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Es gibt seltsame Dinge unter dem Himmel. Und unglaublich originelle Menschenkäuze. Ich denke da an einen Sonderling namens Jürgen B, der sich freiwillig zum Opfer des Kannibalen von Rotenburg gemacht und sich von ihm genussvoll, Stück für Stück, hat aufessen lassen. Einmal versuchte ich mir diese Fakten vorzustellen, da wurde mir schlecht. Aber es kam mir gerade so in den Sinn.

Doch hören Sie, was ich erlebt habe:

Voller Vorfreude auf meinen Urlaub in Kenia bestieg ich im hochsommerheißen Casablanca die Maschine nach Nairobi. Das vollklimatisierte, in ruhigem Blau gestylte Innere des neuen Airbus, die aparten, schwarzen Flugbegleiterinnen mit ihren maurisch- schönen, wie von Allah gemeißelten Gesichtszügen und leuchtenden Gewändern, die Mitpassagiere - meist hochgewachsene, weißgekleidete Araber in Kaftan und Burnus- Geplauder um mich herum in seltsam wohltönenden, mir fremden Sprachen, girrendes, flirrendes Frauenlachen, der Hauch von teuren Parfüms und Aromen, all die Nuancen zwischenmenschlicher Nähe, die in der Luft mitschwangen, schufen eine für mich exotisch erregende Atmosphäre, die aber gleich zu Beginn meiner Reise - na ja - wie soll ich sagen – ziemlich entweiht wurde, nämlich in der Sekunde, als ich meinen Sitznachbarn sah.

Dieser Mensch musste bemerkt haben, dass wir Landsleute sind, redete mich gleich in Deutsch an und fragte nach meinem Reiseziel. Ich ging nicht darauf ein, sondern: "Um Gottes Willen, was ist denn mit Ihnen passiert?“, rief ich verblüfft und kam mir sofort unhöflich, ja aggressiv vor, weil ich so dämlich reagierte.

Es prangte nämlich ein dunkelvioletter Bluterguss oberhalb seiner Wange. Das Fleisch war so angeschwollen, dass man darunter sein rechtes Auge, wenn es denn noch vorhanden sein sollte, nicht mehr erkennen konnte. Seine Nase war geschient, Hinterkopf, Stirn und Nacken mit Binden umwickelt, die ihm schneeweiß und mumienhaft auch Rücken und Brust umspannten. Ein metallenes Monstrum von Halsstütze stabilisierte seine obere Wirbelsäule.
Außerdem hatte er beide Arme in Schlingen und einen Gips am rechten Bein.
Überhaupt ... die ganze Jammergestalt sah aus wie jemand, der eigentlich nur noch auf seine Entsorgung wartet. Und darauf schien er tatsächlich hin zu arbeiten, wie er mir peu à peu preisgab.

In dieser Umgebung, mit all den attraktiven Menschen um mich herum, schien er so fehl am Platz wie ein Zombi im Garten Eden. Warum kurierte er sich nicht in aller Ruhe irgendwo in einer Klinik oder im trauten Heim aus, statt die Passagiere mit seinem Anblick so zu überrumpeln? Das klingt jetzt sehr herzlos ... doch eine ganz gehörige Portion Mitleid mit ihm fühlte ich schon.

„Sieht aus, als hätten Sie einen Unfall gehabt?“, bohrte ich weiter und schämte mich grässlich, weil sich das so derb und neugierig anhörte.

„Unfall ... nein", sagte er mit zitternder Stimme, "ach nein, es kommt alles von meiner übergroßen Sensibilität!“

„Erzählen Sie, erzählen Sie !", entfuhr es mir. Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Einen solch lädierten Menschen hatte ich noch nie gesehen.

