Vom Rande der Welt
Ballachulish Hotel 21. August 2001
Carol Mac Innes saß am Fenster und schaute hinaus aus dem Fenster der Lounge. Sie sah auf die Straße, die Bucht von Ballachulish und die Brücke darüber und musste an das Denkmal am Ende der Treppe denken, die hinauf führte, gleich neben dem Hotel. Hier war James Stewart gestorben, James Stewart der auf einmal kein Fremder, keine historische Persönlichkeit war. Sie war verbunden mit ihm, durch das Blut das in ihren Adern floss und es machte sie betroffen, dass er einen so elenden Tod erleiden musste.
Ihr Blick fiel wieder auf die ledergebundene Bibel, vor ihr und auf die silberne Kette, die auf ihr lag. Sie hatte sie am Vormittag im Museum von Glen Coe Village gekauft.
»Der unendliche Kreis, ein keltisches Symbol, ineinander verschlungenen Linien ohne Anfang und Ende. « Es war als höre sie die Stimme des Mannes erneut hinter sich, sanft in dem melodischen Singsang der Hochlandschotten und dann dieses Gesicht. Er hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt, es war als hätte sie ein Gespenst gesehen.
Carol schlug die Bibel auf und sah auf die erste Seite der kleinen Familienchronik, auf die Heiratsurkunde.
John, Donald, Alan Cameron Stewart, geboren 1722 in Invercomrie, Rannoch, Perthshire, Schottland und Maria, Anna Schwarz geboren 1730 in Ludwigstadt, Sachsen- Coburg, Deutschland treten in den heiligen Bund der Ehe, 18. August 1753.
Sie zog das Foto aus ihrem Notizbuch. Peter war es nicht gelungen die Farbschicht des Filmes vollständig zu erhalten, so hatte der Abzug einen seltsamen gelblichen Schimmer, aber das Foto war gestochen scharf. Sie schaute in ein Gesicht, das einem Mann gehörte, der vor 249 hier gelebt hatte und der ihr sechsfacher Urgroßvater war!
Anders als die Menschen ihrer Zeit posierte der Mann auf dem Foto nicht mit der Kamera. Es war ein Schnappschuss aus dem Moment heraus und zeigte ein Gesicht in dem sich nicht allzu viele Gefühle widerspiegelten, doch in seinen Augen erkannte sie einen Anflug von Überraschung und Erschrecken.
Ein Schauer rieselte über ihren Rücken. Es war als könnte sie ihn fühlen, als ob er neben ihr stand, hinaus auf die Bucht schaute, sich zu ihr umdrehte und sie in seine grauen Augen sah. Carol holte tief Luft, steckte das Foto in die Bibel und schlug sie zu, gerade noch rechtzeitig, als die Kellnerin mit dem Kännchen Kaffee an ihrem Tisch auftauchte.
»Wie alt ist Ballachulish House? « fragte sie die Frau, als sie den Kaffee abstellte. Die Kellnerin schaute sie erschrocken an. » Ich weiß nicht genau, so um die 300 Jahre, glaube ich!« Ein wissendes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie das Buch mit dem blauen Foto und dem Titel »The Appin Murder« sah, das neben der Bibel lag.
»Es steht schon länger als diese Geschichte her ist.«, fügte sie noch hinzu.
Carol sah wieder zum Fenster hinaus. Diese Geschichte war ihr verdammt unter die Haut gegangen. Sie hatte das Buch von Seamus Carney gelesen und ihr war an mehreren Stellen ein heftiger Schauer den Rücken hinunter gerieselt. Es war, als ob Bilder plötzlich auftauchten, nicht nur diese Fotos, die Peter retten konnte, es war mehr! Es war diese Geschichte die ihre eigene Existenz erst ermöglicht hatte. Sie wusste, wenn Andrea Schwarz, die junge Deutsche aus dem 20. Jahrhundert, nicht Alan Breck Stewart begegnet wäre und all diese verworrenen Geschehnisse, die danach folgten, würde sie jetzt nicht hier sitzen. Carol berührte die silberne Kette und erinnerte sich wie dieser Tag begonnen hatte.
Zum ersten Mal, seit sie am Sonntag vor 3 Tagen hier angekommen war, hatte sie es geschafft um 8.00 Uhr zum Frühstück zu erscheinen. Die Zeitumstellung und der damit verbundene Jetlag hatten ihr fürchterlich zu schaffen gemacht bisher. Doch an diesem Morgen war Carol voller Tatendrang und machte sich nach dem reichhaltigen, schottischen Frühstück auf Spurensuche, wie sie es nannte.
Mit ihrem Leihwagen fuhr sie nach Glencoe Village, parkte dort und machte sich zu Fuß auf eine kleine Wanderung, den Forest Trail entlang zu einem kleinen See, Lochan genannt. Ein gewisser Donald Alexander Smith, der sein Vermögen bei der Hudson Bay Companie gemacht hatte, legte ihn zu Ehren seiner kanadischen Ehefrau vor gut 100 Jahren an. Es erinnerte Carol wirklich ein wenig an Kanada, besonders mit der beginnenden Färbung des Laubes, der einen Hauch Indian Summer brachte, nur die kahlen Berge über dem bewaldeten Ufer des Sees sahen sehr schottisch aus.
Sie folgte dem Forest Trail weiter und gelangte schließlich auf einen steilen Hang oberhalb der Bucht von Leven. Über ihr ragte der Pap of Glen Coe, ein seltsamer Zipfel, eine Art Mini Zuckerhut auf und unter ihr das blaue Wasser der Bucht. Das gegenüberliegende Ufer war von steilen Bergen umgeben und teilweise bewaldet mit den üblen Errungenschaften der Neuzeit, Fichtenplantagen der Forest Commision. Es war ein angenehm sonniger Tag, nur vereinzelt zogen Wolken über den strahlend blauen Himmel. Carol setzte sich ins Warme Heidekraut und genoss die Ruhe, bis plötzlich ein Tiefflieger der Royal Airforce über den Berghang in ihrem Rücken kam und sie fürchterlich erschreckte. Trotz dieser Störung hatte sie das Gefühl hier zuhause zu sein und das, obwohl sie tausende von Kilometern von ihrer eigentlichen Heimat entfernt war. Sie pflückte ein Paar blühende Heidezweige und ging zurück nach Glen Coe Village. Dort blieb sie etwas unschlüssig vor dem Museum, einem mit Heidekraut gedeckten Cottage stehen und ging schließlich hinein. Über den Appin Mord erfuhr sie hier kaum etwas, obwohl es ja fast vor der Haustür passiert war. Das Massaker von Glen Coe war hier wohl der bedeutendere Part der früheren Geschichte gewesen. Doch sie fand gefallen an dem keltischen Schmuck, der neben diversen Andenken dort verkauft wurde und sie hatte sich eine Kette mit einem runden verwobenen Muster ausgesucht.
»Der unendliche Kreis, ein keltisches Symbol, ineinander verschlungene Linien ohne Anfang und Ende.«, ertönte es plötzlich hinter Carol in dem sanften Singsang der Hochlandschotten. In der Glasvitrine vor ihr spiegelte sich das Gesicht eines Mannes, das sie mehr als nur verwirrte.
»Jetzt hast du die Lady aber geschockt, Alan! « sagte die Bedienung vorwurfsvoll zu ihm, als sie Carols blasses Gesicht sah.
»Oh das war nicht meine Absicht, entschuldigen sie bitte! « , erwiderte der Fremde zu ihr gewandt, als sie sich umdrehte und noch einen Ton blasser wurde.
Der Mann mochte Ende zwanzig sein, war groß und schlank, trug ein rotes T-Shirt mit einer Art Stempel als Aufdruck, Jeans und bezeichnender Weise grüne Gummistiefel. Sein Gesicht war sonnengebräunt mit Sommersprossen auf Nase und Wangen, lang und schmal und das auffälligste waren seine, von langen dunklen Wimpern überdeckten grauen Augen, die im extremen Gegensatz zu seinen tiefschwarzen, lockigen Haaren standen, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, der unter der schwarzen Baseballcape hervor lugte. Es war das Gesicht das sie von den Fotos kannte, nur weicher, jugendlicher und ohne die tiefen Narben auf den Wangen und der Stirn.
»Mein Gott, die Welt ist verdammt klein!«, riss die Stimme des Mannes Carol aus der Erstarrung.
»Alan Stewart!«, mit diesen Worten stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.
»Wir haben uns schon einmal auf dem Flughafen in Halifax, vergangen Sonnabend, gesehen!«, erklärte er lebhaft, als er ihre Hand schüttelte. » Ach ja und ich glaube auch auf dem alten Friedhof in Mabou, Cape Breton, oh Mann sie müssen mich für ein Gespenst halten oder so etwas, bei dem Aufzug in dem ich dort aufgetaucht bin!«, fügte er noch hinzu, als Carols Miene immer noch maßloses Erschrecken und Verwirrung widerspiegelte.
Die Erinnerung an den Abend vor gut zwei Wochen ließ sie erschaudern. Nebel war aufgezogen von See her und wogte über den Friedhof, was schon allein schauerlich war, als sie plötzlich ganz in ihrer Nähe einen Highlander in voller Montur sah. Schon da hatte sie, wenn auch nur kurz, sein Gesicht gesehen und mit dem blauen Bonett und offenen Haaren war er Alan Breck noch ähnlicher als jetzt. Auf den Flughafen in Halifax war sie ihm ebenfalls kurz über den Weg gelaufen, aber beide Treffen nur als Ergebnis einer überreizten Phantasie gedeutet.
Carol hatte gar nicht registriert, das sie den Mann die ganze Zeit vollkommen erstarrt angesehen hatte, bis dieser dann neben ihrem Gesicht mit den Fingern schnipste, als wollte er sie aus der Hypnose erwecken.
»Raumbasis an Erde! Hallo! Geht es ihnen wirklich gut? «, fragte er leicht belustigt.
Carol fuhr zusammen und lief rot an. Sie spürte wie ihr plötzlich ganz heiß wurde. Im nu verschwand der lustige Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht.
»Setzen sie sich hin, ich wollte sie wirklich nicht so erschrecken!«, mit diesen Worten führte er sie zu einem Stuhl neben der Verkaufstheke. Carol setzte sich artig, denn ihr war wirklich etwas seltsam.
»Gib mir mal ein Glas Wasser Fiona! «, bat der Mann die Bedienung. Als er ihr dann das Glas Wasser reichte, bemerkte sie den Ring am kleinen Finger seiner rechten Hand. Es war ein Ring, ähnlich dem, den sie in der Kassette gefunden hatte.
»Geht es ihnen wieder besser? «, fragte er nach einer Weile besorgt und hockte sich vor sie hin. Carol sah in sein Gesicht, wobei ihr auffiel, das seine grauen Augen einen dunklen Ring um die Iris hatten, was den seltsamen und auffälligen Eindruck noch verstärkte.
»Mir ist schon besser, ich glaube es ist immer noch der Jetlag. Ich bin da wohl etwas empfindlich!«, begann Carol verlegen und senkte den Blick. »Ich habe mich wirklich etwas erschrocken, weil sie jemanden ähnlich sehen, der schon lange tot ist!«, fügte sie noch hinzu.
»Das tut mir leid, ich wollte sie nicht so ängstigen. Wie heißen sie eigentlich?«, kam es nun von dem jungen Mann, der wieder aufgestanden war.
»Oh, entschuldigen sie, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Carol Mac Innes, Halifax Herold. «, stellte sie sich nun vor.
»Halifax Herold? Sie sind Journalistin? «, fragte er weiter.
»Ja, aber ich bin privat hier. Ich möchte herausfinden wo meine Wurzeln sind!«, antwortete Carol vorsichtig.
»Das wollen die meisten Amerikaner und Kanadier. Aber es ist schon seltsam. Ich fahre nach Cape Breton um meine Wurzeln zu finden und sie hierher und dann laufen wir uns ständig über den Weg. Die Welt ist wirklich ein Dorf, meinen sie nicht auch Carol?« Alan schüttelte ungläubig den Kopf.
Sie seufzte und starrte in das Wasserglas, obwohl sie den Mann lieber weiterhin beobachtet hätte. Er hatte etwas Faszinierendes und Gewinnendes an sich und sie musste an die Eintragungen in Andreas Tagebuch denken. Zugleich wurde ihr bewusst, das es nicht nur ein Zufall sein konnte, das er Alan Breck so ähnlich sah und auch noch seinen Namen trug.
»Haben sie ihre Wurzeln in Mabou gefunden, auf dem alten Friedhof? «, fragte sie nun.
„Ja und nein, es war etwas verwirrend. Aber so ist es eben mit Ahnenforschung. Ich hoffe sie sind hier erfolgreicher. Es gab eine Menge Mac Innes in der Gegend und die meisten von ihnen sind irgendwo in North Carolina gelandet. Sicherlich später auch in Canada! «, antwortete er und betrachtete die junge Journalistin überlegend.
»Wenn sie Unterstützung brauchen, kann ich ihnen helfen. Ich bin Mitglied der Appin Historical Society!«, mit diesen Worten zog er eine Visitenkarte aus seiner Geldbörse und reichte sie ihr.
Carol las den Namen und die Adresse und nickt stumm.
»Danke, vielleicht brauche ich ihre Hilfe Mister Stewart.«, sagte sie und sah ihn überlegend an. »Was haben sie eigentlich im Kilt auf den Friedhof in Mabou gemacht? «, fragte Carol nun um das Gespräch etwas aufzulockern.
»Highlander gespielt, tippe ich mal! «, kam es nun von der Bedienung, die Alan wohl zu kennen schien. Der warf ihr einen strafenden Blick zu, der das Mädchen sehr zu belustigen schien, denn sie konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.
»Das stimmt teilweise. Wissen als Mitglied der Historical Society in Appin stellen wir manchmal den Marsch nach Culloden nach, in Original Kostümen und so. Ich war bei diesem Keltischen Festival in Inverness County mit einigen anderen Mitgliedern!«, erzählte er schließlich.
»Ach deshalb waren sie da im Kilt unterwegs. Ich hätte sie mir genauer ansehen sollen, doch es war einfach unheimlich an dem Abend. «, nun lächelte auch Carol.
»Das könne sie nachholen. Am Samstag haben wir ein Feldlager in der Nähe von Fort William. Das sollten sie sich nicht entgehen lassen.« , kam es nun von Alan mit einem liebenswürdigen Lächeln.
Die Bedienung hinter dem Tresen konnte nun ihr Lachen nicht mehr zurückhalten. Sie sagte etwas auf Gälisch zu dem Mann, worauf dieser rot anlief.
»Hör auf damit Fiona, es ist unhöflich gälisch vor Leuten zu sprechen die es nicht verstehen. Sie verstehen doch kein Gälisch Carol? « versuchte Alan verzweifelt die Situation zu retten.
»Nein, leider nicht, aber mein Großvater hat es noch gesprochen. Er lebte in Mabou, im Inverness County.«, antwortete Carol darauf.
»Da haben sie wohl sein Grab besucht?«, kam es nun fragend von dem jungen Mann und Carol schüttelte darauf hin nur stumm den Kopf.
»Nein ein anderes Grab, das meiner achtfachen Großmutter.«, erwiderte sie schließlich.
»Nun ja, vielleicht sind wir miteinander verwandt? «, ein seltsames Gefühl beschlich die junge Journalistin bei diesen Worten.
»Das müssen wir wirklich klären, aber ich will sie nicht von ihrer Arbeit abhalten. Sie sehen aus als hätten sie etwas mit der Landwirtschaft zu tun? «, mit diesen Worten weiß sie auf Alans grüne Gummistiefel an denen eindeutig Schafmist klebte.
Der Mann schob seine Baseballcape in den Nacken, kratzte sich am Kopf und entgegnete verlegen »Na ja, da haben sie recht. Ich helfe meinem Onkel auf seiner Farm im Glen Coe und ich habe heute und morgen einiges zu tun dort, mit seinen verflixten Schafen. Aber wenn sie möchten, zeige ich ihnen am Sonntag meine Aufzeichnungen.«
»Das wäre sehr schön, aber ich glaube ich sollte sie nicht länger aufhalten. Es war nett sie kennen gelernt zu haben Mister Stewart. « Mit diesen Worten gab Carol ihm die Hand.
»Ganz meinerseits und verzeihen sie mir das ich sie so erschreckt habe. «, entgegnete Alan mit einem liebenswürdigen Lächeln, das Steine zum erweichen gebracht hätte und Fiona hinter dem Tresen ein erneutes Kichern entlockte.
Gemeinsam verließen sie das Museum. Der Mann stieg in den davor geparkten, recht klapprig aussehenden Landrover ein und fuhr schnell in Richtung der alten Straße ins Glen Coe weg, wobei man die laute Musik, die er spielte noch eine ganze Weile hörte.
Gedanken versunken ging Carol zurück zu ihrem Wagen. Dort setzte sie sich hinters Lenkrad, holte das Buch von Seamus Carney heraus und las dort die Beschreibung Alan Brecks aus dem Steckbrief der damaligen Zeit. Der Alan Stewart, den sie gerade kennen gelernt hatte, war ihm mehr als nur ähnlich. Was für ein Zufall …oder war es gar keiner. Sie musste an den Ring denken, den der junge Mann am kleinen Finger seiner Hand trug. Er schien genau zu dem zu passen, den sie in der Holztruhe gefunden hatte. Das konnte kein Zufall sein!
Carol verbrachte eine unruhige Nacht. Das Treffen mi dem jungen Schotten hatte sie ziemlich beschäftigt. Diese Ähnlichkeit und sie beide das auf dem Friedhof in Mabou auf der gleichen Spur zu ihren Vorfahren gewesen waren, das war doch seltsam. Das musste sie unbedingt heraus finden. Am nächsten Morgen rief Carol eine der Telefonnummern auf Alan Stewarts Visitenkarte an, doch da nur der Anrufbeantworter sprang an, bei der Handynummer hörte sie die lapidare Ansage: Teilnehmer abwesend.
Also beschloss Carol zu Fuß die nähere Umgebung zu erkunden, besonders die Stellen, die in Seamus Carneys Buch beschrieben waren. Der Platz an welchem der Mord geschehen war und dann James Stewarts Farm im Glen Duror.
Nach dem wieder etwas spät ausgefallenen Frühstück machte sie sich auf dem Weg, gut ausgerüstet mit Wanderschuhen, Regenjacke und einem Lunchpaket. Sie hatte sich von einer netten älteren Dame an der Rezeption den Weg beschrieben lassen und hatte einige Geschichten gehört, die so etwas wie die lokale Legende des Mordes am Roten Fuchs, wie Colin Roy Campbell of Glenure auch genannt wurde, waren. Ziemlich haarsträubende Sachen, die teilweise in dem kleinen Buch, das sie gelesen hatte auch erwähnt waren. Sie wollte nicht glauben, dass ihr Vorfahre an der Sache so beteiligt war. Es konnte einfach nicht sein, nicht nachdem Andrea ihm die ganze Geschichte vorausgesagt und ihn gewarnt hatte. Aber sie erinnerte sich auch an einige bitterböse Tagebucheinträge, die ihr deutlich zeigten was für eine Sorte Mensch der reale Alan Breck war, ein ziemliches Eckel gelegentlich. Carol hätte es wohl keine Minute mit ihm ausgehalten.
Gedankenversunken lief sie den teilweise unbefestigten Weg in Glen a Chaolais hinauf. Alles war wie an den meisten Berghängen in der Gegend, von der Forest Commision aufgeforstet und so gar nicht schottisch. Sie überquerte den kleinen Fluss, der in den Loch Linnhe mündete und lief den Weg ein Stück hinauf, bis zu einer Stelle von der aus man einen guten Blick auf die Bucht hatte. Unter tiefliegenden regenschweren Wolken sah man die hohen Berge von Benderloch, das gegenüberliegende Ufer von Marmore, die weißgetünchte Häuser zogen sich am Ufer entlang und das graue Wasser schien wie ein Spiegel aus Blei.
Carol nahm noch einmal Seamus Carneys Buch in die Hand und dann die Karte die sie mit hatte. Links von ihr lag der Wald von Lettermore, auf der Karte waren einige Wege eingezeichnet, Forstwege wie der auf dem sie sich zur Zeit befand und ein Punkt, an dem stand „Memorialcairn“. Dort wollte sie hin. Sie stand auf und lief den Weg zurück. Kurz vor dem Hotel bog sie nach links ab und lief hinunter zur Hauptstraße, der A828 die von Fort William nach Oban führte.
Sie war keine hundert Meter gegangen, als sie plötzlich Reifen quietschen hörte und ein Auto, ein klappriger Landrover voller Schlamm, neben ihr hielt.
»Wohin des Weges schöne Frau?«, tönte eine wohlbekannte Stimme, als die Scheibe der linken Tür heruntergelassen wurde.
Es war kein Anderer als Alan Stewart, dieses Mal nicht in Räuberzivil. Er hatte genauso wie sie eine Regenjacke an, keine Baseballcape auf und trug sein pechschwarzes, schulterlanges lockiges Haar offen, so dass sie ihn fast nicht erkannt hatte.
»Oh, Mister Stewart!« entfuhr es ihr. »Sie sollten hier nicht stehen bleiben, sonst gibt es einen Unfall. Sollte dieser Tourist hinter ihnen versuchen zu überholen knallt es bestimmt!«, fügte sie noch besorgt hinzu.
Alan schaltete die Warnblinkanlage ein und grinste sie vielsagend an. »Ich habe eine Panne, glaube ich, jedenfalls solange sie nicht einsteigen. Ich nehme sie gerne ein Stück mit, sie wollen doch sicher ins Glen Duror Mrs. Mac Innes!«, entgegnete er schlagfertig.
»Noch nicht ganz, aber ich steige lieber ein, bevor etwas passiert!«, meinte Carol und versuchte die linke Tür zu öffnen. Allerdings gelang es ihr nicht. Sie klemmte und sie befürchtete den Griff in der Hand zu haben, wenn sie noch heftiger daran rüttelte.
»Moment, nicht mit Gewalt, da gibt es einen Trick! Heben sie die Tür etwas an, dann geht sie auf! « , empfahl der Mann ihr.
Gerade als Carol es versuchen wollte hupte der Tourist, ein Deutscher, hinter ihnen und gestikulierte wild.
Der Schotte schüttelte den Kopf, hielt ihn zum rechten Seitenfenster hinaus und winkte, nachdem er sich überzeugt hatte das kein Gegenverkehr kam, das Auto vorbei.
»Immer müssen diese Touristen solchen Wind machen. Sie sollten alle ein wenig ruhiger werden. In den Highlands ist man nicht so hektisch, außerdem ist Urlaub zum Erholen da und nicht um Stress zu machen!«, brummelte er und verfiel ziemlich heftig in einen Akzent, den die junge Kanadierin noch nicht gehört hatte.
»Was war das jetzt?«, fragte sie verwirrt und versuchte erneut die Tür zu öffnen.
Alan beugte sich herüber, zerrte an dem Griff und endlich ging die Tür auf. Carol stieg ein und schnallte sich an.
»Wenn sie nicht ins Glen Duror wollen, dann doch sicher zum Memorialcairn am Leitir mhor? «, fragte der Mann und musterte sie mit einem seltsamen Blick.
»Letschir was?«, wiederholte die Frau verständnislos.
»Sorry, ich sollte nicht so viel Gälisch einfügen und Scots lieber auch sein lassen, sie sind ja Kanadierin.«, entschuldigte sich Alan. Er zeigte auf den steilen, dicht bewaldeten Berghang über ihnen. »Das ist der Wald von Lettermore und ich glaube sie wollen zu der Stelle, wo der Rote Fuchs ermordet wurde?«
»Woher wissen sie das?«, fragte Carol erstaunt.
»Alice, die Dame von der Rezeption hat es mir verraten. Hat sie ihnen sicher diese schöne Geschichte erzählt vom Laird of Ballachulish und der spanischen Muskete, dem schwarzen unglückbringenden Teufelsgewehr, das man verrostet in einer hohlen Weide im Glen a Chaolais gefunden hat?«, begann Alan und ein geheimnisvolles Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Sie hat mir einige dieser Geschichten erzählt, aber sie sollten jetzt wirklich fahren, es steht schon wieder jemand hinter uns und gibt Lichthupe, ein Taxi sogar!« Carol wurde langsam unruhig.
»Also, dann auf zum Memorialcairn!«, meinte Alan, winkte das Taxi vorbei und fuhr an.
Nach knapp einem Kilometer bog er in einen Forstweg, der ziemlich steil den Berg hinaufführte und parkte an einer ebenen Stelle den Landrover. Er half ihr die Tür aufzumachen und angelte schließlich vom Rücksitz eine Fototasche, die er sich umhängte.
»Wir müssen den Weg noch ein Stück höher!«, meinte er und wies auf den schlammigen Forstweg. Er musterte Carols Schuhe, die noch recht neu waren und runzelte die Stirn.
»Wie lange haben sie die Schuhe schon?«, fragte er plötzlich.
Carol sah ihn erstaunt an, dann auf ihre und seine Schuhe, ebenfalls Wanderschuhe, aber schon ziemlich abgenutzt.
»Warum fragen sie, ich habe sie mir vor einem halben Jahr gekauft, für meinen Urlaub in den Rocky Mountains.«
»Na dann riskieren sie ja keine Blasen und der Schlamm hier dürfte ihnen auch nichts ausmachen, ziehen sie nur die Wanderschuhe vor der Tür aus und trampeln sie nicht über die Teppiche des Hotels damit, das dürfte ihnen Alice übel nehmen!«, mit diesen Worten lief er mit ausgreifenden Schritten ihr voran den Weg den Berg hinauf.
Es war düster und da es kein so sonniger Tag war, auch ziemlich finster zwischen den hässlichen Fichten, die so eng gepflanzt waren, das man die Bucht unter ihnen nur erahnen konnte. Es war irgendwie unheimlich und Carol fröstelte es ein wenig, besonders wenn sie auf Alans Stewarts Rücken sah. Als hätte er ihre Blicke gespürt, drehte sich der Mann plötzlich um und sah sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
»Ist irgendwie unheimlich hier, nicht wahr, man spürt das dies kein guter Platz ist, es sei denn man hat vor seinen Tod hier zu finden. Es ist ein droch aite, ein schlechter, ein verfluchter Platz!«, sagte er und Carol fröstelte noch mehr.
Aber der Schotte hatte sich schon wieder umgedreht und lief weiter, ohne auf die Reaktion der Frau geachtet zu haben.
Carol blieb einen Moment stehen und sah den Mann hinterher. ‚Was tue ich hier eigentlich?’ fragte sie sich in Gedanken. ‚Ich renne hier mit einem völlig Fremden im Wald herum und habe das Gefühl, als würde ich schnurstracks in einen Hinterhalt laufen. Meine Phantasie geht mal wieder mit mir durch!’. Sie schüttelte stumm den Kopf und folgte Alan Stewart so schnell sie konnte.
Der hatte mittlerweile eine Stelle erreicht an der eine Schautafel errichtet war und ein schmaler Pfad abbog. Die Fichten waren verschwunden und stattdessen standen Lärchen an dem felsigen Hang und ließen etwas mehr Licht herein.
Carol studierte neben Alan stehend die Tafel. »Glauben sie das Alan Breck der Schütze war?“«, fragte sie den Mann.
Er sah sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, eine Mischung aus Frage und Unverständnis. Er schüttelte den Kopf.
»Alice sagte mir, sie hätten Seamus Carneys Buch gelesen. Er ist felsenfest überzeugt das Breck der Schütze war. Ich habe, glaube ich nicht so viel Unvoreingenommenheit wie er. Ich trage immerhin den Namen des vermeintlichen Mörders, auch wenn ich nicht aus Appin bin. Mein Vater stammt von einer irischen Familie ab, die aus Antrim nach Glasgow zog und irgendwelche Verwandte Mütterlicherseits sind mal aus Kanada gekommen.«, erklärte der junge Mann leutselig, ohne auf Carols Gesichtsausdruck zu achten. »Der Name des Mannes der geschossen hat, ist ein Geheimnis der Appiner Stewarts und es wird von jedem Chief bewahrt und an den Sohn weiter gegeben. Der jetzige, Andrew Stewart hat einmal zu mir gesagt, dass keine der Theorien, die so im Umlauf sind, stimmt. Vielleicht lüftet er nächstes Jahr am 14. Mai das Geheimnis, was nach 250 Jahren ja endlich Zeit wäre. Aber vielleicht zerbrechen sich weitere 250 Jahre die Leute die Köpfe und keiner wird je erfahren, wer so dumm und dreist war sich an diesem Berg in einen Hinterhalt zu setzten und einen unbewaffneten Zivilisten von hinten in den Rücken zu schießen!«, fuhr er schließlich fort.
»Sie kennen sich aber aus Alan!«, meinte Carol darauf erstaunt, obwohl sie schon wieder ein unheimliches Gefühl hatte.
»Ich habe Geschichte studiert und arbeite nebenbei, wenn ich nicht gerade die Schüler der High-School in Fort William zur Weißglut bringe, für das West - Highland Museum dort.«, antwortete er und musterte Carol einen Moment.
»Ich will sie nicht noch mehr erschrecken, denn sie machen den Eindruck als fürchteten sie sich. Aber dort ein Stück unterhalb ist der Memorialcairn, der Platz an dem Colin Campbell sein Ende fand, sein wohlverdientes wie mein Namensvetter vor knapp 250 Jahren sicher dachte!«, mit diesen Worten wies der Schotte den düsteren Pfad hinunter, der in einer leichten Kurve auf die Fichtenschonung wieder zuführte.
»Ich fürchte mich nicht, immerhin sind wir glücklicherweise im 21. Jahrhundert und nicht 1752 und es wartete kein Mann mit einer Muskete hinter einem Busch auf uns!«, erwiderte sie lächelnd obwohl sie fast Lügen musste.
Alan Stewart lächelte zurück und lief ihr schließlich voran den Pfad hinunter. Nach wenigen hundert Metern erreichten sie den gemauerten Cairn, einen großen Steinhaufen an dem eine Metallplatte mit einer Inschrift angebracht war.
Carol sah sich um, das Grass und der Adlerfarn der an der kleinen Lichtung wuchernden, waren recht hoch und eine umgeknickte junge Birke lag unterhalb des Weges.
Sie legte ihre rechte Hand auf die Steine des Cairns und wiederum fing sie einen seltsamen Blick des Schotten auf.
»Das war hier vor 249 Jahren kein so düsterer Ort«, begann er. Alan Stewart stellte sich plötzlich hinter sie und bat Carol die Augen zu schließen. »Keine Angst, ich will ihnen nichts tun.«, mit diesen Worten legte er ihr beide Hände auf die Schultern und eine seltsam vertraute Wärme durchflutete Carols Körper. Sie fühlte sich sicher und geborgen.
