlungen miteinander gerungen und sich später in ihren Führungspositionen immer geachtet. Er hoffte wirklich, dass sich das jetzt durch die Prophezeiung nicht ändern würde, denn er schätzte seinen alten Freund sehr.

»Soran, lass mich dir persönlich zur Geburt deines Sohnes gratulieren. Ich weiß, du und Jana habt lange auf Nachwuchs gehofft und ich freue mich für euch.«

Das stimmte wirklich. Alexander freute sich aufrichtig, denn wie jeder andere war auch ihm bewusst, dass es in den Rudeln kaum noch Nachwuchs gab. Das lag vor allem daran, dass es nur Omegas möglich war schwanger zu werden und diese wurden immer seltener geboren. Woran das lag, wusste niemand so genau, allerdings war den Wandlern natürlich klar, dass sie vor einem ernsten Problem standen, wenn es so weiterging.

Er sah hinab zu seinem Sohn, dessen Blick wie gebannt an dem kleinen Säugling hing. Trotz der sieben Jahre Altersunterschied hatte er gehofft, dass die beiden Jungen einmal Freunde werden würden. Ein gutes Verhältnis zwischen den einzelnen Rudeln war wichtig, denn Kriege untereinander hatte es in der Vergangenheit wahrlich genug gegeben. Doch nun hatten sie alle die Prophezeiung gehört und Alexander hatte keinen Grund sie anzuzweifeln. Schon gar nicht, wenn er das leuchtende Funkeln in den Augen seines Sohnes sah, mit dem er das Neugeborene fixiert hatte.

Eric spürte es. Er spürte bereits jetzt die machtvolle Anziehungskraft zu seinem zukünftigen Gefährten und das war unübersehbar. Auch nicht für Soran, der aufgebracht zwischen den Kindern hin- und hersah, bevor er sich mit vor Wut verdunkelten Augen an seinen alten Freund wandte.

»Nimm deinen Sohn und dann raus, Alexander! Raus aus meinem Haus und komme nicht wieder zurück!«, knurrte er und Alexanders Gesichtszüge gefroren.

»Du willst uns aus deinem Haus verbannen?«

Soran schüttelte fahrig seinen Kopf. »Nicht nur aus meinem Haus. Aus meinem Leben. Ich will keinen deiner Wölfe jemals wieder auf meinem Gebiet erblicken müssen. Halte sie und dich ab heute von meinem Land fern, sonst ...«

»Sonst was? Willst du, dass sie sich wie in alten Zeiten untereinander bekriegen?« Alexander konnte es nicht fassen. Hatten sie nicht beide von einer friedlichen Zukunft geträumt? Hatten sie nicht immer davon gesprochen, dass sie es besser als ihre alten Herren machen wollten? »Du kannst nicht wirklich wollen, dass aus Freunden Feinde werden!«

»Was ich kann und was nicht, das lass meine Sorge sein!«, brüllte Soran in die Halle und ließ die Anwesenden vor Fassungslosigkeit erstarren. »Ich werde nicht tatenlos dabei zusehen, wie du mir meinen Sohn wegnimmst und aus ihm ... einen Schwächling machst. Ihr werdet ihn nicht bekommen, dafür werde ich mit aller Macht sorgen!«

Alexander hätte auf diese Worte noch so einiges zu sagen gehabt, aber Arian griff ein, legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm und schüttelte kaum merklich seinen Kopf. Alexander hatte zu viel Respekt vor diesem Mann, als dass er sich dieser Geste widersetzt hätte.