„Ich will Ihnen meine Geschichte verraten, weil Sie fremd sind und wir uns wahrscheinlich nie mehr treffen werden ... ach, es ist mir so peinlich", sagte er., " so peinlich!"
"Also, vor einigen Wochen kam ich früher als sonst vom Büro nach Hause. Sie müssen wissen, ich arbeite für die deutsche Botschaft in Casablanca. Ich fand meine Frau, Doro, nackt und ... bester Stimmung... in unserem Ehebett in inniger Umarmung mit ihrem Fitnesstrainer, einem Schweden namens Holger, der sich in letzter Zeit auch außerhalb der Übungsstunden viel zu oft in ihrer Nähe herumgetrieben hatte. Blind muss ich gewesen sein.
Zu allem Elend beschimpfte, ja verhöhnte Dorothea mich nun auch noch, nannte mich ein Weichei und einen selten blöden Trottel

“Nachdem Sie meine Frau so kaltschnäuzig gevögelt haben, können Sie mich ebenso gut gleich umbringen“, sagte ich zu diesem Holger, der auf meinem Bett seine sonnengebräunte Haut, die mächtigen Mukis und anderes frivol zur Schau stellte. Ja, nachdem er meinen Stolz und mein Herz gebrochen, solle mir doch ruhig den Todesstoß versetzen!

Aber der Casanova steckte sich seelenruhig eine Zigarette an, klatschte meinem Weib lachend auf den Po und griff nach seinen Kleidern, die auf dem Boden neben dem Bett verstreut lagen. Da brannten bei mir alle Sicherungen durch, ich konnte nicht mehr an mich halten ...“

„O, sie Ärmster“, sagte ich, „jeder hätte wie Sie gehandelt ... klar, Sie haben Sich auf den Mann gestürzt, doch er war stärker und Sie mussten es ausbaden!"

„Nein“, murmelte er, „nein ... ich ging in die Garage, fuhr mit meinem Wagen los, hielt auf der Autobahnbrücke, stieg über das Geländer und dann ... dann versuchte ich den finalen Kopfsprung ... Sie kennen den finalen Kopfsprung? Aber Sie sehen ja, er ist mir nicht wirklich gelungen!"

Ich nickte.

„Im Hospital haben sie mich wieder zusammengeflickt. Nun fliege ich nach Kenia und setze meine ganze Hoffnung auf die Begegnung mit einem kräftigen Löwen. Noch idealer wäre eine dieser Breitmaul-Nashorn-Mütter. Die sollen ja, wenn sie Neugeborene haben, extrem angriffsfreudig sein.

Ich könnte auch Cyankali nehmen oder mir die Kugel geben“, flüsterte er verschämt, als ich ihn entgeistert anstarrte, „aber wissen Sie ... ich mag es nun einmal ... fantasievoll. Ach, da sehe ich gerade, Sie haben eine Video-Kamera! Da möchte ich Sie doch herzlich bitten, mein Ableben zu dokumentieren. Würden Sie das für mich machen? Es wäre mir eine große, letzte Genugtuung.“

„Das passt gut, ich habe ohnehin für morgen mit einheimischen Freunden eine Foto-Safari durch den Nairobi-Nationalpark gebucht, da können Sie ja mitkommen", sagte ich. Es sollte ein Scherz sein!

„Wunderbar“, rief er, „wunderbar, wie das Schicksal so spielt! Da werde ich mich Ihnen doch gleich anschließen!"

Mir war der Mann inzwischen etwas unheimlich, aber ich fürchtete, nein ich ahnte schon: Er würde auch mit der Tiernummer nicht richtig zu Potte kommen.


Ich sollte Recht behalten, konnte jedoch am nächsten Nachmittag die atemberaubendsten Ausschnitte seiner selbstgewählten, fast lethalen Konfrontation mit einer wild gewordenen Büffelherde im Film festhalten. Mein Bekannter überlebte.

Von einem wunderbaren, menschenfressenden, sibirischen Tiger und einer bald bevorstehenden Reise nach Omsk sprach er, während er mich unter all dem Gewirr von Schläuchen tapfer anlächelte, als ich ihn am nächsten Tag auf der Intensivstation im Klinikum Nairobi besuchte.

Ende.

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Tag der Veröffentlichung: 02.02.2009

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