Cover



Man kennt das ja ... die Sache mit dem Geldbeutel, der, an einer unsichtbaren Nylonschnur befestigt, ruhig auf der Straße liegt und plötzlich wegschnellt, wenn einer danach greift. So haben meine kleine Schwester und ich schon als Kinder die Leute verarscht.
Diesmal hat jemand einen 500-Euro-Schein als Köder ausgelegt. Einfach so.

Die Banknote wirbelt, vom Wind gepackt, vor den Augen der Passanten über den Bürgersteig und segelt dann aufs Pflaster zurück, wo sie reglos und hämisch wartend liegen bleibt. Bückt sich jemand und greift nach ihr – schwupp - saust sie ab in die Höhe!
Ein junger Bursche, der sie beinahe erwischt, stolpert über die Bordsteinkante, fällt hin, hält sich sein Bein und schreit vor Schmerzen, während der Geldschein von neuem hoch in der Luft herum flattert.

Ich lasse das verlockende Objekt nicht aus den Augen. Jetzt kommt es wieder und nähert sich ausgerechnet MIR. Ich springe ihm nach, mache unsagbare Verrenkungen und schäme mich – ich muss den Zuschauern ein dämliches Spektakel bieten!
Ausdauernder als irgend jemand sonst, hechte ich dem zusammengefalteten Schein hinterher. Er scheint mit einem Gummibällchen oder Ähnlichem versehen zu sein, denn immer wieder hüpft er federnd aufs Pflaster ... plopp ... und dann mit Schwung mehrere Meter hoch. Ich ihm nach, so gut ich kann.
Natürlich hab ICH den Mechanismus sofort begriffen und weiß: da oben in einem der höheren Stockwerke sitzt garantiert ein Witzbold am Fenster und managt die ganze Sache.

Egal wie wild ich nach der fliehenden Beute grabsche, es gelingt dem Typen stets, sie mir im letzten Moment zu entreißen. Auch hab ich gesehen: dieser 500-Euro-Schein ist ECHT. Ich muss ihn kriegen, ganz gleich, wie. Nur nicht aufgeben ...
Am Fenster freut sich der leimrutenauslegende Joker herzhaft. Man sieht ihn nicht, hört nur sein lautes Lachen bis auf die Straße herunterdröhnen.

Die Banknote hüpft wie ein wild gewordener Frosch vor mir her und jedes Mal mit einem Riesensatz wieder weg aus meiner Reichweite, wenn ich sie fast schon sicher in Händen habe. Meine bebenden Finger sind oft nur Zentimeter entfernt.
Vorübergehende bleiben stehen, schauen fasziniert zu. Andere schütteln den Kopf. Doch ich werde nicht aufhören. Ja, ich bin scharf auf das Geld. Immer wieder hechle ich der zappelnden Beute hinterher. Vollführe die bizarrsten Sprünge. Sollen die Leute ruhig starren!
Aber, wie ich mich auch anstrenge, im letzten Augenblick macht das Billet stets diesen ausgeflippten Satz nach oben und entzieht sich.

Plötzlich, ich traue meinen Augen kaum ... sehe ich: da ist nicht nur EIN Schein! Hinter dem vorderen stecken noch mehr Fünfhunderter. Ein ganzes Bündel! Hoffentlich merkt es außer mir niemand. Das gäbe ein Gerangel!!

Geschlagene zehn Minuten jage ich jetzt wie verrückt hinter dem Ding her, habe alle Mit-Interessenten durch meine Schnelligkeit und Ellbogenkraft aus dem Rennen geschlagen. Ich bin echt erschöpft, keuche furchtbar nach so viel Hetzerei und Hochsprüngen. Da, o Wunder, bekomme ich den lang ersehnten Schatz doch noch zu fassen.
"Halleluja." Ich halte das Geldpäckchen triumphierend in die Höhe.
Leute umringen mich, teils begeistert, teils neidisch.
„Das müssen mindestens 6000 Euro sein!“, ruft jemand.
Einige fangen sogar an, spontan zu applaudieren.
"Sie Glückspilz", flötet eine Frau.
"Er hat es sich aber auch verdient", ruft jemand.

Jetzt muss ich den ganzen Reichtum nur rasch nach Hause schaffen.
Hastig verstaue ich das Bündel in meine Aktentasche. Die enthält übrigens schon ein schönes Sümmchen, das ich letzte Woche bei Aktiengeschäften verdient und gerade vorhin am Automaten in bar abgeholt habe. Ich lasse Geld nie lange auf dem Konto, denn die Banken sind sowas von unzuverlässig, und nur, was du schwarz auf weiß besitzt, kannst du getrost nach Hause tragen und so weiter …

Da plötzlich ... ein Donnerschlag! EXPLOSION? Meine Tasche sprengt es in tausend Stücke, dass mir Leder- und Papierschnippel nur so um die Ohren fliegen. Leute schreien. Die Frau neben mir fällt in Ohnmacht. Ich blicke an mir herunter ... meine Kleider sind auch irgendwie zerfetzt … Sonst ist mir nicht viel passiert. Nur das Geld ist futsch. Das von der Bank. Und das von mir so sauer erjagte Mammon-Bündel ebenfalls. Dieser Kerl hatte es mit einem tückisch getarnten Mechanismus versehen, einem Zeitzünder oder so ...

*

Ich wache auf, weil neben mir etwas rasselt. Mein Wecker!
O Gott … das Ganze war nur ein Traum. Nun fühl ich mich wie neugeboren. Sooo erleichtert. Ich atme frei. Das wird ein schöner Tag!

"Besser arm, aber gesund", hat mein Großvater auch schon immer gesagt.

Eine Morgenzigarette wäre jetzt gut! Ich lange nach meinem Nachtkästchen, das jedoch nicht da ist …
Aber was ist mit meinen Händen? Wo sind sie? Und diese Binden ... Hilfe!

„Quatsch! Nun ist aber endgültig Schluss mit dem Alptraum!! A u f w a c h e n!“ ermahne ich mich selbst, „in Wirklichkeit bin ich doch vollkommen in Ordn...“

“Hallo, Herr Mahler“, sagt da eine warme Stimme neben mir, „ Hören Sie mich? Ich bin Schwester Marion, Sie sind hier im Klinikum Aachen …“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /