Das Land – Geografie und Geschichte
Zwischen den Flüssen Oranje im Süden und Kunene im Norden breitet sich das endlose Land aus, die wir heute als Namibia kennen. Über 90% des Landes sind Wüste oder Halbwüste aus Dornen, Stein, Geröll und Sand. Grüne Streifen im Gelb, wo sich Bäume und Gräser aus dem Boden winden, zeugen von unterirdischen Wasserläufen. Die Namib die größte Wüste des Landes, gab dem Land 1990 seinen Namen. Sie beginnt an der südlichen Grenze Namibias zu Südafrika und erstreckt sich auf einer Länge von 2000km nach Norden bis ins Landesinnere Angolas. Ihre östliche Ausbreitung von der Atlantikküste aus beträgt bis zu 200km Breite ins Landesinnere. Im Südosten teilt sich Namibia mit dem Wüstenstaat Botswana und dem nach Süden immer fruchtbareren und milderen Südafrika die Wüste Kalahari.
Namibia war nicht immer trocken und lebensfeindlich. Vor etwa 2000 Jahren wandelten hier riesige Herden von Kleinantilopen, Elefanten, Gnus und Giraffen. Das Land war fruchtbar und von Urwald bewachsen. Das hoch entwickelte Händler- und Agrarvolk der San herrschte über die weiten Ebenen. Die Herden von damals gibt es nicht mehr. Dennoch kann man immer noch vereinzelte Gruppen von Giraffen unter schattigen Bäumen in einem anscheinend ausgetrockneten Flussbett stehen sehen. Kleine Gruppen von Antilopen stehen im Flimmern der Mittagssonne. Mit viel Glück sieht man Elefanten – vielleicht einige der wenigen, die noch außerhalb der Nationalparks existieren. Von der fruchtbaren Weite des Landes ist heute nur die Etosha-Pfanne geblieben – ein grüner Fleck im ewigen Sand. Auf dem Boden eines ehemaligen Sees erstreckt sich die salzige Lehmpfanne auf über 6100km². In regenreichen Jahren füllt sich die Pfanne mit einem flachen Wasserspiegel, der tausende von Vögeln anlockt. Im heutigen Etosha-Nationalpark, der über 22.000km² umfasst, kann man derart riesige Herden von Kleinantilopen, Zebras und Gnus an den Wasserlöchern beobachten, wie in keinem anderen Nationalpark des Kontinents. Er vermittelt einen Eindruck davon, wie es vor langer Zeit auch in den anderen Teilen des Landes ausgesehen haben mag.
Auf den Landkarten des Wüstenstaates sind Flüsse eingezeichnet, die seit Jahren ausgetrocknet sind oder unterirdisch fließen. Hier ist es wichtig, jedes mögliche Wasservorkommen zu kennen. Die Sonne brennt erbarmungslos in der weiten Leere der Wüste. Im Norden breiten sich die unendlichen Weiten der Namib aus, die dem Land 1990 seinen Namen gegeben hat. Zwischen dem Ersten Weltkrieg und seiner Unabhängigkeit stand Namibia unter der burischen Bezeichnung Southwest Africa oder Suidwes Afrika (Südwest-Afrika) unter südafrikanischer Fremdherrschaft. Die parallele Bezeichnung des Landes in Englisch und Afrikaans geht auf die herrschenden weißen Machthaber Südafrikas zurück, deren Vorfahren aus Großbritannien und im Fall der Buren aus den Niederlanden eingewandert sind. Der Name weist starke Parallelen zur Landesbezeichnung unter deutscher Kolonialherrschaft hin: Deutsch-Südwest-Afrika.
Namibia war eine der fünf Kolonien in Afrika, die das Deutsche Reich zwischen 1885 und dem Ersten Weltkrieg besaß. Die deutsche Kolonialgeschichte war im europäischen Kontext gesehen kurz und glanzlos. Dennoch hat sie das Land bis heute deutlich geprägt. Die deutschen Kolonialherren gingen als brutale Herrscher in die Kolonialgeschichte ein, als sie den Hereroaufstand 1907 niederschlugen und das ganze Volk, das sich am Waterberg versammelt hatte, in die Wüste trieb. Nur wenige überlebten diese Zeit.
Seine Menschen
Gerade einmal 1,9 Millionen Menschen verteilen sich auf eine Fläche fast drei Mal so groß wie Deutschland. Zumeist lebt die Bevölkerung in der Mitte des Landes und in der Hauptstadt Windhuk, wo allein ein Siebtel der Bürger wohnt. Der Süden wie der Norden sind dünn besiedelt, insbesondere der Norden des Landes ist unzugänglich. Das Land hat eine unruhige Geschichte hinter sich. Es stand nach Jahrhunderten der Eigenverwaltung der ansässigen Bevölkerungsgruppen 30 Jahre bis zum Ersten Weltkrieg unter deutscher Kolonialherrschaft, erst 1990 wurde es dann schließlich von der Fremdbestimmung durch Südafrika unabhängig.
Heute leben hauptsächlich Volksangehörige der Herero, Nama, Damara, der Ovambo, Himba, San und eine Anzahl weiterer kleinerer Volksgruppen im Land. Sie blicken auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurück, die von Handel wie Konflikten gekennzeichnet war. Zwischen den Herero und den nah verwandten Nama und Damara brachen immer wieder kriegerische Konflikte aus. Die San dominierten zu Beginn des zweiten Jahrtausend den Keramikhandel und betätigten sich im Trans-Sahara-Handel mit Salz, Gold, Textilien und anderen Rohstoffen wie Produkten.
Neben ihnen hat die Kolonialgeschichte etwa 20.000 Deutsche zurückgelassen oder hergetrieben und etwa 50.000 andere Europäer. Die verbliebenen Namibiadeutschen haben heute noch eine lebendige Kultur. Deutsch ist noch immer ihre erste Muttersprache und neben Englisch und Afrikaans die dritte Landessprache. Sie haben eine eigene Kultur, eigene Zeitungen, einen eigenen Radiosender.