»Wir lassen dich jetzt allein, Alpha des Nordens«, sprach Arian im sanften Ton. »Denke noch einmal in Ruhe über deine Worte und Handlungen nach und bedenke dabei auch, dass man ein vorherbestimmtes Schicksal nicht ändern kann. Du kannst es allenfalls hinauszögern und es deinem Rudel erschweren. Handle nicht mit wütendem Blick. Handle, wie es ein weiser Alpha tun würde.«

»Ich werde dich und deine Hetzerei nicht dulden. Vom heutigen Tag bist auch du nicht mehr auf meinem Land erwünscht, Arian. Und nun geht. Geht und kommt mir nie wieder unter die Augen!«

Kopfschüttelnd kam Arian der Aufforderung nach und wandte sich ab. Doch er hatte noch eine letzte Prophezeiung für den Alpha des Nordens. »Dein falscher Stolz wird ein Unglück heraufbeschwören. Unglück und Leid, bis du einsiehst, dass man nicht gegen das Schicksal kämpft.«

Damit war alles gesagt. Alexander ergriff die Hand seines Sohnes und hatte alle Mühe, den Jungen aus der Halle zu bekommen. Es zerriss sein Herz, als er spürte, wie sein Fleisch und Blut am ganzen Körper zu beben begann und sich immer wieder nach seinem vorherbestimmten Gefährten umsah. Das Neugeborene hatte zu weinen begonnen, ließ sich nur schwer von seiner Mutter beruhigen und Eric wollte zu ihm.

Er spürte wieder eine Berührung am Arm, als Arian leise in sein Ohr flüsterte. »Die Seelen der Kinder haben sich bereits erkannt. Die Verbindung ist entstanden.«

Alexander schloss gequält die Augen. Das hatte er sich bereits gedacht, aber es aus dem Mund des Ältesten zu hören, tat weh, denn er wusste, was das für seinen Jungen bedeutete. Leid. Er würde sich ab jetzt immer so fühlen, als würde ihm etwas in seinem Leben fehlen. Und ... das tat es ja auch.

Als sie es endlich aus der Halle geschafft hatten, beruhigte sich Eric, aber sein Gesicht drückte Verstörung und Traurigkeit aus. Alexander konnte jetzt nur noch zu den Göttern beten, dass Soran schnell wieder zu Verstand kam und das Schicksal ihrer Kinder akzeptierte.

»Das wird er nicht«, hörte er Arian leise neben sich hauchen, als hätte er seine Gedanken vernommen. Seine Stimme klang voller Sorge. »Nicht jetzt. Vielleicht niemals. Wir werden uns alle auf harte Zeiten einstellen müssen.«

Und genau so sollte es auch geschehen, als der Alpha des Nordens alle Verbindungen zu den anderen Clans abbrach und mit verbitterter Hand sein Rudel zu führen begann. Die Zeit des Leidens hatte begonnen ...

1. Kapitel


Die Pfote meines Gegners traf mich seitlich an der Schnauze und brachte mich kurzzeitig aus dem Konzept. Ich knurrte aus tiefster Kehle und stürzte mich dann wieder auf ihn, denn diesen Treffer würde ich Marius nicht so einfach verzeihen.

Unsere Körper krachten aneinander, Krallen und Zähne gruben sich in dichtes Winterfell und suchten nach der geschützten Haut darunter. Was als Trainingskampf begann, wurde bitterer Ernst, denn keiner von uns wollte unterliegen. Nicht, wenn der Alpha zusah und den Besiegten hart bestrafen würde.

Ich hatte als Welpe zu oft Zeit im dunklen Verlies verbracht, allein und mit den schmerzenden Wunden, die mein Gegner mir zugefügt hatte, als dass ich mich nun so einfach geschlagen geben würde. Ich war längst kein Junges mehr, sondern fast neun und würde Marius und meinem Vater schon zeigen, dass ich stark war.

Entschlossenheit erfüllte meinen Körper und ich ließ meine wölfischen Instinkte komplett übernehmen. Es war riskant, die Kontrolle ganz abzugeben, aber ich hatte früh gelernt, dass Zurückhaltung und Zögern nur mehr Schmerzen bescherten. Es durfte keine Rolle spielen, dass Marius mein Freund war und wir uns außerhalb des Trainings gut verstanden. Während eines Kampfes hieß es, er oder ich. Ich hatte mich nach vielen Niederlagen damit abgefunden. Kälte, Hunger und die Dunkelheit hatten dafür gesorgt, dass ich inzwischen jeden Kampf gewann.

So auch heute.

Ich schaffte es, ihn unter meinem Gewicht zu begraben, schnappte nach seiner Schulter und biss fest zu. Blut tränkte mein Maul und ich hörte ihn qualvoll aufjaulen, bevor er seinen Kopf neigte und mir somit den Sieg schenkte.

Ich knurrte noch einmal warnend und ließ dann von ihm ab. Von dem Geschmack seines Blutes fühlte ich mich leicht benommen, aber ich wollte es mir nicht anmerken lassen. Der Kampfrausch würde vergehen und die Schuldgefühle kommen, dessen war ich mir sicher, aber das war mein Problem und interessierte sowieso niemanden.

»Gut gemacht, Kyle. Deine Mutter wäre stolz auf dich.«

Wie immer, wenn meine Mutter erwähnt wurde, zuckte ich etwas zusammen, denn ich wollte nicht an sie erinnert werden. Sie starb bei der Geburt meines Bruders, als ich selbst noch ein Welpe war und doch machte es mich traurig an sie zu denken. Vor allem, weil ihr Tod sinnlos und völlig umsonst gewesen war, denn mein Bruder war zu schwach gewesen und ihr nur zwei Tage später in den Tod gefolgt.

Mein Vater kam näher und betrachtete mich wohlwollend. Das passierte so selten, dass er heute wohl einen besonders guten Tag haben musste. »Geh jetzt rein und reinige deine Wunden. Du bist heute Abend noch zur Jagd eingeteilt.«

Ich seufzte innerlich. Mit meinen schmerzenden Gliedern auch noch die halbe Nacht durch den Wald zu laufen, war das Letzte, was ich tun wollte, aber natürlich widersprach ich nicht. Niemand widersprach dem Alpha, es sei denn, man hatte Todessehnsucht.

Ich hatte mich bereits abgewandt, als er sich an Marius richtete. »Und nun zu dir. Das war eine schwache Leistung und du weißt, ich dulde keine Schwächlinge in meinen Reihen. Ich will dich die nächsten zwei Tage nicht im Speisesaal sehen. Hast du verstanden?«

Marius wimmerte leise und ich biss die Zähne zusammen. Das war eine harte Strafe, wenn man eh schon an Hunger litt. Es war Winter und unsere Speisekammer so gut wie leer. Das Essen wurde streng rationiert und nicht selten gingen wir mit knurrendem Magen ins Bett.

Ich schüttelte den Kopf und rannte zur burgähnlichen Anlage, die wir unser Zuhause nannten. Das Gemäuer hatte sicherlich schon bessere Zeiten gesehen, aber innerhalb der Mauern war es wenigstens warm. Erst als ich mich im Inneren befand und nicht mehr den eiskalten Wind fürchten musste, verwandelte ich mich zurück in meine menschliche Gestalt und rannte die Treppen zu meinem Zimmer hinauf.

Was folgte, war Routine. Schnell wusch ich meine Kratzer mit kaltem Wasser aus und zog mir wärmende Kleidung an. Ich freute mich, dass ich mit nur wenigen Blessuren davongekommen war und konnte deshalb auch getrost auf eine Heilsalbe verzichten.

Ein wenig unschlüssig sah ich mich anschließend in meinem Zimmer um. Es war karg eingerichtet, wie alles andere in unserem Zuhause auch. Ein Bett, ein Schrank, ein wärmender Kamin gegen die Kälte. Ich kannte es nicht anders, hielt mich aber trotzdem nicht gerne hier auf. Auch heute nicht.

Ich entschied, in die Haupthalle zu gehen, in der sich alle Clanmitglieder bevorzugt aufhielten. Die Halle war riesig und diente uns auch als Speisesaal. Sie musste so groß sein, schließlich bestand unser Rudel aus fast einhundert Wölfen. Ich empfand das als eine stattliche Summe, aber ich hatte auch schon mal gehört, dass andere Rudel aus fünfhundert bis tausend Mitgliedern bestehen konnten.

