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Die Flusswanderung



Das Rauschen des Flusses rieselt flüsternd in die Eintönigkeit, die das öde Land überdeckt. Kein Wink einer Regung, eines Tieres oder einer grünen Pflanze, ist weit und breit in dieser leblosen Gegend zu erkennen. Winzig zeigen sich hoch oben am bewölkten Himmel flatternde Vögel, die in ferner Höhe fortziehen.
Den ganzen Tag war Elael in dieser Gegend vorangeschritten ohne ein Lebenszeichen anzutreffen. Ratloser Zweifel haucht den jungen Hirtenhund an.
Ein Schwarm von schwirrenden Stechfliegen fällt über den Hund her. Sein dickes Fell hält sie vor dem Eindringen zu seiner Haut ab. Um seine Augen und um die empfindliche Nase sind sie ihm eine scheußliche Plage. Er überlegt, ob er nicht lieber wieder umdrehen sollte. Das unwirtliche Land scheint alles andere als einladend.
Stille geht schummrig umher, während Elael mit seinem Blick die Ferne absuchend anstrebt, ein Anzeichen zu erkennen, der das Ende des Sumpfgebietes vorgibt.
Ein plötzliches Planschen im nahegelegenen Fluss, veranlasst Elael zu einem Zucken entlang seinem beigen Fell, das von Schlamm verdeckt ist. Der Hirtenhund steckt bauchhoch im matschigen Sumpf.
Seine Beine aus dem Schlamm ziehend, müht sich der Hund mit anstrengenden Schritten watend ans Flussufer.
Am beruhigenden Klang des Wassers, besichtigt er die Forellen, die Hürden von Steinen überwindend, dem fließenden Fluss entgegenspringen.
Die hüpfenden Fische weisen ihn auf, der Richtung folgend, auf der er sich während der ganzen Reise gehalten hatte. Vorsichtig tastet sich Elael vor zum Fluss hinabsteigend und springt mit einem Satz in das erfrischende Wasser. Mit seinem Schwanz lenkt er seinen Körper, während er Flussaufwärts losschwimmt.

Das Land Noahs




Die Hänge an den Gebirgen, die Andolia umrahmen, schimmern bläulich, gleich dem von wogenden Wellen aufbrausenden Meer, glitzernd im Schein der Sonne. Aus der Ferne geben sich die Hügel nicht zu erkennen, denn während bei Tage die breiten Wolken die Gipfel umhüllen, sind die blauen Berge vom Himmel nicht zu unterscheiden und vermischen sich im Horizont.
Zugvögeln sind die blauen Berge bekannt. Sie sind beeindruckt von der aufragenden Herrlichkeit der zwölf Berge, denen Gewässer entspringen, die sich an den Hügeln runterschlängeln. Jeder Bach ist begleitet von einer grünen Umgebung, die sich in den grasigen Tälern von Andolia ausbreiten. Sie gehen in Wäldern auf, aus denen gewaltige Bäume hochragen, als zöge sie die Sonne an sich. Die weit gereisten Vögel halten gerne in Andolia, um sich von den Anstrengungen des langen Fluges zu erholen.
In Andolia heißt es, sei die Arche des Noah bei den blauen Bergen gelandet. Es begann eine neue Ära und die Geburtsstunde von Andolia war geschlagen. Die bläulichen Verfärbungen an den Bergen seien die Spuren der Flut, welches die Arche Noahs auf den Hügeln absetzte.
Dies bildete den Ursprung des Bundes zwischen Mensch und Tier. Seither unterhalten die in Andolia lebenden Tiere und Menschen eine gemeinsame Sprache.
Manche Vögel fanden sich heute in Andolia ein, um hier über Nacht zu verweilen. Sie können sich glücklich schätzen, zu diesem Zeitpunkt vorbeizufliegen, denn die kommende Nacht wird von einem Vollmond begleitet. Die Vorbereitungen sind voller Heiterkeit im Gange, zum Fest des Bundes, das regelmäßig an Vollmond stattfindet.


Arzual, ein Menschenkind, eilt die Wiese abwärts zum Fluss. Seine schwarzen, langen Haare segeln im seicht wehenden Wind. Er schaut sich hastig um und ruft:
»Ursus! Wo steckst Du? Zeige dich!«
Der Braunbär richtet sich hinter einem Brombeerbusch auf und erwidert während er kaut und schmatzt:
»Hier! Hier drüben bin ich!«
Mit beiden Tatzen schiebt sich der Bär weitere Beeren zwischen die Zähne.
Arzual deutet auf den Sonnenuntergang:
»Es ist Abend, lass uns in die Siedlung zurückkehren.«
Der gebräunte Junge, bekleidet mit einem türkisen Gewand aus geschmeidiger Baumwolle, das seinen Oberkörper bis zu seinen Schultern bedeckt und ihm an die Knie reicht, begibt sich zu dem hellfelligen Bären, der den dunkelroten Früchten verfallen ist. Arzual zerrt am Arm des Bären, dessen Aufmerksamkeit völlig auf die köstlichen Beeren gerichtet ist. Der Junge fordert:
»Findest du nicht auch, dass es genug für heute ist Ursus! Heb dir den Genuss auf, morgen geht die Sonne wieder auf. Lass uns heimgehen. Die Heutige ist unsere Nacht.«
Hin und hergerissen, gibt Ursus nach und läuft schluckend mit vollem Mund und geschwollenen Backen, dem vorausgegangenen Jungen hinterher. Der helle Bär bleibt an einem Gestrüpp hängen, purzelt kopfüber, rafft sich wieder auf und holt schließlich Arzual ein. Gemeinsam steigen sie die Weiden aufwärts, in Richtung ihrer weiträumig angelegten Siedlung, die am Bergesrand einem Wald anliegt.
Es ist Tradition in den Familien der Beiden, dass ihr Nachwuchs einen gemeinsamen Bund der Brüderlichkeit eingeht. Die zeremonielle Belobung zur Bindung junger Tiere und Menschen, werden bei Vollmond während der Feier der Freundschaft vollzogen. Schon die Väter von Arzual und Ursus waren verbündet, wie auch ihre Großväter und dessen Urgroßväter.
Heute, am späten Abend, wird die Vereinigung zwischen dem Menschenkind Arzual und Bärenjunges Ursus abgehalten. Die Beiden hatten sich den heutigen Tag schon lange ersehnt. Alle Heranwachsenden in Andolia begehrten einen Verbündeten und endlich war ihre Zeit reif.

Vernarrte Suche




Die Dunkelheit war schon fast eingebrochen, als Elael die Berge erblickte, die sich vor ihm aufrichteten. Der junge Hirtenhund kann sich nicht erklären, woher sie aufgetaucht waren.
Zur Umgehung der Sumpfgebiete, war er den Fluss aufwärts geschwommen. Seit er in das feuchte Sumpfland geriet, hatte er weder Menschen noch Tiere in der unwirtlichen Landschaft getroffen. In der Ferne nahm er nur den Himmel wahr, den ein Heer von Wolken besiedelte. Nach seiner langen Wanderung in diese Gegenden und dem mühsamen Schwimmen im strömenden Flusswasser, stehen nun vor ihm diese Gebirge, die von weitem unsichtbar schienen.
Der Hunger zerrt an ihm, während er sich ausruht. Es war am Tag zuvor, dass ihn Kinder mit Brot fütterten. Die Kinder tollten am Fluss, dessen Verlauf Elael nun schon seit Tagen folgte. Behutsam wollte er an ihnen vorbeiziehen, ohne sie zu erschrecken. Die Kleinen erfreuten sich an seiner Gegenwart und es machte ihnen Spaß, ihm von ihrem Brot abzugeben. Sie kamen nicht in die unmittelbare Nähe des großen Hundes mit dem wuscheligen Fell, sondern warfen ihm die Brotstücke zu, die er sich mit dem Maul in der Luft schnappte. So war er gestärkt, um seinen Weg fortzusetzen. Er ist davon besessen, den Ursprung des Flusses zu finden.
Er bedauert, dass er nicht bei Sumera, der Schäferhündin aus der Nachbarschaft geblieben war und tröstet sich damit, dass er bald wieder bei ihr sei.
Elael wuchs in einem Bauernhof auf. Am Hof, an dem er sein Leben verbrachte, führt der Fluss vorbei. Es ist für ihn üblich, sich mit Sumera im Flusswasser zu baden, zu spaßen und zu ulken.
Das Rauschen des Wassers wiegte ihn durch Tag und durch Nacht. Vom Fluss gebannt, begann ihm Elael zu folgen.
Er überlegte oft, woher er wohl kam. Alles musste seinen Ursprung haben. Genau wie die Herkunft der Fische - das Wasser, aus der sie sich aufspringend zeigen, mussten auch Hunde einem Ort entstammen. Häufig beobachtete er Zugvögel, die ihn aus der Richtung des Flusses überflogen. An den Vögeln konnte er eine Fröhlichkeit wahrnehmen, wie er sie sonst nicht erfuhr. Der Fluss könnte ihn zur Antwort führen, seine eigene Quelle zu entdecken.
Der Drang lässt nicht von ihm ab, zu ergründen, wo der Ursprung dieses Flusses liegt. Er muss die Berge überqueren, aus deren Schlucht der Fluss herführt. Die Strömung ist hier zu stark um schwimmend weiter zu gelangen und am Fluss entlang sind die Hänge zu steil um sie zu bezwingen. Sein Hunger muss gestillt werden und weit und breit gibt es hier nicht den geringsten Anschein, eine Speise zu erlangen. Er nimmt sich vor, die Berge zu besteigen, bevor die Nacht einbricht.
Den mühsamen Aufstieg begleitet inzwischen das Mondlicht. Elael fallen die Sternschnuppen auf, die am Himmel in die Richtung des Gebirges rutschen. Als er den Gipfel erreicht, findet er vor sich Täler erleuchtet in weichem Licht. Er ist verwirrt, sieht sich in die Richtung um, aus der er kam, die sich in der Dunkelheit verhüllt. Nach vorne blickend, staunt er über das Land, welches zwischen den Gebirgen, wie bei einer Abenddämmerung, seicht erhellt ist. Die erleuchteten, pulsierenden Wälder, die von den Berghängen bis in tiefe Täler reichen, verschleiert ein kosender Nebel. Verwundert, steigt er vorsichtig an den Felsen hinunter.
Der Hirtenhund dringt durch den Dickicht eines Waldes in die Ebene am Fuße der Gebirge, als er das Ertönen von Flöten wahrnimmt, die während seinem Voranschreiten zunehmen.
Der Klang von Flöten ist ihm Bekannt. Wie gerne hatte er den Hirten in den Weiden seiner Heimat gelauscht, wenn sie auf ihren Flöten spielten. Neugierig lässt er sich von den Melodien anziehen und folgt ihnen über Wiesen und Weiden. Er vermutet, falls er auf einen Hirten trifft, stehen die Chancen gut, dass er etwas zu essen abbekommt. Bei Schäfern fühlt er sich wohl. Mit ihren pelzigen Kutten, die sie vor der Kälte schützen, gleichen sie den freiheitsliebenden Hunden.
Der schallenden Flötenmusik folgend, erklimmt Elael einen Hügel. An einem Tal vor ihm erscheint eine Masse von Menschen mit Tieren, die in dieser hellen Nacht lachen und tanzen.
Elael kann seinen Augen nicht trauen. Er bleibt auf einer Anhöhe stehen und legt sich ins Gras. Verblüfft verfolgt er im Tal das Geschehen. Seinen Blick schärfend, erkennt er Füchse, Pferde, Ziegen und Gänse, die sich im Kreis bewegen und sehr glücklich aussehen. Riesige Kreaturen befinden sich inmitten der jubelnden Menge. Unter ihnen sieht er Menschen. Männer, Frauen und Kinder die sich mit den Tieren drehen und springen. Es scheint, als würden sie gemeinsam zu der Flötenmusik singen. Elael kann sich nicht entscheiden, ob er sich nun fürchten oder auf Nahrung hoffen soll, die ihm die Menschen spenden. Er beschließt, sich vorerst bedeckt zu halten.

