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Prolog




Schreie durchbrachen die friedliche Stille der Nacht und machten es unmöglich zu schlafen. Aeria war müde und wollte schlafen, doch wie sollte sie, wenn sie wusste, dass ER in der Nähe war. Ihr Herz raste und ihr Atem war unregelmäßig. Sie wusste, wenn sie jetzt die Augen schloss, wäre es vorbei. Das Mädchen versuchte sich zu beruhigen. Noch diese Nacht, dann würden sie weiterziehen. Leise horchte sie dem Atem der anderen vierzehn. Sie würden zusammen halten. Alle. Was hatten sie auch für eine andere Wahl? Zu viel war schon verloren gegangen, zu viel Blut schon vergossen. Aeria starrte an die Decke. Wie interessant eine Zimmerdecke in solchen Momenten doch war. Ein weiterer heißerer Schrei durchzerrte die Stille. Er kam näher.
Cohortis und Vitalitas hielten Wache. Sie würden ihre Aufgabe gut erledigen.
Cohortis war ein großer kräftiger Bursche und Vitalitas eine geschickte Kämpferin. Außerdem hatten sie Mut. Etwas, was Aeria noch nie besessen hatte. Sie war immer das kleine schüchterne Mädchen gewesen und jetzt war sie ein Teil der Hoffnung dieses ganzen Landes. Ihres Landes.
Wenn ihre Mutter noch leben würde wäre sie stolz auf sie, aber sie war nicht mehr da.
Keiner von diesen Fünfzehn, die hier alle beisamen lagen, sich vertrauten und liebten wie Geschwister, keiner von ihnen hatte mehr Familie. ER hatte sie alle ausgelöscht. Einfach so.
Aus Hass.
Ein weiterer Schrei ertönte und Tränen kullerten die Wangen des zarten Mädchens herunter. Wie lange müsste sie noch hier liegen, ohne etwas tun zu können? Wie lange war ihr Land hilflos? Es war schwer hier zu liegen und die Schreie zu ignorieren. Ein Wunder, dass die anderen alle schliefen. Plötzlich rüttelte etwas an der Barrikade, die zum Schutz erbaut worden war und brachte das Holz zum Wanken. Aerias Herz hörte für den Bruchteil einer Sekunde auf zu schlagen.
„Cohortis?“, piepste sie. Sie war nicht in der Lage lauter zu sprechen. „Bleib ruhig. Alles ist gut.“, flüsterte dieser zurück, obwohl er wusste, dass nichts gut war. Entweder dieses Monster würde sie alle nehmen oder zum nächsten Haus, indem sich eine Familie mit drei kleinen Kindern befand, gehen und sie vom Leben trennen. Irgendwer müsste sterben. Qualvoll sterben. Und Cohortis wusste, dass es die kleinen Kinder sein würden, weil seine Gruppe jetzt noch nicht untergehen durfte. Jedenfalls nicht, wenn sein Land noch eine Chance haben wollte.
Und tatsächlich hörte das Rütteln auf. Das Monster war weiter gegangen. „Er wird sich die kleinen Kinder nehmen.“, sagte Aeria monoton. „Ja, das wird er.“, meinte Vitalitas traurig und blickte zu Boden. Nur sie drei waren wach. Nur sie drei würden die letzten Herz zerbrechenden Schreie der Kleinen hören. Nur sie würden von den Schreien verfolgt werden. Sie waren heute Nacht die einzige Zeugen seines immer wiederholten grausamen Spiels. Wenn man bloß wüsste, was er wollte! Er würde es sofort bekommen, wenn dadurch keiner mehr leiden musste.
Man würde ihm alles geben. Da war Vitalitas sich sicher.

Wir leben hinter Glasscheiben


Der Morgen kam langsam und schleppend und die Schreie hatten lange gehalten. Zu lange.
Verschlafen rieb Ignis sich die Augen. Sich hatte gut geschlafen. Nichts gehört.
„Beeilt euch mit dem Packen! Wir wollen nicht unnötig länger bleiben.“, rief Voluntas der Anführer. „Komm Fuchsi! Beeil dich!“, hetzte Aqua, ihre Freundin. Fuchsi. Wie Ignis diesen Spitznamen hasste! Nur weil ihr Haar Fuchsrot war!
Nach zehn Minuten hatte Ignis sich umgezogen und stopfte ihren Schlafsack in die dafür vorgesehene Tüte. „Brauchst du Hilfe Fuchsi?“, fragte eine sanfte Stimme hinter ihr. Ignis sah über ihre Schulter, wo Terra stand. Ihr hellblondes Haar fiel ihr locker über die Schultern und sie trug eine verwaschene Jeans und einen dunkelgrünen Pullover von schwarzen Fäden durchzogen.
Ihre Katzen- grünen Augen strahlten eine, zu dieser Zeit nicht sehr oft gesehene, Freude aus und ein leichtes Lächeln schmückte ihre Lippen.
„Komm her.“, sagte Terra und bückte sich zu Ignis, um ihr zu helfen. „Danke.“, meinte diese nur.
„Kein Problem.“, erwiderte Terra und band die oberen Enden der Tüte zu einem Knoten zusammen. Ignis lächelte leicht. Es war nicht mehr viel Freude übrig, aber hoffentlich würde sie bald wiederkehren. „Leute kommt!“, brüllte Voluntas. Seufzend erhoben sich die beiden Mädchen und begaben sich nach draußen zu den anderen.
Es war Frühling. Eigentlich sollte alles blühen und Farben sollt die Welt wie Weihnachtsdekoration einen Tannenbaum schmücken. Doch stattdessen zierte Blut die Straßen und Wälder.
„Gab es gestern Abend Opfer?“, wollte Calidus wissen. „Ja.“, flüsterte Aeria, „Unter ihnen die Familie, die neben uns nach Schutz gesucht hatte.“ Geschockt sahen alle zu dem zierlichen Mädchen. „Woher weißt du das? Du solltest schlafen!“, hakte Voluntas barsch nach. „Wie soll ich schlafen können, wenn Schreie die Nacht einleiten und beenden, wenn Elend in uns lebt, wenn Blut so viel wie Wasser fließt, wenn Herzen versteinern, wenn unser Land stirbt.“, erwiderte Aeria kalt und bissig. So kannte keiner sie, aber alle wussten, dass sie schlau war und stets nur die Wahrheit sagte, nie überreagierte, nur das sah, was Menschen versuchten zu verbergen, so als seien sie blind.
Alle wussten, dass ihr Land starb.

