Ich, du und dein Vater
Ich mochte sie. Nur wie sollte ich es ihr sagen? Sie wirkte immer sehr bedrückt. Ein Gespräch mit ihr, das alles klären würde war mein sehnlichster Wunsch. Jeden Tag beobachtete ich sie die Stufen unseres Gymnasiums hinauflaufen, da sie meistens spät dran war. Sie hat wundervolle Haare und ihre Augen funkeln wie die Sterne am Himmel. Es schien mich wirklich erwischt zu haben, obwohl es mir gar nicht ähnlich sah. Ich fühlte mich schon fast wie ein Psychopath, denn sie war wie eine Droge für mich. Ich musste sie sehen. Sobald ich sie nicht sah, wurde ich nervös und hätte am liebsten sofort nach ihr gesucht.
Jeden Abend lag ich im Bett, dachte an meine Liebe und nahm mir vor sie anzusprechen. Doch es gelang mir nicht. Bis zu dem Tag, als sie es sehr eilig hatte und gegen mich rannte. Sie sah mich mit ihren braunen Rehaugen entschuldigend an und da bemerkte ich erst wie schön sie war. Wie unbeschreiblich hübsch mit ihren rötlichen Wangen. Sie stotterte ein leises "Entschuldige", dass wie ein Windhauch meine Wange streifte. Ich entgegnete ihr: "Nichts passiert." und lief prompt rot an. Doch schließlich gab ich mir einen Ruck und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte mit mir ins Café zu gehen. Eingeschüchtert murmelte sie "Natürlich." Am Weg dort hin sprachen wir nur sehr wenig. Irgendwas beschäftigte sie. Aber ich hatte nicht den nötigen Mut um dies anzusprechen. Des Weiteren störte es mich eigentlich nicht, da ich einfach nur ihre Nähe genoss. Als wir anschließend im Café Platz genommen hatten und unsere Bestellung aufgaben, fragte ich sie schüchtern einige Dinge über die Schule. Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass sie etwas ganz besonderes war, denn sie war anders als die anderen Mädchen. Mit ihr zu sprechen war, als spräche man mit einem Engel. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, so viel Stand fest. Nichtsdestotrotz wurde der Gesprächsstoff zu meinem Leid immer weniger und ich befürchtete, dass sie bald aufbrechen würde. Ich musste sie unbedingt nach einem weiteren Treffen fragen. Wie erwartet, verabschiedete sich mit errötetem Gesicht. Ich blickte ihr lange nach und schwelgte in Erinnerungen. Erinnerungen an ihren Duft, ihr Gesicht, ihre Stimme! Mein Kopf war voll von Gedanken, die nur um sie kreisten.
Viele Wochen vergingen, in denen sie nicht in die Schule kam. Ich fragte mich warum? Hatte bereits Entzugserscheinungen. Sie fehlte mir. Ohne sie war ich nichts. Und ich hoffte, dass sie mich auch mochte. Mich vermisste. Wir hatten uns auf Anhieb ziemlich gut verstanden, doch jetzt war sie ohne jegliche Rückmeldung unauffindbar. Ich überlegte ob ich im Sekretariat nachfragen, sie dann anrufen oder sogar zu ihr fahren sollte. Doch ich tat nichts. Denn ich war wahrscheinlich sowieso nichts für sie. Wahrscheinlich war sie weggezogen, da sie mich nicht mochte, sogar hasste. Mich überkamen Zweifel. Zweifel an mich selbst. Zweifel an die scheinbar unerwiderte Liebe.
Die Sehnsucht quälte mich und aus meiner Trauer heraus konnte ich nicht anders als Briefe für meinen Engel zu verfassen. Leider brachte ich es nie übers Herz sie ihr zu geben. Einer lautete:
"Ich warte auf dich einsam jede nacht,
die blicke in die ferne schweifend,
daran denkend wie du lachst,
dein lieblich’ bild ich seh' im mondenschein,
ach herzallerliebst’, was bin ich denn allein.
