Cover

Titel

Lothar Schmidt

 

Augenlust in der Lyrik

 

Eine Auswahl

 

Band I

Vorwort

 

Johann Wolfgang von Goethe begegnete auf seiner Suche nach einer für ihn lebbaren Religiosität dem Augenarzt und Schriftsteller Johann Heinrich Jung-Stilling, welcher dessen Interesse auf sich zog. Jung-Stilling wurde ihm Beispiel dafür, dass Gottvertrauen die eigenen Kräfte mobilisieren und eine höhere Art des Selbstvertrauens darstellen kann. In der Begegnung dieser beiden Männer erschloss sich Goethe, der an einen persönlichen Gott nicht mehr glauben konnte, der Zugang zu einem Phänomen, das ihn sein Leben lang faszinieren und nicht mehr loslassen würde.

Jung-Stilling war davon überzeugt, dass dem Menschen alles Gute und Schlechte von Gott zugeteilt würde. Goethe hatte sich bereits zu weit von der christlichen Dogmatik eines Alleinherrschers über den Menschen abgewandt, um diese Einstellung akzeptieren zu können. Ist nicht der Mensch selbst das »Maß aller Dinge«, wie der Philosoph Protagoras im 5. Jahrhundert vor Christus in seinem Homo-mensura-Satz postuliert?

Goethe überlässt die Bewertung über »gut und böse« dem Menschen, dessen subjektiver Sinneserfahrung und Einschätzung. Die geistige Erfahrung im Vollzug sinnlicher Wahrnehmung, insbesondere des Sehens, nannte er Aperçu. Für ihn ist es das Gewahrwerden einer großen Maxime, welches immer eine genialische Geistesoperation ist. Über die Jahrhunderte haben sich die Philosophen in der Auseinandersetzung mit dem Empirismus mit der Frage beschäftigt, wie und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen sich sinnliche Wahrnehmung vollzieht. Für Goethe ist es die Faszination im Augenblick der Wahrnehmung welche diese auf den Menschen ausübt. »Ein solches Aperçu gibt dem Entdecker die größte Freude weil es auf originelle Weise nach dem Unendlichen hindeutet«, schreibt er im sechzehnten Buch seines Werkes Dichtung und Wahrheit. »Es bedarf keiner Zeitfolge zur Überzeugung, es entspringt ganz und vollendet im Augenblick«. Für Goethe ist der Aperçu erfahrbare religio, Rückbindung des Irdischen an ein darüber Hinausgehendes, das sich dem Wahrnehmenden im Augenblick seiner Erfassung lustvoll entbirgt.

Der zeitliche Augenblick ist dabei Mittler größter Freude. Bereits Dichter der griechischen Antike wie Anakreon, Pindar, Rhianos, Theokrit, Straton von Sardes und Philostratos, sowie der römische Dichter Martial thematisierten in ihren Gedichten das Phänomen der Freude hervorbringenden Betrachtung, der »Augenlust«. Ob der Mensch dabei das Betrachtete als „gut oder böse“, angenehm oder unangenehm wahrnimmt, liegt ganz im subjektiven Blickwinkel des Betrachters bzw. Wahrnehmenden. Goethes Aperçu bezieht sich ausschließlich auf die Wahrnehmung des Schönen, Angenehmen; auf die Wahrnehmung des Überwältigenden.

 

Wie ein roter Faden zieht sich die Augenlust als Thema durch die Werke der lyrischen Dichtung über die Jahrhunderte. Das in der Antike beginnende Thema setzt sich seit dem hohen Mittelalter fort und ab dem 14. Jahrhundert ohne Unterbrechung bis in die heutige Zeit.

Mein Buch ist eine Auswahl an lyrischen Werken von Dichtern, die über die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit dieses Thema in Ihrer lyrischen Dichtung thematisierten. In ihren Gedichten tritt Augenlust manchmal ganz offensichtlich hervor, manchmal jedoch nur erahnbar. Der spirituelle Kontext der Augenlust, in den sie eingebunden ist, tritt an den Leser heran. Der Eros des Sehens ist in einen spirituellen Zusammenhang eingebunden, der sich zwischen dem Betrachter und dem Objekt der Betrachtung nach subjektiver Bemessung und Einsicht ereignet. Ob es sich nun um die wahrnehmende Betrachtung eines Menschen oder um eine Naturbetrachtung handelt, immer ist der Aperçu auslösendes Moment größter Wahrnehmungsfreude, entspricht das sinnlich Vermittelte der individuell-subjektiven Disposition des Wahrnehmenden zum Wahrgenommenen.

