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Schiffbrüchig

Erzähl mir noch eine Geschichte. Er liegt neben mir mit bittenden Augen. Jan , ich blicke ihn an, andere Männer geben sich zufrieden, manche schlafen sogar hinterher ein, aber du? Ich bin halt anders, sagt er und zieht die Decke über uns. Also gut, insgeheim freudig.
Schiffbrüchig.
Geraldine, allein auf dem großen Schiff, ihre erste Kreuzfahrt. Sie ist weder hübsch, noch hässlich mit ihren zwanzig Jahren. Klein, etwas füllig, kurzes schwarzes Haar, schüchtern taucht sie unter den aufgemotzten Passagieren fast unter. Sie trinkt an der Bar einen Kaffe, neben ihr eine junge Frau, die ihr schon oft aufgefallen ist. Eine richtige Schönheit, rotblond, ein Körper wie ein Signal, der die Augen der Männer zu irrendem Leuchten bringt, lange Beine und ein Gesicht, wie aus einem Gemälde von Sandro Botticelli, so rein, wären da nicht ihre lasziven Bewegungen, ihr girrendes Lachen. Ihre herausfordernde Aufmachung, die alles betont und nichts verbirgt. Sie nippt einen Campari und betrachtet aufmerksam Geraldine, die beunruhigt zurück blickt. Hallo, allein hier? Ich bin Hebe. Geraldine, sagt leise Geraldine. Bald sind sie in einem Gespräch, wo Hebe hauptsächlich das Wort hat. Sie ist mit einem älteren Mann auf dem Schiff, der, wie sie sagt, ihr alle Freiheit lässt. So unterschiedlich sie sind, ist das genau die Anziehungskraft, denn beide sind überrascht, wie wohl sie sich fühlen. Hebe ignoriert die Männer, die sich behutsam oder aufdringlich zugesellen wollen, Geraldine wird kaum beachtet. Doch Hebe blickt ihr tief in die Augen und saugt sich fest. Nachts in ihrer kleinen Innenkabine denkt Geraldine noch lange über die Begegnung mit einem wohligen Gefühl nach. Ein Kribbeln ist in ihrem Körper, das sie nur aus anderen männlichen Begegnungen kennt. Ich beschreibe es Jan etwas näher, sein Atem lässt mich vorsichtig sein. Ein schneller Bruch in der Geschichte ist angebracht.
Langsam kommt Geraldine zu sich. Ihre Finger an der Schläfe tasten Blut, ihr Körper fühlt sich weh und geschunden an, die Kleidung klebt nass am Körper. Vor ihr sitzt Hebe im Strandsand, auch sie in einem erbärmlichen Zustand aber lächelnd. Sie sind beide auf einer Insel gelandet, als das Schiff, das als sicher galt, mit großer Schnelligkeit sank. Von den anderen Passagieren keine Spur.
Jan wird unruhig, deshalb forciere ich die Geschichte. Erzähle, wie einsam die Insel ohne andere Bewohner ist, rundherum nur weites Meer. Wie sich beide auf der Insel einrichten, mit der Nahrung und dem Feuer zurechtkommen und sich eine Hütte bauen. Langsam kommen sich beide Frauen näher, als Hebe Geraldines Hals küsst und diese mit scheuer Zärtlichkeit Hebes Brust berührt. Hebe erzählt Geraldine aus ihrem jungen Leben als Begleithostess, erzählt von dem Geld, von den Männern, von dem ersten Spaß und ihrer erotischen Macht und von dem Überdruss. Diesen Part schmücke ich für Jan etwas aus. Geraldine spricht über ihren Alltag im Büro, von gescheiterten kurzen Beziehungen. Beide werden in ihren Zärtlichkeiten immer erfinderischer. Erleben sich Eins in ihrer Lust. Sie vermissen keinen Mann, brauchen sich nicht um Verhütung kümmern und erleben ihr Zusammensein auf dieser Insel wie einen Traum im Paradies. Als eines Tages ein Schiff in ihrer Nähe zu sehen ist, wenden sie sich ab, sind beide mit ihrem Inselleben zufrieden. Ihre Nähe gibt beiden Kraft, ihre Körper sind erfüllt mit Liebe und Zärtlichkeit, ihre Sexualität erlebt immer neue Möglichkeiten, die beide glücklich macht. Hier denke ich mir für Jan einige Möglichkeiten aus, die auch mir vielleicht Freude machen würden. Er hört jetzt jedenfalls sehr aufmerksam zu. Ich komme so richtig in Form. So kann ich beiläugig Wünsche äußern.
Hebe ist krank, sie erbricht schon Tage und ist sehr geschwächt. Geraldine wäscht sie, legt kühles Wasser auf, doch sie fiebert und glüht. Und dann. Ganz schnell geht es. Es ist vorbei, Hebe ist tot. Selbst jetzt sieht sie noch wunderschön aus, als Geraldine sie ein letztes mal küsst. Sacht gleiten ihre Finger durch Hebes langes Haar. Als sie die Geliebte und sich selbst entkleidet, weiß sie, was sie tun wird. Tatsächlich, Jan neben mir, ist eingeschlafen. Ruhig geht sein Atem. Ich betrachte ihn mit Sanftheit wie einen jungen Stier. Doch Geraldine und Hebe sind noch in meinem Kopf.
Geraldine zieht die tote Hebe an den Strand und auf das Meer hinaus., blickt nicht zurück. Jetzt im Wasser ist Hebe leicht. Geraldine wickelt sich ihr langes rotblondes Haar um die Hüften, schwimmt mit ihr immer weiter, die Augen in die Ferne gerichtet. Ihre nackten Körper werden von den Wellen gewiegt, die sie langsam hinunter ziehen. Bald ist das Meer so weit , so blau, so wild, wie eh und je. Ich vermisse etwas, aber ich weiß nicht was. Sacht berühren meine Fingerkuppen Jans Mund, der im Schlaf an ihnen leckt.
Auf Biancas schmaler Schulter war ein Leberfleck, ein kleines Herz. In Gedanken berühre ich das Herz während ein kleines Papierschiff hinaus in die Fluten gleitet, Wind und Wellen ausgesetzt, Schiffbruch und doch ein Schiff mit ewiger Wiederkehr. Bianca.

Regine Wendt
2012-02-01

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.02.2012

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