Unsere Reise
Wir sind junge Leute aus Österreich und Deutschland, die gemeinsam in Südafrika studiert haben. Von Südafrika aus fahren wir mit einem öffentlichen Überlandbus nach Norden. Je weiter nach Norden wir kommen, desto heißer wird es. Auf unserem letzten Stop in Südafrika halten wir an einer Tankstelle, auf die die Sonne so heiß brennt, wie wir es bisher in Afrika noch nicht gespürt haben. Wir fahren bis zum späten Abend. Als wir schließlich in Ketmanshoop in Namibia ankommen, empfängt uns ein riesiger Sternenhimmel. Es ist Dezember, einer der heißesten Monate des Jahres. Wir wollen in die Einöde, wo es kaum noch Menschen gibt und nichts als Sand und Hitze. Weihnachten wollen wir wieder in bewohnten Gebieten ankommen. Wir haben uns im Internet einen Wagen mit Allradantrieb in Windhuk gemietet, den uns ein Mitarbeiter der Autovermietung nach unserem Wunsch in Ketmanshoop übergibt. Wir schlafen auf dem Dach des Wagens, wo wir unsere Zelte mit wenigen Handgriffen aufschlagen können. Über Campingkochern kochen wir in den nächsten Wochen unseren unerschöpflichen Vorrat an Fertignudeln und -kartoffelbrei.
Unser Weg führt uns von Keetmanshoop im Süden immer weiter nach Norden in die Wildnis bis an die Grenze zu Angola: zuerst über die Geisterstadt Kolmanskoop (auf deutsch Kolmanskuppe), die deutsche Enklave Lüderitz, die Dünen von Sossusvlei, die Hafenstadt Walvis Bay und den milden Badeort Swakopmund in die Hauptstadt Windhuk. Die Hauptstadt liegt geografisch im Zentrum des Landes.
Südlich wie innerhab der Hauptstadt sind die europäischen Einflüsse der Kolonialzeit präsent und prägent. Nördlich von Windhuk nehmen die älteren, afrikanischen Einflüsse stärker zu. Der Süden des Landes hat eine vergleichsweise ausgeprägte Infrastruktur. Es gibt nur wenige, dafür aber asphaltierte, Straßen in die vereinzelten Städte. Nördlich der Hauptstadt nimmt die Infrastruktur zusehens ab, die Besiedelung wird immer dünner. Hier finden wir immer mehr Regionen, die durch keine Straße mehr an die Außenwelt angebunden sind. Damit trennt Windhuk in der Landesmitte deutlich zwei Welten voneinander, die sowohl in der namibianischen Gesellschaft, als auch in der Geografie des Landes existieren. Afrikanische wie europäische, vornehmlich deutsche, Kulturen leben hier räumlich wie ideologisch nebeneinander, ohne sich bisher spürbar verwoben zu haben.
Doch Windhuk ist nicht das Ende unserer Reise. Die Hauptstadt ist nur eine Etappe auf dem weiteren Weg nach Norden – dahin, wo die Wüste übermächtig wird. Hinter Windhuk beginnt allmählich eine andere Welt. Städte sind nur noch staubige Städtchen, Dörfer liegen irgendwo versteckt abseits der Straßen.
Vereinzelte riesige Farmen sprenkeln das Land, in dem sich rote weite Bergketten zu unserer beider Seite erheben. Dazwischen scheint über dutzende von Kilometern kein menschliches Leben zu existieren. Das Land gehört den Oryx-Antilopen und den Schakalen.Wir passieren auf unserem Weg nach Norden das Hererozentrum Okahandja, außerdem mit Outjo die südlichste Wohnregion der Himba- Bevölkerung Namibias. Schließlich passieren wir Opuwo. Das einzige winzige Städchten des Kaokoveld hat gerade einmal 5.000 Einwohner. Die Region im Nordwesten des Landes ist für Ackerbau zu trocken. Die Bevölkerung lebt von der Viehzucht oder als Jäger und Sammler. Aus geteerten Straßen werden Sandpisten, werden Sandwege, werden Geröll-, Stein- und Schotterfelder, auf denen wir uns im Allradantrieb voranquälen. Das Kaokoveld ist zumeist nur für Wagen mit Allradantrieb und GPS- Gerät zugänglich.
Wir stoßen dann bis an die Grenze von Angola vor. Dort, mitten in der Wüste, zieht sich der oft nur wenige Meter breite Kunene als Grenzfluss zwischen den beiden Staaten entlang. Er führt ein grünes Laubband mit sich, das sich durch die Wüste schlängelt. In ihm leben Krokodile, die das Leben an seinen Ufern bedrohlich machen. Unser nördlichstes Ziel sind die Epupa- Wasserfälle am Kunene. Von ihnen rumpelt unser Wagen über den Van-Zyl-Pass langsam wieder in Richtung Süden. Es geht nicht anders, als sich langsam voranzubewegen in einer Landschaft, die nicht für Autos gemacht wurde und in der wir uns tagelang im Schritttempo fortbewegen. Wir sitzen den ganzen Tag am Steuer und lassen nichts zurück, als meterhohe Sand- und Staubwolken, die sich unter unseren Reifen aufwirbeln. Es ist still in der Weite der Namib. Die Landschaft zieht an uns vorbei und wechselt ihr Bild jeden Tag für uns. Zum größten Teil breitet sich über Namibia eine nahezu unendliche Dornenwüste aus. Wir durchqueren rote Berglandschaften und Sandwehen, kleine Oasen, da wo unterirdische Wasserquellen lagern. Am Straßenrand erheben sich schwarze Gerällfelder und endlose rote, gelbe und braune Pisten vor unserer Windschutzscheibe. Der Südsommer ist gekennzeichnet durch gelb ausgetrocknetes Gras und noch grüne Büsche und kleine Bäume, die sich vereinzelt über den Gräsern erheben. Ihre Wurzeln reichen tiefer in Wasserschichten, die den Gräsern nicht mehr zugänglich sind.
Der Südwesten
Auf dem ersten Teil unserer Reise erleben wir einmalige Naturschauspiele, erkunden vom Diamantenrausch kündende Geisterstädte und atmen im milden Klima der Atlantikküste durch.
Einmalige Naturschauspiele
Gleich im Süden des Landes liegt der Fish River (im Deutschen noch immer oft als Fischfluss bezeichnet). Wir müssen auf den Besuch des Fish River Canyon verzichten, da er außerhalb unserer Reiseroute liegt. Er ist aber sicherlich als größter Cayon ganz Afrikas einen längeren Besuch wert. Wir überqueren das ausgetrocknete Flussbett des Fish River weiter im Norden, wo es nur wenige Meter breit, steinig und flach ist. Wir haben das letzte Mal Regen auf dieser Reise. Er weicht den sandigen Boden auf. Die Reifen unseres Wagens bleiben im Flussbett stecken. Als wir ihn mit Hilfe von ein paar Jungen, die wie aus dem Nichts auf einmal vor uns stehen, wieder sicher auf festem Boden gebracht haben, sind wir völlig durchnässt vom Regen und braun von Schlamm. Das war nicht unbedingt das, was wir uns unter einer Reise in die Wüste vorgestellt hatten.