»Stellen sie sich einen warmen Maitag vor, es ist fast Abend. Die Sonne schimmert durch die Bäume neben dem Reitpfad, der den steilen Berghang entlang nach Kentallen führt, unten sehen sie das Wasser der Bucht durch die Bäume schimmern. Hören sie das Geräusch? Reiter kommen, vier Männer die hintereinander reiten. Einer geht voran und führt sein Pferd an den Zügeln!«, er machte eine Pause und Carol hatte auf einmal das Gefühl, als ob die Sonne auf ihr Gesicht schien. Sie höre den Wind durch die Birken und Erlen rauschen, sie sah die Büsche und den Adlerfarn, der gerade begann sein Blätter auszurollen und Flächen von blauen Blumen zwischen den Granitblöcken am Berghang und hörte die Reiter, sah sie kommen...
Sie sah ein Aufblitzen, eine Rauchwolke zwischen einem Busch oberhalb des Pfades und hörte den Knall des Schusses. Ein Mann richtete sich kurz auf wobei sie deutlich sein Gesicht sehen konnte, packte die lange Flinte und tauchte dann zwischen Büsche und Bäumen unter, als hätte es ihn nie gegeben. Angst ergriff sie und sie hatte das Gefühl davon laufen zu müssen.
Alans Stewarts Griff an ihre Schulter hatte sich gelöst und Carol riss die Augen auf. Sie drehte sich erschrocken um.
Der Mann saß am Wegrand im Graß und barg sein Gesicht in den Händen. Wie ein Vorhang hingen seine schwarzen Haare herunter und seltsamerweise hatten sich ein paar Heidezweige und Grashalme darin verfangen, obwohl sie nicht gemerkt hatte, dass er oder sie sich irgendwie bewegt hatten, aber auch sie stand nicht mehr am selben Platz. Als sie sich vor ihn hockte, sah sie das seine dunkle Jeans an der linken Seite voller Schlamm war und auch der Ärmel seiner Regenjacke.
Zögernd legte sie ihre linke Hand auf seine Schulter und zupfte mit der Rechten den Heidezweig aus seinen Locken. Der Mann lies die Hände von seinem Gesicht sinken und sah sie durch den Vorhang seiner Haare an. Er war blass und sein Blick seltsam abwesend.
»Mister Stewart, was ist los?«, fragte Carol erschrocken und rüttelte ihn an den Schultern. Sie bekam es allmählich mit der Angst zu tun.
»Autsch!«, entfuhr es dem Schotten und er rieb sich mit schmerverzerrtem Gesicht den linken Ellenbogen. „»Mann haben sie einen Schlag, sind sie mal auf eine Karateschule gegangen?«, fügte er hinzu.
Nun war Carol verwirrt und lies ihn los. Sie konnte sich nicht erinnern Alan angefasst zu haben, nachdem er sich hinter sie gestellt und ihr die Hände auf die Schultern gelegt hatte.
Der Mann strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah sie an. Er sah nicht mehr so bleich aus, doch als die Frau in seine Augen sah, wurde sein Blick seltsam starr. Sie sah plötzlich das Gesicht auf dem Foto vor sich. Ihr war als könne sie jede Narbe sehen, jede Bartstoppel in dem sonnengebräunten, schmalen Gesicht... es war nicht das Gesicht des Schützen!
»Oh Gott...«, sie spürte Alans Hand auf ihrer Schulter. Etwas riss sie plötzlich in die Realität zurück. Sie fühlte sich benommen, setzte sich neben den Mann ins feuchte Grass, barg für einen Moment das Gesicht in den Händen.
Sie saßen schweigend nebeneinander. Carol hörte das Rauschen des Windes in den Bäumen und von der Straße unter ihnen Motorengeräusche. Etwas was eindeutig in ihre eigene Welt gehörte, .... keine Reiter, keine Musketenschüsse...
Zögernd sah sie zu dem Schotten und ihre Blicke trafen sich. Er sagte kein Wort sah sie nur an, als hätte er ein Gespenst vor sich.
»So etwas ist mir noch nie passiert!«, begann er zögernd. »Ich glaube ich hatte gerade so etwas wie einen Blackout! «, stellte er dann fest.
»Dann hatten wir gerade einen gemeinschaftlichen Blackout! Was zum Teufel ist passiert, wo haben sie sich die Hose und die Jacke schmutzig gemacht?«, erwiderte die Kanadierin und fing einen erstaunten Blick des jungen Mannes auf.
»Na sie haben Nerven, sie haben mir eine gelangt! «, Carol schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern...«, sie brach ab und starrte auf den Memorialcairn der wenige Meter neben ihn war.
»Ich eigentlich auch nicht, jedenfalls lag ich vor wenigen Minuten dort unten bei der Birke und sie haben ganz erstarrt auf einen Punkt dort oben zwischen den Bäumen gesehen!«, fuhr Alan Stewart fort und fing einen seltsamen Blick der Frau auf. »Und jetzt eben da habe ich ein Gesicht gesehen, eine Frau, sie sah ihnen ähnlich, aber irgendwie war sie anders. Sie roch anders…sie war nicht aus dieser Zeit…«, erneut machte er eine Pause und starrte auf Carols T- Shirt, auf dem ein Werbespruch aus Halifax stand.
Die junge Kanadierin senkte den Blick und als sie wieder aufsah hatte sie wieder ein seltsames Gefühl. »Ich habe auch etwas gesehen, ich habe den Mörder gesehen… dort oben zwischen den Büschen saß er. Er schoss, richtet sich kurz auf und war im nächsten Moment verschwunden!«, berichtete Carol nun mutig. Sie rechnete zwar schon damit, dass der junge Mann in schallendes Gelächter ausbrach, doch nichts dergleichen passierte.
»Das ist sie also…diese Gabe von der mir meine Großmutter berichtet hat. Ich habe das nie verstanden, … ich wollte es nicht wahr haben….!«, kam es nun zögernd von Alan Stewart.
»Was für eine Gabe?«, fragte Carol noch verwirrter,
»Haben sie schon vom zweiten Gesicht gehört, der Gabe zu sehen?«
»Sie glauben an so etwas?« , etwas in der jungen Kanadierin sträubte sich in die Einsicht das an der Sache etwas sein sollte.
»Ignorante Amis!“ entfuhr es Alan beleidigt.
»Verdammte sture Schotten, die sich über den Haufen schießen lassen, Verdammte Engländer, Verdammte Franzosen, Verdammter Krieg...« kam Carols völlig absurde Erwiderung und sie erschrak über ihre eigenen Worte. Die Sprache, die plötzlich so flüssig über ihre Lippen kam war Deutsch.
Alan Stewart sah sie erneut an als hätte er ein Gespenst gesehen.
»Sehen sie, da war es schon wieder! Es ist so etwas wie ein Familienerbstück, ich dachte nur bisher, dass ich dagegen immun sei. Es ist gelegentlich eher wie ein Fluch... das zweite Gesicht... Taibhsearachd!«
»Tav... was ? «, wiederholte die Frau und schüttelte den Kopf.
Alan Stewart stand auf putzte sich das Grass und soweit er konnte den Schmutz von den Sachen.
»Lassen sie uns gehen, das ist wirklich ein droch aite, ein schlechter Platz!«, meinte er.
Carol sah zu ihm auf und erhob sich ebenfalls. »Sie haben es auch gesehen, so wie ich es gesehen habe, der Mann in dem Gebüsch?«, fragte sie zögernd.
»Ja, und das ist mehr als seltsam!«, antwortete Alan.
Carol nickte stumm, drehte sich um und machte sich auf den Weg zurück zum Auto.
Der Schotte stand einen Augenblick überlegend da. Er sah seine Fototasche unterhalb des Weges liegen. So richtig konnte er sich ebenfalls nicht erinnern was geschehen war. Er war eigentlich ein Mann der Realität, er war Lehrer und Hobbyhistoriker und keinesfalls so ein Spinner der an Übersinnliches glaubte. Die Gabe des Sehens war eine Überlieferung und seine Mutter hatte ihm berichtet das seine Urgroßmutter, die von Barra stammte eine Seherin war. Auch von der Cape Bretoner Verwandtschaft hatte er ähnliche Geschichten gehört. Dass es so etwas wirklich gab konnte er sich nicht vorstellen. Nun hatte er es aber am eigenen Leibe erfahren und es war etwas sehr seltsames und beängstigendes. Alan schüttelte stumm den Kopf, strich sich die langen Haare hinter die Ohren und kraxelte zu der Stelle an der die Fototasche lag.
Um zu kontrollieren ob die Kamera nichts abbekommen hatte, machte er ein paar Fotos und gerade als er den Memorialcairn fotografieren wollte, kam Carol den Weg zurück. Er zoomte sie heran und drückte den Auslöser.
Die Frau gefiel ihm und die Art mit der sie sich begegnet waren, hatte ihn neugierig gemacht. Irgendwie hatte er ein seltsames Gefühl bei ihr. Eine Art Vertrautheit, die er nicht erklären konnte. Vielleicht waren sie wirklich miteinander verwandt.
Seine Vorfahren waren auf verwirrten Wegen zuerst aus Schottland, teilweise sogar aus Irland nach Kanada gekommen. Er hatte sie zurückverfolgen können bis zu einer gewissen Catriona Douglas, geborene Stewart, deren Eltern ihm Rätzel aufgaben. Er fand in Cape Breton heraus, dass ihre Mutter ein zweites mal geheiratet hatte und ihr Grab auf dem Friedhof in Mabou gefunden, mit einer seltsamen Inschrift.
Unendliche Zeit war mit dir
Ann Mac Donald
geliebte Frau von Charles Mac Donald
geliebte Mutter von David Stewart
und Catriona Stewart Douglas
und Calum Mac Donald
1730 - 1805
Die Spur von Catriona Stewart ließ sich recht deutlich verfolgen und nach etlichen Recherchen hatte er seinen gesamten Stammbaum bis zu seinen Eltern nachvollziehen können. Wer allerdings Catriona Stewarts Vater war, wohl der erste Ehemann von Ann das schien ein Geheimnis zu sein. Alan vermutete dass es ein Jakobit war, von denen es ja viele nach Frankreich und später in die Neue Welt verschlagen hatte oder vielleicht ein Loyalist. Er wusste dass 1774 ein Schiff Appin in Richtung Carolina verlassen hatte. Er hatte die Passagierliste gesehen und da waren mehr als genug, die den Namen Stewart trugen.
Es konnte kein Zufall sein, dass auch Carol auf dem Friedhof war. Was hatte sie dort gesucht, fragte er sich.
»Was suchen sie denn da unten?«, riss die Frage der jungen Kanadierin aus den Gedanken.
»Meine Fototasche, sie muss hier mit mir herunter gerollt sein. Zum Glück ist die Kamera noch in Ordnung.«, antwortete der Schotte und kroch den Hang wieder hinauf.
Gemeinsam gingen sie zum Auto zurück. Dort saßen sie eine ganze Weile stumm nebeneinander, bis Alan Stewart im Handschuhfach zu kramen begann eine Kassette herausholte und sie in den Recorder des Wagens legte.
»Das kann jetzt mal etwas laut werden, aber ich brauche das, sonst fahre ich uns vor den nächsten Baum!«, sagte er als er einschaltete.
Carol fuhr zusammen, als der erste Ton erklang und der Mann drehte die Lautstärke etwas zurück. Er ließ seine Kopf auf seine Arme sinken, die er auf dem Lenkrad liegen hatte.
Die Frau beobachtete ihn mit einem seltsamen Gefühl. Jetzt wo sie hier saß, spürte sie auch das Zittern, das durch jeden Muskel ihres Körpers zu dringen schien. Sie hatte Mühe ein Zähneklappern zu unterdrücken. Sie lehnte sich an und schloss für einen Moment die Augen. Die Musik beruhigte sie ebenfalls. Sie kannte die Stimme, wusste sie aber nicht so recht zu zuordnen.
»Wer ist das?« fragte sie nach einer Weile.
»Runrig, den Sänger müssten sie kenne, er lebt in Halifax und stammt von Cape Breton, Bruce Guthro.« , antwortete Alan Stewart und stellte das Radio noch etwas leiser.
Carol nickte nur und sah zu dem Schotten, der mit den Fingern den Rhythmus auf dem Lenkrad klopfte.
»Macht ihnen das gar nichts aus, ich meine was da am Cairn passiert ist?«, fragte er plötzlich.
»Wie meinen sie das?« , Carol wusste nicht auf was er hinaus wollte.
»Nun ja, ich kann vor lauter Aufregung nicht mehr Auto fahren und sie sitzen hier seelenruhig da!«, mit diesen Worten streckte er seine Hände aus, die vollkommen unkontrolliert zitterten.
»Da täuschen sie sich, ich zittere genauso, sonst würde ich ihnen anbieten zu fahren!«, erwiderte die Frau und zeigte ebenfalls ihre Hände.
Alan zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. »Was haben sie auf dem Friedhof in Mabou gesucht Carol?«, fragte er, all seinen Mut zusammennehmend.
Die Kanadierin sah ihn erschrocken an. »Ein Grab natürlich, was sucht man sonst auf Friedhöfen. Sie doch sicher auch Alan!«, antwortete sie etwas provokant.
Alan Stewart, öffnete seine Regenjacke und holte seine Brieftasche aus der Innentasche. Er zog ein Foto heraus und gab es Carol.
Sie starrte verwirrt auf das Bild, das ihr sehr bekannt vorkam. Auch der Schotte hatte offenbar mit einem Bildbearbeitungsprogramm versucht die Innschrift des verwitterten Grabsteines leserlich zu machen.
»Es kommt ihnen bekannt vor?«, fragte Alan Stewart vorsichtig. »Es muss ihnen bekannt vor kommen, denn sie standen davor Carol?«, fügte er noch etwas forscher hinzu, da er merkte wie sie auf das Bild reagierte.
»Ja, es kommt mir bekannt vor… es ist das Grab meiner sechsfachen Urgroßmutter Ann Mac Donald.«, antwortete Carol ihm und es war irgendwie erleichternd.
Ein seltsames Lächeln erschien auf Alan Stewarts Gesicht. Er steckte das Foto zurück in seine Brieftasche und die zurück in seine Jacke.
»Also hatte ich recht Cousine Carol…wir sind verwandt. Haben sie jetzt noch Lust auf mehr historisches um den Mord in Appin, Auchindarroch, Aucharn oder die Keil Chapel?«, meinte er und schmunzelte.
»Ich würde mir das schon gerne ansehen, all diese Orte, ich komme ja nicht alle Tage hier her in das Land meiner Vorfahren.«, erwiderte Carol, obwohl sie auch etwas Angst davor hatte.
»Ist Appin wirklich das Land ihrer Vorfahren? Es ist eine Tatsache, dass viele Mac Innes von hier ausgewandert sind in die Neue Welt, aber das Problem beginnt mit Ann Mac Donalds Ehemann, dem ersten, der wohl den Namen Stewart trug. Er könnte von hier sein!«, kam es nun von Alan, der die Musik wieder leiser gedreht hatte.
Carol sah den Mann einen Moment an. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen oder warten bis er von allein darauf kam. Sie seufzte und sah aus der Windschutzscheibe des Landrovers. Der Wind schüttelte die Büsche an ihren Parkplatz und einzelne Tropfen trommelten auf das Autodach.
»Wir sollten uns einmal das ansehen, was jeder so gefunden hat in Bezug auf seine Vorfahren. Mein Onkel Robert ist da sehr fleißig gewesen. Vielleicht können wir da etwas herausfinden, was Ann Mac Donald angeht.«, sagte sie schließlich.
Gewissensfragen
Sainte Emilie Dezember 1774
Ich genoss die Ruhe die im Haus, die endlich eingetreten war. Der große Kachelofen im Salon verbreitete eine wohlige Wärme, die kein Kamin je erreichen konnte. Ich war Charles dankbar für diese Ausgabe. Ein Holländischer Ofenbauer aus Albany hatte ihn errichtet.
Charles saß in dem großen Sessel nah daran, ein Blatt Papier in der Hand, das er nachdenklich studierte im Schein des Kerzenleuchters, der auf einem Tisch stand.
Ich beneidete ihn, dass er ohne Sehhilfe bei diesem Licht lesen konnte, immerhin war er Mitte Fünfzig. Ich selbst konnte nur bei hellem Tageslicht lesen, denn zu einer Brille konnte ich mich noch nicht durchringen.
Ich betrachte meinen Mann nachdenklich. Als wir vor vierzehn Jahren heirateten, war es eine Zweckehe, die mich davor bewahren sollte ein weiteres Opfer der Eroberung Kanadas zu werden. Ich konnte mich damals, kaum sieben Monate nach dem Tod meines ersten Mannes, dem Vater meiner drei ältesten Kinder nicht dazu durchringen Gefühle für Charles aufzubringen. Er dagegen hatte, wie ich später erfuhr, nie aufgehört mich zu lieben. Doch auch für ihn waren die ersten Monate nicht leicht.
Charles legte das Schriftstück beiseite und sah mich an. Sein Gesicht war Wettergegerbt, aber man sah ihm das Alter nicht an. Außer den Lachfältchen um seine Augen herum, hatte er kaum Falten. Nur seine grauen Haare verrieten, dass er nicht mehr vierzig war. Er war mit einem Schlag vollkommen grau geworden, was mich etwas geschockt hatte. Aber ansonsten hatte Charles mit seinen vierundfünfzig Jahren eine gute Konstitution, außer einigen Problemen die auf Gelenkabnutzung zurückzuführen waren.
Ein seltsames Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Wo bist du Annie?«, fragte er.
»Nirgendwo, nur hier bei dir!«, antwortete ich ebenfalls lächelnd.
»Bei mir? Bei mir alten Großvater!«, erwiderte er darauf.
Wir waren Großeltern geworden vor zwei Wochen, aber das war nicht unbedingt ein freudiges Ereignis für uns gewesen.
David, mein ältester war seit gut einem dreiviertel Jahr verheiratet. Seine Frau war ein blutjunges Mädchen, die Tochter eines Händlers aus Quebec gewesen. Ich mochte Angelique, auch wenn ich es etwas übereilt von meinem Sohn fand, sie zu heiraten. Als kaum drei Monat später herauskam, dass sie schwanger war und das schon in fortgeschrittenem Stadium, hatte ich allerdings nichts mehr einzuwenden.
Vor zwei Wochen war das Kind, ein Mädchen geboren worden, über einen Monat zu früh. Doch dem nicht genug, starb mir die junge Mutter unter den Händen weg an einer Blutung, gegen die ich nichts unternehmen konnte.
Ob unsere Enkeltochter durchkommen würde, stand in den Sternen. Sie war viel zu klein und schwach. Ich hatte eine Amme gefunden und die kümmert sich aufopferungsvoll um sie, stillte sie alle zwei Stunden. Doch ich hatte berechtigte Zweifel, dass sie es schaffen würde. Ihr Vater schlich herum wie in Geist, seit dem Tod seiner Frau, doch er wandte sich nicht von dem Kind ab. Er saß stundenlang an ihre Wiege oder trug sie herum, nah an sich gewickelt, um sie warm zu halten, so wie ich es damals mit seinem Bruder Alan getan hatte, der auch so klein und schwach gewesen war bei der Geburt.
»Komm her zu mir Granny Annie!«, bat Charles und streckte seine Rechte nach mir aus. Ich war ihm dankbar, dass er mich aus den düsteren Gedanken riss.
Als ich vor ihm stand, griff er meine Rechte und zog mich zu sich heran, um mich schließlich an der Taille zu fassen und auf seinen Schoss zu ziehen.
Ich fühle mich für einen Moment überrumpelt, schlang aber meine Arme um seinen Hals und küsste ihn sanft.
»Was hast du vor Charles?«, fragte ich schließlich lächelnd.
»Was glaubst du denn, wenn ich dich auf meinem Schoss habe Annie?«, sein Blick verirrte sich in meinem Ausschnitt, der von gerüschter Spitze umgeben war.
»Oh Gott, hört das nie auf, dass ich dich so begehre. Ich fürchte fast, dass ich als siebzigjähriger Urgroßvater auch noch die Finger nicht von dir lassen kann.«, stellte er schließlich fest und begann die Knöpfe an meinen Kleid zu öffnen.
»Wenn du vor Arthritis, die Knöpfe noch aufbekommst!«, meinte ich spitzfindig und half ihm.
Ein Geräusch von der Tür her ließ uns zusammenschrecken. Charles schob mich von seinem Schoß herunter und ich knöpfte erschrocken mein Kleid wieder zu.
David stand unschlüssig an der Tür und wirkte sichtlich verlegen.
»Vergebt mir, Ich wollte euch nicht stören.«, sagte er leise. Zögernd kam er näher, wohl um mir Zeit zu lassen meine Kleidung wieder zu ordnen.
David war ein gutaussehender junger Mann geworden. Er war sehr groß, was er wohl von seinem Vater hatte und gut gebaut. Ansonsten sah er mir sehr ähnlich mit seinen grünen Augen und den dunkelbraunen Haar. Aber ich konnte auch Gesichtszüge von Alan erkennen, besonders wenn er lächelte, was er allerdings in letzter Zeit eher seltener tat.
»Das tust du nicht Davie, komm setz dich zu uns.«, erwiderte Charles und zog den anderen großen Sessel näher zu sich heran, während ich mich auf der Lehne seines niederließ.
Zögernd nahm der junge Mann Platz und ich konnte die Verlegenheit nun noch deutlicher in seinem Gesicht sehen, was mich doch etwas verwunderte. Wir waren eigentlich sehr offen im Haus und in der Familie. Charles war immer zärtlich zu mir und hatte mich stets auch vor den Kindern geküsst.
»Was hast du auf dem Herzen?«, fragte mein Mann nun weiter, dem die Verlegenheit seines Steifsohnes auch nicht verborgen geblieben war.
»Ich habe eine Bitte und ich weiß nicht, ob sie nicht etwas überzogen ist.«, begann David zögernd. Er sah Charles fragend an und senkte den Blick.
»Heraus mit der Sprache Junge, was immer es auch ist.«, versuchte er ihm zu helfen.
Mein Sohn holte tief Luft sah mich und dann seinen Stiefvater mit einem seltsamen Blick an.
»Ich möchte nach Schottland und in Edinburgh studieren!«, kam es dann schließlich und für einen Moment war ich sprachlos.
Charles runzelte die Stirn und betrachtete seinen Stiefsohn nachdenklich.
David war überaus begabt und ich hatte ihm schon viel von dem beigebracht, was ich wusste. Ich und auch er hatten schon darüber gesprochen, dass er Arzt werden und vielleicht in Boston studieren sollte. Doch seine übereilte Hochzeit hatte all diese Pläne erst einmal zurückgestellt.
»Du willst nach Schottland? Was soll aus deiner Tochter werden!«, kam es nun und mein Mann sprach aus, was ich nicht wagte offen zu sagen.
David seufzte und ich fing einen flehenden Blick auf. »Ich wollte euch bitten derweilen für sie zu sorgen. Wenn ich als gut ausgebildeter Arzt zurückkomme, kann ich ihr mehr bieten als jetzt, wo ich euch auch nur auf der Tasche liege.«, sagte er schließlich und seine Argumente waren nicht von der Hand zu weißen.
Charles musterte David erneut nachdenklich. Es herrschte eine seltsame gespannte Stille auf einmal, die nur durch unsere deutlich zu hörenden Atemzüge unterbrochen wurde.
»Das tun wir gerne David, aber wäre es nicht besser du würdest in Boston studieren, dann könntest du ja wenigstens hin und wieder deine Tochter besuchen?«, warf mein Mann schließlich ein.
David holte tief Luft und warf einen Blick auf das Papier, das auf dem kleinen Tisch lag.
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, angesichts der Dinge die da gerade geschehen!«, sagte er schließlich und sah mich nun abwartend an. Ich hatte bisher keinem meiner Kinder etwas von meiner seltsamen Herkunft erzählt. Doch als die ersten Unruhen losbrachen wusste ich nicht ob ich es nicht doch tun sollte. Aber eigentlich wusste ich nicht umwerfend viel von der Amerikanischen Revolution.
Die Boston Tea Party war vergangenes Jahr gewesen und die Unabhängigkeitserklärung der 13 Kolonien würde im Juni in zwei Jahren sein. An mehr konnte ich mich beim besten Willen nicht entsinnen, jedenfalls keine Einzelheiten.
Charles nahm das Blatt in die Hand, das auf dem Tisch lag, eine Art gedrucktes Flugblatt, das ich leider nicht lesen konnte. Nur die Überschrift konnte ich ausmachen. »Aufruf des ersten Kontinentalkongresses an die Bewohner der Provinz Quebec«
»Was steht da?«, fragte ich meinen Mann zögernd.
»Es ist ein Aufruf an die Bürger, sich den Forderungen der andern dreizehn Kolonien anzuschließen!«, erklärte Charles mit einem seltsamen Ton in der Stimme. Er sah mich fragend an, nachdem er einen kurzen Blick auf David geworfen hatte. »Gibt es da etwas was ich wissen sollte?«, fragte er mich provokant und ich sah ihn erschrocken an. Auch David schien verwirrt.
»Ich weiß nicht Charles was du meinst, aber ich fürchte das es zu einem Krieg kommen wird!«, antwortete ich ihm schließlich. Es war, als ob mich ein eisiger Hauch streifte. Das Wort Krieg ängstigte mich, ließ mich schaudern. Das wollte ich nicht noch einmal erleben!
Erneut herrschte Schweigen zwischen uns, ein jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
»Nun gut David, das ist ein Argument für Schottland, doch wir sind nicht sonderlich wohlhabend Junge und ein Schiff wird erst wieder frühestens im Mai gehen. Wie stellst du dir das vor?«, brach nun Charles das Schweigen. Er dachte immer sehr pragmatisch.
David sah ihn aufmerksam an und zog einen Brief aus seiner Jackentasche.
»Ich habe Onkel Robert schon vergangenes Jahr geschrieben, noch bevor ich Angelique geheiratet habe.«, sagte er leise und reichte den Brief Charles.
Onkel Robert war Charles älterer Bruder, der auf Skye lebte und dort den Grundbesitz der Familie, einem Zweig der Mac Donalds of Sleat verwaltete. Wir hatten einen guten Kontakt zu ihm, wenn er sich auch hauptsächlich auf Briefe beschränkte. Vor vier Jahren war er einmal hier gewesen. Er war ein wirklich liebenswürdiger und aufrichtiger Mann.
Charles überflog den Brief und für einen Augenblick verfinsterte sich sein Blick.
»Warum zum Teufel hast du nicht mit mir darüber geredet. Es wäre schön gewesen, wenn ich auch davon erfahren hätte, dass du meinen Bruder um Hilfe bittest!«, sagte er tadelnd zu David, der betroffen den Blick senkte.
»Ja das hätte ich tun sollen Vater, aber die Dinge haben sich überschlagen. Ich habe Angelique in eine unehrenhafte Lage gebracht und musste mich meiner Pflicht stellen. Es war alles anders geplant!«, antwortetet er schließlich.
Charles seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich habe eigentlich gedacht ich hätte euch Jungs ordentlich aufgeklärt, aber wenigstens hast du so viel Ehre gehabt das Mädchen nicht sitzen zu lassen!«, meinte er und las den Brief ein zweites Mal durch.
»Nun gut Davie, ich werde darüber nachdenken. Vor dem Frühling wird kein Schiff gehen und Gott allein weiß was bis dahin geschieht, wenn diese Rebellen so weiter machen!«, sagte Charles schließlich und klopfte auf das Flugblatt.
David nickte stumm und stand auf. »Danke Vater!«, sagte er schließlich.
Ich sah ihm stumm nach und seufzte. Charles starrte auf den Brief seines Bruders und auf das Flugblatt. »Gott Annie was bringt uns diese Zeit noch?«, fragte er schließlich.
»Ich weiß nicht Charles, aber ich glaube nichts Gutes. Diese Rebellen werden gewinnen … aber ich weiß nicht was es uns und dieses Land kostet.«, antwortete ich sinnend und der Schotte sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
»Ich weiß nicht, ob ich es je begreifen werde Annie, das du so anders bist!«, sagte er schließlich. Er stand auf und streckte seinen Rücken durch.
»Leg dich schlafen, ich will noch etwas nachdenken Annie!« Mit diesen Worten verließ er den Salon und ich wusste, dass er in sein Schreibzimmer ging. Er machte das immer, wenn er nachdenken wollte. Manchmal verbrachte Charles die ganze Nacht dort und in den letzten Jahren kam das oft vor.
Wir hatten es nie leicht gehabt. Am Anfang in Quebec, als wir noch in den kleinen Vorort Saint Roche lebten, war ich die Witwe eines Französischen Offiziers, die in Sünde mit einem berockten Wilden zusammenlebte. Wirklich akzeptiert wurden wir nicht.
Als Charles nach der Geburt unseres ersten gemeinsamen Kindes, unseres Sohnes Calum, der mittlerweile ein Teenager von dreizehn Jahren war, schließlich James Murrays Vorschlag annahm, einen Teil der Seigneurie von Luzon zu kaufen und den andern Teil zu verwalten, wurde es auch nicht viel besser.
Das Herrenhaus in Saint Emilie war eine Ruine, auch wenn das Umland fruchtbar war und die Leute fleißig ihre Felder bestellten. Wir hatten über Jahre nichts als Schulden. Die Pachten waren niedrig und auch die Mühle warf nicht viel ab. Es hatte ganze zehn Jahre gedauert, bis wir wirklich aus dem Gröbsten heraus waren und nun stand ein Krieg vor der Tür.
Seufzend begann ich einen Rundgang durch das schlafende Haus. Zuerst ging ich zur Eingangstür und kontrollierte sie, ob sie geschlossen war. Ich warf einen kurzen Blick hinaus in die kalte Dunkelheit. Es hatte früh geschneit dieses Jahr und es war bitter kalt. Ein eisiger Nordwind hatte eine riesige Schneewehe vor der Mauer aufgetürmt, die das Haus von der Straße abschirmte. Vom fernen Fluss hörte ich das Krachen der treibenden Eisschollen. Noch immer pfiff der Wind um das Haus und ließ mich frösteln. Besorgt schirmte ich die Laterne in meiner Hand ab, die drohte zu verlöschen und schloss die Tür wieder, um sie abzuschließen.
In der Küche war das Herdfeuer abgedeckt und alles sauber und ordentlich. Wir hatten ein paar Bedienstete, zu meinem Leitwesen drei Sklaven darunter, aber zum größten Teil versorgten ich und Catriona den Haushalt selber.
Ich ging die Treppe nach oben, wo sich die Schlafzimmer befanden und warf einen Blick in Catrionas Zimmer. Sie war Achtzehn und eine wirklich hübsche junge Frau, auf die diverse Männer in Quebec und Umgebung in Auge geworfen hatten. Doch sie hatte etwas von mir geerbt und das war ihre starker Wille, oder besser ihr Eigensinn. Ich wusste, dass meine Tochter sich nicht heiraten ließ, sie würde die Wahl treffen.
Mein Blick fiel auch auf das zweite zugedeckte Bett in dem Zimmer, bevor ich die Tür leise wieder schloss.
Hier hatte meine zweite Tochter geschlafen, Mairi das dritte Kind, das ich mit Charles hatte. Sie war 1765 geboren worden und vor zwei Jahren bei einer Diphtherie Epidemie gestorben. Auch dagegen war ich machtlos gewesen, etwas was mich immer sehr traf. Doch ich konnte mich glücklich schätzen. Andere Eltern hatten mehr Kinder verloren, verloren jedes Jahr eines und ich hatte von den sechs, die ich geboren hatte noch fünf, die fast alle das Teenager Alter erreicht hatten.
