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Kapitel 1

Aufgeregt standen wir in der Schlange. Vor uns, wie auch hinter uns, standen hunderte von Menschen, die Ebenfalls darauf warteten hinein gelassen zu werden. Vor Nervosität schaffte ich es fast nicht still auf meinen Beinen stehen zu bleiben.

Schließlich war es für mich mein aller erster Besuch auf einem Konzert und dass dann auch noch von meiner Lieblingsband “The Rainbow Lions“.

Es war schon seit meiner Teenagerzeit, einer meiner größten Träume, auf ein Konzert von ihnen zu gehen. Und heute stand ich endlich mit meinen beiden besten Freunden in der Reihe und mussten nur noch warten, bis wir rein gelassen wurden.

Ich merkte wie etwas Nasses auf mein Gesicht tropfte. Mein Blick ging nach oben, zu dem Himmel und ich bemerkte, wie graue Wolken sich über uns geschoben hatten. Die ersten Tropfen prasselten auf den Boden und auf uns wartenden Menschen herab. Dies nahm mir aber nicht die Vorfreunde, auf das bevorstehende Konzert.

„Leider haben wir keinen Stehplatz mehr bekommen,“ brüllte ich meine Freunde an, in der Hoffnung, dass sie mich trotz der vielen Menschen um uns herum gehört hatten.

Der Regen fiel jetzt nur so vom Himmel herab. Und ich spürte wie sich meine Kleidung, welche mich eigentlich warmhalten sollte, nur so mit Wasser vollsaugte. Auch mein mittellanges, kastanienbraunes Haar fing die Nässe auf und klebte mir in meinem Gesicht.

„Endlich dürfen wir rein,“ rief Lilly Fröhlich und deutete auf die Menschenmange vor uns, welche sich in Richtung Eingang bewegte. „Na endlich,“ jubelte auch Andi.

Erleichtert atmete ich aus, da auch wir uns langsam bewegten. Wir waren schon seit heute Morgen um acht hier, um uns ein Ticket zu kaufen. Auch wenn wir so früh da waren, hatten wir nur noch einen Sitzplatz bekommen, da die Stehplätze ausverkauft waren. Seitdem waren schon fast zehn Stunden vergangen und das Konzert wurde gleicht beginnen.

Nach dem wir an der Reihe waren, wurden wir kontrolliert und hereingelassen. Sofort liefen wir zu unseren Sitzplätzen, welche ziemlich am Ende von der Halle waren. Trotzdem waren die Sitze hoch genug, dass man eine gute Sicht auf die große Bühne in der Mitte hatte.

Wir hatten Glück, da die Sitzplätze überdacht waren und der Regen somit nicht mehr auf uns herab rieseln konnte. Die Stehplätze in der Mitte hatten es schlechter erwischt. Unser Platz war neben einem schmalen Gang und neben mir war noch ein Platz frei.

Immer mehr Menschen strömten in die Halboffene Halle hinein und suchten ihren Platz. Ich saß links neben Lilly, auf einem der vielen roten Stühlen.

Sie schaute mich breit grinsend, wie ein Honigkuchenpferd, aus ihren Olivgrünen Augen an. Wir hatten uns drei schon seit Monaten auf dieses Konzert gefreut und jetzt war es endlich so weit. Ich konnte nicht anders und musste mir grinsen.

Wir fingen an über die Schule zu reden, da in zwei Wochen unsere Abschlussfeier war und wir dann endlich unser Abi in der Tasche hatte. Mit den Prüfungen waren wir schon durch. Lilly und Andi hatten beide einen Platz zum Studieren bekommen. Ich jedoch hatte andere Pläne.

Mein Plan war es nach der Schule mein Geld, welches ich schon seit Jahren sparte, zusammen zu kratzen und dann für mindestens ein Jahr die Welt zu bereisen. 

Das wollte ich schon seit ich sehr klein war machen. Dies hatte ich meinem, Großvater zu verdanken. Er starb leider vor acht Jahren an Krebs. Als kleines Kind hatte er mir immer von seinen Reisen und Abenteuern erzählt. Mein Opa kam viel um die Welt und hatte dadurch auch viele Geschichten auf Lager. Er meinte immer, dass wenn ich alt genug bin, er mit mir um die Welt reisen möchte. Leider wird es nie dazu kommen.

Meine Oma lebte noch, war aber schon fast neunzig und litt unter Demenz. Meine Mum und ich hatten sie erst vor einem Jahr in ein Altersheim gebracht, weil wir beide einfach zu überfordert mit ihr waren. Trotzdem besuchte ich sie fast täglich, auch wenn sie mich nicht immer erkannte. Was mir jedes Mal mein Herz brach.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich ein Mann links neben mir sich hinstellte. Schockiert schaute ich ihn an, da er einfach aus dem nichts aufgetaucht war.

Er war vielleicht Anfang zwanzig. Sah aber nicht allzu viel älter aus als ich, mit meinen neunzehn Jahren. Der Mann war komplett in schwarz gekleidet und trug ein Käppi und eine Kapuze auf dem Kopf, so wie viele Rapper es taten. Es schauten nur ein paar Kakao farbige Haarsträhnen heraus. Seine helle Haut wirkte sehr weich.

Doch das komischste an dem hübschen Mann neben mir war, dass er eine Sonnenbrille anhatte. In der Halle war es recht dunkel, was auch daran lag, dass es immer noch regnete und die Sonne sowieso bald unterging. Für was brauchte man eine Sonnenbrille, wenn es dunkel war?

Plötzlich änderte sich etwas auf seinem Gesicht. Seine Mundwinkel hoben sich und er sah mich jetzt mit einem breiten Lächeln an. Dadurch konnte ich seine weißen Zähne erkennen, welche mir entgegen blitzten. Das lächeln, wie auch seine Ausstrahlung, ließ mir einen unheimlichen Schauer über den Rücken laufen.