Unser erstes Naturschauspiel ist der Köcherbaumwald nördlich von Keetmanshoop. Der Köcherbaum wächst ausschließlich in Namibia und nördlichen Regionen Südafrikas. Meist steht er eher vereinzelt, so dass der Köcherbaumwald ein besonderes Bild darstellt. Sein Erscheinungsbild ist außergewöhnlich. Sein sandfarbener Stamm wirkt wie ein schuppiger, widerspenstiger Repilienrücken, über dem sich ein Pinsel kräftiger Äste und stacheliger Blätter wölbt. Die wie von der Sonne weiß und schwarz verbrannten Äste winden sich in sanft geschwungenen Wellen in den Himmel. Sie münden in charakteristischen Laubblättern, die sich als Rosetten in einem Blaugrünton verlieren. Sie verraten die Zgehörigkeit des Köcherbaums zu den Aloegewächsen.
Nur kurz danach erstreckt sich zwischen den Köcherbäumen der Giants' Playground, der Spielplatz der Riesen. Wir wandern durch ein großes Feld voller riesiger rotbrauner Felsblöcke. Sie sind glattgeschliffen, zusammengewürfelt, aufgetürmt. Fast wirken sie so, als hätten hier Riesen gewohnt, die die Steine fein säuberlich aufgeschichtet und damit eine ganz eigene Landschaft kreirt hätten. Natürlich geht der Spielplatz der Riesen aber nicht auf die Konstruktion durch Fabelwesen zurück, sondern ist ein durch Verwitterung enstandenes Phänomen der Namibwüste.
Am Ende unseres ersten Tages in der Wüste fahren wir dem Sonnenuntergang entgegen. Wir fahren auch später meist bis zum Abend, bis sich die Sonne färbt und schließlich rot hinter steinigen Bergen untergeht. Wir suchen uns dann oft irgendwo einen Platz am Straßenrand und beobachten, wie die letzten Lichtstrahlen ihre langen Schatten über die rote Erde legen. Am ersten Abend, als wir über unserem Campingkocher mit Fertignudeln hocken, baut ein Mountain Wheatear, ein kleiner Singvogel Südafrikas, sein Nest in unserem Ersatzreifen am Auto. Er kommt nur hier im südlichen Afrika vor und ist in fast ganz Südafrika und Lesotho sowie in großen Teilen Namibias sehr verbreitet. Es ist friedlich.
Am nächsten Morgen fahren wir weiter in Richtung Westen. Die Wildpferde Namibias leben heute in der Namib in der Nähe des Städtchens Aus, das man auf dem Weg nach Kolmanskoop und Lüderitz passiert. Tatsächlich entstammen die Pferde ursprünglich der südafrikanischen Kavallerie. Sie lag mit der Deutschen Schutztruppe im Krieg, ein Fliegerangriff der Deutschen trieb ihre Pferde dann in die Wüste. Die Tiere haben in der Namib ihre Nische gefunden. Heute gibt es einen Unterstand, von dem man die Tiere auf dem Weg zu ihrer Wasserstelle beobachten kann. Obwohl sie sich den extremen Lebensbedingungen angepasst hatten, standen die Wildpferde der Namibwüste doch lange kurz vor der Ausrottung durch Wilderer. Sie lebten in einem Gebiet für Diamantenförderung, die im ganzen Land Sperrgebiete sind, zu denen Unbefugte keinen Zutritt hatten. Das verhinderte auch geeignete Schutzmaßnahmen für die Tiere. Erst nachdem die Region als Sperrgebiet aufgehoben und in den Namib Nauklub Nationalpark eingegliedert wurde, erholen sich die Bestände wieder.
Geisterstädte künden vom Diamantenrausch
Weite Regionen des Landes sind noch heute Sperrgebiete. Im Norden der langgezogenen Atlantikküste Namibias liegt die Skelettküste. Sie ist der unwirtlichste Teil des Landes. Ihren Namen verdankt sie den unzähligen Schiffen und Walen, die an ihrer scharfen Felsenküste strandeten. Ihre Gerippe liegen bis heute an den Stränden. Nur ein sehr geringer Teil der Skelettküste ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Zum größten Teil gehört sie zum Nationalpark Diamantensperrgebiet. Er erstreckt sich über 26.000km² von der Grenze Südafrikas über Lüderitz nach Norden.
Auf dem Weg zum Agathestrand in Lüderitz kann man auf der einen Seite der Straße anhalten, um rosa Flamigos in einem Teich stehen zu sehen. Auf der anderen Seite der Straße ist Sperrgebiet, Betreten für Unbefugte verboten. Nur die Stadt Lüderitz selbst wie die zu ihr führende Straße sind für die Öffentlichkeit freigegeben.
Hatte die deutsche Kolonialherrschaft lange versucht, dem kargen Land Rohstoffe für den Export abzugewinnen, wurden 1908 zum Ende der deutschen Herrschaft zufällig Diamanten entdeckt. In den ersten Jahren robbten Männer über den Sandboden und sammelten Diamanten wie Erbsen vom Strauch. Namibia wurde schließlich die einzige deutsche Kolonie, die sich finanziell selber tragen konnte. In dieser Zeit wuchsen auch Städte wie Kolmanskoop aus dem Wüstenboden. Heute ist Kolmanskoop verlassen. Die Häuser sind verfallen und Sandberge haben sich im ewigen Wüstenwind in die Häuser gewälzt. Sie türmen sich meterhoch auf und begraben die letzten Denkmäler menschlicher Besiedlung wieder.
Die Geschichte von Kolmanskoop ist kurz, aber geprägt vom Überfluss. Sie dauerte so lange, wie die Diamantenfelder ihre Früchte widerstandlos hergaben. Die Stadt liegt umgeben von Sandbergen nicht weit der Lüderitzbucht. 1908 wurden hier die ersten Diamanten gefunden, bald stand die deutsche Stadt in voller Blüte. Jedem Haushalt wurde jeden Morgen kostenlos von der ortsansässigen Eisfabrik ein großer Block Eis ins Haus geliefert, es gab ein Salzwasserschwimmbecken. Die Menschen vergnügten sich im Theater und auf der Kegelbahn. Die kleine Stadt verfügte über alle Annehmlichkeiten, die sich Europäer nur wünschen konnten. Die große Euphorie hielt jedoch nicht lange. 1930 wurde der Diamantenabbau eingestellt, die Förderung per Hand und mit Hilfe einfacher Maschinen war zu unrentabel geworden. Die letzten Einwohner verließen die Stadt in den 1960er Jahren. Heute gibt es hier immer noch eine Minengesellschaft, die maschinell verbliebene Diamanten aus dem Boden fördert.