Ob das stimmte, wusste ich nicht, denn wenn es eines gab, was mein Vater nicht mochte, dann war es über andere Rudel zu sprechen. Selbst mein Lehrer durfte mich nicht ihre Namen lehren. Dabei war ich neugierig, was es mit den Wölfen außerhalb unserer Grenzen auf sich hatte. Waren sie wirklich so bösartig und kriegerisch, dass wir nicht einmal mit ihnen sprechen durften?

Ich schüttelte den Gedanken ab, als ich in die Halle trat und sich alle Köpfe in meine Richtung drehten. Gespräche verstummten kurz und setzten erst wieder ein, nachdem ich ausgiebig gemustert wurde. Ich kannte das schon, doch ich verstand noch immer nicht, warum ich so viel Aufmerksamkeit bekam, denn die meisten redeten nicht einmal mit mir. Sie schienen immer auf etwas zu warten. Doch worauf?

In der Mitte auf einer Bank vor dem großen Kamin saß Brian, mein Hauslehrer, der mich zu sich winkte, also ging ich zu ihm und ignorierte die anderen. »Bist du mit dem Training fertig?«

Der Mann mit den blonden Haaren und freundlichen blauen Augen lächelte mich warm an und ich setzte mich neben ihn. Ich war froh, dass es ihn gab, immerhin behandelte er mich nicht so, als hätte ich die Krätze.

»Ja, aber ich muss heute noch auf die Jagd.«

Sein Blick verdunkelte sich etwas. »Schon wieder? Das ist die dritte Nacht infolge, oder?«

Ich zuckte die Achseln. Normalerweise liebte ich es, durch den Wald zu streifen, aber inzwischen war es auch frustrierend geworden, da es kaum noch etwas zu jagen gab. »Ich bin sicher, ich kann heute was fangen.«

Anstatt mich wie sonst zu ermuntern mein Bestes zu geben, wandte sich Brian dem Feuer zu und starrte finster in die Flammen. »Besser wäre es.«

Oh, er hatte bestimmt auch Hunger, anders konnte ich mir seine schlechte Laune nicht erklären. »Bestimmt. Das Wild kann sich ja nicht immer vor uns verstecken«, rief ich zuversichtlich und hoffte ihn damit aufzumuntern. Es half nicht wirklich.

»Und wo nichts ist, kann nichts mehr gejagt werden«, nuschelte er fast lautlos und wirkte dabei sehr nachdenklich.

Ich fand, er übertrieb. In den Wintermonaten war es immer hart zu jagen, aber bisher hatten wir sie alle überstanden. Genau das sagte ich ihm auch und er nickte bedächtig, schien das Thema aber auch nicht weiterverfolgen zu wollen. Stattdessen griff er nach meinem Kinn und drehte es in seine Richtung. Seine Augen verweilten ziemlich lange auf einer Stelle an meiner Wange. Ich wusste, was er sah. Dort hatte Marius mich übel getroffen.

»Du bist verletzt«, murmelte er. »Wieder einmal.«

Ich winkte lachend ab. »Das? Das ist doch nichts. Du solltest mal Marius sehen. Dem hab ich mehrere Bisswunden verpasst.«

Ich dachte, er würde stolz auf mich sein, doch Brian ließ stattdessen mein Kinn los als hätte er sich an mir verbrannt und starrte wieder finster vor sich hin. Ich verstand diese Reaktion nicht.