Erst als mir Lilly ihren spitzen Ellenbogen in meine Rippen schlug, fiel mir auf, warum der Mann mich so anlächelte. Ich hatte ihn die ganze Zeit, seitdem er neben mir aufgetaucht war, sabbernd angestarrt. Sofort fingen meine Wangen Feuer und peinlich berührt, hörte ich Lilly neben mir zu.

„Hast du dich Schock verliebt oder ist bei dir alles in Ordnung?“ flüsterte Lilly mir leise in mein Ohr und ich konnte das Grinsen heraushören. Als ich zu dem Mann wieder sah, hatte sich sein Grinsen deutlich vergrößert. Was zum einen irgendwie sexy, aber auch angsteinflößend aussah. Hatte er etwa gehört, was mir Lilly zugeflüstert hatte?

Da die Situation schon peinlich genug war und auch die Wärme nicht mehr meine Wangen verlassen wollte, murmelte ich ein leises „Sorry,“ und drehte mich schnell von ihm ganz weg. Warum musste immer ich in irgendwelche peinlichen Situationen geraten? Ich hörte wie er sich dann auch endlich neben mich setzte.

„Macht doch nichts, starren ist nicht verboten. Ich bin Jace,“ stellte er sich mir vor und musterte mich von der Seite. Nervös von seiner Ausstrahlung, drehte ich mich dann doch wieder zu ihm um. Ich wusste nicht warum, aber er hatte eine recht unheimliche Ausstrahlung auf mich. Was auch einfach an der komischen Sonnenbrille liegen konnte.

„Ich bin Reyna. Du kannst mich aber auch Rey nennen,“ stellte ich mich dem gutaussehenden Mann dann doch vor und streckte ihm meine leicht zitternde Hand entgegen.

Mit einem leichten Lächeln, griff er nach meiner Hand. Sein Handschütteln war nicht gerade schwach, tat aber auch nicht weh. Doch statt seiner Haut auf meiner zu spüren, spürte ich einen lederhaften Stoff. Als ich dann auf unsere Hände sah, vielen mir sofort seine schwarzen Handschuhe auf.

Verwirrt ließ ich seine Hand los. Warum trug man bei fünfzehn Grad, Ende April, Handschuhe? Hatte er vielleicht eine Krankheit oder schämte er sich einfach vor seinen Händen? Er bemerkte anscheinend meinen verwirrten Blick, reagierte aber nicht darauf. Was die Situation noch komischer und unangenehmer machte.

„Schön dich kennen zu lernen, Rey,“ unterbrach er die kurze Stille zwischen uns beiden, für was ich ihm sehr dankbar war. 

Mein Blick ging an ihm vorbei, zu dem schmalen Gang. Erst da realisierte ich richtig, dass es neben ihm keinen weiteren Sitzplatz gab. War er alleine hier? Aber wer besuchte ein Konzert ohne irgendeine Begleitung, ist das nicht etwas seltsam? Vielleicht aber mochte er es einfach alleine irgendwo hin zu gehen. 

Ich wusste nicht ob es einfach nur an dem scheinbar kühler werdenden Wetter lag, aber ich fing leicht an zu zittern. Und das obwohl ich einen dicken Pullover trug und gestern noch gedacht hatte, dass ich heute eher schwitzen würde, als zu frieren.

Mein Blick flog zu Lilly herüber, welche konzentriert irgendetwas mit Andi diskutierte und mir und dem Mann keine Aufmerksamkeit schenkte. Sie schien wohl nicht einmal zu bemerken, dass ich überhaupt noch da war. Aber sie war beim Diskutieren, aber auch mehr als nur in ihrem Element.

Dabei flog ihr dunkles, welliges Haar nur so in der Gegend herum. Ich hatte sie schon oft wegen ihren schönen Wellen beneidet. Da mein Haar einfach nur langweilig, glatt nach unten hing.

Da ich mich bei der Diskussion nur sehr ungerne eingemischt hätte, nahm ich mir vor, Jace näher kennen zu lernen. Vielleicht war er ja kein übler Kerl.

„Bist du alleine hier?“ fragte ich ihn neugierig. Und versuchte in seine Augen zu sehen, aber die Sonnenbrille war komplett dunkel, weswegen ich seine Mimik, aus seinem Gesicht nur sehr schlecht ablesen konnte.

„Weißt du, eigentlich hatte ich vor, mit einem Freund hierherzukommen. Aber er hatte mich für seine Freundin versetzt, obwohl wir das hier schon länger geplant gehabt haben. Das Konzert wollte ich aber nicht verpassen, weswegen ich dachte das ich auch alleine hierherkommen kann. Schließlich hatte ich hierfür schon recht viel Geld ausgegeben,“ erzählte er mir.

Sein Blick war die ganze Zeit in meiner Richtung und auch ohne seine Augen sehen zu können, fühlte es sich so an, als könnte er direkt durch meine Seele hindurchsehen.

Hatte ich ihn zu schnell als komisch eingestuft? Ich musste echt aufhören andere Leute so schnell zu verurteilen, schließlich wirkte er doch recht in Ordnung. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln. Es schadete nie neue Menschen kennen zu lernen.

„Das hört sich nicht nach dem besten Freund an. Aber ich wäre an deiner Stelle auch zu diesem Konzert gekommen. Schließlich ist die Band echt gut.“ Mein Blick flog über die Halle und ich registrierte, dass schon fast alle Menschen an ihrem Platz waren und keine Neuen mehr rein stürmten. Die hinteren Plätze, in denen wir saßen waren recht leer, weil wahrscheinlich die Mehrheit einen Stehplatz bekommen hatte. Das Konzert wurde bestimmt bald los gehen. 