Seufzend lief ich weiter zum Zimmer der beiden Jungs, Calum und Ian, dreizehn und elf Jahre alt. Sie schliefen friedlich.
Beim nächsten Zimmer zögerte ich einen Moment. Es war das von Catrionas Zwillingsbruder Alan. Alan war immer mein Sorgenkind gewesen. Er hatte seine Geburt fast nicht überlebt und war ein Schreikind, immer schwierig und fast nicht zu bändigen, so dass ich fürchtete, dass er irgendeinen Hirnschaden bei seiner schweren Geburt erlitten hatte. Doch er war intelligent und überaus sensibel, dennoch machte ich mir zunehmend Sorgen um ihn. Als ich die Tür öffnete, wusste ich sofort, dass es nicht unberechtigt war. Sein Bett war leer.
Wo war der Junge schon wieder mitten in der Nacht, fragte ich mich.
Ich schloss die Tür leise und ging zum nächsten Zimmer, dem Davids und seiner verstorbenen Frau. Ich klopfte vorsichtig, doch erhielt keine Antwort. Als ich hineinschaute, fand ich auch sein Bett leer vor.
Er war wohl bei seiner Tochter und in dem kleinen Kinderzimmer fand ich ihn auch. Die Amme, eine junge Frau aus Luzon war nicht da und David trug seine kleine Tochter, unter seine Weste gepackt nah an seinem warmen Körper herum. Lediglich der schwarze Haarschopf des winzigen Kindes war zu sehen.
»Wo ist Madeleine?«, fragte ich leise.
»Nach unten gegangen, sich etwas zu trinken holen.«, antwortete David genauso leise.
Ich trat zu ihm heran und betrachtete das Kind sinnend. Es war so winzig, so zerbrechlich und es erinnerte mich zu sehr an die ersten Tage mit den Zwillingen in Melun. Sanft strich ich über das weiche Haar und das Baby rekelte sich schlaftrunken.
Davids Gesicht war weich und zugleich traurig, als sich unsere Blicke trafen.
»Ich wollte Vater nicht verärgern, aber ich muss doch auch an ihre Zukunft denken Mutter!«, sagte er schließlich.
»Er ist dir nicht böse, aber du hättest wirklich eher etwas sagen sollen.«, erwiderte ich.
David seufzte und berührt sanft die winzigen Händchen des Babys. »Ich habe etwas gespart und wenn ich im Januar nach Quebec gehe und bei Mister Halsted als Schreiber arbeite, verdiene ich mir vielleicht die Überfahrt selbst.«, schlug er schließlich vor.
»Das werden wir schon irgendwie regeln Davie, sei unbesorgt und Angelique ist bei uns in guten Händen.« Ich versuchte zu lächeln, doch ich sah plötzlich den Schmerz und die Trauer im Gesicht meines Sohnes.
»Ich lasse sie nicht gern allein….«, begann er und senkte den Blick. Ich hatte gesehen wie seine Augen feucht wurden. »Ich vermisse sie so, sie fehlt mir so…ihre Mutter…«, fuhr er mit erstickter Stimme fort.
Ich sah zu ihm auf, strich sanft mit der Hand über seine Wange. Ich konnte die Bartstoppeln unter meiner Hand fühlen und es erschreckte mich aufs Neue, ihn so erwachsen zu sehen. Ich musste an den kleinen Jungen denken, der mir ein Jahr nach der verhängnisvollen Schlacht auf der Abrahams Ebene sagte:» Du solltest nicht traurig sein Mamaidh, Dadaidh will das nicht, er will das du wieder glücklich bist und das wir alle wieder lachen!« Er war ganze sieben Jahr damals alt.
»Ich weiß Davie, wie schwer das ist. Aber so schmerzhaft es auch ist, das Leben geht weiter, es muss weiter gehen.«, versuchte ich ihn nun zu trösten.
Er zog geräuschvoll die Nase hoch und nickte stumm. Madeleine kam wieder und bewahrte meinen armen Sohn davor noch mehr in Trauer zu verfallen.
Ich streichelte noch einmal meine Enkeltochter und verabschiedete mich von David.
Zögernd betrat ich unser Schlafzimmer. Charles war noch nicht da und es war empfindlich kalt in dem Raum. Ich legte noch einmal auf die fast verloschene Glut des Kamins auf und starrte auf meinem Bett sitzend auf die Flammen.
Mir war nicht nur wegen der Temperaturen kalt, es war auch die Angst die sich anschlich. Warum nur wusste ich nichts Genaues über diesen verfluchten Unabhängigkeitskrieg.
Ich stand schließlich auf, holte mir einen warmen Wollschal aus dem Schrank und ging hinunter in Charles Schreibzimmer.
Mein Mann saß an dem großen Schreibtisch, ein Überbleibsel des Vorbesitzers von Saint Emilie, etwas von dem Wenigen dass die Brandschatzung und Plünderung im Sommer 1759 überstanden hatte und in den Trümmern des Hauses zurückgeblieben war. Er brütete über den großen ledergebunden Buch, in das er sämtliche Transaktionen eintrug, die das Gut betrafen.
Er hatte sich nur kurz nach mir umgedreht, als ich eingetreten war und nahm nun ein Schluck aus einem Tonbecher, in dem sich Ale befand.
Sanft legte ich ihm die Hand auf die Schulter. »Willst du die ganze Nacht hier zubringen?«, fragte ich leise und schob den Zopf in seinem Nacken beiseite, um ihn zu küssen.
Charles zog die Schultern hoch und gab einen erstickten Ton von sich. Er faste nach meiner Hand, die noch immer auf seiner Schulter lag und streichelte sie sanft.
»Nein, wenn du so anfängst sicher nicht.«, sagte er und seufzte. Er starrte einen Moment auf die letzten Eintragungen in dem Buch und klappte es schließlich zu. Erneut holte er tief Luft, während ich noch immer hinter ihm stand, beide Hände auf seinen breiten Schultern.
»Warum in aller Welt Annie, hast du mir nicht eher etwas gesagt über diesen Krieg, der kommen wird?«, fragte er plötzlich und sein Tonfall war alles andere als freundlich.
Ich fühlte mich getroffen und noch mehr, als ich Charles Gesicht sah, als ich mich auf den Stuhl neben ihn setzte. Sorge und ein unmissverständlicher Vorwurf lagen darin.
»Weil ich Angst habe! Ich will nicht noch einmal erleben, was ich vor fünfzehn Jahren erlebt habe. Ich will keines meiner Kinder oder dich auf einem Schlachtfeld suchen müssen!«, antwortete ich ihm mit bebender Stimme.
Charles schüttelte den Kopf und senkte den Blick. Er fasste nach meinen Händen, die eiskalt waren und streichelt sie sanft.
»Es nützt nichts die Augen zu verschließen vor den Gefahren die auf uns zukommen Annie, das müsstest du doch am besten wissen.«, sagte er schließlich leise.
»Aber ich weiß so wenig, nur ein paar Daten und keine Einzelheiten. Ich bin in Deutschland geboren und dort war die Geschichte Deutschlands wichtig und was am anderen Ende der Welt geschah nur am Rande erwähnenswert.«, ich machte eine Pause und sah in das von Sorge gezeichnete Gesicht meines Mannes. »Das einzige, was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, das diese dreizehn aufständischen Provinzen die Vereinigten Staaten von Amerika werden, eine Weltmacht wie England und Frankreich.«, fügte ich noch hinzu.
Erneut seufzte Charles, griff nach dem Flugblatt, das ebenfalls noch neben dem Brief seines Bruders auf dem Tisch lag. »Eines ist sicher Annie, der König wird sich sicher nicht gefallen lassen, was dieser Kongress in Philadelphia da beschlossen hat. Es wird Krieg geben und das heißt, dass wir uns dem nicht entziehen können. Auch wenn ich mein Offizierspatent verkauft habe, bin ich noch immer ein beurlaubtes Mitglied der Fraser Highlander auf halben Sold. Genauso geht es Malcolm und Alexander Fraser und John Nairn, die hier gesiedelt und der Handvoll Männer, die unter uns gedient haben. Ganz zu schweigen davon, dass der Gouverneur das Recht hat, alle Männer von 16 bis 60 zur Miliz einzuberufen, das würde auf zwei unserer Söhne zutreffen im Moment!«
Ich schwieg betroffen nach diesen Worten Charles. Er hatte Recht, wir konnten uns dem nicht entziehen und ich wusste, dass wir Farbe bekennen mussten, früher oder später.
Charles hatte erneut das Flugblatt in der Hand und studierte es mit gerunzelter Stirn. »Und das trägt nicht gerade dazu bei, uns aus der Sache herauszuhalten!“, meinte er und ich war für einen Augenblick verwirrt.
»Wo ist das überhaupt her?«, fragte ich vorsichtig.
»Alan hat es in seinem Zimmer liegen gehabt und er ist seit den frühen Abend verschwunden. Gott allein weiß wo er sich herumtreibt, ich fürchte er wird einer von diesen Rebellen werden, früher oder später! Das werde ich wohl schwerlich Carleton erklären können, wenn wir am 26. Dezember zum Ball nach Quebec müssen. Der Junge bringt uns ins Teufels Küche!«, antwortete Charles darauf und sah mich sinnend an. »Du hast ihm doch nicht erzählt, das diese Rebellen gewinnen werden!«, kam es nun und der Ton war hart. Ich schüttelte den Kopf. Nein, Alan hätte ich nie davon erzählt. Er war viel zu unbesonnen und auch ich hatte meine Probleme mit ihm.
Charles hatte nie Alan, David oder Catriona fühlen lassen, dass sie nicht seine leiblichen Kinder waren. Ich wusste, dass er sie wie seine eigenen liebte. Doch mit Alan hatte er, spätestens seit er in die Pubertät gekommen war, die größten Schwierigkeiten. Abgesehen davon, das Alan wirklich die allergrößten Dumme-Jungen-Streiche der Welt auf dem Kerbholz hatte, stritt er sich seit Jahren in wiederkehrender Regelmäßigkeit mit seinem Stiefvater. Er war schon zweimal davongelaufen und sogar fast ein Jahr mit einem Pelzjäger verschwunden als er sechzehn war. Er hatte das ungestüme, wilde Temperament seines Vaters, gepaart mit einer Ähnlichkeit, die nicht nur mich zeitweise erschreckte.
Alan Breck, Alans Vater und Charles Mac Donald waren für ein paar Jahre in ihrer Kindheit die besten Freunde gewesen und später standen sie sich in wiederkehrender Regelmäßigkeit als Feinde gegenüber, bis zu dem fatalen 13. September 1759 auf der Abrahams Ebene. Mehr als einmal hatten sie sich gegenseitig das Leben gerettet und als Charles Alan sterbend auf dem Schlachtfeld fand, versprach er ihm sich um mich zu kümmern, um mich und seine Kinder.
Ich schüttelte stumm den Kopf. Alan würde uns wirklich in Schwierigkeiten bringen, wenn das so weiterging. Er war wohl der geborene Rebell und würde sich wie sein Vater stets in Schwierigkeiten bringen.
Charles hielt noch immer meine Hände und sah mich mit einem seltsamen Lächeln an. »Komm, lassen wir uns nicht diesen so schönen Tag verderben. Die Dinge werden kommen, wie sie kommen müssen. Wir können nichts daran ändern. Lass uns zu Bett gehen.«, mit diesen Worten stand er auf und zog mich ebenfalls zum Stehen.
Wir gingen nach oben, wo dank meines Auflegens ein wenig Wärme das Zimmer durchflutete. Ohne ein Wort zu sagen kleideten wir uns aus.
Als ich vor dem Spiegel saß und meine Haare durchbürstete, sah ich wie Charles mich betrachtete und schließlich zu mir kam, nur noch mit dem Hemd bekleidet.
Er nahm mir die Bürste aus der Hand und kämmte mich weiter. »Du wirst auch langsam grau Annie!«, stellte er dabei fest.
So war es, auch ich wurde grau, obwohl ich zehn Jahre jünger als Charles war. Die sechs Kinder die ich geboren hatte, hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich war lange nicht mehr so schlank und Jungenhaft, wie damals als wir uns kennen gelernt hatten. Ich hatte jetzt eine frauliche Figur und das gefiel meinem Mann genauso, wie er mir gefiel.
Zwischenzeitlich hatte Charles ziemlich zugelegt, doch die Arbeit auf dem Gut, hatte das schnell wieder verschwinden lassen. Überhaupt was Handwerkliche Fähigkeiten anging, war Charles sehr begabt. Er konnte alles, angefangen von Pflügen, Pferde führen, Kutschen reparieren bis hin zu Schmiedearbeiten. Das half uns sehr viel, denn es ersparte uns teure Handwerker zu entlohnen. Auch unseren Söhnen brachte er viel bei und Calum war besonders begabt, was die Landwirtschaft betraf, während Alan wie sein Vater ein Händchen für Pferde hatte und David ein Mann der Zahlen war.
Ein Geräusch aus der Halle ließ uns aufschrecken. Ein lauter Wortwechsel war zu hören zwischen Josef, einem unserer Knechte und Alan, der wohl nachhause gekommen war.
Charles legte die Bürste weg und wollte sich nach seiner Hose umdrehen. Doch ich hielt seinen Arm fest.
»Nein Charles, bitte nicht. Ich will heute keinen Streit. Ich werde morgen mit dem Jungen reden.«, versuchte ich ihn davon abzuhalten.
Ich sah sein finsteres Gesicht im Spiegel und wie er mit sich rang. Schließlich holte er tief Luft und wand seinen Arm aus meinem Griff.
»Du hast Recht Annie, lassen wir uns nicht den Tag oder besser die Nacht verderben.«, er legte sanft die Hände auf meine Schulter und sah mich lange im Spiegel an.
Sein Gesicht hatte einen seltsamen Ausdruck angenommen. Ich sah es in ihm arbeiten und die Geräusche auf dem Flur verstummten langsam. Ich hörte wie Alan die Tür zu seinem Zimmer schloss und noch ein kurzes Poltern folgen, als sei er im Dunkeln gegen ein Möbelstück gerannt.
»Er ist betrunken!«, stellte Charles fest und schüttelte erneut den Kopf. »Er wird ihm immer ähnlicher... so ähnlich, dass ich manchmal nicht an mich halten kann. Ich möchte ihn am liebsten grün und blau schlagen, die Vernunft in ihn hinein prügeln...«, er verstummte als er mein entsetztes Gesicht sah. Er nahm die Hände von meinen Schultern und trat einen Schritt zurück, als ich aufstand.
Nun war ich es die den Kopf schüttelte. »Er ist nicht sein Vater Charles, sein Vater lebt nicht mehr und der Junge kann nichts für seine Gene, was allerdings nicht sein Benehmen entschuldigt!«, sagte ich nun und fing einen befremdlichen Blick des Schotten auf.
»Gene?«, wiederholte der mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. »Sind das auch solche Dinge, die man nur mit dem Mikroskop sieht?«, fragte er schließlich.
Ich musste fast lachen, aber ein erneutes Poltern aus Alans Zimmer erinnerte mich daran, dass dies hier das achtzehnte Jahrhundert war. Ich hatte keine Lust drei Uhr morgens meinen Ehemann über Genetik aufzuklären und das sein Stiefsohn möglicherweise nicht allzu viel daran ändern konnte, dass er nicht nur wie sein Vater aussah, sondern sich auch noch genauso wie er aufführte.
»Lass es gut sein Charles, ich werde morgen mit ihn reden und nun bin ich wirklich müde, es war ein langer Tag!«, antwortete ich schließlich.
Charles seufzte und nickte stumm. Wir kuschelten uns in unser Warmes Federbett, an aneinander geschmiegt, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend, bis Charles schließlich fortsetzte was er vor einigen Stunden im Salon angefangen hatte, als er mein Kleid aufknöpfte.
Im Sturm
Quebec 30.12. 1775
Es war ein eiskalter, frostiger Tag und allmählich verdichteten sich die Wolken im Nordosten Quebecs zu einem der gefürchteten Blizzards, die immer wieder im Winter über das Land fegten. Alan stand am späten Nachmittag vor dem Gasthaus am Rande von Saint Roche und er roch förmlich den Schnee, der kommen würde. Er wickelte den dicken Schal, den er trug dichter um seinen Hals und zog die Biberfellmütze ins Gesicht. Es stand ihm nicht danach in das Quartier zurückzugehen, das sein Zuhause war, seit sie hier die Stadt belagerten, ein elendiger Bretterverschlag, mit einem Dach aus Ästen und einer Zeltplane. Er ging ein paar Schritte um nicht zu Eis zu erstarren und lauschte in den hereinbrechende Dunkelheit, wo der Wind allmählich anschwoll und die Bäume an der Cote Geneve schüttelte und sie ächzen und knarren ließ.
Eine Gruppe von Männern, dick eingepackt in Mäntel, die man aus Decken gefertigt hatten und bewaffnet, wie er selber mit langen Büchsen, kam aus Richtung des Hospital General und Alan erkannte Daniel Morgan an der Spitze.
Morgan war ein großer, grober Kerl, um die vierzig. Er hatte während es letzten Krieges eine Kugel in den Nacken bekomme, die ihm auf ihrem Weg die Zähne auf der linken Seite zerschmettert hatte bevor sie aus der Wange austrat, was sein Gesicht leicht entstellte.
Er war ihm schon mehrere Male begegnet und hatte großen Respekt vor Ihm. Er war ein echter Haudegen und sehr beliebt bei den Männern. Alan hatte auch bei einem seiner Schießwettbewerbe teilgenommen und sein Ziel brillant getroffen. Doch er wollte lieber bei seinen Freunden bleiben, an die er sich gewöhnt hatte und nicht Morgans Rifflemen beitreten.
»Komm mit Junge, General Montgomery sammelt die Männer auf dem Abrahamsfeld, wenn der Sturm zunimmt geht es diese Nacht los.«, forderte Morgan ihn auf und Alan nickte stumm, während einer von Morgans Sergeanten in das Gasthaus ging die anderen Soldaten zu holen.
Auf dem Abrahamsfeld hatten sich schon viele Männer trotz des zunehmenden Windes versammelt und Alan schloss sich seinen Freunden an.
Die Befehle wurden gegeben und die Sturmleitern, die sie schon seit Wochen bauten verteilt. Alan und seine Freunde teilte man Arnolds Truppen zu, die über Saint Roche am Fuße der Klippen auf denen die befestigte Stadt Quebec stand in Richtung der Unterstadt, der Basse Ville vorrücken sollten. Allerdings dauerte es noch eine Weile, denn man wollte die Dunkelheit abwarten.
Als Schneesturm an Heftigkeit zunahm, marschierte der Trupp, dem Alan angehörte in Richtung Saint Roche, wo sie sich in einem Haus einquartierten, zum Leidwesen der Besitzer, die Alan zum Glück nicht kannte. Hier hatten sie es wenigstens angenehm warm. Abwechselnd legten sie sich schlafen und gegen vier weckte sie ein junger Leutnant, ein gewisser Turner.
Durch den heulenden Schneesturm ging es vorwärts, teilweise bepackt mit Sturmeitern. Alan musste den Führer spielen, bis sie in der Nähe des Palace Gates einen Kanadier trafen, den Arnold ausgewählt hatte.
Sie kamen ganz gut durch den Vorort von Saint Roche, in dem es in den vergangenen Wochen immer wieder Gefechte gegeben hatte. Teilweise waren die Häuser niedergebrannt, um zu verhindern dass sich Scharfschützen hier einnisten konnten. Alan war einer von ihnen gewesen und seine Trefferquote sehr hoch.
Es war kaum ein vorwärtskommen und obwohl Alan den Weg kannte, war er im Dunkeln kaum zu begehen. Der Wind blies ihnen den Schnee ins Gesicht, so dass er das Gefühl hatte zu Eis zu erstarren. Sie mussten ihre Waffen gegen die Feuchtigkeit schützen, was ihnen nur unzureichend gelang. Obwohl sie die Läufe und Pfannen in ihre als Mäntel getragenen Decken einwickelten. Die Männer stolperten und verloren sich aus den Augen. Die Pieken und Sturmleitern behinderten sie. Entlang des Weges hatten sich Eisschollen aufgetürmt, mussten sie an Land gezogenen Booten ausweichen. Das alles zog die Truppen unnötig auseinander und Alan, der zur Vorhut gehörte wusste am Ende selbst fast nicht mehr wo sie überhaupt waren und das als Einheimischer.
Der Sturm trieb das Geräusch von Musketenfeuer zu ihnen und auch die ersten Detonationen von Kanonen, was wohl hieß, dass man den Angriff auf das Saint Johns Gate entdeckt hatte und erwiderte.
Plötzlich peitschte ein Schuss durch die Dunkelheit gefolgt von weiteren und Rufen oben herab von der Mauer über ihnen. Man hatte sie entdeckt!
Die Hölle brach los. Musketenschüsse knallten und überall, oberhalb von ihnen sah er das Aufblitzen der Schüsse. Das einzige was ihnen übrig blieb, war sich in den Schnee zu werfen oder Schutz in den Hauseingängen zu suchen, die am Wegrand lagen. In den Pausen zwischen den Schüssen, denn mittlerweile waren es nicht nur Musketenkugeln sondern auch Granaten, die ihnen um die Ohren flogen und mit ihren Feuerbällen alles hell erleuchteten, gelang es einzelnen aufzuspringen und wer konnte weiter zu laufen. Es war Sinnlos zurückzuschießen, denn ihre Gegner saßen warm und trocken in den Kasematten über ihnen und waren nicht zu treffen.
So ging es unterhalb der Stadtmauer weiter. Der Schlitten mit der kleinen Kanone, die sie mitgenommen hatten, blieb in einer Schneewehe stecken und so sehr sie sich Mühe gaben, sie konnten ihn kein Stück bewegen. Sie verloren auch dutzende der Leitern.
Sie hatten mittlerweile die Docks erreicht und hielten weiterhin, unter heftigem Feuer von den Wällen oberhalb von ihnen, auf eine Barrikade zu, die man am Ende einer engen schmalen Gasse in der Unterstadt errichtet hatte. Alan kannte die Gasse, sie hieß Sault au Metelot und führte zu der steilen Straße, der Cote de la Montagne und damit zur Oberstadt.
Kurz bevor sie die Barrikade erreichten wurde Arnold von einer verirrten Kugel ins Bein getroffen und von Chaplain Spring weggebracht. Auch Alans Freund Martin Douglas ging es ähnlich. Daniel Morgan übernahm nun die Führung.
Die Barrikade, war gute dreieinhalb Meter hoch und wirkte auf dem ersten Blick verlassen. Sie war allerdings mit einer Kanone bestückt, die ein Stück weiter hinten auf einer hölzernen Plattform stand und soweit sie es erkennen konnten von einem einzelnen Seemann bewacht wurde, der sofort Alarm gab. Doch das schien Morgan nicht abzuschrecken. Unter Gebrüll stürmte er vorwärts gefolgt von mehreren Männern.
Der Seemann auf der Plattform verlor keine Minute und obwohl er keine Brennende Lunte hatte, feuerte er die Kanone ab, in dem er mit seiner Pistole in die Pulverkammer schoss. Krachend und Feuer spuckend löste sich ein Schuss der gefürchteten Splitterladung, die ihnen entgegen flog. Die Eisenteile jaulten durch die Luft, richteten aber zum Glück keinen sehr großen Schaden an, da die Kanone zu hoch gezielt hatte. Nur der ein Stück zurückgefallenen Kanadischen Führer, sank tödlich getroffen in den Schnee. Zu gleicher Zeit lehnten die ersten ihre Leitern gegen die Barrikade, auf der es mittlerweile lebendig wurde. Der Schuss der Kanonen hatte die Wachen wohl aus ihren Schlummer geweckte. Zögern kletterte einer der jungen Männer hoch, doch Daniel Morgan, der das sah, zog ihn herunter und kletterte selbst hinauf.
»Mir nach Jungs!«, schrie er und Alan, der es ihm gleich tun wollte sah das Aufblitzen von Musketenfeuer und Morgan mit von Pulverschmauch geschwärztem Gesicht wieder herunter purzeln.
Doch er schien unverletzt und kletterte erneut die Leiter hinauf, gefolgt von Alan und Peter Jones, einem seiner Freunde und anderen Männern unter lauten Rufen.
Kaum war Daniel Morgan oben angekommen und über das obere Ende der Barrikade gesprungen, landete er auf einem der Kanonenrohre, und rutschte unter die selbige auf die Plattform. Das bewahrte ihm davor von einem Dutzend Bajonette aufgespießt zu werden. Zwei weiter Offiziere zogen, als sie festen Boden unter den Füßen hatten, Morgan aus seiner misslichen Lage und auch Alan kam sicher über die Barrikade, um nun mit seinen Kameraden, eine Salve in das Fenster des gegenüberliegenden Hauses zu feuern, in das sich die Bewacher zurückgezogen hatten.
Mit Pieken und wer eine Muskete hatte, mit aufgepflanzten Bajonetten, jagten sie die Milizmänner aus dem Haus, in das sie durch ein Fenster eindrangen.
Die anderen folgten ihnen und binnen kürzester Zeit hatten sie die Verteidiger überwältigt und gefangen genommen. Sie verloren dabei einen Mann und weiter sechs waren mehr oder weniger leicht verwundet. Alan hatte keinen Kratzer abbekommen, doch als er die Verteidiger, fast ausschließlich Kanadische Milizen bewachen musste bekam er schon ein schlechtes Gewissen, denn es waren mehrere junge Männer aus Sainte Emilie darunter.
Nun war es also so weit, dachte er, als er sie mit finsteren Blicken musterte. Er wusste dass er auch seinen Bruder oder gar seinen Stiefvater gegenüberstehen konnte und er würde gezwungen sein sich zu entscheiden, möglicherweise sie zu töten. Alan fror bei dem Gedanken daran.
Morgan wusste nach dem schnellen Erfolg nicht was er tun sollte. Vor ihm am anderen Ende der Gasse lag eine weitere Barrikade, scheinbar verlassen und das Ausfalltor sperrangelweit offen.
»He du, du bist doch von hier, du sprichst doch Französisch?«, sprach Daniel Morgan Alan plötzlich an und riss ihn aus den dunklen Gedanken.
»Ja Sir, ich bin von hier!«, antwortete er seinen Schottischen Akzent etwas unterdrückend.
Morgan musterte ihn im Schein einer Laterne, die neben dem Haus hing.
»Du sprichst ja richtig Englisch Junge, wie heißt du?« fragte er etwas überrascht.
»Alan Stewart Sir.«, antwortete Alan ruhig und gelassen.
»Stewart? Bist du Schotte?«, kam es von Morgan.
»Ich bin in Frankreich geboren, mein Vater war Captain bei den Franzosen im letzten Krieg?«, erklärte er schließlich kurz. Es war ständig dasselbe. Sein Name und seine Sprachkenntnisse waren verdächtig und nützlich zu gleich.
Daniel Morgan musterte ihn erneut überlegend und nickte stumm.
»Kann mich erinnern dass du ein guter Schütze bist Stewart, also komm mit, wenn deine Büchse geladen ist.«, meinte er.
»Sie ist geladen Sir!«, bestätigte Alan und folgte dem Mann, der auf das Ausfalltor zuging. Zwei weiter Männer folgten ihnen und kaum waren sie durch das Tor geschlüpft, als eine Gruppe von Milizen ihnen entgegengerannt kam, sich jedoch sofort ergab, als sie die auf sie gerichteten Waffen sahen.
Unbehelligt kamen sie die Cote de la Montagne hinauf, fast bis zum Bischofs Palast.
Nur der Sturm umbrauste sie und man konnte keine Soldaten oder Milizen hören.
Alan kam das seltsam vor und auch Daniel Morgan traute den Frieden nicht ganz und zog sich wider zur Barrikade zurück.
Dort wurde Kriegsrat gehalten. Morgan war sich jetzt erst recht nicht sicher was er tun sollte. Nicht nur er hatte das Gefühl gerade eine Chance vertan zu habe die Stadt zu nehmen und die Garnison, die von ihrem Angriff völlig überrascht zu sein schien. Doch einige seiner Männer wollten warten bis ihre Hauptkräfte herangekommen waren, denn die Zahl der Gefangenen war doppelt so hoch wie ihre eigenen und sie konnten mit Leichtigkeit wieder die Oberhand gewinnen.
Außerdem sollten sie auf Montgomery warten, der von der entgegensetzten Seite, unterhalb des Cape Diamond in die Unterstadt vorrücken wollte. Alan wusste das dass ein noch schwieriger Weg war, als der den sie zurückgelegt hatten. Montgomery war gezwungen auf schmalen Pfaden unterhalb des steilen Kliffs auf dem Quebec stand entlang zu gehen und das bei dem Treibeis, das sich hier am Ufer des Sankt Lorenz aufbauen konnte.
Doch das Warten war zermürbend und der junge Mann konnte das Gefühl nicht loswerden, dass irgendetwas nicht stimmte. Wo zum Teufel blieb Montgomery?
Als endlich die Verstärkung aus Saint Roche eintraf, weitere Scharfschützen und die Kontingente von Meig und Greene, marschierten sie auf das Tor der Barrikade zu.
Doch dort erschien plötzlich ein Trupp von Seeleuten und ein Offizier forderte Daniel Morgan auf sich zu ergeben.
Morgan lachte laut und im nächsten Moment war der Offizier tot und die Seeleute zogen sich zurück.
»Quebec ist unser!«,kam nun ein Ruf aus vielen Kehlen und sie stürmten auf die Barrikade los.
Mit einem Mal brach die Hölle los. Alan hörte Glas splittern und aus den Fenstern der Häuser über ihnen wurde geschossen.
Alan duckte sich in einen Hauseingang, um Schutz zu suchen, denn überall um ihn herum fielen Männer verwundet oder tot zu Boden unter ihnen mehrere seiner Freunde.
Er legte auf einen Schützen an, den er durch das Aufblitzen des explodierenden Pulver ausmachen konnte und drückte ab. Doch nichts geschah. Sein eigenes Pulver war nass geworden!
Alan war verzweifelt und wütend. Er konnte erkennen wie seine Kameraden trotz des Kugelhagels auf die Barrikade zustürmten und ihre Leitern ansetzten.
Eine Gruppe von Rifflemen stürmte an ihm vorbei in Richtung des gegenüberliegenden Hauses.
»Hilf uns die Tür aufbrechen!«, rief der Anführer und einer seiner Männer zerrte Alan aus dem Hauseingang. Am Ende wusste er nicht wie er dem Kugelhagel heil entkam.
Doch im Inneren des Hauses erwarte sie eine Überraschung. Die ersten Männer vor Ihm schrien auf und fielen, als eine Salve auf sie abgefeuert wurde.
Alan streifte ein Schuss neben seinem rechten Ohr und er fühlte wie ihn das Blut den Hals herunterlief. Aber es schien nur eine oberflächliche Wunde zu sein, die leicht brannte und ihn nicht weiter beeinträchtigte. Doch die Männer die getroffen zu Boden gingen, ließen ihm nach hinten taumeln.