»Was ist? Du solltest mich loben!«

Brian lachte freudlos. »Darüber, dass sich zwei Welpen fast umbringen? Nein, Kyle. Das macht mich traurig und wütend.«

Etwas Schweres legte sich über meine Brust. Ich war maßlos über seine Reaktion enttäuscht. »Wir sind keine Welpen mehr! Wir sind Männer und wir kämpfen, um stärker zu werden.«

»Was nützt uns Stärke, wenn unsere Kinder nicht lernen, was Güte und Mitgefühl ist? Wenn sie nur die dunklen Seiten des Lebens gelehrt bekommen, während die Erwachsenen sich in ihrem Hass verlieren?«, flüsterte Brian den Flammen zu und schüttelte dann den Kopf. Er sah mich nicht an, als er sich erhob. »Vergiss was ich gesagt habe, Kyle. Ich habe heute einfach einen schlechten Tag. Versuch trotz der Jagd heute Abend morgen früh pünktlich zum Unterricht zu kommen, okay?«

Und damit ließ er mich allein und verschwand eiligen Schrittes aus der Halle. Ich konnte ihm nur verwirrt nachsehen und mich fragen, was da zum Teufel gerade passiert war.

2. Kapitel


Schnee knirschte unter meinen Pfoten, als ich durch den dunklen Wald rannte und Spuren verfolgte, die gar nicht existierten. Vielleicht hatte Brian recht gehabt und wir konnten hier nichts erlegen, weil es einfach nichts mehr zum Jagen gab. Harris, Boran und Kar, die Betas, die mit mir durch das Geäst streiften, schienen aber nicht aufgeben zu wollen und folgten einer falschen Witterung nach der anderen.

Ich wurde es bald leid und ließ mich zurückfallen. Sowieso war ich nicht bei der Sache, denn das kurze Gespräch mit Brian hatte mich mitgenommen. Ich war verwirrt, denn so düster und abweisend kannte ich ihn nicht. Was, wenn ich nun auch sein Wohlwollen verlor? Er und Marius waren meine einzigen Freunde und so wie ich Marius manchmal zurichten musste, bezweifelte ich, dass er es noch lange sein würde. Dann würde mir nur noch Brian bleiben, mit dem ich reden konnte.

Meine Gedanken machten mir Angst und ich blieb stehen. Die anderen Wölfe bemerkten es nicht mal und liefen einfach weiter, bis sie aus meinem Blickfeld verschwanden. Mir war es egal. Ich wollte lieber zurück zu Brian und mit ihm reden. Vielleicht könnte ich mich einsichtig zeigen und ihm gestehen, dass ich gar nicht gegen Marius kämpfen wollte. Ich könnte ihm sagen, dass ich oft zitternd aus Alpträumen aufwachte, weil die Kämpfe mich verfolgten. Ich könnte gestehen, dass ich Marius nicht wehtun wollte und es nur tat, weil ich Angst hatte. Würde er mich dann wieder mehr mögen? Aber was, wenn er es dem Alpha erzählte? Die Bestrafung danach wollte ich mir nicht einmal vorstellen.

Zitternd und unschlüssig stand ich herum und wusste nicht weiter. Meine Ballen schmerzten von der eisigen Kälte, doch das war nichts gegen den Aufruhr in mir. Was tun?

Wahrscheinlich hätte ich mir diese Frage noch ewig gestellt, wenn mich nicht ganz plötzlich ein Geruch abgelenkt hätte. Ein hinreißender und absolut leckerer Geruch. Neugierig wandte ich mich in die Richtung und lief los. Bereits nach einiger Zeit traf ich so auf die Pfotenabdrücke eines anderen Wolfes. Sie konnten keinem meiner Jagdgefährten gehören, denn diese waren längst meilenweit in der anderen Richtung unterwegs, aber das hielt mich nicht davon ab, dieser Spur weiter zu folgen. Ich konnte nicht anders. Erst recht nicht, als die Witterung stärker wurde und meinen Körper ganz aufgeregt kribbeln ließ.

Mein Fell stellte sich auf und ein Zittern, das sich ziemlich gut anfühlte überlief meinen Rücken, als ich an einen Fluss kam und auf der gegenüberliegenden Seite einen schwarzen Wolf erspähte. Ich erkannte sofort, dass es sich bei ihm auch um einen Wandler handelte. Er war es, der so verführerisch roch und ich wollte unbedingt näher an ihn heran, wollte meine Nase in sein Fell drücken und mehr von diesem Duft in mich aufnehmen. Würde er es gestatten?