Der dänische Philosoph Kierkegaard verweist eine Generation nach Goethe auf die Wandlung des leeren Moments in den erfüllten Augenblick. Sinnliche Wahrnehmung ist in der Lage dazu, den Menschen erfüllende Freude zu vermitteln.

 

Der in diesem Buch aufgeführte Dichter Gottfried Benn gibt in seinem Buch

Der Ptolemäer folgendes Zeugnis über Blicke ab:

»Die jenseitigen Dinge sind einem viel näher als die nahen, ja, die gegenwärtigen sind das Fremde schlechthin. »Ich studiere vielleicht Einzelheiten, aber ich bin kein Beobachter«, - gilt für jedes Genie. Dafür hat es Sommertage ferner Zeiten, kommender Geschlechter, anderer Daseinsempfinder -, Anfälle schleierloser Blicke z. B. auf Sommerliches, Hohes, etwas Üppiges: heiße Städte, alles sehr ähnlich, derselbe As-Dur-Walzer von Chopin und doch sehr etwas anders. Etwas Unstillbares ist dabei, etwas, das das Herz zerreißt. Neue ferne Wogen, kaum erkennbare Verwandlungen, Spätheiten – und unerfüllbar alles.« (Gottfried Benn, Der Ptolemäer, Seite 69, Klett-Cotta-Verlag)

 

Mit den Gedichten von Paul Celan, findet diese Auwahl am Ende des Buches ihren Höhepunkt. Es ist dem Dichter auf einmalige Weise gelungen, die transzendente Relevanz von Augenlust im Kontext sinnlicher Erfahrung in seinen Gedichten hervortreten zu lassen, indem er die sinnliche Erfahrung hinter deren im Menschen auslösende Wirkung zurücktreten lässt.

 

Herbst 2016

Lothar Schmidt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einleitungsgedicht 1

 

 

 

 

 

Wär nicht das Auge sonnenhaft,

Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?

 

Goethe, Xenien III

Sämtliche Werke, 13.1, S. 108

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einleitungsgedicht 2

 

Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles

Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -;

erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,

den eine ewige Mit-Spielerin

dir zuwarf, deiner Mitte, in genau

gekonntem Schwung, in einem jener Bögen

aus Gottes großem Brücken-Bau:

erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen, -

nicht deines, einer Welt.

 

Rainer Maria Rilke

 

Aus: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Muzot, 31. Januar 1922)

Einleitungssatz

 

 

 

 

 

 

 

[…] Thomas spricht hier von der vollendeten Glückseligkeit des Menschen, von seiner endgültigen Bestimmung. Sie ist im Leben diesseits der Todesgrenze unerreichbar. Denn sie besteht in der unverhüllten Schau Gottes.

 

Aus: Georg Scherer, Thomas von Aquin, Seite 64, Mit-Verlag 2006

Widmung

 

 

 

 

 

 

Für Dirk

Ulrich von Liechtenstein

1200 - 1275

Ein schoeniu maget

Ein schoeniu maget

sprach ›vil liebiu frouwe mîn,

wol ûf! ez taget.

schouwet gein dem vensterlîn,

wie der tac ûf gât. der wahter von der zinnen

ist gegangen. iuwer friunt sol hinnen:

ich fürhte er sî ze lange hie.‹

Diu frouwe guot

siufte und kuste ir lieben man.

der hôchgemuot

sprach »guot frouwe wol getân,

der tac ist hôch ûf: ich kan niht komen hinnen.

maht du mich verbergen iender innen?

daz ist mîn rât und ouch mîn ger.«

›Und möhte ich dich

bergen in den ougen mîn,

friunt, daz taet ich.

des kan leider niht gesîn.

wil du hie in dirre kemenât belîben,

disen tac mit fröiden wol vertrîben,

dar innen ich dich wol verhil.‹

»Nu birge mich,

swie du wil, vil schoene wîp;

doch sô daz ich

sunder wer iht vliese den lîp.

wirt mîn iemen inne, sô soltû mich warnen.

kumich ze wer, ez muoz sîn lîp erarnen,

der mich mit strîte niht verbirt.«

Sus wart verspart

der vil manlîch hôchgemuot

und wol bewart

von der reinen süezen guot.

wie pflac sîn den tac diu süeze minneclîche?

sô daz er wart hôhes muotes rîche.

sô kurzen tac gewan er nie.

