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Therapie in Sachen Liebe


Das Leben war scheiße! Es war hart und gemein, zudem fies und natürlich nicht zu vergessen vollkommen ungerecht. Ich wusste genau, wovon ich da sprach, denn mein vermaledeites Leben ging mir nur allzu gerne auf die Nüsse! Heute sogar mehr noch, als die ganzen letzten verdammten Jahre. Sorry, ich fluche gerne, aber wer Grund dazu hat, der darf das auch. Punkt! Sieh nur einer an, was mir nun schon wieder passiert war. Was war ich doch für ein armes Würstchen.

Da saß ich nun im Standesamt, völlig allein, mit einem mehr als kitschigen Blumenstrauß in der Hand und versank in trostloses Selbstmitleid. Ich spähte mit brennenden Augen hinauf zum Torbogen des altertümlich wirkenden Rathauses und hätte am liebsten geschrien. In meinem Kopf gab es viele Fragen, doch eigentlich drehten sich alle nur um eines. Warum? Wieso passierte mir das nur immer wieder? Was hatte das Leben nur gegen mich, dass ich immer wieder verlassen wurde? Hätte das Arschloch nicht einen besseren Zeitpunkt aussuchen können, um abzuhauen?

Ich hatte wirklich gedacht, Bastian würde mich lieben und nun ... das? Vor genau einer Stunde hätten wir uns das Jawort geben sollen, doch er war nicht aufgetaucht. All unsere Bekannte, unsere Familie und Freunde waren da gewesen, nur er glänzte mit Abwesenheit. Erst hatte ich mir riesige Sorgen gemacht, doch als dann kurz vor Beginn der Trauung seine SMS auf meinem Handy einging, wurde mir alles klar.

Der Fluch, von dem ich glaubte besessen zu sein, hatte wieder einmal gnadenlos zugeschlagen. Glück gab es für mich nicht und Liebe ... Pahh! Die war für mich scheinbar eh aussichtslos. So leer und zerbrochen wie jetzt hatte ich mich noch nie gefühlt. Wie konnte er mir nur so etwas antun? Sitzengelassen vorm Altar! Gab es etwas Schlimmeres? Verflucht, wie tief würde ich noch sinken müssen, bevor das alles endlich ein Ende fand?

Resigniert ließ ich den Strauß mit den pinkfarbenen Rosen aus meinen Händen gleiten. Wer war eigentlich auf die Idee gekommen? Sah doch lächerlich an einem Mann aus. Egal, er wurde nicht mehr gebraucht. Lautlos segelte er zu Boden und ich stand auf. Die bestürzten Gesichter um mich herum ignorierte ich. Es war Zeit nach Hause zu gehen.


»Ich sag‘s nicht gerne Kev, aber irgendwie scheinst du tatsächlich verflucht zu sein«, meinte mein bester Freund Henry ein paar Tage später, nachdem er sich gewaltsam Zutritt zu meiner Wohnung verschafft hatte.

Fassungslos starrte ich auf die aufgebrochene Wohnungstür und dann auf ihn. »Sag mal, spinnst du!?«, fuhr ich ihn an. »Du kannst doch nicht einfach hier einbrechen!«

Ich stand nur in einer Jogginghose, total verlottert vor ihm und funkelte ihn wütend an.

»Siehst du doch, wie ich das kann«, erwiderte er und hielt triumphierend das Brecheisen in seiner Hand in die Luft. »Hättest du mich freiwillig reingelassen, hätte ich auch nicht zu solchen Mitteln greifen müssen. Tja, da biste selbst Schuld.«

Dieser große Nichtsnutz fühlte sich auch noch im Recht? »Henry! Ich wollte nur meine Ruhe haben. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?«, schnauzte ich ihn an.

Es waren doch erst drei ... ähm, nee, vier ... warte mal ... vielleicht auch fünf Tage her, seitdem ich mal wieder abserviert wurde. War ein wenig Privatsphäre da zu viel verlangt? Man durfte doch wohl ein bisschen schmollen, wenn man vor der Hochzeit verlassen wurde, oder? Also ich sah mich da vollkommen im Recht.

»Nix da Ruhe«, giftete mich mein bester Freund an. »Du bist jetzt zweiunddreißig Jahre alt. Ganze zwölf davon bin ich schon an deiner Seite und muss dabei zusehen, wie eine Beziehung nach der anderen von dir in die Brüche geht. Da kann doch was nicht stimmen! Du bist so ein hübscher Kerl ... äh, na gut, im Moment zwar nicht, aber ... du bist auch lieb, herzlich und verantwortungsvoll. Sag mir, wie es sein kann, dass trotzdem alle vor dir davonrennen.«

Ein hysterisches Lachen zwängte sich meine Kehle hinauf. War seine Frage etwa ernst gemeint? Woher sollte ich denn wissen, was mit mir nicht stimmte? Es war ja nicht so, dass ich es darauf anlegen würde, dass sich alle schreiend von mir abwandten. Nun ja, schreiend war übertrieben. Manchmal verschwanden sie auch ohne einen Laut. So wie Bastian zum Beispiel, dieses Aas! Als ich an meinen Ex-Verlobten dachte, kochte ich noch mehr vor Wut und daher war es gar nicht so einfach, mich auf Henrys weitere Worte zu konzentrieren.