„Findest du die Band auch so toll? Ich habe sie zwar noch nie live spielen gehört, aber sie gehören eindeutig zu meinen Lieblingskünstlern,“ versuchte ich das Gespräch mit ihm aufrecht zu erhalten. Da Lilly und Andi immer noch in irgendein Gespräch miteinander verwickelt waren und mich nicht wahrnahmen. Ich hoffte schon ziemlich lange, dass die beiden zusammenkommen würden. 

Mit Lilly war ich seit dem Kindergarten befreundet und mit Andi seit der weiterführenden Schule. Ich hatte ihn einfach mit in unsere Freundschaftsgruppe geschleppt. Lilly war schon seit der ersten Sekunde in ihn verliebt gewesen und auch Andi hatte Interesse an ihr. Aber egal was ich versucht, ich schaffte es seit Jahren nicht, die beiden zusammen zu bringen. Obwohl es ziemlich offensichtlich war, dass die beiden in einander verliebt waren. Ich war einfach ein schlechter Amor.

„Ja die Band gehören auch zu einer von meinen Lieblingskünstlern. Ich höre sie schon sehr lange,“ antwortete er auf meine Frage.

Er wollte gerade irgendetwas anderes zu mir sagen, als die Band plötzlich auf die Bühne trat und das Publikum anfing auszuflippen. Alle sprangen von ihren Plätzen auf und riefen der Band irgendetwas zu oder Applaudierten lautstark.

Ich machte es den Menschen nach und stand auch von meinem Platz auf, so dass ich die Band noch einmal etwas besser sehen konnte. Sie sahen genauso aus wie auf den Bildern, von meinen Postern, in meinem kleinen Zimmer.

Als sich das Publikum halbwegs wieder beruhig hatte, fing die Band an ein paar Worte zu sagen. Danach fingen sie an den ersten Song zu spielen. Alles war so laut, und fühlte sich an wie in einem Traum und der ganze Körper bebte von dem Bass, welcher durch die Lautsprecher verstärkt wurde.

Ich fing an zu den Liedern, welche ich natürlich auswendig konnte, lautstark mit zu singen. So wie es die meisten in dem Publikum taten. Meine Stimme ging in dem Gesang unter. Mir war es in dem Moment egal, dass mein Fremder Sitznachbar mich die ganze Zeit beobachtet und meinem schrecklichen Gesang zuhörte.

Kapitel 2

 

Es waren schon über einen halb Stunden vergangen. Die meisten tollen Lieder waren schon gespielt, doch das Publikum war immer noch genau so begeistert, wie beim ersten Lied.

Ich hatte ebenfalls immer noch meinen Spaß. Auch wenn meine Stimme so ein Konzert nicht gewohnt war und ich merkte, wie ich heißer wurde und meine Stimme sich langsam verabschiedete. Die Müdigkeit holte mich auch langsam ein, da wir schon seit heute Morgen hier waren.

Lilly und Andi sahen auch so aus, als hätten sie ihren Spaß auf diesem Konzert. Andi hatte uns mitten im Konzert ein Getränk besorgt gehabt, da unsere Hälse anfing langsam weh zu tun. Er brachte uns aber kein Wasser, weswegen ich auch nicht mehr ganz nüchtern war und ich das Konzert ganz anders, als davor, war nahm.

Ich war normalerweise kein Mensch der viel Alkohol vertrug, weswegen ich es auch nicht allzu oft trank. Da ich schnell betrunken wurde und auch mein Körper immer sofort darauf reagierte. Außerdem stieg mir der Alkohol immer sofort ins Gesicht und ließ meine Wangen rot anlaufen. Aber an Festen trank ich trotzdem gerne ein oder zwei Schlücke.

Mein Sitznachbar, Jace, bleib fast die ganze Zeit auf seinem Platz sitzen und hörte der Musik aufmerksam zu. Ich konnte ihn kein einziges Mal singen oder tanzen sehen, weswegen ich mich wunderte ob es ihm vielleicht peinlich war?

Er wirkte auf mich, wie ein etwas schüchterner und zurückhaltender Mensch. Ich machte mir aber auch nicht allzu viele Gedanken über ihn, da seine Atmosphäre etwas Unheimliches an sich hatte, auch wenn er sehr attraktiv war.

Ich hatte einmal mitbekommen, wie er für etwa eine viertel Stunde lang verschwunden war. Als er dann wieder zurückgekommen war, sah er irgendwie anders aus, als davor.

Bevor er gegangen war, wirkte er noch recht Glücklich. Es sah so aus, als würde auch ihm die Musik gefallen. Ich hatte auch aus dem Augenwinkel ab und zu bemerkt, wie er mich gemusterte hatte.

Doch als er wieder da war, hatte sich seine komplette Haltung verändert gehabt. Seine Augenbraunen waren zusammengekniffen und seine Stirn war gerunzelt. Konzentriert schaute er in die Luft. Zumindest dachte ich, dass es die Luft war, schließlich hatte er immer noch seine schwarze Sonnenbrille auf. Auch ein Blinder hätte bemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

Ich hielt das ganze nur für etwa fünf Minuten aus. Schließlich mochte ich es nicht, wenn es jemanden nicht gut ging. Auch wenn er für mich ein Fremder war. Man konnte trotzdem nett zu jemanden sein. 

„Ist bei dir alles in Ordnung?“ schrie ich ihn deswegen über die laute Musik an.

Er sah das erste Mal, seit er wieder da war, in meine Richtung und starrte mich eine Weile schweigend an. Ich wusste nicht, ob es mir nur so lange vorkam, oder ob es sich wirklich um Minuten handelte, bevor er dann schließlich nickte.

Er schenkte mir daraufhin ein kleines Lächeln. Dieses Mal wirkte es zwar leicht verkrampft, aber ich konnte sehen, dass es sich um ein ehrliches Lächeln handelte.

Ich ließ ihm daraufhin seine Ruhe und genoss weiterhin das Konzert, welches im vollen Gange war. Schließlich wollte ich mir nicht das Konzert ruinieren lassen, nur weil sich ein Fremder komisch verhielt.