Diu naht quam dô.

sâ huop sich der minne spil:

sus unde sô

wart von in getriutet vil.

ich waen ie wîp würde baz mit liebem manne

danne ir was. ouwê dô muoste er danne.

dâ von huop grôzer jâmer sich.

Urloup genomen

wart mit küssen an der stunt.

schier wider komen

baten ir süezer rôter munt.

er sprach »ich tuon. dû bist mîner fröiden wunne,

mînes herzen spilndiu meien sunne,

mîn fröiden geb, mîn saelden wer.

Neuhochdeutsch:

Eine hübsche Dienerin / sagte: ›Meine liebste Herrin, / steht auf, es wird Tag. / Schaut zum kleinen Fenster hinüber und seht, / wie der Tag anbricht. Der Wächter hat die Zinne / bereits verlassen. Euer Geliebter muß fort von hier: / Ich fürchte, er ist schon zu lange hier.‹

Die schöne Dame / seufzte und küßte ihren Geliebten. / Der edle Mann / sagte: »Liebe, schöne Herrin, / es ist schon heller Tag. Ich kann nicht mehr von hier fort. / Kannst du mich hier drinnen irgendwo verstecken? / Das ist mein Vorschlag und zugleich mein Wunsch.«

›Wenn ich dich / in meinen Augen verbergen könnte, / Liebster, würde ich sogar das tun. / Doch geht das leider nicht. / Wenn du hier in diesem Zimmer bleiben / und diesen Tag vergnügt verbringen willst, / so kann ich dich leicht darin verstecken.‹

»Verstecke mich, / wie immer du willst, wunderschöne Frau, / doch so, daß ich nicht mein Leben verliere, / ohne mich wehren zu können. / Wenn mich jemand entdeckt, so mußt du mich warnen. / Wenn ich mich verteidigen muß, wird es denjenigen, / der mich zum Kampf herausfordert, das Leben kosten.«

So wurde / der tapfere, edle Mann eingeschlossen / und von der / liebreizenden schönen Frau sorgsam versteckt. / Wie kümmerte sich die zärtliche Schöne den Tag lang um ihn? / So, daß er überschwengliche Freude empfand. / Noch nie war ihm ein Tag so schnell vergangen.

Dann kam die Nacht. / Sogleich begann das Liebesspiel. / Sie liebten sich / auf diese und jene Weise. / Ich glaube, keiner Frau erging es je besser mit ihrem Geliebten / als ihr. Ach, dann mußte er jedoch fort. / Deshalb begann ein schmerzliches Klagen.

Mit Küssen nahmen sie daraufhin / Abschied. / Ihr süßer roter Mund bat ihn, / bald wiederzukommen. / Er sagte: »Das werde ich tun. Du bist mein höchstes Glück, / die leuchtende Maisonne meines Herzens, / der Ursprung meiner Freuden, der Bürge meiner Glückseligkeit.«

Dschalal ad-Din ar-Rumi

1207 - 1270

Deine Augen

Deine Augen trunken jetzt vor Gott,

die meinen vom Dich - Ansehn -

der eine Trunkenhold umsorgt dan andern.

Dieses Reden ist wie das Prägen neuer Münzen.

Sie häufen sich auf,

während die eigentliche Arbeit draußen getan wird -

von jemand, der im Boden gräbt.

Das Wunder Jesu ist er selbst, nicht was er,

die Zukunft betreffend, sagte oder tat.

Vergiss die Zukunft!

Vergöttern würd´ich den, der dies könnte.

Wäre der Himmel nicht in Liebe,

hätte seine Brust keine Reinheit.

Wäre die Sonne nicht in Liebe,

hätte ihre Schönheit kein Licht.

Wären Erde und Berge nicht in Liebe,

würde kein Gras aus ihrer Brust wachsen.

Thomas von Aquin

1225 - 1274

Preise, Zunge, das Geheimnis

Aus dem Lateinischen,

von Heinrich Bone.

