Der englische Liebhaber
Meine Freundin Martina kommt zu Besuch.
Sie ist eine attraktive sehr elegante Frau. Seit ihr Mann vor vielen Jahren verstorben ist und ihr eine hohe Pension hinterlassen hat, er war ja fast zwanzig Jahre älter, hat sie verschiedene Abschnitts- Lebenspartnerschaften hinter sich. Zur Zeit ist Hans-Jürgen derjenige welcher. Ein biederer, ruhiger und zuverlässiger Mann. Eben ein Mann für alle Fälle, bis auf den einen wahrscheinlich.
Wir sitzen in meinem Wohnzimmer, trinken Wein und essen Käse. Wir tauschen uns auf gewohnt vertrauliche Weise aus. Lange Jahre kennen wir uns. Schon in der Schule waren wir Freundinnen. Wie lange ist das jetzt her. Mein Gott, fast schon ein halbes Jahrhundert. Da ist natürlich viel Vertrauen gewachsen. Jede weiß über die andere bescheid. Über Glück und Unglück im Leben. Über Geheimnisse, die das Licht scheuen. Über Kinder, Ehemänner, Arbeit, den Tod der Eltern und was das Leben noch so bringt Gesundheit und Krankheit nicht ausgenommen.
Martina aufrecht auf meinem Sofa mit den kuscheligen Kissen sitzend, sinniert so über dies und das in ihrem Leben vor sich hin. Ich sehe sie so an, wirklich eine elegante Frau. Sie hat, wie immer schon, ihre Ketten und Ringe abgenommen und neben den Rotwein gelegt. Ein Brillant blitzt magisch auf.
Sie ist immer noch sehr schön. Plötzlich sagt sie, warst du in deinem Leben ganz zufrieden.? Sie erklärt mir ausführlich, dass sie niemals bekommen hat, was sie wollte. Nie den Traummann, der ihr einmal begegnet ist. Sie sagt, niemals war es das, was ich wollte.
Du hast immer gelebt, ich hatte immer nur angst. Ich staune, wie sie mich einschätzt. Du hast dir immer das genommen, was du brauchst. Na ja, einfach war es nicht für mich, alles unter einen Hut zu bringen und niemand dabei zu verletzen.
Ich sitze in meinem Sessel, dass heißt ich liege mehr. Bequemes T-Shirt in gelb, dazu meine grüne Schlangenmusterhose. Ich bin verrückt nach flippigen Hosen, die ich eigentlich nur auf dem Flohmarkt oder im second hand shop entdecke. Barfuss mit grünen Fußnägeln. Nicht grade ladylike.
Und dann kommt noch einmal die Frage, hast du das Gefühl, du hättest alles im Großen und Ganzen erreicht?
Ich überlege. Ein Geheimnis, ein offener Wunsch bleibt und wird mich wohl auf ewig begleiten. Einen Moment lang Stille, dann ist es raus.
Es ist der englische Liebhaber.
Von dem hast du mir ja noch nie erzählt. Martina schaut mich voll Erstaunen an. Es wird doch nicht Prinz Charles sein? Sie lacht.
Du wirst staunen, auch er hat das englische drauf. Er soll zu Camilla gesagt haben : Ich möchte der Tampon in deiner Scheide sein. Finde ich genial.
Martina schaut pikiert.
Und nun schildere ich ihr, wie mich seit Jahren eine Vision verfolgt.
Das erste Mal im Urlaub auf Lanzarote, sah ich ihn und war hin und weg.
Ich war Ende dreißig. Da fazinierte mich ein Mann, dem ich nur kurz begegnete. Ein Engländer.
Dieser Typ hatte etwas vulgäres, unkonventionelles an sich. War weder schön noch hässlich. Etwas wie ein abenteuerlicher Seefahrer, der die Gefahren des Meeres kennt. Vor keiner Herausforderung zurückschreckt, weil er als Seemann damit umzugehen weiß. Jemand, der die Strudel und Bugwellen kennt und noch tiefe Lust dabei empfindet, ja sie geradezu sucht und herausfordert. Damals etwa so wie Rod Stewart in jung, wenn er –sweet, sweet surrender- singt.
Du kennst das Lied vielleicht nicht. Es ist nicht eins seiner bekanntesten. Mir geht dabei jedenfalls ein Schauer sonst wohin.Ja, der englische Liebhaber.
Ich träumte mich des Nachts in seine Arme, aber meine Phantasie reichte nicht aus für die eventuelle Wirklichkeit
Dann Jahre später auf Rhodos dasselbe. Jetzt war ich Mitte vierzig. Der Wunsch noch immer aktuell. Sah ich wieder einen Mann, der dem ersehnten traumgebundenen englischem Liebhaber glich, entflammte er meine Fantasie. Ich war jetzt schon seismographisch im Auffinden geeicht. Mein Innerstes erkannte ihn sofort. Mit Mitte vierzig hatte ich auch viel konkretere Vorstellungen vom Zusammensein mit ihm entwickelt. Ich wusste auf jeden Fall, dass
es wie eine starke Windboe vorüber gehen würde. Der Abschied war schon voraussagbar. Wie eine verlorene Melodie.
Dann mit Mitte fünfzig tauchte er nicht mehr so oft auf. Treu begleitete er mich auf Reisen rund ums Mittelmeer und in andere Länder. Wenn ich ihn sah, erkannte ich ihn sofort. Er wurde mit mir älter und reifer. Aber den englischen Faktor behielt er bei. Natürlich.
Ende fünfzig nahm er fast eine künstlerische Form an . Ich liebte ihn auf meine Weise. Er erhielt Nuancen, die sich von Gelegenheit zu Gelegenheit wandelten, wurde raffinierter und spezifischer. Das vulgäre, unkonventionelle, das abenteuerliche des Seefahrers aber blieb.
Doch dann verschwand er auf ewige Zeiten radikal aus meinem Leben. Du kannst dir denken wann.
Ja, sagt Martina ernst, ich weiß. Nach dem Tod deines Mannes. Ich nicke . Sie weiß bescheid, sie kennt mich ja schon lange. Als mein Mann vor vier Jahren starb, nach langer, schwerer Krankheit, wie es immer so geschrieben steht, hat mich sein Krebstod in die Wüste geschickt. Heute denke ich jeden Tag an ihn, habe aber damit meinen inneren Frieden gefunden.
Und nun ist er plötzlich da, der offen gebliebene Wunsch: Der englische Liebhaber.
Wusste dein Mann von deinen Träumen, fragt Martina. Wo denkst du hin, sage ich, es war mein Geheimnis. Das macht einen Menschen doch interessant für den anderen. Alles weis man nie.
Wir sprechen beide noch eine Weile über dies und das.
Der englische Liebhaber, zum Schluss kaum ein Wunsch, fast nur noch ein Traum.
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Tag der Veröffentlichung: 09.01.2010
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