Die Vorhersehung




In Andolia glänzt der Vollmond einen beachtlichen Schein und im ganzen Land herrscht eine durchdringende, laue Helligkeit. Die Vögel zwitschern während der Nacht. Menschen und Tiere bringen Früchte und Nüsse mit und es findet ein großes Festmahl statt.
Plötzlich schweigen die Flöten und eine seltsame Stille geht über das Land ein. Unter den Feiernden tritt ein Hirsch hervor auf eine Erhöhung, der sein majestätisches Geweih auf seinen Rücken legt und in den klaren Himmel schaut. Mehrere funkelnde Sterne stehen wie gemalt in einem Ring um den Mond.
An zwölf umringenden Stellen im Tal werden knisternde Feuer entfacht, deren Flammen mit blitzenden Funken zu den Sternen aufsteigen. Nach und nach umkreist die gewaltige Ansammlung den Hirsch. Die anwesenden Tiere und Menschen setzten sich auf den Boden.
Mytho, der alte Hirsch, ruft die Namen Arzual und Ursus. Das Kind und der Braunbär erheben sich und stellen sich zu dem Hirsch, den am Unterkiefer unter seinen Lippen, abstehende weiße Haare verzieren, als wär ihm ein Bart gewachsen. Mytho läßt die Beiden einen Schwur ablegen, sich in ewiger Brüderlichkeit treu zu bleiben. Arzual und Ursus geben ihr versprechen und werden von dem Hirsch gesegnet. Anschließend steht die Menge wieder auf. Tiere und Menschen liegen sich in den Armen, während sie Ursus und Arzual gratulieren und ihre Glückwünsche zurufen.
Mytho bittet darum, dass sich die Ältesten von Andolia bei ihm einfinden. Ältere Menschen, Elefanten, Affen, eine Giraffe, Wasserbüffel und weitere mancherlei Tiere gesellen sich zu Mytho, während der Hirsch mit seiner Auslegung beginnt.
»Freunde, diese Vollmondnacht ist die glanzvollste aller Nächte, die erfreulichste aller Feste. Seit Generationen wurden unsere Weisheiten weitergegeben und dieser Moment von unseren Vorfahren erwartet. Die heutige Nacht setzt den Beginn einer neuen Epoche. Die Sterne stehen in der Konstellation, wie sie seit vielen Zeiten vorhergesehen wurden. Die Versöhnung aller Lebewesen auch außerhalb von Andolia ist nahe.«
Tuga, die Schildkröte möchte sich vergewissern:
»Mytho, wir respektieren deine Ansichten und deinen Rat. Keiner zweifelt je an dir. Doch ich kann mir die Frage nicht verkneifen. Bist du dir sicher mit dem, was du bekannt gibst?«
Mytho, blickt Tuga tief in die Augen und stellt fest:
»Die Sterne sind sich einig Tuga, es ist soweit. Der Vorhergesehene aus den geerbten Weissagungen, ist bereit für seine heiligen Aufgaben.«


Elael kann es kaum abwarten, während sich die Feier auflöst und die Ebene verlassen wird. Sachte steigt er hinab. Im hinabgeworfenen Schein des Vollmondes leuchtet sein beiges Fell in einem goldenen Schimmer.
Der Hund genießt die Köstlichkeiten die von den Feiernden zurückgelassen wurden. Im Geschmack und im Duft übertreffen die gebratenen Pilze alles was Elael bisher verzerrt hatte. Er ist sehr angetan von der Marmelade aus einem Krug. Satt gegessen, steigt er ein Stück am Berghang hinauf, um sich an einem Baum hinzulegen. Die Vorkommnisse im Tal beschäftigen ihn eine Weile, bevor er im Anblick der Sterne in den Schlaf versinkt.


Durch einen Aufschlag auf seinem Hinterkopf schreckt Elael auf. Es folgen weitere leichte Schläge auf seinen Körper. Der Hirtenhund schaut sich um und sieht nur die Blumen, deren bunte Farben, trotz der hellen Nacht, ihm nicht auffielen, in ihrer Pracht in der sie aus den Gräsern ragen. Er war wohl zu arg abgelenkt. Und noch einmal spürt er etwas auf seinem Rücken aufschlagen. Da bemerkt er ein Eichhörnchen, das ihn mit Haselnüssen bewirft. Er springt auf und ruft hoch in Richtung der Baumzweige, von wo aus Flinki das Eichhörnchen die Nüsse schleudert und ihn frech belächelt.
»Nun hör schon auf damit du kleine Baumratte. Das kann ins Auge gehen.«
Elael nähert sich dem Baumstamm und bellt aufgeregt nach oben. Mit ein paar Sätzen klettert Flinki sich davonmachend auf die Äste, springt auf die nächsten Bäume und macht sich aus dem Staub.


Aufsteigende Zugvögel drehen ein paar Runden und fliegen sich warm, bevor sie ihre lange Reise auf ihrer Route fortsetzen. Der alte Hirsch Mytho reibt mit seiner Hufe an Blättern auf einem Gestein und vermischt sie mit Kräutern, die er mit seinem Gebiss dazu fügt. Plötzlich befindet sich Flinki auf seinem Kopf und klettert unruhig auf dem Geweih des Hirsches. Bevor Mytho begreift was vor sich geht, steht das Eichhörnchen auf der Nase des Hirsches, ihm eine Benachrichtigung verdeutlichend.
Die Lippen des alten Mytho formen sich zu einem leichten Lächeln. Er befragt das Eichhörnchen:
»Beschreibe mir sein Aussehen.«
Flinki berichtet:
»Es trägt das Fell eines Schafes und hat den Maul eines Wolfes.«
Myhto horcht gespannt. Flinki beschreibt weiter:
»Ich konnte es nicht verstehen. Es gab eine hallende Stimme von sich, aber ich verstand seine Sprache nicht.«
Mytho neigt seinen Kopf und vertieft sich in seine Gedanken. Es dauert nicht lange, bis die Ältesten Mytho aufsuchen. Die Schildkröte Tuga fragt:
»Mytho, die Nachricht hat die Runde gemacht, dass einem Eichhörnchen ein Tier erschien, wie es noch nie gesehen wurde. In Andolia befindet sich jemand, dessen Art uns unbekannt ist. Sollten wir in Sorge sein?«
Mytho erwidert ihm:
»Es ist nicht das erste Mal, dass wir einer neuen Art begegnen, die sich nach Andolia verirrt. Die vor Jahrhunderten aufgenommenen Katzen waren eine Bereicherung für unsere Kultur. Auch sie waren unseren Vorfahren vorher unbekannt. So lange keinem Schaden zugefügt wird, gibt es keinen Grund für Unmut. Unsere Neugier wird bald Befriedigung erlangen.«
In Diskussionen verstrickt, gehen die Ältesten davon und Mytho setzt seine Tätigkeit mit den Blättern, Kräutern und Wurzeln fort.


Arzual ist bei seinem Großvater hinter seiner Hütte und arbeitet an einem Vogelhäuschen. Vali, die Nachtigall, bat um ein Häuschen, dass auf der Erde aufgestellt werden soll. Er wünscht sich der Rose näher zu sein, in die er verliebt ist. Sie freuen sich, wenn Vali in ihrer Nähe wohnt, denn er singt fabelhaft. Sie bringen Stelzen an, damit das Häuschen in der Höhe der Rosenbüsche stehen kann. Das Vogelhäuschen ist schon fast fertig, als Ursus nervös bei ihnen auftaucht. Er ruft hastig:
»Arzual! Arzual! Hast du schon gehört? Hast du schon gehört?«
Großvater und Arzual halten inne und mustern den Bären verständnislos.
Großvater fragt Ursus:
»Was ist denn mein Junge, was hat dich so aufgebracht?«
Ursus antwortet schnaufend:
»In Andolia treibt sich ein Unwesen rum. Ja, ein Monster. Die Leute sprechen von einem Ungeheuer, das bedrohliche Töne von sich gibt. Sein Schreien hämmert sich in die Ohren, wenn man sich in seiner Nähe aufhält. Es ist Vorsicht geboten. Auf der Hut müssen wir sein!«
Großvater macht sich eilig auf, um sich bei den Ältesten zu erkundigen, während Arzual ungeduldig seinen Verbündeten Ursus zu den Neuigkeiten befragt.

Die Ermittlung




Mit Begeisterung vergnügt sich Elael in der bunten Landschaft, die ihm zu Füssen liegt. Blumen und Schmetterlinge in unbekannter Schönheit schmücken die Umgebung, deren Harmonie ihn entzückt. Er versucht den Verlauf des Flusses aufzufinden und zieht abwärts mit der Hoffnung, das ihm vertraute Wasserrauschen zu entdecken. Bald vernimmt er das frische Brausen des fließenden Gewässers.
Er wandert am Ufer und stockt bald. Der Fluss gabelt sich in zwei Richtungen. Er beschließt dem dickeren Zulauf des Flusses zu folgen. Die Gabelungen häufen sich und der von ihm verfolgte Fluss verwandelt sich weiter in Verzweigungen von Bächen, die gemäßigt von den Höhen der Berge abfließen. Leichte Verzweiflung beginnt an dem Hund zu nagen. Er stimmt sich weiterhin ein, entgegen dem stärksten Bach zu gehen.
Schlabbernd trinkt er vom erfrischenden Wasser und reinigt kratzend und leckend sein weiches Fell. Er legt sich in die Sonne um sich zu trocknen und ruht sich gemütlich aus. Über ihm bemerkt er einen langhalsigen Vogel, der in der Höhe kreist und schließlich sich entfernend seine Flügel schlägt.
Der Storch stattet Mytho einen Besuch ab. Der Hirsch freut sich über die Anwesenheit:
»Leyle, wie schön dich zu sehen. Du bist wieder in Andolia? Was gibt es neues aus der Welt da draußen?«
Mit ausgebreiteten Flügeln entgegnet der Storch:
»Die Gebäude der Menschen werden höher, während die Wälder abnehmen. Also nichts Neues.«
Mit dem Geweih schüttelnd, vergeht Mytho das Lächeln. Der Storch redet weiter:
»Mytho, ich vernahm die Unruhe in Andolia, über jemanden Fremden der sich hier rumtreibt. Ich kenne seine Art von meinen Ausflügen. Dieses Tier ist ein Hirtenhund. Hunde sind Verbündete der Menschen. Sie gelten ihnen als Freund und Beschützer.«
Mythos Blick glänzt nun, den er auf den Storch richtet. Er sagt lächelnd:
»Dies ist eine erfreuliche Nachricht. Von Hunden kenne ich nette Erzählungen. Kannst du ihn bitte weiterhin im Auge behalten, bis wir erfahren was ihn nach Andolia verschlägt.«
Leyle nickt dem Hirsch zu und mit einem kurzen Anlauf erhebt er sich in die Lüfte.


Arzual und Ursus unterhalten sich mit ihren Freunden, dem rothaarigen Mädchen Gizil und ihrem Verbündeten Resa, der Bergziege.
Resa die Ziege springt auf der Stelle auf und ab und sagt:
»Das Ungeheuer kann sich in ein Schaf verwandeln und im nächsten Moment sieht es aus wie ein Wolf.«
Arzual spricht mit ernster Stimme:
»Übertreib mal nicht Resa, jeder erzählt etwas anderes über das Fremde. Du hast es nicht gesehen. Wenn es gefährlich wäre, würden die Älteren keine Ruhe bewahren.
Ich meine, wir sollten uns auf die Suche machen und es finden.«
Verwirrt schaut ihn Gizil an und fragt:
»Wen meinst du mit uns? Die Gemeinde?«
Arzual antwortet:
»Die Rede ist von mir und von denjenigen unter uns vieren, die mich begleiten wollen.«
Ursus, der verträumt auf dem Rücken liegt sagt seinen Kopf aufrichtend:
»Unsere Eltern wären nicht dafür. Dagegen wären sie. Doch werde ich dich begleiten, wohin auch immer. Ich bin bei dir.«
Arzual schaut zufrieden zu Gizil und Resa. Er spricht:
»Wir könnten zu Helden werden. So wie in den Legenden aus Mythos Erzählungen. Auch wir würden noch nach langer Zeit in Geschichten vorkommen. Wir könnten herausfinden, was das Wesen nach Andolia führt und wie seine Absichten sind.«
Unsicher stimmen Gizil und Resa zu.
Resa hat die Idee, in höheren Gegenden Ausschau zu halten, wo sie das Land im Blick haben. Sie machen sich auf den Weg zu dem nächstgelegenen Berghang.

Das Erwachen




Gemütlich geht Elael an seinem rieselnden Bach entlang, immer höher an einem Hang steigend. Die bezaubernden Düfte der farbenfrohen Blumen versöhnen ihn mit seiner Einsamkeit. Wenn doch Sumera das alles miterleben könnte. Er kaut kostend von den saftig grünen Blättern der Pflanzen, deren Art er vorher nie gesehen hatte. Er war früher oft mit seinem Herrchen unterwegs auf Wanderungen. Doch die Vielfalt an Pflanzen und Bäumen, denen er hier begegnet, sind ihm neu.
Er führt sich sein Herrchen vor Augen. Ob er besorgt ist? Er war nun schon über Nächte nicht zuhause. Sein Herrchen war gewohnt dass Elael häufig spät zuhause ankam. Doch nächtelang war der Hirtenhund nie aus.
Auf einem Klippenrand stehend, genießt Elael die herrliche Aussicht auf das wunderschöne Land, mit seinen Wäldern und Weiden, dem fließenden Bach, wie er an kleinen Wasserfällen die Felsen durchläuft. Er kann nun die Fröhlichkeit an den Vögeln nachvollziehen, die von diesem Land aus über ihm hinwegzogen. Er schätzt sich glücklich über seinen Aufbruch zu dieser Reise.