Preise, Zunge, das Geheimnis

dieses Leibs voll Herrlichkeit

und des unschätzbaren Blutes,

das, zum Heil der Welt geweiht,

Jesus Christus hat vergossen,

Herr der Völker aller Zeit.

Uns gegeben, uns geboren

von der Jungfrau, keusch und rein,

ist auf Erden er gewandelt,

Saat der Wahrheit auszustreun,

und am Ende seines Lebens

setzt er dies Geheimnis ein.

In der Nacht beim letzten Mahle

saß er in der Jüngerschar.

Als nach Vorschrift des Gesetzes

nun das Lamm genossen war,

gab mit eigner Hand den Seinen

er sich selbst zur Speise dar.

Und das Wort, das Fleisch geworden,

schafft durch Wort aus Brot und Wein

Fleisch und Blut zur Opferspeise,

sieht es auch der Sinn nicht ein.

Es genügt dem reinen Herzen,

was ihm sagt der Glaub allein.

Darum lasst uns tief verehren

ein so großes Sakrament;

dieser Bund soll ewig währen,

und der alte hat ein End.

Unser Glaube soll uns lehren,

was das Auge nicht erkennt.

Gott, dem Vater und dem Sohne

sei Lob, Preis und Herrlichkeit

mit dem Geist im höchsten Throne,

eine Macht und Wesenheit!

Singt in lautem Jubeltone:

Ehre der Dreieinigkeit!

Gösli von Ehenheim

1226 - 1250

Mailied

Liegt der Winter

Hinter

Uns bezwungen,

Preisen lieblich alle Zungen

Wald und Wiese, Feld und Blumenau!

Scheucht am Morgen

Sorgen

Fort, ihr Jungen,

Da die Blumen rings entsprungen:

Veilchen, Lilien, Rosen stehn im Tau!

Singen Vögel, sing auch ich der Süßen;

Wenn die Frau

Ich erschau,

Läßt ihr Grüßen

Leid und Sehnsuchtsqual mich schnell verbüßen.

Werte Minne,

Sinne

Hab ich keine;

Bitte du die Holde, Reine,

Daß sie steure meiner bittern Not.

Will mein Leben

Geben

Für die Eine,

Die ich schon von Kind an meine;

Doch nur Leid mir stets die Treue bot.

Kann ihr Haß mir geben Gram und Schmerzen:

Lacht sie hell.

Macht sie schnell

Meinem Herzen

Freude, um die Trauer auszumerzen.

Mehr unsäglich

Täglich

Brennt die Wunde;

Doch vor ihrem Rosenmunde

Bleibt um meine Not die Klage stumm.

Wenn sie wollte,

Zollte

Sie zur Stunde

Heilung mir, daß ich gesunde –

Edle Fraun, dies eine wünscht mir drum:

Daß zum Knecht, der treu sie wollte hegen,

Sie mich nähme;

Aber käme

Dies ihr ungelegen,

Heiße sie mich gehn auf andern Wegen!

Winterlied

Jetzt strebt der Feind der Blütenfülle,

Dass er sein Zürnen uns enthülle;

Hört, wie er fährt mit Sturmgebrülle

Hin übers Waldgefilde.

Es hält ihm niemand Widerpart,

Er greift mit Händen rau und hart

Die Blumen alle, bunt und zart

Und kennet keine milde.

Entblättert stehn die muntern Auen,

Die Vögel bergen sich alsbald;

Ihr helles Loblied ist verhallt,

Das macht der Winter grimm und kalt,

Doch ich sing meiner Frauen.

Sie ist so tugendlich und milde,

Von der ich trag das bild im Schilde;

Ein Röslein rot im Dorngefilde

Ist sie bei andern Frauen.

Im Herzen mein lebt sie fürwahr,

Sie ist an Tugend rein und klar,

Und wenn ich lebte tausend Jahr,

Kann sie genug nicht schauen.

Drum werb ich treu nach ihren Hulden;

Und nimmt sie mich zum Diener an,

Bin ich ein reich beglückter Mann;

Was ich an Heil gewinnen kann,

Das will ich wohl verschulden1

Sie ist so reich an edler Tugend,

Geschmückt mit Anmut und mit Jugend,

Und nicht nach anderm Ziele lugend

Will dienen ich der Einen!