Im gemäßigten Klima der Atlantikküste
An der südlichen Küste des Landes liegen einige der nach der Hauptstadt Windhuk wichtigsten Städte des Landes, von Süden nach Norden: Lüderitz, Walvis Bay und Swakopmund. Das Land an der Küste ist nicht fruchtbar, doch es weht ein kühler Wind vom Meer her, der das Leben angenehm macht. In Lüderitz es ist kühl. Wir campen direkt am Wasser und der kalte Abendwind lässt uns frösteln.
Die Lüderitzbucht war das erste Schutzgebiet des Deutschen Reiches. Heute leben 20.000 Menschen in einer Stadt, die wirkt, als sei sie nach und nach in den Stein gehauen worden. Die Küste hier ist felsig, Stein und Geröll liegen ohne Erd- und Grasnarbe oft bloß. Reichskanzler Bismarck lehnte den staatlichen Kolonieerwerb grundsätzlich ab. Er änderte seine Meinung dazu nie. Warum er die Lüderitzbucht dann doch schließlich 1885 unter deutschen Schutz stellte, ist nicht vollständig geklärt. Er wollte sich eigentlich auf die innere Stabilität des noch jungen Deutschen Kaiserreiches konzentrieren. Das Deutsche Reich trat deswegen spät in die Kolonialgeschichte ein und musste sich mit den unwirtlichen „Resten“ zufriedengeben. Als Bismarck kurz nach dem Erwerb der Kolonien versuchte, sie wieder loszuwerden, wollte kaum jemand sie mehr von ihm haben. Zumindest versuchte er sein Gesicht zu wahren, indem er die deutschen Überseegebiete nie als Kolonien bezeichnete, für ihn blieben sie immer „Schutzgebiete“.
Zwischen Lüderitz und Walvis Bay (die deutschen Kolonialherren kannten sie als Walfischbucht) gibt es weder Infrastruktur noch offizielle Siedlungsgebiete. Es gibt keine Küstenstraße. Statt dessen müssen wir einen weiten Umweg fahren, um nach Walvis Bay zu kommen. Wir fahren ganz zurück nach Keetmanshoop ins Landesinnere. Von dort geht es auf der N1 nordwärts über Marienthal und Windhuk. Von der Hauptstadt aus windet sich wieder eine Straße nach Westen dem Meer zu. Auf der Höhe von Marienthal zweigt die Straße noch einmal ab – hier geht es zu den berühmten Dünen von Sossusvlei. Auf dem Weg dorthin passieren wir das Duwisib Castle. Ein deutscher Baron mit der Utopie, einen eigenen Staat zu gründen, ließ es hier nach deutschem Vorbild errichten. Sein Traum hielt nur wenige Jahre.
In Sossusvlei liegen die ersten großen Sanddünen des Landes. Die bekannteste unter ihnen ist wohl die Dune 45. Wahrscheinlich keine Düne in Namibia wurde wahrscheinlich so oft fotografiert wie sie. Die höchste von ihnen aber ist die Dune 7. Die Dünen in Sossusvlei haben bis zu 200 Meter Höhenunterschied zu ihrer Umgebung, damit gehören sie zu den höchsten Dünen weltweit. Auf dem Weg dorthin bleiben wir mit unserem Allradantriebwagen das erste Mal in einem Sandbecken stecken. Keiner von uns hat Erfahrungen mit Offroad- Fahren. Wir treffen einen Mitarbeiter vom Touristenzentrum in der Nähe, der Interessierte zu den Dünen bringt, die keinen Allradantrieb mitbringen. Er hilft uns, gibt Tipps. Und er lässt uns die Luft aus den Reifen, damit wir wieder aus dem Becken herauskommen. Wir haben nur eine altersschwache Fußpumpe dabei und hätten Stunden damit verbracht, die Reifen später wieder aufzupumpen, wenn wir nicht einen anderen Mitarbeiter getroffen hätten, der uns weiterhelfen konnte.
Wir klettern die Dünen unter der heißen Mittagssonne hinauf. Der flirrende Sand verbrennt uns die Füße und die Hände. Da ist nichts als endloser Sand, so scheint es uns. Wir sind in einer anderen Welt angekommen. Es gibt nichts Menschliches mehr; nichts mehr, was wir begreifen könnten. Wir fühlen uns, als gäbe es in der Welt nichts mehr als Sonne und Sand. Es gibt keine Grenzen mehr als das Auf und Ab der Dünen.
Kurz vor Walvis Bay stoßen wir auf die Dune 47, die Sportlern zum Sandboard surfen dient. Sie ragt weit über die Umgebung hinaus. Es dauert lange, bis wir sie erklommen haben. Es ist uns eine unglaubliche Anstrengung, auf dem rutschigen, feinen Sand nach oben zu kriechen, der unter unseren Füßen nachgibt und in Sandzungen nach unten fließt. Als wir endlich oben angekommen sind, hat sich der Sand in unseren Haaren und Augen festgesetzt. Der Wind wirbelt ihn auf und um uns herum. Wir können nach jeder Seite unendlich schauen, so scheint es. Später rollen und hüpfen, rennen und fallen wir die Düne hinunter. Als wir unten ankommen, sind wir eingepudert in Sand.
Die Walvis Bay ist als wichtigster Hafen ein wirtschaftlicher Motor des Landes. Die Hafenstadt hat den einzigen Tiefwasserhafen auf einer Strecke von über 3000 Kilometern entlang der Atlanktikküste. Der nächste Tiefwasserhafen im Süden liegt an der Südwestspitze Südafrikas, in Kapstadt. Der nächste im Norden ist in Luanda, der Hauptstadt Angolas.
