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Seltsame Begegnung

Felder und Wald, ich schaue durch das Fenster des Regionalzuges, der mich nach der kleinen Stadt Betzow bringen soll. Historischer Stadtkern mit guterhaltender Stadtmauer, das hatte mich gereizt. Mein Minirock rutscht ständig hoch und die roten Stiefel zu den pinkfarbenen Strümpfen gefallen mir plötzlich auch nicht mehr. Aber, was soll es, ich bin zum erstenmal hier und es kennt mich niemand. Betzow, ich bin angelangt.

Ich steuere ein Cafe „Bei Rosi“ an und genehmige mir ein Törtchen nebst heißer Schokolade. Unwohl bemerke ich den stechenden Blick eines Mannes. Abtastend mustert er mich frech, sodass ich eilig das Cafe verlasse. Habe ich ihn nicht schon am Bahnhof bei der Ankunft bemerkt, ein sehr dicker Mann, Mittelalter und ganz in Schwarz? Undeutlich erinnere ich mich. Ich glaube, er saß im Zug hinter mir.

Mein Stadtrundgang durch Betzow führt mich durch kleine Gassen mit winkligen Fachwerkhäusern, einer auffällig großen Kirche, die leider geschlossen ist. Der historische Stadtkern ist nicht sehr ergiebig. Hier muss noch viel restauriert werden. Mich interessiert hauptsächlich die Stadtmauer, die noch gut erhalten ist, wenn auch ab und zu abgerissen. Ich liebe diese Feldsteine und betaste mit Genuss die Mauer. Wer ist hier schon alles vorbei gegangen. Heute nieselt es geringfügig. Ohne die grauen Wolken wäre es hier schöner. Dafür mündet jetzt mein Weg in eine große ungepflegte Grünanlage, nicht gerade einladend.

Langsam schlendere ich durch den verwilderten Park. Ist es die Atmosphäre hier? Ich fühle mich beobachtet. Zweige knacken, doch es ist niemand zu sehen. Ich bin allein im dichten Grün der efeuumschlungenen alten Bäume. Die Sicht ist teilweise undurchdringlich. Merkwürdigerweise kein Vogelgesang, nur der Eichelhäher macht seinem Ruf als Wächter des Waldes alle Ehre und schmettert sein krächzendes Lied. Fröstelnd im Nieselregen, der sich zu leichtem Nebel verdichtet, setze ich meine Erkundung fort.

Da ist auch wieder die Stadtmauer, diesmal mit einem alten, etwas dunklem Gang, wie ein Tunnel gebaut. Herrlich die dicken, klobigen Pflastersteine. Wer mag ihn schon alles gegangen sein. Erfreut betrete ich den schummrigen Gang, es riecht modrig. Die Wände sind mit Graffiti bemalt, alter Putz mit Flechten bröckelt ab. Darunter sind dicke, klobige Feldsteine zu sehen. Ich liebe diese Überreste aus längst vergangener Zeit. Schon sehe ich am Ende das helle Licht, da höre ich Schritte hinter mir. Vorsichtig drehe ich mich um.

Als hätte ich es geahnt, folgt mir der inzwischen unheimliche dicke Mann aus dem Cafe, seine wuchtige schwarze Gestalt auf einen Stock gestützt. Mein Schritt wird automatisch schneller, nicht direkt Angst aber ein Unbehagen im Bauch macht sich bemerkbar. Schon bin ich wieder im Hellen, auf der einen Seite die Mauer auf der anderen dichtes Grün. Richtig wohl fühle ich mich so allein nicht.

Schon ist er hinter mir, überholt mich, indem er mich rau zur Seite drückt. Er dreht sich um und bleibt abrupt stehen. Sein massiger Körper versperrt mir den Weg. Eng bei einander, gleich groß, starrt er mich an. Auge in Auge saugt sich sein Blick in meinen. Ich habe ein Gefühl wie das Kaninchen bei der Schlange, fühle mich hypnotisiert und willenlos, aber seltsamer weise ruhig, der Situation überlassen. Eine Macht geht von diesem Blick aus, der mich in seine Welt hineinzieht. Es ist wie eine lange Reise in ein unbekanntes trauriges Land. Zeit spielt hier keine Rolle, sie ist nicht messbar.

Einsamkeit und Gier, die zupacken will, kommen mir entgegen, unverhüllte aggressive Sexualität im bedrohendem kalten, Ekel erregendem Blick. Ich bin aufgelöst in diesem Bann. Fühle nichts und schaue ohne Angst oder sonstigen Gefühle mit einer unendlichen Ruhe in diese sprechenden Augen. Eine Klage ohne Worte, Sehen wird zum Hören und Verstehen, außerhalb der Zeit.

Plötzlich senkt er die Lider, stößt mich schwer atmend zur Seite und geht in den Gang zurück. Seine Schritte hallen schlurfend durch den Tunnel. Ich drehe mich nicht um, wie viel Zeit vergangen ist, weiß ich nicht. Zügig setze ich meinen Weg an der Stadtmauer fort. Allmählich lichtet sich der Park und die ersten Häuser werden sichtbar.

Die tiefe Ruhe spüre ich noch immer. Ich gebe ihr den Namen Selbstvertrauen.

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Tag der Veröffentlichung: 21.02.2011

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