Meine Pfoten stoppten am Rand des Flusses. Er war zugefroren und bot kein großes Hindernis, aber er stellte auch gleichzeitig die Grenze unseres Territoriums dar. Es war verboten, diese Grenze zu übertreten und deshalb zögerte ich.

Der fremde Wolf drehte seinen Kopf in meine Richtung und wir blickten uns minutenlang an. Ich konnte keine Aggression an ihm erkennen, nur Neugier und ... Aufregung? Vielleicht ging es ihm wie mir?

Bevor ich es mich versah, hatte ich einen weiteren Schritt gemacht und meine Pfoten trafen auf Eis. Mahnungen meines Vaters klangen mir drohend in den Ohren und sträubten mir das Fell, doch ich konnte nicht umdrehen. Ich konnte einfach nicht.

Schritt für Schritt kam ich dem anderen Wolf und damit auch dem paradiesischen Duft näher und ich wurde immer aufgeregter. Er rührte sich nicht, sah mich nur mit einem Blick aus warmen blauen Augen an und plötzlich war ich bei ihm und tat, was ich schon die ganze Zeit tun wollte und vergrub meine Nase in seinem Fell.

Gefühle, wie ich sie nie verspürt hatte, überfielen mich und machten mich ganz benommen. Mir schwindelte, aber das hielt mich nicht davon ab, ausgiebig an meinem Gegenüber weiterzuschnüffeln und meinen Körper an seinen zu pressen. Er war größer und älter als ich, aber seltsamerweise verspürte ich immer noch keine Angst vor ihm. Er würde mir nichts tun, das wusste ich ganz instinktiv.

Der schwarze Wolf stieß ein freudiges Wimmern aus und leckte mir über den Kopf. Ich war begeistert und tat es ihm sofort nach. Wir begrüßten und erkundeten uns ausgiebig, bevor er mir spielerisch ins Ohr biss und ich ihm dafür in sein Nackenfell zwickte. Das war nichts, was man einem fremden Wolf gestatten würde, aber er fühlte sich auch nicht fremd an. Ganz und gar nicht.

Ich wurde sanft zur Seite geschubst, dann sprang er von mir fort, um sich sogleich in den Schnee zu werfen. Sein Hinterteil ragte dabei in die Höhe und er stieß einen jauchzenden Laut aus. Er wollte spielen! Mit mir!

Pure Freude raste durch meinen Körper und selbst die winzigsten Zweifel in mir erloschen, als ich mich auf ihn stürzte und gleich darauf mit ihm durch den Schnee tollte. Wir jagten uns abwechselnd durch die Gegend und rollten miteinander über den Boden, wenn wir uns gefangen hatten. Es war ... wundervoll. Selbst mit Marius hatte ich nie so ausgelassen herumalbern können.

Erst als wir völlig durchnässt waren und vor Kälte bibberten, ließen wir voneinander ab und ich widmete mich wieder meiner neuen Lieblingsbeschäftigung, dem Erschnüffeln meines neuen Freundes. Ein belustigtes Schnauben verließ sein Maul, dann drängte er mich in die Richtung einer alten Eiche, die groß genug war, um uns Schutz vor dem kalten Wind zu bieten. Nicht, dass mich die Kälte im Moment groß gekümmert hätte.

Er ließ sich unter dem Baum nieder und ich tat es ihm gleich, schmiegte mich an sein Fell und genoss die Wärme, die sein sehniger Körper an mich abgab. Gerne hätte ich mit ihm geredet und ihn nach seinem Namen gefragt, aber es wäre Selbstmord gewesen, sich bei diesen Temperaturen in einen Menschen zu verwandeln.