Nur wenige Kilometer von Walvis Bay liegt Swakopmund. Im Gegensatz zum industriellen Walvis Bay dient es jedoch als Erholungsort für die namibische Bevölkerung. Wenn im Südsommer das Klima im Landesinneren unerträglich wird, zieht es sie an die Küste. Wenig schmeichelhaft ist jedoch die Herkunft des Namens des so beliebten Städtchens. Sowohl der Wortteil „Swakop“, der aus dem Nama/Damara stammt, als auch der Worteil „Mund“ aus dem Afrikaans bedeuten soviel wie Kloake, weil sich hier der Fluss Swakop in einer braunen Brühe ins Meer ergießt. Nichts desto trotz gibt es nirgendwo so beliebte Strände wie hier. Wer etwas auf sich hält, feiert Silvester hier. Nirgendwo wird so viel und ausgiebig gefeiert wie in Swakopmund. Man darf allerdings keine ausgewachsene Clubszene erwarten in einem unwirtlichen Land, in dem selbst die Hauptstadt eher wie eine Provinzstadt wirkt.
Nördlich von Swakopmund und Windhuk kommt die Einöde. Die Städte werden kleiner, unbedeutender und eingestaubter von Sand und Erde. Vereinzelt breiten sich die riesigen Farmen der Weißen aus. Das Land scheint menschenleer, still und nur unterbrochen von ausgescheuchten Vögeln und den neugierigen Blicken der Antilopen am Straßenrand. Irgendwann auf dem Weg vom europäisierten Afrika in ursprünglichere Regionen entdecken wir das Grab eines hochrangigen Herero. Sein Grab ist geschmückt mit einer Reihe Kuhhörner von beeindruckender Größe. Sie zeugen von der gesellschaftlichen Position des Mannes, der hier begraben wurde. Die Wüste und Halbwüsten des Landes ermöglichen kaum eine andere Existenzgrundlage als Viehhaltung. Entsprechend hat sich die Größe der Herde, die ein Mann besitzt, zum Maßstab für seine Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie entwickelt. Darüber hinaus bedeutet Vieh Reichtum. Eine Weile später versperrt uns eine riesige Ansammlung von Ziegen den Weg. Die Ziegenhirten der Region treiben hier ihre Herden zusammen. Neben der Straße liegt das Wasserloch, an dem sie ihre Tiere regelmäßig tränken.
In den Nordwesten
Der zweite Teil unserer Reise führt uns weiter nach Norden in die Wüste. Wir fahren bis zu den Epupa-Fällen im Norden, die wie ein Paradies im ewigen Sand erscheinen. Wir kehren schließlich durch das Marienflusstal wieder in die Hauptstadt Windhuk zurück.
In die Wüste
In Okahandja begegnen uns prominent die Überreste afrikanischer Geschichte. Okahandja ist nicht mehr in erster Linie eine europäische Stadt. Sie ist zentral für die Geschichte und Gegenwart der Herero Namibias. Sie wurde von einwandernden Herero gegründet, die im 18. Jahrhundert aus Botswana gekommen waren. Sie blieb von da an mit Unterbrechungen das Verwaltungszentrum der Herero. Die bedeutensten Herrscher des Stammes – unter ihnen Mahaherero und Samuel Mahahereo - wurden in Okahandja geboren und liegen auch hier begraben. Noch heute wird hier jedes Jahr der sogenannte Hererotag gefeiert. An diesem Tag gedenken die Menschen der Schlacht am Waterberg 1904, in deren Folge die deutschen Kolonialherren den Stamm in die Wüste und damit zum größten Teil in den Tot trieben.
Outjo weiter im Norden ist wie der „Melting Pott“ der Region. Vor der Apotheke treffen sich Bevölkerungsgruppen, die nichts gemein zu haben scheinen. Die großen Hererofrauen tragen lange hochgeschlossene Kleider, die dem deutschen Kleidungsstil des späten 19. Jahrhunderts enlehnt sind. Auch ihren traditionellen Kopfschmuck aus dem gleichen Stoff tragen sie erst seit der Kolonialzeit. Sie rollen den Stirnteil ihrer Haube zu einer breiten Rolle auf, die sie quer über der Stirn feststecken. Sie symbolisiert Kuhhörner. Die Himbafrauen hingegen gehen fast nackt. Sie tragen nur einen Lendenschurz aus gegerbter Ziegenhaut. Ihre Haare sind mit rotem Lehm zu Strähnen verbacken. Sie tragen ihrem Status entsprechenden Schmuck, den sie selbst aus Knochen, Steinen, Borsten und anderen Materialen herstellen. Die Himba sind eines der wenigen Völker Afrikas, die noch heute in relativer Abgeschiedenheit eine dem westlichen Lebensideal abgewandte Existenz führen. Doch auch sie stehen heute an einem Wendepunkt in ihrer Geschichte. Westliche Einflüsse verstärken sich zunehmend. Es bleibt abzuwarten, wie die Himba darauf reagieren werden.
Asphaltierte Straßen lassen wir hinter uns. Weite einsame Sandpisten ziehen sich nach Norden. Hier begegnet man selten einem anderen Auto. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit unsere Wagen gehabt. In Lüderitz müssen wir in die Werkstatt und hoffen jetzt darauf, dass uns der Wagen nicht im Stich lässt. Die Elektronik ist empfindlich, immer wieder springen ihm die Sicherungen heraus. Doch das wissen wir erst, nachdem wir mit leerer Batterie liegen bleiben.
Wir haben jetzt 800km ohne Tankstelle vor uns. Unser Treibstoffbedarf ist penibel berechnet. Wir dürfen jetzt keine Extratouren mehr machen. Wir lassen die Klimaanlage ausgeschaltet, um Sprit zu sparen. Statt dessen fahren wir ständig mit herunter gelassenen Fenstern. Einmal fahren wir durch ein Sandbecken, das fein und locker ist wie Staub. Danach ist alles rot-braun, unsere Zähne und Haare wahrscheinlich noch bis zum Abend, das Innere unseres Wagens bis zum Ende unserer Reise. Wir haben ein GPS- Gerät dabei, dass wir in den Regionen, in die wir kommen werden, dringend brauchen. Dort gibt es keine Straßen mehr, nur Tracks einzelner Wagenspuren. Ihnen zu folgen kann gefährlich enden. Jeder Track kann sich bis zu Jahrzehnten im Wüstenboden zementieren – eine Reifenspur sagt noch nichts darüber aus, ob sie auch an ein Ziel führt. Wir haben außerdem ein Satellitentelefon dabei, von dem wir hoffen, dass wir es nie brauchen werden. In den abgelegensten Regionen funktioniert jedoch selbst das nicht.