Vergiss doch nicht, ich wart’ auf dich,
hoffe, dass du dich rühren wirst,
allabendlich."
Endlich, nach insgesamt vier Wochen kam sie wieder in die Schule. Mein Mädchen, meine Hannah. Doch sie war verändert. Sie wirkte schüchterner, in sich gekehrter, nachdenklicher, verletzlicher. Mir fiel so vieles ein was anders war, so viel und gleichzeitig so wenig. Denn ich wusste viel zu wenig über sie, dass bemerkte ich erst jetzt. Ich dachte, ich kannte sie, wusste wie sie denkt, über was sie denkt, wie sie über etwas denkt. Doch ich wusste nichts, sie überraschte mich immer wieder aufs Neue. Letztendlich entschloss ich mich sie doch anzusprechen. "Hey, Hannah! Wie geht’s?", mehr brachte ich nicht aus mir heraus. Es klang auch bei weitem nicht so erfreut, wie ich es vorhatte. Doch ihre Antwort erfreute mich noch weniger. Sie sagte nur: "Hallo, Patrick. Wie immer." Ich verstand sie nicht. Warum behandelte sie mich so? Wir waren doch Freunde gewesen. Am liebsten hätte ich gegen etwas getreten. Sie war auf einmal so weit weg. Unerreichbar! Allerdings wurde das Gefühl in mir immer größer, das mir sagte, dass ich kämpfen musste und das wollte ich auch. Auf einmal wurde ich stark, bekam Mut, so sprach ich sie erneut an. Diesmal jedoch brachte ich es auf den Punkt: "Warum reagierst du so abweisend auf mich? Ich habe dir doch nichts getan." Verlegen blickte sie herab. Wurde immer kleiner. "Hannah, bitte sieh mich an! Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so anfahren dürfen. Du musst verstehen,..." "Ich muss gar nichts verstehen! Und am liebsten würde ich alles vergessen! Es hat doch keinen Sinn" warf sie ein. Sie versuchte stark zu klingen, jedoch merkte ich dass dies nicht stimmte. Plötzlich brach sie in Tränen aus und drohte in sich zusammen zu klappen. Schützend nahm ich sie in meine Arme und flüsterte ihr mit liebevoller Stimme ins Ohr: "Hannah, ich weiß nicht viel, doch eins weiß ich, dass ich dich liebe! Ich genoss die Zeit mit dir, doch plötzlich warst du verschwunden. Du musst verstehen, dass ich sehr enttäuscht war. Willst du nicht mit mir über alles reden? Ich glaube, dass wir zusammen alles schaffen können!" Als sie zu mir hoch sah bemerkte ich, dass ich sie etwas beruhigen konnte und dass ihr Blick wieder etwas hoffnungsvoller wurde und ihre Tränen versiegten. Zu meinem Leid jedoch musste ich auch feststellen, dass ihr Körper in meinen Armen immer mehr zusammensackte. Hannah, war bereit mit mir über alles zu reden. Sie vertraute mir. Ich wusste, dass nichts und niemand uns jetzt mehr aufhalten konnte. Doch plötzlich entdeckte ich blaue Flecken an ihrem Körper, was nichts Gutes bedeuteten konnte. Ich überlegte nicht lange und entschied schlussendlich, dass sie sofort ins Krankenhaus musste, da sie auch eine Platzwunde hatte.
Auf dem Weg dorthin erzählte mir sie den Großteil der schrecklichen Geschichte. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht wie ich mich in solch einer Situation verhalten sollte. Ich hörte ihr einfach schweigend zu und warf hin und wieder erstaunte Worte ein. Als sie sagte, dass ihr Vater sie schlägt, spielte sie es herunter und meinte es wäre nicht so schlimm. Doch es war schlimm! Für mich war diese Aussage wie ein Schlag unter die Gürtellinie, ich meine sie hatte einen gebrochene Rippe wegen seiner Aggressionen! Ich sollte, nein ich MUSSTE einschreiten.
Tag der Veröffentlichung: 13.10.2010
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