Für sie allein schlägt in der Brust

Das Herz mir, ihr noch unbewusst,

Und dies nur trübt mir noch die Lust;

Doch wird ihrs bald erscheinen.

Wie rein und gut ist sie zu sehen;

Und wird mirs noch nicht zum Gewinn,

So denk ich doch in meinem sinn:

Wenn ich erst etwas dreister bin,

Dann werd ichs ihr gestehn!

Jacopone da Todi

1233 - 1306

Deine Lieb’, o Jesu, zwingt mich...

Deine Lieb’, o Jesu, zwingt mich,

Dich in Liebe zu umfangen;

Wenn ich wehre dem Verlangen,

Will die Seele von mir scheiden.

Trennen will sich Leib und Seele,

Wenn um Christ sie sich bemühte;

Und es gibt ihr himmlisch Sein

Der ein Meister ohne Fehle;

Darauf fliegt die Lieberglühte

Rasch zum Kaiserhof hinein. -

Wer kann Worte mir verleihn,

Ihrer Schwingen Kraft zu schildern?

An Vergleichen fehlt’s und Bildern,

Der Verstand muß sich bescheiden.

Keine Zunge kann erklären

Und berichten, welche Wonnen

Christ im sel’gen Herzen schafft;

Als ein Narr wird sich bewähren,

Wer vermeint, er hab’ ersonnen

Wort und Weise für die Kraft;

Denn der Leib wird hingerafft

Und verliert so Läng’ und Breite;

Maßlos hebt er sich in’s Weite

Und entschwebt der Erde Leiden.

Ob dem Aufschwung liebentglommen

Freut sich und frohlockt die Seele

In der wonnesel’gen Nacht;

Hört sie nun den Liebsten kommen,

Daß er ihr sich anvermähle,

Wird sie ganz zur Glut entfacht;

Umgeformt, entkleidet lacht

Nun in Reinheit die Erfreute,

Die sich gleich der Schlang’ erneute;

Neue Sehnsucht wird sie weiden.

Alles muß sich neu gestalten,

Was die Liebe sich erwählte

Und beschlossen hält der Geist;

Ihre Freude kann nicht alten,

Denn sie ward die Anvermählte

Christi, der sich treu erweist.

Seine Füß’ umfaßt sie dreist;

Süße Thränen, liebe Worte

Bringt sie ihrem Herrn und Horte;

Denn ihr Herz vergeht in Freuden.

Eine Seele, welche trachtet,

Ihren Bräutigam zu finden,

Wird von Liebesglut verzehrt;

Doch er flieht, wie sehr sie schmachtet,

Um sie mehr noch zu entzünden,

Daß der Liebesrausch sich mehrt.

Hat sie treu sich ihm bewährt,

Dann erscheint er ihren Blicken,

Um in seligem Entzücken

Alles Fremd’ aus ihr zu scheiden.

Der Heiland, der uns Liebe...

Der Heiland, der uns Liebe

Einflößt und süßes Hoffen,

Macht singen uns von Liebe.

Will ich die Liebe künden,

So weiß ich nichts zu sagen;

Mit Hast und Band umwinden

Den Geist mir Angst und Zagen;

Jedoch nachdem geschlagen

Mir drinnen ward die Wunde,

Fühlt sich das Herz zur Stunde

Bewältigt durch die Liebe.

Die Lieb' erscheint, um Freude

In's Herze mir zu bringen;

Doch leb' ich stets in Leide,

Kann nicht, was Lieb' ist, singen.

Mit Bitten will ich zwingen

Die Tugenden, zu künden,

Wo ohne Fehl zu finden

Uns sei der Pfad der Liebe.

Die rufen laut und sagen,

Und keine will da schweigen:

Willst du nach Liebe fragen,

Den Weg wir gern dir zeigen;

Mach' Sehnsucht dir zu eigen,

Daß nie dein Herz sich theile

Und stets dein Auge weile

Am Orte deiner Liebe.

Es pflegen Menschenblicke

Nach oben sich zu heben,

Weil dorther alles Glücke

Die Lieb' uns wollte geben

Und Rast, die wir erstreben,

Dort oben nur uns blühet;

Mehr als Magnetstein ziehet

Empor der Duft der Liebe.