Die Ziege Resa springt am Hang von Stein zu Stein, und hält plötzlich still. Sie streckt ihren Hals aus, hält inne und ohne ihre Freunde anzusehen warnt Reza um Unauffälligkeit bemüht:
»Halt! Bleibt stehen! Ich glaube, wir stecken in der Klemme.«
»Was hast du?« fragt Arzual.
Gizil und Arzual bücken sich und schleichen zu Resa. Sie starren auf das vierbeinige Tier im Schafspelz. Langsam schreiten sie vor, um es sich genauer anzusehen. Ursus eilt ihnen voraus und stellt sich vor sie. Er bittet sie nicht weiterzugehen, da er nicht möchte dass sie sich in Gefahr begeben. Rückwärts stellt er sich vor die Kinder und hebt seine Arme hoch. Er will sie nicht an sich vorbei lassen. Die Kinder schubsen ihn, doch er versperrt ihnen den Weg.
Elael spitzt sein Gehör und dreht sich zu den Geräuschen hinter ihm. Ihn überkommt Panik, als er eine Baumlänge vor sich den aufgerichteten Bären sieht, der von anderen Geschöpfen hinter ihm vorgeschoben wird und mit den Armen zappelt. Der Bär stolpert und fällt in Elaels Richtung, während der Hirtenhund aus Reaktion zurückweicht.


Das Mädchen Gizil hält sich mit beiden Händen am Kopf, von dem ihre roten, gelockten Haarsträhnen auf den hellen Teint ihrer zarten Schultern herabfallen und Tränen füllen ihre blauen Augen, als sie den bewusstlosen Hund im Abgrund auffinden. Elael war am steilen Hang runtergestürzt und auf die Zweige eines jungen Baumes gefallen, bevor er auf der Erde aufschlug. Er liegt regungslos da. Die peitschenden Zweige auf die er prallte und die ihn mit ihren Spitzen streiften, hinterließen kräftige Spuren. Er gibt ein ziemlich mitgenommenes Bild ab.
Für die Kinder sieht die wollige, mit eleganten Formen ausgestattete, schöne Gestalt, nicht nach einem Ungeheuer aus. Sie begreifen den Vergleich, den die Leute aus der Gemeinde vollziehen, mit dem weichen Fell eines Schafes und dem Ähneln eines Wolfes.
Die Hilfsbereitschaft der Vier siegt über ihre Furcht und auf dem Rücken von Ursus tragen sie den Hund in die Siedlung. Die Kinder halten Elael fest, während Ursus mit dem Verletzten auf seinem Kreuz vorwärts hetzt. Resa springt immer und immer wieder vor sie und mahnt oft, das Wesen könne erwachen. Doch die anderen setzen betroffen und hastig ihren Weg fort.
Mytho ist bereits vom Storch Leyle benachrichtigt. Als die vier mit Elael ankommen, hat sich die Gemeinde versammelt. Ursus und die Kinder stellen den verkratzen und mit Erde und Moos im Fell bestickten Hund ab, inmitten der glotzenden Menschen mit verschiedenen Haar und Hautfarben und in allen möglichen Größen beäugender Tiere. Mytho untersucht den weggetretenen Hirtenhund.
Die Schildkröte Tuga taucht aus der Menge und spricht zu dem Hirsch:
»Weiser Mytho, du gehst doch nicht davon aus, dass dieses Wrack eines Geschöpfes der Berufene sein soll.«
Der Hirsch verlautet:
»Der Unglückliche repräsentiert ein Tier.« Ein Raunen geht durch die Menge, die den weggetretenen Hund bestaunt. Beruhigend sagt Mytho:
»Ängstigt euch nicht. Seine Spezies ist den Menschen eng verbunden. Er braucht unsere Hilfe. Ich möchte den Verwundeten behandeln.«
Mytho beauftragt jugendliche Menschen:
»Bringt mir den Verletzten in die Wellenhöhle.«
Der Hund wird in einer Höhle auf einen mit Stroh bedeckten Stein gelegt, der sich in der Mitte des Raumes befindet.
Angestrengt öffnet Elael die Augen und sieht verschwommen den Hirsch mit dem gewaltigen Geweih und einen alten Mann, die ihn anstarren. Er richtet sich mühevoll auf seine Vorderpfoten, schaut sich weiter um und betrachtet die Kinder und den Bären die ihn umstellt haben. In der Aufregung verliert Elael erneut das Bewusstsein und fällt wieder seitlich um.
Der Großvater von Arzual geht dem Hirsch zu Hand und benetzt die Wunden von Elael mit den Gemischen aus den Pflanzen, die Mytho verordnet hat. Leyle empfiehlt vom Höhleneingang aus, außer dem Großvater mögen alle die Höhle verlassen, damit der Hund sich nicht bedroht fühle.
Elael kommt langsam zu sich, während der bärtige Großvater, der seine langgewachsenen, grauen Haare nach hinten gebunden trägt, mit einem Baumwolltuch die Wunden versorgt und ihm mit einer Holzschale Wasser ins Maul zuführt. Großvater schmiert mit dem Tuch weiterhin von den Extrakten bestimmter Pflanzen auf die Schürfungen, die zur Heilmedizin von Mytho gehören. Die Güte spürt Elael und lässt es über sich ergehen.
Es fällt dem Hund schwer seine schmerzenden Hinterbeine zu bewegen. Der Großvater streichelt das Fell am Nacken von Elael, als Mytho sanft ins Innere der Höhle schreitet. Der Großvater und der Hirsch betrachten die Wunden und sind sich einig darüber, dass der Hund bald wieder gesundet. Elael beobachtet die Beiden, wie sie sich gegenseitig anzwinkern, Geräusche von sich geben und rhythmisch mit den Köpfen wackeln. Dem daliegenden Hund entgeht nicht, dass sich der Mensch und der Hirsch verstehen. Tief einatmend versucht der Hund Ruhe zu bewahren.
Der Großvater entzündet ein Feuer, um die Höhle über Nacht zu wärmen. Die beiden Alten wachen über den schwachen Hund.
Sachte betreten Arzual und die weinende Gizil die Höhle, während sie vor sich hinmurmeln, dass sie die Schuld an dem Unglück tragen. Unter Gewissensbissen blicken der Bär und die Ziege von außen in die Höhle hinein. Ursus meint:
»Ein Glück, dass nichts gebrochen ist. Er ist tief gestürzt, er muss wohl über einen fleißigen Schutzengel verfügen. Oh ja, eine schützende Hand muss ihn vor schlimmerem bewahrt haben. Glück hatte er.«
Gizil setzt etwas zu essen neben Elael und möchte ihm ausdrücken, wie Leid es ihr tut.
Mytho klärt die Kinder auf:
»Er versteht euch nicht«
Der Hirsch wünscht:
»Es ist spät, ihr solltet jetzt nach Hause gehen.«
Die Kinder verlassen mit hängenden Köpfen die Höhle.


Nachts weckt Mytho den Großvater Arzuals, der auf etwas Stroh eingenickt war. Der Hirsch bittet Großvater, den am Halse von Mytho gebundenen und unter seinem Fell verborgenen Beutel abzunehmen. Mytho sagt zum Großvater:
»Dies ist ein Gemisch von den Orchideen, wie sie nur in Andolia wachsen. Lass ihn bitte eine geringe Menge davon aufnehmen.«
Der Großvater entnimmt verwundert von dem Gemisch, richtet den Kopf von Elael auf und füttert den benommenen Hund mit den wohlriechenden Blüten.
Müde legen sich der Hirsch und der Großvater hin, um sich auszuruhen.
Bald spürt Elael seinen Körper nicht und beginnt im wachen Zustand in einen Traum zu fallen.
Bildliche Erinnerungen steigen Elael auf, wie er als Welpe von seinem Herrchen umsorgt wird. Er rennt durch die Felder seiner Heimat. Die hübsche Nachbarshündin Sumera erscheint ihm. Er sieht sich mit ihr herumtollen. Der Traum wendet sich und er vernimmt die Höhle in einem schrillen Hellblau, als wäre die steinige Gruft durch Wellen durchflutet. Tiefer taucht er in den Traumzustand, der ihm sehr lange vorkommt. Die Erscheinungen bekommen düstere Züge und ein grauer Wolf kommt zum Vorschein. Der Körper Elaels zittert und sein Fell wird von Schweiß durchnässt.
Die Morgendämmerung wirft seine ersten Strahlen in die Höhle, als Elael von seinem Schlaf erwacht. Großvater steht bei ihm und sieht ihn sich an. Mit Bewegungen seines Kopfes und des taktvollen öffnen und schließen seiner Augen, versucht der Großvater dem erschöpften Hund, Sicherheit zu vermitteln:
»Es geht dir schon viel besser. Du wirst schon wieder Junge.«
Elael entgegnet:
»Die Schmerzen haben nachgelassen, doch die Träume waren ziemlich anstrengend.«
Als der Hund antwortet, ruckt dem alten Mann der Kopf erstaunt mit großen Augen vor. Verwirrt schaut Großvater zu Mytho, der sich streckt und renkt. Der Hirsch blickt gediegen der aufgehenden Sonne am Höhleneingang entgegen und gibt von sich:
»Die überlieferten Rezepturen unserer Ahnen bewirken Wunder.«
Elael richtet sich langsam auf und bestaunt die Höhlenmalereien, die er vorfindet, die Darstellungen von Menschen und vielfältigen Tieren beinhalten. Bilder, die von flutendem Wasser und aufragenden Wellen handeln, überziehen die Wände. Die Zeichnungen blinken im Leuchten des Feuers und die gemalten Figuren scheinen sich im Flackern der Flammen zu bewegen.
Der Hund frägt, was es mit den gemalten weißen Wesen und den verschwommen dunklen, schattenähnlichen Gestalten auf den Höhlenwänden auf sich hat. Mytho nennt ihm:
»Die edlen Melem sind die weißen. Die Dunklen nennt man Haiyin.«
Elael erkennt ein Zeichen eines Kreises umringt von zwölf Sternen. Er denkt laut:
»Dieses Abbild des Vollmondes und der Sterne, erschien mir in meinen Träumen der heutigen Nacht.«
Mytho gefällt diese Bemerkung und er sagt:
»Sehr lange schon, wird auf diese Begebenheiten gewartet.«
Zuversichtlich bestellt der alte Hirsch kräftige Menschensöhne zu sich, die Elael auf einer Liege in die Siedlung befördern.
Der Hirsch lässt dem Hirtenhund einen überdachten Schlafplatz einrichten, damit er bequem ruhen kann und wieder zu Kräften kommt. Mytho verordnet dem verletzten Hund viel Obst. Elael ist hocherfreut, als er von der leckeren Marmelade bekommt.

Nette Bekanntschaften




Arzual, die rothaarige Gizil, Ursus und die Bergziege Resa kümmern sich um den heilenden Hund. Sie werden rasch zu Freunden. Auf deren Anfrage kann er ihnen seinen Namen nicht nennen. Wenn er von seinem Herrchen gerufen werde, erkenne er dessen Laute, die für den Hund gelten. Doch so herbeigeholt könne es ihm nicht gelingen den Namen aufzuführen, da sein Herrchen und er sich untereinander nicht mitteilen können. Doch einen eigenen Namen besäße er zweifellos.
Elael kann es noch nicht fassen, dass er die Augen, Kopf und Lippenbewegungen beherrscht, sich mit den Bewohnern von Andolia zu verständigen. Die erzeugten Tonfolgen seiner Stimme sprudeln aus seiner Schnauze, sobald er etwas mitteilen möchte. Er erinnert sich oft an den im Traum erschienen grauen Wolf, der ihm die Sprache der Körperbewegungen und die dazu gehörenden Geräusche lehrte.
Großvater versorgt regelmäßig die Wunden des Hundes mit den Heilpflanzen. Elael leckt ihm jedes Mal aus Dankbarkeit an den Händen und zwischendurch auch am Gesicht des freundlichen Mannes. Es dauert wenige Tage, bis Elael wieder ungehindert zu laufen beginnt. Er lernt nach und nach die Gemeindemitglieder kennen, die Menschen und die artenreichen Tiere. Er beobachtet gerne die grundverschiedenen Lebensweisen der differenten Tiere, die in Andolia vertreten sind.
Mytho befasst sich nun häufig mit Elael und führt ihn durch die Landschaft von Andolia.
Sie besichtigen den weißen Wald und Elael riecht die Salzablagerungen in der Umgebung. Er beobachtet wie der vorüberziehende Wind das pulvrige, kristalline Salz über die Bäume zerstreut und mit weißem Glitzern überdeckt. Der Duft des schillernden Salzes der in der Luft hängt, erinnert an das Meer, dem der Hirtenhund während einer Reise mit seinem Herrchen an einer Küste begegnete.
Elael erkundigt sich bei dem Ausflug über die Träume in der Höhle, und über die Blüten, die er von Arzuals Großvater verabreicht bekam. Mytho erklärt ihm, dass in Andolia über lange Zeiten hinweg wertvolle Geheimnisse gehütet werden, die für die Zukunft aller Leben eine bedeutende Rolle spielen. Die Blüten, die den Hund in die lehrenden Träume führten, gehörten dazu.
Der Hirsch erzählt ihm die Gründung von dem Land Noahs. Er führt weiter aus, dass die Gemeinde regelmäßig den Standort ihrer Siedlung in Andolia wechselt. Somit verhindern sie eine Überlastung der bewohnten Natur. Der Hirsch berichtet, dass in Andolia jeder Bewohner lernt, seiner Talente bewusst zu werden, welchen er sich zuwendet und seinem Nächsten zum vorteilhaften Nutzen bietet. In dieser Form gedeiht das Beisammensein in der Gemeinsamkeit und das Gleichgewicht mit der Natur bleibt erhalten.
Elael schnappt die Lehren von Mytho begeistert auf. Als die Beiden mitten im weißen Wald stehen, rieselt es plötzlich Salznebel von den weißschimmernden Bäumen, wie aufwirbelnder Schnee. Durchsichtige, glanzvolle Wesen steigen aus der Erde auf, die leuchtend Hell erscheinen. Glanz und Glitzern gehen von ihnen aus. Mit offenem Maul gafft Elael den umhergleitenden, blütenweißen Wesen nach, die einen wohligen Strahl von sich geben. Der Hirtenhund vernimmt ihre Herzlichkeit. Er hört liebliches, schmunzelndes Kichern von mehreren Richtungen, die sich in ein leises Echo verwandeln und abnehmen, bis sie sich gemeinsam mit den weißen Erscheinungen aufsteigend in Luft auflösen.
»Was war denn das Herrliches?« fragt Elael.
»Wovon sprichst du?« entgegnet Mytho.
»Na von den durchsichtigen, weißen Wesen die gerade um uns tanzten« sagt Elael noch immer begeistert.
Sprachlos bleibt Mytho stehen, richtet sein Blick auf Elael und seinen Haupt neigend starrt er den Hirtenhund staunend an, als würde er durch ihn hindurchschauen. Seine Augen leuchten im Anblick Elaels, während sich dem Hirsch die Haare am Fell aufrichten. Verwundert dreht Elael sein Kopf schief und starrt Mytho forschend an und fragt:
»Was hab ich denn gesagt?«
Abwesend und einen überraschten Eindruck gebend, bestimmt Mytho mit einer geheimnisvoll gestimmten Stimme:
»Die Wesen, von welchen du vermutlich sprichst, werden die Melem genannt, die Getreuen der Liebenden. Sie sind Lichtwesen, die in der Erde hausen. Ihr Bemühen ist es, die Herzen aller Lebenden in Reinheit zu bewahren. Es ist von unseren Ahnen überliefert, die gütigen Melem mögen es gerne, häufig den weißen Wald zu besuchen.«
Der Hirsch weist dem Hund den Weg zurück in die Siedlung.