»An deiner Pechsträhne muss echt was faul sein. Tiny meint das übrigens auch. Du musst unbedingt mal in ihrer Praxis vorbeischauen. Vielleicht kann sie dir ja helfen?«

Aha! Den komischen Floh hatte ihm also seine neue Freundin ins Ohr gesetzt. War das nicht so eine Hypnose-Tante? Die schien nach seinen Erzählungen doch voll Psycho drauf zu sein! Nee, also danke, aber da verzichtete ich eher und wälzte mich lieber weiter in Selbstmitleid! Das konnte ich wenigstens gut und lief dabei nicht gefahr, einer Gehirnwäsche unterzogen zu werden. Ich hatte Filme gesehen und wusste daher, wie so was lief.

»Vergiss es!«, lehnte ich deshalb entschieden ab und wollte mich abwenden, aber Henry hielt mich am Arm fest und sah mir eindringlich in die Augen.

»Bitte, Kevin! Lass dir doch von uns helfen! Ich glaub ja selbst nicht an solchen Quatsch, aber ich will auch nicht länger dabei zusehen, wie du leidest. Lass es uns wenigstens versuchen, okay? Schadet doch nicht!?«

Schadete doch nicht? Das sagte der so einfach. In seinem Hirn sollte ja auch nicht herumgewühlt werden. Ich atmete einmal tief durch. Was sollte denn der ganze Scheiß überhaupt? Wenn seine Psycho-Tante nicht entfluchen konnte, so hatte das eh alles keinen Sinn und wenn sie es könnte, dann würde ich ja wohl den Teufel tun und mich mit ihr einlassen. Man sah es schon, man konnte es drehen und wenden, es kam immer aufs Gleiche raus.

Ich wollte also sofort erneut konsequent ablehnen, aber ich beging einen fatalen Fehler. Ich sah meinem Freund direkt in die Augen. Das sollte man nie, niemals, nicht tun, denn dann hatte man bereits verloren. Zumindest ich. Henrys besorgter Dackelblick machte mich schwach. Er wusste es, ich wusste es und trotzdem fand ich’s Scheiße. Ich fing mal wieder an zu fluchen und beschimpfte ihn, während sich seine rehbraunen Augen flehend in meine bohrten. Schachmatt. Ich konnte nicht anders als nachgeben. Grrr ... Wie machte er das nur?

»Okay, du hast gewonnen. Ich hör mir mal an, was deine neue Flamme zu sagen hat, aber wenn die irgendwelche komischen Dinger mit mir veranstalten will, bin ich weg!«

Henry strahlte mich an und schon ging die Sonne auf. Auch so ein Phänomen, dem ich bisher noch nicht auf die Schliche gekommen war. Es konnte stockdunkel sein, aber sobald dieser Kerl lachte, wurde es taghell. Ungelogen!

»Wird sie nicht. Versprochen! Wenn du willst, halte ich dir währenddessen auch das Patschehändchen. Jedoch zuvor ...«

Er sah mich naserümpfend an und schob mich dann mit langgestreckten Armen in Richtung Bad. »Du solltest dir doch lieber erst mal eine Dusche genehmigen. Rasieren wäre auch keine schlechte Idee und vergiss bloß nicht dabei dir die Haare zu waschen.«

»Was denn, stink ich etwa für dich? Wenn überhaupt, ist das der Duft, der Leidenden. Der gehört zu jedem guten Liebeskummer dazu«, grummelte ich, während ich an mir herab sah. So schlimm war’s gar nicht. Meine Hose hatte immerhin kaum Flecken. Der hatte aber auch Probleme! Konnte ja wohl nicht so schlimm sein, wenn man sich mal ein paar Tage nicht wusch, oder? Wir waren immerhin Männer!

»Ach Gottchen, diese Heteros waren alle Pussys«, dachte ich mir nur und schlenderte widerwillig ins Bad. Mal schauen, was der Tag uns noch so brachte.


Eine Stunde später stand ich wohlig duftend und frisch rasiert neben Henry und sah mich skeptisch im quietschbunten Wartezimmer einer - na ja, das Wort Praxis schien mir irgendwie nicht angemessen - also, ich stand halt irgendwo im Nirgendwo und sah mich skeptisch um.

Es gab einige Stühle, die verirrt zwischen seltsamen Kunstgebilden im Raum standen und der Geruch von merkwürdig brennenden Räucherstäbchen stach mir in die Nase. Hilfe! Wo war ich hier nur gelandet? Seriös sah auf jeden Fall anders aus! Dass ich mich gerade mehr als unwohl fühlte, brauchte ich wohl nicht zu erwähnen, oder?

»Ähm, Henry ... bist du sicher, dass wir hier richtig sind? Ich denke ja, wir sollten so schnell wie möglich wieder verschwinden«, flüsterte ich gerade meinem Freund ins Ohr, als sich eine grellgelb gestrichene Tür zu unserer Linken öffnete und ein fröhlicher, blonder Lockenkopf herauslugte. Das musste wohl Tiny sein. Ich hatte die Frau früher noch nicht getroffen und das war auch ... gut so, denn als ich sie jetzt erblickte, konnte ich nicht anders, als entsetzt zu Henry zu starren.

»Die datest du?«, fragte ich leise und unfassbar fassungslos. »Die kommt doch aus der Vergangenheit und entstammt direkt der Hippie Zeit!«

Ich raffte das nicht. Die Kleine sah zwar hübsch aus, doch ihre Kleidung glich einem bunten Sack, der zudem mit reichlich Peace Zeichen versehen war. Das konnte doch wohl nicht sein ernst sein!? Ich bekam plötzlich Lust auf einen Joint, konnte mir eine Frage danach aber gerade noch so verkneifen. Man sollte ja nicht immer so klischeehaft denken. Außerdem schien Henry eh schon sauer genug auf mich zu sein, denn er erstarrte förmlich neben mir und schaute mich mehr als böse an.