Im Schein von Fackeln erkannte er plötzlich den Offizier, der seine Gegner kommandierte, ausgerechnet die Highland Emigrants.
Alan starrte entsetzt in das Gesicht von John Nairn, einem der Männer, die wie sein Stiefvater bei den Fraser Highlandern gedient hatte im letzten Krieg. Er kannte John Nairn persönlich, denn er war genauso wie Malcolm und Alexander Fraser öfter in Saint Emilie gewesen.
Doch er hatte keine Zeit sich weiter Gedanken zu machen, denn er wurde von irgendjemand zurückgezerrt, taumelte gegen die Wand neben der Tür und sah einen der Hochländer mit dem Bajonett gegen ihn auslegen. Ein fürchterlicher Schmerz durchzuckte ihn und er hatte das Gefühl seine Eingeweide würden herausgerissen. Er sank zu Boden, seine Hände auf den Bauch pressend, wo warm das Blut darüber lief.
Erneut krachten Schüsse, stürmten Männer herein, stiegen über ihn und traten teilweise auf ihn. Kräftige Arme packten ihn schließlich und er wurde von seinem Freund Caleb Ashley nach draußen gezogen, in den Schutz eines weiteren Hauseingangs.
Es war mittlerweile hell geworden und im Schutz eines Hauses, in dem sich ein dutzend von Morgans Scharfschützen zurückgezogen hatten und auch Leute der Truppen die später gekommen waren, waren sie erst einmal sicher.
Noch immer brauste der Sturm, knallten unaufhörlich Schüssen, drangen Schreie und verzweifelte Rufe zu ihnen.
Alan lag zusammengekrümmt in einer Ecke und stöhnte. Der Schmerz war kaum widerzugeben und er hatte das Gefühl, dass wenn er seine Hände von den zerfetzten blutgetränktem Hemd nehmen, seine Eingeweide herausquellen würden. Eine unheimliche Angst hatte ihn erfasst.
Caleb beugte sich über ihn und versuchte ihn zu beruhigen. »Alan…Alan, zeig mir wo es dich erwischt hat…komm zeig es mir!«, rief der ihn mehrmals an, drehte ihn schließlich fast mit Gewalt auf den Rücken und zog seinen Hände weg. »Mein Gott!«, entfuhr es dem jungen Mann und Alan fühlte nun seine Befürchtungen bestätigt.
Doch einer von Morgans Männern, schon recht alt und mit einem mächtigen grauen Bart, beugte sich zu ihm und begutachtete die Wunde, im Zwielicht.
»Sieht Schlimm aus Junge… aber beruhige sich. Es ist nur eine Fleischwunde, deine Därme fallen nicht raus!«, kam sein Kommentar und er wies Caleb an, Alan einen Provisorischen Verband anzulegen.
Wie lange sie in dem Haus zugebracht hatten wusste keiner zu sagen. Immer noch kam es zu Schusswechseln und die Verteidiger der Stadt hatten in den Häusern eine gute, sicherer Stellung um sie auf der Straße abzuschießen, wie die Hasen.
»Verfluch, wir müssen aus diesem Loch heraus!«, gab der ältere Mann schließlich zum Besten und machte Anstalten nach draußen zu gehen. Er steckte kurz den Kopf aus der Tür, wo ihn sofort eine Salve aus dem gegenüberliegenden Haus empfing.
Er zog sich wieder zurück, lud sein langes Gewehr und bat Caleb dieses Mal das Ziel abzugeben. Der Junge kroch langsam heraus und sprang Deckung suchend hinter mehrere Leichen, die mittlerweile von Schnee bedeckt waren.
Das gab dem Alten die Gelegenheit sein Ziel im Fenster gegenüber zu finden. Sein Schuss knallte völlig unerwartet und ein Schmerzensschrei bestätigte dass er getroffen hatte.
Er packte Alan an der Jacke und zerrte ihn nach draußen, zum nächsten Deckung bietenden Hauseingang. Auf halben Wege schloss sich ihnen Caleb an und rannte auf die hintere Barrikade zu, so schnell er konnte. Es wurde wieder geschossen, doch keine der Kugeln traf den Jungen.
Er winkte Alan, der mit schmerzverzerrtem Gesicht im Schnee hockte. Mühevoll rappelte sich der junge Mann auf und rannte so schnell er konnte los. Doch mitten Im Lauf traf ihn ein schwerer Schlag an der Schulter, fühlte er wie sich eine Kugel in seine Schulter bohrte und er fiel bäuchlings in den Schnee, schon nicht mehr den Aufprall spürend.
Er hörte nicht mehr den verzweifelten Schrei von Caleb und den des Mannes, der auf ihn geschossen hatte. Er sank einfach ins Dunkel und in die Kälte.
Die Kälte, die ihn mit eisiger Faust umschloss, war auch das nächste was er wieder wahr nahm. Er lag mit dem Gesicht im Schnee, der ihn zu ersticken drohte und mühte sich verzweifelt hoch. Doch der Schmerz in seiner Schulter und in seinem Bauch ließ ihn wieder zu Boden sinken. Es gelang ihm lediglich den Kopf auf die Seite zu drehen und in seinen Arm zu betten, bevor er erneut ohnmächtig wurde.
Als er das nächte mal zu sich kam, war er erstaunt dass keine Schüsse mehr fielen. Es war relativ ruhig, bis auch vereinzeltes Stöhnen und Schreien und ein fernes Gemurmel. Alan fühlte die Kälte nicht mehr, alles um ihn herum schien in einem wattig- weichem Dämmerzustand zu versinken und er wollte nur noch schlafen.
Doch aus diesem Dämmerzustand riss ihn eine grobe Berührung. Irgendjemand drehte ihn auf den Rücken und er starrte in ein bekanntes Gesicht. Jerome Arguine, ein Junge aus Sainte Emilie hatte ihn gefunden und rief laut.
»Hierher, hierher…hier lebt noch einer…schnell David…!«, hörte er und schloss erschöpft die Augen.
Hände tasteten ihn ab und er hörte eine bekannte Stimme.
»Oh mein Gott…oh mein Gott…vergib mir…ich habe meinen eigenen Bruder erschossen…«, kam es schluchzend und Alan riss die Augen wieder auf.
Er sah in das von Pulverdunst schwarz gefärbte Gesicht seines Bruders David, durch das Tränen einen hellen Bach gegraben hatten.
»Ich bin…noch …nicht tot…David…!«, brachte er leise und stockend heraus und das Schluchzen seines Gegenübers nahm noch zu.
»Ich hab auf dich geschossen Alan…ich hab auf dich geschossen...«, entfuhr es den jungen Mann der sich nur schwer fassen konnte und ihn erneut abtaste.
»Hilf mir Jerome, wir müssen ihn aus dem Schnee heraus bringen.«, hörte Alan schließlich, als er die Augen erschöpft wieder geschlossen hatte. Mühevoll schleppten sie ihn in eines der Häuser, wo Tode und Verwundete lagen und David wickelte ihn in eine Decke.
»Wir müssen ihn hier wegbringen, ins Hospital!«, mit diesen Worten wollte er den Jungen aus Sainte Emilie wegschicken, doch Alan protestierte lautstark dagegen.
Er wollte auf keinen Fall ein Gefangener der Rotröcke werden, und damit seinem Stiefvater die Genugtuung geben, dass er Recht behalten hatte.
»Mein Gott Alan, du musst ins Hospital! Hier wird dir keiner ein Haar krümmen… und du wirst auch kein Gefangener sein, solange ich noch ein Wort mitreden kann.«, versuchte David ihn zu überzeugen. Doch Alan schüttelte energisch den Kopf.
»Oh du verdammter sturer Kerl!«, schrie David ihn an und versetzte Alan aus dem Nichts heraus einen Fausthieb, der ihn ohnmächtig werden ließ.
Jerome Arguine, war erschrocken und entsetzt. Er hatte gewusst das sich die beiden Brüder gestritten hatten, doch das David handgreiflich wurde war ihm neu, das hätte er ehe dem jüngeren der beiden zugetraut.
»Hilf mir Jerome. Wir müssen eine Trage bauen und ihn in unser Quartier an der Henkers Bastion bringen.«, bat David ihn schließlich. Der junge Kanadier seufzte und beobachtet verwirrt, wie der junge Mann seinem Bruder den Zettel, den er an seine Biberfellkappe geheftet hatte abriss und achtlos wegwarf. Die Sache kam ihm nicht geheuer vor.
Mit Hilfe einer Leiter, gelang es ihnen schließlich Alan zu dem Quartier zu bringen, eine wirklich mühselige Angelegenheit auf den mit meterhohem Schnee bedeckten Wegen und bergauf.
Jerome und David waren zu Tode erschöpft am Ende, aber es gelang ihnen den Verletzten ungesehen unterzubringen.
Zum Glück war Alan halb ohnmächtig geblieben und ergab sich vor Unterkühlung und Blutverlust geschwächt seinem Schicksal, was auch immer es bedeuten würde.
David verband ihn notdürftig, packte ihn warm ein und flößte ihm warme Getränke und etwas Suppe ein.
Allmählich kam Alan wieder zu sich und bemerkte wo er war, im Quartier der kanadischen Milizen in Quebec und nicht im Hotel de Dieu oder gar im Gefängnis im Fort Saint Louis.
»Was hast du mit mir vor David?«, fragte der junge Mann schließlich.
David holte tief Luft und runzelte die Stirn. Er sah nach den anderen Männern, die in dem großen Saal untergebracht waren, nur eine Decke hatte sein Bruder als Sichtschutz aufgehängt. Offensichtlich war er sich auch sicher, dass keiner etwas sagen würde, selbst die, die wussten dass Alan ein Rebell war.
»Ich sollte dich ins Hospital bringen, die Wunde am Bauch ist tief und müsste genäht werden, ganz davon zu schweigen, das da noch eine Kugel in deinen Brust steckt...eine die ich auf dich abgefeuert habe...«, antwortete er schließlich.
Alan schloss die Augen und lauschte den Geräuschen um sich herum. Es tat gut, es tat wirklich gut wieder so viele Leute Französisch reden zu hören und er musste zugeben, dass er sich ihnen eher zugehörig fühlte als Caleb und Martin, obwohl sie seine besten Freunde waren. Doch er wusste auch wenn David ihn ins Hospital brachte würde er zum Gefangenen werden, das würde sein Bruder nicht verhindern können.
»Kannst du das nicht machen David...ich meine mich nähen und die Kugel herausschneiden...«, sagte er schließlich und öffnete wieder die Augen.
Sein Bruder schüttelte stumm den Kopf. »Selbst wenn ich mir das zutrauen würde Alan, habe ich keine Instrumente und ich möchte hier nicht mit einer stumpfen Nähnadel oder einem Jagdmesser an dir hantieren. Ich will es nicht noch schlimmer machen.«, erwiderte er dann und stand auf. Er nahm sich seine dicke Jacke, offensichtlich wollte er nach draußen gehen.
»Ich werde mich umhören, was sie mit den Verwundeten und den Gefangenen machen, vielleicht kann ich dich als einen der unseren ausgeben im Hotel de Dieu!«, meinte er und verließ, nachdem er Jerome angewiesen hatte auf seinen jüngeren Bruder aufzupassen sein Quartier.
Draußen auf der Straße blieb er stehen und überlegte krampfhaft, wo er hingehen sollte, um Informationen zu erhalten.
Es schneite noch immer, wenn auch der Wind etwas nachgelassen hatte. Viele Männer waren beschäftigt, die Straßen und Wege frei zu halten. Man war sich keinesfalls sicher, ob es noch weitere Angriffe geben würde. Sie hatte zwar fast die gesamte Truppe von Daniel Morgan gefangen genommen und doppelt so viele getötet und die Toten lagen zum Teil noch immer in der Straße zwischen den Barrikaden. Wenn Jerome Alan nicht gefunden hätte würde auch er jetzt noch dort liegen und wäre sicher schon erfroren.
David holte tief Luft, schüttelte den Gedanken ab und machte sich auf den Weg zum Fort Saint Louis.
Als er auf die Straße kam, die vom Saint Jean Gate herführte, traf er seinen Stiefvater, der wohl in dieselbe Richtung wollte wie er. David wusste dass er Dienst auf den Mauern getan und gemeinsam mit Malcolm Fraser den Alarm in der Nachte gegeben hatte. Seit dem Tod seines kleinen Bruders war sein Stiefvater, kaum noch in der Lage, vernünftig seinen Verpflichtungen nachzukommen, so hatte ihn Alan Mac Lean auch nicht zur Sault au Matelot Barrikade geschickt, sondern John Nairn. David wusste wie das Charles Mac Donald wurmte, aber er wusste auch in welchem geistigen Zustand er war. Auf keinen Fall würde er ihm erzählen, dass er seinen Bruder Alan fast getötet hatte.
»Ich bin froh dich unbeschadet zu sehen!«, begrüßte sein Stiefvater ihn und klopfte ihm auf die Schulter. David versuchte ein verkrampftes Lächeln.
»Geht es dir gut?«, fragte Charles nun, der das wohl gesehen hatte.
»Ja...soweit es einem gut gehen kann, wenn man Leute totgeschossen hat...«, irgendetwas ließ das alles David wütend werden. Er hasste es in der Miliz zu sein, er hasste den Krieg, das Töten und wohin ihn das gebracht hatte.
Erneut legte sein Stiefvater ihm die Hand auf die Schulter und umarmte ihn plötzlich heftig. »Tut mir leid Junge das ich dir das aufgebürdet habe, es tut mir leid...«, murmelte er dabei.
David spürte wie ihm die Tränen in die Augen schossen und es machte ihn noch wütender. Er wandte sich aus Charles Umarmung und trat einen Schritt zurück. Mit dem Ärmel seiner Jacke wischte er sich das Gesicht ab und versuchte sich wieder zu fassen.
»Weißt du wo sie die Gefangenen hinbringen?«, fragte er schließlich vorsichtig.
»Zu den Recoletts, glaube ich...«, antwortete Charles freimütig und musterte den jungen Mann nachdenklich.
»Hast du Alan gesehen? Vermutest du ihn unter den Gefangenen?«, kam es dann von ihm.
»Kann sein...ich bin mir nicht sicher...vielleicht liegt er auch in der Straße dort unten in der Basse Ville...«, noch immer hatte der junge Mann sich nicht unter Kontrolle.
Sanft legte Charles erneut seine Hand auf die Schulter seines Stiefsohnes.
»Ich werde mich umsehen und auch im Hotel de Dieu, das verspreche ich dir David.«, sagte er schließlich.
»Was wird mit den Gefangenen geschehen?«, fragte der junge Mann dann.
»Das wird Gouverneur Carleton festlegen, aber ich denke es wird ihnen nicht schlecht gehen. Vielleicht werden sie einigen von Daniel Morgans Scharfschützen den Prozess machen, wenn sie Jemanden identifizieren können. Sie haben unsere Leute ja wie die Hasen abgeschossen, besonders Offiziere waren ihr Ziel.«, antwortete Charles nicht ahnend, dass er David damit sehr erschreckte. Er hatte ja immerhin die lange Büchse Alans gesehen und er vermutete nicht zu unrecht dass sein Bruder einer dieser Scharfschützen war. Er kannte seine Talente, was Treffsicherheit anging.
Ohne dass er es verhindern konnte wurde David plötzlich übel und er begann zu schwanken.
Charles hielt ihn am Arm fest und betrachtet besorgt Davids Gesicht, das bleich war und noch immer Spuren von Schießpulver aufwies.
»Geh und leg dich hin, lass dir eine Portion Rum geben. Das war heute sicher zu viel für dich.«, meinte er freizügig und der junge Mann nickte darauf nur stumm.
»Captain, Captain Mac Donald!«, hörten sie beide plötzlich Jemanden rufen und aus Richtung des Hotel de Dieu kam John Nairn gelaufen, den linken Arm in einer Schlinge.
David bekam ein schlechtes Gewissen, denn er wusste das Nairn seinen Bruder ebenfalls gesehen haben musste.
»Ich gehe lieber Vater...«, murmelte er mürrisch und machte sich auf den Rückweg zu seinem Quartier. Das Auftauchen John Nairns hatte ihn eine Entscheidung treffen lassen und der Offizier musterte ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, als er mit gesenktem Kopf an ihm vorbeilief.
»Er wirkt ziemlich mitgenommen!«, meinte Captain Nairn, als er Charles erreicht hatte. Der sah seinem Stiefsohn mit gerunzelter Stirn nach und seufzte.
»Er gehört nicht hierher. Ich hätte ihn im Oktober nach Edinburgh schicken sollen, wie es geplant war, das hätte ihm den heutigen Tag erspart!«, sagte er schließlich.
John Nairn nickte stumm und sah seinen Kameraden, mit dem er schon bei den Fraser Highlandern gedient hatte schwermütig an.
»Ich habe deinen anderen Jungen gesehen heute unten an der Barrikade...!«, sagte er schließlich und fing einen verstörten Blick Mac Donalds auf.
»Du hast ihn gesehen...im Kampf...?«, fragte der schließlich, bemüht die Fassung zu wahren und John Nairn nickte stumm. Er wusste nicht ob er dem Mann die volle Wahrheit sagen sollte, immerhin hatte er vor wenigen Wochen bereits ein Kind verloren und er wusste wie ihm das zugesetzt hatte. Captain Mac Donald war seit dem nur noch ein Schatten seiner selbst und weder Gouverneur Carleton noch Major Mac Lean betrauten ihn noch mit wirklich wichtigen Aufgaben.
»Ich habe ihn an der Barrikade gesehen...und aus den Augen verloren, es war ja stockfinster und ich bin mir auch nicht sicher.«, beschloss er zu lügen. Er konnte unmöglich sagen, dass er eine Salve auf ihn abfeuern ließ und dass ihn einer seiner Männer mit dem Bajonett erwischt hatte. Gott allein wusste ob der Junge noch am Leben war. John Nairn betete das ihn so etwas mit seinen eigenen Kindern erspart blieb. Zum Glück war sein eigener Sohn zu jung zum kämpfen und sicher bei seiner Mutter zuhause in Malbaie, viele Meilen Flussabwärts.
»Ich...ich werde mich einmal umsehen, ob er unter den Gefangenen ist... David hat so etwas angedeutet, aber er ist auch völlig durcheinander. Er wird nie Soldat werden, er hat zu viel von seiner Mutter.«, stammelte Charles Mac Donald schließlich und John Nairn klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Die beiden Offiziere trennten sich und jeder lief in die entgegengesetzte Richtung, durch den tiefen Schnee stapfend, der noch immer vom Himmel rieselte.
David war nicht sofort in sein Quartier zurückgegangen, sondern zum Palace Gate, um zu sehen wer dort Wache hielt. Wie erwartet waren es Milizen, etwa was ihn beruhigte und was einem Plan dienlich war.
Alan schlief, als er schließlich in dem ehemaligen Kasernegebäude der Franzosen, in dem die Miliz untergebracht war ankam. Er war froh darüber.
E war schon Abend und David war gerade aufgestanden, nachdem er ein paar Stunden in unruhigem Schlaf verbracht hatte. Immer wieder hatte er die Szene vor Augen als er auf den vermeintlich unbekannte Amerikaner schoss und plötzlich erkannte das es sein Bruder war. Doch sein Finger hatte schon den Abzug berührt und das Entsetzten das sich in ihm ausbreitete als er sein Opfer kopfüber in den Schnee fallen sah. Das würde ihn bis ins Grab verfolgen, fürchtete David.
Alan schlief noch und als er seine schweißnasse Stirn berührte zuckte er erschrocken zusammen. Er hatte Fieber und David wusste dass er ins Hospital gehörte. Aber er war sich auch nicht sicher, ob sein Bruder kräftig genug sein würde ins Hospital der Ursulinen zu laufen, wenn er es fertig gebracht hatte ihn aus der Stadt zu bekommen. Doch etwas anderes beunruhigte ihn im Moment.
Sein Onkel Ewan war in dem Saal aufgetaucht und suchte offensichtlich nach ihm.
»Keinen Mucks Alan!«, forderte er seinen Bruder auf und warf die Decke über ihn.
»Ach hier bist du David!«, mit diesen Worten begrüßte ihn sein Onkel und warf einen flüchtigen Blick auf die Gestalt, die mit Decken verhüllt war.
»Ist einer deiner Kameraden verwundet?«, fragte er und David schüttelte den Kopf, während sich Ewan zu ihm setzte.
»Nein, nur müde und erschöpft.«, meinte er dazu, um von Alan abzulenken.
»Du siehst auch ziemlich mitgenommen aus Junge!«, stellte Ewan fest und der junge Mann nickte stumm darauf.
»Dein Vater hat mich losgeschickt dich zu suchen. Er lässt dir ausrichten, dass er Alan nicht bei den Gefangenen gefunden hat. Er wird morgen im Hotel de Dieu nachsehen.«, berichtete der Mann und musterte nachdenklich seinen Neffen.
»Du hast ihn gesehen, Alan meine ich…an der Barrikade?«, fragte er zögernd.
»Ja, das habe ich Onkel Ewan und ich glaube Captain Nairn hat ihn auch gesehen.«, antwortete David darauf gefasst.
»Das habe ich gehört. Wir werden morgen nach ihm suchen, im Hotel de Dieu oder wo auch immer. Es ist ja schon dunkel draußen, außerdem schneit es schon wieder. Ich werde für ihn beten David und eine Kerze anzünden in der Kathedrale.«, meinte Ewan darauf und stand auf.
Dabei fiel sein Blick auf Alans Büchse, die David aufgesammelt hatte und die neben seinem Lager an der Wand lehnte.
»Wo hast du die Büchse her?«, fragte Ewan erstaunt.
»Ein Beutestück, einer der Jungs hat sie gefunden.«, antwortete David sichtlich erschrocken.
Sein Onkel hatte die Büchse in die Hand genommen und betrachtete sie genau.
»Dein Bruder hatte auch so eine und er konnte verflucht gut damit umgehen, genauso wie diese verdammten Scharfschützen von Daniel Morgan. Es würde mich nicht wundern, wenn er einer von ihnen ist. Einer von den Schurken die vergangene Woche auf deinen Vater und Captain Fraser geschossen und den armen James MacKinnon getötet haben. Daniel Morgan haben wir jedenfalls, der wird keinen Schaden im Moment anrichten und ein Großteil seiner Rifflemen auch nicht!«, war sein Kommentar dazu und er warf erneut einen Blick auf Alan, der unter seinen Decken gegen das Zittern kämpfte, dass ihn erfasst hatte.
Doch zum Glück stellte Ewan die Büchse wieder zurück und verabschiedete sich von David, dem ein Stein vom Herzen fiel.
Als er schließlich die Decke von seinem Bruder zurückschlug sah dieser ihn erschrocken an.
»Du hast also auf Vater geschossen?«, fragte David in scharfem Tonfall.
»Nein, ich habe auf Capitan Fraser und Mac Donald gezielt, geschossen habe ich auf den Privat, damit mein Kamerad neben mir sie nicht erschießt.«, antwortete dieser gereizt.
David runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Es fiel ihm verdammt schwer Verständnis für seinen jüngeren Bruder aufzubringen und das obwohl ihn die Sache der Rebellen nicht so wiederstrebte, wie für die Miliz zu kämpfen. Ihre Ideen waren gut, wenn er auch zweifelte, dass sie etwas Gutes für die Kanadier sein würden, die an ihrer Religion und an den alten Regeln Neu Frankreichs hingen. Er hatte erlebt wie starrköpfig sein Stiefvater in Punkto Religion war und er wusste das die meisten Neuengländer nicht weniger sture Anglikaner waren, die nichts anders akzeptierten und ganz gewiss keine Katholiken.
»Was hast du jetzt mit mir vor David?«, riss sein Bruder ihn aus den trüben Gedanken.
»Ich werde dir jetzt noch etwas zu essen geben, dir Weidenrindentee gegen dein Fieber und die Schmerzen verabreichen, damit du halbwegs in der Lage bist zu laufen. Ich habe morgen früh gegen Fünf Wache am Palast Tor und Jerome wird dich kurz nach der Kontrolle durch den Offizier der Regulären dorthin bringen. Du wirst unter der Waffenstillstandflagge nach Saint Roche gehen. Ich nehme das auf meine Kappe, ein Rebell mehr oder weniger wird nicht auffallen.«, erklärte David in Gälisch, damit er sicher war nicht belauscht zu werden.
Alan sah ihn lange an und nickte. Sie hatten sich gestritten vor etwa sechs Monaten, fürchterlich gestritten und er wusste, dass sein Bruder weich wie Butter war, doch er hatte nach alldem nicht erwartet, dass er ihm half. Am Ende sogar ohne das Wissen seines Stiefvaters, den David so sehr verehrte, im Gegenteil zu ihm selbst.
»Was wird Charles dazu sagen?«, sprach er das schließlich an.
Alan konnte erkennen wie es in David arbeitete. Sein Bruder war nicht nur weich, er hatte es auch nie wirklich gelernt seine Gefühle zu verbergen, wenn es nötig war.
»Ich habe die Entscheidung getroffen und mir ist egal was Vater dazu sagt!«, antwortete er scharf und stand auf. »Du solltest schlafen Alan und nicht schon wieder einen Streit mit mir anfangen wollen. Du brauchst deine Kraft um morgen ins Hospital der Nonnen oder zu einem Chirurgen in euer Lager zu kommen«, fügte er noch hinzu und ging.
Erschöpft schloss Alan die Augen und sank in einen fiebrigen Schlummer, aus dem ihn Jerome ein paar Mal weckte, um ihn Tee einzuflößen. Irgendwann schlief er dann doch ein.
Es war noch stockfinster, als der junge Kanadier ihn weckte und half sich anzuziehen. Alans Wunden schmerzten, er fühlte sich elend und schwach. Doch er wusste dass er auf die Beine kommen musste, sonst waren Davids Bemühungen umsonst.
Jerome half ihm, so gut er konnte und nach einer Weile gelang es Alan auf seine Büchse gestützt auch zu laufen.
Draußen war es bitterkalt und noch immer schneite es, was den Weg zum Palast Tor nicht einfach machte. Mehrmals kam Alan zu Fall und rappelte sich mühevoll wieder auf.
Wie geplant stand David Wache am Tor, zusammen mit einem weiteren Kanadier, der eingeweiht zu sein schien oder wohl den Bekundungen des jungen Mannes glaubte, das alles so in Ordnung sei.
David schloss das kleine Ausfalltor auf und rief auf Englisch den Posten der Amerikaner an, den er in Richtung des Intendanten Palastes vermutete. Es dauerte eine Weile bis er eine Antwort bekam.
»Geh Bruder und bete dass wir uns nicht noch einmal begegnen. Versprich mir sofort zum Hospital zu gehen, du must dich behandeln lassen«, sagte David schließlich und drückte ihm die Waffenstillstandsflagge in die Hand.
Einen Moment zögerte Alan. »Danke David!«, sagte er leise, drehte sich um und stolperte in die Dunkelheit. Er hörte wie das Tor geschlossen wurde und schließlich den amerikanischen Posten, der ihn anrief.
Es dauerte eine Weile bis er ihn erreicht hatte und der ältere Mann ihn in den Torbogen zog, der zum Nebengebäude des Palasts gehörte. Dort leuchtete er ihm mit einer flackernden Laterne ins Gesicht.
»Gehörst du zu Daniel Morgans Leuten?«, fragte er und musterte Alan misstrauisch, der sich auf seine Büchse stützte. Das schien nun auch dem Mann aufzufallen.
»Bist du verwundet Kamerad?«, fügte er hinzu und er nickte nur stumm darauf, denn er fror fürchterlich.
»Komm, ich bringe dich erst ein einmal in unsere Wachstube!«, mit diesen Worten führte der Alte ihn durch den Torbogen in einen Verschlag, der sich in dem abgebrannten Nebengebäude des Palastes befand, der auch sehr gelitten hatte.
Erschrocken fuhren dort zwei weitere Männer aus dem Schlaf. Einer fachte das Feuer wieder an und löcherte den jungen Mann mit Fragen, die er nur zögernd beantwortete.
Alan sank in eine Art Halbschlaf und fuhr erschrocken hoch, als er wieder geweckt wurde. Mittlerweile war es schon hell und einer der Männer geleitete ihn zum Gasthaus in Saint Roche, bis zum Hospital war er nicht bereit zu gehen.
Er hoffte wenigstens dort Hilfe zu bekommen, doch das einzige was er bekam war etwas Warmes zu essen und neugierige Fragen. Erneut sank Alan in einer Ecke in einen Fieberschlummer, um ebenso rabiat geweckt zu werden.
Dieses Mal war es Caleb Ashley, der ihn überschwänglich begrüßte und ebenso entsetzt war in welchem Zustand sein Kamerad war. Er wollte ihn ins Hospital bringen, doch Alan fühlte sich so elend, dass im nur nach einem Schlafplatz zu Mute war und das fand er in dem elenden Verschlag auf dem Abrahamsfeld.
Er war nicht sicher ob er nur träumte. Er konnte unmöglich wieder im Schnee liegen, obwohl Alan genauso fror, wie in dieser verfluchten Nacht. Er erinnerte sich aber nicht mehr in Quebec zu sein, nein er war in seinem Zelt, oder wie man den provisorischen Unterschlupf auf dem Abrahamsfeld auch nennen mochte. Er hörte den Wind brausen und tastet nach seinen schmerzenden Wunden.
Gestern war es ihm etwas besser gegangen, er hatte etwas essen können und das Fieber, das ihn seit Tagen quälte war weg. Doch jetzt fühlte er es wieder kommen. Klappernd schlugen ihn die Zähne aufeinander. Morgen, ja morgen würde er versuchen wieder ins Hospital General zu kommen, zu den Nonnen.
Alan öffnet die Augen und sah seinen Freund Martin Douglas am rußenden Feuer hocken. Zum Glück er war nicht mehr In Quebec...doch kaum hatte er die Augen geschlossen war alles wieder da... ein nicht enden wollender Alptraum.
»He Mann, wach auf...Alan wach auf!«, drang einen Stimme plötzlich in das brausen des Sturmes, dass er hörte und dem das trockene Knallen der Musketenschüsse, dem Schreie und Flüche folgen mussten.
Ein heftiger Schmerz an seiner Schulter riss ihn aus dem Alptraum und Alan fuhr von seinem Lager hoch.
»Caleb, du solltest ihn in Ruhe lassen, es geht ihm nicht gut. Wenn dieser verfluchte Schneesturm vorüber ist, werden wir zu den Nonnen gehen. Mein Bein wird auch immer schlimmer.«, hörte er Martin sagen, als er versuchte sich langsam in halbdunkel ihres Unterschlupfs zu orientieren.
Er konnte allmählich Caleb Ashleys Gesicht erkennen, der vor ihn hockte, seine Muskete in der Hand.
»Was ist los Caleb?«, fragte Alan und wunderte sich über den Klang seiner eigenen Stimme. Es war ein heißeres Krächzen.
Wortlos reichte der dick angezogene junge Mann ihm eine Trinkflasche aus Ton, die Brandy enthielt.
Alan nahm nur einen winzigen Schluck, denn es wurde ihm übel allein von dem Geruch.