Der Ruf der Heimat




Gizil, Arzual, Ursus und Resa zeigen Elael den Meteoriten, der in einem tiefen Tal in einem riesigen Krater liegt. Der dunkle, kantige Felsen steht inmitten der grünen grasigen Fläche alleine da, umgeben von einem rötlichen Gewässer. Das Gestein in der Größe zweier ausgewachsener Elefanten glänzt und glitzert, wie wenn es Sterne im Inneren aufbewahren würde.
Die Kinder führen Elael zum geschätzten Wunschbaum, der einsam auf einem Hügel seine Herrlichkeit vorführt. Bunte Stofffetzen hängen an den Ästen. Die Kinder klären ihn auf, über die Vorgehensweise in Andolia, ein Stück eines Baumwollstoffes an den Baum zu hängen und sich etwas zu wünschen.
Gizil reißt sich von ihrem Umhang ein Stück des grünen Stoffes ab und Arzual klettert gewandt auf den Baum, um es für Elael an einen Ast zu hängen.
Dem Jungen, der um die Äste schwingt, jammert Ursus mit verängstigter Stimme nach:
»Pass bitte auf, sei Vorsichtig!«
Darauf entgegnet Arzual mit gereiztem Ton.
»Hör auf mich zu belehren!«
Der Bär beobachtet jede Bewegung des Jungen, der sich auf dem Baum zu schaffen macht, mit Sorge.
Beschwingt fordert Gizil den Hirtenhund auf:
»Wünsch dir etwas!«
Mit geschlossenen Augen hebt Elael seinen Kopf aufwärts in Richtung des Baumes und lässt seinen Wunsch in seinen Gedanken aufkommen. Die Stofffetzen in Rot, Gelb, Blau und weiteren stechenden Farben, wehen mit dem aufkommenden Wind umher.



Am Abend will Elael dem Gewünschten nachhelfen und sucht Mytho auf. Er findet den alten Hirsch in der Nähe der Wellenhöhle, als der sich in der Umgebung nach Kräutern umsieht. Mytho begrüßt ihn freundlich, während er weiterhin den Boden nach Pflanzen erforscht.
Der Hund deutet auf einen naheliegenden Bach:
»Woher stammen diese Gewässer? Ich versuche es zu ergründen, doch das Aufkommen des brausenden Wassers verliert sich in den höhergelegenen Gesteinen.«
Mytho entgegnet:
»Schau da in Richtung Sonnenuntergang. Siehe dort die gewaltige, schneeüberdeckte Bergspitze.«
Elael sieht in die Richtung und vernimmt in der Ferne die Umrisse des Berges, der um einiges höher wacht, als die umgebenden blauen Berge.
Mytho setzt fort:
»Der Berg Arat. Die Gewässer stammen von diesem Gebirge. Dort wurde das Schiff mit unseren Ahnen vor langer Zeit abgesetzt, nach dem alle bestehenden Landschaften von einem heftigen Regen überdeckt waren. Am Berg Arat sitzen die Quellen dieser aufkommenden Gewässer.
Nachdem das Hochwasser abgeklungen war, entdeckten unsere Ahnen in einer Vollmondnacht die Vorzüge, des von den blauen Bergen beschützten Ortes, inmitten der restlichen Umgebung, die von Schlamm übersät war. Sie entschieden sich, auf dieser fruchtbaren Ebene mit ihrer vielfältigen Pflanzenwelt anzusiedeln. Die Lebensbedingungen waren günstig durch die in Andolia hinabfließenden Bäche, die sich zu einem Fluss bilden, der über weite Gegenden reicht, um sich mit den Meeren zu vereinen.«
Elael kommen die Zeichnungen aus der Höhle in den Sinn, von dem Abbild eines weiß gezeichneten Berggipfels, an dem ein bräunlich dargestelltes Bauwerk gemalt war, aus dem Menschen und Tiere stiegen. Dies musste das Schiff aus der frühen Vergangenheit gewesen sein, von dem man in Andolia so gerne spricht, denkt er.
Nun kennt er die Quelle des Flusses. Er hat nun ein ungutes Gefühl, denn seine Zuversicht, seine eigene Herkunft zu bestimmen, nimmt ab.
Mit seiner tiefen, behaglichen Stimme erzählt der Hirsch dem Hund:
»Genau hier ist unser aller Ursprung. So wie eine Frucht vom Baum fällt, entspringen wir alle diesem Ort.«
In Elael kommen Glücksgefühle hoch.
»Durch die Blüten die du eingenommen hast, wurdest du zu deinen Ahnen geführt, die dich lehrten. Auch sie stammen aus Andolia.«
Des Hundes Freuden setzen wieder ab. Elael fragt entsetzt:
»Ein Wolf ist mein Vorfahre?«
Der Hirsch entgegnet ihm:
»Du solltest deine Ähnlichkeit zu deinen Vorfahren in Betracht ziehen. Wenn du es genau nehmen willst, sind wir alle verschiedenen Lebensarten miteinander verwandt.«
Sanfmütig setzt Mytho nach:
»Du wirst das alles verstehen lernen.«
Der Hirsch senkt seinen Hals und rupft mit seinen Zähnen an Blättern einer Pflanze, die sich aus der steinigen Erde erstreckt. Die gesammelten Pflanzenteile häuft er in seine Brusttasche, die um seinen Rücken geschnallt ist.
In Gedanken versunken verabschiedet sich Elael. Als er an der Wellenhöhle vorbeikommt, wirft er einen Blick hinein. Unter den spärlich einfallenden Sonnenstrahlen, lässt er sich von dem Anblick der kunstvollen Wandmalereien faszinieren.
Er verlässt die Höhle und trabt verträumt am Hang entlang, als er von der Höhe beobachtet, wie unfern auf einer schrägen Weide, sich ein Stier in einem befremdlichen, holzbraunen Kasten befindet, der in geringem Abstand über dem langgewachsenen Gras schwebt. Das Vehikel erinnert Elael an das Fahrzeug von seinem Herrchen, mit dem der Hund gerne unterwegs war, wobei er eine tolle Aussicht auf die Landschaft geboten bekam. Ein Kranich steht auf dem Nacken des Stiers und redet auf ihn ein.
Durcheinander in seinem Gemüt, steigt Elael abwärts ins Tal, der die Siedlung umgibt. Er bleibt auf einer Wiese stehen und legt sich ins Gras. Verstört versucht er seine Erkenntnisse zu bearbeiten. Eine Weile ruht er auf seinem Rücken liegend und in Gedanken versunken betrachtet er den Himmel.
Plötzlich sieht er etwas über seinem Bauch huschen. Gleich nochmal flitzt eine Gestalt über seinen Körper hinweg. Er springt auf um der Sache auf den Grund zu gehen. Erstarrt erblickt er die Wolfskinder, die jaulend umheralbern.
Der Hirtenhund neigt sich wieder aufs Gras und beobachtet die kleinen Wölfe beim Spielen. Er sagt sich:
»Ich habe meine Abstammung erreicht. Mein Wunsch ging in Erfüllung«
Sein Leben lang hatte er also die Intuition mit sich getragen, Wölfe abzuwehren. Die Art seiner Ahnen nahm er als Feind an, um den Mensch samt seinem Grund und Boden vor den Wölfen zu beschützen.
Schon bald fängt das Herumtollen der Welpen an, den Hirtenhund in seiner getrübten Verfassung zu erfrischen und zu beleben. Die Freuden der Kinder muntern Elael auf und stimmen ihn zum Lachen.
Von einem Moment zum anderen sackt ein Körper neben ihn und ein Klopfen auf die Schulter schüttelt Elael durch. Wie überfallen schaut der Hund zur Seite auf die rothaarige Gizil, die ein hellblaues Tuch um ihre Stirn trägt. Sie ließ sich neben ihn fallen und nun urplötzlich dasitzend, grüßt sie grinsend.
Sie unterhalten sich. Auch Gizil erzählt Elael, ausführlicher als der alte Hirsch Mytho schon vorher, wie die Bewohner von Andolia im Frühjahr und im Herbst in verschiedene Landesteile umsiedeln. Dies wäre ein Vorgehen, um die Umwelt nicht zu belasten. Sie ziehen von Ort zu Ort, mit der Bemühung, bei ihrem Aufenthalt, den Einfluss auf den Lauf der Natur möglichst gering zu halten. Sie bauen keine massiven Hütten und ernähren sich ohne Einzugreifen von der Nahrung, die ihnen die Mutter Erde bereitstellt.
Gizil versucht das Wissen um Andolia wiederzugeben und Elael hört aufmerksam zu.
Sie teilt Elael mit:
»Manche hatten Andolia früh verlassen. Ihr Ursprungsland wurde vom Nachwuchs der zerstreuten Tiere und Menschen vergessen.
Die Bewohner Andolias bekamen die tristen Geschehnisse in der Welt laufend mit und entschlossen sich, weder Andolia zu verlassen, noch ihre Existenz preiszugeben. Es weilen zwölf menschliche Sippen um Andolia, die um das Land, verborgen von den blauen Bergen, Bescheid wissen und es vor der Außenwelt hüten. Sie wurden vor vielen Jahrtausenden ausgesendet, im Umkreis von Andolia die Stellung aufzunehmen, um den geheimen Standort zu verhüllen. In allen Richtungen des Sumpfes, gründeten sie ihre Stätten und vermischten sich mit den restlichen Menschen. Heute leben die Wächter in Unklarheit über den Inhalt des Geheimnisses um Andolia, welchem sie sich selbstlos verpflichten. Es ist in ihrer Verantwortung, dass niemand die unwirtlichen Sümpfe überquert. Die Aufgabe des Wachens über Andolia wird in den Familien von Eltern auf Kinder übertragen. Sie tragen das Zeichen der Sternenkonstellation.
In Andolia lernen seit Anbeginn ihres Bündnisses, Menschen und Tiere voneinander und bestreben ein bestmögliches Miteinander.
Wenn es zu einem Streit in Andolia kommt, wird dieser zur Vollmondnacht während dem Fest der Freundschaft angesprochen und so lange behandelt, bis die verschiedenen Meinungen aufgelöst werden. Für gewöhnlich erledigen sie sich rasch und der Zwist ist aus der Welt geschafft.
Das gemeinsame Feiern und zelebrierend in der Einheit, geteilte Speisen einzunehmen, hält den Verbund der verschiedenen Arten aufrecht.
Der Bund der Ewigkeit, der zwischen jungen Tieren und Menschen eingegangen wird, verbindet sie unzertrennbar.«
Auch Elael erzählt Gizil von seinem Leben bei seinem Herrchen. Er beschreibt ihr Sumeras Aussehen und die ausgelassenen Zusammenkünfte mit seiner Freundin am Fluss, der von Andolia ausgehend, in seiner Heimat durchzieht.
Gizil und Elael vergnügen sich mit ihren Geschichten. Bei Einbruch der Dunkelheit, begeben sie sich in die lebendige Siedlung.
In der Ortsmitte schwirrt Arzual an den Beiden vorbei und rennt so schnell er kann. Er zieht eine Kurve, und verschwindet zwischen zwei einfach aufgestellten Hütten. Elael und Gizil blicken sich überrascht an, während von der Seite ein wütender, schwarzer Stier an ihnen vorbeifegt und vom Boden den Staub zu Nebel aufwirbelt. Offenbar um Arzual nachzujagen.
Hinterhereilend, taucht auch schon Ursus galoppierend auf. Gizil hebt und senkt ihren ausgestreckten Arm in seinen Weg, um den Bär anzuhalten. Ursus versucht abzubremsen und auf allen vieren rutschend, landet er auf seinem Bauch.
Das Mädchen mit den weitgebogenen Wimpern über ihren wunderhübschen, großen Augen befragt ihn nach dem Vorfall. Auf dem Boden hockend, antwortet Ursus hechelnd:
»Arzual konnte es wieder einmal nicht lassen, Mutproben nachzueifern. Er schlich sich an Bogo, den sensiblen Stier an und zog mit einem Ruck an seinem Schwanz. Arzual zupfte nur leicht am Schweif, doch Bogo war gerade dabei, seiner Vorliebe für das Tüfteln an seinen Einfällen nachzugehen. Seit Monden ist der Erfinder dabei, ein Gefährt zu bauen, welches er mit dem Kranich Truva, dem Flugexperten, konstruiert hat. Arcra soll die Erfindung heißen. Er arbeitete gerade konzentriert in seiner Werkstatt, an dem ein Schild angebracht ist, dass man ihn bitte nicht stören solle. Wenn er abgelenkt wird, ist er sehr empfindlich. Mit seinem Werkzeug ins Gebiss geklemmt, stellte er den Meteorantrieb des schwebenden Schiffs ein.
Als Arzual ihn bei seiner Feinarbeit überraschte und gemein erschreckte, war der Stier sehr gereizt und schnaubte vor Ärgernis. Erbost, pirschte Bogo dem flüchtenden Arzual hinterher. Nicht, dass er ihm etwas Schlimmes antun würde. Auf seinen Hörnern, wird Bogo ihn aber sicher umherschütteln. Ja, das wird er bestimmt.«
Plötzlich ertönt ein Bärengebrüll. Die Drei drehen sich in die Richtung des Rufes und erkennen Arzual, der sich hinter einem Baum verbergend, mit dem Kopf hervorzeigt und sie zu sich winkt.
Arzual nimmt sich vor, vorübergehend unterzutauchen, bis sich der Stier beruhigt und die Freunde besuchen Resa in der Wohnstätte ihrer Familie, welches mit Blättern überdacht und an den Seiten verdeckt ist. Sie sitzen im Kreis und spielen amüsiert ihr Lieblingsspiel, verschiedenste Tierstimmen, präzise nachzuahmen. Gizil hält wie gewöhnlich die Führung, bei der getreuen Imitierung und Vielfalt der Arten, deren Rufe sie mit ihrer Stimme erzeugt.
Am frühen Morgengrauen ist Elael schon wach und flaniert durch die Siedlung. Höflich wünscht er den Bewohnern einen guten Tag, die allmählich aus ihren Schlafplätzen heraustreten und dem aufgehenden Sonnenaufgang entgegennicken. Verehrend begrüßen sie die Auferstehung der Sonne und danken ihr für den beginnenden Tag.
Vor den Behausungen werden pflanzliche Räuchermischungen angebrannt, welche die Siedlung in süßlich prickelnde Düfte tauchen.
Er trifft auf Mütter, die bei Tagesbeginn frisches Obst gesammelt haben, für das anstehende Frühstück mit ihrer Familie.
Die Männer treffen sich am Vormittag, um benötigte Behausungen für bedürftige Bewohner zu errichten.
Aus allen Ecken strömen laute Kinder in die gleiche Richtung, um sich auf der Gemeinschaftsfläche einzufinden, wo sie von den Ältesten unterrichtet werden.
Der Hund spürt eine warmherzige, beruhigende Ausstrahlung, welches die Bewohner Andolias umgibt. Eine übergreifende Zufriedenheit geht hier von den Menschen und Tieren aus und Elael wittert eine gewisse Reinheit an ihnen.
Elael steigt auf einen Hügel, um eine weite Aussicht auf Andolia zu erlangen. Im warmen Wind unter dem aufheiternden Sonnenschein, genießt er den Anblick dieses gewaltigen Anwesens, gespickt mit ihren zahlreichen, mächtigen Bäumen und geschmückt mit all dem artenreichen Leben und durchzogen von den prunkvollen, wilden Bächen. Er stellt sich vor, welche glückliche Zeit er hier mit Sumera verbringen könnte.
Er lauscht dem Lied, den die Kinder zu Abschluss des Unterrichts gemeinsam singen. Die melodischen Laute der zahlreichen jungen Stimmen durchdringen das ganze Land:

„Ein Traum des Glanzes wächst gereift,
in Noahs Land es uns erreicht.
Mein Herz umarmt im Liebespakt,
all der Schöpfung Blütenpracht.“

Das Lied summend, tritt Elael zu seinen Freunden, die sich zum Baden an einem Bach treffen.
Während sie das lauwarme Wasser genießen, verdeutlicht Elael seinen Freunden, dass er von Heimweh geplagt ist:
»Es hätte mir nichts Schöneres widerfahren können, als eure Bekanntschaft zu machen und Andolia erleben zu dürfen. Doch ich muss zu meinem Herrchen zurück. Er macht sich womöglich große Sorgen. Und Sumera, sie hat keine Ahnung wo ich stecke. Sie sind sicherlich traurig um mich.«
Die anderen können die Qual des Hirtenhundes nachvollziehen. Sie sind sehr bedrückt über den Umstand, dass ihr neuer Freund vorhat, sie zu verlassen.

Die Ernennung




Es ist Abend und die Nachtigall Vali steht auf dem Austritt seines neuen Häuschens und trillert verhimmelnd die Rose an, der er heißliebend verfallen ist. Sein Lied durchwandert das Konzert der zirpenden Grillen und durch den zauberhaften Gesang der Nachtigall erglüht die Dunkelheit Andolias.
Mytho hat die Ältesten einberufen und die Gemeinde wartet zurückgezogen und gespannt auf eine mögliche Ansprache, die für gewöhnlich nach den Treffen der angesehenen Großmütter und Großväter abgehalten wird.
Während des Gedankentausches in der Zusammenkunft, teilt Mytho den Alten mit:
»Der junge Hund kann die Melem wahrnehmen.«
Jeder der Anwesenden Tiere und Menschen erstaunt über das Verkündete auf seine Art und jeder drückt seine Hochachtung in seiner individuellen Weise aus. Rasche, lange Atemzüge der ergriffenen Ältesten durchziehen wie im Chor hörbar die Nacht.


Elael wird zu den Ältesten geladen. Die Angesammelten mustern ihn ernsthaft, als er von Mytho empfangen wird. Unter der Aufmerksamkeit der Anwesenden eröffnet ihm der Hirsch:
»Die Nachricht über deine Absicht, deine Rückreise in deine Heimat anzutreten, hat sich ausgebreitet. Eine Trauer überzieht Andolia, unter der Vorstellung, wie du uns fehlen wirst. Wir haben dich sehr ans Herz geschlossen. Deine friedfertige und gutmütige Natur wissen wir sehr zu schätzen.
Ich möchte dir enthüllen, welche Pflichten uns unsere Ahnen auftrugen. Es wurden uns Weissagungen hinterlassen, deren Erfüllungen seit vielen Generationen erwartet werden.
Sie besagen:


„Geduldig mögen wir verweilen,
in Andolias Schutz uns bereiten.

Entgegen den dutzend Boten erhellend,
am Himmel den fülligen Mond umringend.

Bis zu Genüge erreicht, an Verirrungen Zeugen,
Harmonische, in der Außenwelt erwachen.

Verborgen will in Andolias Hain,
die Reinheit von uns gesichert sein.

Fremder Mut eintreffend, als der Mittler umherzieht,
das heilige Bund verstreuend, das Medium Auswärts säht.“«