»Weißt du Kevin, das ist vielleicht genau dein Problem. Du siehst immer nur das Oberflächliche und nie den Menschen dahinter. Wie willst du so eine glückliche Beziehung führen? Sehe, lerne und verstehe, dass es auf mehr ankommt, als nur auf die Hülle!«

Okay, ja! Mein Freund war eindeutig stinkig auf mich und ließ mich einfach stehen, um auf Tiny zuzugehen und sie herzlich in seine Arme zu ziehen. Die kleine Frau quietschte freudig auf, während Henry ihr auf jede Wange zwei Küsschen verpasste.

»Blödes Trottelpärchen«, dachte ich voller Neid und starrte dabei schmollend auf meine Füße. Unfair! Mussten die ihr Glück so öffentlich vor einem kürzlich Verlassenden zeigen? Und dann fuhr Henry mich vor seiner Freundin auch noch so an. Das tat er sonst nie und ehrlich gesagt, traf mich das sogar noch schlimmer, als die blöde Knutscherei vor mir.

»Du musst Kevin sein«, unterbrach mich Tiny in meinem Selbstmitleid und streckte mir die Hand entgegen. Etwas zögerlich ergriff ich sie und ließ mich gleich darauf schwungvoll durchschütteln.

»Mensch, bist du ein hübscher Kerl. Blond, braungebrannt und groß mit hinreißend blauen Augen. Sunnyboy nennt man so jemanden, richtig? Ja, genau, du bist der klassiche Surfertyp! Lass uns doch mal schauen, warum es trotzdem niemand lange bei dir aushält, ja?«

Waaas? Hallo? Ärgerte mich diese halbe Portion etwa mit Absicht? Konnte man das nicht netter formulieren? Ich war immerhin hier, um Hilfe zu erhalten und nicht, um mir dumme Sprüche anzuhören. Henry sah mir meinen Unmut sofort an und versuchte zu beschwichtigen.

»Liebes, Kevin ist gerade sehr sensibel. Bitte sei nicht zu streng mit ihm. Meinst du, du könntest ihm helfen? Du bist doch die Beste auf deinem Gebiet.«

Henry sah sie flehend an und ich raffte gerade mal gar nichts mehr. Was sollte denn das von wegen: Sei nicht so streng mit ihm? Ich war doch kein Unmensch! Ich war es doch schließlich, der Mitleid verdient hatte, da ICH immer verlassen wurde!

»Ich weiß nicht«, meinte das Frauenzimmer vor mir. »Er besitzt eine dunkle Aura, die mir Sorgen bereitet. Bist du sicher, dass er ein guter Mensch ist?«

Das war ja wohl unglaublich! Was bildete sich diese Frau überhaupt ein? War die noch ganz klar im Kopf? Ich hatte mit Sicherheit keine dunkle Aura! Was immer das auch bedeuten sollte.

Postwendend drehte ich mich um und wollte davonstürmen, doch wieder einmal machte mir Henry einen Strich durch die Rechnung, indem er mich an der Jacke festhielt.

»Nichts da, du bleibst hier«, fauchte er mich an und wandte sich dann zuckersüß an seine Freundin. »Süße! Tu es für mich, ja?«

Diese Tiny knickte bei seinem Gesäusel sofort ein. Scheinbar kam sie gegen Henry‘s Welpenblick auch nicht an. Hach, wenigstens etwas, was wir gemeinsam hatten.

»Okay, du hast es wieder einmal geschafft mich zu becircen. Verfrachte ihn einfach auf die Couch und ich schau mal, was ich tun kann.«

Henry schien zufrieden und ich panisch, als er mich einfach packte und mich über seine Schulter warf. Ich kreischte erbost auf und trommelte wie wild auf seinen Rücken ein. Wie konnte er es nur wagen mich so zu behandeln? Ich hing wie ein nasser Sack auf ihm und genau das, schien ihm auch noch Freude zu bereiten. Was sollte das alles? Das war doch absurd!

»Lass mich sofort runter«, schrie ich wie von Sinnen und trat aus.

Ein klatschender Schlag auf meinem Hinterteil war alles, was ich an Antwort erhielt, bevor er mich auf eine blutrote Couch abwarf. Ich versank sofort in den vielen fluffigen Kissen drumherum und hatte Mühe, mich da heraus zu kämpfen. »Was soll das, du Arsch!«, kreischte ich wieder.

Sofort legte sich seine Hand über meinen Mund. »Pssst ... entspann dich jetzt einfach und lass Tiny machen. Sie kennt sich mit solchen Fällen wie dir aus und kann dir helfen.«

Ungläubig starrte ich in das Gesicht meines Freundes. Was sollte denn das heißen? Was für ein Fall war ich denn? Und warum verflucht, benahm sich Henry plötzlich so komisch? Ich biss beherzt in die Hand, die mich am Sprechen hinderte und sah mit Genugtuung dabei zu, wie sich das Gesicht meines Kumpels schmerzhaft verzog.

»Autsch! Spinnst du? Ich meins doch nur gut mit dir!«

Tiny kam sofort angelaufen und untersuchte den sichtbaren Bissabdruck auf seiner Hand. »Oje! Tut es sehr weh?«, wollte sie wissen. »Hoffentlich hat er keine Tollwut!«

Tollwut? Hielt die mich für einen Hund? Ich fing sofort laut zu lachen an, was mir von beiden einen pikierten Blick einbrachte. Die Situation war aber auch zu grotesk! Die beiden hatten offensichtlich eine Vollmeise, wollten aber ausgerechnet mich auf die Couch legen.