Auf dem Weg nach Norden passieren wir Naturdenkmäler, die uns in ihrer Kargheit faszinieren. Es ist schon fast dunkel, als wir eines Abends die schwarzen Hügel des Brandberges umrunden und bei den Felsmalereien in Twyfelfontein in der Tsisab-Schlucht ankommen. Sie sind ein Jahrtausende altes Geschichtsbuch aus der Zeit, in der Namibia noch grün und fruchtbar war. Die San haben hier eine unglaubliche Menge an Zeichnungen und Ritzungen hinterlassen, in denen sie einander von riesigen Herden in der Region berichteten. Die Masse und Vielfalt von Felszeichnungen und -Ritzungen ist überwältigend. Es ist unglaublich, wie viel sich aus unterschiedlichen Epochen der Menschheitsgeschichte an diesem Ort erhalten hat. Die San beschrieben Orte und Rituale, zeichneten Tiere, die sich heute in mildere Gegenden zurückgezogen haben. Die wohl bekannteste Felszeichnung ist die „White Lady“ - die weiße Frau. Tatsächlich ist die weiße Frau weder weiß noch weiblich. Die Zeichnung stellt einen Medizinmann bei einem seiner Rituale dar. Die Felszeichnungen von Twyfelfontein am Brandberg gehören heute zum Weltkulturerbe. Ihr Alter wird auf bis zu 2500 Jahre geschätzt.
Die San, die dieses Kulturdenkmal schufen, wurden in der Kolonialgeschichte als „Buschmänner“ bekannt. Das war jedoch lange nachdem ihre Verdrängung durch einwandernde, aggressivere Volksgruppen in die unwirtlichen Regionen der Kalahari im Südosten des Landes bereits begonnen hatte. Heute sind sie die Verlierer der Konkurrenz um Macht, Land und Leben. Es gibt kaum mehr als 100.000 San im ganzen südlichen Afrika. Die meisten von ihnen leben in den unwirtlichen Wüstenregionen der Kalahari. Sie sind von staatlichen Zuwendungen abhängig, um in einer Region bestehen zu können, der sie nicht genug zum Überleben abgewinnen können. Die San, die es aus der Wüste in die Stadt geschafft haben, haben ihren Aufstieg auf der gesellschaftlichen Leiter noch nicht begonnen. Sie arbeiten zumeist unterbezahlt als Hausangestellte oder in anderen ungelernten Tätigkeiten. Die Unterdrückung der San in der Gesellschaft Namibias ist heute wohl das größte gesellschaftspolitische Thema des Landes. Ihr Weg aus dem Abseits wird lang sein.
Genau hier finden wir auch die Orgelpfeifen – eine wie von Menschenhand erschaffene Felsformation. Durch Erosion entstandene Basaltstifte ragen in einer kleinen Schlucht, die wir durchwandern und durchklettern, mehrere Meter hoch in den Himmel. Der Verbrannte Berg ragt schwarz und leer in die Landschaft hinein, in seinem Rücken zeichnen sich rot höhere Berge ab. Wir sind fasziniert davon, wie sich Leben in diesen scheinbar lebensfeindlichen Regionen entwickeln und halten konnte. In einer ewigen Geröllwüste galoppieren zwei Wasserbockkühe an uns vorbei, Vögel sitzen in Sträuchern und auf Steinen. Und immer wieder sehen wir vereinzelt Menschen. Einmal kommen wir an einer scheinbar verlassenen Siedlung der Himba vorbei. Es ist nichts mehr davon übrig als eine halb verfallene Hütte aus verflochtenen Zweigen, die unter der sengenden Sonne zu verbrennen scheint.
Auf dem Weg in das Paradies der Wüste
Kurz vor den Epupa- Fällen verlassen wir endgültig befestigte Straßen. Am ersten Tag verfahren wir uns trotz GPS-Gerät – wir sind noch nicht daran gewöhnt, seinen Daten zu trauen und folgen statt dessen den Tracks vor uns. Unser Track führt immer weiter von unseren GPS-Daten fort. Wir machen uns Sorgen um unsere Orientierung, unseren Treibstoff und unsere Zurechnungsfähigkeit. Dabei treffen wir auf das erste Himba-Dorf.
Wir sind hin und her gerissen, ob wir es wagen können, ins Dorf zu gehen. Schließlich stehen wir vor den Dorfmauern. Zu zwei Himmelsrichtungen sind Durchgänge in die Holzfassade gelassen. Wir warten. Schließlich werden wir hineingebeten. Niemand von uns spricht die Sprache des anderen. Die Dorfbewohner können kein Wort Englisch. Wir haben uns bemüht, ein paar Begriffe in Herero und Nama/Damara zu lernen. Wir haben sie von hilfreichen Menschen gelernt, denen wir auf unserem Weg durch Namibia begegnet sind. Doch das bringt uns alles kaum weiter.
Der Dorfälteste, ein Mann von unbestimmbarem Alter, lässt sich einen alten Gartenstuhl bringen. Das ist sein Privileg, sein Thron. Er sitzt stolz und überschaut sein Dorf. Er schickt die Kinder mit uns fort. Sie sollen uns das Dorf zeigen. So machen wir eine kleine Dorfrunde von Hütte zu Hütte. Im Sommer sind die Männer nicht im Dorf. Sie lassen die Frauen und ihre Kinder zurück, um ihr Vieh in den Bergen weiden zu lassen.
Die Himba haben sich bisher von westlichen Einflüssen weitgehend ferngehalten. Bis vor wenigen Jahren war die Geldwirtschaft weitgehend unbekannt bei ihnen. Allerdings zeigen auch sie eine verstärkte Annäherung an den Westen. Waren sie bis vor einigen Jahren insbesondere an Maismehl und Zucker aus den südlicheren Regionen des Landes interessiert, so wandelt sich ihr Handelsinteresse zunehmend hin zu harter Währung.
Sie leben in Substistenzwirtschaft in der Kunene-Region in der Nähe zu Angola. Ihre Dörfer sind klein, sie bestehen zumeist nur aus einem Familienverband. Das Dorf wird durch einen Reisigzaun abgesteckt. Geschlossene Rundhütten oder halboffene Unterstände aus Holzstöcken und Lehm dienen als Schlaf- und Wohnraum in der sengenden Mittagssonne. Die Hütten gruppieren sich um das Lagerfeuer in der Mitte des Platzes. Weitere Rondelle aus Holz dienen zur Haltung der Ziegen.