Und so blieb es nur das. Ein erstes, wortloses Treffen, das gleichzeitig so viel aussagte, wie es keine Worte der Welt vermocht hätten. Ich musste nicht fragen, ob er mich mochte, mich wiedersehen und mein Freund werden wollte, denn ich wusste, dass es so war. Ganz einfach, weil ich dasselbe fühlte.

Ich vertraute meinen Instinkten, die mir erzählten, dass etwas Großartiges geschehen war und zweifelte sie nicht an. Ich war nicht mehr allein und sollte diesen denkwürdigen Moment niemals in meinem Leben vergessen.


Von da an meldete ich mich regelmäßig freiwillig zur nächtlichen Jagd und traf mich mit meinem neuen Freund. Es machte meinen Jagdgefährten nichts aus, wenn ich sie allein ließ und zu meiner großen Freude erwähnten sie meine Alleingänge auch nicht vor meinem Vater. Wahrscheinlich waren sie einfach nur froh, mich los zu sein und so war es für uns alle eine Win-win-Situation.

Es wurde ein harter Winter, da wir kaum Nahrung hatten, aber für mich wurde er trotzdem zum schönsten meines bisherigen Lebens. Und das, obwohl ich mich noch immer damit begnügen musste, mit meinem neuen Freund nur in Wolfsgestalt spielen zu dürfen. Und natürlich durfte ich mit niemandem über ihn reden, denn mir war durchaus klar, dass ich etwas Verbotenes tat und mein Vater ihn sicher getötet hätte, wenn ich ihm von ihm erzählt hätte.

So blieb der schwarze Wolf mein Geheimnis. Ein kostbares und ganz wertvolles Geheimnis, das ich sowieso mit niemandem hätte teilen wollen. Denn er gehörte mir, nur mir allein.

Nacht für Nacht streiften wir zusammen durch die Wälder außerhalb der Grenze und ich fand es toll. Oft spielten und kuschelten wir nur, doch manchmal jagten wir auch und teilten uns anschließend die Beute, denn auf dieser Seite der Grenze gab es durchaus noch einiges zu erlegen. Wenn ich dann in solchen Momenten satt und zufrieden an meinen Freund geschmiegt dalag, überkam mich oft ein Gefühl von Schuld. Wusste mein Vater, dass es außerhalb der Grenzen noch Reichtum an Nahrung gab? Und wenn ja, warum ließ er uns dann nicht dorthin zum Jagen?

Immer wenn Marius mal wieder über Bauchschmerzen klagte oder die Alten vor Hunger nicht genug Kraft zum Aufstehen besaßen, nahm ich mir vor, ihn danach zu fragen, doch am Ende siegte meine Furcht vor ihm und ich schwieg. Untätig wollte ich dennoch nicht bleiben und so begann ich Beute mit nach Hause zu nehmen. Meinem Freund schien das nichts auszumachen. Wir verstanden uns auch ohne Worte und so half er mir beim Jagen.

Er war so gut. Und ich so schlecht, denn ich sonnte mich in dem Stolz meines Vaters, da ich trotz meiner neun Jahre der Einzige war, der erfolgreich von Jagdausflügen zurückkam. Ich stieg in seiner Achtung und zog mir die Missgunst der anderen immer mehr zu. Mir war das egal, denn für mich zählte nur die Anerkennung meines Vaters. Meines Alphas. Ich hätte es besser wissen müssen, als alle gegen mich aufzubringen, aber wahrscheinlich war ich einfach zu jung und ... zu glücklich.

Bevor ich es mich versah, redete jeder nur noch das Nötigste mit mir und ich verlor sogar Marius als meinen Freund. Ich fand das nicht schlimm, immerhin erleichterte es mir so das Kämpfen gegen ihn. Ich wurde blind gegenüber meinem Clan und verschloss mich sogar Brian gegenüber.

Ich wurde mehr und mehr zu dem Sohn, den sich mein Vater wünschte. Ich weinte nicht. Ich beschwerte mich nicht. Ich kämpfte und siegte. Immer. Ich hatte meinen Weg gewählt und konnte niemand anderen dafür verantwortlich machen, was danach geschah ...