»Sagt mal, was läuft hier eigentlich? Was soll ich hier genau?«, fragte ich nach, während ich mir ein paar Tränchen aus den Augen wischte. Wenigstens lenkte mich das Ganze hier von meinem Liebeskummer ab, was ja auch schon mal viel Wert war.

»Ich helfe den Menschen, die zu mir kommen, bei der Selbstfindung mittels einer Hypnose-Therapie. Ich kann dir auch dabei helfen abzunehmen, rauchfrei zu werden oder dir deine Schlafstörungen nehmen«, erklärte mir Tiny ernst.

»Aha«, meinte ich nur lahm und schaute von ihr zu meinem großen schwarzhaarigen Freund. »Da ich weder rauche, noch schlecht schlafe meinst du also, ich wär zu dick, oder wie?«, verlangte ich amüsiert von ihm zu wissen und strich mir mit erhobenen Augenbrauen über mein gut definiertes Sixpack.

Seine Augen folgten meiner Handbewegung und damit er auch ja sah, dass da wirklich kein Gramm Fett zu viel an mir war, schob ich sogar mein Shirt hoch. Prompt wurde er knallrot und schaute nervös zur Seite.

Häh? Was war das denn für eine komische Reaktion? Seit wann war ihm denn ein nackter Männerbauch peinlich? Sollten wir vielleicht lieber die Plätze tauschen?

»Wirklich schön«, meinte Tiny ungerührt, während sie eingehend meine Bauchmuskeln betrachtete. »Ich denke allerdings, dein Problem liegt eher in der Selbstwahrnehmung.«

Ich wandte mich jetzt wieder der Hypnosefachfrau zu. Nannte man das überhaupt so? Ach, war ja auch egal! »Was meinst du denn damit?«, fragte ich irritiert.

Sie schnappte sich einen Stuhl und setzte sich damit dicht zu mir an die Couch. Jetzt kam ich mir wirklich wie bei einem Psychiater vor. Hilflos schaute ich von ihr zu Henry, als sie auch noch meine Hand ergriff und mich intensiv musterte.

»Du, mein Lieber, hast eindeutig ein Problem mit deiner Persönlichkeit«, schleuderte sie mir dreist ins Gesicht.

Ich schnappte empört nach Luft. Das war ja wohl ne Frechheit! »Hab ich gar nicht«, erwiderte ich sauer. »Henry hat mir erst vorhin gesagt, was für ein lieber und herzlicher Mensch ich doch bin! Oder Henry? Henryyyy?«

Dieser wollte scheinbar aber gar nicht antworten und starrte nur breite Löcher in die Luft. Was sollte das? Dachten die beiden tatsächlich, ich hätte einen schlechten Charakter? Dachte ER das?

»Hey, bleib locker«, versuchte mich Tiny zu beruhigen. »Erzähl mir doch einfach mal, warum dich deine Männer immer verlassen? Welche Begründungen geben sie an?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den blonden Lockenkopf vor mir böse an. »Keine Ahnung!«, zischte ich unwillig. Das Spielchen machte mir so was von keinen Spaß mehr und ich gedachte auch nicht weiter daran teilzunehmen.

»Aha! Nun, dein Temperament ist aber schon mal ziemlich aufbrausend. Streitest du dich oft in deinen Beziehungen?«

Genervt verdrehte ich die Augen. »Nein! Wenn mir einer doof kommt, ignorier ich den meistens. Siehst du, ich bin kein Streithammel!«, erwiderte ich und konnte mich gerade noch mit Mühe beherrschen, ihr nicht die Zunge herauszustrecken. Ich gab es gern zu, dass ich mich manchmal etwas kindisch benahm, aber das war doch gerade eindeutig ein Punkt für mich.

»So? Also hast du Kommunikationsschwierigkeiten? Ganz schlecht! Man muss mit seinem Partner über seine Emotionen reden können. Ein Streit ist für eine funktionierende Beziehung meist hilfreicher als man denkt.«

»So hab ich das doch gar nicht gemeint!« Ich setzte mich empört auf und funkelte sie wütend an. Wieso drehte die sich alles so hin, wie sie es gerade wollte?

»Ich kann durchaus über meine Gefühle reden. Stimmt‘s Henry? Mit dir streite und rede ich doch auch immer!«

Hatte ich etwa Hilfe von meinem sogenannten besten Freund erwartet? Enttäuscht sah ich dabei zu, wie er nur mit den Schultern zuckte, mich aber nicht einmal anschaute. Ich fühlte mich verraten und verkauft. Ich wurde hier hingestellt, als wäre immer nur ich an den zu Bruch gegangenen Partnerschaften schuld. Das war doch lächerlich!

»Lass den armen Henry mal lieber aus dem Spiel. Wir reden hier schließlich über deine Liebesbeziehungen. Weißt du, es gibt viele, die wissen gar nicht, was Liebe wirklich bedeutet. Wie würdest du dieses Gefühl für dich beschreiben?«

Ich konnte mir ein Schnauben nicht mehr verkneifen. Was wollte die mir eigentlich noch alles unterstellen? »Ich weiß, was es bedeutet«, grummelte ich.

»Na dann, schiess mal los! Ich bin ganz Ohr«, wurde ich sofort aufgefordert und ich fing an zu überlegen. Wie sollte ich das denn jetzt am besten beschreiben? Hmm ... also ... Puhh! Das war ja schwerer als gedacht. Wieso fielen mir denn jetzt keine passenden Worte ein?