Der Hirtenhund weiß nicht recht wie er sich Benehmen soll, während der Hirsch ihm leidenschaftlich offenbart:
»Die Zeichen sind eingetroffen. Uns wird in den Überlieferungen unserer Vorfahren geraten, vom Verlassen Andolias abzusehen.
Den Rang zur Durchführung der Aufgabe möchten wir dir übertragen. Wir erhoffen uns, in dir den mutigen Mittler gefunden zu haben. Durch deine Hilfe, soll der Bund der Einheit ausharren. Die sehnsüchtige Versöhnung zwischen aller Lebenden auf unserer Mutter Erde, möge durch dich seine Erfüllung erlangen.«
Die Versammlung beschaut gebannt das Verhalten des überraschten Elael, der sich den Worten von Mytho fügt. Sich hingebend verneigt er sich vor dem Hirsch, der ihn mit zeremoniellen Sprüchen segnet.
Arzuals Großvater tritt hervor und bindet am Hals von dem benommenen Hirtenhund einen Beutel an.
Mytho erläutert dem sprachlosen Elael:
»Dies ist das Medium welches dich begleiten soll. Das Zeichen der Konstellation wird dich bei deiner Aufgabe führen. Mögen die Melem dich auf deinem Weg unterstützen und die Sterne deine Nächte erleuchten.«
Bevor Elael eine Bemerkung von sich geben kann, löst sich die Versammlung auf. Eine Ansprache an die Gemeinde bleibt aus, doch die Nachricht gelangt wie eine Welle zügig umher. Verlegen vor den erwartungsvollen Blicken der schweigenden Bewohner und der aufsehenden Kinder Andolias, kommt er an seinem Schlafplatz an und lässt sich die Vorgänge in Gedanken durchlaufen. In der schlaflosen Nacht wird ihm nach vielen Überlegungen bewusst, welche gewichtige Last er auf sich genommen hat. Im Klaren darüber, welche Bedeutung seine Mission für die Lebewesen in der Außenwelt aufweist, bammelt es ihm vor Versagen. Ein innerer Impuls ermutigt ihn schließlich und seine Erwählung bereitet ihm würdevollen Stolz. Mitgenommen gleitet Elael in einen angenehmen Schlaf.
Von der Sonne geblendet wacht Elael auf und sieht sich in seiner Umgebung um. Ihm fällt die nächtliche Prozedur der Ältesten ein und er sucht hastig mit seiner Schnauze stochernd sein Fell ab. Der Beutel ist an seinem Hals befestigt. Es war kein Traum. Er trägt das Medium und er wurde als Mittler auserkoren. Seine Neugier erhebt ihn aus seiner Schlaftrunkenheit. Was es wohl auf sich hat mit dem Inhalt in dem Beutel, dass so Kostbar gewertet wird, fragt er sich. Er verwirft den Gedanken sich voreilig mit dem Medium zu befassen.
Als sich der Hirtenhund durch die Wege in der Siedlung bewegt, steht er der Veränderung gegenüber, die seine Gegenwart bei den Bewohnern auslöst. Durch die Bewunderung, die sie ihm entgegenbringen, gerät er in Verschüchterung. Er hört wie aufgeregte, begeisterte Löwenjungen, an denen er vorbeigeht und die sich an ihrer Mutter anschmiegen, munkeln:
»Schau Mama, der Mittler! Der Mittler!«
Der Hund ist irritiert und hat keine Idee, wie es nun angebracht sei, vor den Bewohnern aufzutreten. Er hält es für richtig, sich so darzubieten, wie es sich gehört – er bleibt einfach er selbst.
Die älteren Menschen und Tiere grüßen Elael mit achtungsvollen, blinzelnden Blicken und manche mit einem zarten, ermutigenden Kopfnicken.
Ein Ruf geht ein, von Arzuals Großvater, der an einem Kirschbaum mit einem Korb in der Hand, höflich den Hund nach seinem Wohlergehen fragt. Er bittet Elael zum Frühstück in seine nahgelegene Hütte, die provisorisch aufgebaut, aus Zweigen und Blättern besteht. Bei Großvater Zuhause ist auch Arzual zugegen. Der Junge preist Elaels Bestimmung zum Mittler und am Fell des Hundes grabschend, betrachtet Arzual ehrfurchtsvoll den Beutel am Hals des Hundes.
Die Großmutter Arzuals reicht Elael beim Speisen eine Portion der Maulbeermarmelade, die üppig ausgefallen ist, da inzwischen niemandem in der Siedlung entging, welcher Neigung zu den fruchtigen Marmeladen Andolias der Hirtenhund verfiel. Es klopft am Eingang zu der bescheidenen Behausung und Großvater fordert auf, einzutreten. Ein Eichhörnchen krabbelt den Vorhang am Einlass hinunter und platzt mit einem Sprung herein. Elael erkennt Flitzi durch den Spalt seiner gekniffenen und angespannten Augenlider und verzieht das Gesicht, während er sich erinnert, wie das Eichhörnchen ihn mit den geschleuderten Nüssen neckte. Flitzi grüßt nett piepsend in die Runde und teilt Elael mit, dass Mytho den Mittler in der Wellenhöhle erwartet. Als Elael den Namen des Hirsches hört, zerstreut er die Gedanken an Revanche gegenüber dem Eichhörnchen. Der Hund schlabbert seine Marmelade auf, bedankt sich und bricht auf, zu dem unweiten Berghang.
Sein Eintreffen ankündigend, betritt Elael die Höhle und vor ihm steht Mytho, der vertieft die Höhlenmalereien betrachtet und sich dann umdreht, um unter seinem emporragenden Geweih, den jungen Hirtenhund durchdringend anzublicken. Der Hirsch nähert sich Elael und inspiziert das Gesicht und das Fell des Hundes. Genügsam betont Mytho:
»Die Wunden sind so gut wie narbenlos verheilt.«
Mit einer einladenden Geste erhebt der Hirsch seinen Kopf und spricht in Richtung Höhlenzugang:
»Trete näher mein guter Freund.«
Leyle der Storch watschelt mit seinen dünnen Beinen, wie auf Stelzen, zu ihnen in die Höhle und stellt sich neben Mytho. Der Hirsch sagt eingebend zu Elael:
»Es gibt wichtige Erkenntnisse die wir mit dir teilen wollen.«
Mytho übergibt Leyle das Wort. Der Storch beginnt mit hissenden Flügeln, seinen Kopf wankend und seinen langen Schnabel entfaltend dem Hirtenhund zu erzählen:
»Geehrter Mittler, ich verbrachte viel Zeit in verschiedenen Gegenden der Außenwelt. Ich hielt mich in Großstädten auf, wie auch im wildesten Dschungel, überflog Wüsten und Steppen. In der Richtung, in der die Sonne aufgeht, lebte ich eine Weile bei einem Volk, welches mit der Natur eine enge Verbundenheit pflegt. In diesen Regionen trifft man üblicherweise keine Störche, somit waren sie sehr angetan von meinem Aufenthalt.
Unter diesen Menschen gibt es die sogenannten Ede, die versuchen, durch Traumsprache mit Pflanzen und Tieren zu kommunizieren. Sie konnten, durch das Tanzen zu ihren Trommeln um Feuer, in diesen Traumzustand geraten. Wenn ich schlafend ruhte, erlangten sie mich in meinen Träumen zu erreichen und wir konnten somit miteinander plauschen.
Mein Freund der Ede namens Piro, mit dem ich lange ausgeschweifte Gespräche in meinen Träumen führte, unterrichtete mich in dem Wissen, welches sein Volk sich aneignete. Diese Leute kannten das Treiben der dunklen Haiyin. Mir wurde beschrieben, wie diese Gegner der gütigen Melem die Menschen und Tiere befallen; ohne dass die Angegriffenen merken, welchem Unwesen sie zum Opfer fallen.«
Elael hört empfänglich hin und beschaut die Darstellungen an den Höhlenwänden der dunkel gemalten Wesen, während der Storch fortsetzt:
»Die Haiyin können durch ihr Einflüstern beeinflussen und zu Taten verleiten, wobei der angefallene Unglücksvogel davon ausgeht, das Eingetrichterte, das von den unsichtbaren Dunklen ausgeht, wären seine eigenen Gedanken und sein Wille, der ihm Innewohnt.
Somit bringen die dunklen Haiyin manche betroffenen Menschen dazu, Nahrung toxisch zu infizieren und die Welt schädigend anzustecken, sodass sie kopflos Miteinander und mit ihrer Umwelt umgehen. Ihr Essen und Trinken ist mit Schadstoffen versetzt, die bei der Einnahme die Einflüsse der Haiyin unterstützen. Die Manipulation durch Musik ist die andere Variante. Den Menschen in der Außenwelt ist nicht bewusst, welchem Übel sie sich aussetzen, aufgrund der bösen Machenschaften der Haiyin. Durch das eingenommene Fraß und der verbreiteten Musik, verlieren sie ihre natürlichen Gepflogenheiten und besessen, werden sie zum Knecht der Dunklen. Auch Tiere leiden unter dem Einfluss der Haiyin und fügen ihren Nächsten unbewusst Schaden zu.«
Ein Schauer geht durch die Höhle, während Elael dem Storch verschreckt horcht. Der Storch führt weiter:
»In Andolia herrscht bei den Bewohnern heute Unwissen über die Haiyin, nur die Ältesten haben die Kenntnis von den Dunklen, die in den Höhlenmalereien auftauchen, welche von den Ahnen angefertigt wurden. Der Gemeinde ersparen wir das Wissen um diese Missstände in der Außenwelt. In Andolia sind wir vor den Übeltätern sicher, denn merke dir gut - den Haiyin kann entgegengewirkt werden, durch: Wasser, Salz und Rauch. So lehrte mich Piro der Ede. Die fließenden Gewässer und das hohe Vorkommen an Meeressalz in Andolia, beschützten uns wohl seit Zeiten vor den Dunklen. Dank unserer uralten Tradition, am Tag und die Nacht durch, für Düfte von Räucherungen zu sorgen, sind wir hier sicher.«
Der Hirtenhund ist überfordert und entsetzt zugleich. Mytho schaut auf und deutet in der Mitte der Höhle auf die Decke. Elael erhebt seinen Kopf und starrt fassungslos auf den Anblick, dass ihm aus den Effekten von Wasserspiegelungen bekannt ist. Er sieht das Abbild seines selbst. Der geschwärzten Färbung auf dem Gesicht des gelblich gezeichneten Vierbeiners, entnimmt er die Ähnlichkeit zu der schwarzen Behaarung, die Elael wie eine Maske von seiner Stirn abgehend, zwischen seinen Augen und um die ganze Schnauze trägt. Er ist überwältigt. Der Hund steht wie versteinert aufschauend und ergründet die Malerei, während er versucht im schwachen Licht der Höhle, ihre Bedeutung zu begreifen.
Der Hirsch und der Storch verlassen die Höhle und lassen Elael allein. Der Hund tadelt und bemängelt sich vorwerfend, wie er vorher die mit dem Bild überzogene Decke übersehen konnte. Er lässt die Zeichnungen auf sich einwirken. Während sich das Tageslicht senkt, trottet der Hund in Gedanken versunken den Berg hinunter. Er nimmt einen Umweg zur Siedlung und geht an seinem Lieblingsbach entlang. An einem kleinen Wasserfall, entdeckt Elael eine kleine Menschentochter, die auf einem Stein hockend auf einer Flöte übt. Das Kind mit braunen, schulterlang gelockten Haaren bekommt große Augen als es Elael bemerkt und errötet vor Aufregung. Gelassen legt sich der Hund in der Nähe des Kindes am Rand des Baches ins Grass und bittet das Mädchen weiterzuspielen. Die Kleine erheitert Elael mit verzaubernden Melodien, der ihr genüsslich lauscht und durch die davontragenden Klänge der Flöte, sich für eine Weile von seinen Sorgen und Bedenken befreit.
Die Dunkelheit bricht ein und die beiden machen sich gemeinsam auf den Weg in die Siedlung. Elael schlägt vor um die Wette zu laufen, so wie er es mit Sumera oft tat. Doch das Mädchen lehnt ab und belehrt:
»In Andolia gehen wir keine Rennen ein. Das bringt die Einheit auseinander. Wir Kinder lernen, uns nicht miteinander zu messen, das gibt nur Streit und Neid. Es ist besser miteinander zu rennen. Na komm!«
Das Mädchen schnellt los, während Elael noch ihrer Aussage nachhängt.
Vergnügt und albernd kommen die Kleine und der Hund in der Siedlung an. Elael begleitet sie bis zu ihrem Zuhause, so wie es sich für Hirtenhunde in seiner Heimat gehört. Der Spaß mit der Menschentochter erweckt die Erinnerungen an Sumera und bitter sehnt sich Elael nach der Schäferhündin. Er beschließt am nächsten Morgen aufzubrechen, um nach Hause zu gelangen. Elael unterrichtet die Freunde über seine Entscheidung für den folgenden Tag und eine traurige Stimmung verbreitet sich in Andolia.
Man geht an dieser Neumondnacht früh zu Bett. Nur Gizil, Reza, Ursus und Arzual haben ihre Eltern darum gebeten, die Nacht bei Elael zu verbringen. Sie liegen nebeneinander unter einem Feigenbaum auf dem Schlafplatz des Hundes, der mit üppigem Stroh unterlegt und mit einer großen Decke überzogen ist. Sie schauen daliegend in den Sternenhimmel. Elael erzählt seinen Freunden von dem Fluss und seiner Suche nach dessen Herkunft. Er erklärt ihnen, was er sich am Wunschbaum wünschte. Reza die Ziege fragt mit ihren hektischen Bewegungen und ihrer langgezogenen Stimme:
»Dein Wunsch ging also in Erfüllung? Das ist doch toll!«
Der Hirtenhund antwortet betrübt und kleinmütig:
»Ich hab mein Ziel erreicht, doch es hat mir vorgeführt, dass ich verschieden bin und meine Art nicht aus Andolia entspringt, sondern sonst wo in der Welt von Wölfen entstand. Ich bin andersartig als alle hier.«
Reza seufzt fast stöhnend und bemitleidend. Arzual sieht den Hund verständnisvoll an. Die roten Haare von Gizil schwingen umher und sie sagt aufziehend zu Elael:
»Was redest du da? Weißt du denn nicht, dass wir alle Menschen und Tiere aus derselben Erde, dem gleichen Wasser und der gemeinsamen Luft stammen. Das weiß doch jedes Baby.«
Elael denkt gerade über die Worte von Gizil nach, da brummt schon Ursus von der Seite:
»Dir ist doch schon sicher meine Helligkeit aufgefallen?«
Aufmerksam stimmt der Hund dem Bär zu. Ursus führt aus:
»Ich bekam es schon in meiner frühsten Kindheit mit, wenn meine Eltern nuschelten, ich wär heller als alle anderen Bären. Anfangs schämte ich mich dafür. Doch ich lernte meine Außergewöhnlichkeit schätzen. Gizil hat mir erzählt, sie könne mich von großer Entfernung von den anderen Bären unterscheiden. Denn mein braunes Fell ist am hellsten unter den Bären. Sogar heller als Flinkis Fell, dem Eichhörnchen.«
Schon wirft Reza ein:
»Mein rechtes Horn ist etwas kürzer als mein linkes, aber das macht mir nichts aus. Ich mag meine Hörner so wie sie sind. Das macht mich aus, hat meine Oma immer gesagt.«
Gizil sieht Elael mit einem sanften Blick an und sagt ihm:
»Siehst du Mittler, wir alle sind verschieden. Ist es nicht die Herrlichkeit an Andolia, die Verschiedenartigkeit vereint und verbunden. Und weder du stammst von hier, noch irgendjemand anders, unser Aufenthaltsort ist immer nur vorübergehend. Das wunderbare ist doch, das wir uns ständig verändern.«
Elael überlegt, wie sehr er sich doch in Andolia veränderte. Er lernte die einheimische Sprache und machte die Bekanntschaft mit den netten Tieren und kannte nun ihre Lebensführung. Der Alltag in der Gemeinde lässt ihn die Welt in einem neuartigen Zauber wahrnehmen.
Der Hund führt seinen Freunden ein Lächeln aus und legt sich wieder auf die Decke und blickt zu den Sternen. Einer nach dem anderen ruhen die Freunde bald in einem wohligen Schlaf.