3. Kapitel


Der Frühling kam und ich lernte endlich Eric kennen. So hieß mein heimlicher Spielgefährte, der mich durch die Tristigkeit des Winters geführt hatte. Um lange Gespräche zu führen, war es noch zu kalt, aber manchmal brachte er wärmende Kleidung oder eine Decke mit zu unserem Treffpunkt und dann redeten wir so lange, wie es unsere empfindliche Menschenhaut gestattete.

Er war so schön als Mensch, genauso wie als Wolf. Ich verehrte alles an ihm; die schwarzen Haare, die im sanften Mondlicht immer wie Seide schimmerten und sich auch genauso anfühlten, das strahlende Blau seiner Augen, die immer warm glänzten, wenn er mich betrachtete, seine feingliedrigen Finger, seine vollen Lippen, den Schwung seines Halses ... einfach alles.

Er war deutlich älter als ich, stand bereits kurz vor der Geschlechtsreife und ich beneidete ihn bereits jetzt um seine sehnigen Muskeln, die sich bei jeder seiner Bewegungen bemerkbar machten. Ich wollte später auch so sein wie er und verstand absolut nicht, warum er sich so oft mit mir abgab.

»Warum wolltest du eigentlich mein Freund sein?«, hatte ich ihn eines Nachts gefragt und als Antwort hatte ich ein sanftes Lächeln und die wunderbarsten Worte bekommen, die ich jemals gehört hatte.

»Weil ich dich liebe.«

Vier schlichte Worte, die mein Herz aus dem Takt gebracht und in mir ein Gefühl geschürt hatten, das ich bis dahin nicht kannte. Aber ich war auch verwirrt.

»Warum?«

Lachend hatte er über meinen verdutzten Gesichtsausdruck den Kopf geschüttelt und mich dann einfach in seine Arme gezogen. »Weil du mein Gefährte bist. Mein Leben. Mein Alles.«

Er hatte mir einen Kuss aufs Haar gedrückt und ich hatte es einfach sprachlos geschehen lassen. Gefährte ... Das Wort hallte noch ewig lange in meinen Ohren nach und machte mich so glücklich, dass ich sogar zeitweise das Atmen vergaß. Denn es bedeutete eines ...

»Das heißt, wir werden immer zusammen bleiben?«

»Für immer und ewig und darüber hinaus«, schwor er mir und ich sprang auf meine Füße, lachend und jubelnd, denn was hätte ich mir mehr wünschen können?

In diesem Moment dachte ich nicht darüber nach, was es für Konsequenzen haben könnte, dass ausgerechnet ein Wolf aus einem anderen Rudel mein Gefährte sein sollte. In der Tat kam es mir nicht einmal in den Sinn, dass mein Vater dagegen sein könnte. Standen Gefährten nicht über alles und jeden? So hatte es mich Brian jedenfalls gelehrt und daher war ich einfach nur glücklich.

Eric sprang auch auf, lachte mit mir und wirbelte mich einmal im Kreis, bevor er mich wieder fest in seine Arme zog. »Das muss aber vorerst unser Geheimnis bleiben«, hauchte er an meiner Stirn und ich war mal wieder verwirrt.

»Und warum? Wenn wir es sagen, können wir uns vielleicht auch tagsüber treffen.«

»Nein, Kyle. Die Zeit ist noch nicht reif und wir müssen weiterhin vorsichtig sein.«

Ich schmollte. »Erklär mir das.«

Eric lächelte traurig, was auch meine gute Stimmung völlig dahinschwinden ließ. »Dein Vater mag keine Wölfe aus anderen Rudeln, richtig? Ich will nicht, dass er sauer wird und dir etwas passiert. Lass uns also warten, bis ich stärker bin und den Platz meines Vaters übernommen habe. Wenn ich erst ein starker Alpha bin, werde ich dich holen und niemand

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 01.06.2020
ISBN: 978-3-7554-3352-1

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