»Turner, der Leutnant der in Saint Roch war, will dass du mit ihm in die Stadt gehst. Er sagt er braucht einen Dolmetscher.«, meinte Caleb nun und beobachte kopfschüttelnd, wie sein Kamerad sich aus seinem Deckenlager schälte und schwankend versuchte seine Jacke anzuziehen.
»Warum braucht er einen Dolmetscher meines Wissens nach spricht Carleton doch Englisch«, warf Martin Douglas ein, während er versuchte das Feuer wieder in Gang zu bekommen.
»Carleton schon, was man aber von den Milizmännern am Palast Tor nicht behaupten kann.«, erwiderte Caleb und half Alan sich weiter anzuziehen.
»Mein Gott Alan, die stinkst vielleicht. Hast du das Fell von einem Stinktier in der Jacke!«“, fügte er noch hinzu und verzog das Gesicht.
»Nein, das bin ich, meine Wunden. Ich verfaule Caleb!«, bei diesem Satz wich der junge Mann einen Schritt zurück und schüttelte erneut den Kopf.
Alan und er krochen aus dem Verhau aus Zeitleinen und Brettern ins Freie. Es hatte die vergangene Nacht kräftig geschneit und der Wind hatte mehrere Schneewehen in Richtung Saint Foy aufgetürmt. Die Luft war eisig kalt und der Atem gefror an ihren Stoppelbärten zu einer weißen Reifschicht.
Es kostete den beiden jungen Männern einige Mühe auf einem schmalen Trampelpfad vorwärts zu kommen bis zu einem Blockhaus, das an dem Weg stand der nach Saint Roche führte.
Alan kannte die Gegend wie seine Westentasche, auch wenn der Schnee alles sehr verändert hatte. Er war zwar in Frankreich geboren worden, doch hier aufgewachsen und seine Familie hatte einige Jahre in Saint Roche gelebt. Es machte ihn wertvoll für Arnolds Truppen. Er kannte jeden Winkel von Quebec und seinen Vororten, was allerdings nicht verhinderte dass sie in dem Schneesturm am Morgen des ersten Januars in den Hinterhalt in der Basse Ville gerieten.
Caleb donnerte an die Tür des Blockhauses und ein kleiner gedrungener Mann mittleren Alters öffnete sie.
Im Gegensatz zum Schlupfloch in dem Alan und seine Kameraden hausten war dieses Blockhaus das Paradies. Ein großer Kamin verbreitete wohlige Wärme und es roch nach Essen, irgendeine gute Suppe, wohl mit Wildbret, köchelte in einem großen Kesses über dem Feuer.
Auf einem Deckenlager lag ein Verwundeter, er schien zu schlafen. Nahe beim Kamin saß auf einem Stuhl ein Mann dessen Hände gefesselt waren, der grünen Uniform und den goldenen Schnüren an seiner Schulter nach ein Britischer Offizier. Sein Gesicht wies deutliche Spuren der Misshandlung auf und er musterte misstrauisch die beiden jungen Männer. Besonders der auffällig große, sehr dunkelhaarige fiel ihm ins Auge. Er zog sofort die Biberfellmütze vom Kopf und stand vor dem Leutnant stramm. Das war dem Offizier suspekt, ein disziplinierte Rebell, das gab es doch nicht, sagte er sich.
»Lieutenant Turner!«, kam es im weichen Singsang, einem Englisch dass der Brite nicht zuordnen konnte. Es war nicht dieser grauenvolle Dialekt den die meisten Amerikaner sprachen.
Turner musterte die beiden jungen Männer und warf einen kurzen Blick auf ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahren, das neben einer Marketenderin saß und leise weinte. Auch ihre Hände waren gefesselt.
»Wer von euch spricht Französisch?«, fragte der Leutnant schließlich.
»Ich Sir!«, kam es von Alan, der nun auch das Mädchen sah und sich wunderte.
»Wie Heißt du Privat?«, fragte Turner weiter und wich etwas vor dem jungen Mann zurück. Er hatte wohl Alans heftigen Geruch abbekommen.
»Alan Stewart, Sir!«, kam es prompt und nun wusste der Englische Offizier wo er den Dialekt einordnen sollte. Der Art nach wie der junge Mann das R rollte und das W hauchte, konnte er nur Schotte sein, Highlander.
Auch Lieutenant Turner schien seine eigenen Schlussfolgerungen daraus zu schließen und nickte stumm. Er zog das Mädchen, das laut zu weinen begann aus der Ecke und stellte es vor Alan hin.
Die Kleine musterte ihn schluchzend und senkte schließlich den Blick, lautstark ihre laufende Nase hochziehend.
»Frage sie warum sie sich im Lager und an den Befestigungen am Hospital herumdrückt.«, wies er an und Alan übersetzte seine Frage wie verlangt.
Noch immer schluchzte die Kleine und sah ihn ängstlich an, doch eine Antwort bekam er nicht.
»Offensichtlich versteht sie dich nicht Privat!«, warf der Leutnant ein und runzelte die Stirn, während der Britischen Gefangene den jungen Mann weiter aufmerksam beobachtete. Er hatte ganz gut verstanden, was Alan gefragt hatte und festgestellt, dass er Französisch wie ein Einheimischer sprach, etwas was ihn nachdenklich machte.
»Nun Lieutenant Turner, sie versteht mich schon. Sie hat nur Angst, deshalb antwortet sie nicht«, meinte Alan und fragte die Kleine in Französisch ob sie ihn verstanden hatte, worauf sie still nickte.
Der Leutnant musterte den jungen Mann misstrauisch. »Woher kannst du Französisch?«, fragte er schließlich.
»Ich bin in Frankreich geboren und hier in Quebec aufgewachsen. Mein Vater war Captain bei Montcalmes Truppen und ist auf dem Abrahamsfeld gefallen vor sechzehn Jahren.«, antwortet Alan gelassen und warf einen kurzen Blick auf den Britischen Offizier, der ihn durchdringend ansah.
»Und woher sprichst du so gut Englisch, wenn es auch etwas seltsam klingt?«, Turner ließ nicht locker.
»Mein Stiefvater ist Highlander und war mit Wolfes Truppen hier. Er hat mich großgezogen!«, war die knappe Antwort des jungen Mannes darauf. Er wollte nicht jedem auf die Nase binden das sein Stiefvater zu Carletons Offizieren gehörte, noch dazu vor einem gefangenen Briten. »Sie sollten das arme Mädchen nicht fesseln Lieutenant, sie ist sicher nicht gefährlich!« , fügte er noch hinzu und fing einen verwirrten Blick des Angesprochenen auf.
Ohne weiter darauf zu achten, löste er die Stricke, mit denen man die Kleine gefesselt hatte und unterhielt sich belanglos mit ihr. Schnell fand er heraus, dass sie ihren Bruder suchte, der bei den Amerikanern war, etwas was ihn fatal an seine beiden jüngeren Brüder erinnerte und an das was vor gut drei Wochen passiert war.
»Privat!“, kam es in ärgerlichem Ton von dem Leutnant und Alan warf ihm einen seiner finsteren Blicke zu, die den Man verstummen ließen.
»Sie spioniert nicht Lieutenant, sie sucht nur ihren Bruder. Ich glaube ich kenne ihn. Ihr könnt sie gehen lassen!«, meinte der junge Mann nun und nahm wahr, dass sich der Leutnant aufplusterte. Doch bevor er explodierte, mischte sich nun der Verwundete ein, der wohl einen höheren Rang hatte. Alan kannte ihn nicht.
»Turner, ich wäre dir dankbar wenn du hier nicht solchen Lärm verursachen würdet. Kümmere dich ums Wesentliche!«, warf er ein und musterte die beiden jungen Soldaten aufmerksam.
Alan hatte sich an die Wand der Blockhütte lehnen müssen, da die ungewohnte Wärme, das Bücken und der Hunger, der in seinem Gedärm wütete ihn benommen und schwach machten.
»Gib den Jungs was zu essen Sam und dann macht Euch auf in die Stadt und tauscht diesen Nichtsnutz aus gegen einen Mann, den ich dringend gebrauchen kann, nachdem sich der General im Hospital behandeln lässt.«
Alan und auch der Britische Offizier hatten bei dem letzten Satz aufgehorcht. Es klang eine gewisse Enttäuschung und eine gute Portion Zynismus durch.
»Ja Captain!«, erwiderte der Leutnant und runzelte die Stirn. So recht schien es ihm nicht zu behagen, das sein Vorgesetzter gerade ihn zu dieser Mission auserkoren hatte.
Alan und erst recht Caleb waren überglücklich über die Schüssel mit Suppen, die man ihnen gab.
Der Britische Offizier beobachtete sichtlich verwundert, wie der junge Mann aus seiner Kugeltasche einen, sorgsam in ein Tuch gewickelten Löffel auspackte, bevor er langsam aß.
Nach den sie sich gestärkt hatten machten sich Lieutenant Turner mit den beiden jungen Soldaten und den gefangenen Offizier auf in Richtung Saint Roche.
Alan hatte zu tun auf den Beinen zu bleiben, denn der hohe Schnee machte das Ganze zu einer sehr erschöpfenden Angelegenheit.
Er erkannte Saint Roche kaum mehr. Die Briten hatten den Vorort teilweise niedergebrannt, weil von den Häusern aus ständig Angriffe auf die Befestigungen der Stadt ausgingen. Heckenschützen hatten immer wieder die Wachen auf den Wällen unter Beschuss genommen. Alan hatte zu ihnen gehört, denn er war ein vortrefflicher Schütze, was er seinen Stiefvater zu verdanken hatte, dessen Männer er auf den Wällen getötet hatte.
Wenn er daran dachte lief ihm eine Gänsehaut den Rücken herunter, denn keine zwei Wochen war es her, dass er gerade ihn, Captain Charles Mac Donald von den Royal Highland Emigrants vor dem Lauf seiner Büchse hatte. Eine winzige Sekunde hatte über Leben und Tod entschieden.
Sie kamen gerade an dem Haus vorbei, das einige Jahre in seiner Kindheit sein zu hause gewesen war, als eine Gruppe eben dieser Royal Highland Emigrants, um die rauchende Ruine herum kamen.
Trotz der Weißen Flagge, die Caleb trug waren binnen Sekunden mehrere Musketenläufe auf sie gerichtet und auch Alan zielte mit seiner Büchse auf den Korporal, der die Männer anführte.
Die Bewegung hatte einen stechenden Schmerz durch seine Schulter gejagt und ließ ihn schwanken, noch dazu kam ein Schwindelgefühl als er nun ausmachte auf wen er zielte. Es war sein Onkel Ewan Cameron.
»Wir kommen unter der Parlamentärs Flagge Korporal!“, sprach der Leutnant ihn an und Ewan, der seinen Neffen mit finsterer Miene musterte, ließ seine Männer die Waffen senken und sichern. Auch Alan tat es ihnen gleich und er stützte sich haltsuchend auf den Lauf der Büchse. Er hatte zu kämpfen auf den Beinen zu blieben und hörte kaum etwas von dem Gespräch, bis Turner ihn einen Stoß versetzte und aufforderte ihm zu folgen.
Von den Briten eingekreist machten sie sich auf den Weg zum Palast Tor, durch das sie die Stadt betraten. Hier herrschte im Gegensatz zu ihrem Lager nicht Chaos und Mangel. Die Briten, es waren mit Milizen und Freiwilligen um die zweitausend Mann, hatten sich auf eine langwierige Belagerung eingerichtet und sie wussten dass sie sich auf die Mauern der Stadt verlassen konnten. Alan wusste auch dass die Amerikaner draußen vor den Mauern kaum Munition für ihre Kanonen draußen auf der Abrahamsebene hatte und konnte sehen, dass ihr Beschuss kaum Schaden angerichtet hatte. Sie hatten lediglich ein paar Schornsteine getroffen.
Als sie die steile Straße hinaufliefen, die vom Tor zum Jesuiten Seminar führte, dass schon seit Jahren als Kaserne diente, hatte Alan zu tun, sich auf den Beinen zu halten. Mehrere male strauchelte er und fühlte beim letzten Mal wie ein paar kräftige Arme ihn wieder hochzogen, als er fast schon auf der Straße lag.
»Grundgütiger Junge, was suchst du hier...!«“, hörte er die Stimme seine Onkels, der ihn auf Gälisch ansprach und wieder auf die Füße stellte.
Er sah verwirrt in das Gesicht des Mannes, mit einem Mal überwältigt von Erinnerungen. Die haselnussbraunen Augen Ewan Camerons drückten Mitgefühlt und Besorgnis aus. Ihm war wohl aus dieser Nähe nicht verborgen geblieben in welchen Zustand sein Neffe war.
Doch Alan schob den helfenden Arm beiseite und straffte sich. Wieder halbwegs Herr seines Körpers und seiner Sinne folgte er den kleinen Trupp, hinter dem er und sein Onkel etwas zurückgeblieben waren.
Das Ganze schien keiner weiter bemerkt zu haben, nur ein junger Mann gekleidet wie ein Kanadier, der Schnee vor einem Haus geschaufelt hatte, hielt mit seinem Tun inne. Er lehnte seine Schaufel an die Tür des Hauses und rannte so schnell die schneebedeckte Straßen es erlaubten davon, eine Seitenstraße hinauf die in Richtung der Wälle an die sogenannten Henkers Bastion führten.
Der Weg zum Sitz des Gouverneurs, dem Fort Saint Louis, schien sich endlos hinzuziehen und Alan kam sich zeitweise vor wie bei einem Spießrutenlauf. Er war bisher noch nie unter der Parlamentärsflagge in der Stadt gewesen und das Gefühl das ihn langsam überwältigte gefiel ihm gar nicht. Er fühlte sich auf einmal wie ein Verräter.
Vor dem Gouverneurssitz, einem Fort aus den Zeiten der Franzosen, angekommen mussten Alan und sein Freund Caleb draußen vor dem Tor warten, während Ewan seinen Leutnant und den Gefangenen hineinbrachten. Dicht an den großen Torbogen gedrängt warteten sie, während der Wind wieder auffrischte und Schnee über den Place des Arms wehte.
Caleb wickelte sich in die große Decke, die er zu einem Mantel umfunktioniert hatte und Alan hockte sich erschöpft hin, den Rücken an die steinerne Wand gelehnt. Auch er hatte sich in seine mit Pelz gefütterte Jacke gewickelt und die Biberfellmütze tief ins Gesicht gezogen.
Die Wachen am Tor beäugten sie misstrauisch und Alan starrte schließlich in den Schnee vor ihm, langsam in eine Art Halbschlaf driftend. Er fühlte sich elend und schwach. Das Fieber brannte wieder in ihm und mit einer Hand wischte er sich Schnee ins Gesicht um sich etwas abzukühlen.
Unendlich lang schien das Gespräch ihres Leutnant zu dauern und als Alan erneut etwas Schnee an seine Lippen führen wollte, um seinen Durst zu löschen, nahm er ein Paar Stiefel unmittelbar vor ihm wahr. Sein Blick folgte den Beinen aufwärts. Er sah beigefarbene Kniebundhosen, darüber einen dem seinem sehr ähnlichen, fast bis an die Knie reichender gefütterte Mantel, unter der eine rote, kurze Uniformjacke hervorlugte. Die goldfarbige Halsberge wies den Mann als Offizier aus und Alan starrte in das um Jahre gealtert erscheinende Gesicht seines Stiefvaters, der unter seinem schwarzen Dreispitz eine Perücke trug.
Mühevoll rappelte sich der junge Mann zum Stehen, froh die Mauer in seinem Rücken zu haben. Mit einer gewissen Genugtuung blickte Alan nun auf Charles Mac Donald vor sich, der zu ihm aufsehen musste.
Doch als sich ihre Blicke trafen, fühlte er sich betroffen, weshalb auch immer. In den sonst so strahlend blauen Augen seines Stiefvaters lag ein nicht enden wollender Schmerz und er kannte die Ursache davon.
Doch noch bevor Alan seinen Blick senken konnte, ging die Tür auf und ein weiterer Offizier der Rotröcke kam heraus.
»Gut dass Ihr kommt Captain Mac Donald, Colonel Mac Lean und der Gouverneur warten schon auf Euch!«, sagte der Mann und warf einen flüchtigen Blick auf die beiden Rebellen neben dem Torbogen.
Charles nickte stumm und als hinter dem Offizier Ewan Cameron auftauchte rief er ihn zu sich.
»Bringt die beidem Burschen in die Wachstube Korporal Cameron, sie erfrieren ja hier vor dem Tor!“, sagte er in befehlsgewohntem Ton ohne jede Gefühlsregung.
Ewan nickte kurz und als er an dem Captain vorbeiging, hielt dieser ihn an Ärmel seiner Jacke fest und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Korporal nickte stumm und ging als wäre nichts geschehen zu den beiden jungen Männern.
»Kommt mit in die Wachstube Jungs, ihr seht aus als ob ihr etwas zu Essen gebrauchen könntet.«
Stumm folgten Alan und Caleb dem Korporal, der sie in den Innenhof des Forts führte. Hier brannte ein großes Feuer und einige Soldaten und Milizen exerzierten unter dem Kommando eines dicken Sergeanten, der Befehle brüllte dass es von den Mauern widerhallte.
Ewan führte sie in die Wachstube neben dem Tor. Lediglich zwei Soldaten saßen hier neben dem großen Ofen, der eine wohlige Wärme verbreitete, die Alan erneut ein Schwindelgefühl bescherte.
Während Caleb sich den provisorischen Mantel und die Handschuhe auszog und seine Hände an dem Ofen aufwärmte, ließ sein Freund sich auf einer Bank nieder und lehnte sich erschöpft an die Wand an die er auch seine Büchse gestellt hatte.
Die beiden Soldaten, den grünen Uniformen nach Reguläre musterten die beiden Rebellen misstrauisch und begannen zu murren, als der Korporal, etwas Suppe aus einem Topf, der auf dem Ofen stand in eine Schale schöpfte und sie zuerst Caleb in die Hand drückte, der dankbar nickte.
»Gibt es etwas einzuwenden Privat, wenn ich hier wenig von meiner schottischen Gastfreundschaft einführe?«, fuhr Ewan einen kleinen, rotgesichtigen Soldaten an, der energisch den Kopf schüttelte.
»Macht euch nach draußen und holt Feuerholz, alle beide!«, fuhr der Korporal fort herum zu schnauzen, was Alan doch etwas erstaunte. Er kannte seinen Onkel als einen ziemlich warmherzigen und sanftmütigen Mann.
Die beiden Soldaten folgten sofort seinem Befehl, als er schließlich mit einer Schüssel Suppe vor seinem Neffen stand, der noch immer erschöpft an der Wand lehnte.
»Zieh die Jacke aus Junge, es ist warm hier drin!«, sagte er leise in Gälisch.
Zögernd folgte Alan der Aufforderung. Noch immer trug er dieselben Sachen wie am 31. Dezember. Die braune Wolljacke, die ihm viel zu klein war, eine blaue Weste, die am Bauch einen breiten Riss aufwies unter dem das von geronnenem Blut fast schwarze Hemd zu sehen war und darunter den Schmutzigen Verband. Er hatte keine andere Garderobe und so lief er seit über einer Woche in der schmutzstarrenden, übelriechenden Kleidung herum.
Ewan blieb das nicht verborgen und der Geruch von Alans Wunden tat das übrige. Er wich einen Schritt zurück, wobei er fast die Schüssel mit der Suppe fallen ließ. Gerade in diesem Moment klopfte es an der Tür.
Der Korporal drückt seinem Neffen die Schüssel in die Hand und ging zu Tür, um sie zu öffnen. »Gott sei Dank…«, hörte der ihn murmeln und Alans Blick fiel nun auf den jungen Mann, der die Wachstube betrat und sich den Schnee von der Jacke klopfte.
Er war typisch kanadisch gekleidet und trug wie Alan selbst eine Biberfellmütze, die er hastig von Kopf zog. Er war ungewöhnlich groß und kein anderer als sein Bruder David.
Der warf einen vielsagenden Blick auf seinen jüngeren Bruder, der nun zögernd seine Suppe löffelte, mit gesenktem Blick.
Caleb Ashley beobachtet die ganze Szene mit einem seltsamen Gefühl. Irgendwie schien die Luft in der kleinen Wachstube geladen und in die explosive Ladung platzten die beiden Soldaten mit dem Feuerholz herein.
»Legt es ab und verschwindet!«, herrschte Ewan sie an, während David die Suppe vom Herd hob, einen Wasserkessel darauf stellte und den Ofen mit frischem Holz bestückte, nachdem er seine Jacke abgelegt hatte.
Caleb beobachte ihn dabei unverwandt und allmählich ging ihm ein Licht auf. Die Ähnlichkeit des Neuankömmlings mit seinem Freund war unverkennbar. Er war die außergewöhnliche Körpergröße und eine gewisse Gleichartigkeit in der Mimik und den Bewegungen, auch wenn der Fremde nicht so dunkle Haare hatte und seine schräg stehenden, grünen Augen ihn an eine Katze erinnerten.
Caleb wusste dass Alans Familie aus der Nähe von Quebec war und das sein Bruder und sein Stiefvater auf der Seite der Briten kämpften, doch viel mehr auch nicht.
»Brauchst du noch etwas Davie?«, fragte der Korporal nun, bewusst auf Englisch.
Der junge Mann am Ofen warf einen Blick auf Alan und seinen Freund und schüttelte den Kopf.
Geduldig blieb er stehen und wartete bis der junge Mann seine Suppe ausgelöffelt hatte und beobachtet dabei mit einem flüchtigen Lächeln, wie er seinen Löffel abwischte und in das Tuch zu einer Gabel legte und das ganze eingewickelt wieder in seinem Proviantsack verstaute. Sein eigenes Besteck bei sich zu haben war typisch für Quebec.
Wortlos nahm David seinem Bruder die Schüssel ab, reichte sie an Ewan weiter um sich vor ihn hinzuhocken.
Alan sah ihm ausdruckslos ins Gesicht, als er vorsichtig nach seiner Stirn tastete.
»Du warst also nicht bei einem Chirurgen Alan…, ganz zu schweigen von den Nonnen«, begann er kopfschüttelnd.
»Nein… wir haben keinen im Lager, nur einen Gehilfen und der taugt nichts. Ich war zu schwach, um ins Hospital zu gehen…«, kam es genauso abgehackt von dem angesprochenen.
»Aber stark genug, um als Geleitschutz für einen Leutnant unter der weißen Fahne hier aufzukreuzen…. Sehen sich eure Offiziere nicht einmal an in welchen Zustand ihre Soldaten sind?«, kam es empört von Ewan, der einen finsteren Blick Alans nun auffing.
David schien das zu ignorieren, sah seinen Bruder nur durchdringend an und fragte leise auf Gälisch:»Weiß dein Freund Bescheid hier, weiß er wer dein Bruder und dein Vater sind?«
»…Stiefvater David…«, verbesserte er ihn mit zornigem Unterton.
»Mein Gott Alan…hast du es noch immer nicht begriffen… was muss noch passieren, …wie viele müssen noch sterben…vielleicht du selbst. Charles wollte dir nie etwas böses und er will es jetzt erst recht nicht!«, kam es in der selben Tonlage von seinem älteren Bruder.
»Alan, ist alles in Ordnung.«, fragte Caleb nun, der kein Wort verstanden hatte besorgt und musterte die beiden misstrauisch.
»Es ist alles in Ordnung Caleb, er ist mein Bruder… und wir verstehen uns manchmal nicht besonders gut!«, antwortete Alan nun bedeutend ruhiger.
»Nicht gut verstehen…bis vor einem halben Jahr verstanden wir uns prächtig… und wenn er nicht so ein Starrkopf wäre wohl noch heute!«, warf David ein absichtlich in Englisch und betrachtet sich den Kameraden seines Bruders unauffällig, während er zurück zum Ofen ging, wo das Wasser zu kochen begonnen hatte.
Der junge Mann war dürr, hatte widerspenstige dunkelblonde Haare, die zu einem dicken Zopf geflochten waren. Genauso wie sein Bruder schien er sich seit Wochen nicht rasiert oder gar gewaschen zu haben. Sein Kleidung war einfach, aber ganz und gar nicht dem Klima angemessen, dass in Kanada herrschte.
Stumm schüttelte David den Kopf und wandte sich seiner Tasche zu, aus der er mehrere Leinenbeutel, Verbandszeug und einen braune Flasche mit einem handgeschriebenen Etikett herauszog.
Er stellte sie auf den Tisch, nahm einen Trinkbecher füllte etwas von der braunen Flüssigkeit ab und reichte ihn seinem Bruder.
Der roch daran und gab den Becher kopfschüttelnd zurück.
»Kein Laudanum David, wenn ich das trinke komme ich nicht zurück ins Lager und ich will nicht hier als euer Gefangener bleiben…, um gehängt zu werden!«, sagte er leise.
»Wir behandeln die Gefangenen gut und es wird keiner gehängt Junge!«, fuhr nun Ewan dazwischen.
»Und was ist mit den Kanadiern, die Carleton hängen ließ und über die Mauer warf!«, kam es nun sichtlich empört von Caleb Ashley.
Der Korporal lachte böse und warf einen finsteren Blick auf den jungen Mann.
»Das ist ein verdammtes Märchen Junge, das man erfunden hat um die Kanadier auf eure Seite zu ziehen, ein sehr erfolgreiches übrigens. Ein Märchen das dazu führte das man meiner Frau drohte ihr das Haus über dem Kopf anzuzünden, weil ich bei den Royal Emigrants diene!«, belehrte Ewan den Amerikaner.
»Schluss jetzt mit diesen Diskussionen, wer hier mehr im Recht ist. Das hat nur dazu geführt, dass wir jetzt hier sitzen, dass ich auf meinen Bruder geschossen habe und am Ende vielleicht noch sein Leben auf dem Gewissen! «, kam es nun wütend von David und Caleb erschrak bei dem Tonfall.
»Ich vergebe dir Davie... «, murmelte Alan tonlos. »Immerhin wolltest du ja nicht absichtlich auf mich schießen! «, fügte er noch hinzu.
»Wie nobel von dir kleiner Bruder! Deine Vergebung macht mich nicht weniger schuldig...das hätte alles nicht so kommen müssen. «, mit einer Handbewegung winkte David schließlich ab, ging zum Herd und goss Wasser in eine Schale mit Kräutern, die er anschließend vor die Tür stellte, um sie im Schnee abkühlen zu lassen.
»Zieh Jacke, Weste und Hemd aus Alan, damit ich nach deinen Wunden sehen kann.«, forderte er dann seinen Bruder auf.
Zögernd und mit Schmerzverzerrtem Gesicht schälte sich Alan aus seiner Jacke, wobei ihm Caleb half. Der junge Mann stellte dabei voller entsetzen fest, dass er die Verwundung seines Kameraden bisher noch nie richtig gesehen und schlicht und ergreifend unterschätzt hatte. Er hätte ihn noch am ersten Januar ins Hospital bringen und nicht auf Alans beschwichtigende Worte hören sollen.
Auch Ewan holte tief Luft, als er die Verbände sah und murmelte etwas auf Gälisch, was keiner der Anwesenden verstand.
David schüttelte den Kopf mit einem Gesichtsausdruck, der eine Mischung aus Angst und Wut war.
»Mein Gott Alan...«, begann er mit heißerer Stimme und begann vorsichtig den Verband an der Schulter zu lösen, den er selbst vor über einer Woche angelegt hatte. Der Gestank war selbst für ihn kaum erträglich.
»Bring mir die Schale Onkel Ewan, die draußen im Schnee steht und noch etwas heißes Wasser!«, bat er schließlich in Gälisch.
David reichte seinem Bruder einen Lederknebel, während er Verbandsmaterialien vorbereitete, die er auf die Bank neben ihn legte.
»Ich könnte auch deine Hilfe brauchen.«, wandte er sich schließlich an Caleb, der stumm nickte und etwas blass wurde.
Ewan und der junge Amerikaner mussten Alan festhalten während David versuchte Alans Wunden zu säubern, eine Sache die ihm nur unzureichend gelang, da er kein chirurgisches Besteck hatte.
Alan biss während dessen mit geschlossenen Augen auf den Lederknebel und versuchte keinen Ton von sich zu geben, was ihm allerdings nur unzureichend gelang, besonders als sein Bruder nach der Kugel tastete die noch immer in seiner Brust steckte. Er fühlte eine Ohnmacht kommen und ergab sich ihr mit einem Seufzer.
Ewan und Caleb konnten ihn gerade noch so auf die Bank sinken lassen, während David schnell einen Verband anlegte und die Bajonettwunde am Bauch versorgte, solange sein Bruder ohne Bewusstsein war.
»Kannst du mir irgendwie ein neues Hemd besorgen Onkel?«, fragte er schließlich und der Schotte nickte stumm.
Der Korporal kam schnell zurück, half David seinen Bruder wieder anzukleiden und deckte ihn schließlich mit einer Decke zu, die ebenfalls gebracht hatte.
Alan war zwar bei Bewusstsein, lag aber von Caleb bewacht apathisch vor sich hin starrend auf der Bank, was seinen Kameraden doch etwas ängstigte.
Während sein älterer Bruder seine Verbandsmaterialien wieder einsammelte und in die Tasche räumte, öffnete sich wieder die Tür und Charles Mac Donald trat ein gefolgt von Lieutenant Turner, der etwas verwirrt auf den jungen Soldaten sah, der auf der Bank ausgestreckt lag.
David trat zu seinem Stiefvater und redete kurz mit ihm auf Gälisch, während Turner Caleb und Alan aufforderte sich anzuziehen, damit sie zurück ins Lager konnten.
Doch der Major trat schließlich auf den Leutnant zu und zog ihn am Ärmel ein Stück zur Seite. »Auf ein Wort Lieutenant...«, mit diesen Worten schob er ihn vor die Tür.
Alan mühte sich während dessen zum sitzen und zog mit Calebs Hilfe wieder seine Jacke an.
»Alan du musst unbedingt zu einem Chirurgen, die Kugel muss heraus!«, redete während dessen David auf ihn ein und er nickte benommen.
»Du...«, Alans Bruder sah Caleb fragend an und der nannte ihm zögernd seinen Namen. »Du Caleb sorgst dafür, dass er noch heute ins General Hospital geht, zu den Nonnen. Es gelten keine Ausreden mehr!« fügte er streng hinzu.
»Du klingst wie Mutter!«, gab Alan kleinlaut zum Besten und senkte den Blick als sein Stiefvater ohne den Leutnant wieder kam und auf ihn zuging.
»Könnt ihr uns bitte allein lassen?«, bat er leise. Ewan und David nickten und zogen Caleb mit nach draußen, wo es mittlerweile wieder stark zu schneien angefangen hatte.
Es herrschte gespannte Stille. Alan hörte die Holzscheite in Ofen knacken, das Murmeln von Stimmen vor der Tür und die gleichmäßigen Atemzüge seines Stiefvaters.
Als er schließlich wagte ihn anzusehen, fühlte er wie ein Schauer seinen Rücken herunter lief. Charles Blick hatte etwas was ihm das Herz brach.
»Es tut mir Leid…, was mit…was mit Iain passiert ist, Vater…«, brachte er stockend heraus.