Ich fühlte mich enorm unter Druck gesetzt, als zwei Augenpaare gespannt und lauernd auf meine Antwort warteten. Ach, verdammt! Wie sollte man sich denn da auch konzentrieren können? Die machten es mir echt nicht leicht und darum schwieg ich verbissen.

»Soll ich dir bei der Umschreibung helfen?«, kam es überraschend von Henry.

Ich atmete erleichtert auf. Er war also doch noch auf meiner Seite? Dankbar lächelte ich ihn an und nickte eifrig. Tiny stand schmunzelnd von ihrem Stuhl auf und machte für ihn Platz.

Aufmunternd nickte sie ihm zu und drückte kurz seine Schulter, als er sich setzte. »Ich bin sicher, du findest die richtigen Worte«, flüsterte sie ihm zu und bedachte mich dann mit einem durchdringenden Blick. »Und du hörst jetzt mal ganz genau zu«, befahl sie streng und ließ uns daraufhin allein.

Verwirrt starrte ich auf die Tür, die hinter ihr ins Schloss gefallen war. Das war jetzt aber wirklich seltsam. »Warum geht deine Freundin jetzt?«, fragte ich verwundert. »Ich dachte, sie wollte mich therapieren und von meiner dunklen Aura befreien. Nicht, dass ich auf eine Hypnose scharf wäre, daran glaub ich eh nicht, aber der Abgang kam trotzdem plötzlich. Sie ...«

Mein munterer Redefluss wurde unterbrochen, als Henry erneut eine Hand auf meinen Mund legte. »Beiss mich nicht wieder und hör mir bitte einen Moment zu«, bat er mich leise.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Irgendwas lief hier ab, dass ich nicht verstand. Warum herrschte hier plötzlich so eine drückende Stimmung? Und warum sah mich mein Kumpel so ... traurig und verletzlich an? Ich nickte kurz zur Bestätigung, dass ich ihm zuhören würde und wartete dann gespannt und ja, auch ein wenig ängstlich ab.

»Eigentlich war diese Sitzung gar nicht dazu gedacht dir zu helfen, sondern eher ... mir«, gestand er reumütig, woraufhin ich nur fragend die Stirn runzelte.

»Es gibt da so einige Dinge, die ich dir schon ewig einmal sagen wollte, aber ... ich habe mich bisher nie getraut, denn mir ist klar, wenn ich das tue ... wird es sehr wahrscheinlich unsere Freundschaft zerstören. Deshalb habe ich Tiny um Rat gefragt und sie hat dieses Gespräch vorgeschlagen. Sie wollte dich nur dazu bringen, um über gewisse Dinge nachzudenken. Ich fand die Idee gut, denn wenn du von selbst darauf kommen würdest, müsste ich es ja nicht mehr sagen. Argh! Das ist alles so kompliziert und mir ist eben klar geworden, dass ich nicht mehr so ein Feigling sein darf ... deshalb sag ich es dir jetzt einfach. Kevin, du bist ein unsensibler Ar... Kerl! Du bist oberflächlich, egoistisch und oftmals so unbedarft in dem, was du tust, dass du die Menschen in deinem Umfeld verletzt. Du denkst nie nach, bevor du sprichst. Du bist immer viel zu ehrlich, handelst meist kindisch, fast schon naiv und ziehst ernste Themen gerne ins Lächerliche. Du hast Angst davor die Menschen zu nah an dich heranzulassen, genau das ist der Fluch, von dem du immer sagst, du seist besessen. Deswegen halten auch deine Beziehungen nicht. Irgendwann scheitert jeder deiner Geliebten an deiner harten Schutzmauer. Ich weiß das, da ich mit all deinen Verflossenen geredet habe. Hast du dies je getan? Nein, hast du nicht! Du hast nie wirklich Antworten gefordert, da du sie in Wahrheit schon kennst. Du weißt nicht, was es heißt zu lieben. Dieses Gefühl ist dir unbekannt und genau deshalb konntest du es gerade eben nicht beschreiben. All dies und noch viele Kleinigkeiten mehr regen mich so unsagbar an dir auf ... doch es gibt eine Sache, die von allen am wichtigsten ist, und zwar, dass ...«

»Stopp!«, schrie ich verzweifelt und sprang auf meine Füße. Ich zitterte am ganzen Leib und konnte nicht einmal sagen, ob das vor Wut war. Ich wusste gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand und konnte die verletzenden Worte meines besten Freundes gar nicht so schnell verarbeiten, wie er sie eben ausgesprochen hatte.

Ich war in seinen Augen also ein unsensibles und herzloses Arschloch? Gut! Fein! Da wusste ich ja nun endlich Bescheid. Da fragte ich mich nur, wie er es so lange mit mir ausgehalten hatte, obwohl ich so ein furchtbarer Mensch zu sein schien. Bittere Tränen der Enttäuschung traten in meine Augen, doch ich wollte sie ihn nicht sehen lassen, deshalb drehte ich mich schnell um und stürmte zum Ausgang.

»Kevin! Warte!«, rief mir Henry hinterher. »Hör mir bitte bis zum Schluss zu. Ich war noch nicht fertig.«

Was? War das eben etwa noch nicht genug gewesen? Wollte er noch mehr auf mir herum trampeln? Auch wenn er das scheinbar bezweifelte, so hatte ich sehr wohl Gefühle und die trat er gerade mit Füßen. Ich fuhr ein letztes Mal zu ihm herum und schaute in sein erschrockenes Gesicht. Ha! Warum tat er denn jetzt so?

