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Das erste Taxi nach Ostberlin

Lange vor der Maueröffnung hatte ich mit meinem Freund Heiner eine Reise nach Thailand gebucht. So richtig Lust hatte ich wegen meiner neuen Freundin Claudia nicht mehr dazu, aber ich hätte Heiner auch nicht einfach hängen lassen können - gerade über die Feiertage nicht, die ja für Singles immer etwas problematisch sind. Denn wenige Wochen zuvor war ich auch noch ein Single gewesen. Die Mauer war erst vor wenigen Wochen, zaghaft auch von den westlichen Behörden, geöffnet worden. Es gab noch keine sicheren Verkehrsverbindungen zwischen Ost- und West-Berlin. Und wenn man durch die früheren Grenzen fuhr, hatte man unvermindert Angst vor den Kontrollen und Kontrolleuren der DDR, die für uns Westberliner immer unberechenbar und wir ihrer Willkür hilflos ausgeliefert gewesen waren. Diese Kontrollen wurden immer noch nach alten Regeln durchgeführt.

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben erkundigten wir uns nach der Busverbindung zum Flughafen Schönefeld. Es gäbe sie nach wie vor, erfuhren wir, aber sicher sei sie besonders nachts nicht. Wir sollten rechtzeitig mit der U-Bahn losfahren und in Rudow an einer Bushaltestelle Richtung Schönefeld auf einen Bus warten. Wenn kein Bus käme, müssten wir eben laufen.

Wir planten, uns nachts am 22.12.89 in Richtung Schönefeld auf den Weg zu begeben, das am südlichen Stadtrand Ostberlins liegt.  Erst mit der U-Bahn bis Rudow, dann mit einem Taxi bis zur letzten Busstation vor der Grenze. Falls kein Bus kommen sollte,  schließlich zu Fuß bis zum Flughafen. Das waren mehrere Kilometer mit viel Gepäck auf den Schultern, ein Spaß würde das nicht werden.

Gesagt getan. Der Taxifahrer war ein aufgeschlossener Mann und sehr gesprächig. Er gefiel uns. Während der angeregten Unterhaltung hatte Heiner eine geniale Idee: Er fragte den Taxifahrer, ob er nicht versuchen könne, uns bis zum Flughafen zu fahren. Das sollte erst in 48 Stunden möglich sein, hatten wir in der Zeitung gelesen. Es wurde still im Auto, alle schwiegen spontan und dachten nach, der Taxifahrer grübelte einige Augenblicke lang. Dann sagte er zunächst leise vor sich hin: »Warum nicht, versuchen kann man es ja. Wenn die da es nicht wollen, schicken sie uns zurück. Was kann da schon passieren«. Dann fuhr er laut fort: »Wir probieren es!« 

Der erste Grenzposten am Stadtrand Westberlins war nicht besetzt, wir mussten uns mit Risiko auf den Boden der DDR begeben. Jetzt wurde der Taxifahrer dann doch etwas nervös: »Mensch, ich habe ein Funkgerät, das können die Grenzer schon gar nicht leiden. Das wird bestimmt Ärger geben«. Er verlangsamte die Fahrt. »Der will doch nicht etwa umdrehen«, dachte ich. Nein, er fuhr langsam weiter bis zum nächsten Kontrollpunkt. 

»Was wollt Ihr denn hier, das ist doch erst ab übermorgen erlaubt,« mit diesen Worten wurden wir von den Grenzern empfangen. Sie waren überrascht, aber freundlich. Nachdem sie sich gefasst hatten, fanden sie es irgendwie auch ganz spaßig, dass wir so frech darauf los gefahren waren. Heiner und ich erklärten ihnen, weshalb wir so dreist waren . Sie hörten aufmerksam zu. Als wir alles vorgebracht hatten, zogen sie sich zurück und berieten. 

»Eigentlich ist es ja noch nicht erlaubt, aber da Ihr schon mal hier seid, wollen wir nicht so sein. Aber die Formulare müsst Ihr schon noch ausfüllen.« Dabei steckte er den Kopf durch das Fenster, um uns die Formulare zu geben. Jetzt sah er das Funkgerät und zuckte zurück. »Sie haben ja ein Funkgerät. Das dürfen Sie aber nicht mitnehmen, das müssen Sie ausbauen und hier lassen, bis Sie wieder zurückkommen«. »Das geht aber nicht, mir fehlt das Werkzeug und wenn ich es von der Batterie abklemme, ist es gesperrt.«, antwortete der Taxifahrer. Die Grenzer überlegten und berieten. Der Wortführer: »Wir wollen mal nicht so sein. Aber Sie versprechen, dass das Funkgerät auf der Fahrt zum Flugplatz und zurück ausgeschaltet bleibt." »Selbstverständlich«, versprach der Taxifahrer. Wir durften weiter fahren, nachdem wir die Formulare ausgefüllt abgegeben hatten. 

Jetzt konnte sich unser Fahrer vor Freude gar nicht beruhigen: »Ich bin der erste Taxifahrer, der in den Osten gefahren ist. Das glaubt mir keiner, das glaubt mir keiner. Wenn ich zurück bin, werde ich sofort die Zentrale anrufen und denen erzählen, was wir gewagt haben. Das glaubt mir keiner, das glaubt mir keiner.« Er war völlig aus dem Häuschen und signalisierte einen so starken Drang, der Welt dieses Ereignis mitzuteilen, dass ich schon wieder befürchtete, dass er sofort umdrehen wird. Aber er brachte uns doch zum Flugplatz. 

Beim Abschied versprachen wir, uns noch mal zu treffen, aber keiner hatte Papier und Kuli für die Telefonnummern bereit und so wurde nichts daraus. Diese Geschichte wurde später im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht. Wir hatten gehofft, dass der mutige Taxifahrer sie auch lesen und sich melden würde. Aber leider nein.

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 06.05.2013

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