Abschied




Am Morgen besuchen Elael mehrere Menschen und Tiere, und beschenken ihn mit verschiedensten Marmeladen. Sein Schlafplatz ist übersäht mit kleinen verschlossenen Tongefäßen. Er bedankt sich bei jedem Einzelnen, doch er findet es tragisch, dass er dies alles nicht mitnehmen kann. Zum Frühstück leert er mit seinen Freunden ein paar Gefäße der köstlichen Marmeladen. Es würden noch mehr aufgegessen, wenn Gizil und Arzual, dem Bär Ursus nicht Einhalt gebieten würden. Der Hirtenhund grübelt, ob es nicht doch eine Möglichkeit geben könnte, einige der Marmeladen mit sich zu schleppen.
Elael beginnt, sich von der Gemeinde zu verabschieden. Von Umarmungen und Glückwünschen wird der Hirtenhund überhäuft. Die Ältesten treten an ihn heran und wünschen ihm viel Erfolg. Mytho gibt ihm seine letzten Anweisungen:
»Es mag sein, dass du dir noch nicht im Klaren bist, wie du mit deiner Rolle als Mittler umgehen sollst. Doch wirst du der Wichtigkeit deiner Aufgabe bewusst werden. Du sollst wissen, dass wir in Andolia auf dich vertrauen. Enttäusche uns nicht. Im Herzen sind wir immer bei dir.
Elael spricht an:
»Ich weiß immer noch nicht, was sich in dem Beutel befindet, den ich mit mir führe.«
Der Hirsch antwortet beruhigend:
»Wie ich dir schon erwähnte: Die Sternenkonstellation wird dich führen. Du wirst bei Bedarf dahinter kommen. Mögen die Melem nicht von deiner Seite weichen.«
Elael kündigt an, dass er los wolle, um den Tag zum Vorankommen zu nutzen. Da öffnet sich in der Menge ein Spalt und Arzuals Großvater kommt an, mit Camu, dem Nashorn. Das Nashorn zieht mit einem Seil hinter sich ein kleines Boot. Großvater teilt dem Hund mit leuchtenden Augen mit:
»Dies habe ich mit Arzual für dich gebaut. Auf diesem Boot kannst du den Fluss abfahren bis du dein Zuhause erreichst. Es ist aus dem geborgenen Material vom Berge Arat. Es sind Überreste der Arche. Die Vorzüge werden dir auffallen.«
Tätschelnd streichelt Großvater Elaels Kopf und führt ihm Zufrieden das Boot vor. Der Hund schaut geduzt und begreift noch nicht recht, da ruft schon Gizil:
»Mittler! Somit kannst du die Marmeladen mitnehmen.«
Als er dies hört, heben sich Elael die Augenbrauen und er tanzt herum wie er es in Andolia abgeschaut hatte. Die Gemeinde tanzt gemeinsam mit Elael uns sie singen durcheinander von allen Seiten.
Die Kinder beladen das Boot mit den Marmeladen und sichern die Gefäße mit Stricken. Sie haben sich vorgenommen, Elael bis zum Fluss zu begleiten. Plötzlich schauen die ganzen Versammelten Tiere und Menschen in den Himmel. Bogo schwebt mit seinem Gefährt Arcra über den Köpfen und landet geräuschlos inmitten der angesammelten Gemeinde. Mit seiner heißeren aber feurigen Stimme bietet der Stier dem Hirtenhund an, ihn mit seinem Boot am Fluss abzusetzen. Das Nashorn lädt das Boot auf Arcra und anschließend besteigen Elael und die Kinder das Schiff. Arzual hebt gerade ein Bein um auf das Gefährt zu gelangen, das sieht er vor sich die Hörner von Bogo. Der Stier schaut den Jungen grimmig an und sagt ihm zischend:
»Du kommst mir nicht auf das Schiff.«
Arzual fleht:
»Bitte Bogo, es tut mir leid, ich entschuldige mich herzlichst und vielmals. Niemals werde ich dir nochmal auf die Nerven gehen.«
Der Stier dreht sich weg. Bettelnd macht Arzual den Vorschlag:
»Bogo, ich, ich helf dir auch bei deinen Konstruktionen. Ich könnte dir eine große Hilfe sein wenn ich dir zur Hand gehe. Lass mich doch bitte mit. Ich möchte Elael auch begleiten.«
Der Stier steht still und dreht seinen Kopf zu Arzual und spricht betont:
»Gut, du wirst Morgen nach dem Unterricht bei mir in der Werkstatt erscheinen. Steig ein!«
Mit der Arcra, die eine ovale Form besitzt, in der Breite von vier nebeneinander angereihten Kamelen, und der um den Rand mit einer leichten Erhebung ausgestattet ist, scheint von dem identischen Material geschaffen zu sein, wie das kleine Boot, welches Elael auf dem Fluss nach Hause befördern soll. Die Arcra hebt ab, in dem Bogo auf einer erhöhten Vorrichtung an der Vorderseite des Schiffes steht und mit seinem Körper vorschwankt. Während die Menge dem Hirtenhund zujubelt, schwebt das Gefährt gemütlich davon. Elael schaut hinab auf die Gemeinde und ruft ihnen jaulend und mit Körpersprache zu, wie gern er alle hat, dass er sie sehr vermissen wird und hoffentlich bald wieder bei ihnen sein kann. Viele Mütter schütten Elael eine Schüssel Wasser nach, als ihre Geste mit dem Wunsch, er möge bald wiederkehren. Während das Schiff baumhoch davongleitet, sieht Elael wie Pferde, Gazellen, Zebras, Giraffen und weitere Tiere in frohen Farben unter ihnen hinterhereilen, um Elael anerkennend zu verabschieden. Bunte Vogelschaare gleiten in der Luft nebenher zu ihnen an beiden Seiten.
Der Hirtenhund ist entzückt von der fabelhaften Aussicht auf Andolia. Er kann den weißen Wald von weitem erkennen. Auf der anderen Seite sieht er den roten See, der die Umgebung des Meteoriten verziert.
Nun wird ihm immer schwerer ums Herz, bei dem Gedanken sich von diesem Land zu entfernen.
Mit seinem gewaltigen Körper zierlich wippend, lenkt Bogo das Schiff und blickt voller Stolz, fragend zu Elael:
»Mittler, was sagst du zu Arcra? Er wird angetrieben durch angebrachte Kometensteine, die sich Nachts im Mondschein aufladen.«
Elael teilt ihm mit, wie mühelos das Gefährt sich erhebt und er sich fühlt, als würde sein Körper von selbst schweben. Der Hirtenhund war schon häufig im Fahrzeug seines Herrchens mitgefahren und Aufzüge waren ihm auch schon bekannt. Aber dieses Gefühl der Fortbewegung war, als sei er ein Vogel und könnte durch die Lüfte ziehen.
Am Fluß angelangt, setzt Bogo das Boot für Elael auf das Wasser und wünscht ihm eine gute Fahrt. Elael bedankt sich bei dem Stier für die Mühe. Gizil hat Tränen in den Augen und die Freunde umarmen sich zum Abschied ganz fest und lange. Der Hund verspricht bei frühster Gelegenheit wiederzukehren, und legt mit dem Boot ab, winkend, den Flusslauf hinabschlenkernd.

Der Übergang




Das Boot scheint auf dem Fluss zu schwimmen, als wäre es belebt. Elael wundert sich im Vorbeifahren über die Länge des Sumpfgebietes, die er bewältigt hatte. Von den blauen Bergen ist nichts mehr zu erkennen. Sie sind hinter den Wolken mit dem Himmel verschmolzen und ins Unsichtbare verschwunden.
Die Umgebung, die er auf dem Wasser durchquert, hat die gewöhnlichen Nuancen eingenommen, wie sie ihm aus seiner Heimat vertraut sind. Elael führt sich die Farbenpracht von Andolia vor Augen und er lobt sich sehr dafür, die Wanderung eingegangen zu sein und somit das Land entdeckt zu haben.
Je weiter er treibt, am andauernden wolkenbedeckten Sumpf entlang, gerät das hinter ihm gelegene Land in Unwirklichkeit, durch die nun graue Gegend, die unbelebt von matschigem Schlamm belagert ist. Er sieht sich um, und in ihm steigt Unsicherheit, jemals das wunderbare Land Andolia erlebt zu haben. Hatte er sich das womöglich nur eingebildet? Doch das mit Marmelade beladene Boot spricht für sich.
Er vertraut sich dem Boot an, das ihn durch die nächtlichen Rufe der Frösche trägt, über den, von den Himmelslichtern erleuchteten Fluss. Nach Schlafen ist ihm nicht, während diesem unheimlichen, aber auch traumhaften Vorüberziehen in dieser klaren Nacht. Der Hund wacht durch die Dunkelheit. Dann befallen ihn Erscheinungen, die er für Illusionen hält, von einem älteren, graubärtigen Mann, der am Ufer steht und ihn anlächelt. Er ist sich nicht sicher ob er seinen Augen glauben soll, wenn dieser seltsam angezogene Alte immer wieder auftaucht, der in einem grünleuchtenden Gewand umhüllt und mit einer Kopfbedeckung, von den herabhängenden Wiesen im schwachen Schein des Mondes zu ihm schaut. Die Erscheinungen beunruhigen nicht, im Gegenteil, Behaglichkeit erfüllt ihn in diesem wirren Befinden.
Durch ein Blöken wird Elael aufgeschreckt. Inzwischen war es schon hell geworden und der Hirtenhund erwacht von seinem kleinen Nickerchen. Elael erblickt den Ochsen, der am Flussufer steht und ihm hinterdrein schaut. Rührungslos starrt der erstaunte Ochse. Der Hirtenhund sieht zurück und schmollt mit den Lippen. Mit einer kreisenden Bewegung seines Kopfes grüßt er den Ochsen freundlich, der ihn mit offenem Maul ungläubig anstiert, während das Boot sich schleichend entfernt.
Gemähte, saftige Wiesen und geerntete, geschorene Felder markieren dem Hund, in seiner Heimat eingetroffen zu sein. Er erblickt die ihm vertrauten Olivenhaine, die sich gereiht aneinander aufstellen, als würden sie seine Ankunft erwarten.
Elael ist bewusst, dass sein Zuhause nicht mehr weit ist und er gerät in Panik, da er sich nicht zu erklären weiß, wie er das Boot anhalten soll. Er wird immer unruhiger und jault verzweifelt. Das Anwesen seines Herrchens lässt sich erkennen und er schwankt mit seinem Körper, so wie es Bogo getan hatte, als er Arcra steuerte. Ausweglos, ist er kurz davor abzuspringen, als das Boot durch die Gewichtsverlagerung des Hundes ans rechte Ufer rückt und das unebene Gestade streifend, sich am Wasserrand festsetzt.
Erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen erfühlend, saust er dem unweit gelegenen Haus seines Herrchens entgegen. Mit einem lauten, energischen Bellen, kündigt er seine Ankunft an. Er umrundet das Haus, doch er findet keinen Hinweis darauf, wo sich sein Herrchen aufhalten könnte. Er läuft zum Schuppen und überzeugt sich davon, dass das Fahrzeug fehlt. Er hält kurz inne, um dann wie der Wind davonzueilen. Unbändig hetzt er zum nächstgelegenen Hof in der Nachbarschaft, bleibt stehen, und schnüffelt mit erhobener Nase in der Luft, um Witterung aufzunehmen. Er ändert die Richtung und mit tänzelnden Sprüngen wie von Sinnen, erreicht er einen kleinen Gemüsegarten, der von einem veralteten Zaun umgeben ist. Er drückt sich durch einen Spalt, der durch abgebrochene Bretter freisteht. Seine Ohren flattern durch die Luft, als er Sumera erblickt und ungeduldig zu ihr rast. Mit einem Aufheulen, springt ihm die Schäferhündin entgegen.
Sie beschnuppern, knuddeln und kneifen sich. Elael wirft Sumera auf den Boden und sagt ihr:
»Wenn du nur wüsstest, was ich erlebte!«
Die Hündin schaut ihn verständnislos an. Es ist Elael peinlich, als ihm erst klar wird, dass die von ihm beherrschte Sprache nun keine Gültigkeit besitzt. Sumera entwischt ihm, springt über eine niedrige Stelle am Zaun und eilt zu den schattenwerfenden Olivenbäumen um Elael zum Spielen zu animieren. Nachdem sie sich ausgetobt haben, liegen sie sich gegenüber und stillen ihre Sehnsucht zueinander.
Elael kennt das Motorgeräusch des vorbeifahrenden Fahrzeugs, er bellt Sumera an, dass sie ihm folgen solle. Wie der Wind rennt der Hirtenhund los und Sumera ihm hinterher. Sie verfolgen den Kleinlaster, bis sie bei Elael Zuhause ankommen. Der Fahrer steigt aus, strahlt im ganzen Gesicht und stürzt sich auf Elael. Umarmend und das Fell kraulend, drückt ihm der Mann aus, wie er sich über das Auftauchen des Hundes freut, nachdem er sich so große Sorgen gemacht hatte. Glücklich geht Elaels Herrchen ins Haus und stellt den beiden Hunden, Wasser und Futter vor. Da fällt Elael etwas ein. Er läuft etwas davon, bleibt stehen, schaut zurück und bellt. Der junge Mann weiß was das bedeutet. Er denkt sich, nach der ganzen Zeit der Unwissenheit um das Verbleiben seines geliebten Elael, wäre es angebracht zur Feier mit seinem Hund zu spielen und trollt dem Hirtenhund hinterher, der mit Sumera an der Seite vorauseilt. Schon bald kommen sie am Flussufer an und Elael besteigt das Boot. Sumera steht am Ufer und beobachtet das Geschehen, während Elaels Herrchen verwundert auf das seltsame Boot zugeht.
Elael hebt mit seiner Schnauze ein Gefäß. Der Mann sieht sich die Ladung an und staunt verwundert über das ungewöhnlich erbaute Boot und dessen Material. Nach gründlichen Überlegungen beschließt Elaels Herrchen, das Boot samt Ladung an seinem Hof aufzubewahren. Weit und breit ist keine Menschenseele aufzufinden, so dass er das Boot vorerst sichern will, falls der Besitzer danach sucht. Es fällt ihm nicht schwer, das Boot auf einer Karre in seine Scheune zu befördern. Die Marmelade, die der Mann begutachtet, schmeckt ihm fantastisch und schon macht sich auch der Hirtenhund über ein Gefäß her und deutet Sumera davon zu kosten. Alle drei schmausen von den fruchtigen Köstlichkeiten.