Viele Dörfer sind so abgeschieden, dass die Menschen kaum Fremden begegnen. Dennoch stehen Sie im regen Kontakt zu anderen Himbaansiedlungen in der Region. Als wir an einem Abend unser Zelt aufschlagen, kommt ein junger Mann mit einem Esel an uns vorbei. Er trägt ein grünes Baumwollhemd – sein Zugeständnis an die Vereinfachungen des Lebens, die die Moderne ihm bietet. Am nächsten Morgen kommt er wieder zurück. Auf dem Esel reitet eine alte Frau. Die Großmütter der Himba genießen einen Sonderstatus in der Gemeinschaft. Wenn Hochzeiten abgehalten werden, bricht ein junger Mann auf, um sie zu holen, an der Hochzeit teilzunehmen. Er muss so lange geduldig im Dorf der alten Frau bleiben, bis sie sich bereit erklärt, mit ihm zu gehen.
Die Himba haben sich in beeindruckender Weise an das Leben in der heißen Wüste angepasst. Wir sind die Wüste nicht gewohnt. Wir trinken zu wenig. Die Hitze dehydiert unsere Körper. Wir zwingen uns jeden Morgen, Wassermengen zu trinken, an die sich unser Körper scheinbar nur schwer gewöhnen mag. Wir haben Wasservorräte, die wir mit Tabletten reinigen. Überall, wo wir die Möglichkeit haben, füllen wir unsere Vorräte an Flüssen und Rinnsalen auf. Je weiter wir nach Norden kommen, desto brauner wird das Wasser, das wir trinken. Die Hitze ist übermächtig. Obwohl wir die letzten Monate in Südafrika verbracht haben, ist die Belastung durch die Hitze enorm. Die große Hitze kann zu Fieberanfällen führen, erfahren wir.
Das dörre Schotterfeld bricht ab und zu auf. Vor uns taucht dann plötzlich ein breites Flußbett auf, das grüne Palmen, Lianen, Gräser und Früchte hervorbringt. Bald versinkt die Oase wieder im Staub. Zwei mal gelangen wir wie aus dem Nichts in einem grünen Urwald. In einer Oase lebt ein junges Himba-Pärchen mit ihrem Baby. Sie bieten uns von den getrockneten Brotfrüchten an, die sie gesammelt haben. In der anderen Oase stakst ein satter Ochse durch ein weites Flussbett ans andere Ufer. Und dann sind wir endlich am nördlichsten Ziel unserer Reise: den Epupa-Wasserfällen an der Grenze zu Angola.
Sie durchbrechen die Wüste mit tosenden Wassermassen, die sich die Gefälle 40 Meter hinunterstürzen. Baobabs klammern sich mit ihren kräftigen Wurzeln an die steil abfallenden Hänge. Hier spürt man nichts mehr von der sengenden Hitze und der kargen Wüstenlandschaft, die nur wenige Kilometer weiter wieder das Landschaftsbild prägt. Wir baden in natürlich abgeschlossenen Pools in direkter Nähe zu den Fällen. Hier am Kunene ist der Wassergenuss nur selten uneingeschränkt genießbar. Im Fluss wimmelt es von Krokodilen, die wir am Morgen von unserem Zelt aus am Strand liegen sehen. Niemand würde hier auf die Idee kommen, im Fluss selbst schwimmen zu gehen.
Wir campen direkt am Kunene. Der Campingplatz ist durch eine Steinmauer von der Böschung getrennt. Wir sitzen an unserem Feuer und können das Rauschen des Wasserfalls hören. Es ist ein seltsames Erlebnis, diesem Überfluss an Wasser zu erleben, nachdem wir die Wüste gesehen haben. Am Abend gehen wir ins Dorf und bestellen uns im Laden Ziegenfleisch für den folgenden Tag. In der Abenddämmerung des nächsten Abends putzen wir Fleisch und braten es zu unserem Fertigkartoffelbrei und unserem Gemüse aus Dosen.
Durch das Marienflusstal
Danach geht es wieder Richtung Süden. Wir wollen ins Marienflusstal. Dazu müssen wir den Van-Zyl-Pass überqueren. Kamen wir bisher auf Sandtracks relativ zügig voran, so quält sich unser Wagen jetzt über schmale Geröllhalden, auf denen wir tagelang nur im Schneckentempo vorankommen. Kleine, verknorpelte Bäumchen kämpfen sich durch den harten Boden ans brennende Licht. Langsam und stetig geht es bergauf, bis wir schließlich nach einer letzten Steigung und einer letzten Kurve von allen Grenzen befreit auf einem Hochplateau stehen, das stolz und friedlich eine riesige Landschaft überblickt. Wir bleiben eine Weile, beobachten das zartgrüne, gelbe und rote Feld weit unter unseren Füßen.
Kurz vor dem Van-Zyl-Pass machen wir noch einmal für die Nacht Pause. Der Anstieg wird lang und beschwerlich. Jetzt gibt es für uns keine Möglichkeit zur Umkehr mehr. Der Pass ist von Autos nur in eine Richtung befahrbar. Von der anderen Seite ist es unmöglich, die tiefen Narben aus Stein und Fels zu meistern. Wer es einmal über den Pass geschafft hat, kann nur noch geradeaus, nicht mehr zurück. An keinem Punkt ist die Zivilisation so weit weg wie an diesem.
Voran geht es in Schrittgeschwindigkeit und im Krebsgang, einen Schritt vor, zwei Schritte zurück. Für den Fahrer ist es ummöglich, die Unweglichkeiten des Passes richtig einzuschätzen. Er ist oft auf eine zentimetergenaue Anweisung von außen angewiesen, um tückische Stellen zu überwinden, in denen er stecken bleiben oder den Unterbau des Wagens ernsthaft beschädigen kann. Wir fürchten oft um unseren Benzintank, der tief unter dem Wagen hängt und immer wieder durch das scharfe Kratzen der Felsen auf sich aufmerksam macht.