Die Stimmung war einfach nur gut. Meine beiden besten Freunde tanzten und sangen zu der Musik laut stark mit und auch ich nahm noch einmal meine ganze Energie zusammen und machte mit.

Schließlich wusste ich nicht, wann ich das nächste Mal wieder auf einem Konzert sein werde. Und ich glaubte nicht, dass ich genau diese Band so schnell wieder sehen würde, da sie momentan von Land zu Land reiste. Trotzdem nahm ich mir vor, noch einmal auf eins ihrer Konzerte zu gehen.

Alles lief gerade gut, doch dann passierte etwas, womit keiner in dieser Halle wohl gerechnet hatte. Der Albtraum, von so gut wie jedem Menschen, begann. Und ich wusste in dem Moment noch nicht, welche Hölle mich noch erwarten wurde. 

Es veränderte sich alles von der einen, auf die andere Sekunde. Die Musik hörte schlagartig auf zu spielen. Und das, obwohl das Lied noch nicht einmal zu Ende gewesen war.

Die meisten, wie auch ich, dachten dass das alles zu der Show gehören würde. Vielleicht würde ja irgendein überraschungsgast die Bühne betreten? Oder es gab einfach nur einen technischen Defekt, welcher in ein paar Minuten repariert war.

Doch plötzlich stürmten mehrere Männer auf die Bühne. So schnell konnte man gar nicht schauen und reagieren. Sie rasten von jeder Seite auf die Bühne und dann hörte ich nur noch einen Sound.

*Boom* *Boom* *Boom*

Geschockt stand ich da. Die Menschen hörten auf zu singen. Eine Stille breitete sich unter den vielen Menschen aus. Und niemand wusste was geschah.

Mein Blick wanderte zu der Bühne. Und dort sah ich dann, die Leblosen Bandmitgliedern von The Rainbow Lions. Sie lagen einfach nur da. Zwischen einer roten Flüssigkeit und bewegten sich nicht mehr. Ich hatte noch nie in meinem Leben eine Leiche gesehen gehabt. Aber so unnatürlich wie sie da lagen, wusste ich, dass kein Leben mehr in ihren Körper war.

Ich konnte nicht realisieren was geschehen war. In meinen Ohren piepste es immer noch und mein Kopf dröhnte. Die Männer richteten ihre Waffen auf das verängstigte Publikum und schossen mehrfach, ziellos, hinein. Die Menschen fingen an zu kreischen und zu schreien. Es entstand eine Massenpanik und die Menschen versuchten alle zu den Ausgängen zu gelangen. 

Doch ich schenkte ihnen keine Beachtung. Mein Blick blieb auf den Bewaffneten Leuten auf der Bühne liegen. Es waren um die vierzehn Stück und alle waren in schwarz gekleidet.

Als mein Blick dann doch zu den Ausgängen huschte, bemerkte ich, dass die Menge gar nicht nach draußen stürmte. Stattdessen sah es so aus, als wären die Türen abgeschlossen und es standen auch weitere bewaffnete Männer davor, welche keinen nach draußen ließen.  

Die Polizisten und auch die Türsteher lagen alle Leblos auf den Boden. Mein Blick schweifte wieder zu den bewaffneten Leuten auf der Bühne. Ich schaffte es einfach nicht von den toten Bandmitgliedern weg zu sehen. Wie auch nicht von den gefährlichen Männern, welche auf der Bühne, in der Mitte der Halle, eindeutig ihren Spaß hatten.

Ich reagierte nicht einmal, als Lilly mein Handgelenk packte und versucht mich weg zu bringen. „Rey! Reyna, wir müssen hier sofort weg! Sie werden uns sonst auch umbringen,“ hörte ich sie schrill zu mir schreien. Doch ihre Worte kamen nicht in meinem Kopf an.

Tränen rannten ihrem Gesicht herunter und ich konnte Todesangst in ihren Olivenfarbigen Augen erkennen. Ich hatte Lilly, in all den Jahren, noch nie ängstlich gesehen. Sie war sonst immer die Ruhe selbst. Sie war immer die Person, welche mich beruhigen musste und mir sagte, dass alles gut werden wurde.

Doch jetzt stand sie heulend und voller Angst vor mir. Und sie versuchte mich dazu zu bringen, dass ich mich von der Stelle bewegte und aus meinem Schock herauskam.

Als ich in ihr Panisches Gesicht sah, erwachte ich endlich wieder aus meiner Starre. Fluchtartig schaute ich nach links, wo der Gang, wie auch der Mann, mit seiner Sonnenbrille, war. Er hatte sich kein Stück bewegt und saß wie die Ruhe selbst an seinem Platz. Als würden keine Terroristen versuchen uns alle umzubringen. 

„Warum bewegen Sie sich nicht! Der nächste Fluchtweg ist nur ein paar Meter von uns entfernt! Lassen Sie uns raus,“ schrie ihn Lilly aufgebracht an. Sie hatte anscheinend auch bemerkt das wir uns nicht bewegen konnten, solange Jace noch auf seinem Platz saß. Wir kamen nicht an ihm vorbei.

Auf dem kleinen Flur, an dem er saß, waren keine Menschen. Es war nur einer, von vielen Notausgängen, die es in dieser Halle gab. Und genau vor dieser, stand kein bewaffneter Mann. Was für ein Glück wir hatten.

Die meisten Menschen stürmten zu den beiden großen Hauptausgängen oder zu weiteren kleinen. Doch weiter kam keiner. Sie waren alle entweder versperrt oder jemand bewaffnetes stand davor.

„Dieser Notausgang wird sehr wahrscheinlich auch abgeschlossen sein,“ meinte Jace mit einer viel zu ruhigen Stimme.