»Doch, wir sind fertig«, zischte ich wütend. »Wir sind sogar so was von fertig! Das kannst du mir glauben! Halt dich lieber von mir fern, sonst färbt mein schlechter Charakter noch auf dich ab.«

So, das war‘s. Mehr gab es nicht zu sagen, deshalb ging ich einfach und ließ ihn stehen. Ich ignorierte den fragenden Blick seiner Hippie Freundin und rannte nach draußen.

Auf der Straße schnappte ich erst mal mühsam beherrscht nach Luft und machte mich dann wie ferngesteuert auf den Nachhauseweg. Die Frage nach dem Warum ging mir immer wieder durch den Kopf. Warum hatte er mich in diese Falle gelockt? Nur damit er mich fertigmachen konnte? Warum hatte er mir nie früher gesagt, was er wirklich über mich dachte? Warum jetzt? Warum überhaupt? Warum ...?

Zuhause fiel ich sofort ins Bett und zog die Decke über meinen Kopf. Nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Ach, war das schön. Wenn das doch nur auch mit meinen Gedanken so einfach gehen würde. Entsetzt bemerkte ich, wie sich mir ein heiseres Schluchzen entrang und Tränen unablässig mein Kissen durchnässten. Ich weinte doch nie. Nicht einmal als Bastian mich am Altar hat stehenlassen, hatte ich geweint. Wieso nahm mich das so viel mehr mit als alles andere?

»Henry, du Idiot! Warum hast du mir das angetan?«, nuschelte ich hilflos vor mich hin und ergab mich das erste Mal seit vielen Jahren, den schmerzhaften Gefühlsorkan in meinem Inneren. Scheiße, tat das weh ...!


Genau vier Stunden und und neun Minuten später, war ich mich selbst leid. Ich hatte genug davon, hier herum zu heulen und stand wieder auf. Ruhelos lief ich im Schlafzimmer auf und ab. Inzwischen war es draußen dunkel geworden und ein Blick auf meinen Radiowecker verriet mir, dass es kurz nach elf Uhr war. Hmm, so wie ich mich gerade fühlte, würde ich die ganze Nacht nicht schlafen können und wenn ich das nicht konnte, so würde ich jetzt dafür sorgen, dass es der Verursacher meines Leids auch nicht konnte.

Kurzentschlossen suchte ich meine Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Ich würde es jetzt diesem bescheuerten Henry zeigen! Ha! Der konnte sich schon mal warm anziehen. Ich würde jetzt meine Antworten fordern, schließlich war das ja eins der Dinge, die er mir vorhin so gemein vorgehalten hatte. Von wegen, ich würde das nie tun! Selbst wenn das früher nicht so war, dann fing ich eben jetzt mit ihm an und danach würde ich ihn noch richtig zur Sau machen. Jawohl! Der Druck in mir musste endlich raus!


Zehn Minuten und zwei bei Rot überfahrene Ampeln später, stand ich auch schon vor seiner Haustür. Es brannte nirgends ein Licht, doch davon ließ ich mich nicht abhalten. Sein Auto vor der Garage sagte mir, dass er zuhause war und so klingelte und klopfte ich wie ein Berserker an seiner Tür. Es dauerte nicht lange und es wurde mir ärgerlich geöffnet. Zu meiner großen Freude verwandelte sich sein Gesicht in eine ungläubige Grimasse.

»Tja! Mit mir hast du wohl nicht mehr gerechnet, was? Pech gehabt. Ich habe nämlich beschlossen, dass ich dir doch noch was zu sagen habe.«

Ich drängte mich einfach frech an ihm vorbei ins Innere des Hauses und wartete geduldig darauf, dass der total überrumpelte Henry endlich die Tür schloss. Er tat es und drehte sich dann zögerlich zu mir um. Kurz musterten wir uns stumm, bevor sich wahres Entsetzen auf seinem Gesicht abzeichnete.

»Du hast ganz rote Augen. Hast du etwa geweint?«, fragte er mich fassungslos.

»Und wenn?«, entgegnete ich nur und setzte dabei eine finstere Miene auf.

»Aber du weinst doch nie!«

Anscheinend ließ ihm diese Sache keine Ruhe, was mich zu einem genervten Stöhnen verleitete. »Das ist doch jetzt scheißegal«, fuhr ich ihn aufgebracht an. »Dann bin ich eben nicht ganz so gefühlskalt wie du scheinbar von mir denkst. Na und? Leb einfach damit! Ich bin hier, weil ich einige Dinge klarstellen will und nun hörst du mir mal zu.«

Ich holte noch einmal ganz tief Luft und fing dann an: »Liebe ist, wenn du jemanden so sehr magst, dass du oft nur an ihn denken kannst. Wenn du dich immer um diese Person sorgst und ihn vermisst, sobald er nicht mehr in deiner Nähe ist. Wenn du ihm mehr als jeden anderen vertrauen kannst und man sich in schweren Zeiten zur Seite steht. Liebe bedeutet, dass man sich streiten und zusammen lachen kann. Dass man jede freie Minute miteinander verbringen will und man sich kein Leben ohne den anderen mehr vorstellen kann. Man verspürt ständig Sehnsucht und Liebe tut auch weh, denn nur derjenige, den du liebst kann dich wirklich verletzen. Liebe bedeutet all das und noch so viel mehr. Reicht dir diese Beschreibung oder willst du noch mehr hören?«

Die Worte sprudelten geradezu aus mir heraus und es war ein echt befreiendes Gefühl sie endlich los zu sein. Es war gar nicht schwer gewesen, denn diese Erkenntnis hatte ich schon immer in mir getragen.

»Haha! Schluck das Henry!«, dachte ich mir schadenfroh, denn mein ehemals bester Kumpel schaute mich ziemlich schockiert an.

»Ähm ... okay ...« Er räusperte sich kurz und sah dabei zu Boden. »Also hast du das ... ähm ... für Bastian empfunden?«, fragte er leise.

Ich runzelte verwirrt die Stirn. Wie kam er denn jetzt auf Bastian? Der war doch gar nicht das Thema.

»Nein«, antwortete ich ehrlich. »Du hattest leider recht. Ich habe wirklich immer gemauert und meine Partner von mir gestoßen. Ich bin ein Idiot, der immer nach der großen Liebe gesucht hat und letztendlich dann, wenn es darauf ankam, dicht gemacht hat. Selbst Bastians SMS ergibt jetzt Sinn. Weißt du, was er geschrieben hat? Die Hochzeit war eine schlechte Idee. Ich kann dir das nicht antun. Du wirst es irgendwann verstehen. Er hat eindeutig vor mir gemerkt, was ich für ein Vollhonk bin und ihn gar nicht wirklich geliebt habe. Ich habe ihm wahrscheinlich das Herz gebrochen, ohne es selbst zu kapieren.«

Ich seufzte resigniert und zuckte dann mit den Schultern. »Ich war wirklich egoistisch und habe immer gedacht, ich sei das Opfer. Dabei war ich einfach nur blind, oder besser gesagt, ich wollte einfach alles nur so sehen, wie es mir gerade gepasst hat.«

»Wow!«, kam es ungläubig von Henry. »Wer bist du und was hast du mit Kevin gemacht?«

Sofort war ich wieder auf hundertachtzig. »Ach, halt doch die Klappe! Was bist du eigentlich für ein Freund, hä? Du hättest schon lange mit mir darüber reden sollen, was du wirklich von mir denkst, doch du hast mich die ganze Zeit nur verarscht und mir den lieben Kumpel vorgespielt. Du bist ein genauso großes Arschloch wie ich«, warf ich ihm vor und der Idiot nickte auch noch zustimmend.

Er sah mich bedrückt mit seinen traurigen Rehaugen an und schon war die Luft raus aus mir. Das war doch gemein! Wie sollte man denn jemanden anschreien und die Meinung geigen, der einen so anschaute? Gott, war ich frustriert und ich konnte noch nicht einmal genau sagen, warum dies so war.

»Ich geh dann jetzt wieder. Wollte dir nur sagen, dass ich nicht ganz so herzlos bin wie du gedacht hast und ich durchaus weiß, was Liebe ist.«

Ich wollte an ihm vorbei gehen, doch er hielt mich auf. »Kev, ich habe doch nie gesagt, dass ich finde, du seist herzlos. Ich weiß doch, dass du ein lieber Mensch bist. Nur genau das hast du nie jemand anderen als mir gezeigt und das war es auch, was mich so aufgeregt hat. Du hast dir doch dauernd nur selbst geschadet.«

Völlig verwirrt ließ ich es zu, dass er mich gegen die Flurwand drückte und dort mit den Händen fixierte. »Ich war so ein feiger Idiot und dass ich nicht früher mit dir offen geredet habe, tut mir leid, aber ... ich wäre wahrscheinlich gestorben, wenn du mich deswegen verlassen hättest. Ich kann nicht ... ich pack das nicht, Kev! Ich will dich nicht verlieren!«

Er sah mich verzweifelt an. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Was war denn mit ihm los? Ging ihm unser Streit wirklich so nahe? Na, wenigstens da konnte ich ihn beruhigen.

»Du bist wirklich ein Dummkopf«, meinte ich grinsend. »Hast du mir eben nicht zugehört? Man streitet sich und lacht zusammen. Das gehört dazu, aber deswegen verlierst du mich doch nicht.«

Ich strich ihm beruhigend über den Arm und sah dabei zu, wie er immer blasser wurde. Ach herrje! Was hatte ich denn jetzt schon wieder Falsches gesagt?

»Was? Bei deiner Beschreibung von der ... Liebe hast du ...«

Er schüttelte seinen Kopf, als würde er gerade gar nicht verstehen was los sei und ich schaute fasziniert zu, wie er mit Worten rang. »Scheiße, hast du damit etwa mich gemeint?«, stieß er schließlich hektisch hervor und musterte mich intensiv.

»Jein«, antwortete ich vorsichtig. Henrys Rehaugen hatten sich lauernd verzogen. Er erschien mir im Moment eher wie ein hungriges Raubtier auf Beutezug. Ich schwör‘s genau so sah er eben aus und das versetzte mich automatisch in höchste Alarmbereitschaft.

»Ich meinte damit, uns ... also, unsere Freundschaft, denn das ist doch auch eine Form von ... Liebe, oder? Also ... ähm, du und ich wir mögen uns doch ...«, stammelte ich und wurde immer unruhiger.

Inzwischen war Henry mir so gefährlich nahe gekommen, dass ich schon seine Körperwärme spüren konnte und seinen ganz typischen Geruch in der Nase hatte.

»Heißt das, du vermisst und sorgst dich um mich, wenn ich nicht bei dir bin?«

»Natürlich«, antwortete ich sofort ernst.