„Nächstes Mal versuchst du zu schlafen.“, entgegnete Albus schroff. Keiner wollte die Wahrheit hören. Manchmal ist der Anschein verträglicher. Einfacher.
Alle fünfzehn machten sie sich endlich auf den Weg. Keiner wusste, wo sie anhalten würden. Keiner wusste, wo ihr nächstes Lager sein würde.
Schweigend stapften sie alle durch die Straße. Hin und wieder gab es ein paar kurze Gespräche.
Die meisten fielen zwischen Flavitas und Voluntas. Er und seine Geliebte stritten mal wieder. Alles schien, wie immer.
„War es schlimm?“, fragte Aqua plötzlich Aeria. Diese zuckte erschrocken zusammen. Sie war es nicht gewohnt von Leuten angesprochen zu werden. Für alle war Aeria immer nur das kleine verwöhnte Mädchen, dass bei der Vernichtung ihrer Heimat übrig geblieben war. Flavitas hatte darauf bestanden sie aufzunehmen. Ihrer Meinung nach war Aeria etwas besonderes.
Außerdem schienen sämtliche Leute in dieser Gruppe zu denken, es wäre Schicksal, dass sie vier Mädchen hatten, die nach den Elementen benannt waren. Als ob sie Glücksbringer wären!
Es war sowieso ein Wunder, dass Aeria noch lebte. Sie war die Tochter des Bürgermeisters gewesen und doch hatte der Mörder sie verschont. Man könnte sich natürlich nun Jahre lang den Kopf darüber zerbrechen, aber alle hatten sich einfach damit abgefunden. Was sollte den an einer verwöhnten Göre schon besonders sein?!
„Was meinst du?“, wollte Aeria zögernd wissen. „Ich meine war die Nacht schlimm? All diese Schreie und so.“, erklärte die Brünette. „Ja.“, antwortete sie monoton. Dazu gab es nichts mehr zu sagen. Aqua nickte leicht. Sie hatte verstanden, dass Aeria nicht darüber sprechen wollte.
„Aqua? Kommst du wieder zu uns oder läufst du heute mit ihr?“, drang ein Ruf zu den beiden Mädchen herüber. Nachdenklich blickte Aqua zu dem schwarzhaarigen Mädchen, die sie schüchtern ansah. Aqua sah sie mit einem aufmunternden Lächeln an „Ich laufe mit Aeria!“, rief sie zurück. Ein Gefühl der Freude breitete sich in Aeria aus. Es hatte noch nie jemand mit ihr laufen wollen.
Sie fand es toll, dass jemand mit ihr sprechen wollte. Und das nicht nur, weil sie beliebt war oder Geld hatte. Nein. Jemand wollte mit ihr sprechen, weil diese Person SIE kennenlernen wollte.
Nicht Aeria Considerastis, sondern einfach nur Aeria.
Das war schön.

Nachts ist man niemals sicher


Mittlerweile hatte die Gruppe einen Wald erreicht. Er war dunkel und leblos. Die Bäume ragten wie Pfeilspitzen in die Luft und ihre Äste sahen so aus, als ob sie einen ruckartig ergreifen würden.
Gruselig.
„Wir werden in der nächsten Lichtung, die wir finden, ein Lager aufschlagen. Einverstanden?“, brach Voluntas die Stille. Jeder nickte nur benommen. Niemand würde ihrem Anführer widersprechen. An ihm hing jedes einzelne Leben.

Impressum

Bildmaterialien: Das Cover ist von der Facebook-Seite: Die Weisheit lief mir nach, doch ich war schneller
Tag der Veröffentlichung: 21.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich suche mir nicht aus, wer ich bin oder in welche Familie ich hineingeboren wurde, aber ich kann mir aussuchen, was ich aus dem mache, was ich habe

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