Ich wusste nicht was in seinem Kopf abging, aber niemand normales, würde in dieser Situation so reagieren. Auch wenn er vielleicht Todeswünsche hatte, er konnte wenigstens uns zu der Türe lassen.

„Wir müssen es doch wenigstens versuchen!“ war ich jetzt diejenige, die über das Gekreische von den Menschen, ihn versuchte zu überreden. Doch dann hörte man weitere Schüsse, welche durch die Halle klangen und mir den kalten Angstschweiß über meine Stirn laufen ließ.

Es entstand eine totale Panik und es war der Albtraum von uns allen. Niemand hier drinnen hätte damit rechnen können, dass so etwas heute geschehen wurde. Wie wahrscheinlich war es auch, dass so ein Terroranschlag genau unser Konzert treffen wurde?

Überraschenderweise stand Jace dann doch auf. Wir drei wollten ihm gerade zu dem kleinen Ausgang, welcher nur ein paar Meter von uns entfernt war, folgen. Doch als er dies bemerkte, drehte er sich wieder zu uns um.

„Bleibt ihr hier. Ich schau nur kurz ob die Türe offen ist,“ verlangte er von uns. „Auf dem Platz ist es für euch sowieso sicherer.“

 Verwirrt hörten wir auf ihn und blieben an unseren Plätzen stehen. Was wahrscheinlich nur daran lag, dass wir alle drei viel zu verwirrt und ängstlich waren, um überhaupt einen klaren Gedanken fassen zu können.

Ich Blickte mich in dieser Zeit wieder rasch um und bemerkte, dass niemand mehr an seinem Platz saß oder stand. Die Sitzreihen waren komplett leer. Außer uns dreien, war niemand mehr vor seinem Stuhl.

Alle drängten sich zu den Hauptausgängen vor. Ich wusste nicht warum alle erwarteten, dass sie bei den Ausgängen mehr Glück hatten, als bei den kleinen. Aber vielleicht dachten auch alle, dass sie in der Masse bessere Überlebenschancen hatten und nicht herausstechen würden.

Die Leute, die einen Stehplatz hatten, waren am schlimmsten dran. Sie versuchten alle soweit es ging von der Bühne weg zu kommen, weswegen sie andere Schubsten und traten. Jeder hatte nur noch eins im Kopf, überleben. Den meisten waren die anderen Menschen egal und wollten nur ihr eigenes Leben retten. Ich wollte nicht wissen, wie viele Menschen bei dem Gedränge gerade zerquetscht oder auf dem Boden zerstampft wurden.

Kapitel 3

Mein Blick ging wieder zu Jace, welcher nur etwa dreißig Meter von uns entfernt stand und gerade bei der Fluchttüre angekommen war. Ungeduldig sahen wir drei ihm zu, wie er die Klinke herunterdrückte und die Türe aufzog. Das alles kam einem vor wie in Zeitluppe.

Ich hatte keine großen Hoffnungen, dass die Türe aufgehen würde, schließlich waren alle anderen Türen auch abgeschlossen oder Bewacht. Warum sollte dann ausgerechnet unsere offen sein oder nicht bewacht?

Doch dann hörten wir ein leisen quietschen und die kleine Metalltüre ging auf.   Erleichterung machte sich in mir breit. Wir würden hier Lebend rauskommen! Die schreckliche Angst, welche sich in mir breit gemacht hatte und mein Herz viel zu schnell schlagen ließ, fing an sich wieder etwas zu beruhigen. Auch wenn wir noch lange nicht draußen waren.

Ich konnte gar nicht anders und es machte sich ein leichtes Lächeln auf meinem Gesicht breit. Ein naives Lächeln. Als ich zu Andi und Lilly sah, erkannte ich auch auf ihren Gesichtern Erleichterung und Hoffnung.

Wir rannten so schnell wir konnten auf den schmalen Gang. Geradewegs zu der Türe, welche jetzt einen kleinen Spalt weit offenstand.

Gerade als wir fast bei ihm ankamen, fiel mir auf, dass er die Türe nicht weiter öffnete. Warum machte er sie nicht ganz auf und ging hindurch? Er war nur ein paar Schritte von der Freiheit entfernt?

Vielleicht wollte er auf uns warten. Aber mein Bauchgefühl verriet mir, dass etwas nicht stimmte. Es konnte aber auch von dem ganzen Stress und dieser Angstsituation liegen, dass ich einfach bei allem ein schlechtes Gefühlt hatte.

Langsam drehte er sich zu uns um. Sein Gesichtsausdruck war Eiskalt und man konnte einfach keine Emotion erkennen. Ich merkte seinen Blick auf uns und ohne von uns weg zu sehen, schloss er langsam mit seinen Handschuhen, die Fluchttüre wieder zu.

Wir kamen verwirrt, wie auch wütend bei ihm an. Doch Angst war in diesem Moment unsere größte Emotion. Dann hörte man wieder aus der Halle, hinter uns, Schüsse.

Ohne dass ich es kontrollieren konnte, zuckte ich bei jedem einzelnen Schuss zusammen. Wo blieb die Polizei? Warum half uns denn niemand hier raus? Wo waren wir hier hineingeraten? Ich hatte nicht viel Zeit, um über alles nachzudenken und es war auch die Falsche Situation dafür. Erst einmal musste ich und meine Freunde hier lebend rauskommen.

„Sorry Leute, aber wir gehen jetzt erst einmal nirgends hin,“ behauptete Jace, während er sich vor der Türe breit machte, genauso wie es ein Bodyguard machen würde. Verdutzt sahen wir ihn an und verstanden die Welt nicht mehr. 

„Was soll das Mann! Lass uns hier verschwinden,“ brüllte ihn Andi an, welcher rot vor Wut und Angst angelaufen war. Dadurch sah er aus wie eine Tomate, welche jeden Augenblick explodieren würde und man lieber in Deckung gehen sollte. Aber daran dachte Jace erst gar nicht.