»Du ... ähm, musst oft an mich denken?«

Hallo? War der Kerl beschränkt? Er hatte mir doch anscheinend ganz genau zugehört. Warum fragte er jetzt alles noch mal ab? Um keinen weiteren Streit zu provozieren, antwortete ich brav. »Ja, auch das.«

Henrys schöne Augen verdunkelten sich schlagartig, während er mir ein Knie zwischen die Beine schob. Sein massiger Körper schmiegte sich eng an meinen und drängte mich so noch fester gegen die Wand. Kam es nur mir so vor, oder verlief dieses Gespräch gerade aus dem Ruder?

»Du kannst dir ein Leben ohne mich nicht vorstellen und verspürst Sehnsucht nach mir? Sag mir Kevin, was ist das für eine Sehnsucht, die du fühlst?«, verlangte er heiser zu wissen und versengte mir mit seinem heißen Atem das Gesicht.

Glühende Hitze ballte sich in meinen Unterleib zusammen und nicht nur dort. Sie schien sich überall ausbreiten zu wollen und setzte mich in Brand. Hilfe! Das war nichts, was man für seinen besten Freund empfinden sollte. Schon gar nicht wenn dieser auf Frauen stand und eine feste Freundin hatte. Warum war er mir so nahe gekommen? Machte er mich etwa mit Absicht an? Die Frage beantwortete sich in der nächsten Sekunde selbst, als er seine Lippen auf meine presste und sich seine Zunge fordernd einen Weg in mein Inneres bahnte.

Überrumpelt schnappte ich nach Luft und verschaffte ihm so genau den Freiraum, den er gebraucht hatte um vollends in meine Mundhöhle einzudringen. Der erste Kontakt unserer Zungen, ließ elektrische Impulse durch meinen Körper schießen.

Ich keuchte überrascht auf. Seit wann fühlten sich Küsse so gut an und versetzten mich in solch heftige Erregung? Henry schien sich durch meine Reaktion bestätigt zu fühlen und legte noch einen Gang zu. Der Kuss wurde noch leidenschaftlicher und eindringlicher, während er mit einer Hand unter mein Shirt fuhr und die andere sich an meiner Hose zu schaffen machte.

Moment Mal! Er wollte meine Hose öffnen? Schlagartig kam ich wieder zur Besinnung und versuchte ihn aufzuhalten. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und hielt seine Hand fest.

»Warte mal, Henry. Ich glaube, wir sollten dringend miteinander reden. Was ist denn mit deiner Freundin?«, versuchte ich vernünftig mit ihm zu sprechen, doch irgendwie klang meine Stimme schwach und viel zu rau und überhaupt schien er gar nicht aufhören zu wollen.

Genüsslich leckte er sich einen Weg von meinem Ohr über den ganzen Hals bis hinab zu meinem Shirtansatz. »Keine Freundin, nur Cousine«, kam es nuschelnd. »Will nicht mehr warten. Warte schon viel zu lange«, stöhnte er erregt an meiner erhitzten Haut und packte meine Handgelenke, um sie mir über dem Kopf mit einer Hand festzuhalten. Holla, die Waldfee! Jetzt ging‘s aber ab!

Ich war geil wie nie und verlor mich einen Augenblick in seiner doch recht durchschlagenden Dominanz und genau das war der Moment, in dem ich meine Hose samt Pants verlor.

Ein kühler Lufthauch traf mich, bevor sich eine gierige warme Hand fest um meine Erektion legte. Ich war im Himmel angelangt und bekundete meinen Genuss mit einem dunklen Stöhnen.

»Ich will dich! Jetzt! Sofort und für immer!«, drang es verlangend an mein Ohr und bevor ich es mich versah, lag ich auf dem harten Flurboden und Henry warf sich über mich.

In seinen Augen spiegelte sich die pure Lust und reinste Besitzgier wider und drängte die letzten Zweifel in mir fort. Scheiß auf‘s reden. Das wurde eh überbewertet.

Er wollte mich jetzt und mir erging es nicht anders. Bereitwillig spreizte ich meine Beine für ihn und bot mich ihm dar. Er nahm meine Einladung sofort freudig an und tat mit mir Dinge, die ich von ihm nie für möglich gehalten hätte. Niemals im Leben konnte solche Sachen ein hetero Mann vollbringen. Wo hatte ich nur die ganze Zeit meine Augen gehabt?


Er schickte mich in dieser Nacht ins Nirwana und das nicht nur einmal, nein, mehrmals und das genau so lange, bis ich fast ohnmächtig wurde und ich schon gar nicht mehr wusste, wie ich überhaupt hieß. Es war mit ihm so viel intensiver, als mit jeden anderen Mann zuvor. War das die Liebe von denen jeder sprach? Hatte ich sie doch endlich gefunden und das ausgerechnet in den Armen meines besten Freundes? Ich wusste es nicht und doch war ich glücklich, denn ich hatte noch jede Menge Zeit, um genau dies herauszufinden.

Ich fühlte mich befreit. Der Fluch war gebrochen. Henry hatte mich erlöst, denn was gab es für ein höheres Glück, als das Wissen, dass der Mensch, der einem am wichtigsten war, immer an der eigenen Seite bleiben würde? Denn das dies so sein würde, daran hegte ich keinen Zweifel.


Ende

 

Impressum

Texte: Alles mein gedankliches Gut
Bildmaterialien: Aus Pixabay mühevoll zusammengeschustert XD
Lektorat: Gibbet wie immer nicht^^
Übersetzung: Solltet ihr eine wünschen, meldet euch bei mir...aber erwartet keine Antwort ;-)
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2016

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