Gewohnheit kehrt bei Elael ein und er befindet sich nun rasch wieder in alltäglichen Zeitvertreiben. Er sieht nach und zieht seine Bahnen zwischen den Olivenbäumen die das Anwesen seines Herrchens umgeben.
Auf den benachbarten, in höheren Lagen wuchernden Wiesen besucht er die Hirten mit ihren Schafstruppen. Bei den Schäfern vergleicht er mit geschlossenen Augen das Debüt der Hirtenflöte seiner Heimat und die gespielten Stücke von dem süßen Mädchen aus Andolia. Elael empfindet bei den ihm wohlbekannten Hirten, die aufwühlende Traurigkeit in den berührenden Melodien.



Der Beutel, den Elael am Hals trägt, macht sich hin und wieder bemerkbar. Wenn ihm Andolia in den Sinn kommt, ist er in Gedanken vorübergehend abwesend. Die ganze Aufregung um bevorstehende Herausforderungen verfliegt mit der Zeit.
Es ist zur Mittagssonne, als Besucher eintreffen und Elaels Herrchen ist hocherfreut über die Ankunft seiner Familienmitglieder. Die Schwester seines Herrchens hat Elael seit eher gern und sie nimmt sich Zeit um den Hirtenhund liebevoll zu betätscheln. Es ist schon eine Weile her gewesen, dass alle Geschwister sich vereint unter einer Decke versammelten.
In der Nacht entfachen sie ein Feuer hinter dem Haus und stellen drumherum zwölf Kerzen auf. Der Bruder des Hausherrn, der eine Militäruniform trägt, beginnt seinen Geschwistern mitzuteilen:
»Die neue Regierung erhöht den Druck, sie beharren darauf, die Sümpfe zu erforschen, um aufzuklären was sich dahinter befindet. Ich weiß nicht wie lange ich noch dagegenhalten kann. Meine Befürchtung ist, dass es mich am Ende noch meinen Kopf kosten könnte. Dann wird es Geschichte sein, meine ganzen Jahre als General.«
Er schaut zu seiner Schwester und sagt:
»Ich muss dich leider nochmal bitten, mir mit deinen richterlichen Beschlüssen den Rücken freizuhalten.«
Mit besorgter Miene wendet sich der General zur Feuerstelle und betrachtet die Flammen, die zu ihrer Mitte züngeln.
Die Schwester fragt Elaels Herrchen:
»Was gibt es bei dir Neues, Orion?«
Dieser antwortet:
»Vor zwei Wochen wollten auf der anderen Seite des Flusses, ein paar Männer durch die Felder, doch die Nachbarschaftskette konnte sie daran hindern.«
Alle drei seufzen. Sie sind in Übereinstimmung darüber, ihre halbjährliche Zusammenkunft auszuweiten. Zu diesen ungünstigen Zeiten sei es zweckmäßig, sich häufiger auszutauschen.
Elael riecht das Feuer, und schleicht sich zu der Runde. Er kennt das nächtliche Beisammensein, doch früher beschäftigte er sich lieber in der Umgebung, anstatt den Geschwistern dabei zuzusehen. Diesmal aber wird Elalel von Neugier ergriffen und er beobachtet, wie sich die Geschwister auf den Boden in einen Schneidersitz senken. Zögerlich nähert sich Elael seinem Herrchen. Gleichzeitig ziehen die Geschwister von ihrem Kragen jeweils eine Kette zum Vorschein, die sie unter ihrer Kleidung an ihrer Brust verbargen, und die nun sichtbar auf ihrem Herzen liegen. Jeder der Ketten ist mit dem gleichen Anhänger bestückt. Elael ist wie vor den Kopf gestoßen, als er erblickt, dass sein Herrchen das Zeichen der Sternenkonstellation an seinem Hals trägt. Mit geschlossenen Augen und verschränkten Beinen sitzen die Geschwister und erheben ihre Köpfe zu den funkelnden Sternen, die den Vollmond umgeben, während sie sich an den Händen halten und in einer Stimme einen Eid bekräftigen:

„Gemäß der Route der zwölf Stämme,
weichen wir nicht von den Gestirnen.
Unüberwindbar sind unsere Dämme,
die Pflicht der Kette wir verinnern.“

Unauffällig setzt Elael Schritt für Schritt, ein Bein nach dem anderen Rückwärts, während er die Geschwister betrachtet. Er empfindet für einen Augenblick die Atmosphäre eigenartig, ähnlich wie in Andolia. Feierliche Verbundenheit und melodische Vorträge am Feuer versetzen den jungen Hund in Verwunderung. Die Erinnerungen an das Land und die ihm auferlegten Erwartungen steigen zurück in seine Sinne.
Zurückgezogen versucht Elael die Begebenheiten zu deuten. Die Kette seines Herrchens bekam er früher schon oft vor Augen, doch hatte Elael keinen Grund, dieser Beachtung zu schenken. Trotz seiner Verwirrung, durchströmen ihn Glücksgefühle, bei dem Gedanken, dass sein Herrchen das Zeichen bei sich führt. Die Wanderung war also noch nicht zu Ende.

Einweihung




Es regnen weiche, unregelmäßige Tropfen vom Himmel hinab, als Sumera bei Elael ankommt. Die Besucher sind gerade dabei aufzubrechen. Die Schwester verabschiedet sich von ihren Brüdern, setzt sich in ihr Auto und fährt davon. An seine Uniform streichend und seine Mütze zurechtsetzend, öffnet der General die Tür seines Geländefahrzeugs und ruft zu seinem Bruder:
»Halte die Stellung Kleiner!«
Die Brüder beschauen sich mit leichtem Kopfnicken, als würden sie sich einigen, ohne Bedarf an gesprochenen Worten. Er hebt seine Hand kurz zum Abschied und setzt sich in sein Wagen. Zügig fährt er los und hinterlässt eine Staubwolke, die sich aufwirbelnd in allen Richtungen auflöst.
Sumera spürt, dass Elael müde und verspannt ist. Sie legt sich zu ihm an die Hauswand. Elael genießt es, als Sumera an seinem Fell knabbert um in aufzumuntern. Der Schäferhündin fällt der Beutel an Elaels Hals auf, den sein Fell bedeckt. Sie wird nervös und möchte ihn davon befreien, da sie weiß dass das nicht dahingehört. Während sie am Beutel zupft und versucht es abzubekommen, richtet sich der Hund auf und lässt zu, dass Sumera an dem angebundenen Mitbringsel zerrt. Den Beutel im Gebiss geklemmt, hält die Hündin mit ihrem Körper dagegen, während Elael sich wegdrückt, um davon freizukommen. Es gelingt ihnen.
Elael begutachtet den Beutel der nun leicht angerissen daliegt. Die Düfte, die von dem Beutel ausgehen, sind für den Hirtenhund unverwechselbar. Er riecht die Blüten der einzigartigen Orchideen von Andolia, die ihm in der Höhle verabreicht wurden, als er verletzt war. Der Regen tröpfelt mittlerweile stärker. Elael greift den Beutel mit seiner Schnauze auf und die Hunde begeben sich in die Scheune. Sumera ist eingeschnappt, weil Elael sich abgelenkt dem Beutel widmet und macht sich bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg heimwärts.


Es ist spät abends als Elael an der Haustür kratzt. Orion öffnet die Türe und erblickt seinen Hund, der bemüht ein volles Gefäß mit der Marmelade zwischen seinen Zähnen ins Haus trägt. Elaels Herrchen, der im Schlafanzug steckt, bedankt sich, greift mit einem Lächeln nach der Marmelade und setzt sich an den Küchentisch. Er bestreicht Brot mit der Marmelade und bietet es seinem Hund an. Doch dieser rührt sich nicht und beobachtet ihn beim Essen.
Orion wird von Müdigkeit ergriffen, seine Sicht verschwimmt und seine Bewegungen führt er mit Anstrengung aus. Er kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und kniet zu Boden. Elael weicht nicht von der Seite seines Herrchens, während dieser auf den Knien zu seinem Bett kriecht.
Der Hund wacht die ganze Nacht am Bett von Orion, der sich träumend hin und her wälzt und dem sich sein Körper häufig schüttelt.
Er mustert sein Herrchen gespannt, als dieser sich am Morgen im Bett aufrichtet und versucht Erinnerungen zu erlangen, über das Geschehen, dass ihm widerfahren war.
Elael möchte es wissen:
»Wie hast du heute geträumt?«
Orion verlautet erschöpft:
»Ich bin so durcheinander. Mir ist, als wäre ich lange fortgewesen.«
Im gleichen Augenblick schrecken Elael und Orion auf und blicken sich fassungslos an. Elael hat sein Vorhaben erreicht, auf sein Herrchen mit dem Medium einzuwirken. Er hatte am Abend zuvor die Marmelade mit den Blüten aus dem Beutel angereichert. Er streute aus dem Riss des Beutels auf die Marmelade, die er seinem Herrchen vor die Füsse stellte. Den halbgeleerten Beutel vergrub der Hirtenhund in der lockeren Erde einer Ecke der Scheune.
Grübelnd denkt Orion laut:
»Ist es denn die verzehrte Marmelade, die mich zu Einbildungen bewegt? Nach all den wirren Träumen höre ich meinen Hund sprechen.«
Elael geht auf sein Herrchen zu:
»Ich folgte meiner Intuition. Somit hoffe ich meinem Auftrag gerecht zu werden, das Medium sinnvoll anzuwenden. Deine Kette mit der Sternenkonstellation bereitete mir die Anregung, dies als Zeichen anzuerkennen, um meine Aufgabe als Mittler auszuführen.«
Orion sieht seinen Hund entgeistert an, legt sich wieder hin, schließt kurz die Augen, blickt in die Decke und richtet sich wieder auf. Er spricht zu Elael:
»Ist ja ein schöner Traum. Und du kannst mich verstehen?«
Elael antwortet:
»Bist du denn nicht wach? Du träumst nicht mehr.«
Mit großen Augen vernimmt der Mann die taktischen Bewegungen seines Hundes, die er begleitend zu den von sich gebenden Lauten durchführt. Ihm wird erst bewusst, dass er sich genauso benimmt, wenn er zu dem Hund spricht und beteuert:
»Dieser Moment mein guter Elael, ist einer meiner wundervollsten meines Lebens. Was für ein toller Traum.«
Der Mann möchte diesen Zustand ausschöpfen, sieht sich in seinem Haus um und versucht zu erforschen, was in seiner Wahrnehmung verschieden ist, außer dass er in diesem Traum seinen Hund versteht. Es vergeht nicht lange, bis er davon überzeugt ist, dass er nicht schläft. Er kann sich nicht entscheiden was er von sich selber halten soll. Ist er krank, fragt er sich. Oder vergiftet. Vielleicht doch nur verrückt geworden. Einfach so über Nacht. Es muss mit der mysteriösen Marmelade zusammenhängen, die er mit dem ebenso seltsamen Boot verwahrt.
Elael hält sich zurück und wartet ab, bis sich Orion beruhigt auf einen Sessel sitzt um seine Gedanken zu ordnen. Vorsichtig beginnt er seinem Herrchen anzuvertrauen:
»Ich habe einen Auftrag auszuführen, bei dem ich nicht mal genau weiß, was ich zu tun habe. Es ist wohl wichtig, mich an die Zeichen zu halten, die mir begegnen.«
Auch wenn es dem Mann unerklärlich ist, sich darauf einzulassen, lässt er sich in ein Gespräch mit Elael verwickeln, um die Situation zu beobachten und aus Neugier, was ein sprechender Hund so zu sagen hat. Seinen Sinnen mag er nicht trauen. Er befragt Elael:
»Was ist das für ein Auftrag?«
Der Hund erklärt:
»Ich wanderte dem Fluss entgegen. Noch bin ich mir unsicher ob ich davon Erzählen sollte. Wichtig ist, dass es Menschen und Tieren möglich ist sich zu verstehen.«
Sein Herrchen geht weiter darauf ein:
»Du warst im Sumpfgebiet?«
Der Hirtenhund entgegnet:
»Ich bin noch weiter gegangen.«
Der Mann horcht auf:
»Du bist weiter gegangen, im Sumpf? Aber wie? Was ist dir dort begegnet?«
Selbstbewusst äußert Elael:
»Ich bin einfach im Fluss geschwommen.
Du, ich hab die ganze Nacht bei dir gestanden ohne zu schlafen. Ich bin Hündemüde und sollte mich ein wenig hinlegen. Wir reden dann später weiter.«
Orion lehnt sich in seinen Sessel zurück und kann nicht begreifen was sich abspielt, während Elael lässig nach draußen schreitet, um dann an seiner Lieblingsstelle an der Hauswand einzuschlafen.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Die blauen Berge, um Andolias Schutz, des Bundes Wurzel, zu aller Nutz. Steig auf, erblühe, aus Noahs Land, im Monde Glanz, ums Leben entsandt.

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