„Ja! Falls du es noch nicht bemerkt hast, hier schießen Menschen auf uns! Du kannst ja hierbleiben, wenn du den Wunsch hast zu sterben. Aber wir drei gehen jetzt,“ zickte ihn jetzt auch Lilly an.

Als man wieder Schüsse hörte, zuckte ich wieder panisch zusammen. Wir hatten für so eine Diskussion jetzt echt keine Zeit. Ich wollte nicht wissen wie viele Menschen schon erschossen worden waren. Wir waren nur ein paar Meter von unserer Freiheit entfernt. Aber wir mussten hier schleunigst raus.

Das ging aber nicht, da Jace nicht auf meine beiden Freunde hörte und trotzig vor der Türe stehen blieb. Ich wusste nicht was mit ihm falsch war, aber ich vermutete das es ihm psychisch nicht so gut ginge. Vielleicht setzte es ihm zu, dass sein bester Freund ihn versetzt hatte und er jetzt hier alleine feststeckte.

„Ich weiß nicht warum du uns hier nicht rauslässt, aber du kannst mit uns mitkommen, wenn du willst. Wir können das ganze hier zusammen überstehen, nicht so wie die ganzen Menschen da unten, die nur daran denken ihr eigenes Leben zu retten. Wir werden dir helfen, wenn du uns jetzt hilfst und uns durch die Türe lässt,“ versuchte ich jetzt ruhig auf ihn einzureden.

In der Hoffnung, dass ich mit meiner Theorie recht hatte und er sich einfach nur einsam fühlte und keinen anderen Sinn mehr sah, als dafür zu sorgen, dass er und andere hier nicht mehr Leben herauskommen. Doch ich kannte ihn nicht und ich wusste auch nicht was in seinem Kopf vor sich ging.

Es war deutlich, dass er mich durch seine Sonnenbrille ansah und ich verspürte wieder dieses unwohle Gefühl, was immer kam, wenn er mich so eindringlich anstarrte. Kurz dachte ich, dass er aus dem Weg gehen wurde, um uns heraus zu lassen.

Doch stattdessen verspannte er sich wieder und man konnte unter seiner Kleidung deutlich seine angespannten Muskeln erkennen. Stur schüttelte er seinen Kopf.

Mein Blick ging schnell nach hinten, aber es war in der Zwischenzeit nicht viel mehr passiert. Die Menschen drängten sich immer dichter aneinander und die gefährlichen Männer hatten eindeutig ihren Spaß. Sie bemerkten uns nicht, was wahrscheinlich daran lag, dass wir so weit hinten in der Halle waren und es zu viele Menschen hier drinnen gab. Trotzdem durften wir keine Sekunde verschwenden.

„Ich lass nicht zu, dass du mich und meine Freunde in Gefahr bringst. Wenn du jetzt nicht sofort auf die Seite gehst, dann müssen wir das eben mit Gewalt klären,“ knurrte Andi ihn aggressiv an.

Normalerweise war Andi kein Aggressiver oder Gewalttätiger Junge. Ich hatte erst einmal mitbekommen, dass er in einer Prügelei war. Aber diese war nicht gerade ernst und wurde recht schnell von den Lehrern beendet. Deshalb überraschte mich das nächste was geschah besonders. Ohne Vorwarnung sprang Andi auf Jace zu. 

Er holte mit seiner ganzen Kraft zum Schlag aus. Doch Jace sah es kommen und wich dem Schlag aus. Jace packte seinen Arm und drehte ihn brutal um. Alles geschah blitzschnell und ich hatte große Mühe alles mit zu verfolgen. Andi schrie vor Schmerz auf, aber Jace hörte nicht damit auf, seinen Arm umzudrehen. Und als man dann ein knacken hörte, wussten wir, dass sein Arm gebrochen war.

„Was soll das!“ rief Lilly neben mir verzweifelt und ihre Stimme war Oktaven höher als sonst. Ich sah wie sich in ihren Augen Tränen bildeten und sie große Mühe hatte sie zurück zu halten.

Aber Andi war anscheinend mit dem Kampf noch nicht fertig. Auch wenn er wahrscheinlich höllische Schmerzen hatte. Er wollte mit seinem anderen Arm, welcher nicht gebrochen war, ausholen. Lilly und ich hatten gar keine Zeit, ihn von dem Kampf abzuhalten. Aber auch dieser Schlag wurde von Jace abgefangen und er hielt auch diesen Arm fest.

Ich konnte nur dastehen und zu sehen. So viel hätte ich mit meinen dünnen Laucharmen, in denen eindeutig Muskeln fehlten, auch nicht ausrichten können.

Dann sah ich wie Jace mit seiner anderen Hand, etwas aus seinem Gürtel, unter seinem schwarzen Pullover, herausholte. Es war etwas kleines, schwarzes Metallisches. Ich wusste sofort was es war. Eine Pistole.

„Vorsicht Andi!“ schrie ich panisch. Doch es war zu spät. Jace drückte ab.

Man hörte ein Ohrenbetäubendes *Boom*, welches aus dieser nähe viel angsteinflößender und lauter war, als aus der Ferne. Meine Ohren fingen sofort an zu piepen und ich verlor für einen kurzen Moment meine Orientierung. Alles fühlte sich so wirklichkeitsfern an.

Ich musste mit ansehen, wie Andi mit einem schreien auf den Boden sank. Nicht nur er schrie auf, auch Lilly neben mir, welche ich nicht richtig wahrnahm, schrie. Sie fing bitterlich an zu weinen. Mir hingegen lief keine Träne über mein Gesicht, dafür saß der Schock viel zu tief in mir. Das alles durfte nicht wahr sein.

Mein Blick blieb auf Andi liegen. Er lag regungslos auf den Boden und hatte sein Bewusstsein verloren. Oder er war Tod. Bei dem Gedanken, dass er vielleicht nicht mehr unter uns war, fing mein Körper bitterlich an zu zittern. Ich schaffte es einfach nicht mich weg zu bewegen oder den Blick von Andi zu lösen.

