Die Kiwi-Armbanduhr
Carla und Ulrike sitzen im Cafe, hier , wo sie sich immer treffen Viola gegenüber, die schaut begeistert auf ihre Armbanduhr, das Ziffernblatt ist eine Kiwi. Die grüne Scheibe der Kiwi-Armbanduhr passt
bestens zu ihren grünen Schlangenjeans, die fest und glitzernd ihren etwas drallen Körper umspannen.
Jetzt will ich euch mal erzählen, wie ich zu meiner Kiwi-Armbanduhr kam, sprudelt Viola hervor. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste, aber auch noch nicht richtig alt. Flippige Sachen ziehen mich magisch an, wie meine Schlangenjeans oder andere ausgefallen Hosen.
Ich schlendere also die Bergmannstraße , meine Lieblingskiezstraße in Kreuzberg entlang., da stockt förmlich mein Schritt. Bei einem Straßentrödler erspähe ich sie, die Kiwiuhr. Verrückte Armbanduhren sind meine zweite Besessenheit. Erstens Hosen dann Uhren. Der Händler, ein junger Türke, sitzt gelangweilt hinter seinen Auslagen. Auf dem Tisch vor ihm sind die sonderbarsten Dinge ausgebreitet. Pelzmützen, Schmuck. Bücher und Kitsch in jeder denkbaren Art. Auf einer Stange hängen diverse Pelze. Jetzt im Sommer. Gierig bleibt mein Blick an der Kiwiuhr haften. Wie Viel? frage ich . Taxierender Blick – 30 Euro. Nein danke mein Lieber.
Ich setze mich ins nächste Cafe, in meinem Kopf die Kiwiuhr, in meiner Fantasie an meinem Handgelenk. Noch warten, nicht so schnell. Na, der Latte und die Aussicht auf die belebte Straße mit all den flippigen jungen Leuten hat auch was für sich. Doch mein Jagdinstinkt lässt mir keine Ruhe.
Nun also gemächlich wieder am Trödelstand vorbei schlendern. Sie ist noch da! Na prima.
Ich wühle in einigen Billigschmuckstücken, greife beiläufig die Kiwiuhr und sage- Für 10 Euro nehme ich sie. OK - sagt ein anderer Mann, der jetzt den Stand beaufsichtigt. Seine Augen auf meiner Oberweite. Gelangweilt nimmt er das Geld und versinkt weiter mit Kennerblick im Begutachten der jungen Weiblichkeit.
Strahlend sitze ich wieder im Cafe. Nun ist sie mein, die Kiwiuhr. Das Ziffernblatt ist die Scheibe einer aufgeschnittenen Kiwi, silberne Zeiger, etwas verschnörkelt, die Ziffern bestehen nur aus jeweils einer Strassperle. Lege ich meine Hand über das Ziffernblatt leuchtet es. Zugegeben etwas groß aber zu meinen grünen Fingernägeln absolut perfekt. Ich binde das dicke braune Armband um mein dünnes Handgelenk. Als ich sie aufziehe, höre ich ihr leises Ticken, das mich plötzlich an die Vergänglichkeit der Zeit erinnert.
Andere Bilder schleichen sich ein. Vom Ernten in einem südlichen Land. Werden und Vergehen um wieder zu werden. Den Duft der Frucht riechend träume ich mich in sie hinein, während meine Fingerspitzen sensibel die Uhr berühren. Meine Zunge schmeckt die säuerliche Süße der Frucht , mein Gaumen spürt ihre feuchte Glätte, das feste Innere. Genüsslich bewege ich noch eine Kiwischeibe im Mund, um dann beherzt meine Zähne in sie zu schlagen und ihren Saft zu schlürfen, während einige Tropfen aus meinem Mund rinnen. Als mich sinnliche Gedanken einholen, kehre ich, durch die Straßenmusikanten aus der Ruhe gebracht, mental in das Cafe zurück.
Viola schaut verzückt auf ihre Kiwiuhr, Carla und Ulrike haben still zugehört, was bei ihnen selten ist. Jetzt schwatzen alle drei zusammen. Es geht doch nichts über ein Gespräch unter Frauen. Das Cafe ist nun gerammelt voll. Zwölf Uhr mittags, hurra, die Stadt erwacht. Warum ist Carla abgelenkt? Ach so, am Nebentisch haben drei Südamerikaner Platz genommen. Wahrscheinlich aus Peru. Schwarze Haare, schwarze Augen und sehr lebhaft. Carla hat Blickkontakt aufgenommen und ein schmeichelndes Lächeln aufgesetzt. Funktioniert anscheinend. Das Frauengespräch ist irgendwie gestört. Viola betrachtet ihre Kiwiuhr, dreht verzückt ihr Handgelenk, ganz in die Betrachtung versunken, als einer der Tischnachbarn sich an sie wendet. Super Uhr – sagt er, während seine dunklen Augen bewundernd auf ihrer Oberweite ruhen. Seine Haut ist fast golden. Ja, denkt Viola, wirklich eine super Uhr. Spanisch? Auf Spanisch fällt ihr nur ein: Viva la vida.
Tag der Veröffentlichung: 01.08.2011
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