Er hörte den Captain tief Luft holen und schweigen, lange schweigen. Als er aufsah erkannte er dass Charles Mac Donald wie versteinert an die Wand über ihn sah, seinen Hand verkrampft um den Korb seines Breitschwertes gelegt.
»Es… es ist meine Schuld…ich hätte besser auf die zwei Jungs aufpassen müssen…Vater…sie sollten unter der weisen Fahne in die Stadt… es tut mir so Leid…das das alles passiert ist!«, Alan hatte mit der Fassung zu kämpfen. Plötzlich war all seine Wut, seine Antipathie gegen Charles Mac Donald, den Mann der ihn aufzog, der immer der Vater gewesen war den er gebraucht hatte, den einzigen den er je kannte, wie weggeblasen.
»Du nennst mich also wieder Vater Alan…«, begann dieser schließlich mit brüchiger Stimme. Für einen kurzen Augenblick missdeutete der junge Mann den Tonfall seines Stiefvaters und sah ihn erschrocken und wütend zu gleich an.
»Es ist nicht deine Schuld Junge, was mit Iain passiert ist… das hätte niemand verhindern können… es ist die Fratze des Krieges… das ist kein Abenteuer…«, kam es nun von Charles mit gesenktem Blick.
»Willst du mich wieder belehren Vater?«, entfuhr es Alan und er fing einen verwirrte Blick des Mannes auf.
Charles holte wieder tief Luft, als müsse er seine Enttäuschung und aufkeimende Wut nieder ringen.
»Nein Alan…dazu habe ich kein Recht mehr… Du bist alt genug, alt genug um Fehler zu machen, alt genug um die Konsequenzen deines Tuns zu tragen…Ich bin nicht dein leiblicher Vater und ich habe kein Recht dich zu belehren…das habe ich verloren als du weggegangen bist…«, sagte er schließlich leise und seine Worte verwirrten Alan um so mehr. Er wusste nicht was er darauf antworten sollte, wenn er nicht einen erneuten Streit vom Zaune brechen wollte. Doch das wollte er nicht.
Das einzige was Alan wollte war, seinen Frieden machen mit Charles Mac Donald, denn er schien ein gebrochener Mann zu sein.
»So ist es Vater, ich habe beschlossen zu den Rebellen zu gehen, ein Rebell zu werden wie mein richtiger Vater, den ich nicht kannte… und ich trage die Konsequenzen. Mein kleiner Bruder ist im Kugelregen gestorben und mein älterer hat mich fast getötet… und ich habe dich fast erschossen… vor zwei Wochen…!«, der junge Mann brach ab weil er fast bildlich wieder die Ereignisse vor sich sah.
»Ich weiß Alan…du hast Privat MacKinnon neben mir erschossen…und ich habe dir das beigebracht…So ist das Leben Junge… alle Entscheidungen haben ihre Konsequenzen. Vor fast vierzig Jahren hat mein Vater mich eine Entscheidung treffen lassen. Ich hatte die Wahl Geistiger zu werden oder Soldat. Ich habe meine Wahl getroffen, doch statt des Abenteuers habe ich die Hölle gefunden. Ich hätte ein schönes Leben haben können, eine nette Frau, viele Kinder ein kleines Haus irgendwo auf Skye…Stattdessen muss ich zusehen wie meine Welt Stück für Stück zerbrach, musste meine Kinder beerdigen… Ich habe die Asche meines ersten Sohnes in den Mohawk gestreut, dem letzte Atemzug meiner Tochter gelauscht und hielt deinen Bruder verblutend in den Armen… Die Hölle hat kein Ende…«, kam es nun von seinem Stiefvater, Worte die Alan erschütterten.
Er begriff auf einmal, dass er im Grunde genommen nichts von Charles Mac Donald wusste, wirklich wusste. Er war viel zu viel damit beschäftigt gewesen mit ihm zu streiten, als einmal zu fragen was er damals erlebt hatte, als er seinem richtigen Vater versprach sich um seine Familie zu kümmern, als er ihn sterbend auf dem Schlachtfeld gefunden hatte. David hatte einmal angedeutet, dass sein Stiefvater einiges hinter sich hatte, ihm hatte er es offensichtlich erzählt. Doch Alan selber hatte Charles nie eine Chance dazu gegeben.
Ein Geräusch ließ den jungen Mann aus seinen Gedanken aufschrecken und als er aufsah, sah er wie Charles schwankte. Erschrocken sprang er auf und hielt seinen Vater an den Schultern fest. Eine Bewegung die ihn selbst in Schwierigkeiten brachte. Abgesehen von dem Schmerz, der ihn durchzuckte wurde ihm schwindelig. Ein flimmernder Nebel umgab ihn plötzlich und das nächste was er sah, war Charles Mac Donalds besorgtes Gesicht vor seinem.
»Grundgütiger, Junge du gehörst ins Hospital…«, entfuhr es diesem.
Alan holte tief Luft und schüttelte die Benommenheit ab. Er sah zu deinem Stiefvater auf und nickt stumm.
»Dir scheint es auch nicht gut zu gehen…«, begann er zögernd.
Charles setzte sich neben ihn auf die Bank und musterte ihn stumm. »So ist es, das mit Iain … hat mir sehr zugesetzt und als dein Bruder mir vor zwei Tagen erzählte dass er dich fast erschossen hätte, wurde es nicht besser.«, erwiderte er.
Erneut herrschte Schweigen und es bedrückte Alan.
»Ist Calum bei dir im Lager?«, fragte Charles plötzlich, wesentlich gefasster als vorher.
»Ich habe ihn ins General Hospital gebracht zu den Nonnen. Sie haben ein Auge auf ihn.«, antwortete Alan. »Es hat ihn ziemlich mitgenommen was mit Iain passiert ist, er macht sich große Vorwürfe.«, fügte er noch hinzu.
Erneut holte sein Stiefvater tief Luft. Er sah ihn durchdringend an, etwas was den jungen Mann doch etwas verwirrte.
»Ich habe eine einzige Bitte an dich Alan.«, begann er. »Gehe ins Hospital und lass einen Chirurgen deine Wunden ansehen und dich behandeln. Es würde deiner Mutter das Herz brechen, wenn sie auch noch dich verlieren würde, ganz zu schweigen von David und mir.«, fuhr er fort und der Blick den Alan auffing ging ihn durch Mark und Bein.
»Wenn es dir besser geht bringe bitte Calum nach Hause. Wenn du willst kannst du ein paar von deinen Kameraden mitnehmen. Es würde mich beruhigen und vielleicht einige übereifrige Pächter davon abhalten unser Haus zu plündern, wie es bei Sieur Tascherau getan haben, unserem Nachbarn, ganz zu schweigen von Alexander Frasers und Donald MacKinnons Häusern. Ich habe mit deinem Leutnant geredet, man wird euch gehen lassen.«, sagte er schließlich und griff in die Tasche seiner Uniform. Er zog einen Brief heraus und gab ihn Alan.
»Gib ihn bitte deiner Mutter und bringe ihr die Sache mit Iain vorher schonend bei. Es wird schlimm genug für sie werden…«, Charles Stimme war brüchig geworden und erneut musste er tief durchatmen.
»Noch eines Junge, du bist nicht so ein Rebell wie dein Vater. Dein Vater jagte einem Gespenst hinterher, dem lange verlorenen Traum eines Königs der seinen Thron verloren hatte. Das ist nicht dasselbe wie bei dir…Du folgst einer guten Sache, verliere das nie aus den Augen.«
Dieser Satz schockte Alan, mehr als er es zugeben mochte. Wie konnte das ein Englischer Offizier sagen, der einen Eid auf den König geschworen hatte, den König gegen den er rebellierte. Er wusste wirklich nichts über seinen Stiefvater.
Charles stand auf und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Er nickte stumm dem Leutnant zu, der mit einem etwas ärgerlichen Blick zu Alan hereinsah und ging wortlos.
Es war am späten Vormittag des fünfzehnten Januar, als Thomas und Joseph mir aufgeregt mitteilten, dass eine Gruppe Männer, offensichtlich Amerikanische Rebellen vom Fluss heraufkämen. Noch immer hatte ich eine gewisse Angst, dass es zu Plünderungen kommen konnte, denn ich wusste, dass die Rebellen unter ziemlichen Versorgungsengpässen litten. Doch ich hoffte, dass unsere Entfernung von Quebec und das Treibeis auf dem Fluss sie davon abhalten würden.
»Wie viele sind es?«, fragte ich besorgt und öffnete die Truhe, in der ich Pulver und Kugeln aufbewahrte und gab den Beiden die Waffen, die im Flur, in einem verborgenen Wandschrank in der Holzvertäfelung steckten.
»Sieben Madame!«, antwortete mir Thomas und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Und sie sehen ziemlich verkommen aus!«, fügte er noch hinzu.
Ich überlegte einen Moment und nahm schließlich meinen Umhang vom Haken und zog Stiefel an. Ich hielt es für das Beste mitzukommen, denn bisher hatten sich die Amerikaner relativ höflich gegenüber Frauen benommen und ich hoffte dass es so blieb.
Draußen war es bitterkalt, obwohl die Sonne schien. Der Schnee war mittlerweile fast eineinhalb Meter hoch und an Stellen wo der Wind ihn verweht hatte vergangene Nacht, sogar noch höher.
Ich konnte die Gruppe sehen, als wir die Anhöhe bei der Mühle erreicht hatten. Sie kamen am hohen Ufer des Flusses entlang, der von treibenden Eisschollen bedeckt war, die sich knirschend aufeinander schoben an flachen Stellen. Sie liefen recht langsam und ich konnte erkennen wie einer von ihnen stürzte und von den anderen wieder aufgehoben wurde.
»Nun ja Thomas, sie sehen nicht nur ziemlich verkommen aus, sie scheinen auch nicht gut zu Fuß zu sein.«, stellte ich fest.
Die Gruppe hielt auf das Gutshaus zu und ich ging mit den beiden Männern, meinem Knecht Joseph und Thomas, dem Sklaven einen Trampelpfad von der Mühle hinunter auf den breiten Fahrweg, der von einigen Schlitten schon geräumt war. Auch die Fremden hatten den Weg erreicht und als sie näher kamen, sah ich dass Thomas nicht unrecht hatte. Sie sahen wirklich verkommen aus, hatten sich in Decken und Lumpen gewickelt, um sich gegen die schneidende Kälte zu schützen, ihre Gesichter waren von Bärten umrahmt.
Sie waren etwa auf Rufweite heran gekommen und wir zeigten ihnen deutlich, dass wir bewaffnet waren, als sich einer von ihnen löste und auf mich zu gerannt kam. Er hob die Hände in die Luft, um zu zeigen dass er keine Waffen trug und rief laut etwas was ich im ersten Moment für einen Sinnestäuschung hielt.
»Ich bin's Mamaidh, ich bin's Calum!«, hörte ich da auf Gälisch und erkannte als er näher kam, das abgemagerte, schmutzige Gesicht meines vierzehnjährigen Sohnes.
Er blieb etwa zwei Meter vor mir stehen und hob abwehrend die Hände, als ich auf ihn zukommen wollte.
»Bleib lieber dort Mama, Alan hat gesagt, du sollst mich auf keinen Fall umarmen oder so!«, sagte er mit der heißeren Stimme eines Teenagers im Stimmbruch.
»Alan?«, fragte ich verwirrt und langsam näherten sich die anderen Fremden.
»Hallo Mutter!«, wurde ich nun angesprochen und starrte vollkommen entsetzt in das schmutzstarrende, von einem struppigen schwarzen Bart umgebene Gesicht. Nur die grauen Augen verrieten mir, dass es wirklich Alan war.
Ich presste mir vor Schreck die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Alan war der letzte, den ich hier erwartet hatte, seit er Anfang des vergangenen Jahres, nach dem Streit mit seinem Vater spurlos verschwunden war.
»Wo zur Hölle kommst du her?«, entfuhr es mir.
»Wir kommen aus Quebec Mutter!«, er sah mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Ich konnte sehen dass er Fieber hatte und er schwankte leicht.
»Können wir, ich und meine fünf Kameraden hier bleiben für ein paar Wochen oder vielleicht länger? Wir sind alle verwundet oder krank und im Lager kann uns kaum einer richtig behandeln.«, sagte er schließlich.
Ich ließ meinen Blick schweifen über seine Kameraden und sie sahen alle ziemlich mitgenommen aus und so verdammt jung.
»Ja natürlich könnt ihr das, aber ich kann nicht für eure Sicherheit sorgen, sollte hier irgendwann Englische Truppen erscheinen!«, erwiderte ich schließlich.
Alan nickte stumm und half einem seiner Freunde, der erneut zusammengebrochen war auf die Beine.
Als Joseph mit zugreifen wollte, hielt er ihn mit einem scharfen »Nein!« davon ab.
»Es sollte uns keiner anfassen, bis wir die Sachen gewechselt haben Es grassieren die Pocken im Feldlager der Amerikaner auf dem Abrahams Feld!«, erklärte er.
Am Haus angekommen bat mich Alan, um neue Kleider für sie alle, inklusive Calum und das sie sich in der Waschküche waschen, rasieren und entlausen dürften. Ich stimmte dem zu und wunderte mich im Nachhinein wie viel Alan doch auch von mir gelernt hatte, was Hygiene betraf und die Vermeidung der Weiterverbreitung von Krankheiten.
Joseph, Thomas, meine beiden Mägde und Catriona halfen mir Betten für die Männer in den Unterkünften für die Pferdeknechte im Stall vorzubereiten. Hier war es einigermaßen warm und ich würde sie hier nur so lange lassen, bis die Inkubationszeit der Pocken um war.
Meine Kinder waren geimpft, wie viele meiner Bediensteten und auch einige Kinder der Pächter. Dafür hatte ich gesorgt, wenn es auch genug Widerstand gegen diese Maßnahme gegeben hatte.
Es dauerte geraume Zeit, bis sie alle halbwegs sauber und umgezogen waren, die Lumpen verbrannt, so dass ich mich schließlich wagte in die Waschküche zu kommen.
In Decken gewickelt und mit Strickmützen, denn sie hatten sich allesamt auch den Kopf geschoren, saßen die fünf jungen Männer nah am Kaminfeuer und als sie aufsahen, erinnerte mich das fatal an die Bilder von KZ Häftlingen und Kriegsgefangenen im zweiten Weltkrieg. Sie sahen alle so mager, eingefallen und bleich aus. Auch meine beiden Söhne machten da keine Ausnahme.
Nun konnte ich endlich Calum in meine Arme schließen und der Junge heulte wie ein Schlosshund.
»Geh in die Küche und lass dir von Catriona etwas zu essen geben, aber esse langsam und schlinge nicht, egal wie groß dein Hunger ist!«, sagte ich schließlich, als er sich endlich von mir löste.
Calum wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes die Tränen aus dem Gesicht und nickte stumm.
Nun stand ich Alan gegenüber und er erinnerte mich fatal an seinen Vater, als er damals in Derby aus dem Gefängnis kam.
»Es ist gut wieder zuhause zu sein…«, brachte er mir brüchiger Stimme heraus und umarmte mich schließlich mit einer Intensität, die mir Angst machte.
Ich konnte nun auch die Tränen nicht mehr zurückhalten und ich merkte wie auch mein Sohn mit sich rang. Aber was ich ebenfalls spürte, war das Fieber das in ihm brannte und den Verband unter seinem Hemd.
»Was ist passiert, bist du verwundet?«, fragte ich, als er mich endlich losließ.
Alan sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an und senkte schließlich den Blick.
»Ja, aber ich möchte dass du erst nach den anderen siehst und ihnen vielleicht etwas zu essen gibst.«, sagte er und begann plötzlich zu schwanken.
Ich hielt ihn an der Schulter fest, doch er sackte mit einem Mal zusammen, riss mich fast mit um dabei. Einer seiner Kameraden kam mir zu Hilfe und ich knöpfte vorsichtig das Hemd meines Sohnes auf, wobei mehrere schmutzige, heftig nach Verwesung riechende Verbände zum Vorschein kamen.
»Kümmert Euch zuerst um ihn Madame. Seit zwei Wochen schleppt er sich mit diesen Wunden herum und kein Chirurg hat auch nur einen Blick darauf geworfen.«, meinte der junge Mann, der mir geholfen hatte. Ich sah in sein bleiches Gesicht und nickte stumm.
Ich rief nach Joseph und Thomas, die mir halfen Alan, der mittlerweile wieder zu sich gekommen war in sein Zimmer zu bringen.
Als ich ihnen folgen wollte, drückte mir ein anderer junger Mann einen Brief in die Hand, der auf einem Schemel gelegen hatte. Ich sah verwirrt auf das Papier und erkannte zu meinem eigenen Erschrecken Charles Handschrift. Ich steckte ihn in eine Tasche meines Rockes. Doch zuerst wollte ich mich um meinen Sohn kümmern.
Die Verbände waren das schlimmste was mir je zu Gesicht gekommen war und was sich darunter befand noch mehr. Einen Verband hatte er um den Bauch gewickelt und ich fand eine etwa zehn Zentimeter lange, breit klaffende Wunde voller Eiter und abgestorbenen Gewebe, links neben dem Nabel.
»War das ein Bajonette?«, fragte ich Alan, der darauf stumm nickte und das Gesicht verzog, als ich vorsichtig darum herum drückte, um festzustellen wie weit die Entzündung ging. Die Tiefe der Wunde war nicht auszumachen, doch ich vermutete, dass die Bauchhöhle nicht eröffnet war, denn sonst würde Alan nicht mehr leben.
Die Zweite Wunde war an seiner Schulter und die war noch schlimmer entzündet. Eine Kugel war in den Kappenmuskel eingedrungen, wahrscheinlich von einer Position oberhalb von ihm abgefeuert und was mich am meisten erschreckte war, dass die Kugel noch ein paar Zentimeter unter der Haut im Brustmuskel steckte und das Ganze unter Eiter stand. Alan hatte mehr als Glück als Verstand gehabt bei dieser Verletzung. Sie hätte tödlich sein können und mir fuhr der Schreck in alle Glieder, als ich nach der Kugel tastete. Auch so konnte sie ihn noch umbringen. Ich brauchte einen Moment, um mich zu fassen.
»Wann ist das passiert?«, fragte ich schließlich.
»Am 31. Dezember… wir haben versucht die Stadt zu stürmen. Montgomery über einen Weg unterhalb des Cape Diamond und Arnold über die Unterstadt, auf eine Barrikade an der Sault du Matelot. Ich war bei Arnold und wir sind in eine Falle gerannt. Die Miliz und die Highlander haben uns aus den Häusern beschossen…«, er machte eine Pause und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Er hatte wohl gesehen, wie bei der Erwähnung der Highlander bleich geworden war. Es war das Letzte, was ich wollte, dass er gegen seinen Stiefvater kämpfen musste oder es schon getan hatte. Aber ich ahnte nicht, dass es noch schlimmer kommen konnte.
»Das ist alles bei einem heftigen Schneesturm passiert!«, berichtete er weiter und schloss erschöpft die Augen. »Die Kugel in meiner Schulter habe ich David zu verdanken und das ich überhaupt noch lebe auch. Er hat mich verbunden und mich dann laufen lassen!«, kam es schließlich und ich presste die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Erneut brauchte ich einen Moment, um mich zu fassen.
Als ich wieder zu ihm sah, hatte Alan die Augen geschlossen. Er atmete hastig und nicht nur das zeigte mir, dass ich mich beeilen musste, damit Davids Bemühungen nicht umsonst waren.
Ich schenkte ihm etwas Brandy in einen Becker ein und drückte ihn in seine Hand.»Trink den Becher, vielleicht noch einen Zweiten, denn ich habe keinen Tropfen Laudanum mehr seit Herbst und ich muss diese Wunden ausschneiden und vor allen Dingen die Kugel herausholen. Das wird ziemlich weh tun.«, sagte ich leise.
»Das macht nichts Mutter… ich weiß ja, dass du mir helfen willst.«, antwortete Alan leise und trank vorsichtig. Besorgt beobachtete ich, wie es ihn bei dem zweiten Schluck würgte. Ich nahm ihm den Becher wieder ab.
»Wann hast du das letzte gegessen?«, fragte ich ihn.
»Vor zwei Tagen…«, antwortete er tonlos und ich schüttelte den Kopf.
Ich deckte seinen Wunden notdürftig ab und ging hinunter in die Küche, um alles vorzubereiten. Ich schickte Geneve nach oben mit etwas Brühe und Brot, die sie Alan einflößen sollte.
Ich war etwas verwundert, das Calum nicht in der Küche war, doch Catriona berichtete mir, dass der Junge am Tisch eingeschlafen sei, nachdem er etwas gegessen hatte. Joseph hatte ihn in sein Bett gebracht.
Ich musste nun all meine Kraft zusammennehmen, um Alan zu helfen. Es war schwer und ich hatte es schon mehrmals durchgemacht, einen Angehörigen zu behandeln. Das hieß unter den gegebenen Umständen, Alan Schmerzen zu bereiten und ich hatte kaum etwas sie zu lindern.
Während Catriona meine Instrumente auskochte, bereitetet ich einige Aufgüsse, die desinfizierend wirkten und eine Droge, die ich von Nakaya, Charles Mohawkfreund hatte, die eine gewisse Schmerzlinderung hatte.
Charlotte, eine unserer Sklaven beobachte aufmerksam meine Vorbereitungen. Sie hatte schon öfters gesehen, dass ich wie ein Arzt diverse Verletzungen behandelt hatte und auch vor vier Jahren, als ich mehreren Kindern durch einen beherzten Luftröhrenschnitt bei der Diphtherie Epidemie das Leben gerettet hatte. Sie hatte großen Respekt vor mir, was wohl an ihrer Afrikanischen Abstammung lag, denn nicht alle meine Nachbarn waren der gleichen Meinung.
Ich bat Charlotte und Catriona dann ein Deckenlager auf dem großen Küchentisch zu bereiten, den ich nah an das Fenster gestellt hatte, durch das voll die Mittagssonne schien.
Ich konnte Alan nicht in dem relativ dunklen Zimmer unter dem Dach versorgen.
Joseph und Thomas brachten Alan schließlich herunter, der sich kaum noch aufrecht halten konnte vor Fieber und Schwäche. Wie mir Geneve berichtete, hatte er nur wenig von dem Brandy getrunken, so dass ich ihm schließlich noch etwas von Nakayas Gebräu einflößte.
Es war eine Tortur, für Alan genauso wie für mich. Mein Sohn hielt sich tapfer, gab fast keinen Ton von sich, biss in den Knebel, den ihm Joseph gegeben hatte und krallte seine Finger in das Bettzeug. Doch am Ende, als ich mich der Kugel widmete, die im oberen Anteil des Brustmuskels steckte, war ich dankbar, dass er ohnmächtig wurde. Ich stellte dabei fest, dass er großes Glück hatte, denn der Schuss hätte tödlich sein können, wenn er nur wenige Zentimeter tiefer die großen Gefäße der Schulter getroffen hätte oder die Lungenspitze. Catriona assistierte mir dabei wie eine professionelle OP- Schwester, obwohl ich deutlich sah, wie sie mit ihren Gefühlen kämpfte. Auch für sie war es nicht leicht ihren Zwillingsbruder so leiden zu sehen.
Ich war froh, als Alan schließlich erschöpft schlafend wieder in seinem Bett lag.
Nach einer kurzen Pause sah ich mir seine Kameraden an. Zwei von ihnen musste ich ebenfalls versorgen, während die drei anderen eher an Entkräftung und Skorbut litten und ich betete, dass keiner von ihnen sich die Pocken aufgeladen hatte.
Es war schon später Abend, als ich endlich an mich selbst denken konnte, jedenfalls für einen winzigen Augenblick. Ich dachte mit einem Mal an den Brief von Charles, den ich in meiner Tasche stecken hatte. Doch gerade als ich beim Schein der Kerzen in der Küche das Siegel zerbrach rief mich Geneve, die ich an Alans Lager gesetzt hatte.
Mein Sohn fieberte hoch und phantasierte. Ich kämpfte die halbe Nacht, um das Fieber zu senken, bis er sich endlich kurz nach Mitternacht halbwegs beruhigt hatte. Ich blieb an seinem Bett und ließ mich nur einmal kurz von Catriona ablösen.
Um halb drei Uhr morgens schreckte Alan plötzlich aus den Schlaf, mit einem Aufschrei der mich erschütterte.
Als ich ihn trösten und beruhigen wollte, zog er mich schließlich zu sich herunter.
»Mutter…. Mutter, ich muss dir etwas sagen…«, flüsterte er mit heißerer Stimme.
»Es ist gut Alan, schlaf wieder…alles ist gut!«, versuchte ich ihn wieder zu beruhigen.
»Nichts wird wieder gut Mutter… nichts….!«, er ließ mich nicht los und ich war für einen Moment entsetzt.
»Iain…,Iain…!«, begann er und das Entsetzten meinerseits verstärkte sich noch mehr. Bisher hatte ich mir erfolgreich eingeredet, dass Iain gelungen war, was er und sein Bruder Calum vorgehabt hatten, als sie Ende November vergangenen Jahres in Richtung Quebec aufgebrochen waren, wo sie zu ihrem Vater und Bruder wollten.
»Mutter, Iain… Iain… es tut mir leid…ich konnte es nicht verhindern… Iain ist tot!«, kam es schließlich von Alan und um mich herum versank alles in einem Nebel.
Wie aus weiter Ferne hörte ich mich schreien und weinen, bevor es dunkel und still um mich wurde.
Ich wachte irgendwann am späten Vormittag wieder auf, betäubt von maßloser Trauer. Ich konnte mich nicht erinnern ins Bett gekommen zu sein, oder mich ausgekleidet zu haben. Draußen war es hell, die Sonne schien und die Erde drehte sich weiter, trotz des Verlustes, den ich erlitten hatte.
Als ich mich schluchzend umdrehte, fiel mein Blick auf Calum, der auf der Bettkante saß. Sein Gesicht war ebenfalls Tränennass.
»Mamaidh… darf ich zu dir kommen, …ins Bett?«, fragte er zögernd.
Ich nickte und schloss meinen fünfzehnjährigen Sohn in die Arme, der weinte wie ein Säugling.
»Mamaidh… ich bin daran schuld, dass Ian tot ist…. Ich hätte ihn nicht mitnehmen sollen….ich hätte nie weglaufen sollen….«, brachte er schließlich schluchzend heraus.
»Das ist nicht deine Schuld Calum…. Du kannst nichts dafür…!«, versuchte ich den Jungen zu beruhigen. Wenn Jemand Schuld hatte, dann war es dieser verdammte Krieg!
»Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen an dem Morgen…Mamaidh. Es war noch dunkel… und alle haben plötzlich geschossen… die Rebellen und die Wache am Palast Tor….ich habe geschrien…. das es nur ein Junge ist, doch keiner hat gehört…Mamaidh… es tut mir so leid…!«, erzählte er mir schließlich.
Wir weinten beide um Ian und konnten uns kaum beruhigen. Es dauerte ewig bis wir in der Lage waren nach unten zu gehen und etwas zu essen.
Vorher sah ich noch nach Alan, der zum Glück tief schlief, aber noch immer Fieber hatte.
Erst nach dem Essen konnte ich mich den Brief widmen, der noch immer ungelesen, aber mit gebrochenen Siegel in der Küche gelegen hatte.
Ich saß nah am Ofen in dem großen Sessel im Salon, den die Sonne beschien und las unter Tränen was Charles mir schrieb.
»Annie mo ghaol,
Es fällt mir sehr schwer diese Zeilen zu schreiben, aber du willst sicher wissen was alles passiert ist, denn du hast seit ich aus Montreal in Richtung Fort Saint Johns aufbrach im Oktober vergangenen Jahres nichts von mir gehört. Leider hatte ich nach diesem vergeblichen Versuch den Eingeschlossenen dort zu helfen, keine Gelegenheit dir eine Nachricht zukommen zu lassen, besonders als ich mich mit Gouverneur Carleton nach Quebec durchschlug und dort erfuhr das die Rebellen vor den Toren standen und sie über den Chaudiere River aus Main gekommen waren. Ich hoffe es ist nicht zu irgendwelchen Vorfällen gekommen in Saint Emilie.
Seit dem liegen wir unter Belagerung durch die Rebellen, aber es bei weitem nicht so schlimm wie damals, als unsere Truppen die Stadt beschossen. Zum Glück sind die Kanonen der Rebellen nicht so effektiv. Nur der harte Winter und die Temperaturen sind schwer zu ertragen, doch bis jetzt geht es und ich bin gesund, genauso wie David.«
Ich zweifelte dass es ihm wirklich gut ging, denn ich wusste was ein harter Winter in Quebec und unter Belagerung bedeutete. Ich hatte weder vergessen was 1759 geschehen war, als ich mit meinen Kindern ums Überleben kämpfte, noch wie es in der Stadt war, als die Franzosen über einen Monat vor den Mauern warteten und wir fürchteten sie würden sie stürmen. Die Erinnerungen überwältigten mich fast und ich musste eine Pause einlegen, nicht ahnend was noch schlimmes auf mich zukommen würde. Schließlich las ich weiter, mit zitternden Händen den Brief haltend.
»Was ich jetzt schreibe, fällt mir sehr schwer und ich hoffe Alan hat dich darauf vorbereitet.
Am siebzehnten Dezember hat es am frühen Morgen, es war noch stockfinster, einen Schusswechsel zwischen den Rebellen und der Wache am Palast Tor gegeben. Pierre Prevost hat mich geholt und als ich die Ursache des Schusswechsels erfuhr, war ich geschockt. Ein Junge hatte versucht sich von Saint Roche zu uns durchzuschlagen. Dieser Junge war kein anderer als unser kleiner Ian. Er hatte das Pech, das die Rebellen seinen Versuch vereiteln wollte und zu gleicher Zeit unsere Milizen auch auf ihn schossen, weil sie einen Angriff vermuteten. Sie haben die Rufe der Amerikaner nicht verstanden….Es war ein bedauerlicher Unfall…keiner hatte gesehen dass es nur ein Kind war… Ich will deinen Schmerz nicht mit blutigen Details verstärken, aber er war nicht allein… Ich habe ihn in meinem Armen gehalten, wie an dem Tag an dem er geboren wurde….«
Ich musste aufhören zu lesen, weil alles vor meinen Augen verschwamm. Maßlose Trauer überfiel mich und ich brauchte geraume Zeit, um mich zu fassen, damit ich weiter lesen konnte. Auch auf dem Brief fand ich Spuren, dass es Charles schwer gefallen war das zu schreiben. Einige Worte waren verschmiert und kaum leserlich.
»…Du weißt ja um die Situation in Quebec im Winter. Ich hoffe, dass bis zum Frühling das alles vorüber ist und wir unseren Jungen in Frieden begraben können.
Doch ich muss dir noch etwas erzählen, dass dich sicher nicht erfreuen wird.