Allerdings sah ich dann genauer auf meinen, am Boden liegenden, besten Freund. Ich erkannte, dass er nur aus seinem Bein blutete und sein Kopf und auch seine Brust nicht verletzt war. Es gab also noch eine gute Chance, dass er noch lebte.

Dadurch wurde ich etwas beruhigter. Weswegen ich es schaffte meinen Blick von Andi zu lösen und dafür auf der Gefahr welche direkt vor uns war, liegen zu lassen.

Jace hielt immer noch die Waffe auf uns gerichtet. Man konnte wie davor schon keine Emotionen in seinem Gesicht ablesen, und das obwohl er gerade einen Menschen angeschossen hatte.

Wer zum Teufel war er? Mein schlechtes Gefühl welches ich die ganze Zeit gegenüber ihn gehabt hatte, hatte recht gehabt. Doch nun brachte mir dieses Gefühl nichts mehr. Es war zu spät.

Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann fiel mir endlich ein Gedanke ein, auf den ich hätte viel früher kommen können. Er gehörte zu den Attentätern, die da unten auf der Bühne standen und Menschen töteten!

Ich wusste nicht was ich tun sollte, schließlich wurden Lilly und ich immer noch mit einer geladenen Waffe bedroht. Aber sie war gerade auch keine große Hilfe. Schließlich bekam sie davon nichts mit, da ihr Blick immer noch mit voller Verzweiflung, Sorge und Trauer auf Andi lag. Sie bemerkte gar nicht, dass wir immer noch in Lebensgefahr waren.

Sie sah komplett fertig aus und ich hatte Angst, dass sie jede Sekunde in Ohnmacht fallen wurde und mich mit dem Bewaffneten Attentäter alleine ließ. Aber dies wäre vielleicht auch besser, schließlich wäre sie dann nicht mehr in Gefahr und wenn sie aufwachen würde, dann wären wir schon längst gerettet.

Ich hob langsam meine Hände in die Luft, um Jace zu signalisieren, dass ich ihn nicht angreifen möchte und auch nicht wegrenne. Obwohl es eigentlich selbstverständlich war, dass ich ihn nicht angreifen wurde, da er die Person mit der Waffe war und nicht ich.

Aber meine Aktion war auch nicht die schlauste, schließlich brachte es nichts, wenn man seine Hände einfach nur über den Kopf hielt. Von diesen Terroristen war sowieso das größte Zeil, so viele Menschen wie es nur ging umzubringen. Was hieß, dass Lilly und ich hier nicht Lebend rauskommen würden. Aber mir viel in dem Moment nichts Besseres ein, was ich hätte tun können.

Aber warum zögerte er so lange um uns umzubringen? War seine Aufgabe vielleicht einfach nur dafür zu sorgen, dass keine Menschen den Ausgang verließ? Warum sollten sie dann aber ausgerechnet diesen Fluchtweg offenlassen?

Durch meinen Kopf flogen zu viele Gedanken und Fragen. Es vergingen vielleicht nur ein paar Sekunden, aber es fühlte sich für mich wie eine Ewigkeit an.

Ich machte mich darauf gefasst, dass er jeden Augenblick abdrücken würde, um unser Leben zu beenden. Da ich keinen Fluchtweg sah und auch meine Chancen einschätzen konnte, blieb ich einfach nur stillstehen. Meine Beine hätten auch wenn ich es gewollt hätte, sich in dem Moment, nicht viel Bewegt. 

Plötzlich lief er los. Direkt in unsere Richtung! Panisch schaute ich ihn an und die Angst, die sowieso in mir war, verstärkte sich noch weiter und schnürte mir meine Atemwege zu.

Ich dachte mein Herz würde mir vor lauter schnellem Pochen aus meiner Brust fliegen oder einfach nur aufhören zu schlagen.

Lilly schien durch seine Bewegungen aus ihrem Trance zu erwachen. Panisch schaute sie kurz zu mir, nur um dann auch ihre Arme hektisch in die Luft zu heben.

„B-Bitte tu uns nichts,“ flehte ich mit brüchiger Stimme. Doch er bewegte sich weiter auf uns zu. Es trennten uns nur noch ein paar Meter voneinander. Seine Schritte waren genau so Vorsichtig und Gefährlich wie von einem Raubtier auf der Jagd. Und wir waren seine Beute.

Als er uns dann noch näherkam, kam mir nur ein Gedanke. Renn!

Ich drehte mich Ruckartig um und fing an zu rennen. Was mein Körper erstaunlicher Weise zuließ. Durch meine Adern schoss Adrenalin und ich merkte, wie mein Körper plötzlich neu gewonnene Energie bekam.

Doch ich kam nicht gerade weit, da ich einen weiteren Schuss höre. Ruckartig blieb ich stehen. Er wurde direkt hinter mir abgefeuert. 

 

Kapitel 4

„An deiner Stelle würde ich lieber nicht wegrennen,“ hörte ich seine raue Stimme hinter mir. Langsam und zitternd drehte ich mich wieder um.

Mein ganzer Körper war am beben und der Schweiß lief mir nur so über meine Stirn. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Todesangst gehabt. Auf wen hatte er geschossen? Lebte Lilly noch?

Hastig schaute ich zu Lilly, welche sich kein Stück bewegt hatte. Jace war jetzt so weit von der Türe weggelaufen, dass er jetzt direkt neben Lilly stand. Mit meinem Blick checkte ich ihren Körper kurz ab, aber dort war keine Wunde zu erkennen und auch ihr Gesicht verriet mir, dass sie keine Schmerzen hatte. 

Als ich mir sicher war, dass sie nicht verletzt war, schaute ich an mir selber runter. Hatte er mich erwischt? Hatte er auf mich geschossen und ich hatte vor lauter Adrenalin und Angst nichts gemerkt?

