Nach einer vierjährigen Beziehung, die in die Brüche ging, weil ich zum Schluss meinen Partner wegen jeder Kleinigkeit in den Arsch treten musste, bin ich nun seit gut drei Jahren frei und ungebunden. In dieser Zeit gab es nur wenige Individuen ,die mein Interesse erweckten. Vor gut einem Jahr bin ich Hals über Kopf aus meinem geliebten Berlin in eine kleinere, ruhigere Idylle im Westen Deutschlands geflüchtet. Mit dem Anfand des Studiums lernte ich hier viele interessante Menschen kennen. Dabei spreche ich nicht nur von meinen Kommilitonen, sondern auch von meinen zahlreichen Mitbewohnern im schäbigsten Studentenwohnheim der Stadt. Einer dieser Menschen stach besonders hervor.
Diese Person fiel zunächst durch ein wunderbares Äußeres auf. Es dauerte nicht lange, bis der manchmal ein viel zu grober und provokativer Humor durchsickerte. Ich muss gestehen das schreckte ab. Mit der Zeit lernte ich, dass es tatsächlich nur ein Humor ist. Zu dieser Erkenntnis kam die Beobachtung zahlreicher zweckdienlicher Beziehungen, die sich häufig abwechselten. Ein Grund warum ich mir jegliche Faszination für diesen Charakter verbot. Dennoch kam ich nicht umhin meinen Gegenüber für die erbrachte Leidenschaft zum Film und einigen weiteren Aspekten des Lebens zu bewundern. Nun diese Bewunderung gebe ich offen zu. Auch den anfänglichen Wunsch dieser Person nah sein zu können.
Ich wäre aber natürlich nicht ich, wenn alles einfach laufen würde.
Ich weiß nicht wann es genau geschah. Wann ich mir einen schützenden Kokon gebastelt hatte. Nein, ich weiß wann der Entschluss zum Bau gefällt wurde, doch die Umsetzung kam so schleichend und so solide, dass ich mich immer wieder wundere.
Nach dem Mobbing in der sechsten Klasse entschloss ich mich, dass mich keiner mehr verletzen darf. So nutzte ich die Gelegenheit des Schulwechsels in die siebten Klasse und verpasste mir selbst eine Rüstung. Diese bestand aus einer Portion Gleichgültigkeit, Fröhlichkeit, viel Misstrauen, einer Prise Ehrlichkeit, wenn mir etwas gewaltig gegen den Strich ging und einem ordentlichen Schuss emotionaler Distanz zu meinen Mitmenschen.
Nun, diese Rüstung tat einen wunderbaren Dienst. Sie war so stabil, dass ich sie bis heute nicht ganz abreißen kann. Ich konnte es auch nicht während der langjährigen Beziehung, die ich angesprochen hatte. Mittlerweile zweifle ich sogar, ob ich meinen Partner auch tatsächlich geliebt habe. Aber ich will nicht über verflossenes Wasser sprechen.
Ich bin der Meinung, dass der Mensch der mich nun fasziniert, diese Rüstung niederreißen kann. Dass ich dieser Person schutzlos ausgeliefert wäre, sobald ich es zulassen würde. Ich muss gestehen, ein wenig Angst habe ich schon. Doch ich will endlich wieder etwas echtes spüren. Ich will nicht durch ein kugelsicheres Glas gedämpfte Gefühle wahrnehmen. Selbst in den größten Momenten der Freude und Trauer gibt es einen Teil von mir, der schulterzuckend daneben steht und das Geschehen von außen betrachtet.
Dieser Mensch, der den Wunsch nach nicht nur körperlicher, sondern auch echter emotionaler Nähe in mir weckt, ist in meinen Augen wunderschön. Dieser ist ein wunderbarer Zuhörer, ausgestattet mit einem hervorragenden Geschmack bezüglich Film und Literatur. Die Ausdrucksweise kann im täglichen Leben unglaublich plump sein. Wird allerdings ein Thema angesprochen, welches interessant erscheint, blüht diese Person auf. Die Intelligenz dieses Menschen ist anziehend. Doch nicht nur sie.
Das Gesicht, welches mir beim ersten Anblick einen Herzstolper bereitete, ist perfekt. Beim ersten Augenkontakt drohte ich in den hellen Scheinwerfern, die als Augen dienen, zu versinken. Der Körper ist eine Inspiration. Das auffälligste sind jedoch die durchtrainierten Oberschenkel, mit einem einladenden Hinterteil als Krönung. Ebenso anbetungswürdig ist der Gang, der jedes zurückgelegte Meter als einen Laufsteg erscheinen lässt.
Der Grund, warum ich ausgerechnet heute ins Schwärmen gerate und alles aufschreibe, anstatt für die morgige Klausur zu lernen, ergab sich gestern Nacht. Da dieser Mensch meinen furchtbaren Filmgeschmack bei jeder, sich bietenden Gelegenheit erwähnt, habe ich zugestimmt mich einen Besseren belehren zu lassen. Wir trafen uns um kurz vor elf Uhr abends im Zimmer des Studentenwohnheims meines Gegenübers. Ausgewählt hatten wir den Film „Psycho“ von Alfred Hitchcock, den ich jedem empfehlen kann.
Ich habe den Film genossen und doch nahm ich die Präsenz neben mir so deutlich wahr, wie das Unheil, welches in dem Film drohte. Die fremde Körpertemperatur trug sich auf mich über, ohne dass wir uns berührt hatten. Nur zwei Mal streiften wir uns versehentlich und jedes Mal bekam ich eine Welle an warmen Gefühlen. Ich wünschte mir diese Person zu berühren. Nein, ich habe es mir ersehnt. Jedes Mal, wenn mein Sitznachbar sich nach mir umdrehte, um sicherzustellen, dass ich nicht eingeschlafen bin, hatte ich eine Hoffnung. Eine Hoffnung, dass dieser mir näher kommt. Diese Hoffnung und die Sehnsucht blieben unerfüllt. Ich bereue es auch nicht, nichts selbst versucht zu haben.
Nach der anschließenden Unterhaltung über den Film verabschiedeten wir uns. Vor dem Einschlafen lag ich, für mich ungewöhnlich lange, wach und fragte mich, wie sich wohl ein Kuss anfühlen würde. Mit diesen Gedanken bin ich eingeschlafen. Immer wieder drehten sich meine Träume um diese Person. Selbst heute früh, als mein Wecker klingelte, lag ich noch lange im Bett, gefangen zwischen der Traumwelt und dem immer näher rückenden Tag. Als ich es endlich geschafft hatte, mich aus dem Bett zu quälen, anzuziehen, zu frühstücken und in den Bus Richtung Uni zu fahren, waren meine Gedanken nur bei dieser Person. Die Außenwelt kam wie durch Watte bei mir an. So kam der Entschluss, alles niederzuschreiben und loszuwerden.
Ich weiß nicht, ob das, was ich gegenüber der Person empfinde eine Verliebtheit oder gar Liebe ist. Was ich weiß ist: Ich werde dem nicht nachgeben. Auch wenn ich aufgrund kleiner Äußerungen Hoffnung schöpfe, entspreche ich nicht dem Schönheitsideal dieses Menschen. Und eine weitere kurzfristige, zweckdienliche Beziehung zu sein, könnte ich nicht ertragen. Selbst den ersehnten Kuss würde ich ausschlagen, wenn sich denn jemals die Gelegenheit bieten sollte. Denn danach wäre ich verloren.
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2018
Alle Rechte vorbehalten