Vor ein paar Tagen hat mir David etwas gestanden, was ich leider beim Anblick von Alan, der heute unter der Waffenstillstands Flagge in die Stadt kam, bestätigt fand. Am 31. Dezember versuchten die Rebellen von zwei Seiten aus die Stadt zu stürmen. Es kam zu Gefechten an zwei Barrikaden in der Unterstadt. Besonders in der Sault du Matelot hatten wir einen harten Häuserkampf in einem mörderischen Schneesturm. Keiner erkannte den anderen wirklich und ich weiß nicht wie viel Männer durch ihre eigenen Kameraden verwundet wurden. David berichtete, dass er auf Alan geschossen hat bei diesem Zwischenfall, ihn dann zwischen den Verwundeten gefunden und zur Flucht aus der Stadt verholfen hat.
Ich werde mit dem Leutnant der Rebellen reden, mit dem Alan in die Stadt kam und ihn bitten ein gutes Wort für den Jungen einzulegen, das Arnold ihn nach Hause gehen lässt, damit er sich erholt. Helfe ihm bitte, denn es ist schlimm genug, was hier geschehen ist. Es geht ihm nicht gut und was David mir über seine Verletzungen gesagt hat beunruhigt mich.
Ich werde mich mit ihm aussprechen, wirklich aussprechen. Mir fehlt die Kraft mich weiter mit ihm zu streiten und ich weiß durch dich, dass ich schon wieder auf der falschen Seite stehe. Er sollte das wissen.
Ich weiß nicht wo Calum ist, aber sicher wird Alan wissen wo er zu finden ist. Ich werde Alan bitten ihn und einige von seinen Kameraden mitzubringen, damit sie ein wenig auf euch aufpassen. Ich habe gehört dass es zu Übergriffen gekommen ist gegenüber Leuten die sich loyal den König gegenüber stellen. Man hat Ewans Frau bedroht und auch Alexander Frasers Haus wurde geplündert in La Martinière.
Ich hoffe wir sehen uns bald unter besseren Umständen wieder.
Dein dich liebender Ehemann
Charles Mac Donald «
Mit Tränen in den Augen starrte ich hinaus in den Garten vor dem Fenster, wo die Sonne den Schnee blendend weiß erhellte. Ich konnte nicht fassen, das die Sonne schien, das ich lebte, während mein jüngster Sohn in den Armen seines Vaters gestorben war und nun in einem kalten Gewölbe irgendwo in Quebec auf seine Beerdigung wartete, als eins der zahlreichen Opfer eines Krieges, den ich nicht wahr haben wollte.
Ein Geräusch von der Tür her ließ mich aufschrecken. Catriona stand da und auch sie sah vollkommen verheult aus.
»Alan sagte, du hast Nachricht von David und Vater?«, fragte sie leise.
»Ja Catriona, es geht ihnen soweit gut.«, ich hielt ihr den Brief hin, als sie näher kam.
++++
Es war Ende Juni, als Gabriel Tascherau, der Seigneur von Nouvelle Beauce zusammen mit einem Briten und einem gewissen Francois Baby auftauchten. Sie sollte im Auftrag von Gouverneur Carleton die allgemeine Ordnung wiederherstellen und vor allen Dingen die Leute bestrafen, die für die Rebellen arbeiteten oder wie Alan ganz offen sich zu der Sache bekannten.
Ganz Saint Emilie versammelte sich vor der Kirche, jedenfalls diejenigen die sich wagten offen den Vertretern der Krone gegenüber zu stehen. Einige junge Männer waren wie Alan mit den Rebellen verschwunden und hatten sich Moses Hazens Kanadischen Regiment angeschlossen.
Nichts desto trotz fanden sich die drei Männer mit einer sehr aufrührerischen Bevölkerung konfrontiert. Auch wenn Vater Berthiome einen strengen Blick auf seinen Gemeinde hatte und besonders auf mich.
Zu meinem Glück war David dabei und er sprang in die Presche, als mich der Priester, wie er es im März von der Kanzel schon getan hatte, als Königin von Ungarn, was wohl in dieser Zeit dem Ausdruck für ein aufrührerisches Mannweib entsprach. Ich war nicht die einzige Frau, die in dem schwelenden Konflikt die Stimme erhoben hatte und die Seite der Rebellen einnahm. Doch mein einziger Fehler war die Tatsache, dass ich die Mutter eines Rebellen war und mich auch noch um mehrere Verletzte gekümmert hatte, anstatt sie anzuzeigen oder als Gefangene zu behandeln.
Als die Namen derer verlesen wurden, die offen oder einfach nur aus Gewohnheit für die Bostonnaise gearbeitet hatte, war auch der meines Sohnes Alan darunter.
Am Ende ging die ganze Sache eher harmlos ab, Tascherau und seinen Genossen verdonnerte das Dorf die Straße in Richtung Pointe de Levi als Frondienst auf ihre Kosten instandzuhalten. Die neuen Offiziere der Miliz wurden festgelegt und auch der Priester nahm auf Tascheraus Empfehlung die Vorwürfe gegen mich zurück.
Fürs erste war der Sturm vorüber, was aber keineswegs meine Angst um Charles verringerte. Gabriel Tascherau hatte mir am Abend, den er als mein Gast verbrachte erzählt das es ihm gut ginge und er sicher bald nachhause kommen würde, sobald in Carleton nicht mehr brauchte. Das hatte mir ja schon David versichert und das war schon über einen Monat her.
Am ersten Juli war dann endlich so weit. David, der auf den Feldern zu tun hatte, kam im Teufelsgalopp angeritten, als ich gerade in meinem Kräutergarten Unkraut jätete. Es war ein heißer Tag und über dem Fluss hatten sich schon die ersten Gewitterwolken aufgebaut.
»Charles kommt, … er ist gerade bei Vater Berthiome, wegen Iain.«, brachte David atemlos heraus.
Ich wischte mir die Hände an der Schürze ab und stellte meine Hacke an die Feldsteinmauer. Die Straße hinunter konnte ich eine Gruppe Reiter und ein Fuhrwerk erkennen die die sich näherten.
»Wegen Iain? Was will er bei dem Priester…«, begann ich und verstummte abrupt, als ich den Wagen kommen sah,... mit dem Sarg.
Ich hatte ein halbes Jahr gebraucht um den Schmerz des Verlustes Einigermasen zu überwinden, doch jetzt war alles wieder da und der Anblick des schlichten Fichtensarges auf dem Fuhrwerk verschlug mir die Sprache.
»Geht es dir gut Mutter?«, fragte David besorgt, der das Pferd in den Stall bringen wollte und nun das Halfter Thomas in die Hand gab.
Tröstend nahm er mich in den Arm und begleitet mich aus dem Garten hinaus zum Herrenhaus, wo das Fuhrwerk stehen geblieben war.
Ewan sprang vom Kutschbock und kam mit großen Schritten zu mir. Ohne ein Wort zu sagen umarmte er mich sanft. Er flüsterte mir Worte des Trostes zu, die ich nicht wirklich hörte, denn die Trauer überwältigte mich wie zuvor im Januar, als Alan mir von Iains Tot erzählt hatte.
Ich presste nur mein Gesicht an Ewans Brust, um mein Schluchzen zu dämpfen und hörte wie David Anweisungen gab, den Sarg in das Gewölbe zu bringen in dem wir gewöhnlicher weise unsere Vorräte für den Winter lagerten und das im Moment sowieso leer war. Auch ich hatte schon den Geruch wahr genommen, als der Wind von Fluss her wehte. Das ließ mich erneut laut aufschreien und Ewan hatte alle Mühe, mich zu beruhigen.
Schließlich schob er mich ein Stück von sich weg und wischte mir umständlich das Gesicht mit einem zum Glück sauberen Taschentuch ab.
Dann fühlte ich zwei Hände auf meinen Schultern. »Annie…«, hörte ich eine sanfte Stimme sagen und ich wirbelte herum.
Charles stand da und ich war zu Tode erschrocken. Er sah schlecht aus, war mager und wirkte sehr müde und erschöpft.
Sanft zog er mich zu sich und ich umarmte ihn heftig. Erneut schüttelte mich ein Weinkrampf und ich bekam nichts von meiner Umgebung mit, bis auf Charles beruhigende, monotone Stimme. Auch bei ihm hörte ich nicht wirklich was er sagte. Allein das er jetzt wirklich hier war tröstete und beruhigte mich allmählich.
Schließlich schob Charles mich ein Stück von sich weg, sah mich besorgt an und reichte mir das Taschentuch, Ewans Taschentuch, dass ich wohl hatte fallen lassen.
Ich säuberte mir das Gesicht und sah nun, dass wir nicht allein waren. Gabriel Tascherau und der Priester von Saint Emilie standen neben uns.
Artig kondolierte Tascherau mir und auch der Priester murmelte in Französisch seine Beileidsbekundungen.
»Geh und leg dich ein wenig hin Annie, ich muss mit Monsieur Tascherau und Pere Berthiome einiges bereden, damit wir unsren armen Jungen morgen endlich beerdigen können. «, sagte Charles schließlich leise in Französisch, so dass es alle verstehen konnten.
Ich nickte wie in Trance und taumelte in Richtung der Eingangstür, wo mir Catriona entgegen kam und mich in mein Schlafzimmer geleitete.
Ich sank aufs Bett und weinte wieder, während sich meine Arme Tochter alle Mühe gab mich zu beruhigen. Schließlich schlief ich erschöpft ein und wachte irgendwann an späten Nachmittag wieder auf.
Ich lauschte auf die Geräusche des Hauses, die alle irgendwie gedämpft und zurückhaltend war. Niemand lachte, alle sprachen nur leise, die Trauer schien uns alle erfasst zu haben, genauso wie im Januar.
Ich mühte mich aus dem Bett, ordnete meine Kleidung und meine unter der Haube hervor gerutschte Frisur. Im Spiegel sah mich eine von Trauer überwältigte Frau an, die auf einmal sehr alt geworden war und ich musste an Charles Gesicht denken. Es war wieder dieser Gesichtsausdruck zu sehen gewesen, wie damals als er mich auf dem Schlachtfeld nach sieben langen Jahren wieder sah, die für ihn ein einziger nicht enden wollender Schmerz gewesen waren.
Ich holte tief Luft, um die Gedanken abzuschütteln und machte ich mich auf den Weg nach unten. Auf der Treppe sah ich gerade noch wie sich der Priester verabschiedete und mir einen flüchtigen, betroffen wirkenden Blick zuwarf.
Zögernd öffnete ich die Tür zu Charles Büro, aus dem der Mann gekommen war. Hier saß noch immer Gabriel Tascherau und sie brüteten beide über einigen Papieren.
»Verzeiht mir, ich wollte nicht stören…«, murmelte ich tonlos, als die Beiden beim öffnen der Tür erschrocken herum fuhren.
Tascherau sah mich an, dann Charles und verneigte sich höflich.
» Verzeiht mir Madame Mac Donald, ich hätte Euren Mann nicht so lange belästigen sollen. Ich werde Euch morgen in der Kirche sehen. «, sagte er und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf den Handrücken, bevor er ging.
Als die Tür ins Schloss fiel, schien auch die Spannung oder besser gesagt die Selbstbeherrschung von Charles abzufallen. Er stützte sich auf den schweren Schreibtisch auf, während ich noch immer recht unschlüssig, ein paar Schritte von ihm entfernt, nah bei der Tür stand. Erst jetzt nahm ich wahr, dass er einen Kilt trug und eine Perücke. Obwohl es hell in dem Zimmer war, schien ein Schatten über seinem Gesicht zu liegen und ich erkannte den Schmerz wieder in seinem Blick, als er sich auf mich zu drehte.
»Komm her Annie!«, bat er mich mit ausgestreckten Armen, etwas was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Ich flog regelrecht in seine Arme und klammerte mich schluchzend an Charles, der mich derart heftig umarmte, dass mir für einen Moment die Luft weg blieb.
»Annie, Annie... es tut mir ja so leid...es tut mir so leid.«, flüsterte er mit belegter Stimme und ließ mich wieder los.
Als ich ein Stück zurück trat sah ich, dass auch er weinte. Mit gesenktem Blick setzte Charles sich schließlich auf den Stuhl und wischte sich schluchzend mit dem Ärmel seines Hemdes das Gesicht ab.
»Warum nur...warum...«, begann er und sah mich kurz an. »Ich habe die beiden Jungs nie dazu ermutigt...sie nie in meinen Streit mit Alan einbezogen...«, fuhr er fort und schüttelte den Kopf.
»Es war ein dummer Jungen Streich Charles... nichts mehr und nichts weniger. Unter normalen Umständen wäre ihnen nichts geschehen... unter normalen Umständen...«, ich verstummte abrupt, als ich einen Blick des Mannes auffing.
»Ich hätte verdammt noch mal zuhause bleiben sollen...ich hätte Nein sagen sollen, als Carleton und Mac Lean mich fragten...dieser verdammte Highlandstolz wird mich noch ins Grab bringen...!«, entfuhr es ihm wütend. Er stand auf, riss sich die Perücke vom Kopf und warf sie wütend auf den Boden, gefolgt von der Halsberge, die auf dem Tisch gelegen hatte.
Ich starrte ihn entsetzt an, nicht nur weil ich solche Wutausbrüche von ihm nicht kannte, sondern weil der Anblick seines kahl rasierten Schädels mich schockierte.
»Himmel, was hast du mit deinen Haaren gemacht?«, entfuhr es mir entsetzt.
Charles sah mich verwirrt an und strich sich mit der flachen Hand über den von kurzen grauen Stoppeln bedeckten Kopf. Überdeutlich konnte man seine Tätowierungen sehen, was nicht nur an den fehlenden Haaren, sondern auch an seiner Blässe lag. Er sah verdammt schlecht aus, schoss es mir erneut durch den Kopf.
»Es ist wegen der Läuse Annie,… wegen der verflixten Läuse.«, antwortete Charles mir mürrisch. Er holte tief Luft sah mich nachdenklich an und warf einen Blick aus dem Fenster. Man hörte einen Hund bellen und Kindergeschrei, wohl Charlottes Jungen, die mit Henry, dem großen Neufundländer spielten oder dem Welpen, den Calum von Nakaya geschenkt bekommen hatte vor sechs Wochen.
»Ich habe das Gefühl, als würde er gleich herein kommen, mit hochrotem Kopf, weil er wieder mit den Hunden herumgetollt ist... es tut so verdammt weh, hier noch mehr als in Quebec. Ich bin jeden Tag an dem Gewölbe vorbeigekommen und es hat mir jedes Mal das Herz zerrissen...«, nun verstummte Charles, weil er mein Gesicht sah. Er hatte wieder erweckt, was ich mühevoll in den letzten sechs Monaten begraben hatte. Diese Gefühl ihn in seinem Zimmer zu sehen, ihn lachen zu hören, mit seinem Schlittenhund herumtollen...diese Gefühl der Leere, wenn man begriff das dies alles nie wieder sein würde.
»Es ist weder deine noch meine Schuld, dass es passiert ist... es ist Schicksal.«, sagte ich schließlich leise.
Charles schüttelte wieder den Kopf. »Nein, es ist der verfluchte Krieg..., etwas was mich nie wieder los lässt. Ich wünschte mir manchmal die Zeit zurück drehen zu können. Ich wünschte mir ich hätte dem Rat meines Vaters beherzigt und wäre Pfarrer geworden. Dann würde ich jetzt irgendwo mit einem ganzen Stall voller Kinder auf Skye sitzen und meinen Lebensabend genießen...Stattdessen... traure ich um meinen Sohn, der gerade zwölf Jahre alt war..., der in meinen Armen verblutete... Ich habe in sein Gesicht gesehen und an diesen Junge in Culloden denken müssen, den man vor meinen Augen erschoss... er war nicht viel älter und dann an den, den ich auf der Isle de Orleans selbst getötet habe...einen der Jungen die wie Gabriel Tascherau uns hinter Zäunen und Büschen hervor beschossen haben.... Das ist etwas was mich nie wieder loslässt. Annie, nie wieder...es verfolgt mich bis ins Grab,… diese Kinderaugen. Sie sollten nicht den Tod sehen, das sollten Kinder nie...«, redete er sich mit einem mal all seinen Kummer von der Seele, etwas was mich traf, was mich immer wieder an Charles eigene verletzte und zerrissene Seele erinnerte. Es war hier in Quebec und nach über 15 Jahre Frieden nicht besser geworden.
Ich ging langsam auf ihn zu und strich ihm sanft über die Wange. Ich fühlte seine grauen Bartstoppeln unter meinen Händen und sah sein von Schmerz gezeichnetes Gesicht. Ich konnte nicht anders als ihn sanft zu küssen, sehr sanft und ich schmeckte das Salz seiner und meiner Tränen auf meinen Lippen. Ich merkte wie er sich langsam beruhigte und die Erwiderung meiner Küsse bekam plötzlich eine Qualität, die mich im ersten Moment etwas erschrak.
Mit einem Seufzer, schob mich Charles schließlich von sich. Sanft strich er mir übers Gesicht und betrachtete mich sinnend.
»Du hast mir so gefehlt Annie...«, sagte er leise, holte tief Luft und lief zur Tür, wo er den Riegel vorschob. Ich war verwirrt von seinem Tun, und noch mehr verwirrte mich, als er erneut einen Blick aus dem Fenster warf und den Vorhang ein Stück zuzog.
Charles wandte sich mir zu und streifte schließlich meine Haube vom Kopf und löste mein hoch gestecktes Haar. Sanft fuhr er mit den Fingern hindurch und küsste mich.
»Zieh mich aus Annie...«, flüsterte er mir ins Ohr dabei.
Für einen Augenblick fühlte ich mich wie vor den Kopf geschlagen, doch als seine Hände mir zitternd die Weste aufknöpften und ich an seinem Atmen erkannte in welchem Zustand er war, tat ich es ihm gleich. Auch mir hatte er gefehlt und wenn es jetzt der Augenblick sein sollte zu spüren, dass wir noch lebten, dann sollte es so sein.
Charles hatte wohl mein Zögern bemerkt und hielt einen Moment inne mit seinem Tun. Er sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an.
»Ich...ich weiß das es vollkommen unangebracht ist... aber ich brauche dich .... Ich brauche dich Annie!«, kam es flehentlich von ihm.
Ich schob ihm die Weste von den Schultern, löste mit fahrigen Bewegungen den Gürtel, der seinen kurzen Kampfkilt hielt, und hörte währen er mich wieder fordernd küsste, wie die Stoffbahnen zu Boden sanken.
Charles packte mich an den Hüften, hob mich hoch und setzte mich auf den Schreibtisch. Er schob die Papiere achtlos beiseite, die er mit Gabriel Tascherau angesehen hatte und mir die Bluse und die die unter der Weste trug von den Schulter, während ich mich nach hinten sinken ließ.
Leidenschaftlich küsste und streichelte er meine Brust, schob meine Röcke nach oben und packte meine Beine. Er zog mich ein Stück zu sich heran, um mich in Position zu bringen und als er stürmisch in mich eindrang, nahm es mir für einen Augenblick die Luft. Es war über ein Jahr her dass wir miteinander geschlafen hatten und ich wollte es genauso wie er.
Charles Stöße waren kraftvoll und fordernd. Er nahm keinerlei Rücksicht auf mich, umklammerte meine Hüften und ließ seinem Trieb, anders konnte ich es nicht bezeichnen, seinen Lauf. Ich versuchte ihn mit Streicheln, Küssen und sanften Worten etwas zu beruhigen, was mir auch gelang, denn er wurde zärtlicher. Er umarmte und presste mich an sich, bis sich sein heftiger Höhepunkt in mir entlud.
»Vergib mir Annie... bitte vergib mir... das ich dich so behandele...«, flüsterte er mir schließlich ins Ohr, während er mir zum sitzen half.
Doch auf einmal geschah etwas, was mir Angst machte. Charles, der mich noch immer umarmte, stöhnte plötzlich auf. Ich konnte spüren wie er zusammenzuckte und wie er erschlaffte.
»Oh Gott… Annie…Annie…«, stöhnte er als hätte er heftigste Schmerzen.
»Charles...Charles... «, rief ich ihn an und versuchte sein Gesicht zu sehen, das auf meiner Brust ruhte. Ich konnte es nicht sehen und spürte seinen Atem stoßweiße an meiner nackten Haut, aber er antwortete mir nicht.
Verzweifelt versuchte ich Charles festzuhalten. Doch kaum konnte ich einen Blick auf sein bleiches Gesicht erhaschen, entglitt er mir und sank polternd zu Boden.
Mit einem Satz war ich vom Schreibtisch gerutscht und kniete mich neben ihn. Was ich nun sah entsetzte mich. Charles war nicht nur bleich, er sah grau aus. Stöhnende schnappte er nach Luft und der Ausdruck seines Gesichtes spiegelte Todesangst wieder. Panisch griff er nach seiner Brust.
»Annie…ich bekomme….kein….Luft, meine Brust….«, stöhnte er und versuchte sich aufzurichten. Doch es gelang ihm nicht, ganz im Gegenteil. Er erschlaffte plötzlich, den Blick vollkommen starr und angsterfüllt
Auch mich erfasste die Panik jetzt. Ich tastete nach seinem Puls an der Halsschlagader, der unter meinen Fingern nur so flatterte. 'Vorhofflimmern', schoss es mir in den Kopf und ich wusste was am besten dagegen half...etwas was ich nicht hatte...ein Defibrillator.
»Tut mir Leid Charles, aber ich muss dir weh tun...!«, mit diesen Worten wandte ich die zweitbeste Methode an, ein aus dem Rhythmus gekommenes Herz wieder in den Takt zu bringen, eine sehr unsichere Methode. Ich riss sein Hemd über der Brust auf, wo die Tätowierung des Bären mein Zielgebiet angab und ließ mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte meine Faust auf sein Brustbein sausen.
Der Ton, den Charles dabei von sich gab glich dem letzten Aufbäumen eines Sterbenden, aber es schien seine Lebensgeister zu wecken... Zwar stöhnte er noch, doch er schien besser Luft zu bekommen, was seine Gesichtsfarbe bestätigte. Doch noch immer holperte sein Puls in beträchtlichem Tempo unter meinen Fingerspitzen. Mühevoll zerrte ich Charles in Richtung des Stuhles, wo ich seinen Oberkörper gegen das Stuhlbein lehnte.
»Wird es besser mit der Luft?«, fragte ich ihn nervös und er nickte stumm.
»Hör mir gut zu Charles. Du atmest tief ein, hältst jetzt die Luft an und presst, als wärst du auf dem Abort, verstehst du mich?«, mit diesen Worten taste ich erneut nach seinem Puls. Er sollte einen sogenannten Vagusreiz setzten, der eine Kaskade von Extrasystolen oder die Tachykardie, das Herzrasen stoppen konnte. Ich musste meinen Mann allerdings erneut dazu auffordern, wohl weil er nicht begriff was ich von ihm wollte.
Die Methode half, jedenfalls für den Augenblick. Doch ich wusste, dass ich professionelle Hilfe brauchte, einen Arzt, der mit Digitalis und anderen Mitteln umgehen konnte.
»Ich gehe jetzt David rufen...!«, mit diesen Worten stand ich auf, doch Charles hielt meinen Fuß fest, so dass ich fast gestolpert wäre.
»Nein...nicht...meine Hosen...bitte gib mir...meine Hosen..., es ist…mir peinlich, wenn David…mich so…sieht!«, brachte er keuchend heraus.
Für einen Augenblick sah ich Charles verwirrt an und dann auf das Chaos auf dem Schreibtisch und die auf dem Fußboden verstreuten Kleidungsstücke.
Ich holte tief Luft und holte aus, dem Schrank in der Ecke ein Paar Hosen, die dort immer hingen, bugsierte meinen Mann mühevoll hinein und verstaute den Kilt, die Weste und die Perücke dort schnell. Zuletzt richtete ich mich wieder halbwegs, entriegelte die Tür und rief nach David.
Der kam sofort gerannt und stürzte in das Zimmer. Sein erster Blick fiel auf den Schreibtisch, meine offenen Haare und dann auf Charles. Ein seltsamer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
»Was um Himmels Willen ist passiert?«, fragte er und kniete sich neben seinen Stiefvater.
»Eine Herzattacke…, es war alles zu viel für ihn…«, erwiderte ich ihm, während ich erstaunt beobachtet wie David genauso wie ich den Puls an der Halsschlagader tastete und den Kopf schüttelte.
»Gott Vater ich habe dir doch gesagt, du sollst dich schonen und nicht so aufregen! Außerdem solltest du zu Doktor Martinau gehen, ich habe das nicht umsonst gesagt!«, maßregelte er Charles, was mich stutzig machte.
»Doktor Martinau? Hat er das etwa schon einmal in Quebec gehabt?«, fragte ich etwas aufgeregt.
David drehte sich zu mir herum und sah mich erschrocken an.»Ja, das hatte er schon mal an dem Tag, als Alan in der Stadt war!«, antwortete er mir schließlich und stand auf.
Er rief nach Thomas und Josef. Den ersteren schickte er nach Sainte Marie, Doktor Duberger holen, der mir schon im Januar geholfen hatte und mit der Hilfe von Josef bugsierte er Charles in unser Schlafzimmer.
Wirklich gut ging es meinem Mann nicht, immer wieder schien sein Herz vollkommen aus dem Rhythmus zu geraten und ich überlegte krampfhaft was ich tun konnte. Mit der Dosierung von Digitalis kannte ich mich nicht aus. Mit dem Mittel, dass man aus dem giftigen roten Fingerhut gewann, konnte man einen Menschen ganz gut ins Jenseits bringen! Das einzige was mir einfiel, was man auch in meiner Zeit anwandte, um die Patienten schmerzfrei zu bekommen und vor allen Dingen ruhig, war Laudanum, die Variante des Morphiums, das man hier bekam.
Ich schickte Catriona, die erschrocken gekommen war, es zu holen und David brachte mir in weiser Voraussicht mein Aderlass Besteck, dass ich seit einigen Jahre besaß. Im Gegensatz zu dem, was die Ärzte dieser Zeit verwendeten, war meines wenigstens sauber.
Charles ließ alle Prozeduren über sich ergehen, ohne ein Wort zu sagen, doch ich konnte die Angst erkennen in seinem Gesicht. Erst das Laudanum entspannte ihn etwas.
Als wir dann einen Moment allein waren, hielt er meine Hand fest und zog mich zu ihm heran. »Vergib mir Annie… dass ich dich so beschämt habe…«, flüsterte er.
»Das hast du nicht Charles…mach dir keine Sorgen…«, versicherte ich ihm.
Charles strich mir sanft übers Gesicht und seufzte. »Annie, … du solltest dich waschen gehen… ein jeder der das Zimmer betritt…wird wissen was wir gemacht haben…«, sagte er schließlich stockend und leise.
Ich sah ihn betroffen an und nickte. Natürlich hatte ich das gerochen. Charles Samen war mir die ganze Zeit zwischen meinen Beinen in meine Strümpfe gesickert, das hatte ich gespürt und das man das riechen konnte ebenfalls.
Ich nickte stumm, rief nach Geneve, die auf meinen Mann achten sollte und ging mich schließlich frisch machen.
Es dauerte fast zwei Stunden bis der Arzt hier war, Sainte Marie lag am Chaudiere River und das waren gut zwanzig Meilen bis dorthin.
Doktor Duberger, war ja schon an mich gewöhnt, immerhin hatte er meine Pockenimpfungen, meinen Versuch einige der Kinder zu retten während der Diphterie Epidemie und meine Assistenz während der Amputation von Martin Douglas Unterschenkel erlebt. Er gehörte zu den Ärzten die meinen Einsatz schätzten und nicht als Hexerei und Pfuscherei abtaten.
Er schien ganz zufrieden mit meinen Erstmaßnahmen und untersuchte Charles gründlich, soweit man das ohne Stethoskop und EKG tun konnte. Er wirkte besorgt und bat mich mit ihm im Salon zu sprechen.
»Madame, ich mache mir große Sorgen um Euren Mann. Er ist in einem desolaten Zustand und wie mir Euer Sohn berichtet hat, hatte er schon einmal solch einen Anfall erlitten in Quebec.«, begann er und packte eine braune Glasflasche aus, mit der Beschriftung ‚Digitalis‘.
»Ich schreibe Euch die Dosierung auf und ihr müsst Euch unbedingt daran halten. Zwei Gaben, morgens und abends für die erste Woche, dann nur noch einmal morgens. Aber das wichtigste ist für Euren Mann absolute Schonung. Keine Ausflüge im Auftrag von Sieur Tascherau, oder des Gouverneurs und keine Aufregung irgendwelcher Art.«, fuhr er fort und sah mich überlegend an.
»Ich weiß von Sieur Tascherau, dass ihr morgen Euren Sohn beerdigen wollt. Für Euren Mann Madame Mac Donald ist das ein absolutes Tabu und wenn ihr ihn am Bett fesseln müsst. Es würde ihn umbringen, der Trauerfeier beizuwohnen.«
Erneut machte Doktor Duberger eine Pause und sah mich nachdenklich an. »Es tut mir wirklich leid, was mit Eurem Sohn passiert ist und ich möchte Euch mein herzliches Beileid aussprechen.«, sagte er schließlich und gab mir die Hand. Ich konnte nur stumm darauf nicken.
»Ich komme morgen wieder und sehe nach Eurem Mann Madame. Gebt Ihm auch weiterhin Laudanum zu der Digitalis Dosis, es wird ihm gut tun.«, mit diesen Worten ging er und stand benommen im Salon.
Das Charles Herzprobleme haben konnte, war das letzte womit ich gerechnet hatte, bei seiner ansonsten strotzenden Gesundheit. Er war siebenundfünfzig, kein Alter das mir Sorgen machte, aber ich ging vom 20. Jahrhundert aus. Im 18. Jahrhundert über fünfzig zu sein bedeutet schon großes Glück, denn die meisten starben in dem Alter und es hätte heute ganz gut auch Charles sein können. Sein Glück war, dass ich wusste was zu tun war und die Symptome deuten konnte. Aber ich erkannte auch, dass mein Bemühen ganz schnell vergebens sein konnte, wenn er sich nicht schonte. Ich wusste dass es ein hartes Stück Arbeit werden würde, ihn davon abzuhalten seinen Sohn zu beerdigen. Ich würde die ganze Last tragen müssen und das bereitete mir auch Herzschmerzen.
Ich kehrte in unser Schlafzimmer zurück, wo Catriona stumm Wache gehalten hatte.
Ich verabreichte Charles das Digitoxin und auch eine weiter Dosis Laudanum, die ihn ins Reich der Träume schickte.
Geneve wurde dazu abgestellt auf ihn aufzupassen und mich zu rufen, wenn irgendetwas geschah.
Auf mir lag nun die Last die morgige Trauerfeier zu organisieren, nachdem ich noch einen Besuch bei Pere Berthiome hinter mich bringen musste, da ich keine Ahnung hatte was Charles mit ihm vereinbart hatte.
Zu meinem Erstaunen hatte er mit dem Priester eine Trauerfeier nach dem Ritus der Katholischen Kirche vereinbart, etwas was er bei unserer Tochter Mairi kategorisch abgelehnt hatte, so dass das arme Mädchen in Quebec auf dem gerade erst geründeten Anglikanischen Friedhof beerdigt wurde und nicht hier in Sainte Emilie.
Das bestätigte bei mir die Vermutung, dass in Quebec mehr passiert war, als ich wusste oder David mir erzählt hatte.
Es war schon weit nach Mitternacht, als ich selbst endlich ins Bett kam. Geneve war eingenickt und die Kerze schon ziemlich heruntergebrannt.