Auf unserem Weg durch das Marienflusstal passieren wir weite Sandpisten, Dünenlandschaften, beobachten Giraffen und Antilopen. Manchmal widersprechen sich die Karten, nach denen wir fahren. An einem Punkt entscheiden wir uns, eine Strecke zu fahren, die nur in einer unserer Karten eingezeichnet ist. Am Anfang haben wir keine Probleme. Dann wird der Sand im Flusstal irgendwann immer dicker und tiefer. Es dauert nicht lange, bis wir endgültig feststecken. Es ist mitten am Tag, es ist heiß und wir sind allein. Es dauert lange, bis wir den Wagen so weit freigeschaufelt und Bretter unter die Räder gelegt haben, dass er sich aus dem Sandloch freiwühlen kann. Es sind nur wenige Meter, bis wir wieder festsitzen – genauso tief wie zuvor. Als wir den Wagen endgültig befreit haben, entschließen wir uns, dass wir zurückfahren. Es scheint uns keinen Sinn mehr zu machen, der Track scheint nur schlechter zu werden. Der Weg zurück ist anstrengend. Unsere Reifen haben auf dem Hinweg tiefe Tracks gegraben, in denen wir jetzt steckenzubleiben drohen. Es ist Abend, als wir schließlich wieder da ankommen, wo wir am Morgen gestartet sind.
Unser weiterer Weg zurück in den Süden führt uns vorbei an skurilen Wegmarkierungen. Hielten wir die „Red Drum“, die in unserem GPS- Gerät markiert war, naiv für eine kleine Siedlung auf der Strecke, so ist sie doch tatsächlich nicht mehr als eine red drum – eine rot gemalte Benzintonne, die groß und schwarz aufgemalt ihre GPS-Daten kundtut und außerdem zwei Weggabelungen voneinander trennt. Gleich daneben wirbt eine Holztafel für den knapp 25 Kilometer entfernten Otjimentje- Campingplatz mit Heißwasser – was kein Kunststück ist in einer Gegend, in der das Wasser generell die meiste Zeit des Tages kochend heiß aus den verlegten Leitungen kommt.
Heiligabend nähern wir uns wieder der ersten größeren menschlichen Siedlung Sesfontein. Beim Frühstück messen wir die Außentemperatur. Um viertel nach neun sind es in der Sonne bereits 35 Grad. Bis um 10 Uhr steigt das Thermometer bis auf 47 Grad. Am Abend erreichen wir Sesfontein. Nach wunderbaren Tagen in Hitze, Staub, Zähigkeit und der Gemächlichkeit, die einem nur eine unnachgiebige Natur angewöhnen kann, schlagen wir unsere Zelte auf dem Campingplatz eines Ferienressorts auf. Wir liegen stundenlang im Pool des Hotels, den wir als Camper eigentlich nicht benutzen dürfen. Wir feiern nur ein wenig. Es ist schön, Weihnachten auch mal ein bisschen ausfallen lassen zu dürfen. Am Abend bestellen wir uns ein kleines Menü im Hotel und zum Schluss singen die Hotelangestellten Weihnachtslieder in ihrer Heimatsprache. Am ersten Weihnachtstag sind wir in der Kirche des Dorfes. Die Herero halten ihren zweistündigen Weihnachtsgottesdienst in Englisch und Herero ab. Während der Zeremonie vertragen sich zwei verfeindete Familien wieder und die Familienväter fallen sich tief gerührt in die Arme.
Die Hauptstadt
Danach geht es weiter in eine Welt, in der Straßen und Menschen und Wasser alltäglich werden. Die Hauptstadt des Landes, Windhuk, ist unsere erste Etappe zurück in das, was wir als unser Leben kennen: asphaltierte Straßen, Wasser aus der Leitung, Elektrizität, Häuser aus Stein, ein Supermarkt an jeder Ecke, Kino, Theater, Menschen im Überfluss.
Windhuk ist das räumliche wie bürokratische Zentrum des Landes. Verglichen zu den riesigen Städten Südafrikas, sind seine Ausmaße fast kläglich. Knapp 400.000 Menschen leben in der Hauptstadt. Die deutsche Geschichte begegnet uns an jeder Straßenecke. Wir besuchen die Alte Feste, in der heute das Nationalmuseum untergebracht ist. Die Alte Feste wurde 1890 von der deutschen Schutztruppe als Festung in den Wirren der Kriege zwischen den ansässigen Nama und Herero errichtet und gilt heute als die Grundsteinlegung der Stadt.
Das Wahrzeichen der Stadt ist jedoch nicht die Alte Feste, sondern die Christuskirche, die zwanzig Jahre später fertiggestellt wurde. Man spricht deutsch. Die Anschläge im Vorraum der Christuskirche werden in Deutsch gemacht. Die Christengemeinde hier in der Hauptstadt scheint eingeschworen zu sein. Der Pastor verabschiedet seine Schäfchen an der Tür namentlich – auf Deutsch. Vor der Kirche im historischen Zentrum der Stadt begegnet uns deutscher Nationalstolz in einer Form, die uns angesichts der Geschichte Deutschlands ins Grübeln geraten lässt. Hier werden von den Namibiadeutschen viele Dinge anders gesehen als bei uns in Europa. Vor der Kirche steht ein Gedenksein: „Ostdeutsche Provinzen unvergessen“ steht darauf. Es macht uns ein ungutes Gefühl.
Jede Nacht haben wir bisher an einem anderen Ort verbracht. Wir genießen es, jetzt noch ein paar Tage in der Hauptstadt verbringen zu können. Wir streifen tagelang durch die Stadt. Schließlich liegen wir an einem Nachmittag unter den schattigen Bäumen im Garten des Tintenpalastes. Es ist ein wundervoller Ort, um einmal Pause zu machen vom Entdecken und Reisen. Ursprünglich wurde er als Verwaltungssitz für die Deutsche Kolonialregierung in Windhuk erbaut. Heute tagen hier die beiden Kammern des namibianischen Parlaments. Weiter hinten im bunten Garten zieht eine Hochzeitsgesellschaft ein, später noch eine zweite und dritte. Jeder, so scheint es, der in Windhuk heiratet, lässt seine Hochzeitsbilder vor dem Tintenpalast machen.
Wir sind keine vier Wochen fort gewesen, aber es fühlt sich an, als hätten wir für ein ganzes Leben gelernt. Am Abend des 30. Dezember steigen wir in Windhuk in unseren Bus Richtung Kapstadt/ Südafrika. 22 Stunden später sind wir wieder im Großstadttrubel angekommen. Als es dunkel wird, sehen wir das Silvesterfeuerwerk am Hafen. Verrückte Welt.
Texte: Fotos (c) David Jungwirth, Martina Osterndorff
Tag der Veröffentlichung: 16.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
gewidmet natürlich David, Andreas, Kristin und Stefan, die mich begleitet haben