Es steigt zu Himmelshöhen

Das Herz mit regem Triebe,

Darf es erfüllt sich sehen

Mit Gottes hehrer Liebe,

Ihr Schimmer hellt die Trübe

Des Herzens, und der Blöße

Leiht Kraft die hehre Größe,

Die würdig höchster Liebe.

Vor jenem Glanzgesichte,

Das sich der Seele kündet,

Wird jedes Schau'n zu Nichte,

Das unter Gott sich findet,

Weil Liebe sie empfindet,

Die so sie zieht nach oben,

Daß Zugang aufgehoben

Jedweder ird'schen Liebe.

Und hat die Seel' in Gnaden

Gekostet, trunken weilet

Sie dort und überladen

Vom Manna, das sie heilet.

O Jubelschall, ertheilet

Auf neuem Tongeräthe,

Das jeden Laut verschmähte,

Wenn fern dem Herzen Liebe.

Die Leiter der Betrachtung,

Dem Pilger angegeben,

Kann ihn aus Erdumnachtung

Zum höchsten Himmel heben,

Wo in Beschauung leben

Und Gottversenkt die Heil'gen,

Und alle sich betheil'gen

Am süßen Lamm der Liebe.

Nun strebt das Herz und ringt es

Durch Tugend aufzusteigen;

Doch nur mit Kampf gelingt es,

Weil nicht die Wünsche schweigen

Und doch zur Welt sich neigen;

Dann seufzt es unter Weinen:

Wann wird der Tag erscheinen,

Der mich belehrt, was Liebe?

O Lieb', ich muß vergehen,

Soll ich dich lange missen;

Kein Trost ist zu erspähen,

Mir ist das Herz zerrissen;

Nur Schritt um Schritt beflissen, -

Komm' ich nicht an zur Stunde;

Gibt's eine schlimm're Wunde,

Als sehnsuchtsvolle Liebe?

O Lieb', es steht die Leiter,

Zu dir sich hinzuwenden,

Geschmückt so hell und heiter

Mit Tugend aller Enden;

An Künsten und an Spenden

Hat Lust die Seel', an allem;

Doch wird ihr nichts gefallen,

Wenn sie empfand die Liebe.

Und wer empfängt die Zeichen

Von so entbranntem Lieben,

Deß Flug wird weiter reichen,

Nicht wird er rückgetrieben;

Doch wenn so hoch er drüben

Nun steht in solchen Ehren:

Mag er zum Staub auch kehren,

Ihm bleibt die Kraft der Liebe.

O Seele, hoch erhoben,

Hast hohen Weg gefunden;

Ich seh' erhöht dich droben,

Daß fast du mir entschwunden;

Schnell hat dich Lieb' umwunden

Und dich zu sich gezogen;

Aus dir emporgeflogen,

Siehst nichts du mehr, als Liebe.

Du, Seel' im Erdgetümmel,

Willst tragen Christi Züge;

In dir ist Erd' und Himmel,

Doch gibt's dir nicht Genüge;

Kein Ort, wo Ruh' dich wiege,

Ist irgend zu erkunden,

Bis du hast aufgefunden

Die Stufe solcher Liebe.

Vier Element' erhalten

Die Welt in Kraft und Leben,

Die kaum ein Nichts dir galten;

Denn höher zielt dein Streben.

Zu stehn ist dir gegeben

Ob den geschaff'nen Dingen;

Was Form ist, muß zerspringen;

Dein ist vollkomm'ne Liebe.

Hast du vollkomm'ne Liebe,

Herrscht Ruh in dir und Schweigen;

Nichts, das den Geist dir trübe,

Will außen er sich zeigen;

Ward dir Umwandlung eigen,

Siehst nichts du mehr hienieden;

Dir folgt der volle Frieden,

Den in sich trägt die Liebe.

Seit Liebe dich entrissen

Dem Weg durch Gottes Gnade,

Deß sonst du dich beflissen,

Dünkt Wissenschaft dir fade;

Du steigst hinauf die Grade

Der Leiter ganz entbronnen

Und hast nicht Ruh' gewonnen,

Bis du erreicht die Liebe.

Wenn jede Stuf' erstiegen,

Hat Liebe dich durchdrungen;

Du gibst ihr Wohlgenügen,

Und sie hält dich umschlungen;

Nicht könnten tausend Zungen

Die Wonn' und Eintracht künden,

Noch Wort und Weise finden,

Die würdig solcher Liebe.

