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John in einer fremden Stadt

John , ich habe mich in ihn verliebt, meine fiktive Figur. Er nimmt langsam Gestalt an. Mitte vierzig. Wie er so richtig aussieht, weiß ich noch nicht. Er gefällt mir einfach, weil er so zerrissen ist. Immer noch auf der Suche nach seinem Weg. Diesmal ist er ungebunden. Eine lose Verbindung ohne Verpflichtungen beiderseits. Sex ist das Fundament, Gefühl Nebensache. Es lebt sich so.

Angekommen in einem großen Hotel, eine Stadt, die ihn fremd zurücklässt. Kalte Straßen, menschenleer. Ein Zimmer, ein Bett, ein Schrank, Minitheke und Sessel samt Tisch. Gelangweilt schaut er in den Fernseher, denkt an den Tag zurück. Wird ihm die Umschulung etwas bringen? Er hat sich eingesetzt, hat alles gegeben, zage Hoffnung macht sich breit. Er braucht diesen neuen Job.

John rafft sich auf. Ein Absacker an der Bar wird ihm gut tun. Ein Bier, bestellt er beim Barmann, und lehnt sich an die Theke. Gelangweilt mustert er den Raum. Nach dem vierten Bier ist die Beklemmung gewichen und er nimmt die Menschen um sich her mehr wahr. Mehrere Männer und eine Gruppe von Frauen. Die Weiber lachen ungezwungen. Das gedämpfte Licht bewirkt eine lauschige Atmosphäre. Er mustert die Frauen, betastet ihre Körper, fängt funkelnde Blicke ein. John fühlt sich innerlich müde und ausgelaugt.

Plötzlich ein Lachen. Was ist das? Alle seine Sinne richten sich auf. Er kennt dieses Lachen, ein vergessener Schmerz. Erinnerung, verdrängt, dringt an die Oberfläche und fordert Vehemenz. John, dreht sich um und Blicke begegnen sich. Für Sekunden steht die Zeit still. Fast endlos. Sie ist es. Sie, die all seine Sehnsüchte gefangen nahm, nachdem sie sich trennten. Die Frau, die er niemals vergaß, Anna. Anna, die Unvergleichliche. Anna, die Dunkle, mit dem schmalen Körper, den kleinen Brüsten, leuchtenden Augen und Kindermund. Mit der er reden und lachen konnte, wenn es Not tat auch weinen. Anna, die ihn zur Raserei brachte, wenn er oder sie ihn nahm.

Langsam, wie im Zeitlupentempo gehen sie aufeinander zu. Die Blicke wie hypnotisch ineinander verkeilt. Außerhalb der Gegenwart, sprechen sie Belangloses, trinken an der Bar und tanzen zu der leisen Barmusik. Die Nähe beider Körper sagt mehr als Tausend Worte. Anna in seinen Armen macht ihn fassungslos und ihr Blick antwortet auf seine Frage, die nur die eine ist.

John und Anna, damals war es. Heute ist es wieder, wie damals. Verrückt, was der Zufall so will , oder ist es Schicksal. Sie fallen in seinem Zimmer voll Verlangen über sich her. Tabulos, wie ehemals, zwei Körper werden zu einem. Nur dieser Moment zählt, nur das Jetzt. Als sie endlich erschöpft und befriedigt voneinander lassen, liegen sie still. Die Stunde der Wahrheit beginnt.

John will Anna von seiner Sehnsucht nach ihr erzählen. All die Zeit, wo sie seine Vorstellungen von Liebe beherbergte. In ihm ist ein leises Weinen, was er noch nie erlebte. Erschreckt und verunsichert bemerkt er sein Gefühl, das er nie für möglich hielt.

Anna, liegt in seinen Arm gekuschelt und schweigt. Was ist mit dir? Fragt er.


Anna, seufzt. Sie hat John auch niemals vergessen, doch die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Schnell zieht sie sich an. Entgeistert schaut John ihr zu und weiß nicht, wie ihm geschieht. Angst und Trauer lähmen ihn, er will ihr noch soviel sagen, soviel fragen, will sie festhalten. Möglichst für immer.

Anna, seine Anna, steht da. Die Arme hängen am Körper hinunter, den Kopf gesenkt, spricht sie aus, was sie trennt. Zuhause wartet ihr Mann. Sie ist fast glücklich mit ihm, wenn er auch schon lange krank ist. Er braucht sie und sie braucht ihn. Entschlossen geht sie aus dem Zimmer.

John weiß, es ist für immer vorbei. Eine vernarbte Wunde wurde aufgerissen.
Darf ein Mann weinen?

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Tag der Veröffentlichung: 11.06.2010

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