Aber ich spürte weder einen Schmerz, noch konnte ich Blut an mir erkennen. Vielleicht hatte er mich verfehlt oder ich würde erst viel später bemerken, dass ich angeschossen worden war. Ich hatte gehört, dass es vielen Soldaten im Krieg so ging, dass sie erst viel später bemerkten, dass sie angeschossen worden waren.

Aber ich müsste doch irgendetwas spüren. Verwirrt sah ich wieder zu Jace, welcher immer noch die gefährliche Waffe in seinen Händen hielt, sie aber nicht mehr auf uns richtete.

„Wir gehen jetzt schön wieder zu unseren Plätzen zurück und setzten uns hin,“ befahl er uns. Meine wackligen Knie hörten komischerweise auf ihn. Wir liefen zusammen wieder zurück, auch wenn es ein sehr komisches Gefühl war, wenn jemand hinter einem eine Waffe in der Hand hielt und einen jederzeit in den Rücken schießen konnte.

Lilly und ich setzten uns wieder dahin, wo wir davor auch schon saßen. So wie es uns befohlen wurde. Jace saß wieder auf den letzten Platz von dem Gang und versperrte uns so den einzigen Fluchtweg, den wir hätten nutzen können.

Vor nicht einmal ein paar Minuten saßen wir auch schon hier und hatten den Spaß unseres Lebens. Wie schnell sich eine Situation ändern konnte.

Lilly fing sofort an neben mir zu weinen und ich wusste, dass sie es psychisch bald nicht mehr aushalten würde. Ich auch nicht. Uns beiden war das alles einfach viel zu viel. Wir waren immer noch unter Stress und Angst. Schließlich wurde in der Halle immer noch herum geschossen. Einer dieser Attentäter saß neben uns und Andi lag gerade vermutlich im Sterben. Und wir konnten ihm nicht helfen.

Ich wollte weinen, genauso wie Lilly. Doch ich konnte nicht. Es war einfach die falsche Situation und einer von uns beiden musste stark bleiben. Tröstend legte ich eine meiner Hände, in die von Lilly, um sie zumindest etwas zu beruhigen. Was mir aber nicht gerade gut gelang. Ihre Hand war total kalt und auch sie zitterte bam ganzen Körper, wie ich.

In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so hilflos gefühlt. Ich konnte einfach nichts machen, um aus dieser Situation heraus zu kommen. Das Gefühl handlungsunfähig zu sein war einfach nur schrecklich. Mein Leben lag nicht mehr in meinen Händen und das seit der Sekunde, seit der ich dieses Konzert besucht hatte.

Durch meinen Kopf gingen wieder viel zu viele Fragen, welche mir niemand beantworten wurde und ich selber herausfinden musste. Warum wollte er, dass wir uns wieder hier hinsetzten? Was brachte es ihm? Warum ließ er uns leiden und brachte und nicht einfach sofort um?

Ich drehte mich leicht zu ihm um. Er starrte uns beide an, zumindest vermutete ich das, wegen seiner dämlichen Sonnenbrille. Auf seinem Schoss lag seine Pistole, welche direkt auf uns gerichtet war. Er hielt sie mit seiner linken Hand fest.

Mein Blick blieb auf der gefährlichen Waffe liegen, mit welcher er Andi verletzt hatte oder vielleicht sogar getötet. Ich wollte nicht wissen, für wie viele Tode diese eine Waffe schon verantwortlich gewesen war.

„Was soll das?“ brachte ich mit meinem ganzen Mut hervor und sah ihm wieder in seinem Gesicht. Auch wenn mir meine Stimme sehr Mutig und Selbstbewusst vorkam, ähnelte sie wahrscheinlicher eher einer unangenehmen, quietschenden, Kreide.

„Das wirst du gleich herausfinden, Rey,“ antwortete er mir ruhig. Als er meinen Spitznamen aussprach, breitete sich auf meiner Haut eine Gänsehaut aus. Nicht weil es sich schön aus seinem Mund anhörte, sondern eher wegen dem Gefährlichen Unterton, welchen ich heraushöre konnte.

Ich wusste nicht was er damit sagen wollte, aber anscheinend hatten diese Terroristen noch irgendetwas geplant. Warum sollten sonst alle Ausgänge verschlossen sein? Und warum hätte er gewollt das wir uns hinsetzten? Konnte es noch schlimmer werden, als es jetzt schon war?

Ich hatte zumindest die Hoffnung, dass die Polizei jeden Augenblick reinsturmen würde, um uns alle zu befreien und diese Terroristen festnehmen. Lange konnten sie ja nicht mehr brauchen, schließlich ging das ganze hier schon mehrere Minuten. Aber ich hatte auch kein Zeitgefühl mehr.

Ich Blickte von Jace wieder weg und schaute, wie schon heute so oft, zu der Bühne. Auf dieser vor ein paar Minuten noch die Band stand und lautstark, wie auch glücklich, mit uns gesungen hatten. Wer hätte schon ahnen können, dass so etwas passieren würde? Und das die Band jetzt Tod war, wie wahrscheinlich viele anderen Menschen auch.

Ich hatte Angst. Würde ich genauso sterben, wie all die Menschen da unten und meine alleinerziehende Mum nie wieder sehen? Das würde ihr das Herz brechen. Das durfte einfach nicht passieren, schließlich hatten wir es mit meiner Oma schon schwer genug und meine Mum konnte, all das nicht alleine schaffen und verarbeiten.

Plötzlich hörte man ein unangenehmes Geräusch. Welches den ganzen Lärm von den lauten, schreienden Menschen, übertönte. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich herausfand, dass das Geräusch von den großen Lautsprechern, welche überall in der halboffenen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 13.11.2021
ISBN: 978-3-7487-9923-8

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