O Seele, die du kamest

Zu also hohem Stande,

Die Gottesliebe nahmest

Sogleich du dir zum Pfande;

Ich sehe dich vom Bande

Der Liebe licht umwunden;

Du, Seele, Gottverbunden,

Kannst singen wohl von Liebe.

O Seel', emporgestiegen,

Wo hoch die Wahrheit thronet,

Erst führten dich die Stiegen

Hinab, wo Demuth wohnet;

Nicht hab' ich mich geschonet,

O Bruder, tief zu gehen;

Dann riß es mich zu Höhen,

Ich fand mich bei der Liebe.

Du fandest solche Liebe,

Die jeder Form entgangen,

Erflogst in feur'gem Triebe

Höh'n, die kein Maß befangen;

Dort hast du, Braut, empfangen

Ein neu und rein Gepräge,

Seit Kraft in dir ward rege

Zu dauern in der Liebe.

Du kannst von Liebe singen

Seit Gott du bist verbunden,

Und Kleider dich umfingen,

Die Lieb' um dich gewunden;

Dies Sein ist dir entschwunden,

Das du versagst den Sinnen;

Mit ihnen kann gewinnen

Niemand den Preis der Liebe.

Seit du Umwandlung funden

In die vollkomm'ne Liebe,

Ist dir sofort entschwunden

Die Erdenlust voll Trübe;

Die Glut der hehrsten Triebe

Hat völlig dich durchdrungen;

Du hast, o Seel', errungen

Den Glanz der reinsten Liebe.

Nie wird die Frucht erworben

Der Liebe, die vollkommen,

Wenn nicht das Herz gestorben

Dem Ird'schen und entnommen;

So steigt, in Lieb' entglommen,

Die Seel' in heil'ges Schauen

Und Freud' und Fried' entthauen

Für sie der wahren Liebe.

Die du, o Lieb', errungen,

Daß du in Gott anlandest,

Hier bist du tief gesprungen,

Als du die Demuth fandest;

Je mehr du unterwandest

Dich ihr, so höher stiegst du,

In jedem Ding erstiegst du

Dein Ziel, die höchste Liebe.

Wer sich zur Fahrt bereitet,

Daß hin zur Lieb' er eile,

Sein Angesicht schon deutet

Durch Blässe, wo er weile;

Hinan die Himmelssteile

Blickt er, wo Lieb' ihm wohnet,

Er bleibt vom Fall verschonet,

Aufrecht hält ihn die Liebe.

O Seele, die erflogen

Der Wonnen höchste Blüthe,

Von Liebesmacht gezogen

Aus Liebeshuld und Güte;

Heil, Demuth im Gemüthe!

Sie ließ so hoch dich steigen;

Wohl war ihr Kühnheit eigen

Und Willenskraft und Liebe.

Nun weilet dort die Reine

Hoch über allen Sphären,

Mit Demuth im Vereine,

Und kann der Welt entbehren;

Sie hat den dreimal Hehren

Durch Tugend sich erworben;

Ein Herz, das sich gestorben,

Ist werth der höchsten Liebe.

Der Gaben hier sind sieben,

Vom Geist der Lieb' ertheilet;

Auf tiefster Stufe hüben

Der Fuß der Furcht verweilet,

Die höchste Stuf' ereilet

Lieb' auf der Leiter Gipfel;

Das Herz seufzt nach dem Wipfel

Und ruft nach solcher Liebe.

Stark sind der Liebe Bande,

Kein Mund vermag's zu sagen;

Wie bist du, Herz, im Stande,

So Mächt'ges zu ertragen?

Vor Schmachten und Verzagen

Rings keine Hülfe schirmet;

Es wird das Herz umstürmet

Von Liebe, nur von Liebe.

Stark muß sich Lieb' erweisen,

Sie fürchtet keine Ketten;

Sie sprenget Thor und Eisen,

Sich aus der Haft zu retten;

Entflieh der Sorge Stätten,

O Geist, und werde heiter;

Denn du besiegst als Streiter,

Mit der du kämpfst, die Liebe.

O heil’ges Licht...

O heil'ges Licht,

Das in die Seele bricht,

Du löschest dessen Licht,

Dem du dein Licht willst geben.