Ich schickte die Frau ins Bett und zündete eine neue Kerze an. Ich wollte sie sie ganze Nacht brennen lassen, denn es war doch sehr umständlich sie wieder mit Stahl und Stein anzuzünden.
Charles schien tief zu schlafen, in einer allerdings für ihn ungewöhnlichen Schlafstellung, auf dem Rücken und mit zwei Kissen darunter, so dass er erhöht lag.
Seine Gesichtsfarbe, soweit man das beim Licht der Kerze beurteilen konnte, war halbwegs gesund. Doch ich wusste auch, dass der Hauch der Röte auf seinen Wangen vom Laudanum kam.
Ich prüfte nochmals seinen Puls und legte mich dann auch schlafen, nachdem ich mich ausgezogen hatte.
Ich war durch die Ereignisse des Tages zu Tode erschöpft und fiel kaum, dass ich mich hingelegt hatte, in einen tiefen Traumlosen Schlaf.
Was mich dann am Ende weckte wusste ich nicht. Ich schreckte plötzlich hoch und mein erster Blick fiel auf Charles, der mit offenen Augen neben mir lag und apathisch an die Decke starrte.
Sein Atmen ging ruhig und an der Halsvene konnte ich recht deutlich erkennen, dass auch sein Herz ruhig und gleichmäßig schlug, dennoch ängstige mich seine Erstarrung.
Ich drehte mich auf ihn zu und strich ihm sanft über die unrasierte Wange. Er holte tief Luft und sah mich an, versuchte sogar zu lächeln.
»Ich wollte dich nicht wecken Annie. «, sagte er mit fester Stimme, wenn auch leise.
»Hattest du einen Alptraum?«, fragte ich vorsichtig. Ich wusste dass eine heftige Nebenwirkung des Laudanums Halluzinationen oder recht farbige Träume waren.
Charles lächelte erneut, dieses Mal richtig.
»Kein Alptraum Annie, …ein schöner Traum…ich habe die Sache von heute Nachmittag anständig beendet, anständig für dich…« sagte er leise und ich schüttelte den Kopf.
»Mein Gott Charles, ich hätte dir wirklich nicht so viel Laudanum geben sollen…«, erwiderte ich schließlich.
Charles seufzte und schloss die Augen. »Ach Annie, was wäre das für ein schändlicher Tod gewesen, auf dir zu sterben…«, murmelte er.
Ich war für einen Moment sprachlos, dann drehte ich mit der Hand sein Gesicht auf mich zu. Mein Mann sah mich erschrocken an.
»Lass dir eins gesagt sein du dummer alter Kerl, ich lasse dich nicht einfach so davonschleichen…du wirst nicht sterben! Außerdem ist der Tod beim Sex mit Sicherheit ein angenehmer, angenehmer als irgendwo auf einem Schlachtfeld in Stücke gehauen zu werden!«, fuhr ich ihn an. Erneut lächelte Charles, was eher ein seltsames Grinsen war.
»Du hast ja recht Annie, es wäre ein schöner Tod gewesen, besser als all die Tode, die ich auf dem Schlachtfeld gesucht habe…Trotzdem wäre es mir peinlich gewesen und ich fühle mich armselig, dich so behandelt zu haben…«, sagte er schließlich.
»Es war nicht schändlich oder gar armselig und wenn du dir nur ein wenig mehr Zeit gelassen hättest wäre es sogar schön gewesen…du wolltest nur wissen wie es ist am Leben zu sein.«, erwiderte ich darauf und küsste ihn flüchtig.
Charles seufzte und streichelte mein Gesicht sanft. »Danke Annie, danke dass du immer für mich da bist, dass du mich gerettet hast…auch wenn ich jetzt ein ziemliches Blaues Fleck auf der Brust habe, von deinem Fausthieb.«, sagte er leise.
»Ich wollte dir nicht weh tun!« Ich knöpfte sein Hemd auf und sah mir seine Brust an, doch bei der Tätowierung und der dürftigen Beleuchtung konnte ich nichts erkennen.
Charles hielt meine Hand fest, als ich sie zurückziehen wollte.
»Lass deine Hand da Annie, das tut gut..«, sagte er leise und schloss die Augen.
Ich strich ihm sanft über die Haut, fuhr zärtlich um seine Brustwarze herum, was ein verzücktes Brummen bei Charles auslöste.
»Du kannst ruhig tiefer…«, murmelte er im Tonfall eins schnurrenden Katers und ich zog abrupt meine Hand zurück.
»Es war eindeutig zu viel Laudanum!«, sagte ich in einem tadelnden Tonfall.
Charles seufzte und grinste wieder vielsagend. »Ganz eindeutig zu viel, ..Aber es würde mir gut tun, wenn du deinen Kopf an meine Schulter legen würdest und deine Hand wieder auf meine lädierte Brust…bitte Annie!«, bat er leise.
Ich kam seinem Wunsch nach und war fast schon wieder am einschlafen.
»Annie… es tut mir leid, …aber ich werde wohl heute nicht mit in die Kirche kommen…es tut mir leid… das ich dir das aufbürde…«, kam es stockend und ich bemerkte unter meinen Fingern wie seine Pulsfrequenz wieder stieg.
Ich hob den Kopf und sah ihn an. »Das ist schon gut Charles, ich hätte dich sonst hier gefesselt…Doktor Duberger hat mir das empfohlen…«, sagte ich und versuchte ihn damit zu beruhigen. »Danke Charles, dass du mit Pere Berthiome eine Trauerfeier in seiner Kirche vereinbart hast…Danke!«, fügte ich noch hinzu.
Charles seufzte und holte tief Luft. »Wenn ich etwas in Quebec im letzten Winter gelernt habe, dann ist es eins und zwar das man sich nicht um Religion streiten sollte. Du hattest Recht Annie, es ist der selbe Gott zu dem sie beten, der selbe Jesus, die selbe Maria, nur eben auf eine andere Weise…unser Iain hat es nicht verdient, dass wir uns deswegen streiten…Sainte Emilie ist ein guter Platz….!«, erwiderte er mir leise und schloss wieder die Augen. Auch ich schloss sie und lauschte seinem Herzschlag, der wieder ruhig und gleichmäßig wurde.
Als mich Catriona am frühen Morgen weckte, hatte ich das Gefühl von weit her zu kommen. Während Charles noch tief und fest schlief, machte ich mich auf, den wohl schwersten Tag meines Lebens durchzustehen.
Es wurde ein nicht enden wollender Alptraum. Die Trauerfeier und das anschließen Essen mit den Trauergästen wurde für mich zur Tortur, die ich kaum überstand.
Alle Gäste waren einfühlsam und nahmen großen Anteil an meiner Trauer. Ein Kind zu verlieren, dass wussten alle, war das schlimmste was einer Mutter passieren konnte und es durch Gewalt zu verlieren noch viel schlimmer.
Am Abend verfrachtet mich dann David an Charles Seite, den er mit einer gehörigen Dosis Laudanum und etwas von Nakayas Drogen, deren Inhalt ich nicht kannte, ins Land der Träume versetzt hatte, nachdem er am Nachmittag einen erneuten Anfall bekommen hatte.
Auch ich bekam meine Dosis und verbrachte eine Nacht in bunten sehr lebhaften Träumen der seltsamsten Art. Am Morgen weinte ich gemeinsam mit Charles um unsern Sohn Iain, der nun seine letzte Ruhe auf dem Friedhof von Sainte Emilie gefunden hatte.
Ich fand nur schwer zum normalen Leben zurück und Charles fiel es noch schwerer. Zögernd erholte er sich und nach zwei Wochen war er halbwegs wieder in der Lage seinen Verpflichtungen nachzukommen, von denen David ihm viele abnahm, ganz zu schweigen von Calum, der sich sehr ins Zeug legte, seinen Fatalen Fehler wieder gut zu machen. Trotz vieler Gespräche mit mir und auch mit seinem Vater, gab er sich ganz allein die Schuld an Iains Tod. Das war etwas was uns sehr belastete. Für den sechzehnjährigen war die Kindheit mit einem Schlag zu Ende gegangen, auf ziemlich brutale Art und Weise.
Es war Mitte Juli und wie üblich sehr heiß, so dass wir ständig mit offenem Fenster schliefen, auch wenn das hieß den Mücken, die es in großer Zahl hier am Fluss gab ausgesetzt zu sein. Es war noch nicht richtig dunkel, und folglich knapp über Mitternacht, als ein Geräusch mich aufschrecken ließ.
Catriona hockte an meinem Bett und versuchte mich möglichst leise zu wecken, nur mich und nicht ihren Stiefvater.
»Ist etwas passiert?«, fragte ich flüsternd, als ich endlich richtig wach war.
»Kannst du mitkommen Mutter, es ist jemand da für dich.«, antwortete sie mir ebenso leise, einen flüchtigen Blick auf Charles werfend, der tief zu schlafen schien.
Ich schlich mich aus dem Schlafzimmer, nachdem ich mir einen Schal um die Schultern gelegt hatte, um nicht gar zu dürftig bekleidet zu erscheinen.
Catriona führte mich in die Küche und ich erstarrte, als ich dort ankam. Alan war da und mit ihm Francois Morin einer der jungen Männer aus Sainte Emilie, die sich Moses Hazen angeschlossen hatten. Auch Martin Douglas saß auf der Bank beim Kamin und wirkte etwas übermüdet.
Ich fiel meinem Sohn um den Hals, immerhin hatte ich ihn Ende März das letzte Mal gesehen und so wie die Dinge standen im Moment, sah es eher so aus als würden wir uns nie wieder sehen, denn die Amerikaner hatte sich bis zum Fort Crown Point am Lake Champlain zurückgezogen, hunderte Meilen von hier entfernt. Und das es jetzt ein Abschied werden würde, war mir beim nächsten Satz sofort klar.
»Es tut mir leid Mutter, dass ich dich geweckt habe, aber ich kann tagsüber nicht herkommen, wenn ich nicht Gefahr laufen will gefangen genommen zu werden.«, begann Alan, als ich ihn endlich losließ.
»Ich wäre gern zu Iains Beerdigung gekommen, aber ich habe es nicht geschafft. Ich hoffe es geht dir und Vater halbwegs gut.«, fuhr er fort und wir setzten uns an den großen Küchentisch.
»Es geht uns wieder gut, dein Vater hat sich einigermaßen erholt.«, ich sah Alan überlegend an. Er sah gesund aus, seine Haare hatte schon wieder eine beträchtliche Länge, so dass er sie lose zusammenbinden konnte. Seine Kleidung war ordentlich und ländlich unauffällig.
Alan holte tief Luft und sah mich überlegend an. »Ich bin gekommen um mich zu verabschieden…«, begann er und ich konnte deutlich sehen welche Überwindung ihn diese Worte kosteten. Doch zu gleicher Zeit, ließ ein Geräusch aus der Halle alle Anwesenden aufschrecken.
Alan zog die Pistole, die er am Gürtel trug und richtete sie, nachdem er den Hahn gespannt hatte auf die Küchentür, die sich öffnete.
Charles stand in der Tür und wirkte in keinem Maße beunruhigt. Auch Alan sicherte ohne irgendwie nervös zu werden die Waffe und steckte sie wieder weg. Offensichtlich hatte sie sich Quebec wirklich versöhnt. Der einzige der nervös wirkte war Francois Morin.
»Du riskierst recht viel Alan!«, begann Charles und setzte sich zu uns an den Tisch.
»Ich wollte nicht einfach so verschwinden und mich wenigstens von Mutter verabschieden.«, erwiderte Alan und ich merkte wohl das es nicht ganz so entspannt zwischen den Beiden war, wie ich hoffte.
Doch anstatt zu explodieren wie im Jahr zuvor, als der Konflikt zwischen ihnen so eskalierte, nickte Charles nur stumm.
»Ich wollte dich nicht beunruhigen Vater, David hat mir geschrieben, dass es dir nicht gut ging, das du Probleme mit dem Herz hattest.«, kam es statt dessen von meinem Sohn.
»David hat dir also geschrieben!« meinte Charles nachdenklich, auch meine Gedanken waren in die Richtung gegangen.
»Wir sind seit Mai in ständigem Kontakt, aber nimm es David nicht übel.«, versuchte Alan nun seinen älteren Bruder in Schutz zu nehmen.
»Das ist schon in Ordnung, dieser verfluchte Krieg hat genug Schaden angerichtet und es ist gut dass ihr beiden wieder miteinander auskommt. Was In Quebec passiert ist war schlimm genug.«, war Charles Erwiderung darauf und er legte sanft den Arm um meine Schulter. »Du willst dich also verabschieden?«, fragte er dann noch und warf einen seltsamen Blick auf Francois.
»Ja das will ich. Ich werde mit Moses Hazen nach Ticonderoga gehen.«, antwortete Alan freizügig, obwohl ihm der junge Kanadier einen seltsamen Blick zuwarf.
»Ticonderoga?«, fragte ich verwirrt, der Name sagte mir gar nichts.
»Carillion Annie, es hieß Carillion während des letzten Krieges.«, antwortete mir Charles und ich musste tief Luft holen. Carillion sagte mir wohl etwas und ich erinnerte mich an das was vor 18 Jahren dort geschehen war. Alan, mein erster Mann und Charles hatten sich dort einmal mehr als Feinde gegenüber gestanden und es hatte nicht viel gefehlt und sie wären beide dort umgekommen.
»Ich werde versuchen euch irgendwie Nachrichten zukommen zu lassen, aber ich weiß nicht ob mir das möglich sein wird oder was noch kommen wird.«, meinte Alan nun und machte Anstalten zu gehen.
»Ich habe noch eine Bitte an dich Vater, Francoise hier möchte zuhause bleiben. Seinen Eltern geht es nicht gut und er möchte sie nicht alleine lassen. Kannst du ein gutes Wort für ihn einlegen, damit er nicht zu hart bestraft wird?« bat er seinen Stiefvater, etwas was mich doch verwunderte.
Auch Charles war aufgestanden und nickte stumm. Mit Erstauenen beobachtete ich, wie sich die beiden umarmten und noch erstaunter war ich über das was Charles zu seinem Stiefsohn sagte.
»Denk an das was ich dir in Quebec gesagt habe. Verliere dein Ziel nicht aus den Augen, denn es ist eine gute Sache.« Er hatte es in Gälisch gesagt, so dass nur Catriona und ich es verstanden. Auch meine Tochter schien sehr überrascht zu sein.
Ein weiteres Geräusch aus der Halle ließ uns aufschrecken und erneut öffnete sich die Tür an der David erschien, in Begleitung eines Mädchens.
Er machte einen sichtlich erschrockenen Eindruck, als er seinen Stiefvater sah, mit dem er wohl nicht gerechnet hatte. Doch ein Poltern ließ alle Anwesenden herumfahren in Richtung der Bank am Kamin, wo Martin Douglas gesessen hatte. Eine seiner Krücken war geräuschvoll auf den Boden gefallen, als er versuchte aufzustehen.
»Martha…!«,entfuhr es ihm und ich sah das Mädchen, das mit David gekommen war auf ihn zustürzen.
Ich hatte sie nie zuvor gesehen, aber sie sah Martin sehr ähnlich, mit ihrem Kupferbraunem Haar, das unter der einfachen Haube hervorquoll und den tiefbraunen Augen.
Die beiden fielen sich schluchzend um den Hals und Alan erklärte auf Gälisch, dass es Martins Schwester sei, was ich mir fast schon denken konnte.
Doch lange währte das friedliche Wiedersehen nicht, denn ein weiteres Geräusch aus der Halle, ließ uns alle aufschrecken und Alan wieder nach seiner Waffe greifen.
Die Tür ging auf und ein weiterer junger Mann kam herein, gekleidet wie ein Einheimischer, aber mit einem breitkrempigen Hut, den er schnell vom Kopf zog als er mich sah. Er gehörte nicht zu den jungen Männern, die im Januar hier waren und ich kannte den dürren Blondschopf nicht.
»Verzeiht mein Eindringen Mam, Sir!«, mit diesen Worten verneigte er sich tief und als er sich aufrichtete warf er einen sichtlich misstrauischen Blick auf Charles.
»Was ist los Caleb?«, fragte Alan verwirrt.
»Wir sollten besser gehen, bevor die Hunde den ganzen Ort aufwecken…«, antwortete der Angesprochene.
Alle machten sich bereit aufzubrechen und das Mädchen, Martin Douglas Schwester dankte mir noch für die Hilfe, die ich ihrem Bruder geleistet hatte.
»Pass gut auf Martha auf Alan, damit ihr nichts passiert. Schicke sie lieber nach Hause, wenn es in Ticonderoga zu gefährlich wird. Bitte gib auf sie Acht!«, bat Martin dann noch eindringlich meinen Sohn, der nickte und auf eine Art und Weise den Arm um das Mädchen legte, der mehr sagte als Worte. Als ich dann noch das leichte Erröten der jungen Frau beobachtete war ich mir sicher. Hier bahnte sich etwas an, etwas dessen Ende ich sicher nie erfahren würde.
Draußen an der Tür umarmte mich Alan noch einmal. »Pass auf dich auf Junge und gib auf das Mädchen acht, wie ein verantwortungsvoller Mann es tun sollte.«, sagte ich leise auf Gälisch.
Mein Sohn sah mich erschrocken an und dann zu Martha, die ihn anlächelte. Sie hatte nichts verstanden von diesem Gespräch in Gälisch.
»Wie kommst du auf so etwas Mutter?«, entfuhr es ihm sichtlich verlegen.
»Sie hat Augen im Kopf Alan und ich auch, also halte dich an die Empfehlung deiner Mutter und mach uns keine Schande. Es wäre schön zu erfahren wenn wir Großeltern werden, lass es uns wissen.«, gab dann noch Charles seinen Kommentar dazu.
»Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt… und außerdem weiß ich noch nicht einmal ob Martha mich mag.«, war Alans Erwiderung darauf, halbwegs wieder gefasst.
»Nun, das ist offensichtlich, hassen tut sie dich nicht, so wie sie dich ansieht und das mit dem richtigen Zeitpunkt entzieht sich meist der Vernunft!«, klärte Charles ihn noch auf und klopfte ihm auf die Schulter. Ein letztes Mal umarmte Alan auch ihn, dann verschwand der kleine Trupp im Dämmerlicht der nordischen Nacht. Nur Francoise war geblieben, den David schließlich nach Hause brachte.
Recht aufgewühlt gingen wir alle zurück in unsere Zimmer. Es war noch immer grauenvoll heiß da unser Schlafraum sich unter dem Dach befand. Am liebsten hätte ich mich nackt ausgezogen, doch ich wollte aus gutem Grund verhindern, dass dies Charles als eine Aufforderung empfand mit mir intim zu werden. Ich hatte Angst, dass dies erneut eine Herzattacke auslösen konnte.
Allerdings gab wohl mein Ehemann nicht viel darauf, er zog sich nackt aus und schlüpfte unter die dünne Decke, die wir benutzten, nicht mehr als ein Laken.
Zuerst redeten wir nur, dann begann Charles unmissverständlich mich zu streicheln und zu küssen, bis ich schließlich seine Hand festhielt, als er im Begriff war, mir das Unterkleid nach oben zu schieben.
»Nein Charles!«, sagte ich und registrierte, wie er zurückzuckte.
Was unser Intimleben anbetraf war es sehr harmonisch. Charles war überaus zärtlich, nie grob und nahm auch immer Rücksicht auf meine Befindlichkeiten. Natürlich hatten wir unsere Krisen gehabt, die schnell aufeinanderfolgenden Schwangerschaften nach unserer Hochzeit hatten Charles schockiert. Seine Angst mich bei der Geburt der Kinder zu verlieren war keinesfalls geschwunden. Als ich ihm kaum ein dreiviertel Jahr nachdem Calum geboren war verkündete erneut schwanger zu sein, verschwand er wie zuvor im April 1761 für Monate in den Wäldern, um dann reumütig zurückzukehren.
Allerdings konnte er bei aller Vorsicht, die ich walten ließ nicht die Finger von mir lassen und ich nicht von ihm. Als ich die Geburt unserer Tochter Mairi nur um Haaresbreite überlebte, machte er sich bei Mohawk kundig um ein Mittel zu finden, was weitere Schwangerschaften verhinderte. Die Indianer kannten gewisse Kräuter, genauso wie Methoden ein Kind anzutreiben. Doch selbst wenn ich letzteres gewollt hätte, Charles hätte es nie zugelassen.
So hatten wir die letzten Jahre ganz gut miteinander harmoniert. Selten gab es Streit, jedenfalls zwischen uns. Obwohl die letzten zwei Jahre da eine Ausnahme waren, was allerdings an den Missverständnissen zwischen Charles und seinen Stiefsohn lag und dem Krieg, der uns eiskalt erwischt hatte. Doch noch nie hatte ich ihn grob abgewiesen, wie gerade eben und seine Reaktion darauf verwunderte mich nicht.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch er schien sehr erstaunt, wenn nicht entsetzt zu sein. »Nein?«, wiederholter er in einem seltsamen Tonfall.
»Warum Annie?«, fügte er dann hinzu, zog seine Hand zurück und ich konnte im Dämmerlich sehen, wie er sich aufsetzte.
»Warum! Weil ich dich nicht wieder halbtot um Luft ringend auf mir liegen haben will!«, erwiderte ich etwas aufgebracht.
Zuerst kam gar keine Antwort, dann hörte ich wie Charles tief Luft holte.
»Dann ist es besser, ich schlafe woanders…!«, sagte er schließlich und ich konnte im Halbdunkel erkennen wie er aufstand, sein Hemd anzog, seine restlichen Sachen nahm und das Zimmer verließ.
Für einen Moment war ich erleichterte, doch dann kam das heulende Elend über mich. Wie gerne hätte ich Charles Zärtlichkeiten jetzt, aber die Angst ihn zu verlieren war viel zu groß.
Am nächsten Morgen kam dann für mich das böse Erwachen. Als ich wie jeden Morgen in die Küche kam, um bei der Bereitung des Frühstücks mitzuhelfen fand ich es seltsam, dass Charles nicht da war.
»Wo ist Vater hingegangen so früh heute?«, fragte mich Catriona ganz unvermittelt.
Ich sah sie verwundert an. Charles hatte nicht gesagt, dass er heute früh irgendwelche Arbeit draußen hätte.
»Ich weiß nicht, er hat mir nichts gesagt.«, antwortete ich unsicher, ein seltsames Gefühl im Hinterkopf. Auch Catriona sah mich nachdenklich an.
»Habt ihr euch gestritten? Ich habe gehört wie Charles in Alans Zimmer gegangen ist diese Nacht.«, fragte sie zögernd. Ich schüttelte stumm den Kopf.
Wir gingen zwar offen miteinander um, aber ich war mir nicht sicher ob ich meiner Tochter dieses doch sehr intime Problem erzählen sollte.
»Nein, wir haben uns nicht gestritten…ich habe nur Charles aus unserem Schlafzimmer verbannt weil ich Angst habe, dass er wieder einen Herzanfall bekommt, wenn er mit mir schläft.«, antwortete ich schließlich.
Catrionas Reaktion war seltsam. Sie lächelte verlegen und schüttelte stumm den Kopf.
»Ich habe gehört was du Alan gesagt hast wegen Martha, würdest du mir den selben Vortrag halten wegen Martin?«, fragte sie mich plötzlich.
Ich sah sie aufmerksam an. Natürlich hatte ich gemerkt, wie sie Martin ansah, wie sie sich flüchtig berührten, wie der Junge stets ihre Nähe suchte, als sei Catriona ein Magnet, der ihn anzog. Mir war auch nicht verborgen geblieben, dass meine Tochter eine Nacht bei ihm im Pferdestall verbracht hatte vor einer Woche und ich hoffte, dass sie an Verhütung gedacht hatte.
»Muss ich das Catriona?«, stellte ich die Gegenfrage und sie lächelte verlegen.
»Nein Mutter, eigentlich nicht, aber ich gebe mir Mühe vernünftig zu sein.«, antwortete sie mir schließlich.
»War es dein erstes mal vor einer Woche?«, fragte ich dann recht direkt und Catriona errötete nun heftig. Sie nickte stumm.
»War es wenigstens so wie du es erwartet hast?«, fuhr ich fort noch intimere Fragen zu stellen und meine Tochter sah mich mit großen Augen an. Ich hatte mir alle Mühe gegeben meine Kinder gut aufzuklären und offen mit ihnen zu sprechen, wobei ich auch in Details gegangen war die sicher keiner meiner Zeitgenossen so formuliert hätte. Charles war bei den Jungs sogar noch weiter gegangen. Er hatte sie in Nakayas Dorf mitgenommen und dort eines der Mädchen, die ja sehr freizügig mit Sexualität umgingen ihnen ein paar Lehrstunden geben lassen. Offensichtlich hatten weder das was ich ihm beibrachte, noch die Aufklärung seines Stiefvaters bei David gefruchtete, der stehenden Fußes ein Mädchen schwängerte und genötigt war es zu heiraten. Ich hoffte meine Tochter war schlauer, denn es sollte nicht noch einmal so enden wie bei meinem Sohn.
»Nun ja es ging…«, kam schließlich Catrionas zögerliche Antwort. Ich lächelte und legte ihr sanft meine Hand auf die Schulter.
»Es wird besser mit jedem Mal Catriona, glaube mir. Sage Martin was dir gefällt und was du nicht möchtest. Junge Männer sind meistens sehr unbeholfen und ungestüm, sie brauchen ein wenig Anleitung. Wenn du möchtest rede ich mit ihm oder vielleicht David.«, erwiderte ich und meine Tochter macht große Augen.
Ein Geräusch von der Tür ließ uns zusammenfahren und erschrocken stellten wir fest, dass Martin Douglas da stand und rot anlief wie eine Tomate. Als ob das nicht genug sei tauchte auch David auf, der wohl auch den letzten Satz gehört hatte.
»Über was soll ich mit Martin reden?«, fragte er und trat in die Küche, während der junge Amerikaner stehen geblieben war und mich und Catriona sichtlich entsetzt ansah. Er hatte wohl noch mehr von unserem Gespräch gehört.
Auch David sah das heftige Erröten des jungen Mannes und grinste plötzlich vielsagend, als er auch Catrionas Gesichtsfarbe wahrnahm.
»Aha, Martin Douglas! Du hast also meiner Schwester den Kopf verdreht und vielleicht noch mehr. Soll ich dich darüber aufklären, wie man es anstellt sie nicht zu schwängern, damit du nicht in die Verlegenheit kommst sie heiraten zu müssen oder willst du um ihre Hand anhalten, um deinen Fehler wieder gut zu machen!«, kam es nun von ihm und ich war ein wenig erschrocken.
Ich wollte den Jungen eigentlich nicht so in Verlegenheit bringen und seine Reaktion darauf war nicht unverständlich. Er humpelte mit seinen Krücken auf David zu und packte ihm am Hemd, wobei er zu tun hatte die Balance zu halten.
»Wenn ich nicht riskieren würde umzufallen würde ich mich mit dir prügeln David Stewart, weil du unverschämt von deiner Schwester redest!«, entfuhr es ihm und eine seiner Krücken fiel polternd zu Boden.
David hielt Martin fest, der zu schwanken begann und Catriona lief zu ihm und hob die Gehhilfe auf, um sie ihm zu reichen.
»Nimm es mir nicht übel Martin, es war nicht so gemeint. Catriona hätte es nicht zugelassen, wenn sie dich nicht mögen würde. Da haben sich schon ganz andere die Zähne an ihr ausgebissen!«, versuchte mein Sohn ihn wieder zu beruhigen. Er warf einen vielsagenden Blick auf Martins Beinstumpf und seufzte.
»Nächste Woche habe ich in Quebec zu tun, dann nehme ich dich mit und lasse dir bei einem Schreiner ein ordentliches Holzbein zimmern, damit du deinen Pflichten als zukünftiger Ehemann besser nachkommen kannst. Dann kannst du es auch einmal nachholen mich zu verprügeln, wenn dir danach zu Mute ist.«, meinte David schließlich, was ein erneutes wütendes Knurren des jungen Amerikaners auslöste.
»Also David nun reicht es!«, fuhr ich dazwischen und legte Martin sanft die Hand auf die Schulter.
»Nimm es ihm nicht übel Martin. Er ist nur um seine Schwester besorgt.«, versuchte ich ihn zu beruhigen.
Martin nickte stumm und ließ David los. Er nahm seine Krücke, die Catriona aufgesammelt hatte und humpelte zur Bank neben dem Kamin, seinem Lieblingsplatz. Er sah mich einen Moment überlegend an.
»Ich…ich will Catriona nicht entehren, wenn Euer Mann wieder da ist werde ich um ihre Hand anhalten…«, für einen Moment verstummte er und sah zu meiner Tochter die sehr erstaunt aussah. »Natürlich nur wenn Catriona es will!«, fügte er noch hinzu.
Ich hatte die Formulierung: ‚wenn Euer Mann wieder da ist‘, sehr wohl gehört und es machte den Anschein, als wüsten David und Martin dass er weggegangen war und wohin.
»Wenn mein Mann wieder da ist?«, wiederholte ich fragend und sah David an, der die Augenbrauen hochzog. Er zog einen Zettel aus seiner Hosentasche und reichte ihn mir.
»Das habe ich ganz vergessen, Vater hat ihn mir gegeben. Er ist in Nakayas Dorf gegangen.«, sagte er dabei.
»In Nakayas Dorf…allein?«, entfuhr es mir. Ich wusste dass man nur mit dem Kanu dorthin kam und permanent gegen die Strömung des Etchemin rudern musste.
»Nein, er hat Calum mitgenommen und Thomas, damit er beim Rudern hilft. Er hat auch gemeint Calum braucht ein wenig Abstand von Sainte Emilie, damit er die Sache mit Iain überwinden kann. «, beruhigte mich David. Ich nickte stumm und faltete den Zettel auseinander, um ihn lesen zu können.
Es war Charles typische Reaktion bei irgendwelchen schwerwiegenden Problemen. Er suchte nicht den Streit, auch wenn er manchmal recht laut werden konnte, er lief einfach davon. Anstatt meine Befürchtungen was seine Gesundheit angingen zu zerstreuen, mich zu überzeugen dass es vielleicht auch anders ging ihn und mich zu befriedigen, setzte er sich mit fadenscheinigen Ausreden in ein Kanu und verschwand für unbestimmte Zeit, um sein Ego zu pflegen. Ich war einerseits wütend darüber, aber andererseits auch besorgt um seine Gesundheit.
»Hat er wenigstens sein Digitalis mitgenommen oder ist er in seiner Enttäuschung so weit gegangen ganz und gar seine Gesundheit zu ruinieren!«, entfuhr es mir recht heftig und David sah mich erschrocken an, genauso wie Catriona und Martin.
»Ich weiß ja nicht was zwischen Euch vorgefallen ist Mutter, aber Charles hängt ein wenig an seinem Leben. Er hat das Digitalis mitgenommen und ich denke Nakaya wird sich auch um ihn kümmern. Es wird ihm gut tun dort zu sein.«, antwortete mir mein Sohn ruhig.
Tag der Veröffentlichung: 11.08.2011
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