O Licht, so rein,

Nicht wirst du verleihn

Getrübtem Schein,

Zu nahen deinem Leben.

O Licht, nie erkundet,

Dein Lichtglanz verwundet;

Zum Ort, wo man gesundet,

Willst du empor uns heben.

O Licht, das durchzückt,

Umformt und entrückt,

Daß scharf man erblickt,

Was nimmer kund zu geben.

O Licht, hochbenedeit,

Wen reich du hast geweidet,

Der ist gar bald entkleidet,

Um himmelwärts zu schweben.

O Licht, benedeit,

Zu Gotte Geleit!

Licht leuchtet alle Zeit,

Dem du Geleit willst geben.

O Licht, viel erbeten,

Wo du in's Haus getreten,

Wird Lichtglanz sich röthen

Und alles umschweben.

O Licht, süß zu wählen,

Du läuterst die Seelen,

Nie kann es ihnen fehlen

An sel'gem Liebesleben.

O Licht, sonder Gestade,

Voll jeder Huld und Gnade;

Hoch führst du die Pfade

Zum ewig sel'gen Leben.

O Licht, voll und helle,

Du unversiegte Quelle,

Wer trinkt von deiner Welle,

Wird Lichtes Schätze heben.

O Licht, süßer Lohn,

Du einst dem Gottessohn

Die Seele, die entflohn

Durch dich unreinem Leben.

O wahrhaftes Licht,

Dem Friede nie gebricht,

Wer dich besitzt, kann nicht

Fortan der Sünde leben.

O Licht, das Flammen sprüht,

Durchzuckst du ein Gemüth,

So muß es lieberglüht

Hoch ob den Himmeln schweben.

O Licht, du wirkst in Eile,

Gleichwie erglühte Pfeile,

Daß Brand das Herz zertheile

Und Flammen es durchbeben.

O Licht, hehr, unerreichlich,

Gut gibst du unvergleichlich;

Verderben, unausweichlich,

Trifft, fern dir, jedes Leben.

O Licht, hoch und unendlich,

Deß Wirken unverständlich;

Stets warst du unabwendlich

In allem deinem Streben.

O Licht sonder Gestade,

Wer kennet deine Pfade?

Nur der gelangt zur Gnade,

Dem du dich hast gegeben.

O Licht, dein Strahlenglanz

Erlöscht der Sterne Kranz,

Du machst die Seele ganz

In Huld und Gnade schweben.

O Licht, klar und schön,

Du lehrst die Seele gehen

Den Weg zu hehren Höhn,

Der Wenigen gegeben.

O Licht, das vergnügt

Und dem sich freundlich fügt,

Dem es am Herzen liegt,

Stets himmelan zu streben.

O Licht, fest und gediegen,

Kein Band kann dich besiegen;

Es muß zerrissen liegen,

Wenn du dich willst erheben.

O Licht voll Glut,

Du nimmst die Seel' in Hut

Vor Sünd' und Frevelmuth,

Die stets bedräu'n ihr Leben.

O Licht, hochbeglückt,

So jedem Maß entrückt,

Daß Seelen entzückt

Durch deinen Abgrund schweben.

O Licht, ungetrübt,

Dem Herzen, das dich liebt,

Enthüllst du das geübt,

Was Schleier sonst umgeben.

O Licht voll Güte,

Gibst Ruh' dem Gemüthe,

Das Leid und Reu' durchglühte,

Weil sündenvoll sein Leben.

O Licht, sanftes Trösten,

Den schmerzenvoll Entblößten;

Durch dich gelingt's Erlösten,

Dem Hafen zuzuschweben.

O Licht voll Frieden,

Durch dich allein hienieden

Ist Müden es beschieden,

Der wahren Ruh' zu leben.

O Licht, lieb und lind,

Dein Gnadengut gewinnt,

Wer darauf denkt und sinnt,

Dir ganz sich zu ergeben.

O Licht, o Glut,

Wer treu dich liebt und gut,

Dem gibst du keuschen Muth,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.01.2017
ISBN: 978-3-7396-9286-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -; erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles, den eine ewige Mit-Spielerin dir zuwarf, deiner Mitte, in genau gekonntem Schwung, in einem jener Bögen aus Gottes großem Brücken-Bau: erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen, - nicht deines, einer Welt. Rainer Maria Rilke

Nächste Seite
Seite 1 /